Eulersche Gleichungen (Kreiseltheorie)

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Die eulerschen Kreiselgleichungen oder kurz eulerschen Gleichungen sind Bewegungsgleichungen für die Rotation eines starren Körpers. Es sind drei gekoppelte Differentialgleichungen für die Komponenten der Winkelgeschwindigkeit des Kreisels im körperfesten (mitrotierenden) Koordinatensystem, dessen Achsen die Hauptträgheitsachsen sind.

Die eulerschen Kreiselgleichungen sind nicht zu verwechseln mit den eulerschen Winkeln, die die Orientierung eines körperfesten Koordinatensystems in Bezug auf ein raumfestes Koordinatensystem beschreiben. Des Weiteren werden die Bewegungsgleichungen idealer Flüssigkeiten in der Strömungsmechanik ebenfalls als eulersche Gleichungen bezeichnet.

Die eulerschen Kreiselgleichungen

In dem mit dem Körper rotierenden Hauptachsensystem lauten die eulerschen Kreiselgleichungen

mit

Die in den Winkelgeschwindigkeiten quadratischen Terme repräsentieren Trägheitskräfte im rotierenden Bezugssystem. Wenn die Bewegung bekannt ist, dann können aus diesen Gleichungen die Momente berechnet werden, die am Körper in seinem Massenmittelpunkt eingeleitet werden müssen, damit der Körper die vorgegebene Bewegung ausführt.

Bei einer ebenen Bewegung, beispielsweise in der 1-2-Ebene, entfallen Drehungen und Momente um die 1-und 2-Achsen, und die Gleichungen reduzieren sich auf

wenn φ der Drehwinkel um die 3-Achse ist.

Die eulerschen Kreiselgleichungen folgen aus der Drehimpulsbilanz eines starren Körpers um seinen Massenmittelpunkt

wobei das im Massenmittelpunkt angreifende Drehmoment ist, die Winkelgeschwindigkeit und der Trägheitstensor bezüglich des Massenmittelpunkts ist. Gelegentlich wird auch diese allgemeine Gleichung, die in jedem Koordinatensystem gilt, als eulersche Kreiselgleichung benannt. Im körperfesten Hauptachsensystem als speziellem lokalem Bezugssystem ist der Trägheitstensor zeitlich konstant und hat Diagonalgestalt:

Das Rechenzeichen „“ bildet das dyadische Produkt der Basisvektoren. Die Diagonalglieder I1,2,3 sind die Hauptträgheitsmomente, die sich aus der Lösung des Eigenwertproblems des Trägheitstensors berechnen. In diesem System ergeben sich aus der Drehimpulsbilanz die besonders einfachen, oben angegebenen Komponentengleichungen.

Herleitung im Koordinatenraum
Von der koordinatenfreien Vektorgleichung zur Koordinatengleichung
Die eulerschen Kreiselgleichungen folgen aus dem Drehimpulssatz, der gegeben ist durch

,
wobei der Drehimpuls und die Summe aller von außen auf den Körper wirkenden Drehmomente im Massenmittelpunkt ist. Setzt man in diese Gleichung die Formel für den (Eigen-)Drehimpuls mit dem Trägheitstensor bezüglich des Massenmittelpunkts und der Winkelgeschwindigkeit ein, erhält man
.
Diese Vektorgleichung gilt in jedem Koordinatensystem, aber nur in einem körperfesten sind die Komponenten des Trägheitstensors zeitunabhängig. Die Herleitung der Kreiselgleichungen mittels Vektor/Tensor-Rechnung kann unter Drehimpulsbilanz am starren Körper nachgeschlagen werden. Hier soll der Nachweis im Koordinatenraum angegeben werden.
Es wird ein körperfestes Koordinatensystem mit Orthonormalbasis definiert, sodass die Komponenten des Trägheitstensors bezüglich dieses Basissystems zeitunabhängig sind. In diesem Abschnitt ist die Einsteinsche Summenkonvention anzuwenden, der zufolge über in einem Produkt doppelt vorkommende Indizes – hier i und j – von eins bis drei zu summieren ist. Im Inertialsystem rotieren die Vektoren . Durch Darstellung des Trägheitstensors im Inertialsystem mit Standardbasis werden die Komponenten des Trägheitstensors des Starrkörpers durch die Rotation im Allgemeinen zeitabhängig:

Weil die Basis durch eine Drehung aus der Standardbasis hervorgeht, ist die Transformationsmatrix R mit Komponenten eine Drehmatrix und es gilt mit der Einheitsmatrix E und dem Zeichen „┬“ für die Transposition. Mit der Transformationsmatrix kann die obige Beziehung zwischen den Komponenten des Trägheitstensors als Matrizengleichung geschrieben werden:

Darin sind und 3×3-Matrizen mit den Komponenten bzw. . Eine analoge Transformationsbeziehung gilt auch für andere Matrizen, beispielsweise: , wobei der Index L das lokale, körperfeste Koordinatensystem anzeigt. Für einen Vektor lautet die Transformationsabbildung:

Darin sind und Spaltenmatrizen mit den Komponenten bzw. des Vektors im Inertial-bzw. körperfesten System. Weil die Vektoren und Tensoren auf diese Weise Matrizen zugeordnet werden und dann buchstäblich ihrer Basis beraubt sind, sind die mit den Matrizen aufgestellten Gleichungen nicht mehr koordinatenunabhängig. Üblicher Weise werden Spaltenmatrizen ebenfalls als Vektoren bezeichnet und mit Pfeil notiert, was im Folgenden auch geschehen soll.

Herleitung der Drehimpulsbilanz im Koordinatenraum
Setzt man diese Transformationsabbildung vom Inertialsystem ins lokale Bezugssystem in die Drehimpulsbilanz ein, so ergibt sich die Matrizengleichung:


Dabei wurden wie üblich Punkte als abkürzende Schreibweise für Zeitableitungen benutzt. Da orthogonal ist, gilt , wobei E die Einheitsmatrix bezeichnet. Leitet man diese Gleichung nach der Zeit ab, erhält man

mit der Nullmatrix O, woraus folgt, dass die Matrix schiefsymmetrisch ist. Die Bedeutung dieser Matrix erkennt man, wenn man die Transformation eines beliebigen konstanten körperfesten Vektors ins Inertialsystem nach der Zeit ableitet. Unter Berücksichtigung, dass konstant ist, erhält man:

Vergleicht man die letzte Gleichung mit der Formel für die Bahngeschwindigkeit eines sich drehenden Vektors , erkennt man, dass gerade die zum Kreuzprodukt gehörige schiefsymmetrische Kreuzproduktmatrix ist. Damit lassen sich und in der letzten Gleichung für durch das Kreuzprodukt mit der Winkelgeschwindigkeit ersetzen:

Mit ergibt sich daraus

Diese Gleichung wurde hier für die Koordinaten im Inertialsystem hergeleitet, in dem die Koeffizientenmatrix des Trägheitstensors zeitveränderlich sein kann.
Bei einer Transformation ins lokale Bezugssystem L ist die Zeitableitung von zu berücksichtigen. Mit ergibt sich

Das heißt, die Zeitableitung des in mitbewegte Koordinaten transformierten Winkelgeschwindigkeitsvektors ist gerade die transformierte Winkelbeschleunigung.
Damit lässt sich die letzte Gleichung für direkt in Hauptachsenkoordinaten übertragen.

Im kräftefreien Fall ist

Alternative Herleitung
Sei eine (beliebige) zeitabhängige vektorwertige Größe in lokalen Koordinaten (Index L) und die Rotationsmatrix für die Transformation von lokalen Koordinaten in ein Inertialsystem. Die zu gehörige Winkelgeschwindigkeit in lokalen Koordinaten sei . Die Zeitableitung der Transformationsvorschrift lässt sich in der Form


darstellen. Wendet man diese Vorschrift auf den Drehimpulssatz

mit der Darstellung des Drehimpulses im lokalen Bezugssystem an, so erhält man

Setzt man mit der konstanten Koeffizientenmatrix des Trägheitstensors in Hauptachsendarstellung ein, so ergibt sich daraus die eulersche Gleichung

Nachtrag
Nachträglich soll noch eine kurze Begründung für die Gleichung gegeben werden.

Dabei hilft eine kurze Vorüberlegung zur Transformation des Kreuzproduktes. Seien drei beliebige Vektoren. Der durch aufgespannte Spat ändert unter einer Rotation sein Volumen nicht. Es gilt also Da in dieser Gleichung beliebig ist, gilt auch , also .
Die Zeitableitung von ergibt sich zu

und mit der Vorüberlegung zur Transformation des Kreuzproduktes erhält man

Anwendungen

Rotierender Kugelkreisel

Ein Kugelkreisel ist ein Kreisel mit drei identischen Hauptträgheitsmomenten I. Die Kreiselgleichungen reduzieren sich bei einem Kugelkreisel auf

Die Winkelbeschleunigung ist also parallel zum Moment.

Anstoß einer Billardkugel

Abb. 1: Anstoß einer Billardkugel parallel zur Tischplatte

Parallel zur Tischplatte soll eine Billardkugel mit Radius r, Masse m und Massenträgheitsmoment I so angestoßen werden, dass sie nicht über den Tisch rutscht, siehe Abb. 1. Es stellt sich die Frage, in welcher Höhe h über der Platte die Kraft F eingeleitet werden muss, damit für das schlupflose Rollen keine Reibkraft am Tisch notwendig ist.

Die exzentrisch an der Kugel angreifende horizontale Kraft entwickelt ein Moment M=-(h-r)F, das die Kugel gemäß der Kreiselgleichung

in Drehung versetzt. Das Moment ist negativ, weil es entgegen der Zählrichtung des Drehwinkels φ wirkt. Außerdem beschleunigt die Kraft die Kugel gemäß dem Gesetz „Kraft gleich Masse mal Beschleunigung“:

Die Beschleunigung ist parallel zum Tisch in Richtung der Kraft. Die Bedingung für schlupfloses Rollen

schließt das Gleichungssystem für die drei Unbekannten h, φ und x ab. Damit berechnet sich

Bei einer massiven homogenen Kugel ist das Massenträgheitsmoment und somit

wenn d der Durchmesser der Kugel ist.

Eine schiefe Ebene hinabrollendes Rad

Abb. 2: Ein eine schiefe Ebene hinab rollendes Rad.

In einer ebenen Bewegung rolle ein Rad mit Radius r, Masse m und Massenträgheitsmoment I eine mit dem Winkel α geneigte Ebene unter Einfluss einer Schwerebeschleunigung g hinab, siehe Abb. 2. Weil sich das Rad dabei auch translatorisch bewegt, geht auch seine Masse in die Beschleunigung ein. Die Beschleunigung wächst jedoch, wenn das Massenträgheitsmoment abnimmt.

Aufgrund des schlupflosen Abrollens entsteht am Aufstandspunkt des Rades eine Reibkraft R, die das Rad in Drehung versetzt, denn es entspricht einem Moment M=-r R. Es ist negativ, weil es entgegen der Zählrichtung des Drehwinkels φ arbeitet. Damit lautet die Kreiselgleichung im ebenen Fall:

Die auf das Rad hangabwärts wirkende Komponente F der Gewichtskraft mg hat die Größe F=mgsin(α). Ihr entgegen steht die Reibkraft, so dass nach dem zweiten newtonschen Gesetz gilt:

worin die hangabwärts zählende Beschleunigung des Rades und sin die Sinusfunktion ist. Die Bedingung für schlupfloses Rollen schließt das Gleichungssystem für die drei Unbekannten R, φ und x ab, die sich letztendlich ergeben zu:

Die maximale Beschleunigung bei gegebenem Gefälle stellt sich ein, wenn sich die Masse des Rades möglichst nahe an seinem Mittelpunkt konzentriert und sich somit das Massenträgheitsmoment minimiert.

Ein hangabwärts, reibungsfrei rutschender Klotz erfährt die Beschleunigung , die größer ist als die des Rades, denn beim Rad wird ein Teil der potentiellen Energie in Rotationsenergie umgesetzt, die dann für die Translation fehlt.

Allgemeine Eigenschaften der Bewegung kräftefrei rotierender Kreisel

Außer in der Schwerelosigkeit kann ein kräftefreier Kreisel in einem Schwerefeld realisiert werden, indem er in seinem Schwerpunkt drehbar, beispielsweise kardanisch aufgehängt wird. Die Drehbewegung eines kräftefreien Kreisels unterliegt neben den Kreiselgleichungen noch zwei Bedingungen: zum einen dem Drehimpulssatz und zum anderen dem Energieerhaltungssatz Im lokalen körperfesten Hauptachsensystem ausgedrückt lauten diese mit :

Diese beiden Gleichungen stellen mathematisch Ellipsoide dar, die erste das Drehimpulsellipsoid, die zweite das Energieellipsoid. Die Schnittmenge beider Ellipsoide kann Kreis-, Ellipsen- oder Taco-förmig sein. Damit beide Ellipsoide gemeinsame Punkte haben können, muss zu jedem Zeitpunkt

oder

sein, wenn wie üblich die Hauptträgheitsmomente gemäß I1 < I2 < I3 angeordnet sind.

Denn ein Punkt, der auf beiden Ellipsoiden liegt, muss die Bedingungen

erfüllen. In den letzten beiden Gleichungen sind alle Faktoren bis auf die Klammerausdrücke null oder positiv. Eine nicht-triviale Lösung existiert, wenn in den Gleichungen der kleinste Klammerausdruck nicht positiv und der größte nicht negativ ist. Mit den angenommenen Größenverhältnissen der Hauptträgheitsmomente stellen dies die obigen Schranken für das Drehimpulsbetragsquadrat und die Rotationsenergie sicher. Dann sind die Rotationsenergie und der Drehimpulsbetrag mit einer Drehbewegung des betrachteten Körpers verträglich.

Eine sinnfällige Darstellung der durch die Energie-und Drehimpulserhaltung definierten Flächen ergibt sich durch Übergang zu den lokalen Komponenten des Drehimpulses, die gemäß Li=Iiωi das Produkt des Hauptträgheitsmoments mit der entsprechenden Komponente der Winkelgeschwindigkeit sind. Aus der Erhaltung von Energie und Drehimpulsbetrag entsteht das Gleichungssystem:

Abb. 4: Trägerkurven der Lösungen der Kreiselgleichungen mit I1=2 kg m², I2=4 kg m² und I3=10 kg m². Die Kurven gleicher Rotationsenergie sind mit Werten 1,5…6 N m in 0,5 N m Schritten bei einem Drehimpuls gezeichnet.

Durch die ersten drei Kreiselgleichungen sind die letzten beiden Erhaltungsgleichungen automatisch erfüllt, was durch deren Zeitableitung nachgewiesen werden kann. Der Drehimpuls, der im raumfesten Inertialsystem konstant bleibt, liegt im lokalen, körperfesten, rotierenden Bezugssystem auf einer Kugel, die in Abb. 4 aus drei Richtungen gesehen gezeichnet ist. Denn hier können die Komponenten des Drehimpulses jedweden Punkt der Kugel einnehmen, auch wenn der Drehimpuls im Inertialsystem immer in dieselbe Richtung weist. Die zusätzliche Bedingung der Energieerhaltung zwingt die Komponenten des Drehimpulses auf ein Ellipsoid. Die Schnittmenge von Kugel und Ellipsoid sind geschlossene Kurven (rot und blau im Bild).

Die Kurven gleicher Energie und gleichen Drehimpulses degenerieren zu Punkten, wenn die Rotation um eine der Hauptträgheitsachsen erfolgt. Liegt der Drehimpuls auf der Hauptträgheitsachse mit dem größten oder dem kleinsten Trägheitsmoment (blaue bzw. rote Punkte im Bild), dann müsste, damit der Drehimpuls diesen Ort verlässt, die Rotationsenergie zu-bzw. abnehmen, was im kräftefreien Fall hier nicht gegeben ist. Deshalb sind diese Drehachsen stabile Drehachsen freier Drehungen. Ihre Schnittpunkte mit dem Energieellipsoid sind elliptische Fixpunkte einer autonomen Differentialgleichung.

Insoweit die Komponenten des Drehimpulses Lipschitz-stetig sind, können sich die Trajektorien des Drehimpulses nicht schneiden (Satz von Picard-Lindelöf). Diese Bedingung ist auf der Separatrix mit verletzt (im Bild schwarz gestrichelt), wenn wie hier I2 gemäß I1<I2<I3 das mittelgroße Hauptträgheitsmoment ist. Liegt der Drehimpuls genau auf der 2-Achse (schwarzer Punkt), dann verbleibt er dort. Befindet er sich in einem anderen Punkt in der Umgebung des Schnittpunkts, dann kann sich der Drehimpuls vom Schnittpunkt nur entfernen. Die 2-Achse ist eine instabile Drehachse, sie trifft das Energieellipsoid in einem hyperbolischen Fixpunkt oder Sattelpunkt der zugehörigen autonomen Differentialgleichung (siehe auch #Stabilität der Bewegung unsymmetrischer Kreisel weiter unten).

Der Drehimpuls durchwandert diese Kurven komplett ohne jemals stillzustehen oder gar die Umlaufrichtung zu wechseln. Denn auf den Kurven abseits der Hauptträgheitsachsen verschwindet höchstens eine Komponente des Drehimpulses. Deswegen können die lokalen Geschwindigkeiten nicht alle drei auf einmal null sein. Im Sonderfall der Separatrix bildet sich eine aperiodische Bewegung aus, denn der Drehimpuls kann die Schnittpunkte auf der 2-Achse nicht überschreiten. Es zeigt sich, dass sich die Hauptträgheitsachse mit dem mittleren Hauptträgheitsmoment auf einer Loxodrome asymptotisch der vom Drehimpuls gegebenen Achse nähert, siehe #Bewegung auf der Separatrix unten.

Wenn die Rotationsenergie abnimmt, beispielsweise durch Dissipation, wird die Drehachse in Richtung der Achse mit dem größten Trägheitsmoment wandern, was im Bild die 3-Achse ist, denn dort berührt das Energieellipsoid mit der kleinsten Energie die Drehimpulskugel.

Wenn zwei Hauptträgheitsmomente übereinstimmen, was beim symmetrischen Kreisel der Fall ist, dann ist das Energieellipsoid ein Rotationsellipsoid, die Schnittkurven mit der Kugel sind dann Kleinkreise und die Separatrix wird zu einem Großkreis. Eine instabile Drehachse existiert dann nicht.

Kräftefreier symmetrischer Kreisel

Beim symmetrischen Kreisel sind per definitionem zwei der Hauptträgheitsmomente gleich. Ohne Beschränkung der Allgemeinheit wird hier von I1=I2=:I0 und Drehung um die 3-Achse – der Figurenachse – ausgegangen.

Betrachtung im rotierenden Bezugssystem

Beim symmetrischen Kreisel vereinfacht sich die dritte Kreiselgleichung im kräftefreien Fall zu , sodass die Winkelgeschwindigkeit konstant ist. Die zwei anderen Kreiselgleichungen bilden das lineare gewöhnliche Differentialgleichungssystem

mit konstantem Koeffizient . Die allgemeine Lösung dieser Gleichungen ist wie folgt darstellbar:

Die Werte ω1,2(0) sind Anfangsbedingungen zur Zeit t=0. Falls ω3(0)=0 und/oder ω1(0)=ω2(0)=0 gilt, so bleiben ω1 und ω2 konstant und der Kreisel führt eine konstante Drehbewegung aus oder bleibt im Spezialfall ω1,2,3(0)=0 in Ruhe.

Abb. 4: Bewegungskomponenten beim kräftefreien Kreisel

Für die Skizzierung der allgemeinen Bewegung wird im Massenmittelpunkt des Kreisels zum Zeitpunkt t=0 ein kartesisches Koordinatensystem mit x-, y-und z-Achse so gelegt, dass die Figurenachse und die Winkelgeschwindigkeit in der x-z-Ebene liegen, siehe Abb. 4. Der Winkel zwischen der Winkelgeschwindigkeit und der Figurenachse sei λ. Dann ist ω1(0)=ω sin(λ), ω2(0)=0 (in Abb. 4 anders dargestellt) und ω3(0)=ω cos(λ) mit dem Betrag der Winkelgeschwindigkeit. Die zu den Winkelgeschwindigkeiten gehörenden Hauptträgheitsachsen werden mit bezeichnet.

Die oben angegebene Lösung der Kreiselgleichungen ergibt mit den getroffenen Anfangsbedingungen:

Die Amplitude ist konstant, so dass die Figurenachse und die Winkelgeschwindigkeit immer denselben Winkel, nämlich λ, einschließen. Der Differenzvektor hat den Betrag und rotiert um die Figurenachse mit der Drehzahl . Die Winkelgeschwindigkeit führt daher im körperfesten Hauptachsensystem eine Drehbewegung um die Figurenachse aus und formt dabei den körperfesten Gangpolkegel (rot in Abb. 4 und 5). Diese Bewegung der Drehachse wird als Präzession bezeichnet.

Im raumfesten System ist der Drehimpuls

um den Massenmittelpunkt konstant (grün in Abb. 4). An letzterer Zerlegung ist erkennbar, dass der Drehimpuls in der von der Figurenachse und der Winkelgeschwindigkeit aufgespannten Ebene liegt. Die Bewegung des kräftefreien symmetrischen Kreisels kann also nur darin bestehen, dass die Figurenachse und die Winkelgeschwindigkeit gemeinsam um die raumfeste Achse drehen, die durch den Drehimpuls definiert ist. Die Bewegung der Figurenachse wird Nutation genannt (schwarze Ellipse in Abb. 4 und 5).

Das Koordinatensystem kann nun – wie in Abb. 4 – so ausgerichtet werden, dass der Drehimpuls in z-Richtung weist und somit gilt. Weil sich die Rotationsenergie

ebenfalls nicht ändert, ist auch die z-Komponente ωz der Winkelgeschwindigkeit konstant. Damit bewegt sich die Winkelgeschwindigkeit auch um die raumfeste z-Richtung auf einem Kegel, dem raumfesten Rastpolkegel (blau in Abb. 4 und 5, dort „raumfester Gangpolkegel“ genannt.) Der Winkel β zwischen der Figurenachse und dem Drehimpuls sowie die z-Komponente der Winkelgeschwindigkeit können mit der mechanischen Analyse im folgenden Abschnitt ermittelt werden.

Abb. 5: Bewegungsform eines oblaten, kräftefreien Kreisels

Die drei Vektoren Drehimpuls, Figurenachse und Winkelgeschwindigkeit ändern ihre relative Position nicht: der Gangpolkegel rollt auf dem Rastpolkegel ab. Beim prolaten (schlanken) Kreisel ist und der Gangpolkegel rollt wie in Abb. 4 außen auf dem Rastpolkegel ab. Beim oblaten (stämmigen) Kreisel ist und der Gangpolkegel rollt wie in Abb. 5 innen auf dem Rastpolkegel ab.

Das Abrollen ist sogar schlupflos, denn die gemeinsame Mantellinie von Rastpol-und Gangpolkegel ist die von der Winkelgeschwindigkeit gestellte momentane Drehachse, die durch den ruhenden Massenmittelpunkt geht (in Abb. 5 anders dargestellt). Die eulersche Geschwindigkeitsgleichung reduziert sich auf , wenn der Massenmittelpunkt im Ursprung des Koordinatensystems als Bezugspunkt gewählt wird. Somit stehen die Partikel des Kreisels auf der Drehachse still (für ), der Rastpolkegel ruht sowieso, und Schlupf zwischen Gangpol-und Rastpolkegel ist mithin ausgeschlossen.

Bewegungsfunktion des symmetrischen Kreisels

Abb. 6: Das eulersche Basissystem (grün) gibt die Achsen an, um die die Euler-Winkel α, β und γ drehen.

Die Berechnung der Kreiselbewegung im raumfesten Bezugssystem gelingt mit den eulerschen Winkeln, beispielsweise in der Standard-x-Konvention (z, x', z"), siehe Abb. 6. Bezeichnen die Einheitsvektoren die raumfeste Standardbasis (blau in Abb. 6) und die mit dem Körper rotierende, bewegte Basis (rot in Abb. 6), dann lauten die mitbewegten Basisvektoren bezüglich der raumfesten Basis:

Sie finden sich in den Zeilen der Drehmatrix. Wenn, wie im vorherigen Abschnitt, der Drehimpuls in Richtung der z-Achse weist und die Winkelgeschwindigkeit ω sowie der Winkel λ vorgegeben werden, dann berechnen sich der Drehimpuls

die Winkelgeschwindigkeiten

und die Winkel

Die Funktion tan ist der Tangens und arctan seine Arkusfunktion. Die von der z-Achse und der Figurenachse aufgespannte Ebene, die auch den Winkelgeschwindigkeitsvektor enthält, schließt mit der x-z-Ebene den Winkel

ein, eine Bewegung, die als Nutation bezeichnet wird.

Beweis
Der Nachweis gelingt mit dem Lagrange-Formalismus wie folgt. Bezeichnen die Einheitsvektoren die raumfeste Standardbasis (blau in Abb. 6) und die mit dem Körper rotierende, bewegte Basis (rot in Abb. 6), dann lauten die Vektoren des eulerschen Bezugssystems, das die Achsen angibt, um die die Winkel α, β bzw. γ drehen (grün in Abb. 6):


Damit ergibt sich die Winkelgeschwindigkeit im bewegten System zu:

Der Drehimpuls ist in Abwesenheit äußerer Momente konstant und weise in z-Richtung:

Die Lagrange-Funktion ist hier die kinetische Energie des Kreisels:

Dem Lagrange-Formalismus zufolge sind die Winkel α und γ zyklisch und ihre konjugierten Impulse konstant:

Die erste Gleichung bestätigt die Erhaltung des Drehimpulses und die zweite zeigt, dass die Winkelgeschwindigkeit ω3 um die Figurenachse und der Winkel β zwischen der Figurenachse und der z-Richtung konstant sind.
Die dritte Bewegungsgleichung resultiert aus der Lagrange-Funktion für β:

Für den Drehimpuls bedeutet das:

Aus folgt weiter

Im eulerschen Bezugssystem ist wegen . Die Winkelgeschwindigkeit um die z-Achse berechnet sich damit zu

Anfangsbedingungen
Zur Zeit t=0 ist und diesen Wert behält ω3. Der Winkel β kann nun als Funktion des Winkels λ ausgedrückt werden:


Der Kotangens cot ist der Kehrwert des Tangens. Wegen und folgt für den Drehimpuls:

Die Vorgaben

können mit dem Anfangswert des Winkels γ von erfüllt werden, sodass . Die Winkelgeschwindigkeit lautet zur Zeit t=0:

Damit diese in der x-z-Ebene liegt, wird der Anfangswert von α auf gesetzt, sodass sich

ergibt. Wenn der Drehwinkel der Figurenachse um die z-Achse mit φ bezeichnet wird und zu Beginn den Wert null hat, dann folgt:

Kräftefreier unsymmetrischer Kreisel

Unsymmetrische Kreisel besitzen per definitionem drei verschiedene Hauptträgheitsmomente. Dreht sich ein solcher Kreisel um die 3-Achse, dann kann diese Bewegung instabil oder stabil sein. Im ersteren Fall nehmen kleine Störungen exponentiell zu und der Kreisel beginnt zu torkeln, was im nächsten Abschnitt begründet wird. Im stabilen Fall bilden sich periodische Bewegungsformen des zweiten Abschnitts aus. Über den Spezialfall der Bewegung auf der Separatrix, die im Abschnitt #Allgemeine Eigenschaften der Bewegung krätefrei rotierender Kreisel definiert wurde, wird am Schluss informiert.

Stabilität der Bewegung unsymmetrischer Kreisel

Dschanibekow-Effekt: in der Schwerelosigkeit gefilmte Bewegung eines Bauteils um seine instabile Hauptträgheitsachse. Es sei betont, dass der Drehimpuls des Bauteils dabei erhalten bleibt.

Die Hauptachsen mit dem größten oder dem kleinsten Hauptträgheitsmoment sind stabile Drehachsen. Dies ist spätestens seit 1851 bekannt[1] und mit einem rotierend in die Höhe geworfenenen Tischtennisschläger auch leicht zu demonstrieren. Im Englischen ist die Aussage entsprechend als „Satz vom Tennisschläger“ (tennis racket theorem)[2] geläufig. Nachdem der sowjetische Kosmonaut Wladimir Dschanibekow während eines Raumfluges 1985 die Bewegung eines Bauteils um seine instabile Hauptträgheitsachse beobachtet hat, wurde der Sachverhalt genauer untersucht[3] und wird seitdem gelegentlich „Dschanibekow-Effekt“ genannt.

Um die Stabilität der Drehachsen zu prüfen, soll der Kreisel zunächst vor allem um die 3-Achse rotieren: und . Nun lauten die Kreiselgleichungen

Analog zur #Betrachtung im rotierenden Bezugssystem entsteht durch Ableitungen nach der Zeit und mit der näherungsweisen Konstanz der Winkelgeschwindigkeit ω3:

Falls k negativ ist, kommt es zu positiver Rückkopplung der Winkelgeschwindigkeiten und damit zum Verlassen der Rotation um die 3-Achse hin zu einem Torkeln. Falls k positiv ist, ergeben sich periodische Bewegungsformen. Dafür müssen die Hauptträgheitsmomente I1,2 entweder beide größer oder beide kleiner als das dritte Hauptträgheitsmoment I3 sein, woraus die obige Aussage über die Stabilität der Achsen folgt.

Bewegungsfunktion des unsymmetrischen Kreisels

Abb. 7: Zeitverläufe der Jacobi’schen elliptischen Funktionen sn, cn und dn bei k=0,95

Die Hauptträgheitsmomente seien derart nummeriert, dass I1< I2< I3 gilt. Dann können die Kreiselgleichungen im kräftefreien Fall mit den Jacobi’schen elliptischen Funktionen sn, cn und dn erfüllt werden[4]. Aus der Rotationsenergie und dem Betragsquadrat des Drehimpulses

ergeben sich die Winkelgeschwindigkeiten

mit den Amplituden

der Frequenz und dem elliptischen Modul

Es zeigt sich

sodass die vorgenannten Konstanten reell sind. Die Funktionen sn und cn sind periodisch mit der Periode 4K und dn mit der Periode 2K, siehe Abb. 7. Dabei ist K das vollständige elliptische Integral erster Art:

Damit ist die Winkelgeschwindigkeit periodisch mit der Periodenlänge . Nach dieser Zeit ist die Winkelgeschwindigkeit wieder in ihren Ausgangszustand zurück gekehrt:

Allerdings gilt das nicht für den Kreisel als Ganzem: Dieser kehrt im Allgemeinen nicht in eine Anfangslage zurück.[4] Die eulerschen Winkel – siehe #Bewegungsfunktion des symmetrischen Kreisels – ergeben sich zu

Die Formeln bleiben gültig, wenn die Hauptträgheitsmomente die umgekehrte Reihenfolge I1 > I2 > I3 aufweisen. Allerdings kehren die Differenzen

ihr Vorzeichen um. Anders als beim kräftefreien symmetrischen Kreisel sind die Winkelgeschwindigkeiten und der Winkel β zwischen dem Drehimpuls und der 3-Achse nicht konstant. Im Spezialfall I1=I2 ist A1=A2 und k=0, sodass die elliptischen Funktionen sn und cn in die harmonischen Funktionen sin bzw. cos übergehen und dn≡1 ist. Dann geht die hiesige Lösung in die des symmetrischen Kreisels über.

Beweis
Zunächst wird gezeigt, dass die Winkelgeschwindigkeiten den eulerschen Kreiselgleichungen genügen. Die Jacobi’schen elliptischen Funktionen erfüllen die Differentialgleichungen


Mit und ergibt sich daraus im Einklang mit den Kreiselgleichungen:

Vergleich der Komponenten des Drehimpulses in euler-Winkeln (siehe #Betrachtung im rotierenden Bezugssystem beim symmetrischen Kreisel) liefert im mitbewegten System :

Der Winkel α bestimmt sich mit und cn²=1-sn² aus

Bewegung auf der Separatrix

Abb. 8: Weg eines Punktes auf der 2-Achse (rot) um die Drehimpulsachse (senkrechte Linie) entlang einer Loxodrome

Auf der Separatrix ist und die Bewegung aperiodisch, weil die Winkelgeschwindigkeit keinen Zustand ein zweites Mal einnimmt. Die Bewegung des Kreisels ist hier dadurch gekennzeichnet, dass die von der 2-Achse und dem Drehimpuls aufgespannte Ebene mit konstanter Winkelgeschwindigkeit L/I2 um die Drehimpulsachse kreist und der Endpunkt der 2-Achse sich auf einer Loxodrome mit dem Richtungswinkel

der durch den Drehimpuls definierten Achse nähert, siehe Abb. 8. Die Formeln des vorangegangenen Abschnitts sind hier zwar gültig, aber weil der elliptische Modul den Extremwert

annimmt, gehen die elliptischen Funktionen in die aperiodischen Hyperbelfunktionen über:

und

Die Frequenz und die Winkelgeschwindigkeiten des vorangegangenen Abschnitts spezialisieren sich damit zu:

Mit fortschreitender Zeit gehen ω1 und ω3 gegen null und ω2 gegen L/I2. Die Bewegung kommt einer Drehung um die 2-Achse beliebig nah ohne diesen Zustand jemals zu erreichen. In der Realität wird diese Bewegungsform kaum auftreten, denn bei der kleinsten Abweichung vom Idealfall ist k≠1 und die Winkelgeschwindigkeiten werden zu den periodischen des vorangegangenen Abschnitts. Eine Bewegung nahe der Separatrix zeigt der Dschanibekow-Effekt.

Abb. 9: Verwendetes Basissystem und Meridian

Für die Berechnung der Bewegung wird, anders als im vorigen Abschnitt, der Ansatz für das lokale Basissystem benutzt, siehe Abb. 9 und vgl. Abb. 6.

Die eulerschen Winkel – siehe #Bewegungsfunktion des symmetrischen Kreisels – ergeben sich bei einem Drehimpuls in z-Richtung und einem Start mit ω2=0 zu

Die von der 2-Achse und dem Drehimpuls aufgespannte Ebene kreist mit konstanter Winkelgeschwindigkeit L/I2 um die Drehimpulsachse und der Winkel β geht mit fortschreitender Zeit gegen null.

Beweis
Denn im Basissystem


ergibt sich:

Die Komponenten der Winkelgeschwindigkeit werden mit dem neuen Basissystem:

Nun kann die Winkelgeschwindigkeit mit aus bestimmt werden zu

Die Achse um die der Winkel β dreht ist und der Meridian hat somit die Richtung

Die Rate der 2-Achse ist

Mit den obigen Zwischenergebnissen und den trigonometrischen Formeln berechnet sich der Richtungswinkel zwischen Meridian und der Rate des 2-Vektors zu der Konstanten

Der Bruch in der Wurzel ist positiv und kleiner als eins:

Beispiel rotierendes Pendel

Abb. 10: Ein um die senkrechte z-Achse rotierendes Pendel

Mit einem rotierenden Pendel wird hier ein sphärisches Pendel gemeint, das um eine Achse, die durch seinen Aufhängepunkt geht, rotiert, siehe Abb. 10. Üblicher Weise werden solche sphärische Pendel mit Punktmassen modelliert und mit dem Lagrange-Formalismus behandelt. Hier soll der Pendelkörper eine ausgedehnte und mit Massenträgheit ausgestattete Kugel sein und die Kreiselgleichung angewendet werden.

Bei einem rotierenden Pendel muss die Winkelgeschwindigkeit einen kritischen Wert überschreiten, damit eine Gleichgewichtslage ohne Winkelbeschleunigungen möglich ist. Um eine solche Gleichgewichtslage sind kleine harmonische Schwingungen möglich.

Das ergibt sich aus den Kreiselgleichungen wie folgt: Das rotierende Pendel bestehe der Einfachheit halber aus einer mit Masse m und Massenträgheitsmoment I ausgestatteten Kugel, die in der Entfernung r vom Drehpunkt fest an einem starren Pendelarm mit vernachlässigbarer Masse befestigt ist und mit der konstanten Winkelgeschwindigkeit ω um die vertikale z-Achse kreist. Bei einer Kugel sind alle Richtungen Hauptachsen und so werde die Richtung zum Aufhängepunkt als 1-Richtung definiert und die 2-Richtung sei dazu senkrecht, radial nach außen orientiert. Die 3-Richtung ist die zur 1-2-Ebene senkrechte Umfangsrichtung. Wegen der starren Verbindung zum Pendelarm ist . Der Ortsvektor des Aufhängepunkts ist von der Kugel aus gesehen . Die konstante vertikale z-Richtung lautet mit dem Sinus und Kosinus dann

Die Winkelgeschwindigkeit hat eine Komponente in z-Richtung und eine in Umfangsrichtung und mit ihr berechnen sich die Zeitableitungen der Basisvektoren:

Weil die Winkelgeschwindigkeit ω konstant sein soll, dies jedoch im Allgemeinen nicht ist, ist der Drehimpuls hier im Allgemeinen nicht konstant.

Die Gewichtskraft der Kugel ist das Produkt aus ihrer Masse und der Schwerebeschleunigung g und wird im Aufhängepunkt von einer entgegengesetzt gleichgroßen Aufhängekraft mg getragen, die ein Moment

im Schwerpunkt der Kugel hervorruft. Ein mit der Kugel bewegter Beobachter befindet sich in einem beschleunigten Bezugssystem und muss deshalb auf ein Teilchen mit Masse μ eine Kraft aufbringen, damit das Teilchen relativ zu ihm ruht. Der Beobachter erklärt sich das mit einer Scheinkraft , die am Teilchen angreift. Das gilt auch für die Kugel als ganzes. Entsprechend wirkt aus Sicht des Beobachters auf die Kugel eine Scheinkraft

Diese wird nach dem Prinzip Actio und Reactio mit umgekehrtem Vorzeichen im Lager abgetragen und bringt dort ein entsprechendes scheinbares Moment auf die Kugel auf:

Ein Moment mit Komponenten in 1-und 2-Richtung muss eingeleitet werden, damit die Kugel nicht um die Stabachse dreht und eine gleichbleibende Winkelgeschwindigkeit ω in z-Richtung besitzt. Dieses Drehmoment bedingt eine zeitliche Änderung des Drehimpulses. Die Kreiselgleichungen in 1-und 2-Richtung dienen nur der Bestimmung dieses Moments , das hier jedoch nicht interessiert. Die Zwangskraft, die für den gleichbleibenden Abstand der Kugel vom Lager sorgt, verursacht, weil sie in Richtung der Stabachse weist, kein Moment. Um die 3-Richtung kann die Kugel frei drehen und die dritte Komponente der Kreiselgleichung liefert dafür die Bedingung

Gleichgewichtslagen

In Gleichgewichtslagen ohne Winkelbeschleunigungen ergibt sich aus der letzten Gleichung mr sin(α)=0 – dann liegt der Schwerpunkt der Kugel auf der z-Achse – oder:

Die Winkelgeschwindigkeit ω muss wegen

einen kritischen Wert überschreiten, damit eine Gleichgewichtslage ohne Winkelbeschleunigungen mit positivem Winkel im Bereich 0° < α < 180° möglich ist. Wegen ist der Winkel bei Gleichgewichtslagen sogar auf den Bereich 0° ≤ α < 90° eingeschränkt.

Energiebetrachtung

Die dritte Kreiselgleichung kann nach Multiplikation mit einmal integriert werden:

Die Integrationskonstante E ist die Energie des Pendels im rotierenden System: Der erste Term auf der rechten Seite ist die Rotationsenergie der Drehung um die 3-Achse, der zweite Term das Zentrifugalpotential der Drehung um die z-Achse und der letzte Term die potentielle Energie der Kugel.[5]

Schwingungen

Die dritte Kreiselgleichung kann um einen Punkt α0 linearisiert werden. Dazu wird α=α0+δ mit konstantem α0 und kleiner Abweichung δ angenommen. Dann ist sin(δ)≈δ, cos(δ)≈1 und mit den Additionstheoremen entwickelt sich:

Bei α0=180°, also am oberen Totpunkt, ist die unterstrichene Differenz negativ und eine Schwingung mithin nicht möglich. Deswegen ist der obere Totpunkt eine instabile Gleichgewichtslage.

Am unteren Totpunkt bei α0=0° gilt:

  • Wenn , dann ist der unterstrichene Term positiv und es können kleine Schwingungen stattfinden. Der untere Totpunkt ist in diesem Fall eine stabile Gleichgewichtslage.
  • Wenn , dann ist der unterstrichene Term negativ und der untere Totpunkt somit eine instabile Gleichgewichtslage. Hier findet eine Pitchfork-Bifurkation statt.[5]

Wenn α0 eine Gleichgewichtslage ist, dann entfällt die auslenkende Kraft, und es ergibt sich die Schwingungsgleichung

Um eine Gleichgewichtslage ist eine (kleine) Schwingung immer möglich, weil der Term in den Klammern dann positiv ist.

Siehe auch

Literatur

  • Herbert Goldstein, Charles P. Poole, Jr, John L. Safko: Klassische Mechanik. 3. Auflage. Wiley-VCH, Weinheim 2006, ISBN 3-527-40589-5.
  • V. I. Arnold: Mathematical Methods of Classical Mechanics. 2. Auflage. Springer, New-York / Berlin / Heidelberg / London / Paris / Tokyo 1989, ISBN 3-540-96890-3.
  • K. Magnus: Kreisel. Theorie und Anwendungen. Springer, Berlin / Heidelberg / New York 1971, ISBN 3-540-05198-8.
  • R. Grammel: Der Kreisel. Seine Theorie und seine Anwendungen. 2. überarb. Auflage. Band 2. Springer, Berlin / Göttingen / Heidelberg 1950, DNB 451641280 (archive.org – Schwung=Drehimpuls, Drehstoß=Drehmoment, Drehwucht=Rotationsenergie).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Louis Poinsot: Théorie nouvelle de la rotation des corps. Bachelier, Paris 1834/1851.
  2. tennis racket theorem in der englischsprachigen Wikipedia
  3. Mark S. Ashbaugh, Carmen C. Chicone, Richard H. Cushman: The twisting tennis racket. In: Journal of Dynamics and Differential Equations, 3, 1, 1991, S. 67–85.
  4. a b Andreas Wipf: Theoretische Mechanik. (PDF) Vorlesungs-Skriptum. Universität Jena, 2003, S. 153 bis 160, abgerufen am 2. Juli 2016 (deutsch).
  5. a b P. Eckelt: Theoretische Mechanik. (PDF) Institut für Theoretische Physik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, 2000, S. 11 bis 13, abgerufen am 16. Juli 2016 (deutsch, siehe auch die dort angegebenen Quellen).