Robert Spaemann

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Robert Spaemann (2010)

Robert Spaemann (* 5. Mai 1927 in Berlin) ist ein deutscher Philosoph. Er wird zur Ritter-Schule gezählt.

Leben

Robert Spaemann ist der Sohn von Heinrich Spaemann und Ruth Krämer (1904–1936). Er wurde 1930 nach dem Übertritt seiner Eltern zum katholischen Glauben getauft. Nach dem frühen Tod seiner Mutter ließ sich der Vater 1942 zum Priester weihen und übernahm an seinem Wohnort Dorsten eine Kaplanstelle. Bis heute ist Robert Spaemann unter älteren Dorstenern bekannt als „der Sohn vom Kaplan“.[1] Er verbrachte seine Schulzeit in Dorsten und war Schüler des Gymnasium Petrinum. Im Frühjahr 1944 brachte er sich durch eine anonym an die Tafel gekritzelte Hitler-Karikatur in Gefahr, als der Schulleiter, selbst Nationalsozialist, die von anderen Lehrern verlangte Einschaltung der Gestapo und damit schlimmere Konsequenzen für den Urheber der Zeichnung in letzter Minute unterband.[2]

Spaemann studierte Philosophie, Geschichte, Theologie und Romanistik an den Universitäten Münster, München, Fribourg (Schweiz) und Paris.[3] Er promovierte 1952 in Münster, war vier Jahre Lektor im Kohlhammer Verlag, danach wissenschaftlicher Assistent in Münster. Dort habilitierte er sich 1962 in Philosophie und Pädagogik mit einer Arbeit über François Fénelon. Als Assistent in Münster nahm er an den Seminaren des „Collegium Philosophicum“ Joachim Ritters teil. An diesen Seminaren beteiligten sich auch die Philosophen Hermann Lübbe, Odo Marquard und Günter Rohrmoser sowie der spätere Bundesverfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde, die man später der sogenannten „Ritter-Schule“ zuordnete. Nach Auskunft Spaemanns war dies eigentlich keine philosophische Schule, sondern „eher ein Kreis von Freunden, die an gewissen Sachfragen immer ein gemeinsames Interesse hatten und die vielleicht stärker als die verwandte Gadamer-Schule das Politische als philosophisch relevant ernst genommen hat.“[4]

Nach eigener Darstellung hat sich Spaemann nach dem Krieg für „kurze Zeit der Faszination der Lektüre von Marx und Lenin hingegeben“, bis er, „im Rahmen von Aktivitäten, die heute verfassungsschutzrelevant wären“, den „realen Sozialismus“ kennen gelernt und so auch die Wahrheit über den kommunistischen Terror in Russland erfahren habe.[5] In den 50er Jahren kritisierte er Pläne der damaligen Bundesregierung zur atomaren Aufrüstung der Bundeswehr. Zu dieser Zeit wurde er „gelegentlich als Linkskatholik apostrophiert.“[6]

Spaemann war ordentlicher Professor für Philosophie an den Universitäten Stuttgart (bis 1968), Heidelberg (bis 1972) und München, wo er 1992 emeritiert wurde.

Seine Frau Cordelia (geb. Steiner; * 12. November 1925), die er 1950 geheiratet hatte, verstarb am 24. April 2003. Sie wurde vor allem als Übersetzerin des Langgedichts The Anathemata von David Jones bekannt. Sein Sohn Christian Spaemann ist Psychiater und leitete von 2003 bis 2011 die Klinik für Psychische Gesundheit am Krankenhaus St. Josef in Braunau am Inn. Seine Tochter Susanna Spaemann ist Pianistin und Klavierpädagogin und lebt mit ihrer Tochter, der Cellistin Marie Spaemann, in Wien. Ein drittes Kind des Ehepaares erwähnt Spaemann in seiner Autobiographie.[7]

Wirken

Spaemann wird bescheinigt, dass sein Engagement in zeitgenössischen Debatten seine philosophische Forschung nicht beeinträchtigt hat. Seine Hauptwerke – Glück und Wohlwollen (1989) und Personen (1996) – wären ohne „diese aktuellen Auseinandersetzungen kaum zu denken“. Die Verwicklung in solche Debatten sei „der Lesbarkeit und dem souveränen Gestus seiner Bücher“ zugutegekommen.

In einem 1996 veröffentlichten Aufsatz[8] kritisierte Spaemann das Projekt Weltethos des Tübinger Theologen Hans Küng scharf.

In seinen Reden und Veröffentlichungen setzt sich Spaemann für den Schutz des menschlichen Lebens von seinem Beginn bis zum natürlichen Tod ein. Er kritisierte deshalb Vorschläge zur – wenigstens teilweisen – Freigabe der Tötung auf Verlangen und zu einer „Liberalisierung“ der Sterbehilfe.[9] Er begründet dies mit einem Verständnis von Person und Menschenwürde, das jegliche Relativierung des Rechts auf Leben mit Zeitpunkten, Fristen und anderen Bedingungen zurückweist. Gemeinsam mit dem früheren Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde formulierte er folgenden Grundsatz: „Wenn es überhaupt so etwas wie Rechte der Person geben soll, kann es sie nur geben unter der Voraussetzung, dass niemand befugt ist, darüber zu urteilen, wer Subjekt solcher Rechte ist.“ Die Menschenwürde kommt der Person nicht unter der Voraussetzung bestimmter Eigenschaften (z. B. des Selbstbewusstseins), sondern allein aufgrund ihrer biologischen Zugehörigkeit zur Spezies Mensch zu. Er weist nach, dass für die Aufklärung ebendiese These, dass „Menschen vor ihrer Geburt Personenrechte“ haben, selbstverständlich gewesen ist. Es ist als Spaemanns Verdienst anzusehen, „die Debatte um Abtreibung und Euthanasie auf diese grundsätzliche Ebene gehoben zu haben“.[10]

Nachdem die Junge Freiheit auf der Leipziger Buchmesse nicht als Aussteller hatte zugelassen werden sollen, unterzeichnete Spaemann auch einen Solidaritätsaufruf der Zeitung. Spaemann hält es für gefährlich, wenn staatliche Institutionen aufgeboten werden, „um bestimmte verfassungskonforme politische Positionen öffentlich zu ächten“. In staatlich organisierten „Bündnissen gegen Rechts“ sieht er den Versuch, den Staat als eine „Wertegemeinschaft“ neu zu begründen. Der liberale Rechtsstaat sei – auch wegen des gesellschaftlichen Pluralismus – konstitutiv eine Rechtsgemeinschaft. Er erkennt die Rechte seiner Bürger – unabhängig von ihren weltanschaulichen Auffassungen – an, solange diese den Gesetzen gehorchen. Verstehe sich der demokratische Staat als Wertegemeinschaft, so berge dies die „Gefahr eines liberalen Totalitarismus“. Um die Gesetze des Staates zu akzeptieren, müsse man nicht unbedingt die Werte teilen, die diesen zugrunde liegen. Vielmehr genüge es, den Gesetzen zu gehorchen, weil man den „Wert des inneren Friedens“ im Gemeinwesen kenne. Im Blick auf das zusammenwachsende Europa folgert er, dass die Europäische Union nur dann eine Rechtsgemeinschaft sein kann, „in der alle Bürger der Länder europäischer Tradition ein gemeinsames Dach finden“, wenn sie „Gemeinschaften mit gemeinsamen Wertschätzungen“ schützt, „selbst aber darauf verzichtet eine Wertegemeinschaft zu sein“.[11] Über Homosexualität allgemein sagte er in einem Interview: „Unter meinen guten Freunden sind mehrere Homosexuelle. Mit denen bin ich darin einig, dass die Abwesenheit der Anziehungskraft des anderen Geschlechts ein anthropologisches Manko ist.“[12]

Papst Benedikt XVI. schätzt ihn als Berater und lud ihn im September 2006 nach Castel Gandolfo ein, um über das Verhältnis von Naturwissenschaft, Philosophie und Glauben zu referieren. Spaemann schreibt zeitkritische Beiträge zu ethischen, politischen und religiösen Fragen für überregionale Zeitungen. Seine Positionen, insbesondere zur Ökologie und zur Bioethik, werden über die Grenzen verschiedener Weltanschauungen und Parteien hinaus beachtet. Wegen seines Engagements für die Bewahrung der Schöpfung bezeichnete ihn die Berliner Tageszeitung als Ökophilosophen. Auf Einladung der Bundestagsfraktion der Grünen referierte er zur Debatte um die Stammzellenforschung.[13]

Spaemann ist Mitherausgeber des anonymen Hauptwerks des christlichen Hermetikers Valentin Tomberg mit dem Titel Die großen Arcana des Tarot.

Sterbehilfe

Spaemann äußerte sich wiederholt gegen Sterbehilfe jeglicher Art. Er befürchtet dabei insbesondere, jegliche Ermöglichung von Sterbehilfe werde zu einem Dammbruch führen.[14][15] Dies hat ihm Kritik vom Verein Dignitas eingebracht.[16] Spaemann wendet sich aber ebenso gegen eine künstliche Lebensverlängerung, die nur durch Aufbietung außerordentlicher Maßnahmen erreicht werden kann. In beiden Fällen würde „der Mensch um den Akt des Sterbens betrogen“.[17]

Tierethik

Spaemann bezog die Tiere als Bestandteil der Schöpfung in seine Positionen ausdrücklich mit ein. Er hält es für unnötig, gegen die These zu argumentieren, dass wir nur von Menschen wissen können, dass sie leiden, da nur sprachliche Kommunikation uns über den Schmerz eines Wesens informieren könne. Für Spaemann ist es nach einer alten Disputationsregel nicht sinnvoll, etwas beweisen zu wollen, das für jedermann offenkundig ist: „Zu dem Offenkundigen gehört, dass wenigstens höherentwickelte Tiere sich in Lagen befinden können, die wir sinnvollerweise nur mit Worten wie Schmerz, Leiden, Lust und Sichwohlfühlen beschreiben können“.[18] Er hält es für ein wirksames Mittel, Grausamkeiten gegen Tiere z. B. durch Fernsehsendungen sichtbar zu machen, da es Dinge gibt, „die man nur sehen muss, um zu sehen, dass sie nicht sein sollen“.[19] Das Gegenargument, dass menschliche Interessen vor tierischen Bedürfnissen Vorrang haben und dass es unfair sei, „die unmittelbaren Gefühle des Publikums gegen bestimmte Praktiken zu mobilisieren, ohne den Preis zu nennen, den wir für die Unterlassung solcher Praktiken zahlen müssen“, hält Spaemann für schwach.[20]

Unter diesem Gesichtspunkt setzte er sich besonders mit dem Thema Tierversuche auseinander, da es nach seiner Auffassung für eine verantwortliche öffentliche Güterabwägung Voraussetzung ist, dass „die zur Abwägung anstehenden Güter erst einmal zur Kenntnis genommen werden“.[20] Da das Leiden der Tiere im Labor jedoch sorgfältig vor uns verborgen wird, vermutet Spaemann: „Ist die übliche Geheimhaltung auf diesem Gebiet nicht ein Zeichen dafür, dass eine verantwortliche Güterabwägung gerade nicht stattfinden soll?“[21] Ohne die Möglichkeit einer unmittelbaren gefühlsmäßigen Wahrnehmung tierischen Leidens, so Spaemann, fehlt uns jedoch die elementare Wert- und Unwerterfahrung, die jedem sittlichen Urteil vorausgeht. In diesem Verhalten drückt sich für ihn der Unterschied zwischen dem heutigen und dem archaischen Umgang mit Tieren aus, der, auch wo er grausam war, vor aller Augen stattfand: „Die Perversität der gegenwärtigen Praxis liegt darin, dass wir unsere verfeinerte Sensibilität durch den Umgang mit den Haustieren befriedigen und davon getrennt eine Praxis institutionalisieren, gegen die wir diese Sensibilität abschirmen (...).“[22]

Spaemann erwartet, dass der Tierexperimentator als sittliches Wesen selbst fordern müsse, „dass die Frage der Zulässigkeit seiner Versuche durch Menschen entschieden wird, die nicht durch das primäre Interesse am Versuch und seinen Ergebnissen bestimmt und insofern befangen sind“. Gleiches machte er für die Deutsche Forschungsgemeinschaft geltend, die „in Fragen dieser Art niemals als unparteiischer Berater und Schiedsrichter auftreten kann, da sie hier wesentlich Partei ist“.[23]

Gemeinsam mit den fast zeitgleichen Veröffentlichungen des Schriftstellers Hans Ruesch und des Mediziners Herbert Stiller regte Robert Spaemann 1979/1980 die zu dieser Zeit wieder auflebende öffentliche Debatte über das Für und Wider von Tierversuchen mit einem Beitrag an, in dem er forderte: „Was heute an Millionen Versuchstieren geschieht, muss aus dem einzigen Grund verboten werden, weil es mit der Selbstachtung einer menschlichen Rechtsgemeinschaft unvereinbar ist“.[24] Er kritisierte jene Tierquälereien, die nicht aus Gedankenlosigkeit oder Rohheit begangen werden, sondern weil sie zum vermeintlichen oder angeblichen Vorteil des Menschen geschehen und dementsprechend einen vernünftigen Grund im Sinne des Gesetzes darstellen. Die Verwendung des Wortes „wissenschaftlich“ bezeichnete er in diesem Zusammenhang als „die fürchterlichste Einschüchterungsvokabel der Gegenwart“.[25] Ein Zitat aus diesem Beitrag Spaemanns erlangte über Tierschutzkreise hinaus Bekanntheit:

„Die absichtliche Verwandlung eines solchen Lebens in ein Bündel von Leiden und stummer Verzweiflung ist ein Verbrechen. Was sollte eigentlich sonst ein Verbrechen sein?“

Robert Spaemann: Welt des Grauens (1980)[25]

Nicht unser eigenes Interesse, so Spaemann, sondern unsere Selbstachtung ist es, die es uns gebietet, das Leben von Tieren artgemäß und ohne die Zufügung schweren Leidens geschehen zu lassen, da diese ihr Leiden nicht in die höhere Identität eines bewussten Lebenszusammenhangs integrieren und so bewältigen können. „Sie sind sozusagen im Schmerz nur Schmerz.“[26] Für Spaemann liegt der wesentliche Grund, einem Wesen keinen Schmerz zuzufügen, nicht darin, dass es ein vernünftiges, sondern darin, dass es ein schmerzempfindendes Wesen ist.[25] Den oft vorgebrachten Einwand, dass es in der Welt so viel bestialisches Unrecht an Menschen, Hunger, Folterungen, Entwürdigungen gibt und wir deshalb Wichtigeres zu tun haben, als uns der Tiere anzunehmen, ließ er nicht gelten: „Zweitwichtigstes so lange zu unterlassen, bis alles Wichtigste sich erledigt hat, wäre das Ende aller Kultur.“[27]

Denken

Spaemann gilt als Vertreter einer aristotelisch geprägten Naturphilosophie.[28] In seinen Beiträgen zur Rechtsphilosophie betont er die „Aktualität des Naturrechts“. In dem Streit um das Naturrecht erkennt er kein Argument gegen, sondern eines für dieses Recht. Denn „gäbe es kein von Natur Rechtes, so ließe sich über Fragen der Gerechtigkeit gar nicht sinnvoll streiten“. Die Existenz dieses Rechts bedeute nicht, dass es für jedermann offensichtlich ist, sondern „dass in der Richtung, die dieser Name bezeichnet, sinnvollerweise etwas zu suchen sei“. Das Naturrecht lasse sich nicht mehr als ein Normenkatalog beziehungsweise eine Art Metaverfassung verstehen. Eher sei es eine Denkweise, die „alle rechtlichen Handlungslegitimationen noch einmal kritisch“ prüfe.[29]

Für Spaemann bildet die Vernünftigkeit des Glaubens an Gott den Mittelpunkt seiner Philosophie. Er erläutert die traditionellen philosophischen Gottesbeweise und weist darauf hin, dass diese Gottesbeweise auch im 20. Jahrhundert noch philosophische Bewunderer gefunden haben. Er setzt einen Kontrapunkt zu Philosophen wie Ernst Tugendhat, die meinen, dass die Haltung der Religion „mit der intellektuellen Redlichkeit heute nicht mehr vereinbar“ sei. Mit seiner eigenen Argumentation zur Gottesfrage schließt Spaemann an Nietzsche an, der einmal schrieb: „Ich fürchte, wir werden Gott nicht los, weil wir noch an die Grammatik glauben“.

Seiner Meinung nach hat die Aufklärung ihr Werk getan und ist im Moment in Gefahr, sich wieder selbst abzuschaffen. „Wir müssen lernen, ohne Wahrheit zu leben“, so Nietzsche. Die Frage stellt sich nun, mit welcher Lüge man am besten lebt. Was bleibt, ist dann nur noch Kampf gegen den banalen Nihilismus einer Spaßgesellschaft. Für Spaemann ist die Spur Gottes in der Welt der Mensch, der nach seinem Ebenbild geschaffen wurde, „im Gegensatz zu Nietzsches Menschenbild vom findigen Tier“. Gottesebenbildlichkeit des Menschen bedeutet, dass der Mensch als freies, endliches, aber wahrheitsfähiges Wesen geschaffen wurde.[30]

Seit Jahrzehnten befasst er sich als Philosoph mit der Religion. Dass die Frage nach Gott eine heutige sei, dass ihre Erörterung durchaus der Vernunft bedürfe und sich für die Philosophie lohne, betonte Spaemann schon immer.[31] Spaemann hat keinen Respekt vor „geistlosen“ Menschen, welche die Antwort auf die Frage nach Gott als nicht so wichtig und Zeitverschwendung abtun. Schließlich glaubten die moslemischen Selbstmordattentäter auch an Gott, ja gerade dieser Glaube motiviere sie zu ihren Verbrechen.[32]

Der Gottesglaube hat für Spaemann Bestand. Er nennt ihn deshalb das „unsterbliche Gerücht“. Universalistische Religionen wie das Christentum könnten auf Mission nicht verzichten. Sie müssten ihre Standpunkte in den allgemeinen Diskurs einbringen. Er ist davon überzeugt, dass zwischen verschiedenen religiösen Standpunkten eine fruchtbare Auseinandersetzung möglich ist.[33]

Fragen der Erziehung stehen nach Spaemanns Auffassung „am Anfang aller Ethik“.[34] In den 70er Jahren nahm er Stellung zu den Ideen einer „emanzipatorischen Erziehung“. Sinnvoll sei die Idee der Emanzipation dort, „wo Menschen hinsichtlich der Organisation der Rahmenbedingungen ihres Handelns von fremder Vormundschaft befreit werden“. Dieser Begriff von Emanzipation bezeichne „einen Vorgang, der jedesmal einen Anfang und ein Ende“ habe, das als Mündigkeit bezeichnet werde. Die Idee der „emanzipatorischen“ Erziehung, die er Emanzipationsideologie nennt, meinte dagegen „einen unendlichen und zudem als universal gedachten Prozess“ als Erziehungsideal. Er diene dazu, den Kreis derjenigen zu erweitern, die „als unmündig erklärt werden“, und legitimiere eine „massive Herrschaftsideologie der Pädagogen“. Die Emanzipationsideologie verwehre dem Kind das Recht auf Möglichkeiten zur Identifikation und Persönlichkeitsentfaltung.[35] Er gehörte 1978 zu den Veranstaltern des Kongresses „Mut zur Erziehung“, der sich gegen emanzipatorische Bildungsexperimente mit Kindern richtete.[36] Aufgabe der Erzieher ist es Spaemann zufolge, das Kind „an die eigenständige und widerständige Wirklichkeit heranzuführen“. Das Kind müsse zunächst aus „seiner subjektiven Empfindungswelt behutsam und zielstrebig an die Realität“ geführt werden. Entscheidend sei, dass „die Wirklichkeit zunächst als hilfreich und freundlich erfahren“ werde. Die Stiftung dieser Grunderfahrung – die Psychologie spricht vom Urvertrauen – sei das Wichtigste, „was Erziehung überhaupt zu leisten vermag“. Denn wer sich an seine Kindheit als eine „heile Welt“ erinnern könne, werde „leichter mit der unheilen fertig“.[37]

Im Focus[38] erklärte er in einem Interview über den Weltuntergang folgendes: „Ich glaube nicht, dass die Menschheit noch eine sehr lange Zukunft hat. Ob das jetzt 500 oder 3.000 Jahre sind, weiß ich nicht. Aber dass die Menschheit noch Jahrtausende leben wird, halte ich für extrem unwahrscheinlich.“ Eine Ursache hierfür sieht er im zunehmenden Fortschritt von Wissenschaft und Technik ohne einen nötigen Bewusstseinswandel.

Ehrungen und Auszeichnungen

Spaemann trägt Ehrendoktorate von Universitäten in Fribourg, Washington, Santiago de Chile und der Opus-Dei-Universität Navarra in Pamplona. Spaemann erhielt im Jahr 2001 den Karl-Jaspers-Preis der Stadt und der Universität Heidelberg.

Schüler

Zu den Schülern Spaemanns gehören Thomas Buchheim und Rolf Schönberger.

Werke

Monographien

  • Der Ursprung der Soziologie aus dem Geist der Restauration. Studien über L. G. A. de Bonald. Kösel, München 1959, 2. A. Klett-Cotta, Stuttgart 1998, ISBN 3-608-91921-X.
  • Reflexion und Spontanität. Studien über Fénelon. Kohlhammer, Stuttgart 1963, 2. A. Klett-Cotta, Stuttgart 1990, ISBN 3-608-91334-3.
  • Einsprüche. Christliche Reden. Johannes, Einsiedeln 1977, ISBN 3-265-10195-9.
  • Zur Kritik der politischen Utopie. Zehn Kapitel politischer Philosophie. Klett-Cotta, Stuttgart 1977, ISBN 3-12-910110-1.
  • Rousseau – Bürger ohne Vaterland. Von der Polis zur Natur. Piper, München 1980, ISBN 3-492-10579-3.
  • Die Frage Wozu? Geschichte und Wiederentdeckung des teleologischen Denkens (mit Reinhard Löw). Piper (Serie Piper 748), München 1981.
  • Moralische Grundbegriffe. Beck (Beck’sche Reihe 256), München 1982, ISBN 3-406-45442-9.
  • Philosophische Essays. Reclam (UB 7961), Stuttgart 1983; 2. erw. A. ebd. 1994, ISBN 3-15-007961-6.
  • Das Natürliche und Vernünftige. Aufsätze zur Anthropologie. Piper (Serie Piper 702), München 1987, 3-492-10702-8.
  • Glück und Wohlwollen. Versuch über Ethik. Klett-Cotta, Stuttgart 1989, ISBN 3-608-91556-7.
  • Zur kirchlichen Erbsündenlehre. Stellungnahmen zu einer brennenden Frage (mit Albert Görres, Christoph Schönborn). Johannes (Sammlung Kriterien 87), Einsiedeln 1994, ISBN 3-89411-303-0.
  • Personen. Versuche über den Unterschied zwischen „etwas“ und „jemand“. Klett-Cotta, Stuttgart 1996, ISBN 3-608-91813-2.
  • Töten oder sterben lassen? Worum es in der Euthanasiedebatte geht (mit Thomas Fuchs (Psychiater)). Herder, Freiburg im Breisgau 1997.
  • Grenzen. Zur ethischen Dimension des Handelns. Klett-Cotta, Stuttgart 2001, ISBN 3-608-91027-1.
  • Das unsterbliche Gerücht. Die Frage nach Gott und der Aberglaube der Moderne. Klett-Cotta, Stuttgart 2005, ISBN 3-608-94452-4.
  • Der letzte Gottesbeweis (mit Rolf Schönberger). Pattloch, München 2007, ISBN 978-3-629-02178-6.
  • Rousseau – Mensch oder Bürger. Das Dilemma der Moderne. Klett-Cotta, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-608-94245-3.
  • Nach uns die Kernschmelze. Hybris im atomaren Zeitalter. Klett-Cotta, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-608-94754-0.
  • Meditationen eines Christen. Klett-Cotta, Stuttgart

Beiträge

  • Hermann Lübbe (Hrsg.): Wozu Philosophie? Stellungnahmen eines Arbeitskreises. De Gruyter, Berlin 1978, ISBN 3-11-007513-X.
  • Die christliche Religion und das Ende des modernen Bewusstseins. In: Internationale Katholische Zeitschrift Communio. Nr. 3. 1979, S. 256 f.
  • Bestialische Quälereien Tag für Tag. In: Deutsche Zeitung. 33, 1979. Auch veröffentlicht unter: Welt des Grauens. In: Kritik der Tierversuche. Kübler, Lampertheim 1980, ISBN 3-921265-24-X, S. 27–31.
  • Peter Thomas Geach, Fernando Inciarte, Robert Spaemann: Persönliche Verantwortung. Adamas, Köln 1982, ISBN 3-920007-78-6.
  • Tierschutz und Menschenwürde. In: Ursula M. Händel (Hrsg.): Tierschutz - Testfall unserer Menschlichkeit. Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-596-24265-7, S. 71–81.
  • Robert Spaemann, Wolfgang Welsch, Walther Christoph Zimmerli: Zweckmässigkeit und menschliches Glück. Fränkischer Tag, Bamberg 1994, ISBN 3-928648-12-8.
  • Oswald Georg Bauer (Red.): Was heißt „wirklich“? Unsere Erkenntnis zwischen Wahrnehmung und Wissenschaft. Oreos, Waakirchen-Schaftlach 2000, ISBN 3-923657-54-4.
  • Über den Begriff der Menschenwürde. In: Martin Morgenstern, Robert Zimmer Hgg.: Staatsbegründungen und Geschichtsbedeutungen. Reihe Treffpunkt Philosophie, 4: „Politische Philosophie“. Bayerischer Schulbuch Verlag BSV, München 2001 ISBN 3-7627-0325-6 & Patmos, Düsseldorf 2001 ISBN 3-491-75641-3, S. 124 f.[39]
  • Walter Schweidler (Hrsg.): Menschenleben – Menschenwürde. Interdisziplinäres Symposium zur Bioethik. Lit, Münster 2003, ISBN 3-8258-6808-7.
  • Georg Muschalek (Hrsg.): Der Widerstand gegen die Alte Messe. Van Seth, Denkendorf 2007, ISBN 978-3-927057-16-6.
  • Die schlechte Lehre vom guten Zweck. Der korrumpierende Kalkül hinter der Schein-Debatte. In: FAZ. 23. Oktober 1999, Bilder und Zeiten I.

Herausgeberschaft

Literatur

  • Reinhard Löw (Hrsg.): Oikeiosis. Festschrift für Robert Spaemann. VCH, Weinheim 1987, ISBN 3-527-17588-1.
  • Hanns-Gregor Nissing (Hrsg.): Grundvollzüge der Person. Dimensionen des Menschseins bei Robert Spaemann. Institut zur Förderung der Glaubenslehre (Wortmeldungen 9), München 2008, ISBN 978-3-936909-09-8 Online-Ressource (PDF; 4,02 MB).
  • Ute Kruse-Ebeling: Liebe und Ethik. Eine Verhältnisbestimmung ausgehend von Max Scheler und Robert Spaemann. Unipress, Göttingen 2009, ISBN 978-3-89971-542-2.
  • Holger Zaborowski: Robert Spaemann’s Philosophy of the Human Person: Nature, Freedom, and the Critique of Modernity. Oxford University Press, 2010, ISBN 978-0-19-957677-7.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Wolf Stegemann: Das Doppelporträt – Priester Heinrich Spaemann und sein Sohn Robert. In: Dorsten transparent, 11. September 2014 (abgerufen am 25. Juli 2016).
  2. Robert Spaemann, Stephan Sattler: Über Gott und die Welt: Eine Autobiographie in Gesprächen. Clett-Kotta, Stuttgart 2012, S. 36–38.
  3. Robert Spaemann: Philosophische Essays. Stuttgart 1983, S. 187.
  4. Claus Leggewie: Der Geist steht rechts. Ausflüge in die Denkfabriken der Wende. Berlin 1987, S. 154 u. 158.
  5. Claus Leggewie: Der Geist steht rechts. Ausflüge in die Denkfabriken der Wende. Berlin 1987, S. 164.
  6. Claus Leggewie: Der Geist steht rechts. Ausflüge in die Denkfabriken der Wende. Berlin 1987, S. 165.
  7. Robert Spaemann: Über Gott und die Welt: Eine Autobiographie in Gesprächen. Stuttgart 2012, S. 117.
  8. Merkur. Zeitschrift für europäisches Denken, Heft 9/10, S. 891–904.
  9. Robert Spaemann: Sterbehilfe ist nur ein anderes Wort für Töten. In: Stuttgarter Zeitung vom 26. Oktober 2005.
  10. Vgl.: Henning Ritter: Zeitgenössisch. Philosoph der Person: Robert Spaemann zum Achtzigsten. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5. Mai 2007, S. 39.
  11. Vgl. Robert Spaemann: Europa ist kein Werteverbund. In: Cicero. April 2004, archiviert vom Original am 27. Mai 2007; abgerufen am 3. März 2015.
  12. Paul Badde: Philosoph Spaemann: „Minarette sind für den Islam nicht lebenswichtig“. Welt online, 11. Dezember 2009, abgerufen am 17. Dezember 2009.
  13. Konrad Adam: Robert Spaemann: ein konsequent unabhängiger Denker. In: Die Welt vom 30. Mai 2001.
  14. Robert Spaemann: Wider die Totmacher. 29. Juli 2006, abgerufen am 1. März 2015.
  15. Robert Spaemann: Euthanasie – der billige Ausweg. 2008, abgerufen am 1. März 2015.
  16. Ludwig A. Minelli: Der gedankenlose Philosoph. (PDF-Datei; 42,6 kB) Wie christliches Denken ständig neues Elend gebiert. Dignitas (Verein), 2006, abgerufen am 1. März 2015.
  17. R. Spaemann: Euthanasie. In: Die Zeit Nr. 7 vom 12. Februar 2015, S. 40
  18. Robert Spaemann: Tierschutz und Menschenwürde. In: Ursula M. Händel (Hrsg.): Tierschutz – Testfall unserer Menschlichkeit. Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-596-24265-7, S. 71.
  19. Robert Spaemann: Tierschutz und Menschenwürde. In: Ursula M. Händel (Hrsg.): Tierschutz – Testfall unserer Menschlichkeit. Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-596-24265-7, S. 72.
  20. a b Robert Spaemann: Tierschutz und Menschenwürde. In: Ursula M. Händel (Hrsg.): Tierschutz – Testfall unserer Menschlichkeit. Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-596-24265-7, S. 73.
  21. Robert Spaemann: Tierschutz und Menschenwürde. In: Ursula M. Händel (Hrsg.): Tierschutz – Testfall unserer Menschlichkeit. Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-596-24265-7, S. 73/74.
  22. Robert Spaemann: Tierschutz und Menschenwürde. In: Ursula M. Händel (Hrsg.): Tierschutz – Testfall unserer Menschlichkeit. Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-596-24265-7, S. 74.
  23. Robert Spaemann: Tierschutz und Menschenwürde. In: Ursula M. Händel (Hrsg.): Tierschutz – Testfall unserer Menschlichkeit. Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-596-24265-7, S. 80.
  24. Robert Spaemann: Bestialische Quälereien Tag für Tag. In: Deutsche Zeitung. 33, 1979. Auch veröffentlicht unter: Welt des Grauens. In: Kritik der Tierversuche. Kübler, Lampertheim 1980, ISBN 3-921265-24-X, S. 28.
  25. a b c Robert Spaemann: Bestialische Quälereien Tag für Tag. In: Deutsche Zeitung. 33, 1979. Auch veröffentlicht unter: Welt des Grauens. In: Kritik der Tierversuche. Kübler, Lampertheim 1980, ISBN 3-921265-24-X, S. 29.
  26. Robert Spaemann: Tierschutz und Menschenwürde. In: Ursula M. Händel (Hrsg.): Tierschutz – Testfall unserer Menschlichkeit. Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-596-24265-7, S. 78.
  27. Robert Spaemann: Bestialische Quälereien Tag für Tag. In: Deutsche Zeitung. 33, 1979. Auch veröffentlicht unter: Welt des Grauens. In: Kritik der Tierversuche. Kübler, Lampertheim 1980, ISBN 3-921265-24-X, S. 31.
  28. Vgl.: Konrad Adam: Robert Spaemann: ein konsequent unabhängiger Denker. In: Die Welt vom 30. Mai 2001.
  29. Vgl.: Adolf Laufs: Laudatio auf Robert Spaemann. 28. November 2001, archiviert vom Original am 13. November 2012; abgerufen am 9. März 2015 (Rede während eines Festaktes in der Alten Aula der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg anlässlich der Verleihung des Karl-Jaspers-Preises).
  30. Vortrag in der Katholischen Akademie in Bayern am 14. Oktober 2006.
  31. Robert Spaemann: Eine Antwort finden – Robert Spaemann über die Frage nach Gott. In: NZZ. 5. Mai 2007, S. 51, abgerufen am 3. März 2015 (Zeitungsarchiv).
  32. Die Welt: Der Gottesbeweis. 26. März 2005.
  33. Vgl.: Thomas Groß: Der Gott der Denker. Philosophie: Robert Spaemann liefert einen neuen Beweis für die Existenz des Schöpfers. In: Rheinischer Merkur. 3. Mai 2007, S. 17.
  34. Vgl.: Robert Spaemann: Erziehung oder Lustprinzip und Realitätsprinzip. In Ders.: Moralische Grundbegriffe. München 1982, Siebte Auflage 2004, S. 34.
  35. Vgl: Robert Spaemann: Emanzipation – ein Bildungsziel. In: Zur Kritik der politischen Utopie. Stuttgart 1977, S. 143–154.
  36. Vgl.: Die Linke, die Rechte, das Richtige (Gespräch mit Robert Spaemann). In: Claus Leggewie: Der Geist steht rechts. Ausflüge in die Denkfabriken der Wende. Berlin 1987, S. 160–161.
  37. Vgl.: Robert Spaemann: Erziehung oder Lustprinzip und Realitätsprinzip. In Ders.: Moralische Grundbegriffe. München 1982, 7. Auflage 2004, S. 34–35.
  38. Kultur: Die Menschheit lebt nicht ewig. In: Focus. Nr. 52, 2009, S. 40.
  39. Auszüge aus ders. mit Wolfgang Böckenförde, Hgg.: Menschenrechte und Menschenwürde. Historische Voraussetzungen, säkuläre Gestalt, christliches Verständnis. Klett-Cotta, Stuttgart 1987; wieder als Menschenrecht und Menschenwürde. ebd. 1994, ISBN 3-608-91442-0.