Putsch in Chile 1973

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Putsch in Chile 1973

La Moneda wird durch Luftstreitkräfte angegriffen.
Datum 11. September 1973
Ort Chile
Ausgang Sieg der putschenden Streitkräfte
Folgen Sturz der Regierung Allende und Errichtung einer Militärregierung unter Augusto Pinochet
Konfliktparteien
Befehlshaber

Salvador Allende
Orlando Letelier
Ariel Fontana
Miguel Enríquez

Chile Augusto Pinochet
Chile Gustavo Leigh
Chile José Toribio Merino
Chile César Mendoza

Statue Salvador Allendes neben der Moneda

Am 11. September 1973 putschte das Militär in Chile. Der drei Jahre zuvor demokratisch gewählte sozialistische Präsident Salvador Allende nahm sich das Leben, nachdem die Luftwaffe begonnen hatte, den Präsidentenpalast La Moneda zu bombardieren und Putsch-Militär in den Palast eingedrungen war. Eine Junta unter der Führung von Augusto Pinochet regierte Chile daraufhin bis zum 11. März 1990 als Militärdiktatur. Der Putsch war ein zentrales Ereignis im Kalten Krieg, mit ähnlich symbolhafter Bedeutung wie die Revolution in Kuba.

Vorgeschichte

Regierung Allendes

Am 24. Oktober 1970[1], sieben Wochen nach der Präsidentschaftswahl, war der Sozialist Salvador Allende mit Unterstützung des Linksbündnisses Unidad Popular (UP) ins Präsidentenamt gewählt worden.[2] In den 1960er Jahren hatten politische Polarisierungen in Chile zugenommen. Allendes Vorgänger von 1964-1970, Eduardo Frei Montalva, hatte bereits tiefe soziale und ökonomische Reformen begonnen, etwa die Kupferbergwerke teilweise verstaatlicht (Kupfer war und ist Chiles wichtigstes Exportprodukt, siehe auch Wirtschaft Chiles). Allende führte diese Politik weiter und vertiefte sie. Neben der vollständigen und entschädigungslosen Verstaatlichung der großen Kupferbergwerke und der teilweisen Verstaatlichung von großen Banken und Industriebetrieben führte er auch eine umfassende Agrarreform durch.

Siehe auch: Geschichte Chiles

Zunehmende politisch motivierte Gewalt: 1970–72

Am 8. Juni 1971 wurde der Christdemokrat und Ex-Minister Pérez Zújovic ermordet und die Tat der linksradikalen Gruppe Vanguardia Obrero Popular (VOP) angelastet. Die Linksparteien warfen den Rechten vor, den Mord verübt zu haben, um die Christdemokraten von der Unterstützung Allendes abzubringen. Die genauen Hintergründe des Anschlages konnten nicht vollständig aufgeklärt werden. Im folgenden Jahr beendeten die Christdemokraten ihre Unterstützung für Allende und schlossen sich der rechten Opposition an.

Ende 1971 besuchte Kubas Präsident Fidel Castro vier Wochen lang Chile. Dadurch wurde in Chile wie international der Eindruck verstärkt, dass Chile dem kubanischen Modell einer sozialistischen Planwirtschaft folgte.[3]

Die Proteste im Land schwollen an: Bauern protestierten gegen die Durchführung der Landverteilung, die Kollektive gegenüber Vertragsfarmern bevorzugte, und besetzten Ackerland, was Nahrungsmittelengpässe zur Folge hatte. 1972 mussten Lebensmittel rationiert werden und die Regierung war gezwungen, Devisen für die Einfuhr von Nahrungsmitteln aufzuwenden. Im Herbst 1972 streikten etliche Berufsgruppen, darunter Lastwagenfahrer, Bankangestellte, Arbeiter und Studenten, um eine Wende in der Wirtschaftspolitik zu erzwingen. Es kam zu Straßenschlachten. Allende rief den Notstand aus. Radikale rechte Gruppen verübten Terror und Sabotage. Es soll in Allendes Amtszeit insgesamt 600 Terroranschläge auf Eisenbahnen, Brücken, Hochspannungsleitungen und Pipelines gegeben haben.

Entspannung und Wahlen

Die Einbindung des Militärs in die Regierung im November 1972 durch die Ernennung von General Carlos Prats zum Innenminister konnte die angespannte Lage für einige Monate beruhigen. Anfang 1973 konnten planmäßig Parlamentswahlen abgehalten werden. Aufgrund von Bevölkerungswachstum und Wahlrechtsausweitungen der Regierungen Frei und Allende beteiligten sich mit 3,7 Mio. Bürgern fast 1,3 Mio. mehr Menschen bei der Wahl als 1969. Auch die hohe Wahlbeteiligung von mehr als 81 % spiegelt die Politisierung der gesamten Gesellschaft wider.

Bei diesen Wahlen steigerte die UP ihren Stimmenanteil noch einmal auf 44 % und erreichte damit das beste Ergebnis ihrer Geschichte, wobei innerhalb der UP die Sozialisten als radikalste Kraft am stärksten gewannen und die moderateren Kommunisten, Rechte und gemäßigte Parteien stagnierten. Die UP erhielt 67 von 150 Sitzen im Abgeordnetenhaus und verfehlte damit die angestrebte absolute Mehrheit. Der parlamentarische Zusammenschluss von Partido Nacional und Christdemokraten unter dem Namen DOCE erlangte mit 55 % der Stimmen eine Parlamentsmehrheit von 75 Abgeordneten und 13 von 25 Senatoren. Diese Patt-Situation besiegelte die politische Blockade: Präsident Allende konnte auf keine Mehrheit im Parlament bauen, aber andererseits war die vereinigte Opposition zu schwach, Allende des Amtes zu entheben oder die Verfassung zu ändern – für beides wäre eine Zweidrittelmehrheit im Parlament nötig gewesen. Wie geplant traten nach der ordnungsgemäßen Durchführung der Wahl die Militärs von ihren Ministerposten zurück.

Endgültige Eskalation: Mai bis September 1973

Die letzte Phase der Regierung Allende war gekennzeichnet durch eine stetige Eskalation der politischen Konfrontation. Der Historiker Mario Góngora nannte diese Zeit einen „Bürgerkrieg ohne Waffen“ und verglich ihn mit den letzten Monaten der Spanischen Republik.[4].

Schon in der Woche nach Allendes Wahl 1970 hatte sich die rechtsextreme Gruppe Patria y Libertad gegründet. Sie stand in vorderster Front im Straßenkampf gegen Gruppen der Kommunistischen und Sozialistischen Partei. Dutzende oder hunderte Menschen wurden Opfer der politischen Gewalt beider Seiten.

Auftakt war ein parlamentarischer Boykott, den die Opposition im Mai ausrief. Sie lehnte alle Regierungsvorlagen ohne Debatte ab und kritisierte die Regierung heftig.

Nachdem ein zweimonatiger Streik der Kupferarbeiter in El Teniente, dem zweitgrößten Bergwerk des Landes, im Juni beigelegt wurde, streikten im Juli 1973 erneut Fuhrunternehmer und Spediteure. Bei den Streiks arbeiteten einzelne Arbeitergruppen und Gewerkschaftsführer mit der Nationalen Partei und den Studenten der Pontificia Universidad Católica de Chile in Santiago zusammen. Die Mehrheit der Arbeiter dagegen unterstützte die Regierung immer noch.[Quelle?]

Am 29. Juni erfolgte ein erster Putschversuch, der unter dem Namen Tanquetazo berühmt wurde. Die Erhebung von Coronel Roberto Souper vom Regiment Blindado 2 kostete 22 Menschen das Leben, doch Heeresführer Prats blieb loyal zur Regierung.

Am 26. Juli wurde der Offizier Arturo Araya Peters auf seinem Balkon erschossen. Die Opposition berichtete, die Täter seien kubanische Agenten und Mitglieder von Allendes Leibwächter Grupo de Amigos Personales (GAP). Tatsächlich steckte die Patria y Libertad hinter dem Anschlag. Die Mörder Guillermo Claverie, Adolfo Palmer und Guillermo Bunster wurden verhaftet, gingen jedoch unter der späteren Diktatur straflos aus.[Quelle?]

Als im Juli ein letzter Versuch einer Einigung mit den Christdemokraten gescheitert war, berief Allende am 9. August erneut Militärs in sein Kabinett. Doch diesmal waren es nicht einzelne Generäle, sondern alle vier Oberkommandierenden der Teilstreitkräfte, daher der Name Gabinete de Comandantes en Jefe in der Presse. Carlos Prats (Heer) wurde Verteidigungsminister, außerdem wurden Raúl Montero (Marine), César Ruiz (Luftwaffe) und José María Sepúlveda (Carabineros de Chile) berufen. Die politische Gesinnung innerhalb des Militärs hatte sich jedoch gewendet und verfassungstreue Generäle wie Prats gerieten zunehmend unter Druck.[5] Diese Ernennungen führten zum endgültigen Bruch zwischen Allende und den radikalen Linken. Die MIR etwa sprach von einer „Kapitulation Allendes“ und nannte ihn fortan nicht mehr „compañero“, sondern „señor“. Aber auch Allendes eigene Partei stand immer mehr in offenem Konflikt zu ihm.[6]

Am 22. August sprach der Kongress in einer symbolischen Geste Allende mit 81 zu 47 Stimmen (die UP hatte im März noch 62 Sitze gewonnen) das Misstrauen aus und forderte die Generäle zum Rücktritt auf.[7] Diese folgten dem Aufruf des Parlaments und traten von Ministerposten und auch als Oberkommandierende zurück. Nachfolger von Prats als Heereschef wurde General Augusto Pinochet, den Prats als verfassungstreu empfohlen hatte, neuer Luftwaffenbefehlshaber wurde Gustavo Leight. Schon am 26. Mai hatte das Verfassungsgericht der Regierung vorgeworfen, seine Urteile nicht umzusetzen und die Justiz zu behindern.[8]

Am 10. September 1973 erklärte sich Allende bereit, durch ein Plebiszit über seinen Verbleib im Amt die verfahrene Situation demokratisch zu entscheiden. Diese Entscheidung konnte nicht mehr veröffentlicht werden, da im Morgengrauen des folgenden Tages das Militär putschte. Einige Historiker und Politiker bezweifeln, dass Allende ein Plebiszit plante.[9]

Ablauf des Putsches

Im Morgengrauen des 11. Septembers 1973 begann der Putsch der Streitkräfte Chiles, in dessen Verlauf die demokratisch gewählte Regierung Chiles gestürzt wurde. Das in den Präsidentenpalais eindringende Militär fand Allende mit einer Schusswunde im Kopf tot auf.

Die ersten Stunden des Putsches aus der Sicht Allendes

Präsidentenpalast La Moneda im November 2006

Am 11. September 1973 wurde Präsident Salvador Allende um 6:20 Uhr durch das Telefon geweckt. Er erhielt die Nachricht, die Flotte in Valparaíso, der größten Hafenstadt Chiles, habe sich gegen ihn erhoben und fordere seinen Rücktritt. Allende versuchte sofort, den Oberbefehlshaber der Streitkräfte General Augusto Pinochet zu erreichen – dieser meldet sich nicht. Allende begab sich mit seinem Kabinett und einigen Freunden und Familienangehörigen in den Präsidentenpalast La Moneda, darunter zwei seiner Töchter, seinem Arzt, der Leibwache des Präsidenten und seiner Privatsekretärin und langjährigen Geliebten Miria Contreras. Nur der Verteidigungsminister Orlando Letelier war nicht anwesend – er war bereits von den Putschisten festgenommen worden.

Um 8:00 Uhr wurde eine Erklärung der Putschisten, die sich als Militärregierung bezeichnen, im Radio verlesen. Erst hier gab sich General Pinochet als Putschist zu erkennen. Wenige Minuten später erhielt Allende einen Anruf der Putschisten – sie forderten seinen Rücktritt und würden ihm im Gegenzug erlauben, sofort mit seiner Familie außer Landes zu fliegen. Er lehnte dies entschlossen ab. Um 9:30 drohten die Putschisten mit der Bombardierung La Monedas. Allende forderte die Palastgarde und alle Unbewaffneten auf, das Gebäude zu verlassen. Er selbst blieb mit wenigen Getreuen zurück und bereitete sich auf seinen letzten Kampf vor.

Die letzte Rede Allendes

Am 11. September gegen acht Uhr morgens hielt Präsident Allende seine letzte Rede im Radio. Die Luftwaffe hatte schon die meisten regierungstreuen Radiostationen bombardiert und nur noch einzelne sendeten Allendes letzte Worte an das chilenische Volk.

„Mit Sicherheit ist dies die letzte Gelegenheit, mich an Sie zu wenden. […] Mir bleibt nichts anderes, als den Arbeitern zu sagen: Ich werde nicht aufgeben! In diesem historischen Moment werde ich die Treue zum Volk mit meinem Leben bezahlen. […] Sie haben die Macht, sie können uns überwältigen, aber sie können die gesellschaftlichen Prozesse nicht durch Verbrechen und nicht durch Gewalt aufhalten. Die Geschichte gehört uns und sie wird durch die Völker geschrieben. Arbeiter meiner Heimat: Ich möchte Ihnen für Ihre Treue danken. […] Es lebe Chile! Es lebe das Volk! Es leben die Arbeiter! Dies sind meine letzten Worte und ich bin sicher, dass mein Opfer nicht umsonst sein wird, ich bin sicher, dass es wenigstens ein symbolisches Zeichen ist gegen den Betrug, die Feigheit und den Verrat.“

Último Discurso[10]

Angriff auf die Moneda

Ab 11:55 Uhr griffen Kampfjets der Fuerza Aérea de Chile vom Typ Hawker Hunter den Präsidentenpalast La Moneda an. Auch regierungsfreundliche Radiosender sowie einige Viertel der Hauptstadt, in denen mehrheitlich Aktivisten und Sympathisanten der Unidad Popular wohnten, sollen bombardiert worden sein. Erstes Opfer des Putsches wurde einer der engsten Freunde des Präsidenten, der bekannte Journalist und Leiter des Fernsehsenders Canal 7, Augusto Olivares („El Perro“). Dieser nahm sich im Erdgeschoss der Moneda mit einem Sturmgewehr das Leben. Mitten im Chaos ordnete Allende eine Schweigeminute für diesen an.

Der Tod Allendes

Gegen 14:00 Uhr begann die Armee mit der Erstürmung des Palastes. Nach kurzem Gefecht ordnete Allende die Kapitulation an. Nur er selbst blieb im „Saal der Unabhängigkeit“ zurück und beging dort Suizid.[11] Seine Selbsttötung wurde durch seine Ärzte Patricio Guijón und José Quiroga bezeugt, die den Suizid beobachteten.[12] Neben den beiden überlebenden Ärzten wurden fünf weitere Personen des näheren Umfelds Allendes Augenzeugen seines Suizides:

  • Arsenio Poupin Oissel – Kabinettsmitglied, wenige Tage später ermordet
  • Enrique Huerta Corvalán – Verwaltungsdirektor der Moneda, wenige Tage später ermordet
  • David Garrido – Sicherheitsbeamter, Überlebender
  • Ricardo Pincheira – Sicherheitsbeamter, Überlebender
  • Pablo Manuel Zepeda Camillieri – Mitglied der Garde des Präsidenten, Überlebender

Trotzdem glaubten einige Anhänger, Allende sei von eingedrungenen Soldaten erschossen worden, die dann einen Selbstmord inszeniert hätten. Im Jahre 1990, nach Ende der Militärdiktatur, wurde der Suizid des Präsidenten durch eine erneute Obduktion bestätigt, deren Ergebnisse im Einklang mit den Aussagen der Augenzeugen sowie des polizeilichen Untersuchungsberichts stehen. Seine Angehörigen (Ehegattin, Tochter) bestätigten diesen Ablauf.

Dennoch wurden immer wieder Zweifel an den Todesumständen geäußert,[13][12][14] die am 23. Mai 2011 zu einer Exhumierung von Allendes sterbliche Überreste führten, um endgültig seine Todesursache zu klären.[15] Mitte Juli 2011 gab die chilenische Behörde für Gerichtsmedizin bekannt, dass sich Allende im Zuge des gewaltsamen Umsturzes selbst mit einem Sturmgewehr vom Typ AK-47 erschossen habe. Dabei sei die Waffe auf automatischen Betrieb gestellt gewesen, weshalb sich insgesamt zwei Schüsse lösten.[16] Es gebe laut dem Ergebnis des internationalen Expertenteams keinerlei Hinweise, dass eine zweite Person in seinen Tod verwickelt gewesen sei.[17] Damit wurden die Aussagen der Augenzeugen erneut bestätigt.

Menschenrechtsverletzungen

Ehemaliger Bahnhof – rechts Reste des ehemaligen Konzentrationslagers des Pinochet-Regimes
Das Estadio Nacional heute

Unmittelbar nach dem Putsch gab es die meisten Opfer, sowohl von Folterungen wie von politischen Morden. Allein am 11. September wurden 2.131 Menschen aus politischen Gründen verhaftet, bis Ende des Jahres waren es 13.364. 43 % der Opfer wurden von Carabineros (Polizisten) verhaftet und weitere 30 % von Soldaten des Heeres (der Rest meist von Angehörigen von Luftwaffe und Marine oder Geheimdiensten). Opfer waren vor allem Mitglieder und Sympathisanten von Regierung, Linksparteien und Gewerkschaften. Die Festnahmen erfolgten meist in Fabriken, Universitäten und Gebäuden von Regierung, Linksparteien und Gewerkschaften. Oft wurden fast alle Anwesenden massenweise verhaftet. Öffentliche Gebäude wie Stadien, Konferenzhallen und Schulen wurden zu Konzentrationslagern umgerüstet. Der berühmteste Fall ist das Estadio Nacional, in dem alleine mehr als 40.000 Gefangene zusammengetrieben worden sind. Darüber hinaus gab es in Pisagua und Chacabuco ein KZ und die berüchtigte Colonia Dignidad wurde ebenfalls zu Folterungen benutzt.[18] Den Gefangenen wurde Kontakt mit einem Anwalt oder ihrer Familie genauso verweigert wie ein Prozess. Die Familien wurden über den Verbleib der „Verschwundenen“ im Ungewissen gelassen. Das Ende dieser „ersten Phase“ wurde durch die Schließung des KZs im Estadio Nacional im November eingeleitet. Parallel wurde das größte Geheimgefängnis „Londres 38“ eröffnet und informell die Dirección de Inteligencia Nacional (DINA) gegründet, der wichtigste Inlands-Geheimdienst im Zeitraum von 1974 bis 1977. Führende Mitglieder der DINA waren Absolventen der US-amerikanischen Militärakademie School of the Americas, die wiederholt wegen der Ausbildung lateinamerikanischer Militärs in Unterdrückungs- und Foltertechniken unter scharfe Kritik geriet.[19]

Im Nationalstadion von Santiago wurden die Opfer interniert, viele von ihnen gefoltert und getötet. Insgesamt wurden vermutlich etwa 3197 (gesicherte Anzahl der Opfer) bis 4000 Menschen während der Diktatur ermordet, der Großteil davon in den Wochen nach dem Putsch. Etliche Menschen verschwanden spurlos und auf bis heute ungeklärte Weise. Etwa 20.000 Menschen flohen noch 1973 ins Ausland. Die Hauptverwaltung Aufklärung (HV A) im Ministerium für Staatssicherheit der DDR half im Herbst 1973 bei der Ausschleusung führender chilenischer Linkspolitiker, etwa von Carlos Altamiranos, nach Argentinien.[20]

Als Todeskarawane erlangt ein Exekutionskommando unter Kommandant Arellano Stark traurige Berühmtheit. Als Pinochet persönlich unterstellter und später zum General ernannter Offizier ermordeten er und seine Soldaten im ganzen Land 75 bereits verhaftete Regimegegner.[21][22]

Nach den bürgerkriegsähnlichen, von unglaublicher und massenhafter Gewalt seitens der Militärs geprägten Wochen nach dem Putsch mit tausenden Toten, ging das Regime in den nächsten Jahren dazu über, die politische Opposition auszuschalten. Hunderte Menschen wurden entführt, gefoltert oder „auf der Flucht erschossen“. Tausende wurden zwangsweise des Landes verwiesen oder in abgelegene Landesteile im Norden oder Süden verbannt. Nach 1977 war praktisch jeder Widerstand ausgeschaltet, alle Gegner ermordet, im Ausland oder eingeschüchtert.

Schätzung der Opferzahlen durch Zeitzeugen

Für die Zeit unmittelbar nach dem Putsch sind die Berichte über die begangenen Verbrechen oft lückenhaft oder fehlen ganz. Etwa ab 1976 sind die Verbrechen dagegen relativ gut dokumentiert. Die Schätzungen über die Opferzahlen variieren deshalb sehr stark. Die Schätzung von Amnesty International mit bis zu 30.000 Toten alleine im ersten Jahr der Diktatur ist wohl aus heutiger Sicht als zu hoch anzusehen. Interessant ist, dass die US-Botschaft immerhin von 5000 Ermordeten ausgeht.

Nach der Rückkehr zur Demokratie dokumentierte die Rettig-Kommission die politischen Morde der Militärjunta. Ein aktualisierter Abschlussbericht aus dem Jahre 1996 dokumentiert 3.197 Morde mit biographischen Daten. Die Zahl der Opfer des Militärregimes dürfte also zwischen 3.200 und 4.000 liegen. Davon wurde die überwiegende Zahl innerhalb der ersten Tage und Wochen nach dem Putsch ermordet.

Ende Oktober 1973 hatte die Junta ein „Weißbuch“ herausgegeben, in welchem sie von ihren eigenen Gewalttaten abzulenken versuchte und angeblich unter Allende begangene wirtschaftspolitische Fehler und politische Morde auflistete. Unter Allendes Unidad-Popular-Regierung war es allerdings niemals zu Mord und Folter an politischen Gegnern gekommen, im scharfen Gegensatz zum Regime der Militärjunta.

Verschiedene Schätzungen zu Opferzahlen in den ersten Monaten[23]
Quelle Datum der Schätzung Tote
CIA-Direktor William Colby Oktober 1973 2000–3000
Amnesty International September 1974 5000–30.000
amerikanische Botschaft in Santiago ca. 5000
Vicaría de la Solidaridad mindestens 1200
Agrupación de Familiares de Ejecutados ca. 2500
Interamerikanische Menschenrechtskommission der OAS ca. 1500

Verdeckte Operationen der CIA in Chile

Die Vereinigten Staaten waren mindestens seit den frühen 1960er Jahren mit ihrem Auslandsgeheimdienst CIA an der chilenischen Innenpolitik beteiligt. So unterstützten die USA regelmäßig die rechte Partido Nacional und auch Eduardo Freis Präsidentschaftswahlkampf 1965 – ohne dass dieser davon wusste. Als 1969 Richard Nixon zum Präsidenten der USA gewählt wurde und Henry Kissinger zu seinem allmächtigen Sicherheitsberater aufstieg, wurde die direkte und illegale Einflussnahme im Namen der „Realpolitik“ auf ganz Lateinamerika deutlich stärker – auch auf Chile. Nachdem die USA die Wahl Allendes 1970 trotz Wahlkampfbeeinflussung für mehr als 7 Millionen US-Dollar nicht verhindern konnten, versuchten sie, noch vor dessen Amtseinführung die Militärs zum Putsch zu bewegen, was jedoch scheiterte. Sie wendete sowohl offizielle Mittel wie massiven Druck des Botschafters auf die Christdemokraten (Track One) als auch massive Geheimoperationen der CIA (Track Two) an.

Die streng geheimen Operationen, intern als Project Fubelt bezeichnet, sollten bis zu 10 Millionen Dollar kosten. Weder Außenminister William P. Rogers noch Verteidigungsminister Melvin Laird noch der US-Botschafter in Santiago, Edward M. Korry noch die CIA-Führung in Chile wurden informiert. CIA-Direktor Richard Helms sagte später über die Operation: „Niemals in meiner Karriere als CIA-Chef habe ich eine derartige Geheimhaltung erlebt und niemals eine derartig unbeschränkte Macht gehabt.“ Das Project FUBELT gipfelte im ersten politischen Mord in Chile seit der Ermordung von Diego Portales im Jahre 1837. Der Oberkommandierende des Heeres, René Schneider, war zwar den USA freundlich gegenüber eingestellt, einer langen Tradition chilenischer Militärs nach aber verfassungstreu (die sogenannte Schneider-Doktrin). Am 22. Oktober 1970 wurde er bei einem Entführungsversuch von Juan Luis Bulnes Cerda, Diego Izquierda Menéndez und Jaime Megoza Garay angeschossen und starb drei Tage später. Verstrickt in den Mord waren zahlreiche hohe chilenische Militärs wie Heeresgeneral Camilo Valenzuela und Roberto Viaux, die Maschinengewehre und Tränengasgranaten stammten von der CIA.[24] Der Versuch einer Destabilisierung des Landes scheiterte fulminant: Noch bevor Schneider starb, wurde Allende zum Präsidenten ernannt und alle politischen Kräfte unterstützten die Schneider-Doktrin.[25]

Der Mord an René Schneider wurde u. a. bald darauf vom chilenischen Liedermacher Víctor Jara in seinem Lied Las casitas del barrio alto thematisiert.

Internationale Reaktionen auf den Putsch

Die CIA hatte den Bundesnachrichtendienst bereits einige Tage vor dem geplanten Putsch unterrichtet. Der Bundesnachrichtendienst soll es jedoch unterlassen haben, den damaligen Bundeskanzler Willy Brandt vom geplanten Umsturz zu unterrichten. Mit Alfred Spuhler, einem Stasi-Spion im BND, war die Information jedoch in die DDR gelangt. Eine Warnung aus Ost-Berlin an Allende kam zu spät.[26] In der Folgezeit wurden zahlreiche politisch verfolgte Linke durch das MfS aus Chile ausgeschleust und in die DDR gebracht, wo sie Asyl erhielten. Prominentestes Beispiel ist Carlos Altamirano, Generalsekretär der Sozialistischen Partei Chiles.[27] Die DDR nahm insgesamt ca. 2000 Flüchtlinge auf, verurteilte den Putsch und zog kurz darauf ihren Botschafter in Chile ab. Die Bundesrepublik Deutschland bot mehr als 4000 Flüchtlingen Asyl.[28]

Gegen den Militärputsch und die in seinem Zuge begangenen Menschenrechtsverletzungen erhoben sich weltweit Proteste in den Industrieländern. Die schon vor dem Putsch existierenden Bemühungen, in Europa Solidarität mit der chilenischen Linken zu organisieren, wurden dadurch gestärkt und verbanden sich mit den Massenprotesten zu einer großen Solidaritätsbewegung mit Chile.[29] Amnesty International setzte sich hartnäckig für die Freilassung politischer Gefangener und die Aufklärung des Verbleibs der gewaltsam spurlos „Verschwundenen“ ein, die als Desaparecidos bekannt wurden.[30]

Trotz internationaler Empörung über die Grausamkeit des Pinochet-Regimes unterstützten die USA die Diktatur weiterhin. So erhielten die Putschisten 1976 eine direkte Hilfe von 290 Millionen US-Dollar von den Vereinigten Staaten.[31]

Hilfe für Flüchtlinge in beiden deutschen Staaten

In Santiago flüchteten hunderte Menschen auf das Gelände der deutschen Botschaft in der Hauptstadt Santiago. Es gab Drohungen von Militärs, das Gelände zu stürmen. Der Frankfurter Oberbürgermeister Rudi Arndt (1927–2004, (SPD)) entschied, dass Frankfurt chilenische Flüchtlinge aufnehme. Er ließ Unterkünfte in Wohnheimen und Deutschkurse vorbereiten. Der DGB-Landesvorstand beauftragte Dieter Hooge mit der Koordination der Hilfe. Arndt bewegte die Lufthansa dazu, chilenische Flüchtlinge kostenlos nach Frankfurt auszufliegen. Piloten und Flugbegleiter erklärten, dass sie freiwillig und ohne Lohn die Flüchtlinge ausfliegen werden.

Am 7. Dezember traf das erste Flugzeug in Frankfurt ein. Die Bundesrepublik nahm insgesamt über 4.000 Flüchtlinge auf; die DDR etwa 2.000.[32]

Aus Anlass des 40. Jahrestags des Putsches gegen Allende analysierte der Berliner Historiker Georg J. Dufner die Beziehung der beiden deutschen Staaten zu Chile.[33]

Literatur

  • Cristian Alvarado Leyton (Hrsg.): Der andere 11. September. Gesellschaft und Ethik nach dem Militärputsch in Chile. Westfälisches Dampfboot, Münster 2010, ISBN 978-3-89691-796-6.
  • Willi Baer, Karl-Heinz Dellwo (Hrsg.): Die Schlacht um Chile. Der Kampf eines Volkes ohne Waffen (= Bibliothek des Widerstands. Band 7). Laika-Verlag, Hamburg 2011, ISBN 978-3-942281-76-8.
  • Ignacio González Camus (Hrsg.): El día en que murió Allende. Chilean Institute of Humanistic Studies (ICHEH)/CESOC, Santiago de Chile 1988.
  • James F. Petras, Morris H. Morley: How Allende fell. A study in U.S.–Chilean relations. Spokesman Books, Nottingham 1974, ISBN 0-85124-090-9.
  • Patricia Verdugo: Comó La Casa Blanca Provocó Su Muerte. 2. Auflage. Catalonia Libros, Santiago de Chile 2003, ISBN 956-8303-00-6 (spanisch).
  • Hans-Werner Bartsch, Martha Buschmann, Gerhard Stuby, Erich Wulff (Hrsg.): Chile ein Schwarzbuch. Pahl-Rugenstein, 1974, ISBN 3-7609-0138-7.
  • Willi Baer, Karl-Heinz Dellwo (Hrsg.): Salvador Allende und die Unidad Popular. Laika-Verlag, Hamburg 2013, ISBN 978-3-942281-64-5.
  • Willi Baer, Karl-Heinz Dellwo (Hrsg.): Diktatur und Widerstand in Chile. Laika-Verlag, Hamburg 2013, ISBN 978-3-942281-65-2.

Audiovisuelle Medien

Weblinks

Einzelnachweise

  1. einestages.spiegel.de
  2. Der Spiegel 46/1970 vom 9. November 1970: Großes Experiment
  3. Datenbank von Reden Castros der Universität von Texas. (englisch)
  4. „una guerra civil todavía no armada, pero catástofica, análoga a los últimos meses de la Repúblice española, antes de julio de 1936“ (Mario Góngora)
  5. William F. Sater: Chile and the United States. Empires in Conflict. University of Georgia Press, Athens 1990, S. 178–181. ISBN 0-8203-1249-5
  6. etwa in einer Erklärung vom 8. September: „... han optado por la táctica criminal del repligue y la capitulación frente a las exigencias patronales.“
  7. Erklärung über den Zusammenbruch der chilenischen Demokratie (Memento vom 28. Juni 2002 im Internet Archive)
  8. William F. Jasper: Patriot Enchained. (Memento vom 15. März 2005 im Internet Archive) In: The New American. Band 15, Nr. 19, 13. September 1999.
  9. Patricio Aylwin sagte in einem Interview dazu, bis heute sei umstritten, ob dies Allendes Absicht gewesen sei: „Briones nos dijo que Allende buscaría una fórmula de salida, que una de ésas sería el plebiscito. Pero no hay ninguna prueba. “, El Mercurio vom 24. Dezember 2006, Patricio Aylwin y las denuncias de mal uso de dineros públicos: “Indudablemente que hubo corruptela” (Memento vom 1. Januar 2007 im Internet Archive)
  10. nach ciudadseva.com
  11. William F. Sater: Chile and the United States. Empires in Conflict. Athens / London 1990, S. 181.
  12. a b Mirjam Gehrke:Chile will Tod von Allende aufklären, Deutsche Welle, 30. Januar 2011, abgerufen am 31. Januar 2011.
  13. Hermes H. Benitez: Las muertes de Salvador Allende: una investigacion critica de las principales versiones de sus ultimos momentos. RIL editores, Santiago 2006, ISBN 956-284-497-8.
  14. Justiz untersucht Allendes Tod. In FAZ, 31. Januar 2011, S. 5
  15. Süddeutsche Zeitung Nr. 119/2011 vom 24. Mai 2011, S. 8 (Todesumstände werden geklärt Salvador Allende exhumiert – n-tv.de).
  16. Chile: Scientific autopsy confirms Allende suicide in US-Today (englisch), 19. Juli 2011 (abgerufen am 20. Juli 2011).
  17. Salvador Allende beging laut Autopsie Selbstmord bei welt.de, 19. Juli 2011 (abgerufen am 20. Juli 2011).
  18. Abschlussbericht der Valech-Kommission zur Folter in Chile (spanisch), besonders S. 351 (comisiontortura.cl (Memento vom 24. August 2009 im Internet Archive) PDF; 1.2 MB).
  19. Christoph Schult: Militärschule Fort Benning: Terrortraining im Auftrag der US-Regierung. Spiegel Online, 5. November 2001.
  20. Rudolf Herz: Altamiranos Ausschleusung. In: Gotthold Schramm (Hrsg.): Flucht vor der Junta. Die DDR und der 11.September 1973. Verlag edition ost, Berlin 2005, S. 115–124.
  21. Zertrümmerte Glieder und herausgerissene Augen. In: Die Welt, 1. Februar 2001, eingesehen am 5. November 2009
  22. Todeskarawane. Krimpedia, Universität Hamburg, eingesehen am 5. November 2009.
  23. Detlef Nolte: Staatsterrorismus in Chile.
  24. Auszug aus Hitchens’ Buch The Trial of Henry Kissinger, erschienen im Guardian
  25. Verdugo, Patricia: Comó La Casa Blanca Provocó Su Muerte. 2. Auflage. Catalonia Libros, Santiago – Chile 2003, ISBN 956-8303-00-6 (spanisch).
  26. Peter Müller, Michael Mueller, Erich Schmidt-Eenboom: Gegen Freund und Feind. Der BND: Geheime Politik und schmutzige Geschäfte. 2002, Rowohlt.
  27. Flucht vor der Junta. Die DDR und der 11. September. Berlin 2005.
  28. Mit Pinochet machte die DDR beste Geschäfte. In: Die Welt. 5. Sep. 2013.
  29. Urs Müller-Plantenberg: Historische Grundlagen. Der Putsch in Chile und die Solidaritätsbewegung in Europa. In: Olaf Kaltmeier, Michael Ramminger (Hrsg.): Links von Nord und Süd. Chilenisch-deutsche Ortsbestimmungen im Neoliberalismus. Lit-Verlag: Münster / Hamburg / London 1999, S. 27–37, hier: 27.
  30. Urs Müller-Plantenberg: Historische Grundlagen. Der Putsch in Chile und die Solidaritätsbewegung in Europa. In: Olaf Kaltmeier, Michael Ramminger (Hrsg.): Links von Nord und Süd. Chilenisch-deutsche Ortsbestimmungen im Neoliberalismus. Lit-Verlag: Münster / Hamburg / London 1999, S. 27–37, hier: 36.
  31. Eduardo Galeano: Die offenen Adern Lateinamerikas. Peter Hammer Verlag.
  32. Katrin Neubauer: Exilchilenen: Leben in der DDR (www.lateinamerikanachrichten.de Ausgabe: Nummer 287 - Mai 1998)
  33. Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Band 61, Heft 4, S. 513–549, (Oktober 2013), Chile als Partner, Exempel und Prüfstein. doi:10.1515/vfzg.2013.0023.