Reinhard Merkel

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Reinhard Merkel (2011)

Reinhard Merkel (* 16. April 1950 in Hof) ist ein emeritierter deutscher Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Hamburg.

Leben

Merkel nahm als Schwimmer an den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko-Stadt teil, wo er über 400 m Lagen Sechster wurde und über 200 m Lagen in der Vorrunde ausschied. Er gehörte dem Verein Blau-Weiß Bochum an.

Danach studierte er Rechtswissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum und der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und Rechtswissenschaft, Philosophie und Literaturwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Dort legte er auch sein Juristisches Staatsexamen ab. In München war er zunächst Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Sozialrecht und Assistent am Institut für Rechtsphilosophie. Zwischen 1988 und 1990 war er Redakteur der Wochenzeitung Die Zeit.

Nach seiner Promotion im Jahr 1993 in München und Habilitation 1997 an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main nahm er 1998 die Lehrtätigkeit auf, zunächst als Dozent an den Universitäten Bielefeld und Rostock und seit 1999 an der Fakultät für Rechtswissenschaften der Universität Hamburg.

Merkel veröffentlichte 2008 eine Monografie über Willensfreiheit und rechtliche Schuld.[1] Mit Thorsten Galert, Christoph Bublitz, Isabella Heuser, Dimitris Repantis, Bettina Schöne-Seifert und Davinia Talbot zusammen verfasste er 2009 ein Memorandum zur neuroethischen Beurteilung des Neuro-Enhancements.[2][3][4]

Mit Ablauf des Sommersemesters 2015 wurde Merkel emeritiert.[5]

Standpunkte

Während im Frühjahr 2011 Militärflugzeuge mehrerer NATO-Staaten Aufständische gegen den damaligen libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi unterstützten, bezweifelte Merkel, dass das vorliegende Mandat des UN-Sicherheitsrates Legitimität verschaffe.[6]

2008 erklärte Merkel, dass er in Notwehrsituationen zumindest die Androhung von Folter (sog. Rettungsfolter) für legitim halte.[7] Er plädierte für die Forschung an Embryonen (siehe Embryonenschutzgesetz, Bioethik) und die Rationierung der Medizin nach klaren Kriterien.[8]

Auf Vorschlag der Bundesregierung ist er seit April 2012, für die Periode 2012 bis 2016,[9] Mitglied im Deutschen Ethikrat. Merkel bezog im August 2012 Stellung in der Diskussion um die Frage, ob in Deutschland die Zirkumzision aus religiösen Gründen an minderjährigen Jungen erlaubt sein soll. Sie sei ein massiver Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte körperliche Integrität des Kindes. Diese Frage wird in Deutschland seit Juni 2012 – seitdem ein Urteil des Landgericht Köln zu dieser Frage bekannt wurde – diskutiert.[10][11] In der Plenarsitzung des Ethikrates am 23. August 2012 nannte und erläuterte er seine Standpunkte.[12] Den vom Bundesjustizministerium vorgelegten Gesetzesentwurf kritisierte er in einem ZEIT-Interview[13] und in einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung[14] scharf.

Die russische Militärpräsenz auf der Krim 2014 war laut Merkel zwar völkerrechtswidrig, weil sie das zwischenstaatliche Interventionsverbot verletze, aber keine Annexion, sondern eine Sezession[15] – eine Einschätzung, der Völkerrechtler wie Anne Peters[16] und Claus Kreß widersprachen.[17] Bei aller Empörung über das russische Vorgehen, so Merkel, sei hierzulande zudem nicht ernsthaft bezweifelt worden, dass im Ergebnis des Referendums auf der Krim der authentische Wille einer großen Mehrheit der Krim-Bevölkerung zum Ausdruck kam, ob die amtlichen Ergebnisse im Einzelnen korrekt waren, wäre dafür ohne Belang.

Auszeichnungen

1991 erhielt Merkel den Jean-Améry-Preis für Essayistik. 2010 wurde er in die Leopoldina aufgenommen.[18]

Veröffentlichungen

  • Strafrecht und Satire im Werk von Karl Kraus. Nomos-Verlags-Gesellschaft, Baden-Baden 1994, ISBN 3-7890-3549-1; Suhrkamp, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-518-28945-4
  • mit Rainer Hegselmann (Hrsg.): Zur Debatte über Euthanasie. Beiträge und Stellungnahmen. Suhrkamp, Frankfurt 1991, ISBN 3-518-28543-2
  • mit Roland Wittmann (Hrsg.): „Zum ewigen Frieden“. Grundlagen, Aktualität und Aussichten einer Idee von Immanuel Kant. Suhrkamp, Frankfurt 1996, ISBN 3-518-28827-X
  • (Hrsg.): Der Kosovo-Krieg und das Völkerrecht. Suhrkamp, Frankfurt 2000, ISBN 3-518-12152-9
    • Rezension von Rudolf Walther, Die Zeit, Nr. 27/2000
  • Früheuthanasie. Rechtsethische und strafrechtliche Grundlagen ärztlicher Entscheidungen über Leben und Tod in der Neonatalmedizin. Nomos-Verlags-Gesellschaft, Baden-Baden 2001, ISBN 3-7890-7151-X
  • Forschungsobjekt Embryo. Verfassungsrechtliche und ethische Grundlagen der Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen. Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 2002, ISBN 3-423-36294-4
  • mit Gerard Boer, Jörg Fegert, Thorsten Galert, Dirk Hartmann, Bart Nuttin & Steffen Rosahl: Intervening in the brain. Changing psyche and society. Springer, Berlin/Heidelberg/New York, ISBN 978-3-540-46476-1
  • Willensfreiheit und rechtliche Schuld. Eine strafrechtsphilosophische Untersuchung. Nomos, Baden-Baden 2008, ISBN 978-3-8329-3204-6
  • mit Joachim Boos, Heiner Raspe & Bettina Schöne-Seifert (Hrsg.): Nutzen und Schaden aus klinischer Forschung am Menschen. Abwägung, Equipoise und normative Grundlagen. Deutscher Ärzte-Verlag, Köln 2008, ISBN 978-3-7691-0589-6

Weblinks

Commons: Reinhard Merkel – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Fußnoten

  1. Siehe die Kritik von Tonio Walter in der ZEIT: Strafe ohne Schuld?, 5. September 2008.
  2. Das optimierte Gehirn. Ein Memorandum zu Chancen und Risiken des Neuroenhancements. In: Gehirn&Geist 11/2009, S. 40–48 (PDF; 598 KB)
  3. SciLogs: Bloggewitter: Neuro-Enhancement – Das Memorandum
  4. Jörg Auf dem Hövel: Zwischen Selbstbestimmung und Selbstausbeutung. In: Telepolis. 21. Dezember 2009 (Interview mit Merkel)
  5. Internetredaktion: Prof. Dr. Reinhard Merkel – Personenverzeichnis – Universität Hamburg. In: www.jura.uni-hamburg.de. Abgerufen am 3. Mai 2016.
  6. Reinhard Merkel: „Und nächste Woche Bomben auf Damaskus?“ Die Intervention in Libyen schafft falsche Erwartungen, desavouiert die UN und beschädigt das Völkerrecht. Die Zeit, Nr. 14/2011 vom 31. März 2011.
  7. http://www.deutschlandradiokultur.de/notwehr-zugunsten-des-kindes.954.de.mhtml?dram:article_id=143498
  8. Caroline Schmidt: Star-Professor Reinhard Merkel: Nichts für Lerner, was für Denker, Spiegel Online, 19. September 2012.
  9. Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg: Prof. Dr. iur. Reinhard Merkel, abgerufen am 4. März 2013.
  10. Armin Käfer: „Beschneidungen ohne Anästhesie ist eine Folterqual“ – Beschneidungen ohne Narkose sind für den Juristen Reinhard Merkel barbarisch und nach deutschem Recht nicht akzeptabel. Er berät die Regierung als Mitglied des Ethikrates, der sich am Donnerstag trifft. Interview in der Badischen Zeitung vom 22. August 2012.
  11. Ethikrat berät über religiöse Beschneidung: Strafrechtler Merkel skeptisch zu Rechtsanspruch, Bericht auf dradio.de vom 30. August 2012.
  12. Deutscher Ethikrat: Dokumente der Plenarsitzung am 23. August 2012: Simultanmitschrift aller Referate. Merkel: S. 12–18 (PDF; 171 kB); Präsentation Zur religiös motivierten frühkindlichen Knabenbeschneidung – Strafrechtliche und rechtsprinzipielle Probleme (PDF; 1,5 MB); Audioprotokoll (MP3; 30,9 MB)
  13. Till Schwarze: Beschneidung: „Ein kläglicher Gesetzentwurf“, Interview auf Zeit Online vom 1. Oktober 2012.
  14. Reinhard Merkel: Beschneidungs-Debatte: Die Haut eines Anderen, Süddeutsche.de, 30. August 2012.
  15. Die Krim und das Völkerrecht, FAZ vom 7. April 2014.
  16. http://www.giessener-anzeiger.de/lokales/hochschule/annexion-der-krim-war-krass-voelkerrechtswidrig_14948132.htm
  17. http://www.spiegel.de/politik/ausland/krim-krise-voelkerrechtler-kress-ueber-bruch-des-voelkerrechts-a-961400.html
  18. Mitgliedseintrag von Prof. Dr. Reinhard Merkel (mit Bild und CV) bei der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, abgerufen am 18. Juli 2016.