Leukämie
Klassifikation nach ICD-10 | |
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C90.1 | Plasmazellenleukämie |
C91 | Lymphatische Leukämie |
C92 | Myeloische Leukämie |
C93 | Monozytenleukämie |
C94, C95 | Sonstige Leukämien |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Klassifikation nach ICD-O-3 | |
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9733/3 | Plasmazell-Leukämie (C42.1) |
9800/3 | Leukämie o.n.A. |
9801/3 | Akute Leukämie o.n.A. |
9820/3 | Lymphatische Leukämie o.n.A. |
9860/3 | Myeloische Leukämie o.n.A. |
ICD-O-3, zweite Revision (2019) |
Leukämie (von altgriechisch λευκός leukós „weiß“ sowie αἷμα haima „Blut“) ist eine maligne Erkrankung des blutbildenden oder des lymphatischen Systems und gehört im weiteren Sinne zu den Krebserkrankungen. Ein anderer früher verwendeter Ausdruck dafür ist Leukose.
Leukämien sind durch eine gesteigerte Bildung von weißen Blutzellen oder deren Vorläuferzellen charakterisiert. Diese werden auch Leukämiezellen genannt. Sie breiten sich im Knochenmark aus, verdrängen dort die Zellen der regulären Blutbildung und treten in der Regel auch stark vermehrt im peripheren Blut auf. Sie können Leber, Milz, Lymphknoten und weitere Organe infiltrieren und dadurch deren Funktion beeinträchtigen. Die Störung der Blutbildung vermindert die normalen Blutbestandteile. Es entsteht eine Anämie durch Mangel an roten Blutkörperchen, eine Thrombozytopenie durch Mangel an Blutplättchen, und eine funktionelle Leukopenie, ein Mangel an reifen funktionstüchtigen weißen Blutzellen.
Je nach Verlauf unterscheidet man akute und chronische Leukämien (vgl. Krankheitsverlauf). Akute Leukämien sind lebensbedrohliche Erkrankungen, die unbehandelt in wenigen Wochen bis Monaten zum Tod führen. Chronische Leukämien verlaufen meist über mehrere Jahre und sind im Anfangsstadium häufig symptomarm.
Symptome
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Chronische Leukämie
Chronische Leukämien werden oft zufällig durch eine Routineuntersuchung festgestellt und beginnen meist schleichend. Als erste Anzeichen können allgemeine Krankheitssymptome wie Unwohlsein und Ermüdung, Leistungsminderung, aber auch Fieber, Nachtschweiß und Gewichtsverlust auftreten. Außerdem kann es auch zu Milz- und Lymphknotenschwellungen sowie Juckreiz, Ausschlägen und vermehrten Infektionen kommen.
Akute Leukämie
Es gibt zahlreiche Symptome für eine akute Leukämie. Akute Leukämien treten bei zuvor völlig gesund wirkenden Personen auf und äußern sich wie ein schweres Krankheitsbild, z. B. treten Blässe, Schwäche, Blutungsneigung einschließlich spontaner blauer Flecken oder nach Bagatelltraumen sowie Petechien auf. Eine Anfälligkeit für Infektionen mit Fieber sowie geschwollene Lymphknoten, Milz- und Lebervergrößerung und manchmal Knochenschmerzen sind ebenfalls charakteristisch. Viele Patienten klagen auch über gehäuftes Nasenbluten und Gingivitis. Weitere Symptome sind Gewichts- und Appetitverlust, Müdigkeit und Nachtschweiß.
Keines dieser Symptome allein ist charakteristisch für eine chronische bzw. akute Leukämie.[1]
Klassifikation und Diagnostik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Klassifikation und Diagnostik der Leukämien basiert auf morphologischen und immunologischen Eigenschaften der Leukämiezellen. In den letzten Jahren gewinnen auch zunehmend zytogenetische und molekularbiologische Merkmale an Bedeutung.
Je nach beteiligtem Zelltyp unterscheidet man zunächst myeloische von lymphatischen Leukämien. Myeloische Leukämien gehen von den Vorläuferzellen der Granulozyten, im weiteren Sinne auch der Erythrozyten und Thrombozyten aus, lymphatische Leukämien betreffen die Lymphozyten und ihre Vorläuferzellen.
Des Weiteren unterscheidet man anhand des Grades der Unreife der im Knochenmark und im Blut vorkommenden Leukämiezellen zwischen akuten und chronischen Leukämien. Bei den akuten Leukämien (früher auch unreifzellige Leukosen genannt) finden sich vor allem Zellen in einem sehr frühen, unreifen Stadium, die nahezu funktionslos sind. Bei den chronischen Leukämien kann man vermehrt Leukämiezellen beobachten, die deutlich weiter entwickelt sind und bereits den reifen Blutzellen ähneln, jedoch noch nicht vollständig funktionstüchtig sind.[2]
Die Verdachtsdiagnose ist häufig bereits anhand des Blut- und Differentialblutbilds zu stellen, die genaue Klassifikation erfordert aber meist eine Knochenmarkpunktion.
Leukämieformen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die wichtigsten Leukämieformen sind:
- akute myeloische Leukämie (AML)
- chronische myeloische Leukämie (CML), wird zu den chronischen myeloproliferativen Erkrankungen gezählt
- akute lymphatische Leukämie (ALL)
- chronische lymphatische Leukämie (CLL), gehört zu den niedrigmalignen Non-Hodgkin-Lymphomen
Falls die Leukämie von den Prolymphozyten (eine bestimmte Form von Lymphozyten-Vorstufen) ausgeht, spricht man wegen des deutlich aggressiveren Krankheitsverlaufes im Vergleich zur CLL von einer Prolymphozytenleukämie (PLL).
Ebenfalls mit der CLL verwandt ist die Haarzellleukämie (HCL), bei der die Leukämie von sehr weit fortgeschrittenen Lymphozyten-Vorstufen ausgeht. Namengebend sind die haarförmigen Zytoplasma-Fortsätze der Leukämiezellen.
Epidemiologie
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die einzelnen Leukämietypen weisen eine typische Altersverteilung auf. Die ALL ist die häufigste Leukämie bei Kindern und kommt bei Erwachsenen seltener vor. Die AML steht bei Kindern an zweiter Stelle und ist bei Erwachsenen die häufigste akute Leukämie mit einem Altersgipfel über 60 Jahren. Die CLL tritt bei Kindern praktisch niemals auf und ist eine typische Leukämieform des älteren Menschen. Die CML ist bei Erwachsenen wesentlich häufiger als bei Kindern.
Ursachen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Leukämien entstehen durch genetische Veränderungen von unreifen blutbildenden Vorläuferzellen, sodass diese sich einerseits nicht mehr vollständig zu funktionstüchtigen Blutzellen weiterentwickeln können und andererseits unkontrolliert vermehren (siehe auch Krebsentstehung). Es genügt bereits die Veränderung einer einzigen Vorläuferzelle, die durch das anschließende unkontrollierte Wachstum die gesunden Bestandteile des blutbildenden Systems zurückdrängen kann.
Die Auslöser dieser genetischen Veränderungen sind noch nicht geklärt. Gerade bei akuten Formen sind die Ursachen meist unklar und können nicht in einen kausalen Zusammenhang mit pathogenen Faktoren gebracht werden. Diskutiert werden die nachfolgenden potentiell auslösenden Faktoren:
- Chemikalien, zum Beispiel Benzol,
- vorangegangene Behandlung mit Zytostatika (insbesondere Alkylanzien) aufgrund einer anderen Erkrankung (beispielsweise eines soliden Tumors),
- ionisierende Strahlung,
- diverse Viren,
- genetische Vorbelastung,
- psychogene Faktoren werden diskutiert.[4][5]
Mögliche Ursachen der Leukämie bei Kindern
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In Deutschland erkranken jährlich 1800 Kinder neu an Krebs, davon rund ein Drittel an Leukämie.[6] Auch hier sind die Ursachen weitgehend unbekannt.
Eine Fallkontrollstudie zeigte ein etwa zwanzigfach erhöhtes Leukämierisiko für Menschen mit einem Down-Syndrom im Vergleich zu Menschen ohne Down-Syndrom.[7]
Es gibt Hinweise, dass Umweltfaktoren (ionisierende sowie nichtionisierende Strahlung sowie Pestizide) potenzielle Risikofaktoren sein können und ein „gut trainiertes kindliches Immunsystem“[8] einen schützenden Effekt hat.[8] Bei einer Untersuchung von Kindern der Stadt Basra im Südirak wurde ein Anstieg der Leukämierate um rund das Doppelte von 1993 bis 2007 festgestellt. Als mögliche Auslöser kommen unter anderem Benzol, das durch brennende Ölfelder und improvisierte Tankstellen (Kanisterbetankung) in die Umwelt gelangte, oder auch Geschosse aus abgereichertem Uran in Frage.[9]
Die vermutete Ursache Radioaktivität für den Leukämiecluster Elbmarsch bei Hamburg ist umstritten. Ungeklärt ist auch der Einfluss radioaktiver Emissionen auf die temporäre Leukämiehäufung um Jülich.
Ein kausaler Zusammenhang mit Impfungen konnte bei einer populationsbasierten Fall-Kontroll-Studie nicht gezeigt werden.[10] Es gibt im Gegenteil eher Hinweise darauf, dass eine frühe Impfung innerhalb des ersten Lebensjahres das Erkrankungsrisiko bei Kindern senkt.[11]
Therapie
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Grundlage der Behandlung von Leukämien ist die Therapie mit Zytostatika. Weitere Behandlungsprinzipien sind die Hochdosistherapie mit autologer Stammzelltransplantation und die allogene Knochenmark- bzw. Stammzelltransplantation. Dazu wird ähnlich wie bei einer Bluttransfusion ein passender Knochenmarkspender benötigt. Untergeordnete Bedeutung hat die prophylaktische oder therapeutische Strahlentherapie. Bereits um 1903 wurden von Nicholas Senn (1844–1908) zur Therapie von Erkrankungen des leukopoetischen System Röntgenstrahlen verwendet.[12] Zu Beginn des 21. Jahrhunderts haben sich neue Therapiemöglichkeiten durch die Anwendung von monoklonalen Antikörpern und neue spezifisch in die Krankheitsprozesse eingreifende Medikamente wie Imatinib und Dasatinib (zwei Tyrosinkinase-Inhibitoren) bei der CML und der Philadelphia-Chromosom-positiven ALL oder ATRA bei der Promyelozyten-Leukämie eröffnet. In der Therapie der Leukämien bestehen zwischen den einzelnen Formen erhebliche Unterschiede, die Einzelheiten der Therapie sind in den entsprechenden Artikeln dargestellt. Eine spezifische Gefährdung durch eine während der Therapie auftretende Neutropenie sind fieberhafte Infektionen,[13] die entsprechend mit Antibiotika[14] behandelt werden müssen.
In den letzten Jahren gab es auch immer weitere Fortschritte der Gentherapie, die nun auf langfristige Therapieerfolge hoffen lassen. Einige Forschungsgruppen arbeiten zum Beispiel daran, T-Zellen von Leukämiepatienten durch Einschleusen bestimmter Gene so zu manipulieren, dass sie auch noch Jahre später Krebszellen eliminieren. Einige Patienten mit ALL oder CLL blieben durch diese Therapie langzeitig in Remission.[15]
Am 1. November 2013 erteilten die USA und am 29. Juli 2014 die europäischen Behörden einem bei Roche entwickelten Wirkstoff die Zulassung. Bei Patienten mit der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL) ist schon nach wenigen Therapietagen mit dem Wirkstoff Obinutuzumab (alter Wirkstoffname war Afutuzumab) in Kombination mit dem milden Chemotherapeutikum Chlorambucil ein Rückgang der Blutkrebszellen feststellbar. Nach Abschluss der Therapie waren bei über 20 % der Patienten keine Krankheitszeichen mehr vorhanden.[16]
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Unterschied zu anderen Krebsarten, die bereits Galenus im Altertum beschrieben hatte, wurde der Blutkrebs erst im 19. Jahrhundert erkannt und untersucht. Die starke Vermehrung weißer Blutzellen beschrieb erstmals 1845 der schottische Arzt John H. Bennett. Er bezeichnete das Phänomen als vereitertes Blut und vermutete eine Infektion als Ursache. Etwa zur selben Zeit beobachtete Rudolf Virchow bei einer Patientin ebenfalls stark vermehrte weiße Blutzellen, diagnostizierte „weißes Blut“ und führte 1847 das medizinische Fachwort „Leukämie“ ein. (Virchow verstand darunter „eine nicht reaktive, eigengesetzliche, von den Pyämien scharf abgesetzte Vermehrung der weißen Blutkörperchen im peripheren Blut“[17].) Weiters hatte auch Alfred Armand Velpeau 1827 einen Fall von Leukämie sehr detailliert geschildert[18]. Der erste Fall von akuter lymphatischer Leukämie bei einem Kind wurde 1860 von Michael Anton Biermer, einem Schüler Virchows, beschrieben. Ende des 19. Jahrhunderts bezeichneten Pathologen die Leukämie als Neoplasie der weißen Blutzellen; danach konnte man mehrere Erscheinungsformen der Leukämie unterscheiden. Eine Chemotherapie mit Aminopterin gelang 1947 erstmals Sidney Farber, einem pädiatrischen Pathologen. Allerdings hielten die erzielten Remissionen nicht lange an. In den folgenden Jahren wurden über das US-amerikanische National Cancer Institute (NCI) in Studien an Kindern mit akuter Leukämie (ALL) Kombinationstherapien untersucht, insbesondere in den 1960er Jahren VAMP (Vincristin, Amethopterin, Mercaptopurin, Prednison). Zunächst zeichneten sich länger dauernde Remissionen ab, doch dann traten in der Mehrzahl schwerwiegende Rückfälle auf unter Befall des zentralen Nervensystems. Im weiteren Verlauf kombinierte man die VAMP-Therapie mit einer Strahlentherapie. Eine erste Auswertung an 278 Patienten im Jahr 1979 zeigte, dass diese Kombination, als „totale Therapie“ verstanden, zu deutlich länger andauernden Remissionen führte. Hiermit wurde der erste erfolgversprechende Durchbruch erzielt.[19]
1995 wurden die Deutsche José Carreras Leukämie-Stiftung sowie die Deutsche Leukämie- und Lymphom-Hilfe gegründet, die Stiftung Deutsche Leukämie- & Lymphom-Hilfe etablierte sich 2010.
Leukämie bei Menschen mit Down-Syndrom (Trisomie 21)
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Kinder mit Down-Syndrom (Trisomie 21) haben ein zwanzigfach gesteigertes Risiko, an einer akuten Leukämie zu erkranken. Bei Neugeborenen mit Trisomie 21 tritt bei fünf bis zehn Prozent eine sogenannte transiente Leukämie (TL), auch als Transientes myeloproliferatives Syndrom (TMD) bezeichnet, auf, die alle Eigenschaften einer akuten megakaryoblastären Leukämie aufweist (akute myeloische Leukämie, megakaryoblastischer Subtyp / AMkL), sich jedoch in den allermeisten Fällen innerhalb der ersten Lebenswoche spontan zurückbildet. Bei etwa 20 % dieser Kinder tritt allerdings in den ersten vier Lebensjahren erneut eine AMkL (auch myeloische Leukämie bei Down-Syndrom (ML-DS), siehe WHO-Klassifikation) auf, die den identischen Phänotyp aufweist. Sowohl bei der TL als auch der ML-DS konnten Mutationen des hämatopoetischen Transkriptionsfaktors GATA1 als ursächlich nachgewiesen werden. Die ML-DS wird mit einer intensiven, angepassten Chemotherapie behandelt. Aufgrund der erhöhten Sensitivität gegenüber Chemotherapie sind die Heilungschancen für die ML-DS mit mehr als 85 % deutlich höher als bei der AML bei Kindern ohne Trisomie 21. Auch die akute lymphoblastäre Leukämie (ALL) kommt bei Kindern mit Down-Syndrom häufiger vor, ist hier aber aufgrund der ungünstigeren Risikofaktoren und der höheren Empfindlichkeit für Nebenwirkungen der Therapie mit einer schlechteren Prognose verbunden.
Abgesehen vom erhöhten Leukämie-Risiko sind Menschen mit Down-Syndrom unterdurchschnittlich anfällig für andere Formen von Krebserkrankungen. In sechs unabhängig voneinander durchgeführten Studien konnte erwiesen werden, dass z. B. Neuroblastome, Nephroblastome, Unterleibskrebs, Brustkrebs, Magenkrebs und Darmkrebs sehr selten auftreten: „Verglichen nach Alter und Geschlecht ist die Wahrscheinlichkeit für eine Person mit Down-Syndrom, an irgendeiner Form von Gewebekrebs zu sterben, um 50 bis 100 Mal niedriger“ als üblich.[20] Zurückgeführt werden kann dies neben dem durch das zusätzliche Erbmaterial offenbar begünstigten Schutzmechanismus des Körpers auch darauf, dass die mit der Trisomie 21 zusammenhängende Disposition für insbesondere Leukämie bekannt ist und eine Erkrankung aufgrund häufigerer Arztbesuche (z. B. wegen der Anfälligkeit für Atemwegserkrankungen) oft in sehr frühen Stadien erkannt und behandelt werden kann. Darüber hinaus leben die meisten Menschen mit Down-Syndrom deutlich gesünder, insbesondere Alkohol und Nikotin werden selten aktiv konsumiert, was das Risiko, an Krebs zu erkranken, zusätzlich senkt.
Chromosomale Translokationen bei menschlichen Leukämien
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Leukämiezellen weisen bestimmte Chromosomenmutationen, die sogenannten reziproken Translokationen auf. Diese sind für Leukämien und Lymphome typisch, bei soliden Tumoren hingegen die Ausnahme. Generell betrachtet sind Translokationen ein Charakteristikum von ca. drei Prozent aller Tumoren. Bei insgesamt 14.000 verschiedenen karyotypischen Veränderungen bei Tumoren sind über 100 wiederkehrende Translokationen beschrieben worden (Stand 1991).[21] Chromosomale Veränderungen bei hämatologischen Erkrankungen sind häufig und vielfältig. Ein tabellarischer Überblick soll einen Eindruck von der Vielfalt der Phänomene geben. Dabei werden zunächst Chromosomen-Translokationen und sodann Chromosomen-Deletionen angeführt. Der weitere Artikel gliedert sich in drei Teile. Zunächst werden die chromosomalen Veränderungen bei myeloischen Leukämien besprochen. Im darauffolgenden Abschnitt werden die lymphatischen Leukämien dargestellt und eine beispielhafte Bruchpunkt-Untersuchung vorgestellt. Zum Abschluss wird noch kurz auf das Burkitt-Lymphom eingegangen.
Onkogene bei Leukämien – Translokationen | ||||
---|---|---|---|---|
Protein-Klasse | Onkogen | Translokation | Tumor | Häufigkeit |
Tyrosin-Kinasen | c-abl/bcr | t(9;22)(q34;q11) | CML | 95 % |
c-abl/bcr | t(9;22)(q34;q11) | ALL | 10 % | |
axl | t(;)(;) | CML | ? % | |
TF | myc/Ig-Gene | t(8;14)(q24;q32) | BL | 100 % |
pre-B-ALL | 10 % | |||
T-ALL | 10 % | |||
E2A/PBX | t(1;19)(q23;p13) | pre-B-ALL | 10 % | |
E2A/HLF | t(17;19)(q22;p13) | pre-B-ALL | 10 % | |
Tal-1/TCR | t(1;14)(p32;q11)[22] | T-ALL | 20 % | |
Tal-1/SIL | t(1;)(p32;) | T-ALL | 20 % | |
Tal-2/TCR | t(7;9)(q35;p13) | T-ALL | 10 % | |
Lyl-1/TCR | t(7;19)(q35;p13) | T-ALL | 5 % | |
Ttg-1/TCR | t(11;14)(pls;q11) | T-ALL | 10 % | |
Ttg-2/TCR | t(11;14)(p13;q11)[23] | T-ALL | −10 % | |
HD-Gene: | Hox-11/TCR | t(10;14)(q24;q11) | T-ALL | 7 % |
HRX | t(11q23) | Multilinage | ?% | |
Rezeptoren: | RARA/PML | t(15;17)(q21;q21) | PML | 100 % |
bcl-Gene: | bcl-1/Ig | t(11;14)(q32;q21) | CentroCyt | 30 % |
CLL | 3 % | |||
bcl-2/Ig | t(14;18)(q13;q32) | Foll | ||
Diff | 20 % | |||
CLL | 5 % | |||
bcl-3/Ig | t(14;19)(q32;q13) | CLL | ||
Andere: | DEK/CAN | t(6;9)(p23;q34) | AML/MDS | |
SET/CAN | t(;)(;) | AML,MDS | ||
MLL | t(11q23) | AML,ALL | ||
TAN-1 | t(7;9)(q34;q34.3) | T-ALL | 42 % | |
AML-1 | t(8;21)[24] | AML | ||
IL-3 | t(5;14)(q31;q32) pre-B-ALL |
Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die chromosomalen Deletionen bei verschiedenen menschlichen Leukämien.
Onkogene bei Leukämien – Deletionen | ||
---|---|---|
Proteinklasse | Tumor | Häufigkeit |
ras-Gene | AML | 50 % |
ALL | 15 % | |
CML | 5 % | |
p53 | CML | 20 % |
AML | 3–7 % | |
pre B-ALL | 2 % | |
T-ALL | 2 % | |
BL | 30 % | |
CLL | 15 % | |
RB-1 | Ph1+-ALL | 30 % |
AML | 3 % | |
AMML | 25 % | |
T-ALL | 20 % | |
WT-1 | AML | 20 % |
Translokationen bei chronischer myeloischer Leukämie (CML)
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bei der chronischen myeloischen Leukämie kommt es in 95 Prozent aller bisher untersuchten Fälle durch eine chromosomale Translokation zu einer Fusion des c-abl-Gens auf dem Chromosom 9q34 mit dem bcr-Gen auf dem Chromosom 22q11 mit dem Ergebnis eines alterierten Chromosoms, des Philadelphia-Chromosoms, und der Expression eines chimärischen Proteins, des abl/bcr-Produkts, das in drei Varianten als p190, p210 und p230 vorkommt und Tyrosinkinaseaktivität aufweist. Das Fusionsprotein resultiert in einer konstitutiven Aktivierung der abl-Tyrosinkinase und stimuliert vielfältige Signalwege, z. B. p21 Ras, PI3 Kinase, Jun, myc.
Translokationen bei akuter myeloischer Leukämie (AML)
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bei den akuten myeloischen Leukämien findet sich eine Vielzahl unterschiedlicher Mutationen. Bei der AML finden sich in bis zu 50 Prozent der untersuchten Fälle Mutationen im N-ras-Lokus, in ca. fünf Prozent der untersuchten Fälle Mutationen in p53, in weniger als drei Prozent der untersuchten Fälle Mutationen im RB-1-Gen und in ca. 20 Prozent Veränderungen im WT-1-Lokus. Vereinzelt sind Fusionen von SET/CAN-, DEK/CAN-, MLL- und AML-1-Genen beschrieben worden. Im Folgenden werden die beteiligten Onkogene näher charakterisiert.
Translokationen bei anderen myeloischen Leukämien
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bei der akuten myelomonocytischen Leukämie (AMML) finden sich häufig Mutationen im RB-1 Lokus. Eine Besonderheit bei den AML stellt die Promyelozytenleukämie dar, bei der in mehr als 95 Prozent[25] der untersuchten Fälle eine Translokation t(15;17) (q21;q21) beschrieben ist, mit dem Ergebnis einer Fusion von PML und RARa. Das Humane Trithorax-Homolog findet sich auf dem Chromosom 11q23. Die HRX-Translokationen findet sich bei biphänotypischen Leukämien. Trithorax ist ALL-1.
Translokationen bei T-Zell-Leukämien
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht über das Vorkommen von Translokationen bei akuten T-Zell-Leukämien.
Translokationen bei T-Zell-Leukämien | ||||
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t(8;14)(q24;q11) | c-myc | 8q24 | TCR-alpha/delta | 14q11 |
t(7;19)(q35;p13) | TCR-beta | 7q35 | Lyl-1 | 19p13 |
t(1;14)(p32;q11) | Tal-1(Scl,Tcl-5) | 1p32 | TCR-alpha/delta | 14q11 |
t(7;9)(q35;q34) | TCR-beta | 7q35 | Tal-2 | 9q34 |
t(11;14)(pl5;q11) | Rhom-1(Ttg-1) | 11p15 | TCR-alpha/delta | 14q11 |
t(11;14)(p13;q11) | Rhom-2(Ttg-2) | 11p13 | TCR-alpha/delta | 14q11 |
t(7;11)(q35;p13) | TCR-beta | 7q35 | Rhom-2 | 11p13 |
t(10;14)(q24;q11) | Hox-11(Tcl-3) | 10q24 | TCR-alpha/delta | 14q11 |
t(7;10)(q35;q24) | TCR-beta | 7q35 | Hox-11 | 10q24 |
t(7;9)(q34;q34.3) | TCR-beta | 7q34 | Tan-1 | 9q34.3 |
Alle betroffenen protoonkogenen Transkriptionsfaktoren (c-myc, Lyl-1, Tal-1,2) sind helix-loop-helix-Proteine; Rhom-1,2 (Ttg-1,2) sind LIM-Domaine-Proteine, Hox-11 (Tcl-3) ist ein Homeoboxgen und Tan-1 ein notch-Homolog. Involviert sind jeweils immer TCR-beta oder TCR-alpha/delta. Vergleichsweise konsistente Mutationen in T-ALLs finden sich auch bei p53 Jonveaux und im RB-Lokus Ahuja und Ginsberg, allerdings ohne Translokationen in den Bereich rearrangierender Loci. Untersucht man die verschiedenen Loci, so findet man folgende Verteilung der translozierenden Regionen.
In die TCR-alpha/delta-Region = 14q11 translozieren:
Chromosomale Lokalisation TCR-alpha/delta-translozierender Onkogene | |
---|---|
c-myc | 8q24 |
Tal-1 | 1p32 |
Rhom-1 | 11p15 |
Rhom-2 | 11p13 |
Hox-11 | 10q24 |
In die TCR-beta-Region = 7q35 translozieren:
Chromosomale Lokalisation TCR-beta-translozierender Onkogene | |
---|---|
Lyl-1 | 19p13 |
Tal-2 | 9q34 |
Rhom-2 | 11p13 |
Hox-11 | 10q24 |
Tan-1 | 9q34.3 |
Die aufgelisteten Translokationen bei T-ALL haben eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Es sind jeweils zwei typische codierende Regionen betroffen: TCR-Gene und Transkriptionsfaktoren. Stets ist das betroffene Allel des TCR als Strukturgen zerstört und das betroffene Allel des Transkriptionsfaktors als Strukturgen intakt, in seiner Regulation aber gestört. Meistens sind die betroffenen Transkriptionsfaktoren zelllinienfremde Gene. Üblicherweise wird ihre Funktion im Rahmen der Zelldifferenzierung vermutet. Im Bereich von 11p13 sind die Bruchpunkte unabhängig vom translozierenden Partnerchromosom in einem kleinen Bereich geclustert. Außerdem finden die Translokationen bei unreifen Zellen statt, so dass man schlussfolgern muss, dass eine aberrante Expression von an der Zelldifferenzierung von nichtlymphatischem Gewebe beteiligten Transkriptionsfaktoren in primitivem lymphoidem Gewebe einen wesentlichen Anteil an der malignen Transformation haben kann.
Verwandte Erkrankungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Seltenere, mit der CML verwandte chronische myeloproliferative Erkrankungen, die jedoch vorwiegend andere Blutzellen als die Leukozyten betreffen, sind die:
- Polycythaemia vera (PV) – hier steht die Vermehrung der roten Blutzellen im Vordergrund. Es sind meist auch die anderen Zellreihen, also die Leukozyten und die Thrombozyten, betroffen.
- essentielle Thrombozythämie (ET) – hier steht die Vermehrung der Blutplättchen und deren eventuell eingeschränkte Funktion im Vordergrund.
- Auch bei den myelodysplastischen Syndromen liegt eine Fehlfunktion der blutbildenden Stammzellen vor. Im Gegensatz zu den Leukämien findet jedoch keine unkontrollierte Vermehrung ebendieser statt.
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Erythrämie (dort: Erythroleukämie)
- Aktion Knochenmarkspende Bayern
- DKMS – Deutsche Knochenmarkspenderdatei
- Stefan-Morsch-Stiftung – erste deutsche Knochenmark- und Stammzellspenderdatei
- Lymphom
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Michael Begemann, Monika Begemann-Deppe: Leben mit Leukämie. Trias, Stuttgart 2000, ISBN 3-89373-568-2 (Ratgeber).
- Hermann Delbrück: Chronische Leukämien. Rat und Hilfe für Betroffene und Angehörige. 2. Auflage. Kohlhammer, Stuttgart 2004, ISBN 3-17-018369-9 (Ratgeber).
- Martin Ehrlich: Ueber Leukämie. Dissertation. Dorpat 1862, utlib.ee (PDF; 3,2 MB).
- Nicola Gökbuget: Akute lymphatische Leukämie. 1. Auflage. UniMed-Verlag, Bremen 2007, ISBN 978-3-89599-218-6 (Fachbuch).
- Ludwig Heilmeyer, Herbert Begemann: Blut und Blutkrankheiten. In: Ludwig Heilmeyer (Hrsg.): Lehrbuch der Inneren Medizin. Springer-Verlag, Berlin / Göttingen / Heidelberg 1955; 2. Auflage ebenda 1961, S. 376–449, hier: S. 423–431: Die Leukämien (Leukosen).
- Manfred Vasold: Leukämie. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin / New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 847.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Kompetenznetz „Akute und chronische Leukämien“. Deutsches Expertennetzwerk von Ärzten und Wissenschaftlern mit Schwerpunkt im Bereich der Leukämieforschung.
- European Leukemia Net. Unabhängige EU-geförderte Organisation von Ärzten, Wissenschaftlern und Patienten mit Interesse an Leukämie.
- Kinderkrebs und Kernkraftwerke. ( vom 18. November 2013 im Internet Archive) Epidemiologische Studie zu Kinderkrebs (u. a. Leukämie) in der Umgebung von Kernkraftwerken – im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz 2007.
- Johan A. Maertens et al.: Primary antifungal prophylaxis in leukaemia patients. (PDF; 159 kB) doi:10.1016/j.ejcsup.2007.06.006.
- Raoul Herbrecht et al.: Treatment of invasive Candida and invasive Aspergillus infections in adult haematological patients. (PDF; 256 kB) doi:10.1016/j.ejcsup.2007.06.007.
- Informationen zu Leukämien vom Zentrum für Krebsregisterdaten im Robert Koch-Institut.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Beschwerden bei Leukämien: Symptome erkennen. Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), Heidelberg., 21. September 2012, abgerufen am 4. September 2014.
- ↑ What is acute lymphocytic leukemia? American Cancer Society, 12. Januar 2015, abgerufen am 16. August 2015 (englisch).
- ↑ Cancer Epidemiology in Older Adolescents and Young Adults 15 to 29 Years of Age. (PDF) Including SEER Incidence and Survival: 1975–2000. National Cancer Institute, Juni 2006, archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 21. Februar 2013; abgerufen am 17. August 2015 (englisch).
- ↑ Gerald Mackenthun: 16. Krebs und Psyche – die sogenannte Krebspersönlichkeit. September 1999.
- ↑ O. V. Bukhtoyarov, D. M. Samarin: Psychogenic carcinogenesis: carcinogenesis is without exogenic carcinogens. ( vom 12. Februar 2015 im Internet Archive) (PDF) In: Medical Hypotheses. Band 73, Nummer 4, Oktober 2009, ISSN 1532-2777, S. 531–536, doi:10.1016/j.mehy.2009.06.004, PMID 19570616.
- ↑ Robert Koch-Institut und die Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland e. V. (Hrsg.): Krebs in Deutschland 2007/2008. Berlin 2012, ISBN 978-3-89606-214-7, S. 120 (rki.de [PDF; 886 kB; abgerufen am 15. Oktober 2012]). rki.de ( vom 27. Januar 2017 im Internet Archive)
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