Eidgenössische Volksinitiative «Für den Schutz vor Waffengewalt»

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Die eidgenössische Volksinitiative «Für den Schutz vor Waffengewalt» war eine schweizerische Volksinitiative, die 2007 von verschiedenen Organisationen lanciert und über die am 13. Februar 2011 abgestimmt wurde. Die Initiative wurde mit 56,3 % Nein-Stimmen abgelehnt.

Initiative[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vom 4. September 2007 bis zum 23. Februar 2009[1] sammelten rund 70 Organisationen[2] 106'037 gültige Unterschriften, wodurch die Volksinitiative zustande kam.[3] Sie wollte den Art. 107 der Bundesverfassung Waffen und Kriegsmaterial streichen und einen neuen Artikel 118a Schutz vor Waffengewalt schaffen, der den Waffenbesitz eingeschränkt hätte. Dies hätte dann in der Folge eine Revision des Waffengesetzes erfordert.

Die Initiative wurde am 13. Februar 2011 dem Volk und den Ständen unterbreitet. Sie wurde mit 56,3 Prozent der Stimmen abgelehnt. Sechs der 26 Kantone (die französischsprachigen Kantone Genf, Waadt, Jura und Neuenburg sowie die beiden deutschsprachigen Kantone Basel-Stadt und Zürich) waren mehrheitlich für die Vorlage. Die Stimmbeteiligung lag bei verhältnismässig hohen 48,8 Prozent.[4]

Wortlaut[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Volksinitiative hatte folgenden Inhalt:

Die Bundesverfassung vom 18. April 1999 wird wie folgt geändert:

Art. 107 Sachüberschrift und Abs. 1

Kriegsmaterial

1 Aufgehoben

Art. 118a (neu) Schutz vor Waffengewalt

1 Der Bund erlässt Vorschriften gegen den Missbrauch von Waffen, Waffenzubehör und Munition. Dazu regelt er den Erwerb, den Besitz, das Tragen, den Gebrauch und das Überlassen von Waffen, Waffenzubehör und Munition.

2 Wer Feuerwaffen und Munition erwerben, besitzen, tragen, gebrauchen oder überlassen will, muss den Bedarf dafür nachweisen und die erforderlichen Fähigkeiten mitbringen. Das Gesetz regelt die Anforderungen und die Einzelheiten, insbesondere für:

a. Berufe, bei denen sich der Bedarf aus der Aufgabe ergibt;

b. den gewerbsmässigen Handel mit Waffen;

c. das Sportschützenwesen;

d. die Jagd;

e. das Sammeln von Waffen.

3 Besonders gefährliche Waffen, namentlich Seriefeuerwaffen und Vorderschaftrepetierflinten (Pump Action), dürfen nicht zu privaten Zwecken erworben und besessen werden.

4 Die Militärgesetzgebung regelt den Gebrauch von Waffen durch die Angehörigen der Armee. Ausserhalb des Militärdienstes werden die Feuerwaffen der Angehörigen der Armee in gesicherten Räumen der Armee aufbewahrt. Angehörigen der Armee dürfen beim Ausscheiden aus der Armee keine Feuerwaffen überlassen werden. Das Gesetz regelt die Ausnahmen, namentlich für lizenzierte Sportschützen.

5 Der Bund führt ein Register für Feuerwaffen.

6 Er unterstützt die Kantone bei Aktionen zum Einsammeln von Feuerwaffen.

7 Er setzt sich auf internationaler Ebene dafür ein, dass die Verfügbarkeit von Kleinwaffen und leichten Waffen eingeschränkt wird.[5]

Parolen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Volksbegehren wurde von der SP, den Grünen, den Grünliberalen, der EVP und der CSP unterstützt. Die Parteien CVP, BDP, FDP und SVP waren gegen die Initiative.[6]

Der Bundesrat und das Parlament lehnten die Vorlage ab.

Argumentation[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Regierung und das Parlament waren gegen die Initiative, weil sie das bestehende Waffengesetz für ausreichend hielten und speziell im Bereich Ordonnanzwaffen bereits zahlreiche Massnahmen zur Missbrauchsbekämpfung ergriffen worden seien.[7][8] Ausserdem argumentierten die Gegner, die Annahme der Initiative hätte einen Vertrauensbruch zwischen Staat und Bürgern bedeutet.[9] Die Befürworter der Initiative, darunter die Schweizer Ärztevereinigung Foederatio Medicorum Helveticorum (FMH)[10] und zahlreiche Suizidpräventionsorganisationen, hielten dem entgegen, dass mit der Initiative zahlreiche Menschenleben hätten gerettet werden können.[11]

Kontroverse um Selbstmorde mit Waffen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Vorfeld der Abstimmung kam es insbesondere um den Anteil der Armeewaffen, die bei Selbstmorden benutzt werden, zu einer öffentlichen Kontroverse. Nach verschiedenen Studien wurden über 40 Prozent der Schusswaffensuizide mit Armeewaffen verübt.[12] Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) kam aufgrund der Auswertung von vier wissenschaftlichen Studien auf einen Wert von 49 Prozent.[13]

Das Bundesamt für Statistik gab an, dass 9 Prozent der Schusswaffensuizide im Jahr 2009 mit Armeewaffen (Sturmgewehr und Armeepistole) verübt worden seien.[14] Um diese Angabe entstand eine Kontroverse, da die Zuordnung der Waffen zu den verschiedenen Kategorien nicht schlüssig erschien[15][13], und auch das Bundesamt für Statistik selbst wies in einem Dokument[16] auf die limitierte Vollständigkeit und Qualität der Angaben hin.

Einfluss auf die Gesetzgebung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Vorfeld der Abstimmung beschlossen Bundesrat und Parlament verschiedene Verschärfungen im Umgang mit Armeewaffen, die auf Anfang 2010 in Kraft traten:[17][8]

  • Die Taschenmunition wird den Soldaten nicht mehr nach Hause mitgegeben.
  • Auf eigenen Wunsch können Armeeangehörige ihre Dienstwaffe kostenlos und ohne Angabe von Gründen im Zeughaus deponieren. Es braucht dafür kein Gesuch mehr.
  • Soldaten, die ihre Dienstwaffe nach Abschluss der Militärdienstpflicht behalten wollen, brauchen dafür einen Waffenerwerbsschein.
  • Es wird eine Meldepflicht für Behörden, Ärzte und Psychologen eingeführt, die Anzeichen feststellen, dass ein Armeeangehöriger sich selbst oder andere mit seiner Waffe gefährden könnte.

Ergebnisse[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nur in den sechs Kantonen Basel-Stadt, Zürich, Genf, Neuenburg, Waadt und Jura wurde die Initiative angenommen.
  • Ja (5 12 Stände)
  • Nein (15 52 Stände)
  • Vorläufige amtliche Endergebnisse der eidgenössischen Volksinitiative «Für den Schutz vor Waffengewalt»[18]
    Kanton
    Ja
    (%)
    Nein
    (%)
    Beteiligung
    (%)
    Kanton Zürich Zürich 50,4 49,6 49,6
    Kanton Bern Bern 40,6 59,4 52,6
    Kanton Luzern Luzern 40,1 59,9 50,2
    Kanton Uri Uri 29,4 70,6 43,5
    Kanton Schwyz Schwyz 29,1 70,9 51,3
    Kanton Obwalden Obwalden 28,1 71,9 53,9
    Kanton Nidwalden Nidwalden 31,2 68,8 52,6
    Kanton Glarus Glarus 30,2 69,8 41,7
    Kanton Zug Zug 42,8 57,2 53,6
    Kanton Freiburg Freiburg 41,1 58,9 46,6
    Kanton Solothurn Solothurn 35,0 65,0 48,8
    Kanton Basel-Stadt Basel-Stadt 58,9 41,1 49,0
    Kanton Basel-Landschaft Basel-Landschaft 45,2 54,8 49,8
    Kanton Schaffhausen Schaffhausen 39,0 61,0 64,6
    Kanton Appenzell Ausserrhoden Appenzell Ausserrhoden 37,8 62,2 51,7
    Kanton Appenzell Innerrhoden Appenzell Innerrhoden 27,7 72,3 44,4
    Kanton St. Gallen St. Gallen 39,2 60,8 47,8
    Kanton Graubünden Graubünden 35,0 65,0 44,1
    Kanton Aargau Aargau 38,6 61,4 46,4
    Kanton Thurgau Thurgau 34,5 65,5 49,7
    Kanton Tessin Tessin 36,5 63,5 44,3
    Kanton Waadt Waadt 53,7 46,3 49,3
    Kanton Wallis Wallis 38,1 61,9 50,8
    Kanton Neuenburg Neuenburg 53,2 46,8 46,8
    Kanton Genf Genf 61,0 39,0 47,8
    Kanton Jura Jura 52,0 48,0 39,2
    Eidgenössisches Wappen Schweizerische Eidgenossenschaft 43,7 56,3 48,8

    Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    1. Chronologie der Volksinitiative. In: admin.ch.
    2. Tragende und unterstützende Organisationen. In: schutz-vor-waffengewalt.ch.
    3. BBl 2009 2125. Eidgenössische Volksinitiative «Für den Schutz vor Waffengewalt». Zustandekommen. In: admin.ch (PDF; 483 kB).
    4. Armeewaffen dürfen weiterhin mit nach Hause. In: 20 Minuten. 8. März 2012.
    5. Eidgenössische Volksinitiative «Für den Schutz vor Waffengewalt». Bundeskanzlei, abgerufen am 11. August 2016.
    6. Eidgenössische Volksabstimmungen 2011 – Übersicht. Bundesamt für Statistik, archiviert vom Original am 11. August 2016; abgerufen am 11. August 2016.
    7. Bundesrat lehnt Volksinitiative «Für den Schutz vor Waffengewalt» ab (Memento vom 5. August 2012 im Webarchiv archive.today). In: admin.ch.
    8. a b Volksinitiative «Für den Schutz vor Waffengewalt» (Memento vom 13. Februar 2011 im Internet Archive). In: ejpd.admin.ch. 6. Dezember 2010.
    9. Argumente der Gegner (Memento vom 24. Februar 2011 im Internet Archive). Ehemalige Website der Gegner der Initiative.
    10. Zahlen-Wirrwarr um Waffenschutz. FMH spielte im Abstimmungskampf um die Waffen-Initiative eine sehr aktive Rolle (Memento vom 16. Januar 2011 im Internet Archive). In: Neue Zürcher Zeitung. 6. Januar 2011.
    11. Argumente (Memento vom 30. Oktober 2009 im Internet Archive). Ehemalige Website des Initiativkomitees.
    12. Thomas Reisch: Die Schweiz im glücklichen Blindflug. In: Schweizerische Ärztezeitung. 2011, 92, S. 1/2; saez.ch (Download PDF).
    13. a b Ronny Nicolussi: Fehlschuss der Statistiker. In: 20 Minuten. 1. Februar 2011.
    14. Tatmittel Schusswaffe – Suizide nach Vorgehensart und Waffentyp, 2009 (Memento vom 17. November 2013 im Internet Archive; MS Excel; 62 kB). Bundesamt für Statistik, Stand der Datenbank: 9. Februar 2010 (siehe auch Kopie im Artikel von 20 Minuten vom 1. Februar 2011).
    15. Olivia Kühni: Bundesämter stiften Verwirrung um Armeewaffensuizide. In: Tages-Anzeiger. 1. Februar 2011.
    16. Tatmittel Schusswaffe (Memento vom 17. November 2013 im Internet Archive; PDF; 23 kB). Bundesamt für Statistik, Dezember 2010.
    17. Waffen ab 2010 gratis im Zeughaus deponieren. In: NZZ.ch. 27. November 2009.
    18. Vorlage Nr. 554 – Vorläufige amtliche Endergebnisse – Volksinitiative vom 23.02.2009 «Für den Schutz vor Waffengewalt». Bundeskanzlei, 13. Februar 2011, 17:02 Uhr, abgerufen am 14. Februar 2011.