Jörg Asmussen

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Jörg Asmussen im März 2012

Jörg Asmussen (* 31. Oktober 1966 in Flensburg) ist ein deutscher Ökonom und Mitglied der SPD.

Ämter

Bundesfinanzminister Hans Eichel machte ihn 2003 zum Ministerialdirektor. Während der Großen Koalition von 2005 bis 2009 unterstützte er Deregulierungen im Finanzsektor. Als Mitglied im Aufsichtsrat, unter anderem bei der IKB Deutsche Industriebank,[1] setzte er sich offen für den Kauf US-amerikanischer Hypothekendarlehen und einen Ausbau des Handels mit forderungsbesicherten Wertpapieren (englisch asset-backed securities, Abkürzung ABS) ein. Diese Formen des Börsenhandels führten die IKB in die Krise und gelten als Auslöser der Finanzkrise ab 2007.

In seiner Eigenschaft als Abteilungsleiter und später Staatssekretär war Asmussen Mitglied im Aufsichtsrat der IKB sowie der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), also zweier Bankhäuser, und zudem Verwaltungsratsvorsitzender der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), einer Organisation, die den Banken riskanten Handel mit Wertpapieren verbieten soll. Daraus entstand der Vorwurf vieler Kritiker, Asmussen habe in Kontrollgremien gesessen, die seine eigenen Geschäfte kontrollierten.[2]

Zum 1. Juli 2008 wurde Jörg Asmussen beamteter Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Am 1. Januar 2012 trat er die achtjährige Amtszeit eines Mitglieds des Direktoriums der Europäischen Zentralbank an.[3] Sein Nachfolger im Finanzministerium ist Thomas Steffen.[4] Nach knapp zwei Jahren wechselte er als beamteter Staatssekretär auf Wunsch von Andrea Nahles ins Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Kabinett Merkel III. Dort war er bis Ende 2015 unter anderem für Fragen der Alterssicherung zuständig.[5][6] Anfang 2016 übernahm dieses Amt die frühere Generalsekretärin der SPD, Yasmin Fahimi. Asmussen befindet sich seitdem im einstweiligen Ruhestand.[7]

Im März 2016 wurde bekannt, dass Asmussen ab Ende März Mitglied des Aufsichtsrats der im Jahr 2010 gegründeten britischen Peer-to-Peer-Kredit-Plattform Funding Circle wird.[8]

Leben

Nach dem Abitur an der Goethe-Schule in Flensburg studierte Asmussen Volkswirtschaftslehre in Gießen und Bonn (u. a. bei dem Professor für Internationale Ökonomie Axel A. Weber) und erwarb zusätzlich einen MBA an der Mailänder Wirtschaftsuniversität Luigi Bocconi.

Im Jahr 1996 begann er seine Karriere im Bundesministerium der Finanzen unter dem damaligen Finanzminister Theo Waigel als Referent für internationale Finanz- und Währungspolitik. Als nach dem Regierungswechsel 1998 Oskar Lafontaine das Finanzministerium übernahm, wurde er Persönlicher Referent des neuen Staatssekretärs Heiner Flassbeck. Die Kompetenz Asmussens wurde von Flassbeck als „mittelmäßig“ eingeschätzt und Asmussen nicht für hohe Aufgaben empfohlen.[9] Nach dem Rücktritt Oskar Lafontaines machte ihn der neue Minister Hans Eichel zum Leiter seines Ministerbüros. Nach einer kurzen Zeit als Unterabteilungsleiter in der Europaabteilung übernahm Asmussen zum 1. März 2003 die Leitung der Abteilung für Nationale und Internationale Finanzmarkt- und Währungspolitik.

Asmussen überzeugte Eichel von der Idee, seinen früheren Lehrmeister Axel Weber zum neuen Präsidenten der Deutschen Bundesbank als Nachfolger des im April 2004 zurückgetretenen Ernst Welteke zu machen. Zwei Jahre zuvor war es ebenfalls Asmussens Einfall gewesen, Weber in den Kreis der fünf Wirtschaftsweisen der Bundesregierung zu berufen.[9]

Beim Koalitionsvertrag 2005 (CDU/CSU/SPD) setzte sich Asmussen dafür ein, die Punkte des Abbaus „überflüssige[r] Regulierungen“ und den „Ausbau des Verbriefungsmarktes“ für den Finanzmarkt aufzunehmen.[10]

Während seiner Zeit als Abteilungsleiter saß Asmussen als Vertreter des Bundes im Aufsichtsrat der Mittelstandsbank IKB, die im Sommer 2007 infolge der Krise am US-amerikanischen Subprime-Markt in eine Schieflage geraten war und zu deren Rettung die staatseigene Förderbank KfW Milliarden zur Verfügung stellen musste. Asmussen setzte sich damals stark dafür ein, jene Papiere zu kaufen, die später die Krise der IKB auslösten.[11][12]

Er saß als Vertreter des Finanzministeriums auch im Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Asmussen war im Auftrag des Ministeriums Mitglied im Gesellschafterbeirat der Finanz-Lobbyorganisation True Sale International GmbH (TSI), die sich für den Ausbau des deutschen Verbriefungsmarktes über forderungsbesicherte Wertpapiere (ABS) einsetzt.[13] Probleme mit diesen forderungsbesicherten Wertpapieren gelten als eine der Hauptursachen für die Finanzkrise ab 2007. 2013 sagte er der „Zeit“, dass der unter seinem Namen veröffentlichte kontroverse Fachartikel von anderen Beamten des Ministeriums verfasst wurde.[14]

Zum 1. Juli 2008 wurde er zum beamteten Staatssekretär ernannt und löste Thomas Mirow ab. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hielt Asmussen im Amt und überließ ihm unter anderem die Verantwortung zur Politik gegenüber Griechenland während dessen Finanzkrise.[15]

Jörg Asmussen saß im Lenkungsausschuss des Bankenrettungsfonds SoFFin, im Verwaltungsrat der Finanzaufsichtsbehörde BaFin und im „Wirtschaftsfonds Deutschland“, der ohne parlamentarische Kontrolle über Staatsbürgschaften für Unternehmen entscheidet.[9] Er war außerdem eines von sechs Mitgliedern der Expertengruppe „Neue Finanzmarktarchitektur“.[16] Dieses Gremium sollte Vorschläge für neue Finanzmarktregeln (Finanzmarktregulierungen) entwerfen, die unter anderem eine Erhöhung der Markttransparenz zum Ziel haben.

Am 10. September 2011 kündigte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble nach dem Rücktritt des bisherigen Chefvolkswirtes der Europäischen Zentralbank Jürgen Stark an, dass sich die Bundesregierung für die Besetzung des Postens mit Jörg Asmussen einsetzen werde.[17] Die offizielle Ernennung in das EZB-Direktorium erfolgte am 23. Oktober 2011 durch den Europäischen Rat in Brüssel. Entgegen der ursprünglichen Planung und den Wünschen der Bundesregierung übernahm Peter Praet die Position des EZB-Chefvolkswirts,[18] das Direktorium entschied, dass Asmussen das Ressort Internationales erhalten wird.[19]

Im August 2012 vertrat Asmussen eine andere Position als Bundesbankpräsident Jens Weidmann: Das neue Programm zum Ankauf von Staatsanleihen sei vereinbar mit dem Auftrag der EZB. „Wir agieren innerhalb unseres Mandates, das vorrangig darauf ausgerichtet ist, Preisstabilität auf mittlere Sicht für den gesamten Euro-Raum zu garantieren. Nur eine Währung, an deren Fortbestehen es keinen Zweifel gibt, kann stabil sein.“[20] Diese Politik der EZB ist im Zusammenhang mit der Nichtbeistands-Klausel umstritten. Im Juni 2013 verteidigte Asmussen das Anleihekaufprogramm OMT vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.[21]

Mandate in Aufsichtsräten

Jörg Asmussen war – meist aufgrund seiner Funktionen im Bundesministerium der Finanzen – und ist Mitglied verschiedener Aufsichtsräte:

Privates

Asmussens Lebensgefährtin war bis 2016 Henriette Peucker,[22] die von Januar 2003 bis März 2010 die Berliner Repräsentanz der Deutschen Börse leitete. Seit April ist sie bei einer Kommunikationsberatung beschäftigt.[23][24] Aufgrund dieser Beziehung wurde ihm der Vorwurf möglicher Interessenkonflikte und Befangenheit entgegengebracht.[25] Asmussen ist Vater zweier Töchter.

Kritik

Jörg Asmussen zog als einer der führenden Finanzmanager der Bundesrepublik Kritik auf sich. Sie begann mit dem Verdacht eines Interessenkonflikts, weil er als Finanzpolitiker Aufsichts- und Kontrollfunktionen innehält, die auch den Börsenhandel umfassen, seine Frau aber in der Führung der Deutschen Börse saß. Sie gab diese Tätigkeit inzwischen auf.

Das größere Problemfeld bestand in Asmussens miteinander vermischten verschiedenen Funktionen als Entscheider. So war er als Leiter der BaFin von Regierungsseite aus berufen worden, den freien Finanzmarkt zu kontrollieren und in Schranken zu weisen, saß jedoch selbst im Aufsichtsrat einer Bank (der IKB). Zudem war er in beratender Funktion für die Finanzinstitute tätig (TSI). Als die IKB falsch beraten in die Zahlungsunfähigkeit kam, sprang die bundeseigene KfW ein. Auch in deren Aufsichtsrat saß Asmussen.

Als Befürworter der Deregulierung der Finanzmärkte und des Kaufs von ABS und Finanzderivaten war Asmussen ein Kind des Finanzbooms vor 2007. Als die Krise mit dem Zusammenbruch mehrerer Banken begann, wurden gerade die Geschäfte mit diesen hochkomplexen oder riskanten Papieren als Ursachen für den Crash ausgemacht. Kritikern ist es deswegen unverständlich, warum Asmussen in das EZB-Direktorium berufen wurde und jetzt die Krise aus hoher Warte managen soll, die er selbst mit heraufbeschwor. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung nennt ihn „zu clever, um eigene Fehler zu bestreiten“.[26]

Weblinks

Commons: Jörg Asmussen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Asmussen war des Weiteren Mitgründer der True Sale International GmbH (TSI) und Mitglied im Aufsichtsrat der bundeseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau
  2. Süddeutsche Zeitung vom 17. Mai 2010: Asmussens Rollenspiel und TAZ vom 11. September 2011: Ein neoliberaler Genosse.
  3. EU-Pressemitteilung vom 23.Oktober 2011
  4. Nachricht auf dowjones.de vom 2. Januar 2012, abgerufen am 3. Januar 2012
  5. EZB-Direktor: Nahles holt Asmussen als Staatssekretär. In: Spiegel Online vom 15. Dezember 2013.
  6. Draghis bester Mann. FAZ.net (Frankfurter Allgemeine Zeitung), abgerufen am 16. Dezember 2013.
  7. Asmussen geht wohl nicht zur KfW - Tagesspiegel vom 17. Dezember 2015:
  8. Asmussen wird Aufsichtsrat bei Funding Circle. In: Politik & Kommunikation vom 11. März 2016
  9. a b c Jens Berger: Schattenmann unter Beschuss – Staatssekretär Jörg Asmussen muss vor dem HRE-Untersuchungsausschuss unbequeme Fragen beantworten. heise.de, 29. Juni 2009, abgerufen am 23. Januar 2011.
  10. Christoph Schwennicke: Staatssekretär Asmussen – Ikarus in Not. In: Spiegel Online, 15. Juni 2009, abgerufen am 23. Januar 2011
  11. YouTube, Plusminus, 18. Mai 2010
  12. Peter Gauweiler: Wer spart, geht am Ende leer aus. FAZ vom 16. März 2010. Abgerufen am 16. Juli 2013.[1]
  13. Albrecht Müller: Weitere harte Belege für die Mitwirkung des Bundesfinanzministeriums am Casinobetrieb zu unseren Lasten. Nachdenkseiten, 7. April 2008, abgerufen am 23. Januar 2011.
  14. http://www.zeit.de/2013/39/joerg-asmussen-ezb-finanzminister
  15. Porträt: Jörg Asmussen, Manfred Schäfers, FAZ vom 13. April 2010
  16. Matthias Sobolewski, Andreas Möser: Regierung beruft Expertengruppe zur Finanzmarktreform. Reuters, 28. Oktober 2008, abgerufen am 23. Januar 2011.
  17. Deutschland hat entschieden – Asmussen soll zur EZB. n-tv.de, 10. September 2011, abgerufen am 10. September 2011.
  18. Belgier Peter Praet wird neuer Chefvolkswirt der EZB. Abgerufen am 3. Januar 2012.
  19. Asmussen wird nicht Chefvolkswirt der EZB und erhält das Ressort Internationales. Abgerufen am 3. Januar 2012.
  20. Interview (20. August 2012) in der Frankfurter Rundschau: [2], spiegel.de: [3]
  21. http://cep.eu/fileadmin/user_upload/Pressemappe/CEP_in_den_Medien/CEP_in_den_Medien_2013/Sonstige_Artikel_2013/FAZ__Debatte_ueber_EU-Vertragsaenderung_14.06.2013.pdf
  22. Asmussens Liebe scheiterte trotz Verzicht auf Top-Jobs. In: Welt Online. 10. Juli 2016 (welt.de [abgerufen am 11. Juli 2016]).
  23. Peucker vertritt Hering Schuppener in Berlin. Politik & Kommunikation, 16. März 2010, abgerufen am 5. April 2013.
  24. Jörg Asmussen – Manager mit Beamtenstatus. Archiviert vom Original am 6. Oktober 2011; abgerufen am 29. Oktober 2011.
  25. Asmussen bei Finanzaufsicht befangen. Financial Times Deutschland, 13. Juni 2009, archiviert vom Original am 1. Januar 2010; abgerufen am 23. Januar 2011.
  26. Portrait: Jörg Asmussen, FAZ vom 13. April 2010