Aki Kaurismäki

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Aki Kaurismäki (2012)

Aki Olavi Kaurismäki [ˈɑki ˈkɑu̯rismækiAudiodatei abspielen (* 4. April 1957 in Orimattila) ist ein vielfach preisgekrönter finnischer Filmregisseur.

Leben und Werk

Aki Kaurismäki studierte an der Universität Tampere Literatur- und Kommunikationswissenschaften. Neben diversen Aushilfsjobs, etwa als Briefträger oder in der Gastronomie, war er Herausgeber eines universitären Filmmagazins. Darüber hinaus schrieb er von 1979 bis 1984 Filmkritiken für das Magazin Filmihullu. Das erste Drehbuch folgte 1980 für den mittellangen Film Der Lügner (Valehtelija), bei dem sein Bruder Mika Regie führte.[1]

Kaurismäkis Filme thematisieren häufig Schicksale von gesellschaftlichen Außenseitern in städtischen Zentren wie Helsinki. Sie sind nicht nur für ihre sparsamen Dialoge, sondern auch für einen skurril-lakonischen Humor bekannt. Kaurismäki arbeitet regelmäßig mit einem festen Stamm befreundeter Schauspieler und Musiker, die seine Filme auch stilistisch prägen bzw. prägten: Matti Pellonpää, Kati Outinen, Kari Väänänen und Sakke Järvenpää. Als Reminiszenz an Alfred Hitchcock hat er in seinen Filmen gelegentlich Cameo-Auftritte, wie sie auch Hitchcock pflegte.

In Deutschland wurden seine Filme zum ersten Mal 1986 auf dem Filmfestival Grenzland-Filmtage in Selb gezeigt. Aki Kaurismäki führte dabei die Filme Der Lügner, Calamari Union und Schuld und Sühne persönlich vor.[2] Während des Festivals schrieb er das Drehbuch für seinen Film Schatten im Paradies, den er 1988 erneut persönlich bei den Grenzland-Filmtagen in Selb präsentierte. Dieser Film brachte ihm den internationalen Durchbruch. Ein Großteil der Filmmusik kam von der Band Nardis aus Erlangen, die Kaurismäki 1986 auf den Grenzland-Filmtagen kennengelernt hatte.

Dem breiten deutschen Publikum bekannt wurde der finnische Regisseur durch seine Teilnahme an der Berlinale 1988. Für großes Aufsehen sorgte Kaurismäki im Herbst 2006, als er sich weigerte, seinen Film Lichter der Vorstadt als offiziellen finnischen Beitrag für eine Oscar-Nominierung in der Kategorie Bester fremdsprachiger Film zuzulassen, obwohl das Drama von der finnischen Filmkammer einstimmig ausgewählt worden war. Kaurismäki begründete seine Ablehnung mit seiner seit Jahren vertretenen kritischen Haltung gegen den Irak-Krieg der USA.[3]

Zusammen mit seinem Bruder Mika Kaurismäki gründete er das Midnight Sun Film Festival im lappischen Sodankylä sowie die Verleihfirma Villealfa. Dieser Name geht zurück auf die Figur Ville Alfa, den Protagonisten im Film Der Lügner. Gleichzeitig handelt es sich um ein Anagramm von Alphaville, einem Film von Jean-Luc Godard.

Im Jahr 1989 emigrierte Kaurismäki zusammen mit seiner Frau nach Portugal, weil „es in ganz Helsinki keinen Platz mehr gebe, wo er seine Kamera noch postieren könne“.[4]

Rainer Gansera, der für die Zeitschrift epd Film mit dem „Chef-Melancholiker des europäischen Autorenkinos“ 2006 in Hof gesprochen hat, zeigte sich auch von seinem Auftreten persönlich beeindruckt und beschrieb atmosphärisch:

„Gut gekühlter Weißwein, Zigaretten, eine nach der anderen, leise Stimme, fast flüsternd, als wolle er – wie ein Hypnotiseur – sein Gegenüber ganz und gar auf die beschwörende Stimme konzentrieren. Keinerlei expressive Gesten. [Seine Filme] sind schlingernde Stimmungsreisen: durch Hochs und Tiefs, durch Abgründe (erst allmählich bemerkt man, dass es vor allem die Abgründe des Selbstzweifels sind) und Erleuchtungen, grundiert von einem scharfkantigen, trockenen Humor.“

Rainer Gansera: epd Film 12/2006, S. 25

Als persönliche Leitbilder sehe Kaurismäki Bresson, Ozu und Godard. Der Ausbildung an den Filmhochschulen seines Landes konnte er dagegen nicht viel Positives abgewinnen.

Bei Pandora sind Ende 2006 als „Aki Kaurismäki DVD-Collection“ 14 Spielfilme und fünf Kurzfilme (mit digital restaurierten Bildern) in vier Boxen erschienen.[5]

2011 stellte Kaurismäki nach fünf Jahren mit Le Havre wieder einen Spielfilm fertig, der ihm eine Einladung in den Wettbewerb der 64. Internationalen Filmfestspiele von Cannes einbrachte. Der in Frankreich gedrehte Film handelt von einem Schuhputzer aus der gleichnamigen Hafenstadt, der sich eines illegalen Flüchtlingskindes aus Afrika annimmt. Le Havre gewann in Cannes den FIPRESCI-Preis.[6]

Filmografie

als Regisseur
als Schauspieler

Auszeichnungen

Jahr Festival – Preis Film
1984 Jussi – Bester Erstlingsfilm, Bestes Drehbuch (geteilt mit Pauli Pentti) Schuld und Sühne
1989 Internationales Filmfestival MoskauFIPRESCI-Preis, Nominierung Goldener St. George Ariel
1990 Internationale Filmfestspiele BerlinInterfilm Award/Otto Dibelius Film Award im Internationalen Forum des jungen Films; OCIC Award, lobende Erwähnung im Internationalen Forum des jungen Films Das Mädchen aus der Streichholzfabrik
1991 Jussi – beste Regie Das Mädchen aus der Streichholzfabrik
1992 Internationale Filmfestspiele Berlin – FIPRESCI-Preis im Internationalen Forum des jungen Films Das Leben der Bohème
1993 Jussi – beste Regie Das Leben der Bohème
1996 Internationale Filmfestspiele von CannesPreis der Ökumenischen Jury spezielle Erwähnung, Nominierung für die Goldene Palme Wolken ziehen vorüber
1996 Internationales Filmfestival Sao Paulo – Publikumspreis, Bester Film Wolken ziehen vorüber
1997 Internationales Filmfestival TromsøImport Award Wolken ziehen vorüber
1997 Jussi – Beste Regie, Bestes Drehbuch Wolken ziehen vorüber
1999 Internationales norwegisches Filmfestival – Nominierung für Amanda, Bester nordischer Spielfilm (Nordisk Amanda) Juha
1999 Internationale Filmfestspiele Berlin – Preis der C.I.C.A.E., lobende Erwähnung im Internationalen Forum des jungen Films Juha
1999 Internationales Filmfestival Valladolid – Nominierung für die Goldene Ähre Juha
2000 Jussi – Nominierung, Beste Regie Juha
2002 Europäischer Filmpreis – Nominierungen für den Publikumspreis, Bester Regisseur, Bester Film, Bester Drehbuchautor Der Mann ohne Vergangenheit
2002 Internationales Filmfestival San SebastiánFIPRESCI-Film des Jahres Der Mann ohne Vergangenheit
2002 Filmfest Hamburg – Douglas-Sirk-Preis Verdienste um Filmkultur
2002 Internationale Filmfestspiele von Cannes – Großer Preis der Jury, Preis der Ökumenischen Jury, Nominierung für die Goldene Palme Der Mann ohne Vergangenheit
2002 Internationales Filmfestival FlandernGoldene Spur Der Mann ohne Vergangenheit
2002 Nordische Filmtage Lübeck – Publikumspreis der Lübecker Nachrichten Der Mann ohne Vergangenheit
2002 Nordischer RatFilmpreis des Nordischen Rates Der Mann ohne Vergangenheit
2002 Oscar – Nominierung, Bester fremdsprachiger Film Der Mann ohne Vergangenheit
2003 Bodil – Nominierung, Bester nicht-amerikanischer Film Der Mann ohne Vergangenheit
2003 César – Nominierung, Bester EU-Film Der Mann ohne Vergangenheit
2003 Internationales Filmfestival BangkokGolden Kinnaree Award, Bestes Drehbuch; Nominierung für den Golden Kinnaree Award, Bester Film Der Mann ohne Vergangenheit
2003 Internationales Filmfestival Palm Springs – FIPRESCI-Preis Der Mann ohne Vergangenheit
2003 Jussi – Beste Regie, Bestes Drehbuch Der Mann ohne Vergangenheit
2003 Robert Festival – Bester nicht-amerikanischer Film Der Mann ohne Vergangenheit
2003 Sindacato Nazionale Giornalisti Cinematografici Italiani – Nominierung für den Nastro d’Argento, Bester Regisseur ausländischer Film Der Mann ohne Vergangenheit
2004 Camerimage – Spezialpreis, Bestes Duo Regisseur-Kameramann (geteilt mit Timo Salminen)
2004 Chlotrudis Award – Nominierung, Bestes Originaldrehbuch Der Mann ohne Vergangenheit
2004 Preis der argentinischen Filmkritikervereinigung – Nominierung für den Silberner Kondor, Bester ausländischer Film Der Mann ohne Vergangenheit
2005 Kunstpreis Berlin – Film- und Medienkunst
2006 Internationale Filmfestspiele von Cannes – Nominierung für die Goldene Palme Lichter der Vorstadt
2006 Internationales Filmfestival von LocarnoEhrenleopard Lebenswerk
2007 Jussi – Bester Film, Beste Regie Lichter der Vorstadt
2011 FIPRESCI-Preis Le Havre
2011 Filmfest München – Arri-Preis Le Havre
2011 Goldener Hugo Chicago International Film Festival Le Havre
2011 Louis-Delluc-Preis Le Havre
2012 Jussi – Bester Film, Beste Regie, Bestes Drehbuch Le Havre
2012 Murnau Filmpreis der Sozietät Streitbörger Lebenswerk

Literatur

  • Peter von Bagh: Kaurismäki über Kaurismäki. Alexander, Berlin 2014, ISBN 978-3-89581-342-9. (Gespräche und Essays mit rund 200 Abbildungen)
  • Beate Rusch (Hrsg.): Schatten im Paradies. Von den „Leningrad Cowboys“ bis „Wolken ziehen vorüber“ – Die Filme von Aki Kaurismäki. Berlin, Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag 1997, ISBN 3-89602-119-2 (Fotografien von Marja-Leena Hukkanen, mit Begleittexten von Aki Kaurismäki)
  • Jochen Werner: Aki Kaurismäki, Mainz, Bender 2005, 352 S., 500 s/w-Abb., ISBN 3-936497-08-7 (Analyse aller Kaurismäkifilme und ein langes Interview mit Kaurismäki)
  • Ulrike Hanstein: Unknown Woman, geprügelter Held: die melodramatische Filmästhetik bei Lars von Trier und Aki Kaurismäki. Berlin, Alexander 2011, ISBN 3-89581-255-2
  • Ralph Eue und Linda Söffker (Hrsg.): Aki Kaurismäki (film: 13).[8] Mit Beiträgen von Lars-Olav Beier, Harun Farocki, Ulrich Gregor, Anke Leweke und Jan Schulz-Ojala. Berlin, Bertz + Fischer Verlag 2006, 224 S., 207 s/w-Fotos / Bildsequenzen, ISBN 3-929470-89-6
  • Reinhold Zwick: Wolken ziehen herauf und vorüber. Strukturen des Komischen in der Bibel und bei Aki Kaurismäki , in: St.Orth/J.Valentin/R.Zwick (Hg.), Göttliche Komödien. Religiöse Dimensionen des Komischen im Kino (Film und Theologie, Bd. 2), Köln 2001, S. 69–95
  • Reinhold Zwick: Selig die Armen in den Wohncontainern. Aki Kaurismäki und seine Tragikomödie „Der Mann ohne Vergangenheit“ , in: Stimmen der Zeit 128 (2003), S. 546–560
  • Reinhold T. Schöffel: Grenzland Filmtage. Programm. Grenzlandfilmtage e.V., Wunsiedel 1986, S. 15–18

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Ralph Eue: Biografische Skizze. In: Ralph Eue und Linda Söffker, S. 188–191
  2. Grenzland Filmtage. Programm. Grenzlandfilmtage e.V., Wunsiedel 1986, S. 15–18
  3. epd Film 12/2006, S. 25
  4. Eue, S. 189
  5. epd Film 3/2007, S. 50
  6. Hopewell, John: 'Le Havre' win top Fipresci crits' award bei variety.com, 21. Mai 2011 (aufgerufen am 22. Mai 2011)
  7. http://www.imdb.com/title/tt0097753/
  8. Rezension von Dietmar Kammerer, taz vom 12. Oktober 2006, abgerufen 16. September 2012