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Reichstagsgebäude

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Das Reichstagsgebäude
Reichstagsgebäude aus der Vogelperspektive

Das Reichstagsgebäude (kurz: Reichstag; offiziell: Plenarbereich Reichstagsgebäude) in Berlin ist seit 1999 Sitz des Deutschen Bundestages. Auch die Bundesversammlung tritt hier seit 1994 in der Regel alle fünf Jahre zur Wahl des deutschen Bundespräsidenten zusammen.

Der Bau wurde von dem Architekten Paul Wallot 1884 bis 1894 im Stil der Neorenaissance im Ortsteil Tiergarten (heute zum Bezirk Mitte gehörend) errichtet. Er beherbergte bis 1918 den Reichstag des Deutschen Kaiserreiches und anschließend das Parlament der Weimarer Republik. Durch den Reichstagsbrand von 1933 und durch Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges schwer beschädigt, wurde das Gebäude in den 1960er Jahren in modernisierter Form wiederhergestellt und von 1991 bis 1999 noch einmal grundlegend umgestaltet.[1]

Die Vorgeschichte

Provisorien

Provisorium Leipziger Straße 4

Erster Sitz eines Reichstages in Berlin war das Preußische Herrenhaus in der Leipziger Straße 3. Hier tagte ab 1867 der Reichstag des von Preußen dominierten Norddeutschen Bundes. Nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 kamen die Abgeordneten der süddeutschen Staaten hinzu, so dass ein größerer Tagungsort benötigt wurde. Diesen fand man zunächst im Preußischen Abgeordnetenhaus in der Leipziger Straße 75. Sehr bald wurde deutlich, dass auch hier der Platz nicht ausreichte. Der Reichstag verabschiedete am 19. April 1871 einen Antrag, in dem es hieß: „Die Errichtung eines den Aufgaben des deutschen Reichstags entsprechenden und der Vertretung des deutschen Volkes würdigen Parlamentshauses ist ein dringendes Bedürfnis.“ Ein anderer, mit Blick auf den kurz zuvor errungenen Sieg über Frankreich und die Reichsgründung stark nationalistisch formulierter Antrag für den Neubau fand keine Mehrheit.

Eine Parlamentsbaukommission sollte nun die Vorbereitungen für einen „würdigen“ Neubau treffen. Es galt, den Bauplatz festzulegen, das Bauprogramm zu entwickeln, einen Architektenwettbewerb auszuschreiben und für eine geeignete Übergangslösung zu sorgen. Ein Provisorium war schnell gefunden: In nur 70 Tagen wurde das Gebäude Leipziger Straße 4, zuvor Sitz der Königlichen Porzellanmanufaktur, für den Parlamentsbetrieb tauglich gemacht. Man rechnete mit einer Übergangszeit von fünf bis sechs Jahren. Tatsächlich wurden es 23 Jahre.

Das Grundstück

Östlicher Teil des Königsplatzes mit Palais Raczyński um 1880, Blick von der (später versetzten) Siegessäule

Die Probleme begannen mit der Wahl eines passenden Grundstücks für den Neubau. Nach kurzer Suche bestimmte die Kommission einen Bauplatz auf der Ostseite des Königsplatzes (heute: Platz der Republik). Allerdings stand dort noch das Palais des polnischen Grafen Athanasius Raczynski, eines preußischen Diplomaten und Kunstsammlers. Die Kommissionsmitglieder glaubten jedoch, mit der Unterstützung des Kaisers und damit letztlich auch mit der Zustimmung des Grafen rechnen zu können, und schrieben einen internationalen Wettbewerb für dieses Grundstück aus.

Den Wettbewerb, an dem über hundert Architekten teilnahmen, entschied im Juni 1872 Ludwig Bohnstedt aus Gotha für sich. Sein Entwurf fand große öffentliche Zustimmung, konnte aber nicht realisiert werden. Graf Raczynski weigerte sich entschieden, sein Grundstück zur Verfügung zu stellen, und Wilhelm I. zeigte wenig Neigung, ein Enteignungsverfahren zu betreiben, obwohl auch er den Standort passend fand.

Bohnstedts Wettbewerbsentwurf, 1872

Nach und nach verständigte sich die Kommission auf einen alternativen Standort an der Westseite des Königsplatzes. Bismarck, Wilhelm I. und die konservativen Abgeordneten lehnten diesen Bauplatz allerdings vehement ab, da der Reichstag damit in das Regierungszentrum Berlins und die Nähe des Stadtschlosses rückte, was eine politische Aufwertung des Parlamentes bedeutete [2]. Letztlich setzte sich der Reichstag 1881 durch.

1881–1884: Planung

Im Dezember 1881 beschloss der Reichstag, das Baugelände zu erwerben. Eine lebhafte öffentliche Diskussion entstand um die Frage, ob Ludwig Bohnstedt außer Konkurrenz beauftragt werden sollte, seinen siegreichen Entwurf von 1872 umzuarbeiten und auszuführen.

Wallots Wettbewerbsentwurf, 1882

Im Februar 1882 wurde dann aber ein neuer Wettbewerb ausgeschrieben, zu dem diesmal nur Architekten „deutscher Zunge“ zugelassen waren – eine Forderung des Verbandes deutscher Architekten- und Ingenieurvereine. Hohe Preisgelder luden zur Teilnahme ein. Auch Bohnstedt beteiligte sich wieder, blieb aber chancenlos. Aus 189 anonym eingelieferten Einsendungen gingen die Entwürfe von Paul Wallot aus Frankfurt am Main und Friedrich von Thiersch aus München als Sieger hervor; beide erhielten erste Preise. Da aber Wallot eindeutig mehr Stimmen auf seiner Seite hatte – nämlich 19 von 21 – bekam er den begehrten Auftrag.

Für den Architekten begann ein langwieriger und mühevoller Arbeitsprozess, eine ständige Auseinandersetzung mit mehreren zuständigen Instanzen. Nach einem Beschluss von 1880 sollte die Akademie des Bauwesens beim zukünftigen Neubau eines Reichstagsgebäudes unbedingt als Berater eingeschaltet werden – eine unglückliche Regelung, weil viele Akademiemitglieder am vorhergehenden Wettbewerb mit eigenen Entwürfen beteiligt waren. Unkorrektes Verhalten ließ sich der Akademie nicht nachweisen, aber ihre häufige, ungewöhnlich pedantische Kritik an Wallots Arbeit rief Zweifel an ihrer Objektivität hervor, die in der Öffentlichkeit auch geäußert wurden.

Kaiser Wilhelm I. bei der Grundsteinlegung

Die Bauabteilung im preußischen Ministerium der öffentlichen Arbeiten als zweite Gutachterinstanz verlangte ebenfalls weitreichende Änderungen. Wallot selbst blieb nach außen hin geduldig und beklagte sich nur in persönlichen Briefen. Er musste in Abständen von wenigen Monaten immer neue Entwürfe für die Anordnung der Innenräume und die Gestaltung der Fassaden liefern. Unabhängige Beobachter glaubten am Ende, den prämierten Entwurf nicht mehr wiederzuerkennen.

Schließlich konnte am 9. Juni 1884 der Grundstein gelegt werden. Viel Militär und nur wenige Parlamentarier nahmen an der verregneten Zeremonie teil. Drei Hohenzollern hatten die Hauptrollen: Kaiser Wilhelm I. sowie sein Sohn und sein Enkel – die späteren Kaiser Friedrich III. und Wilhelm II. Beim Hammerschlag Wilhelms I. zersprang das symbolische Werkzeug.

1884–1918: Bauausführung und Ausgestaltung

Die äußere Form

Reichstagsgebäude in der Bauphase, 1888

Während der Bauarbeiten entwickelte sich die Kuppel zum besonderen Problem. Durch verschiedene Einsprüche war Wallot gezwungen worden, sie von ihrer zentralen Position über dem Plenarsaal zur westlichen Eingangshalle zu verlegen. Nach diesem Plan wurde das Bauwerk nun von der Berliner Steinmetzfirma Zeidler & Wimmel errichtet. Je weiter der Bau vorankam, desto mehr kam der Architekt zu der Überzeugung, dass die erzwungene Änderung rückgängig gemacht werden müsse. In zähen Verhandlungen erreichte er die Zustimmung dafür. Inzwischen waren die tragenden Wände um das Plenum aber schon errichtet – zu schwach für die geplante steinerne Kuppel, wie alle Berechnungen ergaben. Erst der Bauingenieur Hermann Zimmermann, 1889 mit der Aufgabe betraut, fand eine Lösung. Er reduzierte die Kuppelhöhe von 85 m auf knapp 75 m und schlug eine relativ leichte, technisch anspruchsvolle Konstruktion aus Stahl und Glas vor. Die so auf Umwegen entstandene Kuppel versorgte den Plenarsaal mit natürlichem Licht und gab dem Parlamentsgebäude den gewünschten würdigen Abschluss, darüber hinaus galt sie als Wahrzeichen für die Leistungsfähigkeit deutscher Ingenieure.

Wilhelm II., seit 1888 als Kaiser im Amt, hatte anfangs noch eine recht positive Einstellung zum Reichstagsgebäude. Er unterstützte Wallot auch in der Frage, wo die Kuppel zu platzieren sei, obwohl er sie prinzipiell als Ärgernis empfand – weil er darin ein Symbol für die Ansprüche des ungeliebten Parlaments sah und weil sie höher war als die Kuppel des Berliner Stadtschlosses mit ihren 67 Metern. Seit etwa 1892 wurde eine zunehmende Abneigung des Kaisers gegenüber dem Gebäude deutlich, er bezeichnete es als „Gipfel der Geschmacklosigkeit“ und „völlig verunglückte Schöpfung“ und schmähte es inoffiziell als „Reichsaffenhaus“. Gegen Wallot entwickelte er eine deutliche persönliche Aversion, vermutlich weil der ihm einen Änderungswunsch spontan abgelehnt hatte. Er verweigerte dem Architekten mehrere Auszeichnungen, für die er vorgesehen war. Seinem Vertrauten Philipp zu Eulenburg teilte er brieflich mit, es sei ihm gelungen, Wallot im persönlichen Gespräch mehrfach zu beleidigen.

Das Reichstagsgebäude (bis um 1900). Blick von der Siegessäule

Paul Wallot entwickelte den Bau in dem zu seiner Zeit für Regierungsbauten üblichen Stil des Historismus: Für die Außenform verwendete der Architekt hauptsächlich Formen der italienischen Hochrenaissance (Neorenaissance) und verband sie mit einigen Elementen der deutschen Renaissance, mit etwas Neobarock und einer damals hochmodernen Stahl- und Glaskonstruktion der Kuppel. Das Ergebnis wurde offenbar von vielen Zeitgenossen nicht als gelungene Synthese empfunden, sondern als wenig überzeugendes Neben- und Durcheinander. Traditionalisten lehnten die technische Modernität der Kuppel ab; jüngere Kritiker konnten sich nicht mit dem massiven Quaderbau im Stil der Renaissance anfreunden. Besonders drastisch urteilte der einflussreiche Berliner Stadtbaurat und erfolgreiche Architekt Ludwig Hoffmann: er nannte das Gebäude einen „Leichenwagen erster Klasse“. In anderen Quellen wird allerdings davon gesprochen, dass die Mehrheit der deutschen Architekten den Bau nachdrücklich gelobt habe.

Am 5. Dezember 1894 wurde der Schlussstein gelegt. Wieder war es eine vorwiegend militärische Veranstaltung. Wallot führte den Kaiser und die Kaiserin durch das Gebäude, Wilhelm II. ließ öffentlich nur anerkennende Worte hören.

In seiner Thronrede zur Reichstagseröffnung sagte der Kaiser:

„Möge Gottes Segen auf dem Hause ruhen, möge die Größe und Wohlfahrt des Reiches das Ziel sein, das alle zur Arbeit in seinem Räumen Berufenen in selbstverleugnender Treue anstreben!“

Die Baukosten betrugen 24 Millionen Mark.[3] Sie wurden aus den Reparationen beglichen, die Frankreich nach dem verlorenen Krieg von 1870/1871 zu zahlen hatte.


Die Innenausstattung

Plenarsitzungssaal des Reichstagsgebäudes, 1889
Der Sitzungssaal des Reichstagsgebäudes um 1894, gezeichnet von Willy Stöwer

Das Reichstagsgebäude war für seine Aufgaben im Allgemeinen gut vorbereitet. Die Haustechnik war ganz auf der Höhe der Zeit. Ein eigenes Kraftwerk versorgte das Gebäude mit elektrischem Strom. Es gab eine zentrale Heizungssteuerung mit Temperaturfühlern, elektrische Ventilatoren, Doppelfenster, Telefone, Toiletten mit Wasserspülung und dergleichen. Außer den Sitzungssälen für Reichstag und Bundesrat waren vorhanden: ein Lesesaal, diverse Sprechzimmer, ein Erfrischungsraum, Garderoben, Wasch- und Umkleideräume usw. Die Bibliothek umfasste 90.000 Bände, als sie eingerichtet wurde und war auf 320.000 Bände ausgelegt. Das Reichstagsarchiv enthielt schon bald Millionen von Schriftstücken, die mit einem sinnreichen pneumatischen Aufzugssystem in den Lesesaal geschickt werden konnten.

Ein Mangel allerdings war bald zu erkennen – es fehlte an ausreichenden Arbeitsräumen für alle Abgeordneten. Im Vergleich zu anderen europäischen Parlamentsbauten war das Gebäude mit seiner Grundfläche von 138 × 96 Metern relativ klein. Die Nöte eines fiktiven Abgeordneten wurden so beschrieben: „Was nützten ihm […] die feingeschnitzten Holzpaneele, die einzig schöne Aussicht auf den Königsplatz […], wenn er keinen leeren Stuhl fand und keinen freien Arbeitstisch zum ruhigen Lesen und Schreiben?“ Auch Umbauten in den folgenden Jahren konnten das Problem nicht beseitigen. Das Verhältniswahlrecht der Weimarer Republik ließ die Zahl der Abgeordneten dann sogar von 397 auf über 600 ansteigen. Gegen Ende der 1920er-Jahre wurden Erweiterungsbauten nördlich des Reichstages geplant, aber nicht mehr ausgeführt.

Die meisten Räume, auch der große Sitzungssaal, waren mit Holz ausgekleidet – mit Eiche, Esche, gebeizter Kiefer und Tropenhölzern. Zum Teil sprachen akustische Gründe dafür, jedenfalls war Holz preiswerter als Stein. Ganz wesentlich ging es aber auch um Stilfragen, denn Wallot entwarf die Innenräume, einschließlich des Mobiliars, weitgehend im Stil der deutschen Renaissance des 16. und 17. Jahrhunderts. Wandverkleidungen aus Holz und hölzerne Schmuckformen – Giebel mit Fächerrosetten über den Türen, Obelisken, gedrechselte Säulen, Girlanden und allegorische Figuren – waren in repräsentativen Renaissancegebäuden, zum Beispiel in den Rathäusern wohlhabender Städte, oft in großer Fülle angebracht worden und schmückten nun ganz ähnlich auch das Reichstagsgebäude. Diese aufwendige Gestaltung wurde von Betrachtern als typisch deutsch aufgefasst und war auch so gemeint – als Gegengewicht und Ergänzung zu einer Außenansicht, die trotz anderer Zutaten vor allem den Eindruck der damals weit verbreiteten „internationalen Neorenaissance“ vermittelte.

Das Bildprogramm

Giebel des Reichstages

Die künstlerische Ausgestaltung war mit der Schlusssteinlegung 1894 noch nicht abgeschlossen. Sie war vor allem darauf angelegt, die 1871 hergestellte Einheit des Reiches auszudrücken. Das Reichswappen im Giebel über dem Haupteingang und die Kaiserkrone auf der Kuppelspitze symbolisierten das erreichte Ziel, ebenso eine Germaniagruppe von Reinhold Begas über der Spitze des Hauptportals. Andererseits wurde an vielen Stellen darauf Bezug genommen, dass das Deutsche Reich sich aus seinen Ländern zusammensetzte – etwa mit den Wappen der deutschen Länder[4] und bedeutender deutscher Städte, auch mit den personifizierten Flüssen Rhein und Weichsel. Dazu kamen zeitgemäß bevorzugte Motive wie die 16 Figuren auf den Ecktürmen: „Kunst“, „Wissenschaft“, „Erziehung“, „Volksernährung“ usw. Um auch selbst dem Gedanken der Reichseinheit Rechnung zu tragen – und um regionale Eifersüchteleien möglichst zu vermeiden –, war der Architekt bei der Auswahl der Künstler für das Dekorationsprogramm darauf bedacht, Mitarbeiter aus allen Landesteilen Deutschlands heranzuziehen.

Steinskulptur an der Westseite des Reichstagsgebäudes

Mit einem Text, den Wallot bestimmt hatte, sollte das Gebäude „DEM DEUTSCHEN VOLKE“ gewidmet werden. Allgemein wurde erwartet, dass die Inschrift bis zur Einweihung über dem Westportal angebracht sein werde. Die vorgesehene Stelle blieb jedoch mehr als 20 Jahre lang leer. Seither wird vermutet, der Kaiser selbst habe seinen Einfluss geltend gemacht, um die Inschrift zu verhindern. Eindeutige Beweise gibt es dafür nicht. Erst zu Weihnachten 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, wurde das Versäumte nachgeholt. In der Literatur werden dafür wahlweise zwei Hauptmotive genannt: die SPD hatte den Kriegskrediten zugestimmt, der Kaiser wollte sich „versöhnt“ zeigen; oder: die Stimmung der kriegsmüden Bevölkerung war düster und sollte durch eine geeignete Geste aufgehellt werden. Der Architekt und Industriedesigner Peter Behrens gestaltete den Schriftzug aus dem seinerzeit beliebten Schriftcharakter der Unziale. Zwei erbeutete Kanonen aus den Befreiungskriegen 1813–1815 wurden für die Herstellung der 60 cm hohen Buchstaben eingeschmolzen. Die Arbeit übernahm die Gießerei S.A. Loevy. Als Juden wurden die Mitglieder der Familie Loevy nach 1933 verfolgt, ermordet oder in die Emigration getrieben.

Wallot, von den ständigen, oft unsachlichen Auseinandersetzungen nun doch zermürbt, nahm 1899 eine Professur in Dresden an, wurde aber bis zu seinem Tode 1912 wegen der künstlerischen Ausschmückung des Reichstags immer wieder konsultiert.

1933: Reichstagsbrand und Nationalsozialismus

Der brennende Reichstag

In der Nacht zum 28. Februar 1933, vier Wochen nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler, schlugen Flammen aus der Kuppel des Reichstagsgebäudes. Der Plenarsaal und einige umliegende Räume brannten aus. Es handelte sich eindeutig um Brandstiftung, die Schuldfrage ist bis heute nicht zweifelsfrei geklärt. Die Nationalsozialisten waren Nutznießer des Brandes. Noch in derselben Nacht gingen sie mit massivem Terror gegen politische Gegner vor. Sie veranlassten den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, am folgenden Tag die so genannte Reichstagsbrandverordnung „zum Schutz von Volk und Staat“ zu unterzeichnen. Paragraf 1 setzte die wesentlichen Grundrechte zeitweilig außer Kraft, Paragraf 5 ermöglichte die Todesstrafe für das politische Delikt „Hochverrat“.

Im Mai 1933 wurde der niederländische Kommunist Marinus van der Lubbe zusammen mit prominenten Mitgliedern der kommunistischen Partei, unter ihnen der Bulgare Georgi Dimitrow (früher auch häufig Dimitroff geschrieben), vor dem Reichsgericht in Leipzig wegen der Brandstiftung angeklagt. Die Anklage versuchte, den Brand als Signal für einen bewaffneten Staatsstreich darzustellen. In dem politischen Schauprozess erhielt van der Lubbe aufgrund eines zweifelhaften Geständnisses und zuvor hastig geänderter Rechtsvorschriften die Todesstrafe und wurde im Januar 1934 hingerichtet. Die Mitangeklagten mussten aus Mangel an Beweisen freigesprochen werden. Als Propagandaveranstaltung war der Prozess für die Veranstalter ein Desaster, vor allem wegen der rhetorischen Überlegenheit Dimitrows in seinen Rededuellen mit Joseph Goebbels und Hermann Göring.

Während das entmachtete Parlament, in dem seit Juli 1933 nur noch nationalsozialistische Abgeordnete saßen, gegenüber in der Krolloper tagte, wurde die Kuppel des Reichstagsgebäudes notdürftig instand gesetzt, der zerstörte Plenarbereich jedoch nicht. Im Haus wurden tendenziöse Ausstellungen wie „Der ewige Jude“ und „Bolschewismus ohne Maske“ gezeigt. Zeitweilig waren hier auch Modelle der geplanten „Welthauptstadt Germania“ untergebracht, einer städtebaulichen Großmachtphantasie, die Albert Speer in engem Kontakt mit Hitler entworfen hatte. Die „Halle des Volkes“ mit ihrer Kuppelhöhe von 290 m, die unmittelbar neben dem Reichstagsgebäude entstehen sollte, hätte dieses nach dem Urteil eines heutigen Autors „auf die relative Größe einer Außentoilette“ schrumpfen lassen. Im Zweiten Weltkrieg mauerte man die Fenster zu. Die AEG produzierte hier Funkröhren, ein Lazarett wurde eingerichtet und die gynäkologische Station der nahe gelegenen Charité hierher verlegt – einige Hundert Berliner wurden im Reichstagsgebäude geboren.

Die Rote Armee sah im Reichstagsgebäude eines der Schlüsselsymbole des besiegten Deutschlands. Nach heftigen Kämpfen wurde es vom 176. Regiment der 150. Schützendivision in der 3. Stoßarmee der 1. Weißrussischen Front eingenommen. Neun rote Sowjetfahnen waren aus Moskau eingeflogen worden. Am 30. April 1945 wurde eine von ihnen als „Banner des Sieges“ zunächst über dem Eingangsportal, dann auf der Kuppel des Gebäudes aufgepflanzt. Um etwa 15 Uhr hatte der Befehlshaber der 3. Stoßarmee, General Kusnezow, im Gefechtsstand bei Marschall Schukow angerufen und diesem gemeldet: „Unser rotes Banner weht auf dem Reichstag!“ Er teilte Schukow aber auch mit: „An einigen Stellen der oberen Stockwerke und in den Kellern wird immer noch gekämpft.“[5] Das berühmte Foto des Militärfotografen Jewgeni Chaldej zu diesem Vorgang musste wegen der anhaltenden Kämpfe später nachgestellt werden, erst am Abend des 1. Mai kapitulierten die letzten Verteidiger im Keller des Hauses. Als Soldat mit der Fahne wurde jahrzehntelang Meliton Kantaria genannt und in der Sowjetunion geehrt. Inzwischen scheint der richtige Name festzustehen: Michail Petrowitsch Minin. Das Banner kam zur Siegesparade am 20. Juni 1945 nach Moskau und befindet sich heute dort im Zentralen Museum der Streitkräfte.

1945–1990: Deutsche Teilung

Der Reichstag nach alliierter Bombardierung, 1945
1982 – ohne Kuppel
Mauerfall Ende 1989: Die Sektorengrenze verlief unmittelbar an der Ostseite des Reichstagsgebäudes
Das Reichstagsgebäude am 3. Oktober 1990

Unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs stand das zuletzt heftig umkämpfte Reichstagsgebäude als Teilruine in einer von Trümmern geprägten Umgebung. Die Freiflächen ringsherum dienten der hungernden Bevölkerung als Parzellen für den Anbau von Kartoffeln und Gemüse. Am 22. November 1954 wurde die Kuppel gesprengt – wegen angeblicher statischer Unsicherheit und um das beschädigte Gebäude zu entlasten. Diese Begründung wird in kritischen Texten als „fragwürdig“ bezeichnet. In den folgenden Jahren beschränkte sich die neu gegründete Bundesbauverwaltung darauf, das Bauwerk zu sichern.

1955 beschloss der Bundestag die völlige Wiederherstellung. Allerdings war die Art der Nutzung im geteilten Deutschland noch ungewiss. Der Architekt Paul Baumgarten erhielt 1961 als Gewinner eines zulassungsbeschränkten Wettbewerbs den Auftrag für Planung und Leitung des Wiederaufbaus, der 1973 beendet war. Zahlreiche Schmuckelemente der Fassade fielen weg, die Ecktürme wurden in der Höhe reduziert, auf eine neue Kuppel verzichtete man. Im Inneren verschwanden große Teile der alten Bausubstanz hinter Abdeckplatten, neue Zwischengeschosse vergrößerten die Nutzfläche und veränderten dabei weitgehend die ursprüngliche Raumstruktur. Der Plenarsaal wurde gut doppelt so groß und hätte alle Abgeordneten eines wiedervereinigten Deutschland mühelos aufnehmen können. Seit dem Viermächte-Abkommen von 1971 durften keine Plenarsitzungen des Bundestages in Berlin abgehalten werden. Nur Ausschuss- oder Fraktionssitzungen waren in den neu eingerichteten Räumen möglich.

Baumgartens Eingriffe (deren Kosten mit 110 Mio. DM[6] beziffert werden) – von der Bundesbaudirektion unterstützt oder vorgeschrieben – erscheinen heute allzu rigoros, erklären sich aber aus der historischen Situation. Er verwendete die aktuelle Formensprache seiner Zeit, der Moderne der 1960er Jahre. Dekorative Gestaltung war tabu. Gerade Linien und glatte Flächen dominierten. Insbesondere die repräsentativen Bauten des ausgehenden 19. Jahrhunderts galten als schwülstig, überladen, wenig erhaltenswert. Denkmalpflegerische Gesichtspunkte hatten kaum Gewicht. Dazu kam im Falle des Reichstagsgebäudes ein spezielles Motiv, jenseits ästhetischer Erwägungen: das Haus war ursprünglich, trotz seiner parlamentarischen Bestimmung, das Symbol einer vordemokratischen Staatsform gewesen. Darauf folgten eine schwache Demokratie und eine brutale Diktatur. Gerade hatten die Deutschen zu einer noch jungen Demokratie zurück gefunden. Es schien also nur folgerichtig, sich mit deutlichen Einschnitten, mit einer strikt zeitgenössischen Ästhetik erkennbar von der Vergangenheit abzusetzen. Inzwischen gelten andere Maßstäbe. Baumgartens Änderungen wurden rückgängig gemacht und hinterließen in dem neuen Umbaukonzept fast keine Spuren. Nur die Veränderungen an der Fassade, das heißt die Entfernung der Schmuckelemente an den seitlichen Kanten der Ecktürme oder des Giebelschmucks an den Risaliten der Nord- und Südflügel, wurden nicht revidiert. Gründe dafür waren sowohl die erwähnte Ablehnung solchen Gebäudeschmuckes als auch statische Erwägungen, da viele der Schmuckelemente schon durch Kriegseinwirkung bis zur Unkenntlichkeit beschädigt worden waren. Ihre Wiederherstellung wurde zwar im Zuge der Umbaudebatte Anfang der 90er Jahre in Erwägung gezogen, schließlich jedoch fallen gelassen.

Während der deutschen Teilung von 1961 bis 1989 verlief die Berliner Mauer unmittelbar an der Ostseite des Reichstagsgebäudes. Im Gebäude war ein Museum über den Bundestag und die Geschichte des Reichstagsgebäudes eingerichtet. Für ausländische Staatsgäste gehörte der Besuch der Außenterrassen mit Blick über die Berliner Mauer gewissermaßen zum Pflichtprogramm. Seit 1971 wurde im Gebäude die Ausstellung „Fragen an die Deutsche Geschichte“ gezeigt und von mehreren Millionen Interessenten besucht.

Nach der Deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 beschloss der gesamtdeutsche Bundestag am Ende einer intensiven, kontrovers geführten Debatte den Umzug von Parlament und Regierung von Bonn nach Berlin und damit die Verlegung des Bundestages in das Reichstagsgebäude.

1991–1999: Umbau

Der Wettbewerb

Baustelle Reichstag

„Sitz des Deutschen Bundestages ist Berlin“ – diesen Beschluss fasste der Bundestag am 20. Juni 1991 in Bonn mit einer knappen Mehrheit von 18 Stimmen. Vor dem Umzug von Parlament und Regierung musste das Reichstagsgebäude zu einem modernen Plenargebäude umgebaut werden. 1993 wurde dafür ein Realisierungswettbewerb ausgeschrieben. Die wesentlichen Planungskriterien waren Transparenz, Übersichtlichkeit und eine vorbildliche Energietechnik. Aus 80 eingereichten Entwürfen wurden drei Preisträger gleichrangig ausgewählt: Foster + Partners (England), Pi de Bruijn (Niederlande) und Santiago Calatrava (Spanien). Norman Foster hatte ein freistehendes, transparentes Dach über dem eigentlichen Gebäude und Teilen der Umgebung geplant, ein Vorschlag, der aus ästhetischen Erwägungen („Deutschlands größte Tankstelle“), aber auch wegen der zu erwartenden Kosten von 1,3 Milliarden Mark keine ausreichende öffentliche Zustimmung fand. In einer Überarbeitungsphase setzte er sich dann mit einem völlig neuen Entwurf gegen seine beiden Konkurrenten durch.

Auch in dem neuen Entwurf hatte Foster für das Dach des Reichstags keine Kuppel vorgesehen. In seinen Erläuterungen distanzierte er sich sogar ausdrücklich von jeder Erhebung auf dem Dach, die „aus rein symbolischen Gründen“ gebaut würde; weder einen Schirm (ähnlich dem ursprünglichen Entwurf) noch eine Kuppel könne er empfehlen. Diese Position ließ sich nicht halten. In den Jahren 1994/95 mussten auf Druck der politischen Entscheidungsträger die Vorschläge für die Gestaltung des Daches mehrfach überarbeitet werden. Am 8. Mai 1995 wurde Fosters endgültiger Entwurf für eine gläserne, begehbare Kuppel vorgestellt, dem die Abgeordneten zustimmten. Der Architekt Calatrava erhob daraufhin den Vorwurf, dies sei ein Plagiat seines eigenen Wettbewerbsbeitrags, der eine transparente Kuppel ähnlicher Form vorsah. Nach Gutachten und Gegengutachten setzte sich die Ansicht der meisten Fachleute durch, wonach für ein traditionelles architektonisches Gestaltungselement wie eine Kuppel kein besonderer Rechtsschutz beansprucht werden könne. Außerdem hatte schon anlässlich der Ausrichtung des Wettbewerbs 1992 Gottfried Böhm seinen Entwurf für eine Kuppel veröffentlicht, die er 1988 im Auftrag von Bundeskanzler Helmut Kohl entworfen hatte. Dieser Entwurf zeigt bereits eine Glaskonstruktion mit spiralförmig aufsteigenden Gehwegen für Besucher und ist offensichtlich die Grundlage für die schließlich von Norman Foster widerwillig realisierte Kuppel.

Christos Zwischenspiel

Das Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude hatte sein Projekt „Verhüllter Reichstag“ (engl. Wrapped Reichstag) seit 1971 propagiert. Im Januar 1994 fand im Bonner Bundestag eine abschließende Plenardebatte darüber statt, ob ein nationales Symbol von der Bedeutung des Reichstages Objekt einer solchen Kunstaktion werden sollte. Die Mehrheit stimmte dafür. Vom 24. Juni bis zum 7. Juli 1995 war das Gebäude vollständig mit silberglänzendem, feuerfestem Gewebe verhüllt und mit blauen, gut 3 cm starken Seilen verschnürt. Die sommerliche Aktion nahm rasch den Charakter eines Volksfestes an. Fünf Millionen Besucher waren in den zwei Wochen vor Ort. Die Resonanz in den internationalen Medien machte das Reichstagsgebäude weltweit bekannt.

Der Innenausbau

Graffiti sowjetischer Soldaten
Datei:Deutscher Bundestag Plenarsaal September 2010.jpg
Der Plenarsaal
Sitzordnung im Plenarsaal

Die letzte Veranstaltung im Reichstagsgebäude vor dem Umbau fand am 2. Dezember 1994 statt. Ende Mai 1995 waren die Vorbereitungen für die Bauarbeiten abgeschlossen – die Asbestsanierung und die Freilegung ursprünglicher Gebäudestrukturen. Zahlreiche Originalbestandteile wurden geborgen und später in den fertigen Bau integriert. Respekt vor der historischen Gebäudesubstanz war eine der Forderungen, die an die Architekten gestellt worden waren. Spuren der Geschichte sollten auch nach dem Umbau sichtbar bleiben. Dazu gehören auch Graffiti sowjetischer Soldaten in kyrillischer Schrift aus den Maitagen 1945, die nach der Eroberung Berlins angebracht wurde („Hitler kaputt“, „Kaukasus-Berlin“). Texte mit rassistischen oder sexistischen Aussagen wurden in Abstimmung mit russischen Diplomaten entfernt, die Übrigen werden im umgebauten Reichstag gezeigt.

Ende Juli 1995, gleich nach dem Ende der Episode „Verhüllter Reichstag“ begannen die eigentlichen Umbauarbeiten. Zunächst wurden die Um- und Einbauten Baumgartens aus den 1960er-Jahren beseitigt, 45.000 Tonnen Schutt waren abzutransportieren. Um die Stabilität des geänderten Gebäudes zu garantieren, kamen zu den 2300 Stützpfählen, die Paul Wallot einst im Untergrund des Gebäudes versenken ließ, 90 neue hinzu.

Mit dem Rohbau konnte im Juni 1996 begonnen werden. Im Zentrum des Gebäudes entstand ein Neubau im Altbau. Er umfasst hauptsächlich den Plenarsaal, der sich über alle drei Hauptgeschosse erstreckt, und die Presselobby im dritten Obergeschoss. Die Nord- und Südflügel, etwa zwei Drittel des Gebäudes, verblieben als historischer Bestand und wurden lediglich saniert. Der Plenarsaal ist 1200 m² groß (bei Wallot waren es 640 m², bei Baumgarten 1375 m²) und wurde so verändert, dass das Präsidium jetzt wieder auf der Ostseite platziert ist wie in der Anfangszeit des Gebäudes. Besucher erreichen die Tribünen im Plenum über ein eigens eingebautes Zwischengeschoss. Die dritte Etage ist den Abgeordneten und den Fraktionen vorbehalten. Im Neubau kamen zeitgerechte Materialien wie Sichtbeton, Glas und Stahl zum Einsatz, im Altbaubereich vorwiegend Kalk- und Sandstein in hellen, warmen Farbtönen. Ein neu entwickeltes Farbkonzept soll zur Übersichtlichkeit im Gebäude beitragen. Insgesamt neun, zum Teil sehr kräftige Farben kennzeichnen verschiedene Bereiche. Die Räume erhielten umlaufende, starkfarbige Holzpaneele – was in Bezug auf die dort gezeigten Kunstwerke zum Teil als problematisch empfunden wurde.

Die Kuppel

Datei:Reichstag Dome.JPG
Die Kuppel von der Aussichtsplattform gesehen
Datei:In der Reichstagskuppel.jpg
Das Innere der Reichstagskuppel
Panorama des Reichstages mit Kuppel

Die nachträglich konzipierte Kuppel hat sich zur vielbesuchten Attraktion und zu einem Wahrzeichen Berlins entwickelt. Besucher können das Gebäude durch das Westportal betreten. Nach einer Sicherheitskontrolle gelangen sie mit zwei Aufzügen zunächst auf das 24 Meter hoch gelegene, begehbare Dach (im hinteren Bereich der Dachterrasse befindet sich das kleine Restaurant „Käfer“). Die dort aufgelagerte Kuppel misst 38 Meter im Durchmesser, hat eine Höhe von 23,5 Meter und wiegt 1200 Tonnen. Ihr Stahlskelett besteht aus 24 senkrechten Rippen im Abstand von 15 Grad und 17 waagerechten Ringen mit einem Abstand von 1,65 Meter, verkleidet mit 3000 m² Glas. An der Innenseite winden sich zwei um 180 Grad versetzte spiralförmige, ungefähr 1,8 Meter breite Rampen von jeweils 230 Meter Länge hinauf zu einer Aussichtsplattform 40 Meter über Bodenniveau – beziehungsweise wieder hinunter zur Dachterrasse. Die Scheitelhöhe der Kuppel liegt bei 47 Meter über dem Boden – deutlich niedriger als bei Paul Wallot.[7] Täglich werden im Durchschnitt 8000 Besucher gezählt.

Norman Foster hatte den Auftrag für den Umbau des Parlamentssitzes mit der strikten Auflage erhalten, dass die Gesamtkosten 600 Mio. DM nicht übersteigen dürften, eingeschlossen alle Aufwendungen für die Kuppel sowie Nebenkosten und Honorare. Am 19. April 1999 fand die symbolische Schlüsselübergabe an den Präsidenten des Deutschen Bundestages sowie die erste reguläre Plenarsitzung statt. Der Umbau war nach rund vier Jahren Bauzeit termin- und kostengerecht abgeschlossen.

Seine ständige Arbeit im umgebauten Gebäude nahm der Bundestag am 7. September 1999 auf. Bis zum Juni 2006 haben insgesamt mehr als 18 Millionen Menschen den Reichstag besucht, um die Kuppel zu ersteigen, Debatten zu verfolgen oder sich durch das Haus führen zu lassen.

Integriertes Energiekonzept

Datei:Berlin Reichstagsgebäude Kuppel 003.JPG
Öffnung in der Kuppelmitte für den Luftabzug

Beim Umbau des Reichstagsgebäudes in den 1990er-Jahren entstand ein Bauwerk, das in seiner Berücksichtigung ökologischer Faktoren für Planer und Ingenieure vorbildlich sein sollte. Das Heiz- und Energiesystem besteht aus einer Kombination von Solartechnik und mechanischer Belüftung, der Nutzung des Untergrunds als saisonaler Kälte- und Wärmespeicher (Geothermie), Blockheizkrafttechnik, Kraft-Wärme-Kopplung und der Verwertung nachwachsender Rohstoffe.

Spezielle Verglasungen und Dämmungen verringern Wärmeverluste. Eine Solarstromanlage von mehr als 300 m² auf dem Dach des Reichstagsgebäudes und zwei Blockheizkraftwerke, die mit Bio-Dieselkraftstoff aus Mecklenburg-Vorpommern betrieben werden, können zusammen 82 % des Strombedarfs des Reichstags und der umliegenden Parlamentsgebäude liefern. Im Sommer nutzen Absorptionskältemaschinen einen Teil der Abwärme der Motoren, um die Gebäude zu kühlen. Ein anderer Teil wird dazu verwendet, salzhaltiges Wasser, das aus einem Reservoir in rund 300 Meter Tiefe unter dem Gebäude hochgepumpt wird, auf etwa 70 °C zu erhitzen – danach wird es wieder in die Erde geleitet und dort gespeichert und kann im Winter zur Beheizung der Gebäude dienen. Ein anderes Wasservorkommen in 60 Meter Tiefe kann die winterliche Kälte speichern und bei besonders hohen Sommertemperaturen zur Klimatisierung der Bauwerke beitragen. Durch diese und einige weitere Faktoren werden die jährlichen CO2-Emissionen des Reichstagsgebäudes von ca. 7000 auf 400 bis 1000 Tonnen reduziert.

Auch die Kuppel, die vor allem als prägnantes architektonisches Element wahrgenommen wird, ist in das Energiekonzept integriert. Sie dient zugleich der Belichtung und der Entlüftung des darunter gelegenen Plenarsaals. Tageslicht wird über 360 trichterförmig angeordnete Spiegel in den Saal geleitet. Um blendfreies Licht zu gewährleisten und bei starker Sonneneinstrahlung zu große Aufheizung zu verhindern, kann ein Teil der Spiegel durch einen beweglichen, computergesteuerten, je nach Sonnenstand wirksamen Schirm abgedeckt werden. Im Inneren des Spiegeltrichters wird verbrauchte Luft über eine Abluftdüse zum höchsten Punkt des Gebäudes geleitet und entweicht durch eine kreisrunde Öffnung in der Kuppelmitte; auf diesem Weg passiert sie noch eine Wärmerückgewinnungsanlage, die ihr verwertbare Restenergie entziehen kann. Eine Vorrichtung unmittelbar unter der Kuppelöffnung fängt Regenwasser ab. Für die Versorgung des Reichstages mit Frischluft hatte Wallot im ganzen Hause Belüftungsschächte einbauen lassen. Diese Schächte wurden jetzt wieder freigelegt und nutzbar gemacht.

Kunst im Reichstag

Mahnmal Reichstag: Erinnerung an 96 durch das NS-Regime ermordete Reichstagsabgeordnete

Das Reichstagsgebäude ist der wichtigste Komplex im Gesamtkonzept für die künstlerische Ausgestaltung der Bauten des Deutschen Bundestages im Berliner Spreebogen. Der Kunstbeirat des Parlaments entschied über Vorschläge, die von externen Sachverständigen erarbeitet worden waren. Eine auf das Gebäude bezogene Arbeit war schon vorhanden und sollte nach dem Umbau übernommen werden. 18 weitere Künstler wurden eingeladen, neue Werke für den Reichstag zu schaffen, unter ihnen, in Hinblick auf den ehemaligen Viermächtestatus Berlins, Kunstschaffende aus England (Norman Foster als Architekt), Frankreich (Christian Boltanski), Russland (Grisha Bruskin) und den USA (Jenny Holzer). Ebenso wie die deutschen Künstler von internationalem Rang waren sie aufgefordert, mit ihren Werken zu dem geschichtsbeladenen Ort Stellung zu nehmen. Zusammen mit einer Reihe von Ankäufen und Leihgaben entstand so im Reichstag eine bedeutende Sammlung zeitgenössischer Kunst. Insgesamt sind nahezu 30 Künstler mit ihren Arbeiten vertreten.

Nur wenige Arbeiten können hier kurz erwähnt werden:

  • Katharina Sieverding gestaltete schon 1992 eine Erinnerungsstätte für jene Abgeordneten, die von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet wurden. Ihre Rauminstallation in der Abgeordneten-Lobby zeigt ein großformatiges, fünfteiliges Fotogemälde zu den Themen Zerstörung und Wiedergeburt sowie drei Gedenkbücher, die auf Holztischen angeordnet sind.
  • Sigmar Polke und Gerhard Richter sahen sich in der westlichen Eingangshalle vor der Aufgabe, ihre Arbeiten auf 30 m hohen Wänden zu platzieren. Richter entwickelte mit hintermalten Glastafeln von insgesamt 21 m Höhe in den Farben Schwarz, Rot und Gelb eine mehrdeutige Variation zu den deutschen Landesfarben. Polke ließ fünf Leuchtkästen mit spielerischen Bildcollagen aus Politik und Geschichte anbringen.
  • Jenny Holzer installierte in der nördlichen Eingangshalle eine Stele, auf der senkrechte Leuchtschriftbänder ablaufen. Sie geben Reden und Zwischenrufe von Abgeordneten aus der Zeit zwischen 1871 und 1992 wieder, die auf Wunsch der Künstlerin fortlaufend aktualisiert werden sollen.
  • In der südlichen Eingangshalle sind große Leinwände von Georg Baselitz angebracht, Gemälde mit Motiven nach Caspar David Friedrich. Diese Motive hat Baselitz, wie bei ihm seit Ende der 1960er-Jahre üblich, auf den Kopf gestellt, um die Bedeutung der formalen Elemente zu verstärken.
  • Bernhard Heisig lieferte das Gemälde „Zeit und Leben“. Mit Anklängen an den deutschen Expressionismus wird in einer Fülle von Einzelbildern ein Überblick über bedeutsame Motive deutscher Geschichte gegeben.
  • Als Dauerleihgabe wurde der „Tisch mit Aggregat“ von Joseph Beuys aufgestellt: ein aus Bronze gegossener Tisch, darauf ein Kästchen, davor am Boden zwei Kugeln, zwischen oben und unten Verbindungskabel. Eine Reflexion über den Fluss natürlicher und technischer Energien.
  • Hans Haacke entwarf eine Installation für den nördlichen Innenhof. Ein schmaler, rechteckiger Holztrog sollte von den Abgeordneten mit Erde aus ihren Wahlkreisen gefüllt werden (was nur sehr zögernd geschah). Sichtbar blieb eine Inschrift in Leuchtbuchstaben: „Der Bevölkerung“. Eventueller spontaner Pflanzenwuchs sollte sich selbst überlassen bleiben.

Das Kunstprogramm wurde schon während der Auswahlphase höchst kontrovers diskutiert. Die Beteiligung Heisigs etwa rief energische Proteste hervor unter dem Vorwurf, als einst „staatsnaher“ Maler in der DDR sei er nicht berufen zu repräsentativer künstlerischer Arbeit im Parlamentsgebäude einer Demokratie. Noch heftiger verlief die Debatte um den Entwurf von Haacke. Der hatte mit seiner Leuchtschrift die zentrale Inschrift im Westgiebel („Dem Deutschen Volke“) variiert und damit den Verdacht ausgelöst, er wolle sich von deren Aussage distanzieren. Der Künstler selbst ließ wissen, er halte zwar den Volksbegriff für belastet durch die jüngere deutsche Geschichte, sehe aber in seiner Arbeit nur einen Denkanstoß, kein grundsätzlich negatives Urteil. Nach drei Sitzungen des Kunstbeirats und einer Plenardebatte wurde auch diese Arbeit akzeptiert.

Die Gesamtausgaben für Kunstwerke im Reichstagsgebäude betrugen acht Millionen Mark, dies entsprach der rechtlich vorgegebenen Quote für Kunstprojekte bei öffentlichen Gebäuden. Die Anschaffungspreise der einzelnen Kunstwerke wurden nicht veröffentlicht.

Die parlamentarischen Kontroversen erinnern an eine Auseinandersetzung von 1899. Während die malerische Ausgestaltung des Reichstags bis dahin vornehmlich von Historien- und Dekorationsmalern ohne nennenswerten künstlerischen Anspruch ausgeführt worden war, erhielt nun der Münchner Maler Franz von Stuck auf Veranlassung Wallots den Auftrag, Gemälde für das Foyer des Reichstagspräsidenten zu schaffen. Er stellte zwei schmale Bilder vor, jeweils 22 Meter lang, die unterhalb der Decke montiert werden sollten. Die Zustimmung von Kollegen und Kunstsachverständigen war einhellig, die Ablehnung durch die Abgeordneten auch. Die Bilder wurden nicht verwendet.

Vor der Südwestecke des Gebäudes befindet sich seit 1992 das Denkmal für die 96 von den Nationalsozialisten ermordeten Reichstagsabgeordneten.

Wissenswertes

Ausrufung der Republik
Philipp Scheidemann ruft am 9. November 1918 die Republik aus

Vom zweiten Westbalkon links neben dem Hauptportal rief am Nachmittag des 9. November 1918 der SPD-Fraktionsvorsitzende Philipp Scheidemann die „Deutsche Republik“ aus. An dieser Stelle ist heute eine Gedenktafel angebracht. Scheidemanns Rede ist in unterschiedlichen Versionen überliefert. 1928 zitierte er sich selbst in seinen Memoiren:

„Arbeiter und Soldaten! Furchtbar waren die vier Kriegsjahre. Grauenhaft waren die Opfer, die das Volk an Gut und Blut hat bringen müssen. Der unglückselige Krieg ist zu Ende. Das Morden ist vorbei. Die Folgen des Kriegs, Not und Elend werden noch viele Jahre lang auf uns lasten. Seid einig, treu und pflichtbewusst! Das Alte und Morsche, die Monarchie, ist zusammengebrochen. Es lebe das Neue! Es lebe die Deutsche Republik!“

Einige Stunden später proklamierte Karl Liebknecht vom Berliner Stadtschloss aus die „Freie Sozialistische Republik“ (Räterepublik).

Hitler und das Reichstagsgebäude

Entgegen einer weit verbreiteten Meinung hielt Adolf Hitler niemals eine Rede im Reichstagsgebäude.[8] Hitler, der während der Weimarer Republik selbst nie Reichstagsabgeordneter war, wurde am 30. Januar 1933 vom Reichspräsidenten v. Hindenburg zum Reichskanzler bestimmt. Bereits zwei Tage später wurde der 7. Reichstag vom Reichspräsidenten aufgelöst.[9] Die konstituierende Sitzung des neuen Parlaments am 21. März 1933 (Tag von Potsdam) fand bereits nach dem Reichstagsbrand statt. Der Reichskanzler Adolf Hitler hielt seine Reichstagsreden in der zum Parlamentsgebäude umfunktionierten Krolloper.

Unterirdischer Gang

Bei den Umbaumaßnahmen nach der Wiedervereinigung wurde ein Gang mit Heizungsrohren entdeckt. Er verband einst das Reichstagsgebäude mit dem Reichstagspräsidentenpalais, das heute Sitz der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft ist. Ein Teil des Heizungsganges ist während der Umbauarbeiten herausgetrennt worden und steht nun als isoliertes Objekt in der Fußgängerunterführung vom Reichstag zum Jakob-Kaiser-Haus.

Rückseite des Bundestagsadlers gestaltet von Norman Foster
Bundesadler

In zahlreichen Entwürfen schlug Norman Foster neue Lösungen für die Gestaltung des Bundesadlers im Plenarsaal vor, den er sich vor allem schlanker wünschte. Die Abgeordneten entschieden sich jedoch für eine vergrößerte Kopie der rundlichen Form, die der Bildhauer Ludwig Gies einst für das Bonner Parlament entworfen hatte (ironische Bezeichnung: „Fette Henne“). Foster übernahm es aber, die Rückseite des Adlers zu gestalten – dieser hängt in Berlin vor einer Glaswand, ist also erstmals von beiden Seiten zu sehen. Der neue Adler, von Foster auf der Rückseite signiert, ist um etwa ein Drittel größer als der alte und wiegt 2,5 Tonnen.

Reichstag bei Nacht
Fahne der Einheit

In der Nacht vom 2. zum 3. Oktober 1990 um Mitternacht wurde anlässlich der Deutschen Einheit auf dem Platz der Republik die „Fahne der Einheit“ gehisst, die bis heute Tag und Nacht weht (nachts wird sie angestrahlt) und sechs mal zehn Meter misst.

Andachtsraum

Im ersten Obergeschoss befindet sich ein Andachtsraum, der den Abgeordneten als Ort der Besinnung dient.

Literatur

Datei:DBPB 1949 45 Berliner Bauten.jpg
Briefmarke der Deutschen Post Berlin (1949) aus der Serie Berliner Bauten
Datei:DBPB 1964 236 Hauptstadt Berlin.jpg
Briefmarke der Deutschen Bundespost Berlin (1964) aus der Serie Hauptstädte der Länder der Bundesrepublik Deutschland
Datei:Nrd037.jpg
Die Befreiung Berlins symbolisiert durch die Rote Flagge auf dem Reichstag in einer Briefmarke der DDR von 1975
  • Götz Adriani u. a. (Hrsg.): Kunst im Reichstagsgebäude. DuMont, Köln 2002, ISBN 3-7701-5517-3.
  • Michael S. Cullen: Der Reichstag. Im Spannungsfeld deutscher Geschichte. 2., vollst. überarb. Aufl., be.bra, Berlin-Brandenburg 2004, ISBN 3-89809-058-2.
  • Norman Foster, David Jenkins (Hrsg.): Der neue Reichstag. Deutsche Bearbeitung von Jochen Gaile. Brockhaus, Leipzig und Mannheim 2000, ISBN 3-7653-2061-7.
  • Stephanie Grüger: Der Reichstag als Symbol. Untersuchung seiner Bedeutungen von 1990 bis 1999. WiKu, Stuttgart und Berlin 2003, ISBN 3-936749-48-5.
  • Godehard Hoffmann: Architektur für die Nation? Der Reichstag und die Staatsbauten des Deutschen Kaiserreichs 1871–1918. DuMont, Köln 2000, ISBN 3-7701-4834-7.
  • Carl-Christian Kaiser: Das Reichstagsgebäude. In: Deutscher Bundestag, Referat Öffentlichkeitsarbeit (Hrsg.): Einblicke. Ein Rundgang durchs Parlamentsviertel. Deutscher Bundestag, Berlin 2005, S. 4–45 (als PDF, 20.5 MB).
  • Oscar Schneider: Kampf um die Kuppel. Baukunst in der Demokratie. Bouvier, Bonn 2006, ISBN 3-416-03076-1.
  • Bernhard Schulz: Der Reichstag. Die Architektur von Norman Foster. Vorwort von Wolfgang Thierse, Einführung von Norman Foster. Prestel, München 2000, ISBN 3-7913-2184-6 (dt.), ISBN 3-7913-2153-6 (engl.).
  • Paul Wallot: Das Reichstagsgebäude in Berlin. Komet, Köln, Reprint der Originalausgabe Leipzig 1897, ISBN 978-3-89836-930-5
  • Deutscher Bundestag, Faltblatt: Das Reichstagsgebäude (Vorderseite), Der Deutsche Bundestag (Rückseite). Referat Öffentlichkeitsarbeit (Hrsg.). Berlin, 2010. Deutscher Bundestag, Referat Öffentlichkeitsarbeit
Commons: Reichstagsgebäude – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Bundestag.de
  2. Andreas Biefang. Die andere Seite der Macht. Reichstag und Öffentlichkeit im „System Bismarck“ 1871–1890, Berlin 2009, S. 139 u. 298
  3. Hans-Peter Andrä, Markus Maier: Umbau des Reichstagsgebäudes zum Sitz des Deutschen Bundestages in Berlin (PDF)
  4. vgl. zu den „Wappenbäumen“ am Westeingang die Dokumentation der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags vom 23. Juli 2009 (PDF-Datei, 214,03 kB)
  5. „um etwa 15:00“ und nachfolgende Zitate nach Georgi K. Schukow: Erinnerungen und Gedanken, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1969, S. 602–603
  6. Datenhandbuch des Deutschen Bundestages, Band III, Kapitel 21.5 Wiederaufbau und Nutzung des Reichstagsgebäudes in Berlin bis 1990, S. 3341–3350
  7. Roland Fink, Klaus Horstkötter, Sven Zschippang: Die neue Kuppel auf dem Reichstagsgebäude, Tragwerksentwurf und Konstruktion. In: Stahlbau 68, Jg. 1999, S. 563–575
  8. Bundestag.de Auszüge aus der Rede Wolfgang Thierses bei der Eröffnung des neuen Reichstagsgebäudes (Kopie im Internet Archive)
  9. Verordnung zur Auflösung des Reichstages am 1. Februar 1933

Koordinaten: 52° 31′ 7″ N, 13° 22′ 34″ O

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