Arnulf Baring

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Arnulf Baring (2002)

Arnulf Martin[1] Baring (* 8. Mai 1932 in Dresden) ist ein deutscher Jurist, Publizist, Politikwissenschaftler, Zeithistoriker und Autor. Er ist emeritierter Professor an der Freien Universität Berlin.

Werdegang

Arnulf Baring stammt aus einem deutschen Zweig der deutsch-britischen Bankiersfamilie Baring. Geboren wurde er als Sohn des späteren Senatspräsidenten beim Bundesverwaltungsgericht in Berlin, Martin Baring. Seit 1986 ist er verheiratet mit Gabriele Baring geborene Oettgen. Baring ist Vater von vier Kindern, die Töchter Juliane und Susanne entstammen der ersten Ehe, Anna und Moritz der zweiten Ehe.

Arnulf Baring besuchte das Gymnasium in Berlin-Zehlendorf. 1943 bis 1945 lebte er bei einer Großmutter in Dresden; dort überlebte er knapp den Feuersturm, den vor allem britische Bomber im Februar 1945 verursachten.[2] Nach dem Abitur studierte er Jura und politische Wissenschaft in Hamburg, Berlin, Freiburg im Breisgau, New York, Speyer und Paris. In dieser Zeit war er Stipendiat des Evangelischen Studienwerks Villigst.[3] 1957 erwarb er einen Master of Arts von der Columbia University. Von 1956 bis 1958 war er Assistent am 'Institut für Staatslehre, Staats- und Verwaltungsrecht' der Freien Universität Berlin, wo er 1958 auf Basis der Dissertation Der Vertreter des öffentlichen Interesses im deutschen Verwaltungsprozeß zum Dr. jur. promoviert wurde.[4]

Anschließend war Baring, ehemaliger Schüler von Karl August Bettermann, Lehrbeauftragter an der Deutschen Hochschule für Politik. An der Fondation nationale des sciences politiques[5] der Universität Paris gastierte er von 1960 bis 1962. Von 1962 bis 1964 war er Redaktionsmitglied (Politik) des Westdeutschen Rundfunks (WDR) in Köln. Zwischen 1966 und 1968 war Baring wissenschaftlicher Assistent am Institut für Staatslehre, Staats- und Verwaltungsrecht und Lehrbeauftragter am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin, wo er sich nach den alten Regeln vor der Reform an der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät 1968 mit einer durch Gilbert Ziebura betreuten Arbeit über die Außenpolitik in Adenauers Kanzlerdemokratie habilitierte.

Nach einem einjährigen Forschungsaufenthalt auf Einladung Henry Kissingers am Center for International Affairs der Harvard University wurde er im Herbst 1969 zum ordentlichen Professor für Politikwissenschaft, Theorie und vergleichende Geschichte der politischen Herrschaftssysteme an der FU Berlin berufen. Dort übernahm er am Otto-Suhr-Institut den Lehrstuhl für Theorie und vergleichende Geschichte der politischen Herrschaftssysteme. Diesen hatte er bis zu seinem Wechsel auf den 'Lehrstuhl für Zeitgeschichte und Internationale Beziehungen' (Friedrich-Meinecke-Institut) im Jahr 1976 inne. Seit 1998 ist Baring emeritiert. Zu seinen akademischen Schülern gehören u.a. Dominik Geppert, Bolko von Oetinger und Wulf Schmiese.

Von 1976 bis 1979 war er im Bundespräsidialamt tätig. 1983 wurde Baring, weil er Hans-Dietrich Genscher im Bundestagswahlkampf unterstützt hatte, aus der SPD ausgeschlossen, bei der er seit 1952 Mitglied gewesen war.[6] Heute steht er keiner Partei nahe; er unterstützt Stiftungen wie die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung, die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung und war Botschafter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.[7][8]

In den 1990er Jahren wurde Baring mit seinen Büchern Scheitert Deutschland? und Es lebe die Republik, es lebe Deutschland! außerhalb der Wissenschaft mit liberalen und patriotischen Anschauungen bekannt. Als Hochschullehrer öffnete er sein Haus vielen begabten Studenten, die teilweise kostenfrei bei ihm wohnen konnten. Von 1986 bis 1988 war er Gastprofessor an der Stiftung Wissenschaft und Politik in Ebenhausen, Fellow am Woodrow Wilson International Center for Scholars in Washington, D.C. und Senior Research Associate am Institute for East-West Security Studies in New York. 1992/1993 war Baring Mitglied (Member) des Institute for Advanced Study in Princeton und 1993/1994 Fellow am St Antony’s College in Oxford.

Er engagiert sich für die Aufarbeitung der SED-Diktatur, seit 2003 ist er Gründungsmitglied des Fördervereins der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen.[9] Außerdem ist er Unterstützer des Zentrums gegen Vertreibungen[10][11] und Mitglied im Beirat der Atlantischen Initiative.[12] Ab 1972 war er Mitherausgeber der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte.

Baring ist als gefragter Gesprächspartner des Öfteren zu Gast bei Talkshows wie Anne Will, hart aber fair sowie Menschen bei Maischberger. Im Juli 2009 hielt Baring eine Festtagsrede beim Deutschen Atomforum, für die er von der Lobbyagentur Deekeling Arndt bezahlt wurde. Er trat als „unparteiischer, aber leidenschaftlich engagierter Bürger“[13] für die Atomkraft ein. Auf Nachfrage sagte er, die Agentur habe ihm vorher zugearbeitet und Informationen geliefert.[14] Damals gab es - auch im Rahmen des Wahlkampfes zur Bundestagswahl im September 2009 - eine Kampagne zu einer Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke. Die FAZ veröffentlichte Barings Rede als umfangreichen Gastbeitrag.[15][16]

Positionen und Kontroversen

Arnulf Baring setzte sich während seiner gesamten Laufbahn mit der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland auseinander. Dabei löste er mehrmals Diskussionen aus.

Schon früh, im Jahre 1997, warnte Baring in seinem Buch Scheitert Deutschland? vor der Währungsunion zahlreicher europäischer Länder (Einführung des Euro) und der „Aufnahme Griechenlands in die Europäische Union. Und er sagte voraus, was jetzt tatsächlich eingetreten ist: Deutschland drohe finanzpolitisch erpresst zu werden; und weil wir Währungsdisziplin fordern, würden die anderen Länder uns für deren Probleme verantwortlich machen. Damit riskierten die Deutschen, als Wirtschaftspolizisten in Verruf zu geraten und einmal mehr zum bestgehassten Volk in Europa zu werden.“[17]

„Die Währungsunion wird daher am Ende auf ein gigantisches Erpressungsmanöver hinauslaufen. Man wird uns sagen: Wenn ihr wollt, dass die Währungsunion funktioniert und uns Europa nicht um die Ohren fliegt, dann müssen wir künftig Transferzahlungen leisten. Deshalb sind die Steuern zu erhöhen, ist unsere Konkurrenzfähigkeit gegenüber Drittländern entsprechend zu reduzieren.“

Arnulf Baring: Scheitert Deutschland?, 1997, S. 210

Durch die seit 2009 andauernde Eurokrise sieht Baring sich in seinen Prognosen bestätigt; er bezeichnete die Währungsunion für die größte Fehlentscheidung Deutschlands nach 1945.[18]

Im November 2002 erschien in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein vielbeachteter Artikel mit dem Titel Bürger auf die Barrikaden,[19] in dem Baring das „erstarrte Parteiensystem“ für die Reformschwäche der Bundesrepublik verantwortlich machte. Weiter heißt es in diesem Artikel: „Wir dürfen nicht zulassen, dass alles weiter bergab geht, hilflose Politiker das Land verrotten lassen.“

2003 verteidigte Baring öffentlich den CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann, der mit dem Vorwurf, eine antisemitische Rede gehalten zu haben, aus der CDU ausgeschlossen werden sollte.

2006 wurde eine angebliche Äußerung Barings über den Holocaust kritisiert. Bei einem Auftritt während einer CDU-Veranstaltung soll er laut einem Bericht der Frankfurter Rundschau vom 9. September 2006 die Auffassung geäußert haben, die Darstellung der Judenvernichtung als „einzigartiges und unvergleichbares Verbrechen“ (vgl. Singularitätsdebatte) sei übertrieben. SPD und Grüne warfen ihm daraufhin Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialismus vor.[20] Baring wies die Vorwürfe zurück; seine Äußerung, die einer frei gehaltenen Rede entnommen wurde, sei aus dem Zusammenhang gerissen worden. Man versuche, ihn in die „rechtskonservative Ecke“ zu stellen.[21] Der kritisierte Passus lautete wörtlich und im Zusammenhang so:

„Natürlich ist vollkommen klar, dass die zwölf Jahre Hitler mit uns sein werden, solange es Deutsche gibt. Auch wenn wir selber geneigt wären, einen Schlussstrich zu ziehen, wird uns dieser zwölf Jahre lange Zeitraum immer anhängen. Das ist eine Katastrophe gewesen, und die Verbrechen haben uns anhaltend beschädigt. Aber es ist ebenso wahr, dass diese zwölf Jahre und die verbrecherischen Züge dieser Zeit nicht das Ganze unserer Geschichte ausmachen, dass dies eine beklagenswerte Entgleisung gewesen ist, dass wir im Grunde genommen nur mit Trauer an diese Phase zurückdenken, dass dies eben eine Vergangenheit ist, die nicht vergehen will, dass eben doch die deutsche Geschichte nicht in dieser Phase kumuliert, sonders dass es lange Jahrhunderte deutscher Tüchtigkeit und deutscher Friedlichkeit vorher gegeben hat. […] Auch dies ist ein Teil dieser Geschichte, zu der wir uns bekennen sollten.“[22]

Baring vertritt die Ansicht, es gebe zuviel Regulierung in Deutschland und bezeichnete die Bundesrepublik 2002 als »DDR light«.[23] Der Sozialstaat, so äußerte Baring in Fernsehshows[24] und seinen Publikationen,[25] sei in Deutschland viel zu ausgeprägt und verursache eine Stagnation im Land. Im Oktober 2008 kritisierte Susanne Gaschke diese Aussagen Barings und anderer Vertreter des Wirtschaftsliberalismus in der Zeit mit Blick auf die Finanzkrise ab 2007. Das unbeachtete Verhalten von Bankiers und Spekulanten habe sich, so Gaschke, als viel größere Krisenursache entpuppt. Baring verurteile die „drohnenhafte Herrschaftsklasse“ jedoch nicht für diesbezügliche Fehler, sondern weil sie den Sozialstaat nach seiner Sicht nicht genügend abgebaut habe.[23][26]

Im September 2010 äußerte sich Baring in Fernsehsendungen bei Frank Plasberg und Anne Will zur Diskussion um Thilo Sarrazins Buch Deutschland schafft sich ab. Das Werk selbst erscheine ihm nach der Lektüre „eines großen Teils“ als ein „sehr seriöser, ernsthafter, nachdenklicher, gut belegter Essay in einer Frage, die wir seit Jahrzehnten vor uns herschieben“.[27] Dass die Kanzlerin das Buch ohne genaue Kenntnis verurteilt und die Bundesbank dazu gedrängt habe, Sarrazins Entlassung anzubahnen, schließlich nach wenigen Tagen äußerte, die Bundesbank habe in voller Souveränität entschieden, bezeichnete Baring als „Verhöhnung der Bundesbank“ und der Bürger insgesamt.[28]

Baring, der zuvor Sympathisant von Karl-Theodor zu Guttenberg gewesen war, kritisierte diesen aufgrund dessen plagiierter Dissertation[29] und warf ihm charakterliche Mängel vor.[30]

Werke

  • Außenpolitik in Adenauers Kanzlerdemokratie: Bonns Beitrag zur europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Oldenbourg, München 1969.
  • Sehr verehrter Herr Bundeskanzler! Heinrich von Brentano im Briefwechsel mit Konrad Adenauer 1949–1964. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1974, ISBN 3-455-00305-2.
  • Machtwechsel. Die Ära Brandt-Scheel. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1982, ISBN 3-421-06095-9.
  • Scheitert Deutschland? Der schwierige Abschied von unseren Wunschwelten. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1997, ISBN 3-421-05095-3.
  • Es lebe die Republik, es lebe Deutschland! Stationen demokratischer Erneuerung 1949–1999. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1999, ISBN 3-421-05194-1.
  • Kanzler, Krisen, Koalitionen. Siedler, Berlin 2002, ISBN 3-88680-762-2.
  • Der Unbequeme. Autobiografische Notizen. Europa Verlag, Berlin 2013, ISBN 978-3-944305-12-7.

Literatur

  • Arnulf Baring in Internationales Biographisches Archiv 11/2011 vom 15. März 2011 (se) Ergänzt um Nachrichten durch MA-Journal bis KW 03/2014, im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar)

Auszeichnungen

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Arnulf Baring im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar)
  2. FAZ.net 4. Mai 2015: Interview (FASZ 3. Mai 2015, S. 49)
  3. Arnulf Baring: Der Unbequeme. Autobiografische Notizen. Europa Verlag, Berlin 2013, S. 135.
  4. Katalog Deutsche Nationalbibliothek,
    Katalog Österreichischer Bibliothekenverbund.
  5. Homepage
  6. focus.de
  7. taz.de
  8. www.arnulf-baring.de: Links
  9. Homepage des Fördervereins der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Gründung
  10. Unterstützer Überblick
  11. Stellungnahmen zur Motivation
  12. Mitglieder und Beirat. Atlantische Initiative e.V., abgerufen am 20. August 2012.
  13. Die Geheimpapiere der Atomlobby. In: taz. 28. Oktober 2011, abgerufen am 23. November 2011.
  14. Stimmungswandel im Auftrag der Atomlobby. In: Frankfurter Rundschau. 1. November 2011, abgerufen am 23. November 2011.
  15. FAZ vom 2. Juli 2009, S. 12: Geschichte eines Realitätsverlusts
  16. Zur Rezeption siehe z.B. Jürgen Trittin: Die Realitäten der Atomenergie (16. Juli 2009)
  17. Achim Stoltenberg: Arnulf Baring rät zum Auszug aus der Eurozone. Berliner Morgenpost, 26. Juli 2012, abgerufen am 24. Dezember 2013.
  18. Achim Stoltenberg: Arnulf Baring rät zum Auszug aus der Eurozone. Berliner Morgenpost, 26. Juli 2012, abgerufen am 24. Dezember 2013.
  19. Arnulf Baring: Bürger, auf die Barrikaden! Deutschland auf dem Weg zu einer westlichen DDR
  20. hr-online vom 9. September 2006 Empörung über Historiker-Rede auf CDU-Veranstaltung (Memento vom 10. Oktober 2009 im Internet Archive)
  21. „Das ist widerwärtig“ focus, 25. September 2006
  22. „Eine Katastrophe.“ Mitschnitt der Rede Barings über die deutsche Geschichte. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 19. September 2006.
  23. a b Susanne Gaschke: Neoliberalismus – Die Neunmalklugen. Die Zeit vom 16. Oktober 2008.
  24. Talkshow – Maischberger – Deutsche Welle 23. November 2011
  25. vgl. z.B. Philipp Genschel: Die Globalisierung und der Wohlfahrtsstaat. Ein Literaturrückblick. MPIfG Working Paper 03/5, Mai 2003; Rezension von Arnulf Baring: Scheitert Deutschland? "Die Deutschen: Erschöpft? Verwöhnt? Unbeweglich?" in: Der Deutsche Lehrer im Ausland, Verbandszeitschrift des VdLiA, 1998; Interview im Stern mit Friedhelm Hengsbach zu den Äußerungen von Baring, 19. November 2003
  26. Stefan Gärtner, Deutschlandmeise: Streifzüge durch ein wahnsinniges Land, Februar 2012, Atrium Verlag AG, Zürich, isbn=978-3-03792-010-7
  27. Hart aber fair, Sendung vom 1. September 2010.
  28. Anne Will (Fernsehsendung) vom 12. September 2010.
  29. „Guttenberg ist ein Mogelpeter vor dem Herrn“, Arnulf Baring im Interview mit der Welt am Sonntag
  30. Karl-Theodor zu Guttenberg – Der Mogelpeter. Handelsblatt, 28. Dezember 2011, abgerufen am 28. Dezember 2011.
  31. Hoher Orden für Professor Arnulf Baring. In: Berliner Kurier. 12. März 1998, abgerufen am 11. September 2015.
  32. Die Europäischen Kulturpreisträger (Memento vom 8. Oktober 2008 im Internet Archive)