Rainer Barzel

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Rainer Candidus Barzel (* 20. Juni 1924 in Braunsberg / Ostpreußen; † 26. August 2006 in München) war ein deutscher Politiker (CDU).

Er war von 1962 bis 1963 Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, von 1964 bis 1973 Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, von 1971 bis 1973 Bundesvorsitzender der CDU, von 1982 bis 1983 Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen und von 1983 bis 1984 der 8. Präsident des Deutschen Bundestages.

Leben und Beruf

Barzel ging in Berlin zur Schule. Nachdem er zwischenzeitlich für ein Jahr das jesuitische Canisius-Kolleg Berlin besucht hatte, legte er 1941 auf einem humanistischen Gymnasium sein Abitur ab. Während der Schulzeit engagierte er sich im katholischen Jugendverband Bund Neudeutschland. Anschließend nahm er von 1941 bis 1945 als Soldat bei den Seefliegern am Zweiten Weltkrieg teil. In den letzten Kriegswochen war er Lufttaktiklehrer an der Marineschule in Kiel. 1944 erhielt er die Goldene Frontflugspange; sein letzter Dienstgrad war Leutnant d. R. Seit 1959 war er Oberleutnant zur See d. R. der Bundesmarine.

Nach dem Krieg absolvierte er von 1945 bis 1949 ein Studium der Rechtswissenschaft und der Volkswirtschaftslehre an der Universität zu Köln und wurde Mitglied des KStV Borussia Königsberg zu Köln. 1949 erfolgte die erste juristische Staatsprüfung und seine Promotion zum Doktor der Rechte bei dem Rechtsphilosophen Ernst von Hippel mit der Arbeit Die verfassungsrechtliche Regelung der Grundrechte und Grundpflichten des Menschen. Er verzichtete auf das 2. juristische Staatsexamen und trat noch 1949 in den Dienst des Landes Nordrhein-Westfalen, wo er insbesondere vom Zentrumspolitiker Carl Spiecker protegiert wurde. Er war zunächst in der Nordrhein-Westfälischen Vertretung beim Wirtschaftsrat der Bizone in Frankfurt am Main tätig und wurde 1953 kommissarischer Leiter der Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen beim Bund in Bonn. Von 1952 bis 1955 nahm er für Nordrhein-Westfalen an den Verhandlungen über die Montanbehörde in Luxemburg teil.

1955 wurde er Berater und Redenschreiber des Ministerpräsidenten Nordrhein-Westfalens, Karl Arnold, (CDU). Nach Arnolds Sturz durch SPD, FDP und ZENTRUM ließ er sich 1956 beurlauben und wurde hauptamtlicher Mitarbeiter der CDU. Seit 1973 arbeitete er in einer Rechtsanwaltskanzlei.

Barzel war nach seinem Ausscheiden aus der Politik als Rechtsanwalt, Autor und Politikberater tätig. Die Stadt Paderborn verlieh ihm 1984 die Ehrenbürgerwürde, da er seinen Bundestagswahlkreis ebenda unterhielt.

Zusammen mit einem polnischen Regisseur drehte er 1987 einen Film über die Wiederbegegnung mit seiner ostpreußischen Heimat: "Zu Besuch, aber nicht als Fremder". Sein starkes Interesse am Frieden in Nahost und an der Stadt Jerusalem brachte er als Autor seines zweiten Films 1989 zum Ausdruck: "Jerusalem, eine Stadt, die uns angeht".

Rainer Barzel starb am 26. August 2006 nach langer, schwerer Krankheit in München. Er war seit einer stationären Krankenhausbehandlung zwischen Januar und Mai 2006 auf den Rollstuhl angewiesen.

Am 5. September 2006 fand das Pontifikalrequiem für Rainer Barzel im Bonner Münster statt, die Predigt hielt Karl Kardinal Lehmann [1]. Am 22. September 2006 wurde er mit einem Trauerstaatsakt im Plenarsaal des Deutschen Bundestages in Berlin geehrt. Es sprachen sein Nachfolger im Amt des Bundestagspräsidenten, Norbert Lammert, sein alter Weggefährte, politischer Kontrahent und persönlicher Freund Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt und die Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Gemeinsame Grabstätte von Rainer Barzel und seiner ersten Frau Kriemhild auf dem Zentralfriedhof in Bonn-Bad Godesberg

Familie

Rainer Barzel war drei Mal verheiratet. Mit seiner ersten Frau Kriemhild, die er 1948 heiratete, hatte er eine Tochter Claudia (geb. 1949), die sich 1977 das Leben nahm. Kriemhild Barzel starb 1980 nach langer Krankheit. Drei Jahre später heiratete Barzel die spätere Vorsitzende der Welthungerhilfe, Helga Henselder-Barzel, die am 15. Dezember 1995 bei einem Autounfall in der Nähe von Solms (Hessen) ums Leben kam. 1997 heiratete Rainer Barzel die Schauspielerin Ute Cremer, mit der er bis zuletzt in München lebte.

Partei

In Barzels 1947 verfassten Buch Die geistigen Grundlagen der Parteien sind deutliche Sympathien für die Wiedergründung der Zentrumspartei zu erkennen, er bleibt jedoch zunächst parteilos. 1954, das Scheitern der Zentrumspartei war inzwischen offenkundig geworden, wurde er Mitglied der CDU und wurde bald Mitglied des Bundesvorstands und des Landesvorstands Westfalen-Lippe der CDU. Seit 1956 war er geschäftsführendes Präsidiumsmitglied der CDU-Nordrhein-Westfalen, die damals noch keinen Landesverband sondern eine Arbeitsgemeinschaft der Landesverbände Westfalen-Lippe und Rheinland darstellte. In der CDU wurde Barzel zunächst als Gefolgsmann Karl Arnolds dem linken Parteiflügel zugerechnet. Nach dessen Tod 1958 schwenkte er jedoch auf einen deutlich antisozialistischen Kurs um und gründete mit Franz Josef Strauß das „Komitee Rettet die Freiheit“. Als Vorsitzender dieses Komitees geriet Barzel unter Druck, nachdem in einem „Rotbuch“ 450 Personen des öffentlichen Lebens der Bundesrepublik als Kommunisten dargestellt wurden. Nach öffentlicher Kritik, die Parallelen zu den Aktivitäten des amerikanischen Politikers Joseph McCarthy zog, und mehreren Strafanzeigen von Betroffenen distanzierte sich Barzel von dieser Veröffentlichung.

1960 wurde Barzel in den Bundesvorstand der CDU gewählt. Dort versuchte er 1961 die Gründung einer „großen Gegengewerkschaft“ gegen den DGB zu forcieren, wofür er aber keine Unterstützung erhielt. Es folgten weitere umstrittene Initiativen, wie etwa zur Wiedereinführung der Todesstrafe oder zur Gleichschaltung der Landtagswahlen mit den Bundestagswahlen (das jeweilige Bundestagswahlergebnis im Bundesland sollte für die Mandatsverteilung im Landtag ausschlaggebend sein). Auf dem Bundesparteitag 1962 forderte er in einer Denkschrift eine Rekatholisierung der CDU-Positionen, was ihm insbesondere Kritik aus den norddeutschen CDU-Verbänden, aber auch aus den protestantischen Gebieten Baden-Württembergs einbrachte. Auf dem Bundesparteitag 1966 scheiterte er mit einer Kampfkandidatur um den Parteivorsitz gegen Bundeskanzler Ludwig Erhard, wurde aber zum ersten stellvertretenden Bundesvorsitzenden gewählt. Als Erhard schon ein Jahr später das Amt des Parteivorsitzenden niederlegte, wurde jedoch nicht Barzel sondern der neue Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger als Nachfolger gewählt.

Nach der Bildung der sozialliberalen Koalition 1969 sammelte Barzel diejenigen Kräfte in der CDU um sich, die eine pragmatisch orientierte Linie gegenüber der neuen Regierung vertraten und rückte damit von seiner kompromisslos-konservativen Haltung wieder ab. Er geriet damit in scharfen Gegensatz zum Parteivorsitzenden und Exkanzler Kurt Georg Kiesinger, der (zusammen mit der CSU unter Franz Josef Strauß) einen fundamentaloppositionellen Kurs, insbesondere in der Ost- und Deutschlandpolitik, fuhr. 1971 wurde er als Nachfolger von Kiesinger zum Bundesvorsitzenden der CDU gewählt. Sein unterlegener Gegenkandidat war der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Helmut Kohl.

Seit Amtsantritt der Regierung Brandt hatten bis zum Jahr 1972 so viele Abgeordnete der SPD und der FDP zur Unionsfraktion gewechselt, darunter der ehemalige Bundesminister Erich Mende, dass die CDU/CSU-Fraktion rechnerisch über eine knappe absolute Mehrheit verfügte. Barzel glaubte daher im April 1972, Willy Brandt mittels eines konstruktiven Misstrauensvotums ablösen zu können. Doch für seine Wahl zum Bundeskanzler fehlten ihm bei der Abstimmung zwei Stimmen. Später wurde bekannt, dass die DDR mindestens einen Abgeordneten (Julius Steiner) der CDU bestochen hatte. Mittlerweile ist durch die Rosenholz-Dateien auch der 2. Abgeordnete aus den Reihen der CSU bekannt: Leo Wagner erhielt von der Staatssicherheit 50.000 DM. Da allerdings auch die SPD/FDP-Koalition im Bundestag über keine handlungsfähige Mehrheit mehr verfügte, stellte Brandt im September 1972 die Vertrauensfrage, bei welcher sich absprachegemäß die Bundesminister enthielten, so dass die Vertrauensfrage negativ beantwortet wurde und Bundespräsident Gustav Heinemann auf Antrag Brandts den Bundestag auflöste.

Bei der vorgezogenen Bundestagswahl vom November 1972 war Barzel Kanzlerkandidat der Unionsparteien, unterlag jedoch dem amtierenden Bundeskanzler Willy Brandt. Infolge dieser Niederlage trat er am 9. Mai 1973 vom Amt des CDU-Bundesvorsitzenden zurück. Sein Nachfolger wurde Helmut Kohl.

Abgeordneter

Von 1957 bis 1987 war er Mitglied des Deutschen Bundestages. Er schloss sich zunächst der Arbeitnehmergruppe in der CDU/CSU-Fraktion an, verließ diese aber um 1959 wieder. Seit Herbst 1963 führte er hier die Geschäfte des schwer erkrankten Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Heinrich von Brentano, bis er nach Brentanos Tod im Dezember 1964 selbst zum Fraktionsvorsitzenden gewählt wurde. Barzel bemühte sich nach dem Scheitern von Bundeskanzler Ludwig Erhard 1966 selbst um die Kanzlerschaft, unterlag jedoch in der parteiinternen Vorentscheidung, die zugunsten von Kurt Georg Kiesinger ausfiel. In der folgenden Großen Koalition spielte er zusammen mit dem Fraktionsvorsitzenden der SPD, Helmut Schmidt, eine maßgebliche Rolle.

Insbesondere nach dem Gang in die Opposition 1969 baute Barzel die Bundestagsfraktion zum Macht- und Entscheidungszentrum der CDU aus. Da die Fraktion am 8. Mai 1973 sich Barzels Votum, der Regierungsvorlage zum Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen zuzustimmen, nicht anschloss, trat er am folgenden Tag von seinem Amt als Partei- und Fraktionsvorsitzender zurück.

1965 bis 1969 war er Mitglied des Vertrauensmännerausschusses des Bundestags für die Geheimdienstzweige (BND, Verfassungsschutz-Apparat, MAD). 1968 wurde er Mitglied des 2. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Koordinierung der Geheimdienstzweige der BRD.

Während der Zeit der Großen Koalition gehörte er zu den Verfechtern des Mehrheitswahlrechts. Sie fanden zwar auch Unterstützung bei großen Teilen der SPD, konnten sich aber insgesamt in der Koalition nicht durchsetzen.

Von 1976 bis 1979 war er Vorsitzender des Wirtschaftsauschusses und von 1980 bis 1982 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages.

Am 29. März 1983 wurde er mit 407 von 509 abgegebenen Stimmen zum Präsidenten des Deutschen Bundestages gewählt. Wegen des Vorwurfs von Verwicklungen in die Flick-Affäre trat er am 25. Oktober 1984 zurück. Später gelang es ihm aber zu beweisen, dass er mit der Flick-Affäre nichts zu tun hatte. Während seiner Amtszeit als Bundestagspräsident leitete er auch die Haushaltskommission des Ältestenrates.

Öffentliche Ämter

Am 13. Dezember 1962 wurde er als Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen in die von Bundeskanzler Konrad Adenauer geführte Bundesregierung berufen, er war in seiner Amtszeit der jüngste Minister im Bundeskabinett. Beim Wechsel zu Bundeskanzler Ludwig Erhard beanspruchte die FDP dieses Ministerium für ihren Parteivorsitzenden Erich Mende, so dass Barzel am 11. Oktober 1963 aus der Bundesregierung ausschied.

Während des Streits um die Ostpolitik scheiterte am 27. April 1972 der Versuch der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Rainer Barzel durch das erste konstruktive Misstrauensvotum der Bundesgeschichte anstelle von Willy Brandt zum Bundeskanzler zu wählen.

Die Umstände dieses Scheiterns sind bis heute nicht restlos geklärt (Steiner-Wienand-Affäre). Es gilt aber als wahrscheinlich, dass die DDR-Staatssicherheit zwei CDU-Abgeordnete bestach, die dann gegen Barzel stimmten. Bei der darauf folgenden vorgezogenen Bundestagswahl 1972 war Barzel Kanzlerkandidat von CDU und CSU, konnte sich aber gegen Willy Brandt nicht durchsetzen. Die SPD stellte erstmals die stärkste Bundestagsfraktion und erzielte ihr bis heute bestes Ergebnis bei Bundestagswahlen.

Nach der Wende in Bonn wurde er am 4. Oktober 1982 als Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen in die von Bundeskanzler Helmut Kohl geleitete Bundesregierung berufen. Schon nach der vorgezogenen Bundestagswahl 1983 schied er am 29. März 1983 aus der Bundesregierung wieder aus, um das Amt des Bundestagspräsidenten zu übernehmen.

Von 1979 bis 1980 war Barzel von Bundeskanzler Helmut Schmidt berufener Koordinator für die deutsch-französische Zusammenarbeit. In dieselbe Funktion berief ihn im April 1986 Bundeskanzler Helmut Kohl.

Zitate

Wenn einer im Wahlkampf zu schimpfen hat, dann sind es die Wähler, nicht die Politiker.[2]

Kabinette

Quellen

  1. Predigt von Karl Kardinal Lehmann beim Pontifikalrequiem für Barzel
  2. {{{titel}}}. 2003, abgerufen am 8. September 2007.

Veröffentlichungen

  • Die geistigen Grundlagen der politischen Parteien. Bonn, Schwippert 1947
  • Souveränität und Freiheit. Eine Streitschrift. Köln, Pick 1950
  • Die deutschen Parteien. Geldern, Schaffrath 1952
  • Karl Arnold. Grundlegung christlich-demokratischer Politik in Deutschland. Eine Dokumentation. Bonn, Berto 1960
  • Untersuchungen über das geistige und gesellschaftliche Bild der Gegenwart und die künftigen Aufgaben der CDU, Dortmund 1962
  • Gesichtspunkte eines Deutschen. Düsseldorf, Econ 1968
  • Es ist noch nicht zu spät. München, Droemer Knaur 1976
  • Auf dem Drahtseil. München, Droemer Knaur 1978
  • Unterwegs - Woher und wohin? München, Droemer Knaur 1982
  • Im Streit und umstritten. Anmerkungen zu Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und den Ostverträgen. Berlin, Ullstein 1986
  • Geschichten aus der Politik. Persönliches aus meinem Archiv. Berlin, Ullstein 1987
  • Plädoyer für Deutschland. Berlin, Ullstein 1988
  • Ein gewagtes Leben. Stuttgart, Hohenheim 2001, ISBN 3898500411

Literatur

Weblinks

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