Planungsgruppe Stieldorf
Die Planungsgruppe Stieldorf war eine deutsche Architektengruppe und ein Architekturbüro, das von den 1960er- bis 2000er-Jahren bestand.
Geschichte
Anfang der 1960er Jahre, nach dem Rücktritt von Bundeskanzler Konrad Adenauer und dem Bau der Mauer in Berlin, wurden erstmals Planungen für größere Regierungsbauten in der „provisorischen“ Bundeshauptstadt Bonn angestellt, da fast alle Ministerien und Bundesbehörden völlig unzureichend in alten Kasernen und angemieteten Häusern untergebracht waren. Bei der in Berlin ansässigen Bundesbaudirektion wurde 1962 ein Beratergremium aus den Professoren Paul Baumgarten, Egon Eiermann und Sep Ruf gebildet, um die neue Regierung um Ludwig Erhard planerisch und städtebaulich zu beraten. Die Professoren empfahlen daraufhin einer Reihe junger Architekten nach Bonn zu kommen, um ihre Entscheidungshilfen zu erarbeiten.
Nach Abschluss der Arbeiten 1968 gründeten drei von ihnen – Manfred Adams, Günther Hornschuh und Peter Türler – die Planungsgruppe A. H. T. mit Sitz in Bonn. Zwei Jahre später waren es – mit Georg Pollich als ehemaligem Assistent von Egon Eiermann und Projektleiter des Langen Eugen sowie Robert Glatzer (1925–1995[1]) als bisherigem Mitarbeiter der Bundesbaudirektion – bereits fünf Partner. Das Architekturbüro ließ sich 1971 in einem nach eigenen Entwürfen neu erbauten Atelier in Stieldorf (Raiffeisenstraße 2) bei Bonn nieder und firmierte nunmehr als Planungsgruppe Stieldorf. 1973 wurde die Kommanditgesellschaft Planungsgruppe Stieldorf GmbH & Partner KG gegründet, die jedoch nur ein Jahr lang Bestand hatte.
Die Planungsgruppe wuchs mit jedem gewonnenen Architektenwettbewerb, den die sozialliberale Koalition unter Kanzler Willy Brandt ab 1969 bundesoffen auslobte, um den Hauptstadtausbau Bonns zu forcieren. Außer den Großbauplanungen wurden Wohnbauten, Gemeindezentren, kirchliche Bauten sowie Gewerbebau und Kommunal-Verwaltungen bearbeitet. Anfang der 1980er Jahre bestand die Planungsgruppe aus annähernd 100 Mitarbeitern. 1981 schied Manfred Adams aus dem Büro aus.[1] Ende der 1990er-Jahre gab die Planungsgruppe das Atelier in Stieldorf auf. Peter Türler – Mitbegründer des Büros 1968 – führte anschließend allein den Namen in seinem eigenen Architekturbüro in Bad Honnef weiter.
„Neben den persönlichen Freundschaften entwickelte sich in der Planungsgruppe stets eine sachlich konstruktive Zusammenarbeit, die die durchaus verschieden nuancierten Auffassungen und Neigungen der einzelnen Architekten im Sinne einer schöpferischen Synthese zum Nutzen der jeweiligen Aufgabenstellung zusammenfasste. So sind denn auch alle Arbeiten der Planungsgruppe Stieldorf nie Ausdruck einer engen architektonischen Doktrin, sondern immer das Ergebnis sorgfältiger Abwägung von gestalterischen, funktionalen und vor allem wirtschaftlichen Gesichtspunkten.“
Werk
Ausgeführte Entwürfe
Planungsgruppe der Bundesbaudirektion (1962–1968)
Planungsbeginn; Bauzeit |
Gemeinde Ortsteil |
Adresse | Bild | Objekt | Maßnahme | Anmerkungen |
---|---|---|---|---|---|---|
1965–1966 | Bonn Gronau |
Heussallee 7–11 Lage |
Abgeordneten-Wohnhäuser | Neubau | Denkmalschutz | |
1967–1968 | Bonn Bonn-Castell |
Arminiusstraße 32 Lage |
Bürogebäude und KFZ-Werkstatt des Bundesministeriums der Finanzen | Neubau[3]:132 f. | Teil der heutigen „Liegenschaft Graurheindorfer Straße 198“[4] | |
1966–1967 | Bonn Plittersdorf |
Kennedyallee 40 Lage |
Deutsche Forschungsgemeinschaft: IV. Bauabschnitt (viergeschossiger Hochbau) | Neubau[3]:148 f. | 1969–1970 aufgestockt | |
1967–1969 | Bonn Plittersdorf |
Martin-Luther-King-Straße 8 Lage |
Bundesschatzministerium (Haus Carstanjen): Erweiterung | Neubau | heute Klimasekretariat der Vereinten Nationen |
Planungsgruppe Stieldorf (ab 1968)
Planungsbeginn; Bauzeit[AM 1] |
Gemeinde Ortsteil |
Adresse | Bild | Objekt | Maßnahme | Anmerkungen |
---|---|---|---|---|---|---|
1969–1975 | Bonn Hochkreuz |
Heinemannstraße/Godesberger Allee/ Max-Löbner-Straße/Langer Grabenweg Lage |
Kreuzbauten im Ministerienstandort Godesberg-Nord | Neubau[2]:4–14 | Sitz verschiedener Bundesbehörden; Denkmalschutz | |
1970 | Königswinter Stieldorf |
An der Passionshalle 13 |
katholisches Gemeindezentrum mit angegliederter Küsterwohnung | Neubau[2]:59 | heute Offene Ganztagsschule | |
1971, 1974 (Erweiterung) | Königswinter Stieldorf |
Raiffeisenstraße 2 Lage |
Atelier der Planungsgruppe Stieldorf (verglaste Holzkonstruktion) | Neubau[2]:44–50[5]:112 | ||
1973 | Brühl | Am Rankewerk 2–4 Lage |
Büro- und Lagerhaus Orba (Holzskelettbau) | Neubau | mit dem Kölner Architekturpreis 1975 ausgezeichnet[6]; Denkmalschutz | |
1973 | Nassau | Elisenhütte Lage |
Verwaltungsgebäude der Firma Kaiser & Co. (Blechverarbeitungsfabrik) | Neubau[2]:51–55 | ||
1973 | Bonn Plittersdorf |
Gotenstraße 138–140 Lage |
Mehrfamilienhaus (Eigentumswohnungen) | Neubau[2]:63–66[5]:148 | ||
1973–1974 | Alfter | Am Rathaus 7 Lage |
Rathaus der Gemeinde Alfter | Neubau[2]:32–38 | ||
1973–1974 | Bonn Venusberg |
Haager Weg 40 Lage |
Evangelisches Gemeindezentrum | Neubau | ||
1973–1974 | Königswinter Vinxel |
Panoramaweg Lage |
Wohnhausgruppe | Neubau[1][7] | ||
1973–1976 | Bonn Gronau |
Adenauerallee 139 Lage |
Bundeskanzleramt | Neubau[2]:15–19 | heute Sitz des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung; Denkmalschutz | |
1974–1978 | Köln Marienburg |
Raderberggürtel 50 Lage |
Funkhaus Deutsche Welle (gemeinsam mit dem Funkhaus des Deutschlandfunks) | Neubau | ||
1974; 1978–1984 |
Mainz Lerchenberg |
ZDF-Straße Lage |
ZDF-Sendezentrum: Dritter Bauabschnitt (Sendebetriebsgebäude) | Neubau[2]:25–31[1] | ||
1978–1982 | Düsseldorf Carlstadt |
Berger Allee | Verwaltungsgebäude der Mannesmann AG | Neubau[1][8][9] | ||
1980–1981 | Bonn Duisdorf |
Villemombler Straße Lage |
Sporthalle des Bundesgrenzschutzes an der ehem. Gallwitz-Kaserne | Neubau[1][5]:160 | mit dem Holzbaupreis Nordrhein-Westfalen 1982 ausgezeichnet[10] | |
1981–1982 | Bonn Gronau |
Schlegelstraße 1 Lage |
Landesvertretung des Freistaates Bayern | Anbau[5]:55 | ||
1985–1993 | Hünfelden Gnadenthal |
Hof Gnadenthal Lage |
Kloster und Dorf Gnadenthal | Sanierung/Wiederaufbau[1] | 1993 mit dem Hessischen Denkmalpreis ausgezeichnet | |
1992–1993 | Siegburg | Chemie-Faser-Allee 5 Lage |
Grundschule Deichhaus | Neubau[1] |
Nicht ausgeführte Entwürfe
- 1979/1980: Düsseldorf, Wettbewerbsentwurf für den Landtag Nordrhein-Westfalen (3. Preis)[11]
- 1981: Bonn, Wettbewerbsentwurf für den Neubau einer Eissporthalle in Godesberg-Nord mit Aussagen zu einem Kongresszentrum und Hotel (1. Preis; Kongresszentrum/Hotel 1989 als Maritim Hotel Bonn realisiert)[12]
- 1985: Bonn, Wettbewerbsentwurf für den Neubau ARD mit WDR-Studio Bonn (1. Preis und Beauftragung 1986; nicht realisiert wegen Verlegung des Regierungssitzes)[12]
- Bonn, Ortsteil Holzlar, Evangelisches Gemeindezentrum[2]:58 (Architektenvertrag 1972 gekündigt[13])
- Bonn, Wettbewerbsentwurf für den Neubau des Bundespräsidialamts[2]:74
- Bonn, Wettbewerbsentwurf für den Neubau von Deutschem Bundestag und Bundesrat[2]:74
- Bonn, Wettbewerbsentwurf für die Landeszentralbank Bonn[2]:75
- Alfter, Wettbewerbsentwurf für das Schulzentrum Alfter[2]:75
- Münster, Wettbewerbsentwurf für das Naturkundemuseum[2]:74
- Köln, Polizeipräsidium
- Seoul, Rundfunk- und Fernsehzentrum für Olympiade 1988
Literatur
- Wilfried Täubner: Planungsgruppe Stieldorf. Bauten und Projekte, Köln 1974.
Weblinks
Anmerkungen
- ↑ sofern nur ein Jahr angegeben: Fertigstellungsjahr
Einzelnachweise
- ↑ a b c d e f g h Saur allgemeines Künstler-Lexikon, Band 27, Walter de Gruyter, 2000, ISBN 3-598-22767-1, S. 66.
- ↑ a b c d e f g h i j k l m n o Wilfried Täubner: Planungsgruppe Stieldorf. Bauten und Projekte, Köln 1974.
- ↑ a b Ursel und Jürgen Zänker: Bauen im Bonner Raum 49–69. Versuch einer Bestandsaufnahme. In: Landschaftsverband Rheinland (Hrsg.): Kunst und Altertum am Rhein. Führer des Rheinischen Landesmuseums Bonn. Nr. 21. Rheinland-Verlag, Düsseldorf 1969.
- ↑ Liegenschaft Graurheindorfer Straße 198, Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung
- ↑ a b c d Ingeborg Flagge: Architektur in Bonn nach 1945. Verlag Ludwig Röhrscheid, Bonn 1984, ISBN 3-7928-0479-4.
- ↑ Brühl, Büro- und Lagerhaus, Wege zum Holz
- ↑ Wohnhäuserreihe, Forschungsprojekt Architektur und Ingenieurbaukunst der 1950er, 60er und 70er Jahre in NRW, TU Dortmund
- ↑ Iris Poßegger, Roland Weber: Der Gartenarchitekt Roland Weber (1909-1997), Grupello, 2007, ISBN 978-3899780758, S. 132.
- ↑ Herbert Rex: Architekturkritik in Zeitungen und Zeitschriften der Bundesrepublik: in Fallstudien undersucht an Düsseldorfer Bauprojekten der 60er und 70er Jahre, Institut für Architektur- und Stadtforschung, 1981, S. 295.
- ↑ Bonn-Duisdorf, Sporthalle – Wege zum Holz, Landesforsten Rheinland Pfalz
- ↑ Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Vom Ständehaus zum Landtag am Rhein. Der Landtag Nordrhein-Westfalen 1946–1988, 2013, S. 15 ff.
- ↑ a b Die Oberbürgermeisterin der Stadt Bonn (Hrsg.); Friedrich Busmann: Vom Parlaments- und Regierungsviertel zum Bundesviertel. Eine Bonner Entwicklungsmaßnahme 1974–2004. Bonn, Juni 2004, S. 45.
- ↑ Geschichte ab 1972, Evangelische Kirchengemeinde Bonn-Holzlar
Koordinaten: 50° 43′ 45,8″ N, 7° 13′ 7,1″ O