Maultrommel

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Maultrommel
engl.: Jew´s harp oder jaw harp, ital.: Scacciapensieri, frz.: Guimbarde
Maultrommeln, Eisen, jeweils etwa 8 cm lang
Klassifikation Zupfidiophon
Tonumfang Eintönig, variable Obertöne
Vorlage:Infobox Musikinstrument/Wartung/Parameter Klangbeispiel fehlt


Die Maultrommel ist ein kleines Musikinstrument mit durchschlagender Zunge, dessen Tonerzeugungsprinzip bereits sehr lange auf der Welt weit verbreitet ist. Eine manuell angeregte elastische Zunge schwingt durch die geöffneten Zahnreihen in den Mundhohlraum des Spielers. Deren Ton wird durch Änderung der Größe der Mundhöhle und durch die Atmung klanglich verändert, insbesondere werden einzelne Obertöne hörbar herausgehoben und bilden dadurch die eigentlichen gespielten Töne.

Da eine Maultrommel nur einen begrenzten Tonumfang hat, war sie im Laufe der mitteleuropäischen Musikentwicklung der letzten 200 Jahre als solistisches Musikinstrument fast zum Aussterben verurteilt. Da alle durch verschiedene Anschlag- und Atemtechniken erzeugten Obertöne auf dem Grundton basieren und dieser Grundton immer im Klangbild vertreten ist, gehört die Maultrommel zu den Borduninstrumenten. Im Bereich der Volksmusik wurde sie um 1900 durch die Mundharmonika verdrängt, die ihre Töne ebenfalls mit durchschlagenden Zungen erzeugt, allerdings nur als deren Grundtöne. In Zentral- und Nordasien sind die Bezeichnungen für Maultrommeln meist von turksprachigen Wort qopuz oder vom mongolischen chuur abgeleitet.

Geschichte

Rahmenmaultrommeln aus Bambus, Länge etwa 20 cm

Ihren Ursprung hat sie wahrscheinlich in Asien. Vieles deutet darauf hin, dass die ältesten Ausführungen aus Holz (Bambus) hergestellt wurden. In Europa wurden die ältesten Funde in Ostfrankreich gemacht. 1868 fand man bei Rouen fünf Maultrommeln aus Bronze, wahrscheinlich stammen diese aus gallisch-römischer Zeit (5. bis 7. Jahrhundert).

Lateinisch hieß die Maultrommel in Europa crembalum oder trombula.[1]

Im deutschsprachigen Raum, wo das Instrument besonders in der Volksmusik beliebt war, hieß es Brummeisen[2]. Auszugsweise liest man in der „Allgemeinen musikalischen Zeitung“ Nr. 42 vom 18. Juli 1804 von einem Auftritt in Braunschweig: „Herr Franz Koch unterhielt in seinem Konzerte auf dem Brummeisen mit mancherley Piecen, und fand sehr vielen Beyfall.“ [3]. Von einem Auftritt desselben Herrn Koch mit der Mundharmonika ein Jahr später in Frankfurt am Main wird ebenfalls in der „Allgemeinen musikalischen Zeitung“ Nr. 24 berichtet,[4] dann von einem weiteren Auftritt in Wien im März 1818.[5] Ein letztes Mal wird ein Auftritt in Wien in der „Musikalischen Zeitung“ im November 1823 erwähnt.[6] In den hier angeführten Berichten wird das Instrument als „Mundharmonika“ und nur einmal als „Brummeisen“ bezeichnet.

Eingang in die Hochkulturmusik fand die Maultrommel im Barock, der volkstümliche Instrumente liebte.[1] Johann Georg Albrechtsberger schrieb mehrere Konzerte dafür; Bruno Glatzl, ein Melker Benediktinerpater, gab als überregional bekannter Spieler für Kaiser Joseph II. ein Konzert. Franz Stelzhamer als meisterlicher Spieler hat sie auch literarisch verewigt (D’Ahnl, Versepos 1851, Vs. 220–227).[7]

Bauform

Datei:Maultrommel.jpg
3-er Set mit Bügelmaultrommeln

In der Hornbostel-Sachs-Systematik werden Maultrommeln zu den Zupf-Idiophonen gezählt, andere Instrumentenkundler möchten sie in ihren Klassifikationen von Musikinstrumenten stattdessen zu den Aerophonen zählen. Die Form des Bügels ist regional unterschiedlich, aber das Funktionsprinzip ist überall gleich: Zwischen den Schenkeln eines U-förmigen Rahmens, den man in die Mundhöhle nimmt, ist eine Blattfeder als Federzunge fixiert, die mit dem Finger zum Schwingen angeregt wird. Die Tonhöhe des Grundtons wird in erster Linie bestimmt durch die Länge, Dicke, Härte und Form der Feder. Die Breite der Feder wirkt sich in erster Linie auf Torsionsschwingungen aus.

Maultrommeln werden meist aus Metall, z. B. Eisen, Bronze oder Messing hergestellt. Zu den südostasiatischen Bambusmaultrommeln gehören die genggong, die in der balinesischen Musik und der Musik von Lombok gespielt wird, die karinding im Westen Javas, die angkuoch in Kambodscha, die ruding in Nord-Borneo, die kubing in Mindanao und die hun in der Region Isan im Nordosten Thailands und in Laos.

Entscheidend ist der Obertongehalt einer Maultrommel. Hierbei gilt, je enger der Abstand zwischen Feder und Bügeln ist, desto besser ist der Obertongehalt.

Maultrommeln werden in Norwegen, in der österreichischen Gemeinde Molln, der ostsibirischen Republik Sacha (vormals Jakutien) und der südrussischen Republik Tuwa hergestellt, ferner in der Slowakei, Deutschland, Polen, Italien, Ungarn, Vietnam, Indonesien, Afghanistan, Indien, den Philippinen und den USA.

Spielweise

Michael von Mücke von Kofelgschroa während eines Maultrommel-Solo

Zum Musizieren werden die Schenkel leicht an die Schneidezähne gelegt, die Lippen liegen an den Schenkeln und somit kann die Federzunge leicht in den geöffneten Mundhohlraum schwingen, der als Resonanzraum wirkt. Durch Verändern des Mundhohlraumvolumens und seiner Geometrie (entsprechend der Vokalbildung wie bei „a-o-u-ö-e-i“) entsteht ein Ton mit verschiedenem Obertongehalt und Klangspektrum. Durch das gleichzeitige Hindurchblasen bzw. -ziehen von Luft wird dieser Klang verstärkt. Um den Tonumfang zu erweitern, wechseln Musiker im Spiel oft zwischen mehreren in den Händen gehaltenen Maultrommeln.

„Es gab in der experimentierfreudigen Zeit Ende des 18. und Beginn des 19. Jahrhunderts sehr virtuose Instrumentalisten auf der Maultrommel. So ließ sich z. B. Johann Heinrich Scheibler bis zu zehn Maultrommeln auf eine Tragscheibe montieren. Er nannte das so entstandene Instrument ‚AURA‘. Die Maultrommeln waren auf verschiedene Grundtöne eingestimmt, was sogar chromatische Tonfolgen ermöglichte.“

Walter Maurer: Das Accordion (S. 19)

Ähnliche Mundbewegungen wie bei der Maultrommel werden zur Klangbildung bei Mundbögen ausgeführt. Seit den 1930er Jahren sind im südlichen Afrika, dem Hauptverbreitungsgebiet afrikanischer Mundbögen, in großer Zahl europäische Maultrommeln in Gebrauch.[8]

Musikalische Verwendung

Die musikalische Anwendungspalette reicht vom einfachen „Boing!“ bei Zeichentrickfilmen über moderne Musik bis zur Klassik. Die Maultrommel findet sich fast weltweit als Instrument der Volksmusik, sie gehört auch zum traditionellen Instrumenten-Repertoire des Alpenraumes und ist von Ungarn und Slowenien über die deutsch- und italienischsprachigen Alpenländer bis nach Frankreich und weiter nach Sardinien und Korsika heimisch.

Die spezifisch österreichische Spielweise, bei der mehrere, auf die Hauptstufen (Tonika, Dominante und Subdominante) der Tonleiter gestimmte Maultrommeln verwendet werden, ermöglicht im Gegensatz zum reinen Bordunspiel die Verwendung der Maultrommel auch innerhalb der Dur-Moll-Harmonik, sodass dieses Instrument in der österreichischen Volksmusik ohne Unterbrechung bis heute verwendet wird. Johann Georg Albrechtsberger, der Lehrer Beethovens, schrieb um 1765 sieben Konzerte für Maultrommel, Mandora und Streicher, von denen sich drei in einer Bibliothek in Budapest erhalten haben. Er interpretierte darin Melodien und Stilmittel der zeitgenössischen österreichischen Volksmusik und konnte die Maultrommel aufgrund der Verwendung von verschiedenen Maultrommeln für die Hauptstufen in die Harmonik der Wiener Klassik einbinden. Das Maultrommelspiel in Österreich ist seit 2012 als immaterielles Kulturerbe in Österreich anerkannt.[9]

Auch in Zentralasien und den angrenzenden Berggebieten ist die Maultrommel weit verbreitet, so in der tuvinischen Musik, wo sie zusammen mit Ober- und Untertongesang eingesetzt wird. Bekannt geworden ist dieser Musikstil durch die auf Weltmusikfestivals und in klassischen Konzertsälen auftretenden Gruppen Huun-Huur-Tu und Yat-Kha.[10]

Heute ist vielen Menschen der Klang der Maultrommel aus der Titelmelodie der Sesamstraße bekannt. In die Pop-Charts kam die Maultrommel in den siebziger Jahren durch die Gruppe Medicine Head mit Liedern wie One And One Is One oder Rising Sun. Auch im Folk-Metal sowie dem Viking-Metal findet man die Maultrommel. Ein Beispiel für letzteres ist die frühe Viking-Metal-Band Bathory.

Weitere Künstler, die die Maultrommel verwendet haben, sind Karl Eulenstein, Ennio Morricone, Tapani Varis, Anton Bruhin, Albin Paulus, Bernhard Mikuskovics, Wolfdietrich Janscha, Toni Geiling, Attwenger, Seeed, Jon Bon Jovi, The Who, Red Hot Chili Peppers, Leonard Cohen, Joe Walsh, Saltatio Mortis, Subway to Sally oder Die Ärzte.

Hans Werner Henze setzt in seinem Rezital für vier Musiker El Cimarrón (Der entlaufene Sklave), Autobiographie des geflohenen Sklaven Estebán Montejo, aus dem Jahre 1970 die Maultrommel ein.

Im Hörspiel und Zeichentrickfilm „Die Biene Maja“ werden die Sprünge des Grashüpfers Flip mit einer Maultrommel musikalisch untermalt.

Hermann Karl Brunn (1862–1939) erhielt den Wiener Musikantenpreis für das überaus gute Spielen der Maultrommel.

Siehe auch

Literatur

  • Franz Födermayr: Maultrommel. In: Oesterreichisches Musiklexikon. Online-Ausgabe, Wien 2002 ff., ISBN 3-7001-3077-5; Druckausgabe: Band 3, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2004, ISBN 3-7001-3045-7.
  • Leonard Fox: The Jew's Harp: A Comprehensive Anthology. Bucknell University Press, Lewisburg 1988, ISBN 978-0-8387-5116-9
  • Wolf Janscha: Maultrommel spielen. Eine systematische Anleitung zum Selbststudium. Lehrbuch Band 1. Verlag der Spielleute 2012, ISBN 978-3-927240-93-3
  • Sibyl Marcuse: A Survey of Musical Instruments. Harper & Row Inc., New York 1975, S. 97–101
  • Deirdre Anne Elizabeth Morgan: Organs and bodies: the Jew's harp and the anthropology of musical instruments. MA-Thesis, University of British Columbia, 2008
  • Regina Plate: Kulturgeschichte der Maultrommel. (Orpheus-Schriftenreihe zu Grundfragen der Musik, Band 64) Verlag für systematische Musikwissenschaft, Bonn 1992, ISBN 3-922626-64-5
  • Richard von Volkmann-Leander (1830–1889): Von der Königin, die keine Pfeffernüsse backen, und vom König, der nicht das Brummeisen spielen konnte. (Kunst)Märchen, nachgedruckt in: Vom unsichtbaren Königreich. Zürich 1958
  • Michael Wright: The Jews-Harp in Britain and Ireland. SOAS Musicology Series, Ashgate 2015, ISBN 9781472414137

Diskografie

  • Mountain Echo. Jew’s harps around the world. (Ethnic Series) PAN Records, Leiden 2006 (PAN 1206)

Weblinks

Commons: Maultrommeln – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b Edgar Niemeczek: Musik aus der Rocktasche. In: Schaufenster Volkskultur Nr. 3/2007, Atzenbrugg; In aller Munde. Ausstellungskatalog Technisches Museum Wien, 2002, zit n. Tascheninstrumente. In: ABC zur Volkskunde Österreichs. Austria-Lexikon
  2. Josef Focht: Fotzhobel, Maultrommel und Harmonika in frühen volksmusikalischen Quellen. In: Josef Focht, Herbert Grünwald (Hrsg.): Konzertina, Bandonion, Akkordeon. Die Entwicklung der Harmonika-Instrumente und ihr Spiel in Bayern. Mit Beiträgen von Dieter Krickeberg und Kari Oriwohl. In: Bayerischer Landesverein für Heimatpflege e.V. (Hrsg.): Volksmusiksammlung und -Dokumentation in Bayern Nr. E 12, München 1999, S. 5-10.
  3. Allgemeine musikalische Zeitung, Nr. 42, 18. July 1804, Seite 707, Braunschweig ... Online bei google books
  4. Allgemeine musikalische Zeitung, Band 7, Nr.24, 13. März 1805, S. 393, Frankfurt am Main. Online bei google books
  5. Auftritt des Herrn Koch -- Erwähnung in der „Allgemeinen musikalischen Zeitung“, Nr. 11, vom 18. März 1818, S. 211.Online bei google books
  6. Musikalische Zeitung, Wien, von J.G. Schicht, Nr. 47, vom 19. November 1823.Online bei google books
  7. zit. nach Hans Commenda: Volkstümliche Musikinstrumente in den Alpen. Zu dem gleichnamigen Buch von Karl M. Klier. In: Institut für Landeskunde von Oberösterreich: Österreichische Heimatblätter Jg. 12 Heft 1/2, Jänner–Juni 1958, S. 74–79 (pdf)
  8. David Rycroft: Friction Chordophones in South-Eastern Africa. In: The Galpin Society Journal, Vol. 19, April 1966, S. 84–100, hier S. 88f
  9. Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes in Österreich: Maultrommelspiel in Österreich, abgerufen am 29. August 2015
  10. Friends of Tuva