Schaubild der Tangensfunktion (Argument
x im
Bogenmaß)
Schaubild der Kotangensfunktion (Argument
x im Bogenmaß)
Tangens und Kotangens sind trigonometrische Funktionen und spielen in der Mathematik und ihren Anwendungsgebieten eine herausragende Rolle. Der Tangens des Winkels
wird mit
bezeichnet, der Kotangens des Winkels
mit
. In älterer Literatur findet man auch die Schreibweisen
für den Tangens und
für den Kotangens.
Definition am
Einheitskreis:

Ersten Gebrauch der Tangensfunktion machte der persische Mathematiker Abu al-Wafa (940–998). Die Bezeichnung „Tangens“ stammt von dem Mathematiker Thomas Finck (1561–1656), der sie 1583 einführte. Die Bezeichnung „Kotangens“ entwickelte sich aus complementi tangens, also Tangens des Komplementärwinkels.[1]
Die Wahl des Namens Tangens erklärt sich unmittelbar durch die Definition im Einheitskreis. Die Funktionswerte entsprechen der Länge eines Tangentenabschnitts:

Ein rechtwinkliges Dreieck, mit Bezeichnungen der drei Seiten bezogen auf einen variablen Winkel α am Punkt A und einen rechten Winkel am Punkt C
In einem rechtwinkligen Dreieck ist der Tangens eines Winkels
das Längenverhältnis von Gegenkathete zu Ankathete und der Kotangens das Längenverhältnis von Ankathete zu Gegenkathete:

Daraus folgt unmittelbar:

sowie

Sinus und Kosinus können auch auf einer axiomatischen Basis behandelt werden, weshalb für den Tangens und Kotangens das Gleiche gilt. Komplexe Argumente werden durch analytische Definition erlaubt. Dabei gilt eine Surjektivität von Sinus und Kosinus als komplexwertige Funktion. Daraus resultierend sind Tangens und Kotangens als komplexwertige Funktion ebenso surjektiv.
Tangens und Kotangens können als Quotienten von je zwei Taylorreihen dargestellt werden. Beruhend auf diesen Reihen lassen sich auch Arkustangens und Arkuskotangens als Quotienten von je zwei Taylorreihen darstellen (siehe Reihenentwicklung).
Tangens und Kotanges sind als Trigonometrische Funktionen eng mit der Exponentialfunktion verbunden, wie auch der Sinus, Kosinus, Sekans und Kosekans, wobei aus

für den Tangens mit
und Kotangens mit

resultiert.
Formal kann die Tangensfunktion mittels der Sinus- und Kosinusfunktionen durch
mit 
definiert werden,[2] wobei der Wertebereich
je nach Anwendung die reellen Zahlen
oder die komplexen Zahlen
sind. Um zu verhindern, dass der Nenner
Null wird, werden beim Definitionsbereich
die Nullstellen der Cosinus-Funktion weggelassen:

im Reellen bzw.

im Komplexen.
Der Kotangens kann analog dazu durch
mit 
definiert werden, wobei sich für dessen Definitionsbereich

im Reellen bzw.

im Komplexen ergibt, wenn gewährleistet werden soll, dass der Nenner
ungleich Null ist.
Für den gemeinsamen Definitionsbereich von
und

gilt

Entstehung der Tangensfunktion aus der Winkelbewegung im Einheitskreis
Der Tangens und der Kotangens sind periodische Funktionen mit der Periode
, es gilt also
.
Der Tangens ist in jedem Intervall zwischen zwei aufeinanderfolgenden Polstellen streng monoton steigend.
Der Kotangens ist in jedem Intervall zwischen zwei aufeinanderfolgenden Polstellen streng monoton fallend.
Tangens und Kotangens sind punktsymmetrisch zum Koordinatenursprung:


Tangens:
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Kotangens:
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Tangens:
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Kotangens:
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Tangens:
|
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Kotangens:
|
|
Sowohl die Tangensfunktion als auch die Kotangensfunktion haben Asymptoten, aber weder Sprungstellen noch Extrema.
Tangens und Kotangens sind beliebig oft differenzierbar.[3]
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Tangens
|
Kotangens
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Tangens
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Kotangens
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Ausdruck
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num. Wert
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0
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0,2679491…
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|
|
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0,3249196…
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|
|
|
0,4142135…
|
|
|
|
0,5773502…
|
|
|
|
0,7265425…
|
|
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1
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1,7320508…
|
|
|
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2,4142135…
|
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3,7320508…
|
|
|
|
Polstelle
|
[4]
Durch passende Einschränkung der Definitionsbereiche erhält man folgende Bijektionen:
- Tangens
![{\displaystyle \tan \colon \left]-{\frac {\pi }{2}},\,{\frac {\pi }{2}}\right[\to \mathbb {R} }](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/9a3198fddd7400fb1ec00e1cece0b3af9926c9e2)
Die Umkehrfunktion
![{\displaystyle \arctan \colon \mathbb {R} \to \left]-{\frac {\pi }{2}},\,{\frac {\pi }{2}}\right[}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/d272f3866da8d6a1ce04805d151d7cb81d0aac5d)
heißt Arkustangens und ist folglich ebenfalls bijektiv.
- Kotangens
![{\displaystyle \cot \colon ]0,\,\pi [\to \mathbb {R} }](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/545fcaf55ff06ce2aebeb72418daa282f83defe0)
Die Umkehrfunktion
![{\displaystyle \operatorname {arccot} \colon \mathbb {R} \to ]0,\,\pi [}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/6aa3fa582cb3d727d8aed4471e8aa92eebdfde26)
heißt Arkuskotangens und ist folglich ebenfalls bijektiv.
Aus den einseitigen Grenzwerten[5]
und 
resp.[6]
und 
leiten sich die Grenzwerte[5]
und 
resp.[6]
und 
her. Somit kann man nach der Einschränkung auf die Intervalle
resp.
die Definitionsbereiche wenigstens um die Endpunkte
resp.
der Intervalle wieder erweitern und unter Anpassung der Wertebereiche die beiden Funktionen stetig fortsetzen zu
![{\displaystyle {\widetilde {\tan }}\colon \left[-{\tfrac {\pi }{2}},\,{\tfrac {\pi }{2}}\right]\to {\overline {\mathbb {R} }}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/7099047ad5a6062b56291ec4667b25c6cc5c2edf)
resp.
![{\displaystyle {\widetilde {\cot }}\colon [0,\,\pi ]\to {\overline {\mathbb {R} }}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/1472b47a3b87b6a84720829c0d1a249d47fd7baf)
mit
als den erweiterten reellen Zahlen.
Die so erweiterten Funktionen sind ebenfalls stetig umkehrbar.
- Tangens
Die Taylorreihe mit dem Entwicklungspunkt
(Maclaurinsche Reihe) lautet für
[7]

Dabei sind mit
die Bernoulli-Zahlen und mit
die Dirichletsche Lambda-Funktion bezeichnet.
Aus der Reihendarstellung folgt für
:
und
ist streng monoton steigend mit
.
Ersetzt man in der Reihendarstellung
durch
, ergibt sich für
:
ist streng monoton fallend und
.
- Kotangens
Die Laurent-Reihe lautet für
[8]

Damit hat man für
im Konvergenzbereich
die Taylor-Reihe
,
wobei
die Langevin-Funktion bezeichnet. Die Partialbruchzerlegung des Kotangens lautet für

Die Partialbruchzerlegung des Kotangens stammt von Leonhard Euler (Introductio in Analysin Infinitorum, 1748, Paragraph 178) und wurde als eines seiner schönsten Resultate bezeichnet.[9] Ein einfacher Beweis benutzt den Herglotz-Trick.[10][11] Eine Folgerung aus der Formel ist die Ableitung der Werte der Riemannschen Zetafunktion an den geraden natürlichen Zahlen.
Die Tangensfunktion lässt sich für alle komplexen Zahlen
durch den Zentralbinomialkoeffizienten
ausdrücken
,
und die Kotangensfunktion durch
.[12]
Der Zentralbinomialkoeffizient hat folgende gleichwertige Definitionen:
.
Die Fakultätsfunktion (auch Gaußsche Pifunktion genannt) ist definiert durch die Produktreihe:
![{\displaystyle x!=\Pi (x)=\Gamma (x+1)=\exp(-\,\gamma \,x)\prod _{n=1}^{\infty }{\biggl [}{\biggl (}1+{\frac {x}{n}}{\biggr )}^{-1}\exp {\biggl (}{\frac {x}{n}}{\biggr )}{\biggr ]}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/77de730ab6f752732ed83abc06e21bd34f96fe90)
mit
als der Euler-Mascheroni-Konstanten.
Bei der Ableitung von Tangens und Kotangens tauchen die ansonsten eher wenig gebräuchlichen trigonometrischen Funktionen Sekans und Kosekans auf:


Die
-ten Ableitungen lassen sich mit der Polygammafunktion ausdrücken:


- Tangens
mit

Mithilfe der Logarithmengesetze lässt sich die Stammfunktion
wie folgt darstellen:

Dabei bezeichnet
den Sekans.
- Kotangens
mit

mit 
mit 
Die Additionstheoreme für Tangens und Kotangens lauten:

Aus den Additionstheoremen folgt insbesondere für doppelte Winkel:

Darstellung des Sinus und Kosinus mithilfe des (Ko-)Tangens[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Die Auflösung der bereits aus dem obigen Abschnitt Ableitung bekannten Identitäten


nach
bzw.
ergibt bei Beschränkung auf den ersten Quadranten zunächst einmal Einfaches:
für 
für 
Die etwas komplizierteren Erweiterungen auf ganz
lassen sich entweder kompakt als Grenzwert mit Hilfe der Floor-Funktion
oder elementarer mittels abschnittsweise definierter Funktionen darstellen:


Der Tangens des halben Winkels kann dazu verwendet werden, verschiedene trigonometrische Funktionen durch rationale Ausdrücke zu beschreiben: Ist
, so ist

Insbesondere ist

eine Parametrisierung des Einheitskreises mit Ausnahme des Punktes
(der dem Parameter
entspricht). Einem Parameterwert
entspricht dabei der zweite Schnittpunkt der Verbindungsgeraden von
und
mit dem Einheitskreis (s. a. Einheitskreis#Rationale Parametrisierung).
Beispiel für eine Steigung
Der Tangens liefert eine wichtige Kennzahl für lineare Funktionen: Jede lineare Funktion

besitzt als Graphen eine Gerade. Der Tangens des (orientierten) Winkels
zwischen der positiven x-Richtung und der Geraden ist die Steigung
der Geraden, d. h.
. Dabei ist es egal, welche der beiden Halbgeraden man als zweiten Schenkel wählt.
Auch unter der Steigung einer Straße versteht man den Tangens des Steigungswinkels. Das Beispiel im Bild rechts zeigt eine Steigung von 10 % entsprechend einem Steigungswinkel von etwa 5,7° mit dem Tangens von 0,1.
Tangens und Kotangens können benutzt werden, um die zeitliche Abhängigkeit der Geschwindigkeit beim Wurf eines Körpers nach oben zu beschreiben, wenn für den Strömungswiderstand der Luft eine turbulente Strömung angesetzt wird (Newton-Reibung). Das Koordinatensystem werde so gelegt, dass die Ortsachse nach oben zeigt. Für die Geschwindigkeit gilt dann eine Differenzialgleichung der Form
mit der Schwerebeschleunigung
und einer Konstanten
. Dann ergibt sich:
,
wobei
die Grenzgeschwindigkeit ist, die beim Fall mit Luftwiderstand erreicht wird. Wegen der oben angegebenen engen Zusammenhänge zwischen Kotangens und Tangens kann man diese zeitliche Abhängigkeit auch genauso gut mit Hilfe des Tangens ausdrücken:

Diese Lösung gilt, bis der Körper den höchsten Punkt seiner Bahn erreicht hat (also wenn
ist, das heißt für
), daran anschließend muss man den Tangens hyperbolicus verwenden, um den folgenden Fall mit Luftwiderstand zu beschreiben.
Der Tangens ist eine Lösung der Riccati-Gleichung
.
Faktorisiert man die rechte Seite, so erhält man

mit der imaginären Einheit
. Der Tangens (als komplexe Funktion) hat die Ausnahmewerte
,
: Diese Werte werden niemals angenommen, da die konstanten Funktionen
und
Lösungen der Differentialgleichung sind und der Existenz- und Eindeutigkeitssatz ausschließt, dass zwei verschiedene Lösungen an derselben Stelle denselben Wert besitzen.
Wiktionary: tan – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
- ↑ Josef Laub (Hrsg.): Lehrbuch der Mathematik für die Oberstufe der allgemeinbildenden höheren Schulen. 2. Band. 2. Auflage. Hölder-Pichler-Tempsky, Wien 1977, ISBN 3-209-00159-6, S. 223.
- ↑ Per Dreisatz ist sin/cos = tan/1.
- ↑ Differenzierbarkeit. In: Uni-kiel.de. Abgerufen am 11. April 2022.
- ↑ Für den größten gemeinsamen Teiler
dieser Winkel gilt:

- ↑ a b Die Geraden
und
sind senkrechte Asymptoten der Tangensfunktion
wie auch waagrechte der Umkehrfunktion
- ↑ a b Die Geraden
und
sind senkrechte Asymptoten der Kotangensfunktion
wie auch waagrechte der Umkehrfunktion
- ↑ Milton Abramowitz, Irene Stegun: Handbook of Mathematical Functions. Dover Publications, New York 1964, ISBN 0-486-61272-4, 4.3.67. (Memento des Originals vom 31. März 2009 im Internet Archive)
Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.math.hkbu.edu.hk
- ↑ Milton Abramowitz, Irene Stegun: Handbook of Mathematical Functions. Dover Publications, New York 1964, ISBN 0-486-61272-4, 4.3.70. (Memento des Originals vom 31. März 2009 im Internet Archive)
Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.math.hkbu.edu.hk
- ↑ Aigner, Ziegler, Das Buch der Beweise, Springer 2018, S. 207
- ↑ Dargestellt in Aigner, Ziegler, Das Buch der Beweise, 2018, S. 207 ff., Kapitel 26
- ↑ Jürgen Elstrodt, Partialbruchzerlegung des Kotangens, Herglotz-Trick und die Weierstraßsche stetige, nirgends differenzierbare Funktion, Mathematische Semesterberichte, Band 45, 1998, S. 207–220
- ↑ Derrick Henry Lehmer: Interesting Series Involving the Central Binomial Coefficient. Volume 92, 1985. Seite 452