Tarcisio Bertone

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 27. Juli 2016 um 17:41 Uhr durch Nixus Minimax (Diskussion | Beiträge) (→‎Kritik). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Kardinal Tarcisio Bertone 2010
Wappen des Kardinalkämmerers Tarcisio Bertone während der Sedisvakanz 2013

Tarcisio Pietro Evasio Kardinal Bertone SDB (* 2. Dezember 1934 in Romano Canavese, Provinz Turin, Italien) ist ein römisch-katholischer Geistlicher. Er war vom 15. September 2006 bis zum 15. Oktober 2013 Kardinalstaatssekretär. Als Camerlengo (Kardinalkämmerer) der Vatikanstadt leitete er die Übergangsregierung während der Sedisvakanz 2013 der römisch-katholischen Kirche.

Leben

Studium und Ordenseintritt

Tarcisio Bertone wuchs in dem kleinen Dorf Romano Canavese in der Region Piemont als fünfter von acht Söhnen auf. Nach der Schulzeit trat er im Jahre 1950 in die Ordensgemeinschaft der Salesianer Don Boscos ein. Er studierte in Turin und Rom die Fächer Philosophie und Römisch-Katholische Theologie. Später erwarb er das Lizentiat im Fach Theologie mit einer Arbeit über Toleranz und religiöse Freiheit und wurde im Kanonischem Recht mit der Arbeit Die Leitung der Kirche im Denken von Benedikt XIV. – Papst Lambertini (1740–1758)[1] zum Dr. jur. can. promoviert.

Priester, Bischof und Erzbischof

Bertone empfing 1960 das Sakrament der Priesterweihe durch Erzbischof Albino Mensa und arbeitete anschließend sieben Jahre lang als Professor für Moraltheologie an der Hochschule der Salesianer in Rom. Dort lehrte er von 1976 bis 1991 Kanonisches Recht und nahm Leitungsaufgaben in der Fakultät wahr. Er hielt Gastvorlesungen an der Lateranuniversität und wirkte als Seelsorger in mehreren römischen Pfarreien. 1991 ernannte ihn Papst Johannes Paul II. zum Erzbischof der Erzdiözese Vercelli, der er bis 1995 vorstand. Die Bischofsweihe spendete ihm am 1. August 1991 sein Vorgänger im Amt, Erzbischof Albino Mensa. Mitkonsekratoren waren der Bischof von Ivrea, Luigi Bettazzi, sowie der Bischof von Casale Monferrato, Carlo Cavalla.

Von 1995 bis 2002 war Tarcisio Bertone Sekretär der Glaubenskongregation. In dieser Zeit übernahm er in Joseph Kardinal Ratzingers Auftrag Missionen, wie zum Beispiel den Fall Emmanuel Milingo, der zunächst in der Wiedereingliederung des Erzbischofes in die katholische Kirche endete, sowie auch die Enthüllung des dritten Geheimnisses von Fatima. Er prangerte Dan Browns Bestseller Sakrileg öffentlich an und forderte die Gläubigen auf, es nicht zu lesen.

Kardinal und Kardinalstaatssekretär

Kardinal Bertone in Polen (Juni 2007)
Kardinalswappen (links) an der Kathedrale San Pietro in Frascati

2002 ernannte Papst Johannes Paul II. Tarcisio Bertone zum Erzbischof von Genua. Dem Kardinalskollegium gehört er seit dem 21. Oktober 2003 als Kardinalpriester mit der pro hac vice zur Titelkirche erhobenen Titeldiakonie Santa Maria Ausiliatrice in via Tuscolana an.[2] Am 15. September 2006 wurde er Nachfolger von Angelo Sodano im Amt des Kardinalstaatssekretärs. Bertone galt um die Zeit des Konklave 2005 als volksnah, aufgeschlossen und papabile.[3] Am 4. April 2007 wurde er Nachfolger von Eduardo Martínez Somalo im Amt des Camerlengo. Die Vereidigung als Kardinalkämmerer erfolgte am 7. Juli desselben Jahres. Am 10. Mai 2008 ernannte ihn Papst Benedikt XVI. zum Kardinalbischof von Frascati. Tarcisio Bertone wurde am 15. April 2009 im Rang eine Kollarritters in den Ritterorden vom Heiligen Grab zu Jerusalem aufgenommen.[4]

Bertones kirchenrechtlich bedingtem Rücktrittsgesuch zum 75. Geburtstag wurde von Papst Benedikt XVI. nicht stattgegeben. Am 15. Januar 2010 wurde er in seinem Amt bestätigt.[5]

Zahlreiche Dokumente belegen, dass Bertone ab 1996 mit dem Fall Lawrence C. Murphy befasst war. Dieser Fall erregte 2010 weltweites Aufsehen, als zunehmend Fälle von sexuellem Missbrauch in der Kirche bekannt wurden. Der Fall Murphy ist für die Kirche unter anderem deshalb so brisant, weil amerikanische Opferanwälte in den USA gerichtlich die Freigabe der Akten aus dem Archiv des Erzbistums Milwaukee erzwungen hatten und Dokumente daraus veröffentlichten.[6] Die Wochenzeitung Die Zeit dokumentierte die Verstrickung von Bertone und veröffentlichte Ostern 2010 ein Geheimdokument.[7][8] Dies fand weltweite Beachtung; der Vatikan tat kund, er sei darüber „verstimmt“.[9]

Kardinal Bertone nahm am Konklave 2013 teil und führte nach dem Rücktritt Benedikts XVI. als Camerlengo die Amtsgeschäfte. Vor dem Konklave galt der einflussreiche Bertone als papabile.[10]

Nach der Wahl von Papst Franziskus wurde Bertone von diesem am 16. März 2013 vorläufig wieder in das Amt des Kardinalstaatssekretärs eingesetzt. Am 31. August 2013 nahm Papst Franziskus Bertones Rücktrittsgesuch an. Er übte das Amt des Kardinalstaatssekretärs bis zum 15. Oktober 2013 aus.[11] Nachfolger wurde Pietro Parolin.[12] Nach seiner Abberufung durch den Papst sagte er, er sei Opfer von „Maulwürfen und Schlangen“ im Vatikan geworden.[13] Anfang Dezember 2014 schied Bertone aus seinen noch verbliebenen Ämtern aus, so etwa aus der Aufsicht über die Vatikanbank.[14]

Bertone spricht fließend Italienisch, Deutsch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch und ein wenig Englisch und kann Polnisch, Lateinisch, Altgriechisch und Hebräisch lesen.[15]

Positionen

Verteidigung von Pius XII.

Bertone verteidigte am 5. Juni 2007 bei der Veröffentlichung einer neuen Biografie Papst Pius’ XII. diesen vor Vorwürfen der Gleichgültigkeit angesichts des Schicksales der Juden im „Dritten Reich“. So sei es eine Leyenda negra, die sich so etabliert habe, dass selbst eine kleine Korrektur zu einer anstrengenden Aufgabe werde.[16] Papst Pius XII. sei falsch dargestellt worden, was schon häufig festgestellt worden sei. Das Pontifikat werde allein auf den Streit über das Stillschweigen zum Holocaust reduziert. Es werde völlig vernachlässigt, dass der Papst Tausenden Juden zur Flucht geholfen habe und im Falle eines aggressiveren Tones vermutlich ein beschleunigter Genozid stattgefunden hätte.

Papstzitat von Regensburg

Im Streit um das Zitat der Papstrede in Regensburg hat Bertone klargestellt, dass Papst Benedikt XVI. sich klar von dem Zitat distanziert.

Vorschlag zur Exkommunikation von Drogendealern

Am 14. Januar 2009 meinte Bertone, dass die Kirche in Zukunft härter gegen die Drogenkartelle in Lateinamerika vorgehen würde und auch zu Strafen wie der Exkommunikation greifen könnte.

Freier Zugang zu AIDS-Medikamenten

Mit der pressemäßigen Erwähnung „Lasst uns schnellen und effektiven Zugang zu AIDS-Medikamenten zur Verfügung stellen“, meint Bertone gegenüber dem Catholic News Service[17] den notwendigen Zugang zu AIDS-Medikamenten zu ermöglichen.

Mitgliedschaften in der römischen Kurie

Tarcisio Bertone ist Mitglied der folgenden Kongregationen der Kurie:

Auszeichnungen und Ehrungen

Kritik

Im Zusammenhang mit der Aufklärung zahlreicher Fälle von Kindesmissbrauch behauptete Bertone, Pädophilie und Homosexualität stünden miteinander in einem Zusammenhang. Diese Äußerung wurde weltweit – zum Teil scharf – kritisiert. Der deutsche LSVD bezeichnete dies als „Ablenkungsmanöver“ von der Schuld der Kirche, mit dem der Vatikan einen Sündenbock für die jahrzehntelange Vertuschung des sexuellen Missbrauchs suche. Der französische Außenamtssprecher Bernard Valero kommentierte, es sei „nicht hinnehmbar“, einen Zusammenhang zwischen gleichgeschlechtlicher Liebe und Kindesmissbrauch herzustellen.[20]

Im Zusammenhang mit der „Vatileaks“-Affäre um die Veröffentlichung vertraulicher päpstlicher Dokumente geriet Bertone wegen seines mangelhaften Krisenmanagements in die Kritik. Presseberichten zufolge wurde er innerhalb des Vatikans offen als „unfähig“ kritisiert.[21][22][23]

Für neuerliche Schlagzeilen sorgte Bertone im April 2014, als bekannt wurde, dass er seinen Ruhesitz in einer eigens für ihn im Umbau befindlichen 600-m²-Wohnung im Vatikan nehmen wird, die zudem noch über eine 100 Quadratmeter große Dachterrasse verfügt.[24][25][26] Die Gemächer Bertones sind demnach um ein Mehrfaches größer als die des im Apostolischen Gästehaus wohnenden Papstes.[27] Allerdings sollen darin laut anderen Angaben nicht nur der Kardinal, sondern auch die drei Ordensfrauen wohnen, die ihm schon bisher den Haushalt führten.[28]

Werke (Auswahl)

  • Vita cristiana secondo giustizia: trattato di teologia morale. Appunti di studio, Roma, Pontificio Ateneo Salesiano 1968.
  • mit G. Leclerc, G. C. Milanesi, V. Polizzi, E. Quarello, Discussione sull'aborto, Quaderni di «Salesianum» 1, Roma, LAS 1975.
  • II governo della Chiesa nel pensiero di Benedetto XIV (1740-1758) (= Biblioteca di Scienze Religiose, Band 21), Roma, LAS 1977.
  • Il rapporto giuridico tra Chiesa e Comunità politica, in: Gruppo Italiano Docenti di Diritto Canonico (Hrsg.), Il Diritto nel mistero della Chiesa, Band 4: Diritto Patrimoniale - Tutela della comunione e diritti - Chiesa e Comunità politica, «Quaderni di Apollinanis» 4, Roma, Libreria Editrice della Pontificia Università Lateranense 1980, S. 295-430 und 448-492.
  • (Hrsg.) mit A. SEVERGNINI, La famiglia e i suoi diritti nella comunità civile e religiosa. Atti del VI Colloquio Giuridico, (Roma, 24-26 aprile 1986), Roma, Libreria Editrice Vaticana - Libreria Editrice Lateranense 1987.
  • (Hrsg.), Codice di diritto canonico. Testo ufficiale e versione italiana sotto il patrocinio della Pontificia Università Lateranense e della Pontificia Università Salesiana, Roma, Unione Editori Cattolici Italiani 1983, 2. durchgesehene und korrigierte Auflage, 1984, 3. Durchgesehene korrigierte und erweiterte Auflage 1997.

Literatur

Weblinks

Commons: Tarcisio Bertone – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Die rechte Hand des Papstes. In: VATICAN magazin. Nr. 4, 2007, ISSN 1865-1577.
  2. Angelus. Der Heilige Stuhl, 28. September 2003
  3. Vertrauter Ratzingers und Fußballfan. In: Zeit online, 15. April 2005
  4. Vatikan: Bertone wird Ritter. Radio Vatikan, 16. April 2009
  5. Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone bleibt im Amt. Radio Vatikan, 22. Januar 2010
  6. Patrik Schwarz, Martin Klingst: Dokumente des Vertuschens. In: Zeit online, 2. April 2010
  7. Martin Klingst, Patrik Schwarz: Die Akte Bertone. In: Die Zeit, 30. März 2010
  8. Patrik Schwarz, Martin Klingst: Sexueller Missbrauch: Geheimprotokoll belastet wichtigsten Mitarbeiter des Papstes. In: Zeit online, 5. April 2010
  9. Patrik Schwarz: Missbrauchsskandal: Die Kirche teilt aus. In: Zeit online, 7. April 2010
  10. Hans-Jürgen Schlamp: Tarcisio Bertone: Der Zwischenpapst. In: Spiegel Online. 4. März 2013, abgerufen am 31. August 2013.
  11. Pietro Parolin zum neuen Staatssekretär ernannt. Radio Vatikan, abgerufen am 31. August 2013.
  12. Rinuncia del Segretario di Stato e Nomina del nuovo Segretario di Stato. Presseamt des Heiligen Stuhls, Tägliches Bulletin vom 31. August 2013 (italienisch)
  13. zitiert nach Süddeutsche Zeitung vom 22. April 2014: Luxuswohnung für Kardinal Bertone (afp-Meldung)
  14. Papst verabschiedet umstrittenen Kurienkardinal Bertone, Seite auf orf.at, abgerufen am 4. Dezember 2014.
  15. Cardinal Bertone Prefers Activity to Study. zenit.org, 15. Dezember 2006, abgerufen am 18. März 2013 (englisch).
  16. Verteidigung von Pius XII.
  17. Freier und effektiver Zugang zu AIDS Medikamenten catholicnews.com
  18. Nomina di Membri e conferme nella Congregazione per il Clero. In: Bolletino. Sala Stampa della Santa Sede, 9. Juni 2014, abgerufen am 11. Juni 2014 (italienisch).
  19. Kardinalskommission für IOR erneuert. Radio Vatikan, 16. Februar 2013
  20. Pädophilie Kardinal Bertone erzürnt Homosexuelle. Weltweit haben Schwulenverbände gegen Äußerungen des Papst-Vertrauten protestiert. In: Zeit online, 2010
  21. Jörg Bremer: Komm, sag es allen weiter. FAZ.net, 5. März 2012; abgerufen am 22. Februar 2013.
  22. Gerhard Mumelter: Vatikan: Staatssekretär unter Druck. derstandard.at vom 31. Januar 2012, abgerufen am 22. Februar 2013
  23. Stefan Troendle: Der Rücktritt – eine Premiere mit vielen Fragezeichen. tagesschau.de vom 12. Februar 2013, abgerufen am 22. Februar 2013
  24. Marco Ansaldo: L'ira di Francesco per il mega-attico del cardinale Bertone, in: La Republica, 20. April 2014; abgerufen am 21. April 2014
  25. Tarcisio Bertone: Kardinal bezieht Luxuswohnung im Vatikan. FAZ online 21. April 2014
  26. Tarcisio Bertone: Kardinal baut „Goldenes Penthouse“ im Vatikan. Die Welt online, 21. April 2014
  27. Süddeutsche Zeitung vom 22. April 2014: Luxuswohnung für Kardinal Bertone (afp-Meldung)
  28. Papst verärgert: Entmachteter Kardinal Bertone bezieht Luxuswohnung, Tagesspiegel vom 21. April 2014
VorgängerAmtNachfolger
Alfonso Kardinal López TrujilloKardinalbischof von Frascati
seit 2008
Eduardo Kardinal Martínez SomaloKardinalkämmerer
2007–2014
Jean-Louis Kardinal Tauran
Angelo Kardinal SodanoKardinalstaatssekretär
2006–2013
Pietro Kardinal Parolin
Dionigi Kardinal TettamanziErzbischof von Genua
2002–2006
Angelo Kardinal Bagnasco
Alberto BovoneSekretär der Glaubenskongregation
1995–2002
Angelo Amato SDB
Albino MensaErzbischof von Vercelli
1991–1995
Enrico Masseroni
Roberto GiannatelliRektor der Päpstlichen Universität der Salesianer (UPS)
1989–1991
Angelo Amato nur einige Monate
Raffaele Farina