Brienz/Brinzauls

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Brienz/Brinzauls
Wappen von Brienz/Brinzauls
Wappen von Brienz/Brinzauls
Staat: Schweiz Schweiz
Kanton: Kanton Graubünden Graubünden (GR)
Region: Albula
Politische Gemeinde: Albula/Alvrai2
Postleitzahl: 7084
frühere BFS-Nr.: 3512
Koordinaten: 764997 / 170908Koordinaten: 46° 40′ 8″ N, 9° 35′ 42″ O; CH1903: 764997 / 170908
Höhe: 1144 m ü. M.
Fläche: 13,37 km²
Einwohner: 124 (31. Dezember 2014)
Einwohnerdichte: 9 Einw. pro km²
Website: www.albula-alvra.ch
Brienz/Brinzauls, Ansicht von Westen
Brienz/Brinzauls, Ansicht von Westen

Brienz/Brinzauls, Ansicht von Westen

Karte
Brienz/Brinzauls (Schweiz)
Brienz/Brinzauls (Schweiz)
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Brienz anhören/? (deutsch Brienz, rätoromanisch Brinzauls/?) ist ein Dorf in der Gemeinde Albula/Alvra im Schweizer Kanton Graubünden. Bis zum 31. Dezember 2014 war Brienz/Brinzauls eine selbständige politische Gemeinde. Am 1. Januar 2015 fusionierte sie mit den damaligen Gemeinden Alvaneu, Alvaschein, Mon, Stierva, Surava und Tiefencastel zur neuen Gemeinde Albula/Alvra.

Geographie

Historisches Luftbild von Werner Friedli von 1954
Gemeindestand vor der Fusion am 1. Januar 2015

Die ehemalige Gemeinde Brienz/Brinzauls besteht aus dem Dorf Brienz/Brinzauls und dem Weiler Vazerol. Sie liegt auf einer Sonnenterrasse des Albulatales, am Fusse des Piz Linard (2768 m ü. M.). Das ehemalige Gemeindegebiet erstreckt sich vom Talboden der Albula bis zum Lenzer Horn (2906 m ü. M.) als höchstem Punkt. Auf dem ehemaligen Gemeindegebiet von Brienz/Brinzauls befindet sich auch die Burgruine Belfort.

Das Dorf Brienz/Brinzauls (1144 m ü. M.) liegt an der Kantonsstrasse zwischen Lenzerheide/Lai-Lantsch/Lenz und Davos. Ab 1874 verkehrte die Pferdepost von Davos nach Lantsch/Lenz. Im Sommer 1964 wurde das Postauto zwischen Lenzerheide und Wiesen-Station eingesetzt. So wurde das Dorf direkt mit der Post bedient, die bis zu diesem Zeitpunkt durch den Briefträger in Vazerol abgeholt werden musste.

Im Gegensatz zum Dorf Brienz/Brienzauls liegt die Fraktion Vazerol (1125 m ü. M.) an der Julierstrasse (Chur-Lenzerheide-Lantsch/Lenz-Tiefencastel-Julierpass-Silvaplana). Schon früh führte die damalige Septimerstrasse, die «Obere Strasse», durch Vazerol.

«Rutsch»

Kugelpanorama vom Rutschgebiet über Brinzauls
Als Kugelpanorama anzeigen

Das Dorf Brienz/Brinzauls, jedoch nicht Vazerol, liegt auf dem «Rutsch», einem alten Erdrutschgebiet, das sich bis heute nicht beruhigt hat. Messungen ergaben 2019, dass das Dorf einen Meter pro Jahr abrutscht. Nicht mehr ausgeschlossen werden Evakuierungen.[1][2]

Die Südseite des Piz Linard war und ist zum Teil noch heute von etwa 2500 m ü. M. an bis zur Talsohle in Bewegung. Unter dem oberflächlichen Dolomit liegt Schiefer, der dem lastenden Druck nicht standhält und unterhalb Brienz langsam hervorquillt, wobei seine tiefsten Partien ständig von der Albula abgenagt werden und so den Halt verlieren. Die Bewegung kann man gut an den Strassen abgrenzen, da sie dort, wo sie vom festen in den bewegten Schiefer übergehen, Knickungen erleiden. Die Unruhe des Bodens zeigt sich an der Kantonsstrasse Lantsch/Lenz-Davos, an den Strassen Vazerol-Brienz und Tiefencastel-Surava sowie am schiefen Kirchturm.

Von den verschiedenen Absackungen oberhalb von Brienz ist der Bergrutsch zu erwähnen, der den Schuttstrom östlich des Dorfes bildet. Die Abrissstelle liegt auf ca. 1690 m ü. M. unter den Maiensässen von Propissi. Durch das heutige Rutschgebiet führte eine Strasse vom Dorf zu den Maiensässen. Ausgelöst wurde der Rutsch vermutlich durch die Abholzungen, die nach dem Brand von Brienz 1874 erforderlich wurden. Die Bewegung begann im November 1878 nach einer längeren Regenperiode und war am aktivsten im Winter 1878/1879 und von 1902 bis 1907; damals drang der Schuttstrom täglich etwa ein Meter vor. Durch den Bau von Drainagen im Abrissgebiet und durch Aufforstungen 1947 bis 1955 hat sich die Bewegung beruhigt.

Im August 2019 ereignete sich eine Rutschung, in deren Folge ein ca. 100 Tonnen schwerer Felsen mit annähernd 100 Kilometern pro Stunde ein Feld und die durch eine automatische Signalanlage gesperrte Hauptstrasse überquerte. Er rollte an einem Kinderspielplatz vorbei, wo er auf dem Feld eines Bauern liegen blieb. Anwohner filmten das Ereignis.[3]

Wegen eines im Jahr 2023 drohenden Bergsturzes beschloss die Gemeinde im April 2023, die Pläne für eine allfällige Evakuierung wieder aufzunehmen.[4][5] Anfang Mai 2023 rief die Gemeinde die «Phase Gelb» aus. Sie erwartete ein Abbrechen des Bereichs «Insel» innerhalb von zwei bis sechs Wochen. Die Einwohner wurden aufgefordert, die Vorbereitungen für ihre Evakuierung «so rasch wie möglich» abzuschliessen.[6] Am 9. Mai 2023 wurde die «Phase Orange» ausgerufen und die Gemeinde ordnete die sofortige Evakuierung bis zum 12. Mai an. Zudem werde drei bis zehn Tage vor dem Ereignis «Phase Rot» ausgerufen.[7][8]

Wappen

Luftaufnahme von Brienz

Blasonierung: In Blau drei ineinander gehängte goldene (gelbe) Ringe

Die drei Ringe erinnern an die Treffen der Drei Bünde auf dem im ehemaligen Gemeindegebiet gelegenen Hof Vazerol.

Geschichte

Schon früh belegt sind diverse Orte im Raum Lantsch-Tiefencastel-Oberhalbstein. Auf diesem Gebiet lassen sich Siedlungen aus der prähistorischen Epoche nachweisen, sowohl aus der Bronze- als auch aus der Eisenzeit. Sie lagen an der damals und später von den Römern stark benutzten Nord-Süd-Transitroute nach dem Julier- und Septimerpass. Obwohl für Brienz solche Funde fehlen, ist mit grösster Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass auch das Gemeindegebiet von Brienz/Brinzauls sehr früh besiedelt wurde.

Sozusagen als Spiegelbild der römischen Anlagen (Siedlungen, Kulturen, Festungen, Strassen) präsentiert sich die Landschaft des vorderen Albulatals in ihrem ersten urkundlichen Auftreten im Frühmittelalter. Es ist ein Bild einer gepflegten Landschaft mit ausgedehntem Ackerbau und intensiver Schafwirtschaft. Im Reichsurbar von etwa 840 wird die Siedlung Brienzola erstmals erwähnt. Das ganze um 840 besiedelte Gebiet des Albulatals inklusive des Oberhalbsteins bildete einen von insgesamt zwölf in sich abgeschlossenen Verwaltungsbezirken des fränkischen Königsguts in Churrätien.

Diese Einheit zerfiel im Hochmittelalter mit der Aufteilung von Macht und Besitz auf verschiedene Feudalherren. Von der Burg Belfort aus entwickelten die Freiherren von Vaz eine Herrschaft zu der auch Brienz/Brinzauls gehörte. Nach dem Aussterben der Vazer um 1330 ging die Herrschaft an die Toggenburger über, dann an die Montforter und 1466 an die Herzöge von Österreich, bei denen sie bis 1652 verblieb.

1436 wurde «Land und Gericht zu Belfort» Mitglied des Zehngerichtebundes. 1613 trennte sich das Gericht in die Halbgerichte Innerbelfort und Ausserbelfort mit den Ortschaften Brienz/Brinzauls, Vazerol, Surava und Lantsch/Lenz.

Mit der neuen Kantonsverfassung von 1851 wurde aus den Gerichten die Kreise geschaffen, die einzelnen Orte wurden zu politischen Gemeinden. Im Jahr 1869 gab die Gemeinde Brienz/Brinzauls ihre Eigenständigkeit auf und fusionierte mit Surava zur Gemeinde Brienz-Surava. 1883 trennten sich die Fusionspartner wieder. Brienz/Brinzauls und Surava waren wieder bis zum 31. Dezember 2014 eigenständige politische Gemeinden.

In der Nacht vom 30. auf den 31. März 1874 zerstörte ein Grossfeuer fast das ganze Dorf Brienz. Betroffen waren die Pfarrkirche und 24 von 37 Häusern. Beim Wiederaufbau wurden die Hauptstrasse begradigt und an ihr mehrere Häuser in grosszügigen Massen und städtischem Stil neu aufgebaut.

Seit 1981 ist Birmensdorf ZH die Patengemeinde von Brienz. Ab dem 1. Januar 1997 trug die Gemeinde offiziell den Doppelnamen Brienz/Brinzauls. Am 1. Januar 2015 fusionierte sie mit den damaligen Gemeinden Alvaneu, Alvaschein, Mon, Stierva, Surava und Tiefencastel zur neuen Gemeinde Albula/Alvra.

Vazerol

Zu Brienz/Brinzauls gehört die Siedlung Vazerol an der Julierstrasse, wo sich, im damaligen Grenzgebiet von Gotteshaus- und Zehngerichtebund, 1471 die Drei Bünde zusammengeschlossen haben sollen. Lang galt Vazerol als das Bündner Rütli. Die Inschrift am Gedenkstein: «Zur Erinnerung an die Vereinigung des Oberen Bundes, des Gotteshausbundes und des Zehngerichtebundes zu Vazerol 1471» ist etwas verblichen. Die These wird von der neueren Geschichtsforschung verworfen, eine authentische Urkunde fehlt. Sicher ist hingegen, dass in der Mitte des 15. Jahrhunderts die Ratsboten der Drei Bünde in Vazerol ihre Tagungen durchgeführt haben. In Chur gibt es auf dem Regierungsplatz ein Vazerol-Denkmal und zudem eine Vazerolgasse.

Bevölkerung

Bevölkerungsentwicklung
Jahr 1808 1850 1860 1888 1900 1941 1950 1980 1990 2000[9] 2005 2014
Einwohner 111 191 205 146 158 186 172 95 112 117 114 124

Sprachen

Die Bevölkerung spricht traditionell Surmeirisch, ein Idiom des Rätoromanischen. 1880 sprachen praktisch alle Einwohner Romanisch, 1941 waren es noch 83 %. Seit 1970 ging das Romanische stark zurück. Seit dem Jahr 2000 dominiert Deutsch, während noch die Hälfte der Einwohnerschaft romanisch versteht.

Sprachen in Brienz/Brinzauls
Sprachen Volkszählung 1980 Volkszählung 1990 Volkszählung 2000
Anzahl Anteil Anzahl Anteil Anzahl Anteil
Deutsch 26 27,37 % 45 40,18 % 80 68,38 %
Rätoromanisch 67 70,53 % 65 58,04 % 37 31,62 %
Einwohner 95 100 % 112 100 % 117 100 %

Konfession

Wie die meisten andern Dörfer im Unter- und Oberhalbstein blieben die Einwohner von Brienz katholisch und schlossen sich nicht der Reformation an.

Herkunft und Nationalität

Alle 114 Bewohner, die Ende 2005 gemeldet waren, sind Schweizer Staatsangehörige.

Schule

Seit 2010 bilden die Gemeinden Alvaschein, Brienz/Brinzauls, Lantsch/Lenz und Tiefencastel den Primarschul- und Kindergartenverband «Vorderes Albulatal» mit Standort in Lantsch/Lenz. Kindergarten und Schule werden Rätoromanisch geführt. Für die Oberstufe (Sekundar- und Realschule) bilden die elf Gemeinden des Albulatals ein Schulkonsortium mit Sitz in Tiefencastel.

Wirtschaft

Brienz/Brinzauls war eine typische Agrargemeinde. Im Gegensatz zu allen übrigen Gemeinden Mittelbündens musste sie ohne die sogenannten Wasserzinsen (Entschädigung der Elektrizitätswerke für die Nutzung der Wasserkraft) auskommen. Die ehemalige Gemeinde hat wenig Gewerbe zu bieten. Angestrebt wird ein sanfter Tourismus. Brienz/Brinzauls ist der Tourismusdestination Lenzerheide angeschlossen. In der Fraktion Vazerol wurden in letzter Zeit einige Zweitwohnungen erstellt.

Energiestadt

Das Label «Energiestadt» ist eine Auszeichnung für Städte, Gemeinden und Regionen, die überdurchschnittliche Leistungen im Energiebereich erbringen. Weil das Albulatal im Energie- und Umweltbereich sehr aktiv ist, wurde dieses Tal mit den Gemeinden Alvaneu, Bergün, Brienz/Brinzauls, Filisur, Lantsch/Lenz, Mon, Schmitten, Stierva, Surava, Tiefencastel und Wiesen als erste Region mit dem Label «Energiestadt» zertifiziert.

Brienz/Brinzauls erhielt 1991 den Schweizer Solarpreis.[10]

Sehenswürdigkeiten

Ruine Belfort
  • In der spätgotischen Pfarrkirche Son Tgalester / St. Calixtus[11] befindet sich ein Altar aus der Werkstatt von Ivo Strigel. Er ist einer der bedeutendsten Hochaltäre Graubündens.
  • Östlich des Dorfes steht die Burgruine Belfort.
  • Unterhalb der Burgruine Belfort liegt die 1873 erbaute gedeckte Holzbrücke Belfort. Darunter die 1982/1983 restaurierte alte Belfortbrücke, eine rundbogige Steinbrücke (Tonnengewölbe), genannt Paunt dalla dieschma (Brücke des Zehnten)

Literatur

Commons: Brienz/Brinzauls – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Das Bündner Bergdorf Brienz rutscht einen Meter pro Jahr ins Tal. In: nzz.ch vom 3. Mai 2019.
  2. Wie sich das Bündner Dorf Brienz auf einen Jahrhundertbergsturz vorbereitet. In: nzz.ch vom 9. Juli 2019.
  3. Video vom Steinschlag in Brienz 100 Tonnen Felsbrocken donnert an Spielplatz vorbei. In: blick.ch vom 14. August 2019.
  4. Bedrohtes Dorf. Bergsturzgefahr: Bündner Bergdorf Brienz droht Evakuierung. In: srf.ch, 3. April 2023.
  5. Salome Müller: Abwärts. Bergrutsch in Brienz. In: Die Zeit. 19. April 2023, S. 33; Audio-Version (12 Min) und online. Zitat: «Frühwarnsystem kündigt jetzt den Ernstfall an … bis Ende des Jahres.»
  6. Phase «Gelb»: Einwohnerinnen und Einwohner von Brienz müssen für eine Evakuierung bereit sein, Neue Zürcher Zeitung, 5. Mai 2023.
  7. Von Felssturz bedroht. Bündner Bergdorf Brienz muss evakuiert werden. In: srf.ch, 9. Mai 2023.
  8. Alle News zum Bergsturz von Brienz. In: 20min.ch, 9. Mai 2023.
  9. Jürg Simonett: Brienz/Brinzauls. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 1. Dezember 2016.
  10. 1. Schweizer Solarpreis 1991 in Brienz (GR). Solaragentur Schweiz, 25. Februar 2021, abgerufen am 7. Mai 2023.
  11. Katholische Pfarrkirche Sankt Calixtus (Foto) auf baukultur.gr.ch