Xavier Marmier

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Xavier Marmier (* 22. Juni 1808 in Pontarlier; † 11. Oktober 1892 in Paris) war ein französischer Reiseschriftsteller, Germanist und Mitglied der Académie française.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anfänge[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Xavier Marmier, dessen Vater Zollbeamter war, wuchs als zweites von 6 Kindern an verschiedenen Orten des Départements Doubs auf. Mit 19 Jahren ging er nach Besançon und wurde von dem Bibliothekar Charles Weiss (1779–1866) gefördert, der ihn 1829 an seinen Freund Charles Nodier in Paris empfahl, wo er mit Alfred de Vigny in Kontakt kam. Eine Stelle als Schlossbibliothekar von François Philibert de Caumont (1772–1854) in Chandai erlaubte ihm 1830 die Veröffentlichung eines Gedichtbandes (Esquisses poétiques), der Vigny gewidmet war und von Sainte-Beuve, der ihm zum Freund wurde, eine günstige Besprechung erfuhr. Die Julirevolution von 1830 ermöglichte ihm die Herausgabe von Zeitungen in Vesoul und Besançon und Ende 1831 die Publikation eines zweiten Gedichtbandes (Nouvelles esquisses poétiques).

Reisen durch Deutschland und Skandinavien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Von Ende 1832 bis Anfang 1835 reiste er, seinem Entdeckungsdrang folgend, durch Deutschland, lernte die Sprache und kam mit Tieck, Schwab, Uhland, Chamisso, Holtei und den Brüdern Grimm in Berührung. Durch zahlreiche Artikel, mehrere Bücher und durch Übersetzungen der Klassiker wies er sich als bester französischer Kenner des damaligen Deutschland aus und als eine Art Nachfolger der Madame de Stael. Wenn er nicht reiste, hielt er sich meist in Leipzig auf, deren Universität ihm 1839 einen Ehrendoktor verlieh. 1836 begleitete er auf dem Schiff La Recherche die wissenschaftliche Expedition nach Island unter Leitung von Paul Gaimard und berichtete darüber in Aufsehen erregender Weise in der Revue des Deux Mondes und in dem Buch Lettres sur l’Islande (1837).

1837 reiste er im Auftrag des Unterrichtsministers François Guizot über Hamburg und Kiel nach Dänemark, um sich über das dortige Unterrichtswesen zu informieren. Er besuchte Adam Oehlenschläger, dessen Tochter er beinahe geheiratet hätte, Hans Christian Andersen, Ingemann, Grundtvig, Winther, Heiberg, Hertz, Christian Molbech (1783–1857), Finnur Magnússon, Rafn, sowie König Friedrich VI. und Prinz Christian VIII.

Im Juni 1837 reiste er von Dänemark aus nach Schweden, besuchte in Lund Tegnér, Reuterdahl, Thomander und Gleerup. In Stockholm traf er in König Karl XIV. Johann seinen Landsmann Bernadotte, fand aber außer Atterbom keine Dichter. Er besichtigte das Bergwerk von Falun. Er traf kurz mit Geijer zusammen und reiste über Oslo nach Stockholm zurück. Im Frühjahr 1838 traf er in Uppsala außer Atterbom und Geijer noch Franzén und Wallin, ferner in Stockholm Fredrika Bremer und Adolf Ivar Arwidsson.

Ab Ende Mai 1838 nahm er an einer weiteren Expedition unter Gaimard teil. Es ging über Oslo, Trondheim, Tromsø und Hammerfest zum Nordkap, von da über Kautokeino und Karesuando nach Haparanda und Umeå, wo er Grafström besuchte. Am 11. Oktober 1838 verließ er Stockholm und reiste über Lübeck zurück nach Frankreich.

Literaturlehrstuhl und Reisen nach Spitzbergen, Finnland und Russland[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als Bildungsminister Salvandy im Herbst 1838 an den Universitäten Bordeaux, Lyon, Montpellier und Rennes Philosophische Fakultäten gründete, wurde der nicht promovierte Marmier in Rennes zum Inhaber des Lehrstuhls für ausländische Literatur berufen. Er lehrte in Rennes ab Januar 1839 mit großem Erfolg, erreichte aber schon im Juni seine Beurlaubung, um an einer weiteren Expedition teilzunehmen, die ihn über die Färöer-Inseln nach Spitzbergen führte.

1840 unternahm er im Auftrag von Innenminister Charles de Rémusat eine Reise durch die Niederlande, wo er vom hohen Bildungsniveau angetan war und vor allem die Universität Leiden bewunderte. Daraufhin wurde er im Januar 1841 als Bibliothekar des Bildungsministeriums angestellt, machte sich aber schon 1842 auf die nächste Reise, diesmal nach Finnland und Russland. Via Stockholm reiste er nach Turku und Helsinki, wo er den finnischen Charakter als fleißig, geduldig und resigniert beschrieb und Bildungsminister Villemain über das Kalevala berichtete. Dann ging es über Vyborg nach Sankt Petersburg, wo er Wjasemski, Chomjakow, Tschaadajew und Kirejewski traf, wie auch Gogol. In Moskau besuchte er Turgenjew und Herzen. Dann reiste er über Warschau und Krakau nach Frankreich zurück, wo er im November 1842 ankam.

Reisen in den Vorderen Orient, nach Algerien und nach Nord- und Südamerika[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Mai 1843 heiratete er in Pontarlier, verlor aber Frau und Kind nach 11 Monaten und reiste 1845 über die Schweiz, Konstanz, Bregenz, Innsbruck, Wien, Gran, Budapest, Belgrad, Craiova, Brăila, Sulina, Konstantinopel, Rhodos, Zypern, Beirut nach Jerusalem und weiter nach Kairo zu den Pyramiden (die er als Energieverschwendung beklagte). Von Alexandria fuhr er mit dem Schiff nach Marseille und legte seine Erfahrungen wieder in einem Buch nieder, das durch seinen gelehrten Hintergrund und durch den poetischen Stil gefiel.

Nachdem er 1846 Algerien bereist hatte, wo er die Generäle Bugeaud, Pélissier und Cavaignac kennenlernte, wurde er noch im selben Jahr zum Konservator der Bibliothek Sainte-Geneviève ernannt, bat aber schon im Februar 1848 wieder um ein Jahr bezahlten Urlaub. Durch die Februarrevolution 1848 gehindert, konnte er erst im September 1849 zu seiner nächsten großen Reise aufbrechen, die ihn als erstes nach New York führte. Auf der Überfahrt war er von den Verhältnissen entsetzt. Während er in der Luxusklasse für 650 Francs alle Annehmlichkeiten hatte, lebten unter Deck die 60 Francs bezahlenden Auswanderer unter schlimmeren Verhältnissen als auf einem Sklavenschiff. Die Amerikaner, denen er vorwarf, nichts anderes als Gewinnstreben im Sinn zu haben, waren ihm nicht sympathisch. Er blühte erst wieder in Montreal und Québec auf, und einzig die Niagarafälle rührten ihn zu Tränen. Er reiste über Philadelphia, Washington, Baltimore, Cumberland nach New Orleans, wo er sich wohl fühlte und das Sklavenproblem mit viel Verständnis für die weißen Sklavenhalter beurteilte. Er setzte nach Kuba über, das ihm gefiel, und reiste auf einem belgischen Dampfer zwei Monate lang bis Montevideo und von dort nach Buenos Aires. In Uruguay besuchte er die Charrúa-Ureinwohner. Im August 1850 landete er wieder in Frankreich und wurde Ritter im Orden Karls III.

Reisen nach Montenegro und Rügen. Wahl in die Académie française[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Seine nächste größere Reise führte ihn in der zweiten Hälfte des Jahres 1852 in den westlichen Balkan (Triest, Bled, Ljubljana, Besuch bei den Istrorumänen, Rijeka, dalmatinische Küste). In Cetinje traf er mit König Danilo zusammen. Der äußerste Punkt war der Skutarisee. Insgesamt war er von den Montenegrinern wenig angetan. 1855 unternahm er noch eine Reise nach Danzig, Rügen und Helgoland. Dann begannen Alterserscheinungen, und er verlegte sich auf das Schreiben von Romanen, die aber auch kaum etwas anderes waren als verkappte Reiseliteratur. Zweimal (1859 und 1861) erhielt er dafür den begehrten Prix Montyon der Académie française. Ab 1865 bewarb er sich um einen Sitz in der Académie française, was ihm im Mai 1870 gelang (Sitz Nr. 31). Seine Wahl war knapp und wurde angefeindet, am schärfsten von Francisque Sarcey.

Die letzten 20 Jahre[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Durch seine Freundschaft mit Adolphe Thiers und dessen Schwägerin Félicie Dosne (1823–1906) nahm er starken Anteil an den politischen Ereignissen der Jahre 1870 und folgende (Deutsch-französischer Krieg, Pariser Kommune). In einer seiner letzten Amtshandlungen unterzeichnete Thiers Marmiers Ernennung zum Offizier der Ehrenlegion. In den 1870er Jahren geriet Marmier als Rechtskonservativer und enttäuschter Orleanist ins politische Abseits. Bei den Wahlen von 1876 ließ er sich nur widerwillig in Pontarlier als anti-republikanischer Kandidat aufstellen und war froh über seine Niederlage, desgleichen 1877. Von da an lebte er die letzten 15 Jahre ausschließlich für die Akademie, sein Schreiben und die Bouquinisten (denen er das Geld für ein Festessen mit 95 Gästen hinterließ). Zu seinen letzten Freunden gehörte Maxime Du Camp. Als er 1892 im Alter von 84 Jahren (im Besitz von 6000 Büchern und einem Vermögen von 200 000 Francs) starb, nannte ihn Anatole France den Lehrer, der den Französinnen und Franzosen dreißig Jahre lang die ausländische Literatur nahegebracht habe, womit er auch Marmiers zahlreiche Übersetzungen meinte. Er wurde in Pontarlier bestattet. In Besançon und Pontarlier tragen jeweils eine Straße und ein Gymnasium seinen Namen.

Würdigung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Durch sein Sprachtalent, seine stilistisch ansprechenden, einfühlsamen und von Empathie getragenen Reiseberichte mit wissenschaftlichem Hintergrund aus Ländern, über die in Frankreich wenig gewusst wurde, ebenso durch seine zahlreichen Übersetzungen aus allen germanischen Sprachen (und darüber hinaus) wurde Marmier im 19. Jahrhundert einer der wichtigsten Mittler zwischen der germanischen und romanischen Welt, namentlich zwischen Deutschland und Frankreich. Die beiden besonderen Kennzeichen seines Reisens waren einmal das Interesse für die jeweilige Literatur und Volkskunde und zum anderen die Hinwendung zu den Namenlosen, deren Lebensgeschichte und Lebensbedingungen ihm ebenso wichtig waren wie die der berühmten Köpfe. Geprägt durch die Biedermeierzeit, sah er das Aufkommen des industriellen Zeitalters und das Anwachsen des preußischen Militarismus unter der Politik Bismarcks mit Sorge. Die Geschichte gab ihm Recht.

Werke (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Reiseberichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Feuilles volantes. Souvenirs d’Allemagne. Haude und Spener, Berlin 1833.
  • Lettres sur l’Islande. Bonnaire, Paris 1837.
  • Lettres sur le Nord. Danemark, Suède, Norvège, Laponie et Spitzberg. 2 Bde. Delloye, Paris 1840.
  • Souvenirs de voyages et traditions populaires. Masgana, Paris 1841. (Südfrankreich, Deutschland, Schweden, Finnland)
  • (mit anderen) Voyages de la commission scientifique du Nord. 2 Bde. Arthus Bertrand, Paris 1844–1847, 1849, 1854.
  • Lettres sur la Hollande. Delloye, Paris 1841.
  • Lettres sur la Russie, la Finlande et la Pologne. 2 Bde. Delloye, Paris 1843.
  • Nouveaux souvenirs de voyages et traditions populaires. Franche-Comté. Charpentier, Paris 1845.
  • Du Rhin au Nil. 2 Bde. Arthus Bertrand, Paris 1846.
  • Lettres sur l’Algérie. Arthus Bertrand, Paris 1847.
  • Lettres sur l’Amérique. Canada, États-Unis, Havane, Rio de la Plata. 2 Bde. Arthus Bertrand, Paris 1851.
  • Du Danube au Caucase. Voyages et littératures. Garnier, Paris 1854.
  • Lettres sur l’Adriatique et le Monténégro. 2 Bde. Arthus Bertrand, Paris 1854.
  • Un été au bord de la Baltique et de la Mer du Nord. Hachette, Paris 1856.
  • La Forêt noire. Charles Douniol, Paris 1858.
  • Voyage pittoresque en Allemagne. 2 Bde. Morizot, Paris 1859–1860.
  • En Amérique et en Europe. Hachette, Paris 1860.
  • Voyage en Suisse. Morizot, Paris 1861.
  • De l’Est à l’Ouest. Voyages et littérature. Hachette, Paris 1867.
  • Impressions et souvenirs d’un voyageur chrétien. Mame, Tours 1873.
  • Les États-Unis et le Canada. Mame, Tours 1874.
  • En pays lointains. Hachette, Paris 1876.
  • Nouveaux récits de voyage. Hachette, Paris 1879.
  • Rêveries et réflexions d’un voyageur. Lahure, Paris 1887.
  • À travers les tropiques. Hachette, Paris 1889. (auch spanisch 2006)
  • En divers pays. Firmin Didot, Paris 1891.
  • A travers le monde. Diverses curiosités. Firmin Didot, Paris 1893.

Germanistik und Skandinavistik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Études sur Goethe. Levrault, Paris 1835.
  • Histoire de la littérature en Danemark et en Suède. Bonnaire, Paris 1839.
  • Histoire de l’Islande depuis sa découverte jusqu’à nos jours. Arthus Bertrand, Paris 1840.
  • Chants populaires du Nord. Charpentier, Paris 1842.
  • Littérature islandaise. 2 Bde. Arthus Bertrand, Paris 1843.
  • Histoire de la littérature scandinave. Arthus Bertrand, Paris 1848.

Romane[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Les Fiancés du Spitzberg. Hachette, Paris 1858.
  • Gazida. Hachette, Paris 1860.
  • Hélène et Suzanne. Hachette, Paris 1862.
  • Le Roman d’un héritier. Hachette, Paris 1864.
  • Histoire d’un pauvre musicien (1770–1793). Hachette, Paris 1866.
  • Robert Bruce. Comment on reconquiert un royaume. Hachette, Paris 1873. (über Robert I. von Schottland, als Ansporn zur Wiedereroberung von Elsass-Lothringen)

Weitere Werke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • A la maison. Études et souvenirs. Hachette, Paris 1883.
  • Au sud et au nord. Hachette, Paris 1890.
  • Proses et vers 1836–1886. Lahure, Paris 1890.
  • Contes des grand'mères. Jouvet, Paris 1892.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Xavier Marmier: Journal (1848–1890). 2 Bde. Droz, Genf 1968
  • Wendy S. Mercer: The life and travels of Xavier Marmier (1808–1892). Bringing world literature to France. OUP, Oxford 2007.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]