Thüringer Verfassungsgerichtshof
Der Thüringer Verfassungsgerichtshof (kurz: ThürVerfGH) ist das Landesverfassungsgericht des Freistaates Thüringen. Sitz des Gerichts ist Weimar mit dem Standort Jenaer Straße 2a (Lage ), die mündlichen Verhandlungen finden in der Gutenbergstraße 29a (Lage ) statt.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Durch die Verfassung des Freistaats Thüringen vom 25. Oktober 1993 wurde ein Verfassungsgerichtshof vorgesehen. Der Thüringer Landtag verabschiedete das Gesetz über den Thüringer Verfassungsgerichtshof (ThürVerfGHG) am 28. Juni 1994 und bestimmte damit den Sitz des Verfassungsgerichtshofs in Weimar. Etwa ein Jahr später, am 13. September 1995, nahm er seine Arbeit auf.
Im März 2018 schied der Präsident des Verfassungsgerichtshof Manfred Aschke mit Erreichen der Altersgrenze aus dem Amt aus. Allerdings konnten sich die Fraktionen im Thüringer Landtag nicht auf einen Nachfolger einigen. Dieser muss mit Zweidrittelmehrheit vom Landtag gewählt werden.[1] Die Regierungsfraktionen favorisierten die Verfassungsrichterin Elke Heßelmann, die CDU-Fraktion den Verfassungsrichter Klaus-Dieter von der Weiden.[2] Somit versäumte der Landtag die fristgemäße Wahl nach § 3 Abs. 3 S. 3 des ThürVerfGHG. Dadurch war der Posten des Präsidenten bis auf Weiteres unbesetzt und das Gericht nur noch vorübergehend beschlussfähig. Dass das Gericht nur noch vorübergehend beschlussfähig sein konnte, hatte das Gericht bereits während einer kurzen Vakanz 2010 festgestellt.[3] Während der Vakanz vertrat der CDU-Favorit Klaus-Dieter von der Weiden das Amt des Präsidenten.[4] Im Mai 2018 wurde bekannt, dass der CDU-Fraktionschef Mike Mohring den Präsidenten des Thüringer Oberlandesgerichts Stefan Kaufmann als Kompromisskandidaten vorsehe. Allerdings bestand die Gefahr, dass vor der Sommerpause kein neuer Präsident gewählt werde und das Gericht dadurch seine Handlungsfähigkeit verliere.[5][6] Zuletzt entschied sich auch die Fraktion Die Linke Kaufmann zu unterstützen.[7] Der Wahlvorschlag wurde schließlich auch von Bündnis 90/Die Grünen und SPD unterstützt.[8] Mit dem Ausscheiden Kaufmanns wurde die Präsidentschaft abermals vakant, da nicht fristgemäß ein Nachfolger gewählt wurde.[9]
2021/2022 wiederholte sich die Vakanz und Klaus von der Weiden leitete erneut den Gerichtshof. Am 5. Mai 2022 wurde er vom Landtag zum Präsidenten gewählt.[10] Im Sommer 2022 änderte der Thüringer Gesetzgeber das Verfassungsgerichtshofgesetz und führte das Amt eines Vizepräsidenten des Gerichtshofes ein.[3] Als solcher wurde am 23. September 2022 Lars Schmidt gewählt.[11]
Präsidenten
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- 1995–2000: Gunter Becker, Präsident des Thüringer Landessozialgerichts
- 2000–2005: Hans-Joachim Bauer (* 1941), Präsident des Thüringer Oberlandesgerichts
- 2005–2010: Harald Graef (* 1942), Vizepräsident des Thüringer Oberverwaltungsgerichts
- Vakanz von April/Mai 2010[5]
- 2010–2014: Joachim Lindner (* 1946), Vizepräsident des Thüringer Oberverwaltungsgerichts
- 2014–2018: Manfred Aschke (1950–2023), Vorsitzender Richter am Thüringer Oberverwaltungsgericht
- Vakanz von März 2018 bis Juni 2018[5] (Vertreter: Klaus von der Weiden[3])
- 2018–2021: Stefan Kaufmann (* 1953), Präsident des Thüringer Oberlandesgerichtes
- Vakanz von Dezember 2021 bis Mai 2022[9] (Vertreter: Klaus von der Weiden[3])
- seit 2022 Klaus-Dieter von der Weiden
Rechtsgrundlagen und Wahl
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In Art. 79 und Art. 80 der Verfassung des Freistaats Thüringen werden die Stellung, Zusammensetzung sowie die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes geregelt. Diese Regelungen finden im Gesetz über den Thüringer Verfassungsgerichtshof (ThürVerfGHG) nähere Ausgestaltung. Die Arbeitsweise des Gerichtshofes ist in der Geschäftsordnung des Thüringer Verfassungsgerichtshofes (GO VerfGH) geregelt.
Der Präsident und die acht weiteren Mitglieder des Gerichts wurden bis 2014 vom Thüringer Landtag mit Zweidrittelmehrheit auf fünf Jahre gewählt. 2014 wurde die Amtszeit auf sieben Jahre erhöht, wobei nur noch eine Wiederwahl möglich ist. Somit wurde die maximale Amtszeit auf 14 Jahre verkürzt. Eine Übergangsregelung ermöglichte jedoch, dass Richter die bereits mehrmals zum Verfassungsrichter gewählt wurden, noch einmal zum Verfassungsrichter gewählt werden durften. Dies ermöglichte die Wiederwahl der Richter Manfred Baldus, Walter Bayer und Hartmut Schwan. Der Präsident und zwei weitere Mitglieder müssen Berufsrichter sein, drei weitere Mitglieder müssen die Befähigung zum Richteramt haben. Der Gerichtshof setzt sich überwiegend aus Juristen zusammen.
Mitglieder
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Aktuelle Zusammensetzung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Präsident: Klaus-Dieter von der Weiden (* 1962), Richter am Bundesverwaltungsgericht (2022–2029)
- Berufsrichterliche Mitglieder
- Vizepräsident: Lars Schmidt, Vorsitzender Richter am Landgericht Erfurt (2022–2029)
- Renate Wittmann (* 1969), Richterin am Arbeitsgericht Nürnberg (2022–2029)
- Mitglieder mit Befähigung zum Richteramt
- Barbara Burkert, Vorsitzende Richterin am Landgericht Mühlhausen (2022–2029)
- Klaus Hinkel (* 1963), Präsident des Thüringer Oberverwaltungsgerichts (2019–2026)
- Anika Klafki (* 1986), Universitätsprofessorin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena (2022–2029)
- Weitere Mitglieder
- Jörg Geibert, Rechtsanwalt (2022–2029)
- Christoph Ohler (* 1967), Universitätsprofessor an der Friedrich-Schiller-Universität Jena (2015–2029)
- Jens Petermann (* 1963), Richter am Sozialgericht Gotha (2015–2029)
Stellvertretende Mitglieder
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Berufsrichterliche Mitglieder
- Ute Jung, Richterin am Oberverwaltungsgericht (2017–2031)
- Anja Klameth, Richterin am Landgericht Erfurt (2022–2029)
- Michael Obhues, Präsident des Verwaltungsgerichts Gera (2008–2025)
- Mitglieder mit Befähigung zum Richteramt
- Wolfgang Weißkopf, Rechtsanwalt (2003–2025)
- Claus Eckart Peters, Richter am Oberverwaltungsgericht Weimar (2010–2029)
- Petra Reiser-Uhlenbruch, Richterin am Amtsgericht Gotha (2011–2030)
- Weitere Mitglieder
- René Kliebisch, Vorsitzender Richter am Landgericht Mühlhausen (2022–2029)
- Kjell Eberhardt, Staatssekretär a. D. (2012–2029)
- Renate Licht, Regionsgeschäftsführerin DGB, Region Thüringen (2011–2030)
Frühere Mitglieder (Auswahl)
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Brigitte Baki, Gewerkschafterin, stellvertretendes Mitglied 2005–2011
- Manfred Baldus, Universitätsprofessor an der Universität Erfurt, Mitglied 2008–2021 (gewählt bis 2025), stellvertretendes Mitglied 2005 bis 2008
- Walter Bayer (* 1956), Universitätsprofessor an der Friedrich-Schiller-Universität Jena (2000–2022)
- Erhard Denninger, Staatsrechtslehrer, Mitglied 1995–2000
- Michael Menzel, Rechtsanwalt (2015–2022)
- Renate Hemsteg von Fintel, Gewerkschafterin, stellvertretendes Mitglied 1995–2005[12]
- Elke Heßelmann (* 1958), Präsidentin des Verwaltungsgerichts Weimar (2010–2022)
- Evelin Groß, Politikerin, stellvertretendes Mitglied 2010–2012
- Martina Hornstein-Engers, stellvertretendes Mitglied 2005–2010
- Johanna Hübscher, emeritierte deutsche Professorin für Sportmedizin, Mitglied 2000–2010
- Christiane Kretschmer, Diplomingenieurin, stellvertretendes Mitglied 1995–2000
- Iris Martin-Gehl, Rechtsanwältin, Mitglied 2000–2015
- Karl-Ulrich Meyn, Staatsrechtslehrer, Mitglied 2005–2007, Stellvertreter 1995–2000
- Gertrud Neuwirth, Präsidentin des Landgerichts Meiningen, Mitglied 1995–2000
- Petra Pollak, Rechtsanwältin, Mitglied
- Ulrich Rommelfanger, Rechtsanwalt, Mitglied 1995–2000
- Matthias Ruffert, Staatsrechtslehrer und Richter am Thüringer Oberverwaltungsgericht, Mitglied 2010–2015
- Manfred Scherer, Präsident des Landgerichts Erfurt, Mitglied 1996–1999
- Hartmut Schwan, Präsident des Thüringer Oberverwaltungsgerichts, Mitglied 2005–2019; Stellvertreter 1995–2005
- Rudolf Steinberg, Staatsrechtslehrer, Mitglied 1995–2000
Verfahrensarten
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Gericht entscheidet nach § 11 ThürVerfGHG über
- Individualverfassungsbeschwerden,
- Kommunalverfassungsbeschwerden,
- Organstreitigkeiten innerhalb des Landes,
- abstrakte Normenkontrollanträge auf Antrags eines Fünftels der Mitglieder des Landtages, einer Fraktion oder der Landesregierung,
- konkrete Normenkontrollanträge auf Vorlage eines Gerichts,
- Zulässigkeit von Volksbegehren,
- Verfassungsmäßigkeit von Untersuchungsaufträgen an einen Untersuchungsausschuss,
- Wahlprüfungsbeschwerden hinsichtlich der Landtagswahlen.
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Sebastian von Ammon: Die Urteilsverfassungsbeschwerde zum Thüringer Verfassungsgerichtshof, in: Thüringer Verwaltungsblätter (ThürVBl.), Bd. 23 (2014), S. 181–185.
- Hans-Joachim Bauer: Der Thüringer Verfassungsgerichtshof, in: Landes- und Kommunalverwaltung (LKV), 1996, S. 385–388.
- Hans-Joachim Bauer: Die Rechtsprechung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs zum Parlamentsrecht (1996 bis 2003), in: Zehn Jahre Thüringer Landesverfassung (1993–2003), Wartburg-Verlag, Weimar 2003, S. 125–135.
- Lukas C. Gundling: Zur Frage der Funktionsfähigkeit des Thüringer Verfassungsgerichthofes beim altersbedingten Ausscheiden des Präsidenten. In: Zeitschrift für Landesverfassungsrecht und Landesverwaltungsrecht (ZLVR), Bd. 3 (2022), S. 103–108 (online).
- Lukas C. Gundling: Verfassungskrise in Thüringen abgewendet. Ein kurzer Bericht, in: Zeitschrift für Landesverfassungsrecht und Landesverwaltungsrecht (ZLVR), Bd. 3 (2018), S. 105–108 (Digitalisat online).
- Oliver W. Lembcke: Thüringer Verfassungsgerichtshof, in: Werner Reutter (Hrsg.): Landesverfassungsgerichte. Entwicklung – Aufbau – Funktionen, Springer, Wiesbaden 2017, ISBN 978-3-658-16093-7, S. 389–420.
- Julia Plattner: Das parlamentarische Untersuchungsverfahren vor dem Verfassungsgericht. Eine Betrachtung zum Rechtsschutz vor und nach dem Erlaß des Gesetzes zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages (PUAG) und in Thüringen, Duncker & Humblot, Berlin 2004, ISBN 3-428-11221-0.
- Werner Reutter: Richterinnen und Richter am Thüringer Verfassungsgerichtshof, in: LKV 2019, S. 496–501 (Digitalisat).
- Hartmut Schwan: Der Thüringer Verfassungsgerichtshof als „außerplanmäßige Revisionsinstanz“, in: ThürVBl., Bd. 21 (2012), S. 121–129.
- Dietrich Stöffler: Die Rechtsprechung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs zum Kommunalrecht, in: Zehn Jahre Thüringer Landesverfassung (1993–2003), Wartburg-Verlag, Weimar 2003, S. 107–123.
- Klaus-Dieter von der Weiden: Funktionsunfähigkeit des Thüringer Verfassungsgerichtshofs bei verzögerter Nachwahl eines altersbedingt ausgeschiedenen Mitglieds?, in: ThürVBl., Bd. 28 (2019), S. 209–214.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Offizielle Website des Thüringer Verfassungsgerichtshofes
- Übersicht der Rechtsprechung des Thüringischen Verfassungsgerichtshofs
- Aktueller Text der Thüringer Verfassung
- Aktueller Text des Thüringer Verfassungsgerichtshofsgesetzes (ThürVerfGHG)
- Aktuelle Geschäftsordnung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Thüringen bis mindestens Mai ohne obersten Verfassungsrichter auf mdr.de, Beitrag vom 25. April 2018.
- ↑ Bewegung im Streit um Neubesetzung des Präsidentenamtes im Verfassungsgerichtshof, Beitrag vom 19. April 2018 auf der Seite der Zeitung Thüringer Allgemeine.
- ↑ a b c d Lukas C. Gundling: Zur Frage der Funktionsfähigkeit des Thüringer Verfassungsgerichthofes beim altersbedingten Ausscheiden des Präsidenten. In: Zeitschrift für Landesverfassungsrecht und Landesverwaltungsrecht (ZLVR), 3/2022, S. 103 ff. (online).
- ↑ ThürVerfGH, Beschluss vom 11. April 2018, VerfGH 8/18, S. 3 und ThürVerfGH, Beschluss vom 11. April 2018, VerfGH 3/17, S. 4.
- ↑ a b c Lukas C. Gundling: Verfassungskrise in Thüringen abgewendet – ein kurzer Bericht. In: Erfurter Gesellschaft für deutsches Landesrecht GbR (Hrsg.): Zeitschrift für Landesverfassungsrecht und Landesverwaltungsrecht (ZLVR). Nr. 3, 2008, ISSN 2511-3666, S. 105–108 (zlvr.de [PDF]).
- ↑ Dauerstreit um Gerichtspräsidenten: Droht eine Thüringer Verfassungskrise?, Beitrag vom 24. Mai 2018 auf der Seite der Thüringer Allgemeinen.
- ↑ Kaufmann als Kompromiss: Ende im Streit um Besetzung des Thüringer Verfassungsgerichts-Präsidenten, Beitrag auf mdr.de vom 21. Juni 2018.
- ↑ LT-Drs. 6/5853 (abgerufen am 21. Juni 2018).
- ↑ a b Tauziehen um neue Spitze des Thüringer Verfassungsgerichts, Meldung der Süddeutschen Zeitung vom 10. November 2021.
- ↑ Thüringer Landtag: Beschluss Drucksache 7/5457 05.05.2022. (PDF) 19. Mai 2022, S. 1, abgerufen am 27. September 2024.
- ↑ Thüringer Landtag: Beschluss Drucksache 7/6381 23.09.2022. (PDF) 11. Oktober 2022, S. 1, abgerufen am 27. September 2024.
- ↑ Thüringer Verfassungsgerichtshof. Abgerufen am 27. März 2021.
Koordinaten: 50° 58′ 55,2″ N, 11° 20′ 6″ O