Kernwaffentest

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Ein Kernwaffentest (auch Atomwaffentest oder Nuklearwaffentest) ist die Zündung eines nuklearen Sprengsatzes zu Testzwecken, vor allem zur Messung und Dokumentation von Stärke und Auswirkungen einer Nuklearwaffenexplosion. Der jeweils erste Test eines Landes ist zugleich ein Nachweis dafür, dass ein Land in der Lage dazu ist, eine Atombombe zu bauen oder dass es eine Atommacht ist.

Nuklearwaffentest „Operation Sandstone“ am 14. April 1948 auf dem Eniwetok-Atoll
Oberirdischer Nuklearwaffentest mit Soldaten während „Operation Buster-Jangle“ im US-Bundesstaat Nevada, 1951
Arten von Kernwaffentests:
1. atmosphärischer Test
2. unterirdischer Test
3. Höhentest in der oberen Atmosphäre
4. Unterwassertest
Verlauf einer Kernwaffenexplosion
Nachbauten japanischer Häuser zu Testzwecken
Zuschauer eines Kernwaffentests
Filmaufnahmen des „Trinity-Tests“ im US-Bundesstaat New Mexico am 16. Juli 1945
Oberirdischer Nuklearwaffentest mit Soldaten im US-Bundesstaat Nevada während „Operation Tumbler-Snapper“, 1952

Testorte

Aus Sicherheitsgründen (Gefahr durch die Druckwelle und insbesondere durch den radioaktiven Niederschlag (Fallout)) können Nuklearwaffentests nur in weiträumig abgesperrten militärischen Versuchsarealen stattfinden, wie der Nevada Test Site (NTS) in Nevada (über 1.000 Tests). Auch wurden verschiedene abgelegene Inseln oder Atolle sowie unbesiedelte Wüstengebiete für Testzwecke benutzt:

Zudem gab es zahlreiche Tests in besiedeltem Gebiet:

  • 1960/61 führte Frankreich in besiedeltem Gebiet, in der algerischen Sahara nahe Reggane, vier oberirdische Atomwaffentests durch. Bis zu 30.000 Menschen erlitten dadurch in der Folgezeit Schäden.[3][4][5]
  • Großbritannien unternahm in den 1950er Jahren Kernwaffenversuche bei den Montebello-Inseln vor der australischen Westküste sowie nahe Maralinga in der australischen Wüste

Der radioaktive Niederschlag („Fallout“) ging nicht nur auf die Testgebiete nieder, sondern verteilte sich weltweit: die Kernwaffentests des 20. Jahrhunderts haben die Strahlenexposition weltweit messbar erhöht, in den heutigen Messdaten sind sogar viele einzelne Tests nachvollziehbar. Es wurden auch Kernwaffentests unter Wasser, in der Hochatmosphäre und im Weltraum (Starfish Prime) durchgeführt. Hierfür wurden unter anderem zwischen 1958 und 1962 einige Raketen vom Johnston-Atoll gestartet.

Bei unterirdischen Nuklearwaffentests ist die Gefahr des Austritts radioaktiven Materials relativ gering, aber doch stets vorhanden, insbesondere bei porösem Gestein. So kam es beispielsweise im Dezember 1970 bei dem Kernwaffentest Baneberry im Rahmen der Operation Emery auf der NTS zu einer erheblichen Freisetzung radioaktiven Materials, was schließlich sogar zu einem sechsmonatigen Moratorium aller US-Kernwaffentests führte. Für die Durchführung eines unterirdischen Nuklearwaffentests wird der Sprengsatz zusammen mit Messgeräten in ein Bohrloch hinabgelassen, das anschließend mit Beton versiegelt wird. Je nach Zielsetzung des jeweiligen Tests kann die Tiefe eines solchen Lochs von nur wenigen zehn Metern bis hin zu über 1.400 Metern variieren. Im Gegensatz zu einer oberirdischen Nuklearwaffenexplosion mit ihrem spektakulären Atompilz ist von einer unterirdischen zumeist nur ein Erdbeben zu spüren.

Messungen

Bei Atombombentests werden zahlreiche Messungen zur Effektivität und Auswirkung der getesteten Waffe durchgeführt. Bei oberirdischen Kernwaffentests wurden häufig Gebäude, Fahrzeuge und Tiere platziert, um die Wirkung der Explosion ausführlich studieren zu können. Auch militärische Ausrüstung, Waffen, Schützengräben und die Soldaten selbst (in vermeintlich sicherer Entfernung) wurden in die Tests einbezogen. Auch wurden Hochgeschwindigkeitsaufnahmen von der Explosion und physikalische Messungen durch Untersuchung der verschiedenen bei einer Nuklearwaffenexplosion auftretenden Strahlungen gemacht. Hierzu musste sich die Nuklearwaffe zum Zeitpunkt der Zündung teilweise an einem definierten Punkt befinden, so dass ein Abwurf derselben aus einem Flugzeug nicht möglich war. Deshalb wurde die Nuklearwaffe auf einem Bombenturm montiert, mit einem Fesselballon in Position gebracht, oder in einer Baracke am Boden aufgestellt. Bei zahlreichen oberirdischen Nuklearwaffentests wurden auch Forschungsraketen zur Untersuchung des Atompilzes und der Hochatmosphäre gestartet. Durch die zahlreichen oberirdischen Tests kam es zum sogenannten Kernwaffen-Effekt, der die Altersbestimmung bei der Radiokohlenstoffdatierung beeinflusst.

Politische Bedeutung

Neben Messungen zu Funktionalität und Auswirkungen dienen Kernwaffentests auch der Propaganda. Besonders im Kalten Krieg versuchten die verfeindeten Nationen, dem Gegner ihr atomares Potential auf erschreckende Weise vorzuführen. Besonders den USA ging es auch darum, die Öffentlichkeit von der Notwendigkeit dieser Waffen zu überzeugen.

Geschichte

Der erste Atombombentest fand am 16. Juli 1945 auf dem Gelände der White Sands Missile Range in der Nähe der Stadt Alamogordo (New Mexico, USA) unter dem Namen Trinity-Test (dt. Dreifaltigkeit) statt. Dabei wurde eine Implosionsbombe wie die Fat-Man-Nuklearwaffe, die später auf Nagasaki abgeworfen wurde, gezündet, da diese einen komplizierteren Zündvorgang benötigt als die Uranbombe. Man wollte sicher sein, dass dieses Konstruktionsprinzip funktioniert. Die erste Uranbombe, Little Boy genannt, wurde dagegen ohne vorangegangenen Test direkt beim Atombombenabwurf auf Hiroshima am 6. August 1945 gezündet.

Im Juli 1946 fanden zwei Kernwaffentests auf dem Bikini-Atoll statt (Operation Crossroads); daran waren rund 42.000 Menschen beteiligt.[6] Nach zwei erfolgreichen Tests unterblieb der ursprünglich für das Frühjahr 1947 geplante dritte Versuch Charlie.[7] Der erste sowjetische Atombombentest fand am 29. August 1949 in Semipalatinsk (heute Kasachstan) statt; die Sprengkraft betrug 22 Kilotonnen. Bislang wurden weltweit etwa 2000 Kernwaffentests durchgeführt (davon 1030 durch die USA, 715 durch die Sowjetunion[8]), wobei eine Sprengkraft von etwa 34.000 Hiroshima-Bomben freigesetzt wurde.

Der erste unterirdische Test fand bereits am 29. November 1951 statt (Test „Uncle“ aus der Serie Operation Buster-Jangle, Nevada Test Site), insgesamt wurden aber 622[8] Nuklearexplosionen in der Atmosphäre durchgeführt. Durch den von diesen Tests verursachten radioaktiven Niederschlag gab und gibt es heute im Umfeld dieser Gebiete bei der dort lebenden Bevölkerung hohe Raten an Krebserkrankungen und Fehlbildungen. Die Strahlenbelastung ist weltweit höher als vor den ersten Nuklearwaffentests. Auch europäische Böden und Gewässer enthalten - nebst dem Tschernobyl-Fallout - auch heute noch Rückstands-Nuklide dieser oberirdischen Tests[9].

Der schnelle Anstieg der Strahlenbelastung führte 1963 (nachdem im Vorjahr mit rund 180 Tests die mit Abstand höchste jährliche Anzahl davon stattgefunden hatte[8]) dazu, dass die verfeindeten Weltmächte, USA und Großbritannien auf der einen und die UdSSR auf der anderen Seite, den Vertrag zum Verbot von Nuklearwaffentests in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser abschlossen. Die Kernwaffentests dieser Staaten fanden nun nur noch unterirdisch statt. Seither geht die weltweite Belastung durch den teilweisen radioaktiven Zerfall der freigesetzten Nuklide wieder zurück.

Letzte atmosphärische Tests:

  • GB: 23. September 1958
  • USA: 9. Juni 1963
  • UdSSR: 25. Dezember 1962

Frankreich und China testeten oberirdisch weiterhin:

  • Frankreich: 2. Juli 1966 bis 14. September 1974: 41 Tests,
  • China: 16. Oktober 1964 bis 16. Oktober 1980: 22 Tests.

Der französische Staatspräsident Jacques Chirac erklärte am 29. Januar 1996 das Ende der französischen Kernwaffentests. Wenige Monate zuvor hatte er eine weitere Testserie auf dem Mururoa-Atoll durchführen lassen, die besonders im Pazifikraum internationale Proteste hervorrief.[10]

Seit 1996 liegt seitens der UNO ein internationaler Kernwaffenteststopp-Vertrag zur Ratifizierung bereit, der ein weltweites Ende aller Versuche mit Kernwaffen vorsieht. Indien, Pakistan und Nordkorea haben den Vertrag nicht unterschrieben. Israel, die USA und China haben den Vertrag unterschrieben. Indien und Pakistan führen weiterhin unterirdische Nuklearwaffentests durch. Nordkorea hat nach eigenen Angaben am 9. Oktober 2006, am 25. Mai 2009 und am 12. Februar 2013 erfolgreich Atombomben getestet. Zuvor kam es bereits am 9. September 2004 zu einer größeren Detonation in der Region Ryanggang-do (Nordkorea), dies wurde von einigen Quellen als Kernwaffentest interpretiert, was die nordkoreanische Regierung allerdings bestritt. Der Vela-Zwischenfall aus dem Jahr 1979 ist möglicherweise ein Atomtest von Südafrika und Israel gewesen.

Eine Reihe subkritischer Tests wurde im Rahmen des „Stockpile Stewardship Program“ der USA seit 1998 durchgeführt. Bei einem subkritischen Test werden 45 bis 450 Kilogramm chemische Explosivstoffe mit kleinen Mengen waffenfähigem Plutonium in circa 300 Meter Tiefe gezündet. Das Experiment mit weniger als der für eine atomare Kettenreaktion notwendigen kritischen Masse – deswegen „subkritisch“ – erforscht das Verhalten des Plutoniums. Die gewonnenen Daten sind für die Computersimulation gedacht und können der Waffenentwicklung dienen. Das US-Energieministerium hat künftige Experimente mit „Atomwaffenkonfiguration“ nicht ausgeschlossen. (siehe auch Kernwaffentechnik).

Entschädigung von Opfern

Nach einem 2010 von der Zeitung Le Parisien veröffentlichten vorher geheimen Bericht von 1998 hat Frankreich bei den französischen Kernwaffentests in Algerien von 1960 bis 1966 Wehrpflichtige vorsätzlich radioaktiver Strahlung ausgesetzt. „Frankreich wollte erforschen, ob die Kampffähigkeit von Truppen abnimmt. […] 35 Minuten nach der Atomexplosion rückte ein Truppenteil zu Fuß und ohne Schutzkleidung bis auf 700 Meter zum Zentrum vor.“[11]

„Viele der Soldaten erkrankten danach an Krebs und anderen von der Strahlung hervorgerufenen Krankheiten. Unter Folgeerkrankungen leiden auch Kinder und Enkel der Soldaten. Frankreich will in diesem Jahr erstmals Opfer der Atomtests entschädigen. Fast fünfzig Jahre lang leugnete das Verteidigungsministerium, dass bei den Atomtests Menschen zu Schaden kamen. Die überlebenden Atomtestopfer haben sich in einer Veteranenvereinigung - 'Aven' - zusammengeschlossen. Sie beklagen, dass die Entschädigungszahlungen so lange hinausgezögert wurden und großen Einschränkungen unterliegen. So wird nur ein Teil der Erkrankungen als entschädigungswürdig anerkannt. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums waren an den 210 Atomtests in der algerischen Sahara und in Polynesien 150.000 Zivilisten und Soldaten beteiligt.“

F.A.Z. vom 17. Februar 2010[11][12]

Siehe auch

Literatur

  • Sir Frederick Warner et al.: Nuclear test explosions - environmental and human impacts. Wiley, Chichester 2000, ISBN 0-471-97848-5.
  • Michael Light: 100 Sonnen - 1945 - 1962. Knesebeck, München 2003, ISBN 3-89660-190-3.
  • Rodolfo Console et al.: Earthquakes induced by underground nuclear explosions - environmental and ecological problems. Springer, Berlin 1995, ISBN 3-540-60185-6.
  • Arjun Makhijani et al.: Nuclear wastelands - a global guide to nuclear weapons production and its health and environmental effects. MIT Press, Cambridge 1995, ISBN 0-262-13307-5.
  • Jeremy Bernstein: Nuclear weapons - what you need to know. Cambridge Univ. Pr., Cambridge 2008, ISBN 978-0-521-88408-2.
  • J. Skorve: The environment of the nuclear test sites on Novaya Zemlya. In: Science of the Total Environment, Volume 202, Issues 1-3, 25 August 1997, S. 167–172, doi:10.1016/S0048-9697(97)00113-7.

Filmdokumentationen

Weblinks

Wiktionary: Kernwaffentest – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Commons: Kernwaffentests – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Deutschlandfunk.de, Hintergrund, 1. Juli 2016, Suzanne Krause: Strahlende Altlasten in Polynesien (2. Juli 2016)
  2. Deutschlandfunk.de, Kalenderblatt, 30. Juni 2016, Dagmar Röhrlich: Vor siebzig Jahren begannen die amerikanischen Atombombentests (2. Juli 2016)
  3. Thomas Schneider: 30.000 Opfer durch französische Atomtests? (Memento vom 31. Mai 2009 im Internet Archive) ARD-Weltspiegel, 18. Januar 2009.
  4. A. Cowell: France to Pay Nuclear Test Victims. The New York Times, 24. März 2009.
  5. Kurt Andersen, Russell Leavitt: Atomic Test Case. Time Magazine, 26. April 2006
  6. Ingo Bauernfeind: Radioaktiv bis in alle Ewigkeit – Das Schicksal der Prinz Eugen. E. S. Mittler & Sohn, Hamburg/Berlin/Bonn 2011, ISBN 978-3-8132-0928-0, S. 70.
  7. Ingo Bauernfeind: Radioaktiv bis in alle Ewigkeit – Das Schicksal der Prinz Eugen. E. S. Mittler & Sohn, Hamburg/Berlin/Bonn 2011, ISBN 978-3-8132-0928-0, S. 90.
  8. a b c Vortrag H.R. Völkle vom BAG (Schweiz), Abteilung Strahlenschutz, vom Juni 2005
  9. Jahresbericht des schweizerischen Bundesamtes für Gesundheit BAG: Umweltradioaktivität und Strahlendosen in der Schweiz, 2003
  10. SF-Videoportal-Bericht vom 30. Januar 1996: Chirac erklärt das Ende der Atomtests, abgefragt am 28. Januar 2012
  11. a b Michaela Wiegel: Atomtests: Frankreich ließ Soldaten vorsätzlich verstrahlen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 17. Februar 2010.
  12. 2011: Veteranen der Kernwaffentests verlangen Gerechtigkeit (französisch)