Oswald Spengler

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Oswald Arnold Gottfried Spengler (* 29. Mai 1880 in Blankenburg, Harz; † 8. Mai 1936 in München), war ein deutscher Geschichtsphilosoph, Kulturhistoriker und politischer Schriftsteller. Spengler gilt als „Meisterdenker der Konservativen Revolution[1] und geistiger Wegbereiter des Nationalsozialismus.[2][3]

Leben

Jugend, Studium und Lehrtätigkeit am Gymnasium (1880–1911)

Spengler wurde am 29. Mai 1880 als zweites von fünf Kindern des Postbeamten Bernhard Spengler und seiner Frau Pauline Spengler, geb. Grantzow in Blankenburg am Harz geboren. Sein ältester Bruder war bereits im Alter von drei Wochen verstorben. Im Jahr 1891 zog die Familie nach Halle a. d. Saale, wo Spengler die Latina der Franckeschen Stiftungen besuchte. Später erinnerte er sich an seine Jugend als eine durch „Kopfschmerzen“ und „Lebensangst“ geprägte Zeit. Spengler bildete sich neben der als eng empfundenen Schulwelt autodidaktisch weiter. Nachdem er 1899 das Abitur bestanden hatte und wegen eines schweren Herzfehlers vom Militärdienst befreit wurde, studierte er in Halle, München und Berlin die Fächer Mathematik, Naturwissenschaften und Philosophie. Seine Dissertation schrieb er bei dem Philosophen Alois Riehl zum Thema Der Metaphysische Grundgedanke der Heraklitischen Philosophie. Am 6. April 1904 promovierte Spengler an der Universität Halle zum Dr. phil. Im Dezember des selben Jahres bestand er die Prüfung für das höhere Lehramt in den Fächern Zoologie, Botanik, Physik, Chemie und Mathematik. Das Thema der Staatsexamensarbeit lautete: Die Entwicklung des Sehorgans bei den Hauptstufen des Tierreiches. Darin manifestierte sich, wie Koktanek hervorhob, ein Leitmotiv des Spenglerschen Denkens, das später sowohl in der Schrift Der Mensch und die Technik (1931) als auch in den postum veröffentlichten Urfragen zum Tragen gekommen ist. Insgesamt wurde Spenglers Weltbild vor allem – neben dem Pietismus der Franckeschen Stiftungen seiner Jugend und den Naturwissenschaften seines Studiums – geprägt vom Darwinismus Ernst Haeckels, der fiktionalen Philosophie Hans Vaihingers (Philosophie des Als Ob), in ganz besonderem Ausmaß aber von der Kulturkritik Friedrich Nietzsches mit den Stichworten Dekadenz und Wille zur Macht – ganz abgesehen von der Verehrung, die er lebenslang Goethe als einem Gipfel der abendländischen Kultur entgegenbrachte.

Nach dem „Seminarjahr“ und einer Tätigkeit als Aushilfslehrer erhielt Spengler 1908 eine feste Anstellung als Gymnasiallehrer in Hamburg. Der Schuldienst sagte ihm nicht zu: „Schon beim bloßen Anblick des Schulgebäudes erlitt er einen Nervenzusammenbruch.“[4] Eine kleine Erbschaft nach dem Tod seiner Mutter eröffnete Spengler die Möglichkeit, die Lehrtätigkeit aufzugeben und sich im März 1911 als freier Schriftsteller in München niederzulassen.

Als freier Schriftsteller unterwegs zum Untergang (1911–1918/1922)

In München arbeitete Spengler zunächst für verschiedene Zeitungen als Kulturreferent und seit 1911 vor allem an seinem zweibändigen Hauptwerk Der Untergang des Abendlandes (Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte), dessen Erscheinen 1918 und 1922 ihn schlagartig berühmt machte und zum Gegenstand heftiger Debatten und Polemiken in literarischen, wissenschaftlichen und politischen Kreisen werden ließ.

Als Schlüssel, der ihm das Tor zur Entwicklung des „Untergangs des Abendlandes“ geöffnet habe, betrachtete Spengler den „Panthersprung nach Agadir“ vom 1. Juli 1911. Damals war das deutsche Kanonenboot „Panther“ den marokkanischen Hafen Agadir angelaufen, weil sich die Reichsleitung zu einer militärischen Drohgebärde hatte hinreißen lassen, die in ein diplomatisches Fiasko mündete. Spengler verband mit diesem Ereignis eine historische Zeitenwende, ein Wetterleuchten, das den herannahenden Weltkrieg in einer globalen Optik ankündigte. Spenglers gesamte politische Philosophie war von der Vorstellung geprägt, dass dem Abendland große Kämpfe um die Weltherrschaft bevorstünden.

Zwischen 1914 und 1917 verfasste Spengler auch zwei undatierte Denkschriften, die nur in Fragmenten überliefert sind. Die eine richtete er an Kaiser Wilhelm II., die andere an den Adel. Darin plädierte er für eine Versöhnung von Konservatismus und Sozialismus, wobei er beide „Ismen“ von ihren Inhalten zu lösen und im Zeichen der Machtmaximierung des „Imperium Germanicum“ zusammenzuführen versuchte. Dabei äußerte sich Spengler über den Parlamentarismus in der Regel ablehnend. An den Adel appellierte er, starke Begabungen durch Zucht und Züchtung effektiv zu selektieren.

In der Weimarer Republik (1919–1933)

Besonders seit der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg profilierte sich Spengler als vehementer Gegner der Demokratie.

Als politischer Schriftsteller brachte er seine antidemokratische Gesinnung in kleineren Schriften wie Preußentum und Sozialismus (1919) und Neubau des Deutschen Reiches (1924) zum Ausdruck. Spengler hoffte, dass ein Diktator der Weimarer Republik ein Ende setzen werde, der die großen innen- und v. a. außenpolitischen Herausforderungen in einem Zeitalter der „Vernichtungskriege“ (vgl. UdA, III. Tafel „gleichzeitiger' politischer Epochen) erfolgreich zu bewältigen imstande sei. Hitler schien ihm nicht über entsprechende Qualitäten zu verfügen; Spengler, der zunächst in seiner Einstellung zum Nationalsozialismus schwankte, lehnte schließlich nicht nur die Weimarer Republik, sondern auch die braune Diktatur entschieden ab.

Persönliche Freunde waren die Industriellen Paul Reusch und der bereits erwähnte Albert Vögler, die ihn auch finanzierten, sowie der Dichter Adolf Weigel (= Ernst Droem), mit dem er Prag besichtigte. In den 1920er Jahren stand er dem Nietzsche-Archiv nahe.

Anfang der zwanziger Jahre versuchte Spengler, selbst auf die Politik Einfluss zu nehmen. 1922 bemühte er sich, zusammen mit dem Verlagschef der Münchner Neuesten Nachrichten Nikolaus Cossmann, dem Leiter der „Hochschule für nationale Politik“ Martin Spahn und dem Industriellen Albert Vögler ein Netzwerk zum Aufbau eines nationalkonservativen Pressekartells zu knüpfen, jedoch gelang es ihm nicht, die Finanzierung dieses Unternehmens zu sichern.

Spengler im Dritten Reich (1933–1936)

Am 14. Juni 1933 erhielt Spengler einen Ruf an die Universität Leipzig und lehnte ab, nachdem er bereits im Jahr 1919 einem Ruf an die Universität Göttingen nicht gefolgt war. Am 25. Juli 1933 fand in Bayreuth eine Unterredung zwischen Spengler und Adolf Hitler statt.

In seinem Buch Jahre der Entscheidung, das am 18. August 1933 – fast ein halbes Jahr nach der nationalsozialistischen Machtergreifung – in Deutschland erscheinen konnte, distanzierte sich Spengler öffentlich von Hitler und dem Nationalsozialismus, dagegen feierte er den faschistischen Diktator Benito Mussolini enthusiastisch. Der „Duce“ bekam in Spenglers Geschichtsphilosophie die Funktion, Spenglers Konzept des „Cäsarismus“ exemplarisch darzustellen, also den Typus des künftigen „Cäsars“ zu verkörpern, der das Trümmerfeld der abendländischen Kultur im Zeitalter der fortgeschrittenen Zivilisation beherrschen werde, analog den „echten“ Cäsaren, die dem antiken „Imperium Romanum“ das Gepräge gegeben hatten.

Obwohl Spenglers Jahre der Entscheidung als oppositionelle Schrift gegen den Nationalsozialismus erscheint, wurde das Buch im „Dritten Reich“ nicht verboten. Es lief zwar eine Kampagne gegen das Buch, doch Reichspropagandaminister Joseph Goebbels bemühte sich weiterhin, Spengler auf seine Seite zu ziehen. Erst nachdem dieser ein Angebot von Goebbels ausgeschlagen hatte, einen Aufsatz über den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund (26. Oktober 1933) zu schreiben, gab der Minister auf und erteilte die Anweisung, Spengler in Zukunft zu ignorieren. Das zeigt, wie schwer sich das „Dritte Reich“ im Umgang mit Autoren der Konservativen Revolution wie Spengler tat. Sie waren den Nationalsozialisten aus der Zeit der Weimarer Republik als Verbündete im Kampf gegen die Demokratie und als wichtiges Reservoir politischer Ideen in Erinnerung und konnten daher nicht einfach als Gegner identifiziert werden.

Der sog. Röhm-Putsch vom 30. Juni 1934, bei dem Hitler seinen einstigen Mitkämpfer Ernst Röhm und andere hohe SA-Führer von der SS ermorden und zusätzlich noch ein paar „alte Rechnungen“ begleichen ließ, bedeutete für Spengler den endgültigen Bruch mit dem Nationalsozialismus. Unter den Ermordeten befand sich mit Gregor Strasser einer von Spenglers früheren politischen Ansprechpartnern. Besonders betroffen war er aber vom Tod des Münchner Musikkritikers Willi Schmid, der das Opfer einer Verwechslung mit SA-Gruppenführer Wilhelm Schmidt geworden war. Spengler hielt die Grabrede (Gedicht und Brief. Dem Gedächtnis Willi Schmids (1935), abgedruckt in Reden und Aufsätze) und bewies dabei Mut und Zivilcourage.

In seinen letzten Lebensjahren widmete sich Spengler wieder verstärkt wissenschaftlichen Fragen, die im Horizont einer Weltgeschichte von Anfang an standen, in die die Geschichte der Hochkulturen eingebunden werden sollte. Parallel dazu legte Spengler unter dem Stichwort „DiG“ (Deutschland in Gefahr) Notizzettel für den zweiten Band der „Jahre der Entscheidung“ an. Darin rechnete er mit dem Nationalsozialismus ab und stellte ihn auf eine Stufe mit dem Bolschewismus, den er schon bisher als das größte aller Übel auf der Ebene der Politik bezeichnet hatte. Hingegen behielt er in diesen Notizen seine Bewunderung für Mussolini bei.

Im Oktober 1935 trat Spengler aus dem Vorstand des Nietzsche-Archivs aus, weil er sich mit der Neudeutung Nietzsches im Nationalsozialismus nicht abfinden wollte.

Spengler starb in der Nacht vom 7. auf den 8. Mai 1936 in seiner Münchner Wohnung an Herzversagen; sein unerwarteter Tod gab Anlass für „Gerüchte, er sei von NS-Männern ermordet worden“[5]. Spengler wurde auf dem Münchner Nordfriedhof beigesetzt (Sektion 125, Grabanlage 2).

Zu Spenglers Schriften

Seine „Geschichtsmorphologie“

Hauptthema aller seiner Arbeiten ist seine morphologische Sicht der Welt als Geschichte, die er in seinen dichterischen Werken verarbeitet, und die in seinem philosophischen Hauptwerk als monumental ausgearbeitete Theorie fokussiert wird. Zentrale Thesen bei Spengler sind die Unfähigkeit seiner Zeit, kreativ zu wirken, die daraus folgende Verpflichtung des Bewahrens der von früheren Generationen geschaffenen Kultur, die Bewährung angesichts der politischen Herausforderungen in Zeiten des Verfalls, bei dem der „Blick über die Kulturen hin“ den Weg weisen soll. Erkenntnistheoretisch berief er sich dabei auf Goethe.

Wenn man Spengler als Denker einer zyklischen Geschichtsphilosophie sieht, so muss dabei beachtet werden, dass er nur die äußere Form der Kulturen sich wiederholend sieht, nicht jedoch ihre individuelle Ausprägung.

Wesentlich ist in diesem Zusammenhang die Selbstbewertung seines Hauptwerkes als „kopernikanische Entdeckung im Bereich der Historie, dass in diesem Buche ein System an seine [sc. das ptolemäische System] Stelle tritt, in dem Antike und Abendland neben Indien, Babylon […] eine in keiner Weise bevorzugte Stellung einnehmen.“

Entsprechend dieser Sicht stammen von ihm Tragödien zur Wende von der Kultur zur Zivilisation, ein Zivilisationsroman, und der geschichtsphilosophische Solitär Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte, der in zwei Bänden erschien, 1918 der erste Band in Wien, 1922 der zweite Band in München.

Das Werk wurde, von den Zeitumständen begünstigt, sehr erfolgreich; bei zeitgenössischen Intellektuellen lässt sich fast immer voraussetzen, dass sie es gelesen haben. Mit den 8 Kulturmonaden (Kernstück seiner Philosophie), die je binnen 1000 Jahren aufblühen, reifen und welken „wie die Blumen auf dem Felde“, konnte er auf positivistisch arbeitende Historiker kaum Eindruck machen, weil seine vergleichende Modellierung der Kulturen einen völlig neuen Ansatz einbrachte. Als Darstellung der Geschichte galt sie den meisten Historikern als unwissenschaftlich.

Rezeption seines Hauptwerks

Spenglers Der Untergang des Abendlandes war eines der erfolgreichsten und umstrittensten Werke, die seit 1918 erschienen sind. Der Titel wurde zum „geflügelten“ Wort. Der Erfolg des Werkes hatte vor allem zwei Gründe: Erstens erschien Der Untergang des Abendlandes zu einem Zeitpunkt, als der im 19. Jahrhundert entwickelte Fortschrittsoptimismus durch den Ersten Weltkrieg zutiefst erschüttert und durch ein umfassendes gesellschaftliches Krisenbewusstsein verdrängt wurde. Das Werk wurde als ausgesprochen aktuell wahrgenommen. Zweitens hatte es den Vorzug, eine unglaubliche Fülle an Daten aus den unterschiedlichsten Wissenschaftsdisziplinen zu einer Gesamtschau zu verarbeiten. Das Resultat war eine universalgeschichtliche, d. h. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umfassende Darstellung der Entwicklung des Abendlandes, die viele Leser zu faszinieren vermochte. Umstritten waren insbesondere Spenglers Methode der „historischen Morphologie“, also seine Herleitung geschichtlicher Analogien, die von der Fachwissenschaft als unseriös betrachtet wurden, sowie die politischen Implikationen, die Spengler mit seiner Vorstellung vom Zyklus der Hochkulturen verband. Außerdem wurde ihm Dilettantismus vorgeworfen.

Spengler selbst bezeichnete sein Hauptwerk als „Metaphysik“. Das hinderte den britischen Historiker Arnold J. Toynbee nicht, ihn zeitlebens zu bewundern. Noch bei Franz Borkenau findet sich eine Spengler sehr ernst nehmende grundsätzliche Auseinandersetzung.

Auch in weiten Teilen der Bildungsschicht, besonders in Deutschland und Österreich (Egon Friedell, Gottfried Benn u.a.), wurde sein Blick auf die Weltgeschichte ernst genommen.

Robert Musil bekannte am Ende einer vernichtenden Kritik, andere hätten nur deshalb nicht so viele Fehler gemacht, weil sie nicht die beide Ufer berührende Spannweite besäßen, um so viele (Fehler) darauf unterzubringen. Er schrieb: „Es gibt zitronengelbe Falter, es gibt zitronengelbe Chinesen. In gewisser Weise kann man also sagen, der Falter ist der geflügelte mitteleuropäische Zwergchinese. Falter und Chinese sind bekannt als Sinnbilder der Wollust. Zum ersten Mal wird hier der Gedanke an die noch nie beachtete Übereinstimmung des großen Alters der lepidopteren Fauna und der chinesischen Kultur gefasst. Dass der Falter Flügel hat und der Chinese keine ist nur ein Oberflächenphänomen!“

Thomas Mann lobte das Werk zunächst emphatisch und schlug es der Jury des Nietzsche-Preises zur Auszeichnung vor. Es sei ein „Buch voller Schicksalsliebe und Tapferkeit der Erkenntnis, worin man die großen Gesichtspunkte findet, die man heute gerade als deutscher Mensch braucht.“ [6]. Schon 1922, als er sich mit der Weimarer Republik zu versöhnen begann, distanzierte er sich von Spengler. Er lobte zwar den literarischen Glanz des Werkes, sprach dem Verfasser aber den humanistischen Pessimismus eines Schopenhauer oder den „tragisch-heroischen“ Charakter Nietzsches ab. Das Werk sei vielmehr fatalistisch und zukunftsfeindlich. „Solche Anmaßung aber und solche Nichtachtung des Menschlichen sind Spenglers Teil...Er tut nicht wohl daran, Goethe, Schopenhauer und Nietzsche zu Vorläufern seines hyänenhaften Prophetentums zu ernennen.“[7].

Karl Popper hat die Schrift Das Elend des Historizismus gegen Spengler (und Marx) geschrieben, gegen die Annahme, es gebe unabänderliche historische Gesetzmäßigkeiten. Der Sozialist Georg Lukács kritisierte das Werk als eine Position auf der Linie „Von Nietzsche zu Hitler“.

Theodor Adorno verteidigte Spenglers Geschichtsphilosphie gegen die tendenziöse und zum Teil auch bewusst diffamierende Kritik der Nachkriegszeit. Diese sei zu einfach und affirmativ. „Spengler zählt zu jenen Theoretikern der extremen Reaktion, deren Kritik des Liberalismus der progressiven sich in vielen Stücken überlegen zeigte.“ Adorno erkennt Spenglers Voraussicht auf den Faschismus als Cäsarismus als wertvoll an und arbeitet Elemente heraus, in denen dieser es schaffe, zu Wahrheiten über Massenkultur und Parteienorganisation vorzustoßen. Im größeren Teil des Aufsatzes leistet er aber eine grundlegende Kritik an Spenglers Einverständnis mit dem blutigen Lauf der Geschichte: „Nietzsche, dessen herrischen Ton Spengler unablässig nachahmt, ohne auch nur einmal wie Nietzsche vom Einverständnis mit der Welt sich loszusagen …“ Er kommt zu der vernichtenden Kritik: „Spengler und seinesgleichen sind weniger die Propheten des Zuges, den der Weltgeist nimmt, als seine beflissenen Agenten.“[8]

Zu Preußentum und Sozialismus

Spenglers politische Position, die sein gesamtes Werk durchzieht, ist die eines Preußentums vor dem Hintergrund der selbstzerstörerischen Kriege Europas, mit seinem Heimatstaat als Modell für die Zukunft. Er steht für Pflicht, Ordnung und Gerechtigkeit, die Ideale einer deutschen Kultur, im Gegensatz zu Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit als Idealen einer westlichen Zivilisation - mit dem auch für ihn positiv besetzten Wort Kultur (vertreten durch Goethe) im Gegensatz zu dem für ihn negativ besetzten Wort Zivilisation, das er mit Dekadenz gleichsetzt; er präferiert gegenüber dem Marxismus und dem liberalen Parlamentarismus einen Deutschen Sozialismus, der für ihn die Synthese von Gemeinwirtschaft und Monarchie oder Konservativismus und Sozialismus darstellt. Zu seiner Streitschrift Preußentum und Sozialismus, die am Tag nach der Ermordung des bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner geplant wurde und im November 1919 als Reaktion auf den Versailler Vertrag und die Weimarer Verfassung erschien, schrieb er 1932 übertreibend, aber für ihn und seinen politischen Standpunkt charakteristisch: „Von diesem Buche hat die nationale Bewegung ihren Ausgang genommen“ (Politische Schriften, 1932, Seite VII). Die Schrift ist vor allem werkgeschichtlich von Bedeutung und entspricht nach Spenglers Aussage weitgehend dem Keim seines Hauptwerks [9].

Interpretation von Russland

Zur Überwindung des gehassten westlichen Liberalismus und des Versailler Vertrags strebte Spengler vor allem ein Bündnis mit Russland bzw. der Sowjetunion an, insoweit gehörte er zum Umfeld der konservativen Revolution der 20er Jahre. Deutschland sollte seinem Wesen nach illiberal und antidemokratisch werden: „Ich habe bis jetzt von Russland geschwiegen; mit Absicht, denn hier trennen sich nicht zwei Völker, sondern zwei Welten. Die Russen sind überhaupt kein Volk wie das deutsche und englische, sie enthalten die Möglichkeiten vieler Völker der Zukunft in sich, wie die Germanen der Karolingerzeit. Das Russentum ist das Versprechen einer kommenden Kultur, während die Abendschatten über dem Westen länger und länger werden. Die Scheidung zwischen dem russischen und abendländischen Geist kann nicht scharf genug vollzogen werden. Mag der seelische und also der religiöse, politische, wirtschaftliche Gegensatz zwischen Engländern, Deutschen, Amerikanern, Franzosen noch so tief sein, im Vergleich zum Russentum rücken sie sofort zu einer geschlossenen Welt zusammen.“

Die heroisch-nihilistische Haltung, die Spengler für Kulturen (wie die des Abendlandes) beschrieb, die sich ihrem Ende näherten, konnte für junge Leser das Motiv hergeben, sich an Krieg und Nationalsozialismus wie an Abenteuern zu beteiligen: Der Rechtsintellektuelle Armin Mohler, der auch für Die Zeit und die konservative Wochenzeitung Junge Freiheit schrieb, erinnerte sich, auf Grund der Spengler-Lektüre aus der Schweizer Armee desertiert zu sein, um als 22-Jähriger in die deutsche Waffen-SS einzutreten.

Zu Jahre der Entscheidung

Spenglers Kritik des westlichen Parlamentarismus erfolgte auf Basis seiner preußisch-traditionalistischen Werteausrichtung, nicht jedoch aus Affinität zur NS-Ideologie. Die Interview-Frage eines amerikanischen Nachrichtenmagazins, welche Parallelen seine Lehre mit der NS-Ideologie habe, beantwortete er dahingehend, dass es keine solchen gebe. Dies wurde auch von den meisten Zeitgenossen so beurteilt.

Spenglers Schrift Jahre der Entscheidung (1933), die ursprünglich den Titel Deutschland in Gefahr tragen sollte, worauf er aus Angst nach der Machtergreifung verzichtete, wurde seinerzeit von NS-Kritikern und NS-Sympathisanten gleichermaßen als Angriff auf die NS-Ideologie verstanden. [10] Spengler unterscheidet darin das Ideal des pietistisch-idealistischen preußischen Dienst- und Leistungsethos, wohin seiner Meinung nach eine nationale Revolution zurückführen sollte, von der biologistischen Rassenlehre des Nationalsozialismus. Das preußische Ethos sei ein „Daseinstakt“, der in generationenlanger Einübung und Verfestigung kulturprägender führender Familien entwickelt und sodann gesellschaftsprägend geworden sei. Ein derartiges gesellschaftliches Ethos sei nicht durch den geistigen Druck eines Parteiprogramms ersetzbar.

Davon abgesehen sei die NS-Rassenlehre in ihrem Sinngehalt kindisch. Sie beschwöre nicht nur Gefahren im Inneren herauf, sondern setze aufgrund ihres naiven Überlegenheitsdenkens Deutschland auch der akuten äußeren Gefahr aus. Die Entscheidung zwischen preußischem Ethos und angelsächsischem Parlamentarismus sei aufgrund des Ersten Weltkriegs noch nicht endgültig entschieden. Er sehe die schlussendliche Auseinandersetzung zwischen beiden noch kommen. Ein im NS-Denken befangenes Deutschland sei auf diese Auseinandersetzung von der geistigen Disposition her denkbar schlecht aufgestellt. Spengler sah damit Kommen und Ergebnis des Zweiten Weltkriegs im wesentlichen voraus.

Zur Bedeutung und Kritik heute

Der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger attestierte Spengler „einen interessanten Blick […] auf Gedeihen und Vergehen von Zivilisationen.“[11] Kissinger sagt allerdings ausdrücklich, dass er Spengler nicht in allen Thesen folgt: „Was mich vor allem faszinierte, war der Gedanke, daß alle Zivilisationen ein festgefügtes Ganzes bilden, zu dem alle ihre Äußerungen in enger Verbindung stehen.“

Theodor W. Adorno: „Spengler hat kaum einen Gegner gefunden, der sich ihm gewachsen gezeigt hätte: das Vergessen wirkt als Ausflucht.“ Und: „Was Kultur ist, trägt die Spur des Todes – das zu verleugnen, bliebe ohnmächtig vor Spengler, der von den Geheimnissen der Kultur kaum weniger ausgeplaudert hat als Hitler von denen der Propaganda.“

Werke

Originalausgaben

Postum veröffentlichte Schriften und Ausgaben

  • Reden und Aufsätze von Oswald Spengler. Hrsg. von Hildegard Kornhardt, München 1937
  • Gedanken. Hrsg. von Hildegard Kornhardt, 1941.
  • Briefe. 1913–1936. In Zusammenarbeit mit Manfred Schröter hrsg. von Anton Mirko Koktanek, München 1963.
  • Urfragen. Fragmente aus dem Nachlass. Unter Mitwirkung von Manfred Schröter hrsg. von Anton Mirko Koktanek, München 1965.
  • Frühzeit der Weltgeschichte. Fragmente aus dem Nachlass. Unter Mitwirkung von Manfred Schröter hrsg. von Anton Mirko Koktanek, München 1966.
  • Ich beneide jeden, der lebt. Die Aufzeichnungen »Eis heauton« aus dem Nachlaß. Mit einem Nachwort von Gilbert Merlio. Lilienfeld, Düsseldorf 2007. ISBN 978-3-940357-02-1.

Nachlass

  • Nachlaß Spengler, in: München, Bayerische Staatsbibliothek, Handschriftenabteilung, Bestand Ana 533.

Einzelnachweise

  1. Alexander Demandt, Spenglers Untergang, in: Die Literarische Welt, Beilage zu Die Welt, 27.3.1999.
  2. Manfred Funke, Hitler, Deutschland und die Mächte: Materialien zur Aussenpolitik des dritten Reiches, Droste Verlag 1976, S.433.
  3. Carl von Ossietzky, Stefan Berkholz, Carl von Ossietzky, 227 Tage im Gefängnis: Briefe, Dokumente, Texte, Luchterhand Verlag 1988, S.305.
  4. Detlef Felken, Oswald Spengler. Konservativer Denker zwischen Kaiserreich und Diktatur, München 1988, S.25
  5. Detlef Felken, Oswald Spengler. Konservativer Denker zwischen Kaiserreich und Diktatur, München 1988, S. 237.
  6. zit nach Klaus Harpprecht, Thomas Mann, eine Biographie, 32. Kapitel
  7. Thomas Mann, über die Lehre Spenglers, 1922
  8. Theodor W. Adorno: Spengler nach dem Untergang
  9. Kindlers Literaturlexikon; Oswald Spengler, Preußentum und Sozialismus
  10. Vorwort von H. Kornhardt aus Oswald Spengler: Jahre der Entscheidung, dtv, München, 1961, Seite 5 und 6
  11. Kissinger-Interview

Literatur

  • Manfred Schröter: Der Streit um Spengler. Kritik seiner Kritiker, München 1922; gekürzt in: Metaphysik des Untergangs. Eine kulturkritische Studie über Oswald Spengler, München 1949.
  • Benito Mussolini: Spengler (1933), in: Opera Omnia di B. Mussolini, a cura di E. e D. Susmel, vol. 26, 1a rist. Firenze 1963, S. 122 f. Kommentierte deutsche Übersetzung: Michael Thöndl, Mussolini und Oswald Spenglers „Jahre der Entscheidung“, in: Römische Historische Mitteilungen 38 (1996), S. 389 - 394.
  • Anton Mirko Koktanek (Hrsg.): Spengler-Studien, München 1965.
  • Anton Mirko Koktanek: Oswald Spengler in seiner Zeit, München 1968.
  • Detlef Felken: Oswald Spengler. Konservativer Denker zwischen Kaiserreich und Diktatur, München 1988.
  • Michael Thöndl: Das Politikbild von Oswald Spengler (1880–1936) mit einer Ortsbestimmung seines politischen Urteils über Hitler und Mussolini, in: Zeitschrift für Politik 40 (1993), S. 418–443.
  • Alexander Demandt und John Farrenkopf (Hrsg.): Der Fall Spengler. Eine kritische Bilanz, Köln, Weimar, Wien 1994.
  • Hans-Christof Kraus: ,Untergang des Abendlandes'. Rußland im Geschichtsdenken Oswald Spenglers, in: Gerd Koenen und Lew Kopelew (Hrsg.): Deutschland und die Russische Revolution 19171924, München 1998 (West-östliche Spiegelungen, Band 5), S. 277–312.
  • Massimo Ferrari Zumbini: Untergänge und Morgenröten. Nietzsche – Spengler – Antisemitismus, Würzburg 1999 (Studien zur Literatur- und Kulturgeschichte, Band 14).
  • Frits Boterman: Oswald Spengler und sein 'Untergang des Abendlandes', Köln 2000.
  • John Farrenkopf: Prophet of Decline. Spengler on World History and Politics, Baton Rouge 2001.
  • Dominico Conte: Oswald Spengler. Eine Einführung, Leipzig 2004.
  • Maurizio Guerri e Markus Ophälders: Oswald Spengler. Tramonto e metamorfosi dell'occidente, Milano 2004 (filosofia dell'arte, n.3, 2003).
  • Michael Thöndl: Wie oft stirbt das Abendland? Oswald Spenglers These vom zweifachen Untergang, in: Archiv für Kulturgeschichte 86 (2004), S. 441–461.
  • Gerd Koenen: Der Russland-Komplex. Die Deutschen und der Osten 1900–1945, 2005.
  • Frank Lisson: Oswald Spengler. Philosoph des Schicksals, Edition Antaios, Schnellroda 2005, ISBN 3-935063-04-0.
  • Michael Thöndl: Der 'neue Cäsar' und sein Prophet. Die wechselseitige Rezeption von Benito Mussolini und Oswald Spengler, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 85 (2005), S. 351–394.
  • Uwe Janensch: Goethe und Nietzsche bei Spengler. Eine Untersuchung der strukturellen und konzeptionellen Grundlagen des Spenglerschen Systems, Berlin 2006.

Siehe auch

Weblinks

Wikisource: Oswald Spengler – Quellen und Volltexte

Vorlage:PND Werke von Oswald Spengler bei Zeno.org.