Finis Germania

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Finis Germania ist ein im Februar 2017 im neurechten Verlag Antaios erschienener Bestseller mit 30 Kurztexten aus dem Nachlass des Historikers Rolf Peter Sieferle (1949–2016).[1] Die Erstauflage belief sich laut Verlag auf 20.000 Exemplare.[2] Das Lektorat übernahm die neurechte Publizistin Ellen Kositza, Ehefrau Götz Kubitscheks.[2] Die Publikation wurde von Sieferles Ehefrau, Regina Sieferle, veranlasst. Nachlassverwalter war Raimund Theodor Kolb.[3]

Der Inhalt des Buches, aber auch seine anfängliche Tilgung aus Bestsellerlisten, wurden als skandalös bezeichnet. Buch und Autor wurden von Kritikern als „zynisch, reaktionär, paranoid, rechtsradikal, antisemitisch und geschichtsrevisionistisch“ beurteilt.[4]

Titel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

„Finis Germania“ wird oft analog zu lateinisch finis Germaniae mit „Das Ende Deutschlands“ übersetzt.[5] Damit wird der Titel als fehlerhafter lateinischer Ausdruck verstanden, bei dem das Genitivattribut falsch dekliniert worden sei. Ursprung des vermeintlichen Fehlers seien mangelnde Lateinkenntnisse des Autors.[6] Im Nachwort erklärt Raimund Theodor Kolb den Titel als ein „Syntagma, das sich sehr wohl auch als finale Antwort auf das erstmals 1897 von britischer und später im Kontext der beiden Weltkriege von alliierter Seite geforderte ‚Germania delenda est‘ bzw. ‚Germany must perish‘ interpretieren ließe.“ In diesem Sinne ist „Germania“ ein Vokativ, der Titel bedeutet dementsprechend: „Das ist das Ende, Deutschland“ oder „Du gehst zu Ende, Deutschland.“

Volker Weiß stellt in der Jüdischen Allgemeinen einen Bezug des Titels auf Wilhelm Marrs Motto Finis Germaniae her, das dieser am Ende seines 1879 erschienenem antisemitischen Werk Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum benutzt hatte:[7] Für Sieferle seien die Deutschen heute unmittelbar von Vernichtung bedroht, deutsche und jüdische Erfahrung setze er gleich.

Verwegen konstruiert er eine Opferumkehr, gewissermaßen vom „ewigen Juden“ zum „ewigen Deutschen“: „Die Schuld der Juden an der Kreuzigung des Messias wurde von diesen selbst nicht anerkannt. Die Deutschen, die ihre gnadenlose Schuld anerkennen, müssen dagegen von der Bildfläche der realen Geschichte verschwinden, müssen zum immerwährenden Mythos werden, um ihre Schuld zu sühnen.“[8]

Genre[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die 30 Kapitel von Finis Germania werden als Miszellen oder Aphorismen bezeichnet.[9][10] Gustav Seibt hält sie dagegen für eine „Ansammlung von Glossen und Polemiken“, „zugespitzte kürzere oder längere Essays“.[11] Rüdiger Safranski sieht sie im Gegensatz zu Seibt, dem er „ästhetische Desensibilisierung“ attestiert, als Beispiele der Textgattung Nachtgedanken in der Tradition von Edward Young bis Heinrich Heine (Nachtgedanken).[12] Das Nachwort Raimund Kolbs betont, der Text gehorche nicht wissenschaftlich-formalen Gliederungskriterien. Es werde in „Manier literarischer Montagetechnik“ gearbeitet. Es handle sich um eine „persönliche Confessio“.[13]

Entstehungsgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wie zuvor bereits René Aguigah[14] geht Jacob S. Eder 2017 in seiner Untersuchung zur „Diskursvergangenheit“ davon aus, dass weite Passagen des Texts mindestens zwei Jahrzehnte alt seien. Das Kapitel Mythos VB beziehe sich auf Gräueltaten des Zweiten Weltkrieges, die fünfzig Jahre zurücklagen, daher müsse es etwa Mitte der neunziger Jahre entstanden sein. Auch die Forderung nach der Abschaffung des Buß- und Bettags weist auf eine Entstehung vor 1995 hin, der Hinweis auf „EG-Äpfel“ auf eine Zeit vor 1993. Daher sei es ahistorisch, die Darstellungen Sieferles auf die Bundesrepublik der Publikationszeit zu beziehen. Das Buch atme den Geist der 90er Jahre, sei eine „Illustration des Diskurses über NS und Holocaust vor gut zwanzig Jahren.“[4] „In der politischen Landschaft von heute erfüllt ein Büchlein wie dieses“, das sich am Historikerstreit von 1986/87 reibe, „nur einen Zweck: ideologischen Extremisten einen intellektuellen Anstrich zu geben.“[14]

Das Nachwort Raimund Kolbs stellt dar, dass Sieferle die letzte Änderung am Text am 10. April 2015 vorgenommen habe. Sieferles Veröffentlichungsabsicht hält er für zweifelsfrei.[13]

Aufbau und Inhalt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Buch gliedert sich in vier Teile mit mehreren Beiträgen und ein Nachwort des emeritierten Würzburger Sinologen Raimund Theodor Kolb (Persönliche Confessio), der zugleich Sieferles Nachlassverwalter ist.

Der erste Teil des Buches, Finis Germania, umfasst sechs Beiträge (Vergangenheitsbewältigung und Fortschritt, Deutscher Sonderweg und Siegerperspektive, Das Schicksal hat einen Namen, Deutsche und Herrschaftskultur, Sozialdemokratismus, Moralische Arithmetik). Unter anderem werden folgende Thesen verfolgt: die Vorstellung des deutschen Sonderweges habe sich nach dem Holocaust entwickelt, um Deutschland (und damit die NS-Zeit) fundamental vom „Westen“ abzugrenzen. Aufgrund der geschichtlichen Brüche des 20. Jahrhunderts bestehe hier keine großbürgerlich-aristokratische „Herrschaftskultur“ mehr. Die bundesdeutsche Politikszene sei kleinbürgerlich geprägt. Ein zentrales Merkmal der politischen Kultur in Deutschland sei durch die Bank ein egalitaristischer „Sozialdemokratismus“. Unter Moralische Arithmetik wird versucht, sich mit der ethischen Bilanzierung der Opfer totalitärer Gewalt auseinanderzusetzen.

Der zweite Teil Paradoxien der Zeit umfasst fünfzehn Beiträge (Historisierung des Relativismus, Intellektueller Vorlauf, Wissenschaft und Avantgarde, Politik und System, Politiker und Intellektuelle, Rationalisierung und Atomisierung, Wiederkehr des Gleichen, Tierliebe, Die sensualistische Strategie, Verschwinden des anthropomorphen Raums, Hinter dem Kosmos, Das Hühner-Volk, Altfränkische Moderne, Kunst und Charisma, Am Meer). In Das Hühner-Volk beschreibt der Autor die deutsche Gesellschaft als Hühnerherde, die sich vor allem fürchtet, was auch nur entfernt nach einem Fuchs aussieht.

Der dritte Teil Mythos VB („VB“ ist als Abkürzung für Vergangenheitsbewältigung gemeint) enthält die umstrittensten Aussagen und umfasst fünf Kapitel (Der ewige Nazi, Eine neue Staatsreligion, Sack und Asche erbeten!, Aus Auschwitz lernen, Zur Logik des Antifaschismus). Unter anderem findet sich die Aussage, Auschwitz sei „zum letzten Mythos einer durch und durch rationalisierten Welt geworden“. Angeblich werde die Erinnerung an die deutsche Schuld am Holocaust eingesetzt, um zu verhindern, dass Deutschland eigene Interessen formuliere und durchsetze. Stattdessen müssten die Deutschen ihre untilgbare Schuld sühnen und eliminiert werden, damit eine „homogene Menschheit“ verwirklicht werden könne. In Eine neue Staatsreligion entwirft Sieferle eine Art unmögliche Heilsgeschichte von der „unverzeihlichen Schuld […] Adam Hitlers“, die durch „keinen Jesus aufgehoben“ und „von keiner Gnade kompensiert“ werden könne. Sack und Asche erbeten! behandelt das Gedenken an den Holocaust anhand der skandalauslösenden Rede am 10. November 1988 im Deutschen Bundestag des damaligen Bundestagspräsidenten Philipp Jenninger zum 50. Jahresgedenken der Reichspogromnacht. In Zur Logik des Antifaschismus kritisiert Sieferle das Konzept der multikulturellen Gesellschaft als neue, zwiespältige Religion, die sowohl universalistisch im Sinne einer homogenen Menschheit als auch relativistisch im Sinne der Bewahrung „völkisch-kultureller Besonderheit“ sei. In der Folge müsse sich „das indigene Volk der Industrieländer“ von Immigration und Überfremdung in seiner Eigenheit bedroht sehen, zugleich werde jeder Widerspruch als rechtes Gedankengut diffamiert.

Der vierte Teil Fragmente enthält ebenfalls fünf Kapitel (Ernst Jünger als Erzieher, Topik der Zivilisationskritik, Genie, Die große Verschwendung, Pathodizee).

In seinem Nachwort sieht Raimund Kolb die Hauptbotschaft der Schrift darin, dass die Deutschen von „instabilen, verhaltensunsicheren und arm an Selbstbewusstsein agierenden ‚Herrschaftseliten‘ dominiert würden „mit einem vom tief-verwurzelten Sozialdemokratismus geprägten ‚kleinbürgerlich-amorphen Politikstil‘““.[13]

Einflüsse und Vergleiche[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Jacob S. Eder sieht Ähnlichkeiten der Argumentation Sieferles mit Positionen in Debatten der 90er Jahre. Besonders deutlich sei die Ähnlichkeit mit Martin Walsers Paulskirchenrede von 1998, in der er den „grausamen Erinnerungsdienst“ sowie die „Dauerpräsentation unserer Schande“ gegeißelt habe. Auch Rudolf Augstein habe das Berliner Holocaust-Mahnmal als „Schandmal“ betrachtet.[4]

Rezeption und Wirkungsgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wahl in die Liste „Sachbücher des Monats“[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Buch wurde auf Platz neun der zehn Sachbücher des Monats Juni 2017 aufgeführt, die vom NDR[15] und der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wird. Dies löste eine öffentliche Auseinandersetzung aus, da Kritiker dem Buch vorwerfen, es verbreite „rechtslastige Verschwörungstheorien“. Das Buch kam auf die Liste, weil der Spiegel-Redakteur Johannes Saltzwedel nach eigenen Angaben seine zwanzig Stimmpunkte auf dieses eine Buch kumuliert hatte.[16] Die Jury der „Sachbücher des Monats“ erklärte daraufhin, eine solche Kumulation sei künftig ausgeschlossen.[17] Saltzwedel trat nach öffentlicher Kritik aus der Jury zurück und rechtfertigte seine Empfehlung als „Votum gegen einen Zeitgeist, der die Preisgabe der europäischen und der deutschen Kultur zugunsten eines diffusen Weltbürgertums propagiert“.[18] Er rechtfertigte seine Empfehlung, Finis Germania sei ein „provokantes Buch“, „aphoristische Zuspitzung“, „dicht und wütend“.[19] Zuvor war bereits der Journalist Lothar Müller aus Protest gegen die Listung als Leseempfehlung aus dem Gremium ausgetreten.[20] Am 12. Juni 2017 beendete der NDR vorerst seine Zusammenarbeit mit der Jury.[21]

Im Juni und Juli 2017 war Finis Germania bei Amazon.de teilweise wochenlang auf Platz 1 der Buch-Bestseller.[22][23] Die Berliner Morgenpost veröffentlichte im August 2017 eine „Amazon-Bestseller-Liste“ für Sachbücher, bei der das Buch weiterhin auf Platz 1 rangiert.[24]

Im Juli 2017 wurde Finis Germania auf der Spiegel-Bestsellerliste für Sachbücher an sechster Stelle gelistet.[25][26] Kurz darauf wurde das Buch von der Redaktion zunächst ohne Angabe von Gründen von der Liste gestrichen.[27] Nach vermehrten Anfragen wegen dieses Vorgehens erklärte der Spiegel, man sehe sich in einer „besonderen Verantwortung“, dieses Buch, welches es ohne die Empfehlung ihres Redakteurs Johannes Saltzwedel nicht in die Liste geschafft hätte, zu entfernen. Eine Erklärung der Spiegel-Redaktion, warum die redaktionelle Änderung der Bestsellerliste zuvor nicht kenntlich gemacht worden war, erfolgte nicht.[28]

Unabhängig von der Frage, ob das Buch möglicherweise antisemitisch sei oder nicht, kritisierte Henryk M. Broder in der Welt die Manipulation der Spiegel-Bestsellerliste, die „als eine Art Goldstandard des Buchhandels“ gelte, als „Literaturkritik nach Gutsherrenart“.[29] Der Literaturkritiker Denis Scheck bezeichnete im SWR2-Kulturgespräch die Entscheidung der Spiegel-Chefredaktion als „journalistischen Skandal“ und forderte den Rücktritt des Chefredakteurs Klaus Brinkbäumer.[30]

Der Sprecher der Interessengruppe Meinungsfreiheit im Börsenverein des Deutschen Buchhandels Christoph Links bezeichnete Finis Germania als „schreckliches Buch“ und kritisiert gleichzeitig die „überzogene und nicht angemessene Reaktion des Spiegel[s]“.[31]

Inhaltliche Kontroversen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kritik an dem Buch hat insbesondere die folgende Passage ausgelöst: „Der Nationalsozialismus, genauer Auschwitz, ist zum letzten Mythos einer durch und durch rationalisierten Welt geworden. Ein Mythos ist eine Wahrheit, die jenseits der Diskussion steht“ (vgl. S. 63). Hierzu meinte Jan Grossarth am 12. Juni 2017 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, die Verbindung von Auschwitz und Mythos weise eine Nähe zur strafbaren Auschwitz-Lüge auf.[32]

Der Literaturkritiker und Historiker Gustav Seibt bezeichnete Finis Germania am 16. Juni 2017 als eine „Ansammlung von Glossen und Polemiken“, die geprägt sind von Sieferles Verlust der „Differenzierungsfähigkeit“ in der letzten Lebensphase und einem „uralten antisemitischen Topos von der jüdischen Rache oder der jüdischen Rachsucht und Gnadenlosigkeit“. Seibt kritisiert darüber hinaus, dass Sieferle „keinen Gegenvorschlag zur Vergangenheitsbewältigung“ präsentiere. Stattdessen sei die Diskussion um das umstrittene Buch ein „Triumph für die Verleger“, welche Feinde der Verfassung und der Demokratie seien. Seibt fordert deswegen eine ruhige Analyse und Beschreibung Sieferles, um sich nicht auf „dieses Spiel“ einzulassen, bei dem „diese Gruppe um Götz Kubitschek in Schnellroda“ durch Beschimpfung gewinnen würde.[33]

Der Politikwissenschaftler und Mitjuror Herfried Münkler bezeichnete Finis Germania am 16. Juni 2021 ebenfalls als ein „zutiefst von antisemitischen Vorstellungen“ getränktes Werk.[34]

Die stellvertretende Chefredakteurin des Spiegel, Susanne Beyer, bezeichnete das Werk am 17. Juni 2017 als „rechtsradikal, antisemitisch, geschichtsrevisionistisch“.[35]

Gegen bisherige Interpretationen, namentlich die Münklers, wandte sich am 26. Juni 2017 der Literaturwissenschaftler Rüdiger Safranski in Deutschlandfunk Kultur: Diese sei auf eine „schlampige“ und „fahrlässige“ Lektüre zurückzuführen. Eine rechtsextreme Position, die Auschwitz leugne, sei nicht erkennbar. Safranski äußerte ferner, es handele sich um eine „fahrlässige und hysterische“ Debatte, die aufgrund ihrer Skandalisierung selbst einen „Skandal“ darstelle.[36] Die Auffassung Safranskis wurde von Adam Soboczynski in der Zeit vom 29. Juni 2017 kritisiert, da seiner Meinung nach „Safranski das Werk zu einer harmlosen, geschichtsdialektisch interessanten Völkerschau umdeutet“.[37]

Für den Historiker Volker Weiß bedient Sieferle „den Jargon klassischer Antisemiten“. Es handle sich bei dem Buch um eine Verfremdung der „Kampfschrift“ Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum von 1879 des Antisemiten Wilhelm Marr. Weiß nannte Sieferles Publikation am 6. Juli 2021 ein „ebenso haarsträubendes wie zynisches Traktat gegen die Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit“.[38]

Der Journalist Christopher Caldwell hingegen urteilte am 19. Juli 2021 in der New York Times, dass Sieferle den Holocaust weder leugne noch bagatellisiere. Caldwell deutete die Popularität des Buchs als Zeichen eines Misstrauens des Publikums gegenüber dem deutschen Literaturestablishment.[39]

Der Rechtsextremismusforscher Armin Pfahl-Traughber stufte Finis Germania am 21. Juli 2017 als „antidemokratisches und rechtsextremistisches Buch“ ein. Er machte einen „relativierenden Geschichtsrevisionismus“ aus.[40]

Der Fachjournalist für Rechtsextremismus, Andreas Speit, beurteilte Finis Germania am 27. Juli 2017 als „rechtsradikal“.[41]

Das Magazin Vice meinte am 31. Juli 2017: „Dieses Buch zu lesen, heißt sich zu quälen. Die Lektüre fühlt sich an, wie Alexander Gaulands Sakko aussieht: großonkelig, elitär und kleinkariert.“ Sieferle halte den Holocaust für eine Bürde, die es loszuwerden gelte, damit Deutschland wieder „groß“ werden könne. Dabei leugne er aber nicht, dass die Nationalsozialisten sechs Millionen Juden ermordet haben; vielmehr mache er sich „mit abgespreiztem kleinem Finger“ über den Holocaust lustig:[42]

„Worin kann die Lehre aus Auschwitz eigentlich bestehen? Dass der Mensch, wenn er die Gelegenheit dazu findet, zum Äußersten fähig ist? … Oder dass in der technischen Moderne moderne Technik zum Massenmord eingesetzt wird? … Oder ist es die schiere Zahl der Opfer, die ominösen sechs Millionen? Also etwas für das Guiness-Buch [sic!] der Rekorde? Aber Vorsicht, Rekorde sind dazu da, gebrochen zu werden!“

Nicht was gesagt werde, sei also neu, urteilte Vice, sondern wie es gesagt werde. „Sieferle nutzt eine wissenschaftlich-anmutende Sprache für sein unwissenschaftliches Gedresche vom ›Mythos Vergangenheitsbewältigung‹. Das macht Bücher wie Finis Germania so gefährlich – und für viele so faszinierend.“[42]

Dirk Pilz, Literaturwissenschaftler, verwarf das Buch am 1. August 2017 – trotz seiner Kritik am Spiegel – als „antisemitische, reaktionäre, demokratiefeindliche Hetzschrift“.[43]

Timothy Garton Ash kommentierte am 7. Dezember 2017 für The New York Review, dass der Spiegel Sieferles Buch einfach von seiner Bestseller-Liste verschwinden ließ, sei das extreme Beispiel eines im zeitgenössischen Deutschland verbreiteten Vorgehens.

Wer einen bestimmten Punkt überschreitet, der als rechts oder antisemitisch angesehen werden könnte, wird aus der respektablen Gesellschaft ausgeschlossen und mit einem leuchtend roten – oder eher braunen – Buchstaben gebrandmarkt.

Sieferles Finis Germania ist für Ash das „späte, unbedeutende Werk eines traurigen, verwirrten und doch unbestreitbar großen Geistes.“ Die Tabuisierung Sieferles durch Tilgung aus der Bestsellerliste sei beklagenswert und unzulänglich. „Sieferle mit einem Tabu zu belegen, bestätigte tatsächlich seine Behauptung, dass es dieses Tabu gibt, also etwas, das außerhalb des rationalen Diskurses gestellt wird.“[44][45]

Der Publizist Roger de Weck bezeichnete 2020 das Werk als „wirr“ und antisemitisch und bezog sich dabei auf Buchpassagen wie die, dass die „Juden […] heute ihren ermordeten Volksgenossen in aller Welt Gedenkstätten“ bauten, „in denen nicht nur den Opfern die Kraft moralischer Überlegenheit, sondern auch den Tätern […] die Kraft ewiger Verworfenheit zugeschrieben wird“. De Weck kritisierte, dass Sieferle „beschwichtigende Bewunderer in bürgerlichen Kreisen“ gefunden habe.[46]

Der australische Genozid-Forscher Anthony Dirk Moses vertrat am 23. Mai 2021 in seiner Publikation Katechismus der Deutschen in Geschichte der Gegenwart Thesen, die an Sieferles Essay erinnerten. Moses’ Hauptthese, die Deutschen würden „im Philosemitismus die gleiche Erlösung suchen wie im Antisemitismus“ und andere Ähnlichkeiten der Darstellung wurde am 20. Juni 2021 von Volker Weiß zurückgewiesen. Weitere Thesen des Katechismus sind der Singularitätsglaube der Deutschen bezüglich des Holocausts, in Deutschland „halte man Antisemitismus für ein spezifisch deutsches Phänomen,“ darüber hinaus sei das Gedenken des Holocausts „das moralische Fundament der deutschen Nation, oft gar der Europäischen Zivilisation“. Moses moniert die fehlende Unterscheidung von Antisemitismus und Antizionismus, die Weiß teilweise bestätigt. Außerdem kritisiert Moses die Auffassung, Deutschland sei Israel zu besonderer Loyalität verpflichtet.[47][48]

Ausgaben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Rolf Peter Sieferle: Finis Germania (= Kaplaken. Bd. 50), Verlag Antaios, Schnellroda 2017, ISBN 978-3-944422-50-3.
  • Rolf Peter Sieferle: Finis Germania, Manuscriptum Verlagsbuchhandlung Thomas Hoof e.K. (Landtverlag), Lüdinghausen 2019, ISBN 978-3-944872-90-2.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Finis Germania. In: buchreport. Abgerufen am 28. Juli 2017.
  2. a b Mariam Lau: Eigentlich alles wie im Wendland. In: Die Zeit, 3. August 2017, Nr. 32, S. 38.
  3. Mariam Lau: Götz Kubitschek: Eigentlich alles wie im Wendland. In: Die Zeit. 5. August 2017, abgerufen am 20. Juni 2021.
  4. a b c Jacob S. Eder: Rechte Mythen im Buch „Finis Germania“: Zurück in die Diskursvergangenheit. In: Die Tageszeitung: taz. 7. September 2017, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 23. Juni 2021]).
  5. Christopher Caldwell: Germanys Newest Intellectual Antihero. In: New York Times, 8. Juli 2017, abgerufen am 19. Juli 2017.
  6. Bestsellerliste ohne „Finis Germania“. Abgerufen am 20. Juni 2021.
  7. Wilhelm Marr 1819-1904, Schriftsteller, Publizist. In: Lebendiges Museum Online. Abgerufen am 20. Juli 2023: „1879 Seine Schrift "Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum. Vom nicht-confessionellen Standpunkt aus betrachtet" erscheint. … Die letzten Worte lauten "Finis Germaniae!" (Das Ende Germaniens)“
  8. Volker Weiß: Furor Teutonicus. In: juedische-allgemeine.de. 4. Juli 2017, abgerufen am 20. Juni 2021.
  9. Hannes Hintermeier: Kommentar zu Sieferle: Radikales Votum. In: FAZ.NET. ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 23. Juni 2021]).
  10. Rolf Peter Sieferle: "Finis Germania" - Intellektueller Anstrich für ideologische Extremisten. Abgerufen am 23. Juni 2021 (deutsch).
  11. SZ-Literaturkritiker Gustav Seibt über "Finis Germania" - "Ein erschreckender Absturz". Abgerufen am 23. Juni 2021 (deutsch).
  12. Rolf Peter Sieferle und sein "Finis Germania" - Eine "fahrlässige und hysterische" Debatte. Abgerufen am 23. Juni 2021 (deutsch).
  13. a b c Finis Germania, S. 100ff
  14. a b René Aguigah: Rolf Peter Sieferle: „Finis Germania“. Intellektueller Anstrich für ideologische Extremisten. In: Deutschlandfunk Kultur. 17. Juni 2017
  15. Andreas Wang: Sachbücher des Monats Juni 2017. In: NDR.de, 12. Juni 2017, abgerufen am 4. Juli 2017.
  16. Jan Grossarth: Wer gab die rechtsextreme Leseempfehlung? In: FAZ, 12. Juni 2017, abgerufen am 4. Juli 2017; Lothar Müller: Empfehlung nach Punkten. Auf Platz neun der Liste mit Sachbuch-Empfehlungen von NDR und SZ steht das Buch eines rechtsradikalen Verlags, das Pamphlet „Finis Germania“ des 2016 verstorbenen Historikers Rolf Peter Sieferle. Warum? In: Süddeutsche.de, 11. Juni 2017, abgerufen am 4. Juli 2017.
  17. Andreas Wang: Stellungnahme der Jury. In: Heise online, 12. Juni 2017, abgerufen am 4. Juli 2017.
  18. Florian Rötzer: Rezension. In: heise.de. 12. Juni 2017, abgerufen am 4. Juli 2017.
  19. Der deutsche Buchtippskandal. In: Basler Zeitung. ISSN 1420-3006 (bazonline.ch [abgerufen am 20. Juni 2021]).
  20. Streit um NDR-Bestenliste – Rechtsruck im Feuilleton? In: Deutschlandfunk Kultur. (deutschlandfunkkultur.de [abgerufen am 26. Juli 2017]).
  21. NDR Kultur setzt Zusammenarbeit mit Jury „Sachbücher des Monats“ aus. In: NDR.de, 12. Juni 2017, abgerufen am 4. Juli 2017.
  22. Thomas Moßburger: Bestseller-Platz 1 bei Amazon: Rechtradikales Buch sorgt für Mega-Wirbel. In: Chip.de, 13. Juni 2017, abgerufen am 4. Juli 2017.
  23. Bestsellerliste ohne „Finis Germania“. (tagesspiegel.de [abgerufen am 28. Juli 2017]).
  24. Top 10 Sachbuch aus der Amazon-Bestseller-Liste. In: Berliner Morgenpost, 1. August 2017, Nr. 207, S. 16.
  25. Bestseller: Sachbuch. In: Der Spiegel, 15. Juli 2017, S. 124.
  26. Gerrit Bartels: Von rechts nach oben. Rolf Peter Sieferles völkisch raunendes Machwerk „Finis Germania“ steht nun auch in den Top Ten der „Spiegel“-Bestsellerliste. In: Der Tagesspiegel. 16. Juli 2017, ISSN 1865-2263 (tagesspiegel.de [abgerufen am 18. Juli 2017]).
  27. Amazon-Spiegel-Bestseller: Wie Finis Germania mal verschwand. In: Welt Online. Abgerufen am 26. Juli 2017.
  28. Susanne Beyer: In eigener Sache: „Finis Germania“ und die SPIEGEL-Bestsellerliste. In: Spiegel Online. 25. Juli 2017, abgerufen am 26. Juli 2017.
  29. Der „Spiegel“ und Finis Germania: Literaturkritik nach Gutsherrenart. In: Welt Online. Abgerufen am 26. Juli 2017.
  30. Denis Scheck fordert Rücktritt des Spiegel-Chefredakteurs – Kultur Info – SWR2. In: swr.online. (swr.de [abgerufen am 28. Juli 2017]).
  31. Markus Decker: Finis Germania: Warum das umstrittene Buch von der Spiegel-Bestsellerliste geflogen ist. In: Kölner Stadt-Anzeiger. (ksta.de [abgerufen am 28. Juli 2017]).
  32. Jan Grossarth: Buch-Empfehlung für NDR und SZ: Redakteur des „Spiegel“ gab rechtsextreme Leseempfehlung. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. 12. Juni 2017, ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 31. Juli 2017]).
  33. Nicole Dittmer und Julius Stucke (Moderation): SZ-Literaturkritiker Gustav Seibt über „Finis Germania“: „Ein erschreckender Absturz“, Deutschlandfunk Kultur, 12. Juni 2017, abgerufen am 12. Juli 2017.
  34. Vgl. Herfried Münkler im Gespräch mit Joachim Scholl: Herfried Münkler zur „Finis Germania“-Debatte: „Ein miserables Buch“, Lesart (Deutschlandfunk Kultur), 16. Juni 2017, abgerufen am 12. Juli 2017.
  35. Susanne Beyer: Menschenwerk: Zur Meinungsfreiheit im SPIEGEL. In: Der Spiegel, 17. Juni 2017, S. 126.
  36. Rolf Peter Sieferle und sein „Finis Germania“ – Eine „fahrlässige und hysterische“ Debatte. In: Deutschlandfunk Kultur. (deutschlandfunkkultur.de [abgerufen am 26. Juli 2017]).
  37. Adam Soboczynski: „Finis Germania“: Völkische Nachtgedanken. In: Die Zeit. 29. Juni 2017, ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 26. Juli 2017]).
  38. Volker Weiß: Furor Teutonicus. In: Jüdische Allgemeine, Nr. 27, 6. Juli 2017, S. 17.
  39. Christopher Caldwell: Germanys Newest Intellectual Antihero. In: New York Times, 8. Juli 2017, abgerufen am 19. Juli 2017.
  40. Armin Pfahl-Traughber: Auf der Sachbuch-Bestenliste, Blick nach Rechts, 21. Juli 2017.
  41. Andreas Speit: „Finis Germania“. In: Die Tageszeitung, 27. Juli 2017, S. 15.
  42. a b Niclas Seydack: Wir haben das Skandalbuch 'Finis Germania' gelesen, damit ihr es nicht müsst. In: Vice. 31. Juli 2017, abgerufen am 28. Juni 2021.
  43. Dirk Pilz: Wer’s glaubt. In: Berliner Zeitung, 1. August 2017, S. 21.
  44. Timothy Garton Ash: It’s the Kultur, Stupid | by Timothy Garton Ash | The New York Review of Books. ISSN 0028-7504 (nybooks.com [abgerufen am 20. Juni 2021]).
  45. Magazinrundschau vom 21.11.2017 | GQ über Putins Kampf gegen William Browder und den Magnitzky Act. Abgerufen am 20. Juni 2021.
  46. Roger de Weck: Die Kraft der Demokratie. Eine Antwort auf die autoritären Reaktionäre. Suhrkamp, Berlin 2020, S. 130
  47. A. Dirk Moses: Der Katechismus der Deutschen – Geschichte der Gegenwart. Abgerufen am 20. Juni 2021 (deutsch).
  48. Till Schmidt: Debatte um Erinnerungskultur: „Eine sehr eigenwillige Deutung“. In: Die Tageszeitung: taz. 9. Juni 2021, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 20. Juni 2021]).