Wikipedia:WikiProjekt Frauen in Gesellschaftsbereichen/Frauen in der Physik

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Frauen in der Physik

Frauen in der Physik behandelt Frauen, die wichtige Beiträge zur Physik geleistet haben, sowie die Situation von Frauen innerhalb der Wissenschaft in Vergangenheit und Gegenwart.

Bedeutende Physikerinnen

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Es folgt eine Auswahl bedeutender Physikerinnen und Frauen in der Physik. Unter anderem ist eine Auswahl der Frauen gelistet, die bis 1970 (d.h. öffentlich im Nobel-Archiv einsehbar) für mindestens einen Physik-Nobelpreis nominiert waren (NPN), sowie die bisherigen Physik-Nobelpreisträgerinnen (NP). Für eine weniger detaillierte aber längere Liste, siehe Liste von Physikerinnen.[1]

18. Jahrhundert

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Émilie du Châtelet

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Émilie du Châtelet (1706 geboren) übersetzte Newtons Principia vom Lateinischen ins Französische sowie in die Notation der Infinitesimalrechnung. Außerdem erläuterte die Französin den Text in zahlreichen Kommentaren. Erst damit wurde die Schrift für viele Menschen auf dem europäischen Kontinent verständlich. Du Châtelet führte das Konzept der kinetischen Energie ein. Konträr zu Newton vertrat sie korrekterweise die Ansicht, dass die kinetische Energie proportional zur Geschwindigkeit im Quadrat ist. Du Châtelet kritisierte die Stellung der Frauen in der Gesellschaft. In ihrer Übersetzung von Mandevilles „The Fable of the Bees“ schreibt sie in einem Kommentar: „Wenn ich König wäre, ich würde einen Missbrauch abschaffen, der die Hälfte der Menschheit zurücksetzt. Ich würde Frauen an allen Menschenrechten teilhaben lassen, insbesondere den geistigen.“ 1746 wurde sie in die Akademie der Wissenschaften zu Bologna gewählt. In die Pariser Akademie wurden Frauen grundsätzlich nicht aufgenommen.

Laura Bassi, Europas erste Physikprofessorin.

Laura Bassi (1711 geboren) wird wegen ihrer frühen großen Begabung heute oft als Wunderkind bezeichnet.[2] Mit 21 Jahren wurde die Italienerin als Ehrenmitglied in die Bologneser Akademie aufgenommen und wurde Doktor der Philosophie nach einer öffentliche Doktorprüfung im Rathaus von Bologna. Die Bologneser Akademie verfügte allerdings wenig später, dass sie keine weiteren Frauen mehr aufnehmen werde. 1732 wurde Bassi als erste Frau in Europa Professorin für Philosophie (worunter auch theoretische Teile der Physik fielen). Sie unterstützte Newtons Fernwirkungskräfte und kritisierte Descartes Wechselwirkung wie in einer Flüssigkeit. Sie experimentierte zum Boyle-Mariotte-Gesetz, zu Gasblasen in Flüssigkeiten und zur Elektrizität und errichtete ein Observatorium. Außerdem veröffentlichte sie theoretische Abhandlungen bei der Bologneser Akademie, beispielsweise zur Hydromechanik. 1776 wurde sie Professorin für Physik.

Mary Somerville

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Mary Somerville (1780 geboren) wurde als einzige formale Schulbildung ein Jahr im Internat ermöglicht. Sie brachte sich selbst heimlich Algebra und Euklidische Geometrie bei und beschäftigte sich mit Newtons Principia und Laplaces Mécanique céleste. Mit ihrem Wissen in Mathematik und Astronomie gewann sie die Anerkennung führender Forschender in Europa. 1831 publizierte Mary Somerville als Auftragsarbeit für die Society for the Diffusion of Useful Knowledge eine Übersetzung der Mécanique céleste von Laplace unter dem Titel The Mechanism of the Heavens in allgemeinverständlicher Sprache und Form, was ihr sofortige Berühmtheit einbrachte. Sie wurde in die Royal Astronomical Society und die American Philosophical Society aufgenommen. Die Royal Geographical Society verlieh ihr eine Medaille, nahm Frauen aber noch bis 1913 nicht auf.[3]

19. Jahrhundert

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Marie Curie (NP)

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Marie Curie (1867 geboren) erhielt 1903 einen Physik-Nobelpreis, „als Anerkennung des außerordentlichen Verdienstes, den sie [Marie und Pierre Curie] sich durch ihre gemeinsamen Arbeiten über die von H. Becquerel entdeckten Strahlungsphänomene erworben haben.“ Da man Curie im Jahr 1890 in Warschau als Frau nicht erlaubte, zu studieren, studierte die gebürtige Polin Physik und Mathematik in Frankreich. Zusammen mit ihrem Ehemann Pierre Curie entdeckte sie die Elemente Polonium und Radium. Sie engagierte sich für bessere Arbeitsbedingungen für Forschende und setzte sich für die Förderung weiblicher und ausländischer Studierender ein. Marie Curie musste als Frau das Geld für ihre ersten Forschungen selbst verdienen, und noch 1911 wurde ihr die Aufnahme in die französische Akademie der Wissenschaften verweigert.[4]

Henrietta Swan Leavitt

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Henrietta Swan Leavitt (1868 geboren) interessierte sich am College für Astronomie und arbeitete ab 1895 am Harvard College Observatory. Sie arbeitete mithilfe von Fotografien, weil sie als Frau das Teleskop nicht bedienen durfte[5] und wurde die ersten sieben Jahre ihrer Arbeit nicht bezahlt. Henrietta Swan Leavitt beobachtete und katalogisierte vier Novae und tausende von Veränderlichen Sternen. 1912 entdeckte Leavitt die Perioden-Leuchtkraft-Beziehung bei Cepheiden, die es ermöglichte, die bestimmbare Entfernung von Sternen von 100 Lichtjahren auf 10 Millionen Lichtjahre zu erhöhen. 1913 entwickelte sie eine neue photographische Messtechnik, die internationale Anerkennung fand und unter dem Namen Harvard-Standard bekannt ist. Im Alter von 53 Jahren starb Leavitt an Krebs. Vier Jahre später wäre sie für den Physik-Nobelpreis nominiert worden, der aber nicht posthum verliehen werden kann. (Die Nominierung geschah in Unwissenheit über ihr Ableben und war ungültig.)

Lise Meitner, Deutschlands erste Physikprofessorin.

Lise Meitner (NPN)

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Lise Meitner (1878 geboren) war bis 1970 30 Mal für einen Physik-Nobelpreis nominiert.[6] Die gebürtige Österreicherin durfte als Mädchen nur die Bürgerschule und nicht das Gymnasium besuchen. Sie lernte im Selbststudium für die Matura und promovierte 1906 im Hauptfach Physik an der Universität Wien. In ihrer folgenden Forschungsarbeit musste sie als Frau bis 1909 das Forschungsgebäude durch den Hintereingang betreten und durfte nicht in bestimmte Räume. Bis 1913 wurde sie nicht bezahlt. Lise Meitner und ihr Kollege Otto Hahn entdeckten diverse Nuklide und das Element Protactinium. 1922 entdeckte Meitner ein Jahr vor Pierre Auger einen Elektronenübergang, der zunächst „Auger-Effekt“ und heute „Auger-Meitner-Effekt“ genannt wird. 1926 wurde sie außerordentliche Professorin für experimentelle Kernphysik an der Berliner Universität. 1938 floh sie aufgrund ihrer jüdischen Abstammung nach Schweden, wo Hahn sie um eine Erklärung für seine experimentelle Entdeckung bat. 1939 veröffentlichte Lise Meitner zusammen mit ihrem Neffen Otto Frisch die Berechnung und Erklärung für den Vorgang: Ein Uran-atomkern spaltet sich in zwei neue Atomkerne, die aber zusammen eine geringere Masse haben als der ursprüngliche Kern. Die restliche Masse wird als Energie frei, die Kernspaltung. Meitner wurde im zweiten Weltkrieg von den USA aufgefordert, beim Bau der Atombombe zu helfen, weigerte sich jedoch. 1945 erhielt Otto Hahn den Chemie-Nobelpreis für die experimentelle Entdeckung der Kernspaltung, obwohl Meitner Hahn überredet hatte, überhaupt mit Uran zu experimentieren.[7] Heute wird weitgehend eingeschätzt, dass Lise Meitner den Nobelpreis mindestens so sehr verdient gehabt hätte wie Hahn. Beispielsweise sagte Ernst Fischer, Physiker und Wissenschaftshistoriker an der Universität Konstanz 2008: „Sie hat das Wissen gehabt, Hahn hat nur die Versuche durchgeführt.“[8] Meitner blieb mit Hahn lebenslang freundschaftlich verbunden. Ihr persönliches, vorsichtiges Engagement galt dem Einsatz für den Frieden, der bedachten Nutzung der Kernenergie und der Gleichberechtigung der Frauen in den Wissenschaften.

Emmy Noether

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Emmy Noether (1882 geboren) kam in eine Familie, die dem Liberalen Judentum angehörte, in dem es selbstverständlich war, auch Töchtern eine gute Ausbildung zu verschaffen.[9] Sie besuchte eine Höhere Töchterschule, in der im Gegensatz zum Gymnasium kein Latein, keine Naturwissenschaften und nur elementare Inhalte der Mathematik unterrichtet wurden und nicht auf das Abitur vorbereitet wurde. Der Besuch eines Gymnasiums war Mädchen zu dieser Zeit in Bayern nicht erlaubt.[10] Noether legte die Staatsprüfung zur Lehrerin ab, um sich als Gasthörerin an der Universität einschreiben zu können. Damit und mit von ihrer Familie finanziertem Privatunterricht, sowie mit einem Antrag, die Abiturprüfung ablegen zu dürfen, erwarb sie 1903 das Abitur. Im selben Jahr wurden auch erstmals Frauen an bayrischen Universitäten für das Mathematikstudium zugelassen, für das sie sich einschrieb. 1907 promovierte sie mit der Note summa cum laude in der Invariantentheorie.[9] Als Frau durfte sie nicht Postdoktorandin werden und arbeitete deshalb zunächst ohne offiziellen Status und ohne Bezahlung als Postdoktorandin an der Universität in Erlangen. 1915 wurde Emmy Noether von Felix Klein und David Hilbert nach Göttingen eingeladen, um sie dort bei ihren Forschungen zu unterstützen. Dort stellte sie, unterstützt von Hilbert und Klein, einen Antrag auf Habilitation, der aufgrund ihres Geschlechts abgelehnt wurde.[9] 1918 veröffentlichte Noether ihren heute berühmten Aufsatz Invariante Variationsprobleme,[11] in dem sie zur Relativitätstheorie beitrug und das Noether-Theorem formulierte, den fundamentalen Zusammenhang zwischen Symmetrien und Erhaltungsgrößen in der theoretischen Physik, der heute als Meilenstein gilt.[9] Im selben Jahr war auch das Frauenwahlrecht sowie die Habilitationszulassung für Frauen in der Weimarer Republik errungen worden, sodass sich Emmy Noether 1919 habilitierte. Damit durfte sie offiziell dozieren, wurde aber weiterhin nicht bezahlt. 1923 erhielt sie ihren ersten (sehr gering) bezahlten Lehrauftrag, der allerdings jedes Semester neu beantragt werden musste.[10] Eine ordentliche Professur erhielt sie nie, im Gegensatz zu ihrem mathematisch weniger bedeutenden jüngeren Bruder Fritz Noether, der bereits 1922 ordentlicher Professor wurde. Sie lebte sehr sparsam von einer Erbschaft. 1920 begann Emmy Noether ihre Arbeiten in Abstrakter Algebra, mit der sie die Moderne Algebra begründete.[12] Sie revolutionierte die Theorie der Ringe, Körper und Algebren und betreute zahlreiche Doktoranden in diesem Feld, z.B. Grete Hermann. Sie übernahm zwei Gastprofessuren und erhielt 1932 den Ackermann-Teubner-Gedächtnispreis und hielt einen Plenarvortrag auf dem von 800 Personen besuchten Internationalen Mathematikerkongress in Zürich. 1933 wurde Noether aufgrund ihrer jüdischen Abstammung die Lehrbefugnis entzogen,[13] womit sie ihr kleines Einkommen als Dozentin verlor.[14] Noch im selben Jahr trat sie ihre erste angemessen bezahlte Stelle am Frauencollege Bryn Mawr in Pennsylvania, USA an und hielt Voträge in Princeton. 1935 starb sie an den Folgen einer Unterleibsoperation.

Marietta Blau (NPN)

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Marietta Blau (1894 geboren) war bis 1970 5 Mal für einen Physik-Nobelpreis nominiert.[15] Blau besuchte das erste Gymnasium für Mädchen auf dem Gebiet der heutigen Republik Österreich. Nach ihrer Promotion arbeitete sie als unbezahlte wissenschaftliche Mitarbeiterin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. Forschungsaufenthalte in Göttingen und Paris wurden ihr durch ein Stipendium des Verbandes der Akademikerinnen Österreichs ermöglicht. Sie und ihre Mitarbeiterin Hertha Wambacher identifizierten mithilfe der photographischen Methode die Bahnspuren von Alphateilchen und Protonen und bestimmten deren Energie. 1937 gelang ihnen außerdem die Aufnahme von Spuren, die eine Kernreaktion zwischen Teilchen kosmischer Strahlung und den Kernen der Detektionsplatte zeigten.[16] 1938 sah sich Blau wegen ihrer jüdischen Abstammung gezwungen, aus Österreich zu emigrieren. Ihre in Wien zurückgelassenen Arbeiten wurden durch ihre dortigen Kollegen, unter ihnen auch nationalsozialistisch Gesinnte, weitergeführt und zum Teil publiziert, ohne ihren Namen dabei zu erwähnen.[17] Erwin Schrödinger schlug Blau zusammen mit Wambacher für den Physik-Nobelpreis vor. Diesen erhielt jedoch Cecil Powell, dessen Arbeiten wesentlich durch die von Blau und Wambacher inspiriert worden waren, was er in seiner Nobelpreisansprache nicht erwähnte.[17]

Irène Joliot-Curie (NPN)

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Irène Joliot-Curie (1897 geboren) war bis 1970 15 Mal für einen Physik-Nobelpreis nominiert.[18] Die Tochter von Marie und Pierre Curie entdeckte unter anderem zusammen mit ihrem Mann Frédéric Joliot-Curie die künstliche Radioaktivität, d.h. die Herstellung radioaktiver Isotope durch den Beschuss stabiler Elemente mit z.B. Alphastrahlung. Die Entdeckung wird z.B. in der medizinischen Diagnose, Tumortherapie oder in der biochemischen Grundlagenforschung angewendet. Zusammen mit ihrem Ehemann erhielt sie 1935 den Chemie-Nobelpreis. Irène Joliot-Curie engagierte sich stark im Antifaschismus und in der Frauenbewegung. Die Nobelpreisträgerin bewarb sich vier Mal um einen Sitz in der französischen Akademie der Wissenschaften, um die frauenfeindliche Tradition dieser Institution anzuprangern, und wurde jedes Mal abgelehnt. Sie trat 1936 als Staatssekretärin für Wissenschaft und Forschung in die Regierung ein, blieb aber nur drei Monate auf dem Posten. Es war ihr darum gegangen, ein Zeichen zu setzen. Zu dieser Zeit durften Frauen in Frankreich nicht wählen.

20. Jahrhundert

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Marie_Curie_(1900)_(cropped)
Marie_Curie_(1900)_(cropped)
Maria Goeppert-Mayer
Maria Goeppert-Mayer
Anne L’Huillier
Anne L’Huillier

Nobelpreisträgerinnen der Physik
von links nach rechts und oben nach unten:
Marie CurieMaria Goeppert-MayerDonna Strickland
Andrea GhezAnne L’Huillier

Maria Goeppert-Mayer (NP)

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Maria Goeppert-Mayer (1906 geboren) erhielt 1963 einen Physik-Nobelpreis „für ihre Entdeckung der nuklearen Schalenstruktur.“ Goeppert-Mayer beschrieb in ihrer Dissertation erstmals die Zwei-Photonen-Absorption, woraufhin eine physikalische Einheit nach ihr benannt wurde. Sie durfte nicht Professorin werden, weil ihr Mann bereits Professor war. Bei ihrer Arbeit über den Ursprung der Elemente bemerkte Maria Goeppert-Mayer, dass bestimmte Atomkerne besonders häufig und damit stabil sind, was an die Schalenstruktur der Elektronen im Atom erinnert. Sie fand weitere Kerneigenschaften, die für ein Schalenmodell für Atomkerne sprachen und veröffentlichte 1949 ihr Modell. Unabhängig von ihr hatte Hans Jensen zum ähnlichen Zeitpunkt das gleiche Modell entwickelt, mit dem sie danach eine freundschaftlich-kollegiale Beziehung aufbaute und mit dem zusammen sie den Nobelpreis bekam.

Chien-Shiung Wu (NPN)

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Chien-Shiung Wu (1912 geboren) war bis 1970 11 Mal für einen Physik-Nobelpreis nominiert.[19] Die gebürtige Chinesin besuchte eine der ersten Schulen für Mädchen in China, die von ihrem Vater gegründet wurde. 1956 gelang ihr in dem nach ihr benannten Wu-Experiment der Nachweis der Raumspiegelsymmetrie-verletzung. D.h. Wu bewies als erste experimentell die theoretische Hypothese von Tsung-Dao Lee und Chen Ning Yang, dass die bis dato Annahme der universalen Raumspiegelsymmetrie in der Quantenmechanik falsch ist. Eine quantenmechanische Wellenfunktion verhält sich tatsächlich nicht immer gleich, wenn alle Raumkoordinaten invertiert, d.h. gespiegelt werden. Als Lee und Yang 1957 den Nobelpreis für Physik erhielten, meinten viele Fachleute, dass Chien-Shiung Wu zu Unrecht leer ausgegangen sei, was man damals tendenziell einer Unterschätzung der Experimentalphysik zuschrieb. 2013 wurde die Vernachlässigung in der Zeitschrift National Geographic als eines von sechs Beispielen von Wissenschaftlerinnen genannt, die die ihnen zustehende Anerkennung aufgrund von Sexismus in den Naturwissenschaften nicht bekamen.[20] Wu erhielt zahlreiche andere hohe Auszeichnungen.

Bibha Chowdhuri

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Bibha Chowdhuri (1913 geboren) kam in eine Familie von Mitgliedern der Brahmo Samaj Organisation, die sich für soziale, politische und religiöse Reformen einsetzte und die Bildung von Frauen förderte. Chowdhuri erwarb einen Master in Physik an der University of Calcutta. Zwischen 1938 und 1942 entwickelte die gebürtige Inderin die Grundprinzipien zur Identifizierung neuer Teilchen weiter, die Untersuchung von Teilchenspuren in Nebelkammern und auf Fotoemulsionsplatten. Zusammen mit Debendra Mohan Bose erforschte sie kosmische Strahlung mit Fotoplatten auf dem Himalaya. Im Zweiten Weltkrieg führte ein Embargo Indiends für den Bezug von Fotoplatten aus England allerdings dazu, dass sie die Forschungen einstellen mussten. Cecil Powell führte ihre Forschung mit besserem Equipment fort und erhielt 1950 den Nobelpreis für die Entdeckung des Pions. 1952 promovierte Chowdhuri an der University of Manchester über hochenergetische Komponenten der kosmischen Strahlung. Die Prüfer waren von ihrer Dissertation so beeindruckt, dass sie sie für eine Stelle am Tata Institute of Fundamental Research empfahlen.[21] Sie trug zur Entdeckung hochenergetischer Myonen bei und arbeitete am Aufbau des Kolar Gold Field Experiments mit, das zum ersten Nachweis atmosphärischer Neutrinos führte.

Drei der bis 1970 für den
Physik-Nobelpreis nominierten Frauen

von links nach rechts:
Irène Joliot-Curie (links, zusammen mit Marie Curie) –
Chien-Shiung WuMargaret Burbidge

Margaret Burbidge (NPN)

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Margaret Burbidge (1919 geboren) war bis 1970 ein Mal für einen Physik-Nobelpreis nominiert.[22] Die gebürtige Britin erhielt 1943 ihren PhD in Astronomie und Mathematik am UCL. Sie wurde für eine Postgraduiertstelle abgelehnt, weil die Arbeit Besuche am Mount Wilson Observatory beinhaltet hätte, das Frauen nicht benutzen durften.[23] Sie ging zusammen mit ihrem Ehemann Geoffrey Burbidge zu William Alfred Fowler und Fred Hoyle nach Cambridge. Das Team kombinierte seine Erkenntnisse in die Idee, dass chemische Elemente durch eine Reihe von Kernreaktionen in Sternen erzeugt werden, die stellaren Nukleosynthese. Sie veröffentlichten eine Reihe wichtiger Artikel, vor allem den heute sogenannten B2FH. Margaret Burbidge ist die Erstautorin und schrieb den Artikel während sie schwanger war.[24][25] William Alfred Fowler bekam 1983 den Physik-Nobelpreis für die gemeinsamen Ergebnisse und bekundete Überraschung, dass Margaret Burbidge nicht unter den geehrten war. Der Freund des Ehepaars riet Margaret (der observierenden Astronomin) sich abermals am Mt. Wilson zu bewerben und Geoffrey (dem Theoretiker) zum Caltech. Margaret Burbidge wurde allerdings zum zweiten Mal aufgrund ihres Geschlechts abgelehnt. Das Ehepaar tauschte Bewebungen und erhielt jeweils die andere Stelle. Wann immer Geoffrey Burbidge das Mt. Wilson besuchte, begleitete Margaret Burbidge ihn „als seine Assistentin“. In Wirklichkeit arbeitete er theoretisch im Dunkelzimmer und sie benutzte das Teleskop. Als das Observatorium dahinter kam, ließen sie Margaret Burbidge gewähren, unter der Vorraussetzung, dass sie nicht im Schlafraum des Observatoriums schliefe, der nur für Männer konzipiert sei.[26] In den 1960er und 1970er Jahren maß Margaret Burbidge die Massen, Kompositionen, und Rotationskurven von Galaxien und führte frühe spektroskopische Studien an Quasaren durch.[25] Sie entdeckte unter anderem den Quasar QSO B1445+101, womit sie von 1974 bis 1982 das weit entfernteste Objekt jemals entdeckt hatte.[27] 1972 wurde Burbidge Direktorin des Royal Greenwich Observatory. Seit 300 Jahren war dieser Posten immer mit dem Titel Astronomer Royal einhergegangen, Margaret Burbidge erhielt ihn nicht. Burbidge setzte sich gegen die Diskriminierung von Frauen, auch gegen die positive Diskriminierung von Frauen ein. 1972 lehnte sie einen nur für Frauen bestimmten Preis der American Astronomical Society (AAS) ab, woraufhin die AAS ihre erste Versammlung zum Status von Frauen in der Astronomie jemals abhielt. Im Jahr 1976 wurde sie die erste weibliche Präsidentin der AAS. Sie setzte durch, dass Versammlungen der AAS in Staaten, die das Equal Rights Amendment nicht verabschiedet haben nicht stattfinden dürfen. 1984 erhielt sie die Henry Norris Russell Lectureship, die höchste Ehrung der AAS, unabhängig vom Geschlecht. Sie half bei der Entwicklung des Faint Object Spectrographen des Hubble-Weltraumteleskops, mit dem sie und ihr Team entdeckten, dass sich im Zentrum der Galaxie Messier 82 ein supermassives schwarzes Loch befindet. Als emeritierte Professorin arbeitete sie am UCSD bis ins 21. Jahrhundert hinein. Sie veröffentlichte über 370 Forschungsartikel.[28]

Rosalyn Sussman Yalow

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Rosalyn Sussman Yalow (1921 geboren) war eine Physikprofessorin am Hunter College in New York. Sie forschte am Nachweis von Peptiden im Blut. Zusammen mit ihrem Kollegen Solomon Aaron Berson entwickelte die US-Amerikanerin Messmethoden für Globine und andere Serumproteine und entdeckte, dass Diabetiker Antikörper gegen tierische Insulinpräparate bilden. Daraus leitete das Team Methoden zur Messung des Insulinspiegels im Blut ab, die zum Radioimmunassay führten, einer Methode, die heute weltweit in medizinischen Labors eingesetzt wird. Sussman Yalow und Berson ließen ihre Erkenntnisse nicht patentieren, damit sie allgemein verfügbar sind. 1977 erhielt Sussman Yalow den Medizin-Nobelpreis. Ihr Freund und Kollege Berson war bereits verstorben. Sussman Yalow ließ ihr Labor in das Solomon A. Berson Research Laboratory umbenennen, „damit sein Name weiter auf den von ihr publizierten Artikeln stehen würde.“

Vera Rubin (1928 geboren) begann mit 10 Jahren, sich für Astronomie zu interessieren. Die US-Amerikanerin ignorierte die Empfehlung ihres High School Lehrers, eine Karriere in der Naturwissenschaft zu meiden und erwarb einen Bachelor in Astronomie.[29][30] Den Master ließ Princeton sie im Jahr 1948 als Frau nicht machen.[29][31] Erst 27 Jahre später begann die Universität, Frauen in der höheren Astronomie auszubilden.[32] Rubin erwarb ihren Master im Jahr 1951 in Cornell und entdeckte währenddessen als eine der ersten Abweichungen von Galaxien vom Hubble-Fluß.[31][30][33] Ihre Forschung lieferte auch einen der ersten Beweise für die Supergalaktische Ebene. In 1954 vollendete sie ihre Dissertation an der George Washington University. Ihr ganzes Studium lang begegnete ihr immer wieder Sexismus.[29][30] Beispielsweise konnte sie sich nicht mit ihrem Betreuer in seinem Büro treffen, weil Frauen sich in diesem Teil der Universität nicht aufhalten durften.[29][30] In 1965 bewarb sie sich für Observationen am Palomar Observatory, obwohl das Gebäude keine Frauentoiletten hatte.[34] Sie schnitt ein Dreieck aus Papier aus, kleibte es an eine der Türen und wurde die erste Astronomin, die am Palomar observierte.[29][31][35] Mithilfe Kent Fords extrem genauem Spektroskop untersuchte sie Spiralgalaxien und fand den Rubin-Ford-Effekt.[30][35] Rubin hatte ein Jahr mit Margaret und Geoffrey Burbidge kollaboriert und begann, davon inspiriert, die Rotationskurven von Spiralgalaxien zu untersuchen.[30] Sie fand erste Hinweise, dass Spiralgalaxien von Dunkle-Materie-Halos umgeben sind.[31][30] Außerdem zeigte ihre Forschung, dass Spiralgalaxien so schnell rotieren, dass sie eigentlich auseinander fliegen müssten, wenn nur die Gravitation ihrer Bestandteile sie zusammenhielte. Da sie aber intakt bleiben, musste eine große ungesehene Masse sie zusammenhalten.[31] Rubins Berechnungen zeigten, dass Galaxien mindestens 5 bis 10 Mal so viel dunkle Materie wie Materie enthalten müssen.[36][37] Ihre Resultate wurden in den nachfolgenden Dekaden bestätigt und waren damit die ersten überzeugenden Resultate, die die Theorie der dunklen Materie unterstützten.[29][38] Rubin entdeckte außerdem, dass sich manches Gas und manche Sterne in Galaxien entgegen der Drehrichtung der restlichen Masse bewegt, was vorherrschende Theorien infrage stellte und das Wissen um die Entstehung von Galaxien und Galaxienverschmelzung expandierte.[35] Vera Rubin engagierte sich für mehr Anerkennung von Frauen in den Naturwissenschaften. Sie plädierte zusammen mit Margaret Burbidge dafür, dass mehr Frauen in die National Academy of Sciences (NAS) gewählt werden, in Review Panels kommen und generell in der Akademie repräsentiert werden.[32][39][40] Über den Sexismus in den Naturwissenschaften sagte sie: „Ich habe mit der NAS gekämpft und bin wütend und entsetzt über die geringe Zahl an Frauen, die jedes Jahr gewählt werden. Es ist der traurigste Teil meines Lebens."[30] Vera Rubin erhielt nie einen Nobelpreis, was teilweise als zu Unrecht eingestuft wird.[41][42] Sie erhielt aber zahlreiche andere Ehrungen. Unter anderem wurde das Vera C. Rubin Observatory nach ihr bennannt, in Anerkennung ihrer Beiträge zur Erforschung der Dunklen Materie und ihres starken Eintretens für die Gleichbehandlung und Repräsentation von Frauen in der Wissenschaft.[43][44][45][46][47]

Sau Lan Wu (in den 1940ern geboren) wuchs in Hong Kong auf und studierte Physik am Vassar College in New York.[48] In ihrem ersten Jahr waren sie und andere Studierende ins Weiße Haus eingeladen, um Jacqueline Kennedy, eine Alumna des College zu treffen. Beim Besuch des Supreme Courts begegnete ihr zum ersten Mal rassistische Diskriminierung, als sie sich bei den Toiletten zwischen „schwarz“ und „weiß“ entscheiden musste. Sie trug als Postdoktorandin zur Entdeckung des J/Psi Mesons der Gruppe um Samuel Ting bei,[49] für die ein Nobelpreis vergeben wurde.[50] Außerdem entdeckten sie und ihre Mitarbeitende das Gluon, das Austauschteilchen der starken Wechselwirkung.[51] Wus Team war eins der ersten amerikanischen Forschungsgruppen, die der ATLAS Kollaboration am CERN beitrat um das Higgs-Boson nachzuweisen.[35] 2012 vermeldete CERN die statistisch signifikante Entdeckung eines Teilchens, das mit den vorhergesagten Eigenschaften des Higgs-Bosons konsistent ist.[52][53] Eine Entdeckung, die das Standardmodell des Universums komplettierte.[48][54] Sau Lan Wu wird als eine der bedeutendsten Mitwirkenden angesehen.[55][35][56]

Jocelyn Bell Burnell

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Jocelyn Bell Burnell (1943 geboren) besuchte die Vorschule des Lurgan College in Irland von 1948 bis 1956.[57] Zu dieser Zeit wurden Jungen technische Fächer gelehrt, Mädchen durften nur Fächer wie Kochen und Nähen belegen. Erst nachdem Bell Burnells Eltern und andere die Richtlinien der Lehranstalt anfechteten, wurde auch Bell Burnell Naturwissenschaft beigebracht.[58][59] Als die Britin im November 1967 als Doktorandin in Physik für Cambridge arbeitete, bemerkte sie eine Anomalie auf ihren Linienschreiber-papieren, die sich mit den Sternen bewegte. Jocelyn Bell Burnell musste händisch die Papiere durchgehen und fand nach drei Monaten das im August aufgenommene Signal.[60] Sie ermittelte, dass das Signal mit großer Regelmäßigkeit pulsierte. Die Quelle wurde später als ein Pulsar, d.h. ein schnell rotierender Neutronenstern namens PSR B1919+21 identifiziert. Bell Burnell hatte mit anderen das Radioteleskop für die Entdeckung gebaut und teilweise bis zu 29 Meter Daten pro Nacht gesichtet.[61] Sie sagte später aus, dass sie ihren Doktorvater Antony Hewish ausdauernd überzeugen musste, dass es sich um ein echtes Signal handele, da er insistierte, das Signal sei nur ein Interferenzartefakt. Außerdem habe es wiederholte Treffen zwischen ihm und Martin Ryle über das Thema gegeben, von denen sie Bell Burnell ausschlossen.[62][59] 1974 bekamen Hewish und Ryle den Nobelpreis für die Entdeckung. Sowohl von Bell Burnell selbst als auch von Kollegen der Astronomie damals und heute wird die Auslassung Bell Burnells bei der Ehrung kritisiert.[63][64][65] Jocelyn Bell Burnell arbeitete, leitete und lehrte an zahlreichen Universitäten und Observatorien und war Präsidentin verschiedener Institute. 2018 bekam sie den Special Breakthrough Prize in Fundamental Physics im Wert von 3 Millionen Dollar.[66] Sie spendete das gesamte Geld, um es Frauen, unterrepräsentierten Minderheiten und Geflüchteten zu ermöglichen, Physik zu studieren.[67][68] In einer Rede in Harvard berichtete Bell Burnell 2020 von der damaligen „ekelhaften“ Berichterstattung der Entdeckung der Pulsare. Hewish seien Fragen zu Astrophysik gestellt worden, ihr wie viele Beziehungen sie schon gehabt habe, welche Haarfarbe sie habe und ob sie für die Fotos ein paar Knöpfe ihrer Bluse öffnen könne.[69]

Anne L’Huillier (NP)

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Anne L’Huillier (1958 geboren) erhielt 2023 einen Physik-Nobelpreis „für experimentelle Methoden, die Attosekunden-Lichtimpulse zur Untersuchung der Dynamik von Elektronen in Materie erzeugen.“ Die gebürtige Französin erwarb einen doppelten Master in theoretischer Physik und Mathematik und promovierte in der Experimentalphysik. 1997 wurde sie Professorin in Lund, Schweden. L’Huillier entwickelte zunächst mittels High Harmonic Generation extrem kurze Lichtpulse. 2003 erzeugte die von ihr geleitete Forschungsgruppe den weltweit kürzesten Laserpuls mit 170 Attosekunden.[70] Mit diesen Pulsen wiederum studiert L’Huillier ultraschnelle Dynamiken von Elektronen in Atom- oder Molekülsystemen, beispielsweise während chemischer Reaktionen. Damit pionierte sie den Fachbereich der Attochemie. In einem Artikel der American Physical Society wird L’Huillier mit den Worten zitiert: „Mein Rat an Frauen: Hört nicht auf Kommentare wie: „Oh, du hast diesen Job nur bekommen, weil du eine Frau bist.“ Wir müssen umso selbstbewusster sein. Meine ganze Karriere lang hatte ich mit solchem Sexismus zu kämpfen. Erst jetzt im Alter und vor allem nachdem ich den Wolf-Prize bekommen habe, habe ich endlich das Gefühl, nichts mehr beweisen zu müssen.“[71]

Donna Strickland (NP)

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Donna Strickland (1959 geboren) erhielt 2018 einen Physik-Nobelpreis „für bahnbrechende Erfindungen im Bereich der Laserphysik.“ Während ihres Studiums war sie eine von drei Frauen in einer Klasse von 25 Studierenden. In ihrer Dissertation entwarf und entwickelte die Kanadierin die „Chirped Pulse Amplification“, die heute gängigste Methode, um hohe Laserintensitäten zu erzeugen. Außerdem entwickelte sie ein System der Erzeugung ultrakurzer Femtosekunden-Laserpulse, die „multi-frequency Raman generation“. Femtosekundenlaser finden Anwendung in der Grundlagenforschung und Medizin, etwa der Augenmedizin und Krebstherapie. Nach Erhalt ihres Nobelpreises wurde Donna Strickland Professorin an der University of Waterloo. Der englisch- sowie deutschsprachige Wikipediaeintrag über sie war wegen Geringfügigkeit in den Entwurfsraum verschoben, bzw. gelöscht worden und beide wurden erst nach ihrer Ehrung durch das Nobelkomitee wieder veröffentlicht. 2023 veröffentlichte Brian Keating ein Interview mit ihr, in dem sie sagt: "Es wird erst weltweit Geschlechtergerechtigkeit geben, wenn wir auch Männer Kinder und Alte betreuen lassen. Ich denke nicht, dass Frauen fürsorglicher sind als Männer, und ich halte das für ebenso beleidigend wie zu sagen, Frauen seien nicht so schlau wie Männer. Wenn alles gleich wäre und jeder seinen Teil täte, dann hätte jede Person die gleiche Chance."[72]

Andrea Ghez (NP)

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Andrea Ghez (1965 geboren) erhielt 2020 einen Physik-Nobelpreis „für die Entdeckung eines supermassiven kompakten Objekts im Zentrum unserer Galaxie.“ Inspiriert durch die Mondlandungen des Apollo-Programms wollte Ghez die erste weibliche Astronautin werden. Die US-Amerikanerin wurde Professorin für Astronomie an der UCLA. Sie observierte mithilfe neuer Techniken in der Infrarotastronomie mehrere Jahre lang die Bewegung der Sterne im Zentrum der Milchstraße am Keck-Observatorium auf Hawaii. Damit gelang Andrea Ghez der Nachweis eines Schwarzen Lochs mit mehr als 4 Millionen Sonnenmassen. Reinhard Genzel führte mit Beobachtungen am Very Large Telescope in Chile ebenfalls den Beweis für das supermassereiche Schwarze Loch und die beiden bekamen zusammen den Nobelpreis. In einem Interview bezüglich ihrer Ehrung sagte sie: „Starke Rollenvorbilder zu haben ist wirklich wichtig, Abbildungen der ganzen Bandbreite an Forschenden, in verschiedenster Art. Ich bin sehr dankbar dafür, dass mir meine Eltern Biografien von Marie Curie und Amelia Earhart gegeben haben, das hat mich wirklich inspiriert.“[73]

Deborah Jin (1968 geboren) studierte Physik in Princeton und an der University of Chicago und spezialisierte sich in der Festkörperphysik. Als Postdoktorandin wechselte die US-Amerikanerin das Feld hin zu den kalten Atomen und arbeitete in Eric Cornells Gruppe, bevor sie ihre eigene Forschungsgruppe leitete. Innerhalb von zwei Jahren gelang ihr die Herstellung des ersten quantendegenerierten Gases fermionischer Atome. Die entscheidende Technik war, Natriumatome in zwei verschiedenen Hyperfeinzuständen zu verwenden, um elastische Kollisionen, die in der Verdunstungskühlung nötig sind, wieder zu ermöglichen. Fermionen im gleichen Hyperfeinzustand wechselwirken nämlich im Gegensatz zu Bosonen, mit denen Cornell ein Bose-Einstein-Kondensat gelungen war, im Limit tiefster Temperaturen nicht mehr. Sie stellte mit ihrer Forschungsgruppe ein degeneriertes Fermigas mit einer Temperatur von etwa 300 Nanokelvin her.[74][75] 2003 gelang Jin und ihrem Team die Kondensation von Fermionenpaaren, die dann wieder Komposit-Bosonen sind, in ein Bose-Einstein-Kondensat (BEC), sowie die erste Beobachtung eines kontinuierlichen Übergangs von einem BEC in ein BCS, d.h. Bardeen-Cooper-Shrieffer System mithilfe von Feshbach-Resonanzen.[76] In 2008 entwickelte Jin und ihr Team eine Spektroskopiemethode, die es ihnen erlaubte, sowohl die Energie als auch den Impuls der Anregungen ihres degenerierten Gases zu messen. Damit lieferten sie erste experimentelle Evidenz für eine Pseudolücke im BEC-BCS-Übergang.[77] Ebenfalls in 2008 gelang es Deborah Jin und ihrem Kollegen Jun Ye, polare Moleküle mit großem elektrischen Dipolmoment zu kühlen, indem sie zuerst ein Gas ultrakalter Atome herstellten, und diese dann kohärent in dipolare Moleküle umwandelten. Die Arbeit führte zu neuen Erkenntnissen über chemische Reaktionen nahe dem absoluten Nullpunkt. Deborah Jin gewann zahlreiche renommierte Preise. 2016 starb sie im Alter von 47 Jahren an Krebs, woraufhin die American Physical Society den Dissertationspreis im Fachbereich "Atomphysik, Molekülphysik und Optik" in den "Deborah Jin Award for Outstanding Doctoral Thesis Research in Atomic, Molecular, or Optical Physics" umbenannte.[78][79]


Einzelnachweise

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  1. Cornelia Denz, Annette Vogt: Einsteins Kolleginnen – Physikerinnen gestern und heute. Broschüre zum Einsteinjahr 2005. Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit, Bielefeld 2005, ISBN 3-933476-08-9 (PDF: 4,6 MB, 100 Seiten auf webarchive.org; Info zum Förderprogramm 2005).
  2. Katja Betz: Laura Maria Catarina Bassi – Bewunderte Doktorin und verspottete Ehefrau. In: Kleine Genies. Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Darmstadt, ISBN 978-3-534-19671-5, S. 88–97.
  3. M. Oughton: Mary Somerville, 1780–1872. In: T. W. Freeman, M. Oughton, P. Pinchemel (Hrsg.): Geographers: biobibliographical studies. Band 2. Mansell, London / New York 1978, S. 109–111.
  4. Frauen in den Naturwissenschaften. In: Universität Hamburg (Hrsg.): Begleitheft zur Ausstellung Frauen in den Naturwissenschaften. 1985.
  5. Elmar Schenkel: Keplers Dämon – Begegnung zwischen Literatur,Traum und Wissenschaft. S. Fischer Verlag, Berlin 2016, ISBN 978-3-10-073567-6.
  6. Nomination Archive – Lise Meitner. In: NobelPrize.org. Abgerufen am 18. August 2024 (englisch).
  7. Die Entdeckung der Kernspaltung welt.de, 17. Dezember 2013.
  8. Norbert Lossau: Kernspaltung vor 70 Jahren in Berlin entdeckt Berliner Morgenpost, 19. Dezember 2008.
  9. a b c d David E. Rowe, Mechthild Koreuber: Proving It Her Way. Emmy Noether, a Life in Mathematics. Springer, Cham 2020, ISBN 978-3-030-62810-9, S. 15.
  10. a b Knut Radbruch: Emmy Noether: Mathematikerin mit hellem Blick in dunkler Zeit. In: Erlanger Universitätsreden. Nr. 71/2008, 3. Folge, S. 6.
  11. Emmy Noether, M. A. Tavel: Invariant Variation Problems. In: Transport Theory and Statistical Physics. Band 1, Nr. 3, Januar 1971, ISSN 0041-1450, S. 186–207, doi:10.1080/00411457108231446.
  12. Israel Kleiner: A History of Abstract Algebra. Birkhäuser, Boston 2007, S. 91–92.
  13. Neue Professoren-Entlassungen im Reich. In: Neues Wiener Journal, 5. Oktober 1933, S. 2 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/nwj
  14. David E. Rowe, Mechthild Koreuber: Proving It Her Way. Emmy Noether, a Life in Mathematics. Springer, Cham 2020, ISBN 978-3-030-62810-9, S. 156, 159, 172.
  15. Nomination Archive – Marietta Blau. In: NobelPrize.org. Abgerufen am 18. August 2024 (englisch).
  16. Die Forschungsstation am Hafelekar – Universität Innsbruck. In: Universität Innsbruck. Abgerufen am 23. November 2023.
  17. a b Ruth Lewin Sime: Marietta Blau in the history of cosmic rays. physicstoday Okt 2012 doi:10.1063/PT.3.1728
  18. Nomination Archive – Chien-Shiung Wu. In: NobelPrize.org. Abgerufen am 18. August 2024 (englisch).
  19. Nomination Archive – Chien-Shiung Wu. In: NobelPrize.org. Abgerufen am 18. August 2024 (englisch).
  20. Jane J. Lee: 6 Women Scientists Who Were Snubbed Due to Sexism. In: National Geographic vom 19. Mai 2013.
  21. Celebrating cosmic-ray pioneer Bibha Chowdhuri, Super Mario gets an ionizing boost, new planetoid is Farfarout. 19. Februar 2021, abgerufen am 13. November 2023 (britisches Englisch).
  22. Nomination Archive – Margaret Burbridge. In: NobelPrize.org. Abgerufen am 18. August 2024 (englisch).
  23. UCSD Times: Vol. 15, No. 4, Feb. 1–28, 2001. 14. April 2005, abgerufen am 21. August 2024.
  24. Vera C. Rubin: E. Margaret Burbidge, President-Elect. In: Science. 211. Jahrgang, Nr. 4485, 1981, S. 915–916, doi:10.1126/science.7008193, PMID 7008193, bibcode:1981Sci...211..915R.
  25. a b Joseph Tenn: Eleanor Margaret Peachey Burbidge. Sonoma State University, abgerufen am 6. März 2023.
  26. Margalit Fox: E. Margaret Burbidge, astronomer who blazed trails on Earth, dies at 100 In: The New York Times, 6 April 2020 
  27. J.A. Baldwin, L.B. Robinson, E.J. Wampler, E.M. Burbidge, G.R. Burbidge, C. Hazard: An analysis of the spectrum of the large-redshift quasi-stellar object OQ 172. In: The Astrophysical Journal. 193. Jahrgang, 1974, S. 513, doi:10.1086/153188, bibcode:1974ApJ...193..513B.
  28. Margaret Burbidge: 2003 trailblazer. Women’s Museum of California, archiviert vom Original am 13. September 2016; abgerufen am 13. August 2013.
  29. a b c d e f Dennis Overbye: Vera Rubin, 88, Dies; Opened Doors in Astronomy, and for Women. In: The New York Times. 27. Dezember 2016 (nytimes.com [abgerufen am 27. Dezember 2016]).
  30. a b c d e f g h Robert Irion: The bright face behind the dark sides of galaxies. In: Science. 295. Jahrgang, Nr. 5557, 8. Februar 2002, S. 960–961, doi:10.1126/science.295.5557.960, PMID 11834801.
  31. a b c d e 1996 November 8 meeting of the Royal Astronomical Society. In: The Observatory. 117. Jahrgang, Juni 1997, S. 129–135, bibcode:1997Obs...117..129..
  32. a b Camila Domonoske: Vera Rubin, Who Confirmed Existence Of Dark Matter, Dies At 88. In: NPR News. 26. Dezember 2016 (npr.org [abgerufen am 27. Dezember 2016]).
  33. Vera Florence Cooper Rubin. In: The Bruce Medalists. Sonoma State University, archiviert vom Original am 17. Januar 2018; abgerufen am 6. Juli 2017.
  34. Rachel Feltman: In memory of Vera Rubin, the woman the Nobel Prize forgot In: Popular Science, December 27, 2016. Abgerufen im October 23, 2017 
  35. a b c d e Dennis Overbye: Chasing the Higgs In: The New York Times, 5. März 2013. Abgerufen am 25. August 2021 (amerikanisches Englisch). 
  36. Vera Rubin Who Confirmed „Dark Matter“ Dies. In: Carnegie Science. 26. Dezember 2016, abgerufen am 7. Juli 2017.
  37. Lisa Randall: Dark Matter and the Dinosaurs. HarperCollins, 2015, ISBN 978-0-06-232850-2.
  38. P.J.E. Peebles: Principles of Physical Cosmology. Princeton University Press, 1993, ISBN 978-0-691-01933-8 (archive.org).
  39. Nadia Drake: Vera Rubin, Pioneering Astronomer, Dies at 88. In: National Geographic. 27. Dezember 2016 (news.nationalgeographic.com (Memento des Originals vom December 28, 2016 im Internet Archive) [abgerufen am 28. Dezember 2016]).
  40. Andrew Grant: Vera Rubin in the pages of Physics Today. In: Physics Today. 27. Dezember 2016, doi:10.1063/pt.5.9080.
  41. Sarah Scoles: How Vera Rubin Discovered Dark Matter In: Astronomy Magazine, October 4, 2016. Abgerufen im December 26, 2016 
  42. Lisa Randall: Why Vera Rubin Deserved a Nobel In: New York Times, January 4, 2017 
  43. Dennis Overbye: Vera Rubin Gets a Telescope of Her Own – The astronomer missed her Nobel Prize. But she now has a whole new observatory to her name. In: The New York Times, 11 January 2020 
  44. Eddie Bernice Johnson: H.R.3196 – 116th Congress (2019–2020): Vera C. Rubin Observatory Designation Act. In: www.congress.gov. 20. Dezember 2019, abgerufen am 27. Dezember 2019.
  45. NSF-supported observatory renamed for astronomer Vera C. Rubin. In: www.nsf.gov. 7. Januar 2020, abgerufen am 8. Januar 2020 (englisch).
  46. Marina Koren: An Influential Female Astronomer Is Getting Her Due. In: The Atlantic. 9. Januar 2020, abgerufen am 11. Januar 2020 (amerikanisches Englisch).
  47. National Medal of Science 50th Anniversary: Vera Rubin (1928– ). National Science Foundation (NSF), 2016, abgerufen am 26. Dezember 2016.
  48. a b Sau Lan Wu's Three Major Physics Discoveries and Counting. In: Quanta Magazine. Abgerufen am 7. März 2020 (englisch).
  49. Contributions of 20th Century Women to Physics at UCLA: Sau Lan Wu. 16. März 2001, abgerufen am 16. Januar 2013.
  50. The Nobel Prize in Physics 1976. Nobel Prize, abgerufen am 6. März 2013.
  51. John Ellis: Those were the days: discovering the gluon. In: CERN Courier. 49. Jahrgang, Nr. 6, Juli 2009, S. 15–17 (cern.ch).
  52. ATLAS and the Higgs. CERN, Oktober 2012, archiviert vom Original am 15. Februar 2013; abgerufen am 6. März 2013.
  53. Sarah Charley: When was the Higgs actually discovered? In: symmetry magazine. 3. Juli 2017, abgerufen am 7. März 2020 (englisch).
  54. A question of spin for the new boson. CERN, 6. März 2013, archiviert vom Original am 6. Dezember 2012; abgerufen am 6. März 2013.
  55. Sau Lan Wu's Three Major Physics Discoveries and Counting. In: Quanta Magazine. Abgerufen am 7. März 2020 (englisch).
  56. Meet Sau Lan Wu, the physicist who helped discover three fundamental particles. In: Massive Science. 5. April 2017, abgerufen am 7. März 2020.
  57. Visiting star at college – Lurgan Mail. 7. Februar 2018, abgerufen am 25. August 2024.
  58. Rachel Kaufman: Dame Jocelyn Bell-Burnell: No asking, just telling. Sigma Pi Sigma, 24. Juni 2016, abgerufen am 6. Juli 2016 (englisch).
  59. a b Ben Proudfoot: She Changed Astronomy Forever. He Won the Nobel Prize For It In: The New York Times, 27 July 2021 (englisch). 
  60. Govert Schilling: 50 Years of Pulsars, BBC Sky at Night Magazine, 1 August 2017. Abgerufen im 27 January 2015 (englisch). 
  61. BBC Radio 4 – The Life Scientific, Dame Jocelyn Bell Burnell. Abgerufen am 25. August 2024 (britisches Englisch).
  62. BBC Four – Beautiful Minds, Series 1. Abgerufen am 25. August 2024 (britisches Englisch).
  63. S. Jocelyn Bell Burnell: Petit Four – After Dinner Speech published in the Annals of the New York Academy of Science Dec 1977. In: Annals of the New York Academy of Sciences. 302. Jahrgang, 1977, S. 685–689, doi:10.1111/j.1749-6632.1977.tb37085.x, bibcode:1977NYASA.302..685B (colorado.edu).
  64. Robin McKie: Fred Hoyle: the scientist whose rudeness cost him a Nobel prize In: The Guardian, 2 October 2010 
  65. Sarah Kaplan, Antonia Noori Farzan: She made the discovery, but a man got the Nobel. A half-century later, she's won a $3 million prize In: The Washington Post, 8 September 2018 
  66. Zeeya Merali: Pulsar discoverer Jocelyn Bell Burnell wins $3-million Breakthrough Prize. In: Nature. 561. Jahrgang, Nr. 7722, 6. September 2018, ISSN 0028-0836, S. 161, doi:10.1038/d41586-018-06210-w, PMID 30206391, bibcode:2018Natur.561..161M.
  67. Sarah Kaplan, Antonia Noori Farzan: She made the discovery, but a man got the Nobel. A half-century later, she's won a $3 million prize In: The Washington Post, 8 September 2018 
  68. Pallab Ghosh: Fund to counter physics 'white male bias', BBC News, 6 September 2018 
  69. CfA Colloquium: The discovery of pulsars – a graduate student's tale. 13. Februar 2020, abgerufen am 25. August 2024.
  70. Nobel Prize | Lund University. Abgerufen am 18. August 2024 (englisch).
  71. Katie McCormick: From Measuring Electrons to Inspiring Underrepresented Scientists. In: Physics. Band 15, 16. Juni 2022, S. 84 (aps.org [abgerufen am 31. August 2024]).
  72. Dr Brian Keating: Nobel Laureate Donna Strickland On Sexism in Science. 26. Dezember 2023, abgerufen am 31. August 2024.
  73. Nobel Prize: Andrea Ghez, Nobel Prize in Physics 2020: Official Interview. 24. August 2023, abgerufen am 31. August 2024.
  74. Fermion gas achieves quantum degeneracy. In: Physics World. 12. Jahrgang, Nr. 10, 5. April 1999, S. 5, doi:10.1088/2058-7058/12/10/2 (englisch).
  75. B. DeMarco, D. S. Jin: Onset of Fermi Degeneracy in a Trapped Atomic Gas. In: Science. 285. Jahrgang, Nr. 5434, 10. September 1999, S. 1703–1706, doi:10.1126/science.285.5434.1703, PMID 10481000 (englisch).
  76. Markus Greiner, Cindy A. Regal, Deborah S. Jin: Emergence of a molecular Bose–Einstein condensate from a Fermi gas. In: Nature. 426. Jahrgang, Nr. 6966, 2003, S. 537–540, doi:10.1038/nature02199, PMID 14647340, bibcode:2003Natur.426..537G (englisch, zenodo.org).
  77. J. P. Gaebler, J. T. Stewart, T. E. Drake, D. S. Jin, A. Perali, P. Pieri, G. C. Strinati: Observation of pseudogap behaviour in a strongly interacting Fermi gas. In: Nature Physics. 6. Jahrgang, Nr. 8, 4. Juli 2010, S. 569–573, doi:10.1038/nphys1709, arxiv:1003.1147, bibcode:2010NatPh...6..569G (englisch).
  78. Deborah Jin Award for Outstanding Doctoral Thesis Research in Atomic, Molecular, or Optical Physics. Abgerufen am 31. August 2024 (englisch).
  79. Deborah Jin's Legacy Honored by DAMOP. Abgerufen am 31. August 2024 (englisch).