Oskar Schlemmer

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Schlemmers Bauhaustreppe (1932)

Oskar Schlemmer (* 4. September 1888 in Stuttgart; † 13. April 1943 in Baden-Baden) war ein deutscher Maler, Bildhauer und Bühnenbildner. Schlemmer thematisierte in seinen Werken vor allem die Stellung der menschlichen Figur im Raum. In seiner Hauptschaffensperiode (1920–1932) entstanden zahlreiche Gemälde stereometrischer Figuren sowie ineinander greifender Figurengruppen, in deren geometrisch-choreographischer Ausgestaltung universelle Harmonisierungsbestrebungen anklingen.

Leben

1888–1919

Oskar Schlemmers Eltern Mina Neuhaus und der Kaufmanns und Komödiendichter Carl Leopold Schlemmer starben um 1900. Oskar war das jüngste von sechs Geschwistern. Ab 1899 lebte er im schwäbischen Göppingen, wo er zunächst die Realschule besuchte. Nach dem Tod seiner Eltern verließ er die Schule bereits 1903 aus finanziellen Gründen. Noch im gleichen Jahr zog der inzwischen Fünfzehnjährige nach Stuttgart, wo er eine Ausbildung als kunstgewerblicher Zeichner in der führenden Intarsienwerkstatt Wölfel & Kiessling begann. Ab 1904 besuchte er nebenher eine Fortbildungsschule, an der Figurenzeichnen und Stillehre unterrichtet wurde.

Nach Abschluss der Lehre schrieb sich Schlemmer an der Stuttgarter Kunstgewerbeschule ein, die er jedoch nur unregelmäßig besuchte und nach einem Semester wieder verließ. Im Herbst 1906 wurde er in die Stuttgarter Akademie für Bildende Künste aufgenommen. Dort machte Schlemmer Bekanntschaft mit Willi Baumeister, Alf Bayrle und Otto Meyer-Amden. Mit letzterem verband Oskar Schlemmer eine lebenslange Freundschaft. 1909 trat Schlemmer in die Kompositionsschule von Friedrich von Keller und damit in die Meisterklasse ein. Zwei Jahre später zog der Maler nach Berlin, wo er zunächst versuchte selbstständig weiterzuarbeiten. In seinem Jahr in Berlin lernte er sowohl die Formenanalyse des Kubismus, als auch die französische Avantgarde kennen. Ebenso schloss er erste Kontakte zum so genannten Sturm-Kreis um Herwarth Walden.

1913 kehrte Schlemmer nach Stuttgart zurück und wurde Meisterschüler bei Adolf Hölzel. In dieser Zeit lernte er das Tänzerpaar Albert Burger und Elsa Hötzel kennen. Mit ihnen fand er Begeisterung am Bühnenwerk; erste Skizzen für sein später berühmtes Triadisches Ballett entstanden bereits hier.

Der Versuch, gemeinsam mit seinem Bruder 1913 einen Kunstsalon am Neckartor zu eröffnen, der als Ausstellungsfläche avantgardistischer Kunst dienen sollte, scheiterte nicht zuletzt an einem verheerenden Presseecho. Nach wenigen Monaten musste die Galerie wieder schließen. 1914 erhielt er zusammen mit Willi Baumeister und Hermann Stenner den Auftrag, zwölf Wandbilder für die Haupthalle der Deutschen Werkbundausstellung in Köln auszuführen. In diesem Zusammenhang wurde der spätere Bauhausgründer Walter Gropius erstmals auf Schlemmer aufmerksam.

Mit Beginn des Ersten Weltkriegs meldete sich Schlemmer freiwillig zum Dienst. Er wurde zunächst an der Westfront, später an der Ostfront in Russland eingesetzt. Verletzung und anschließende Rekonvaleszenz ermöglichten ihm jedoch die Fortsetzung seiner Malerei. 1918 stellte er gemeinsam mit Willi Baumeister Arbeiten im Stuttgarter Kunsthaus Schaller vor. Eine weitere Gemeinschaftsausstellung folgte zwei Jahre später in der Galerie Der Sturm in Berlin. Bereits 1919 hatte sich Schlemmer gemeinsam mit Baumeister und anderen Kunstschaffenden zur Üecht-Gruppe zusammengeschlossen, einer Künstlervereinigung, die sich – allerdings erfolglos – für eine umfassende Reform des Kunstunterrichts einsetzte und für die Berufung von Paul Klee nach Stuttgart eintrat.

1920–1932

Im Herbst 1920 heiratete Schlemmer Helena Tutein, von da an genannt „Tut Schlemmer“. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor. Noch im Jahr seiner Eheschließung wurde er von Walter Gropius an das Bauhaus in Weimar berufen. Dort wurde ihm die Leitung der Werkstatt für Wandbildmalerei übertragen; später die für Holz- und Steinbildhauerei.

Im Folgejahr gestaltete Schlemmer Bühnenbilder und Kostüme für Operneinakter von Franz Blei und Oskar Kokoschka, zu denen Paul Hindemith die Musik komponierte. Im September 1922 wurde sein Triadisches Ballett in Stuttgart uraufgeführt; ein dreigliedriger Tanz, dessen Tanzfolgen sich vom Scherzhaften zum Ernsthaften entwickeln. So genannte Figurinen, von Schlemmer entwickelte Kostümkörper, zielten dabei auf eine erste „Demonstration raumplastischer Kostüme“. Oskar Schlemmer übernahm 1923 die Ausführung für die Wandgestaltung im Weimarer Werkstattgebäude.

1925 übersiedelte das Bauhaus nach Dessau, wo Schlemmer nun auch die Bauhausbühne als eigenständige Abteilung leitete. Er verfasste den grundlegenden Artikel Mensch und Kunstfigur, in welchem er den Anspruch allgemeingültiger Typisierung mittels Maskierung und Kostümierung formulierte. In seinen Dessauer Jahren entstanden auch seine zukunftsweisenden Bauhaustänze.

Eine Neuauflage des Triadischen Balletts mit Orgelmusik von Hindemith erfolgte ab 1926 in mehreren deutschen Städten. Die Aufführungen machten Schlemmer international bekannt. Es folgten Einladungen zu Ballettaufführungen in Paris und New York.

Ab April 1928 übernahm er umfangreiche Lehrverpflichtungen am Bauhaus. Neben Zeichenunterricht und Bühnetheorie etablierte Schlemmer das Unterrichtsfach Der Mensch, das sich an zeichnerisch-formalen, biologischen und philosophischen Inhalten versuchte.

Im Sommer 1929 verließ Schlemmer das Bauhaus und wurde im Juni von Oskar Moll an die Staatliche Akademie für Kunst und Kunstgewerbe Breslau berufen, wo er bis zur Schließung 1932 unterrichtete. Er wurde mit der Leitung einer Bühnenkunstklasse beauftragt und entwickelte das Lehrgebiet Mensch und Raum. Fast ein Jahr zuvor hatte er einen Auftrag zur Wandgestaltung des Brunnenraumes im Museum Folkwang in Essen angenommen. An dessen endgültiger Fertigstellung arbeitete er bis 1930.

Zu Beginn seiner Breslauer Zeit übernahm Oskar Schlemmer die Bühnengestaltung für zwei Kurzopern von Igor Strawinsky. Das musikalische Drama Die glückliche Hand von Arnold Schönberg wurde schließlich die letzte Szenengestaltung Schlemmers, die zur Aufführung gebracht wurde.

Schlemmer stand nun auf dem Höhepunkt seines Wirkens. Bei Ausstellungen in Basel, Köln und Darmstadt erfuhr er Anerkennung und erhielt Auszeichnungen. Er war bei der XVII. Biennale Venedig vertreten, zeigte Bilder in München und Essen und nahm an Gruppenausstellungen zeitgenössischer Kunst in Belgrad, Zagreb, New York und Brüssel teil. Die Berliner Galerie Flechtheim veranstaltete Anfang 1931 schließlich eine Einzelausstellung, die später nach Krefeld und Zürich wanderte.

Die politische Radikalisierung durch die NSDAP führte zunehmend zu Diffamierungen moderner Kunst und Künstler. Bereits 1930 war Schlemmers Wandgestaltung für das Weimarer Werkstattgebäude auf Anordnung des thüringischen Staatsministers für Inneres und Volksbildung Wilhelm Frick übermalt worden.

Ende März 1932 stellte die Breslauer Akademie durch Notverordnung ihren Lehrbetrieb weitgehend ein. Wenige Monate später siedelte Schlemmer nach Berlin über, wo er einen Lehrauftrag an den Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst annehmen konnte. Oskar Schlemmers bekanntestes Gemälde, Bauhaustreppe (Museum of Modern Art, New York), entstand damals. Alf Bayrle, mit dem Schlemmer aus seiner Stuttgarter Zeit befreundet war, organisierte und gestaltete mit ihm eine Aufführung des Triadischen Balletts in Paris.

1933–1943

Die Machtergreifung Adolf Hitlers zu Beginn des Jahres 1933 läutet Schlemmers letztes Lebensjahrzehnt ein; für ihn eine Zeitspanne geistig-existentieller Verdüsterung. Zum gesellschaftlichen Unglück trat das private: Bereits am 15. Januar 1933 starb sein bester Freund und geistiger Partner Otto Meyer-Amden.

Gedenkstele für den Künstler in der Ortschaft Eichberg

Nach und nach wurde Schlemmer nun aus der öffentlichen Kunstszene ausgeschaltet. Im März wurde seine erste große Retrospektive im Württembergischen Kunstverein Stuttgart noch vor der Eröffnung von den Nationalsozialisten geschlossen.[1] Die Nazi-Presse bezeichnete Schlemmer als Kunstbolschewisten. Im Mai erfolgte seine fristlose Kündigung an den Berliner Vereinigten Kunstschulen. 1934 fielen seine Wandbilder für das Essener Museum Folkwang dem Bildersturm der Nationalsozialisten zum Opfer.

Bekannte vermittelten Schlemmer einen relativ sicheren Ort in Baden nahe der Schweizer Grenze. Er ließ sich mit seiner Familie in Dettighofen-Eichberg nieder und entzog sich damit vorerst weiteren Auseinandersetzung im nationalsozialistischen ‚Kunstbetrieb‘. Trotz sparsamster Lebensweise war dies eine glückliche Zeit für die Familie und die Natur für den Künstler eine Herausforderung.

Ab dem 19. Juli 1937, einen Tag nach Eröffnung der Großen Deutschen Kunstausstellung im Haus der Kunst in München durch Adolf Hitler, wurde im Galeriebau am benachbarten Hofgarten die Schmähausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt, bei der Schlemmer mit fünf Gemälden vertreten war. Wenige Wochen später tauchte eines seiner Bilder in der Berliner Propagandaschau Bolschewismus ohne Maske auf.

Am 30. September 1937 verließ er Dettighofen mit seiner Familie wieder und siedelte nach Sehringen, einem heutigen Ortsteil von Badenweiler, um.[2] Hier geriet er jedoch bald in finanzielle Bedrängnis und damit in existentielle Nöte. Er entschloss sich 1938, eine Anstellung beim Stuttgarter Malerbetrieb Albrecht Kämmerer anzunehmen, die ihm durch Vermittlung Baumeisters angeboten wurde. Zu den für einen Künstler unbefriedigenden Arbeiten dieser Zeit gehörten verschiedene Ausmalungen an Bauten sowie Tarnanstriche für Militärflugplätze und Industrieanlagen.

Im Herbst 1940 siedelte Oskar Schlemmer nach Wuppertal über, wo er in der Firma des Lackfabrikanten Dr. Kurt Herberts die künstlerische Verwendung von Lackfarben erproben sollte. Der Unternehmer bot auch einer Reihe anderer Künstler Arbeitsmöglichkeiten, unter ihnen Carl Grossberg, Georg Muche und Willi Baumeister. Offiziell wurden sie als Professoren für Maltechnik geführt. Bei Herberts wirkte Schlemmer an einer Publikationsreihe mit, die unterschiedliche maltechnische Ergebnisse zusammenfasste. Es entstand der Plan zu einem Lackkabinett, Wand- und Deckenbetafelungen, die sich zu einem Gesamtkunstwerk verbinden sollten. Das Projekt wurde aus Kostengründen nicht realisiert. Stattdessen begann Schlemmer 1942 mit den Wuppertaler Fensterbildern seine finale Werkgruppe.

Die fremdbestimmte Lebenszeit durch Auftragsarbeiten sowie die fehlende Möglichkeit, eigenes Kunstschaffen vorantreiben zu können, lösten bei ihm in jener Zeit seelische und körperliche Erschütterungen aus, die in einen chronischen Schwächezustand mündeten. Nach diagnostizierter Gelbsucht und akutem Diabetes sowie einem Koma-Anfall folgten Aufenthalte in Krankenhäusern in Stuttgart und Freiburg im Breisgau. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich in den Folgemonaten noch weiter. Im April 1943 begab er sich in ein Sanatorium in Baden-Baden, wo er bereits nach wenigen Tagen Aufenthalt einer Herzlähmung erlag. Er wurde auf dem Waldfriedhof Stuttgart in Stuttgart-Degerloch beigesetzt.

Werk

1906–1919

Bereits in einer frühen Phase deutete Schlemmer sein Interesse für Puppen- und Maskenhaftes an (Stillleben mit drei Kasperpuppen, 1906). Die Figur im Raum war sein großes Gleichnis. Schlemmers Akademiejahre waren jedoch noch durch eine Vielzahl von Formen und Stilen gekennzeichnet, die zunächst unvermittelt nebeneinander standen. Es entstanden Ölbilder in pastoser Malweise, Ansätze schwäbischer Freilichtmalerei und Bekundungen französischer Peinture (Halbakt im Interieur, 1909), während in Jagdschloss im Grünwald (1911) die Auseinandersetzung mit dem frühen Kubismus anklang und das Verhältnis von Raumdimensionen zu Flächendimensionen erprobt wurde.

Ab 1912 tendierte Schlemmer in figürlichen Darstellungen zur systematischen Aufhebung individueller Attribute (Weiblicher Kopf in Grau, 1912). In dieser Phase gelangten seine Arbeiten zu höheren Stufen der Objektivierung und Entpersönlichung. Figurale Abstraktionen wiesen bereits den Weg auf allgemeingültige Typengestaltung, der mit dem Werk Geteilte Figur (1915) in die vollständige Abstraktion führte. Ein Achsenkreuz aus horizontalen und Vertikalen Linien bildete hierbei das Bezugssystem für die Umrissfigur.

Nach Ausführungen von Wandbildern gemeinsam mit Hermann Stenner und Willi Baumeister für die Haupthalle der Deutschen Werkbundausstellung in Köln im Jahre 1914, in denen der Stuttgarter sich in architekturbezogener Ausmalung üben konnte, resultierte seine formelle Vereinfachung 1916 in dem Bild Homo, das eine Grundfigur im Seitenprofil zeigt, die in modifizierter Form immer wieder bei Schlemmer erschien.

Schlemmers Bemühungen um überindividuelle, typenhafte Figurisation wurden in der vielfigurigen Komposition Plan mit Figuren (1919) gebündelt. Schematische Umrissfiguren sind hier in eine Fläche eingepasst und ins Modulare verstärkt. Anthropomorphe Gestalten wurden auf Kunstfiguren reduziert. Schlemmer versuchte sich nun auch an verschiedenen Reliefplastiken, die seine Formensprache in die Raumperspektive ausdehnten (Ornamentale Plastik auf geteiltem Rahmen, 1919/23).

1920–1932

Schlemmers Konzentrische Gruppe (1925) auf einer bundesdeutschen Briefmarke (1975)
Drei Figuren am Geländer, 1933, Städelsches Kunstinstitut

Oskar Schlemmers Kunstschaffen lässt sich keiner der damals vorherrschenden Stilbezeichnungen zuordnen. Zwar ist seine Malerei mit den konstruktivistischen Prinzipien von Linie, Tektonik und Ökonomie verbunden, aufgrund seines durchdringenden Leitbildes vom „Mensch als Maß und Mitte“ von diesen jedoch getrennt. Schlemmers „Mitte-Begriff“ zielt auf ein Ringen um Ausgleich und Vereinigung. Als deutscher Künstler, also aus dem „Land der Mitte“ kommend, glaubte er sich einer Vermittlung gegensätzlicher Kräfte besonders verpflichtet. Daraus erklärt sich sein lebenslanges Streben nach Synthese, Harmonie und Universalität, das in der mittleren Phase seines Kunstlebens besonderen Ausdruck erfuhr.

Ab 1923 entstanden jene Bilder, die Schlemmers Ruhm begründen. Die Bauhausidee, die alles Gestaltbare funktional ästhetischer Prägung unterziehen soll, will Architektur, Malerei und Plastik miteinander verschmelzen und gleichzeitig zur Versöhnung zwischen Technik und Kunst sowie Mensch und Zivilisation beitragen. Der Kern dieser Idee fand nun Eingang in Schlemmers Werk. Er befreite seine Bilder von störendem Beiwerk und aller Zufälligkeit. Mit Tischgesellschaft (1923) behandelte er nicht nur eines seiner Lieblingsthemen, er führte auch die figürliche Rückenansicht ein, ein Motiv, das bei ihm nun immer häufiger bildbestimmend war, so etwa bei Vorübergehender (1924/25).

Mit dem Bild Römisches[3] von 1925, das klassizistische Anleihen birgt, wurde die zuvor strenge Planimetrie in perspektivische Raumtiefe überführt. Sich überschneidende Figuren gehen hier vielseitige Beziehungen zur Raumumgebung ein. Die Anatomie der menschlichen Gestalt tritt in spannungsreiche Wechselwirkung mit dem Raum. Auch die Palette änderte sich, sie wurde farbiger und kontrastreicher.

Schlemmer fand nun zu seinem Sinnbild des modernen Menschen, eines überindividuellen, sachlichen und überzeitlichen Typus', den er mit der Idee des modernen Baus verknüpfte. Mensch und Raum wurden verzahnt, Schlemmers Bildwelten überwanden die strikte Trennung von figürlich-organischer Lebendigkeit und räumlich-technischer Konstruktion.

Schlemmer verzichtete bei seinen Figuren auf physiognomische oder physische Besonderheiten, die dem Einzelnen Gepräge, Identität verleihen. Seine Geschöpfe sind stereometrische Gliederpuppen, homogen und austauschbar. Jedoch sind sie nicht Ausdruck großstädtischer oder zivilisatorischer Anonymität, wie noch bei George Grosz oder Giorgio de Chirico. Vielmehr beschrieb der Maler sein Menschenbild als technisch funktional. Zugleich spiegelte er den Körperkult der zwanziger Jahre wider, der sich durch Rückbesinnung auf die natürliche Schönheit des Menschen äußerte. Nicht nur ein neues Körperbewusstsein, sondern die Hinwendung zu einem neuen Lebensgefühl, in dem Organismus und Geist einheitlich zusammenwirken, war das Ziel, das Erziehungsreformer dieser Zeit anstrebten und von dem auch Schlemmer nicht unberührt blieb. Damit wurden Schlemmers Figuren zu Gegenthesen reiner Kreatürlichkeit.

Er entdeckte die menschliche Gestalt, die weder Individuum noch Ausdrucksträger sein soll, als Ideal des Absoluten, eingespannt in den tektonisch gegliederten Raum. „Ich will Menschen-Typen schaffen und keine Porträts, und ich will das Wesen des Raumes und keine Interieurs.“[4][5] Planimetrische und stereometrische Bezüge verbanden sich auch in Vierzehnergruppe in imaginärer Architektur (1930) zu einer bildtragenden figuralen Reihung. Menschenkörper bilden hier eine gymnastische Formation aus, die die Architektur des Raumes überlagert.

Zwischen 1928 und 1930 gestaltete Schlemmer Wandbilder für den Brunnenraum des Museums Folkwang in Essen.[6] Sein Thema war auch hier das Gesamtkunstwerk, in dem sich die Gesetze des Raumes und das Maß des Menschen begegnen.

Ab 1931 entstand eine Gruppe von Bildern, die Treppen und Geländermotive zum Gegenstand haben (Gruppe am Geländer, 1931). Figuren waren nun hinter- und übereinander gestaffelt und in einer rasterhaften Flächigkeit koordiniert. Axiale oder diagonale Geländerverstrebungen steuern Rhythmus und Struktur dieser Bilder. Die strenge Flächentektonik rückte Schlemmer in die Nähe Piet Mondrian, von dem Schlemmer behaupten sollte, er sei ja „eigentlich der Gott des Bauhauses“.[7]

Schlemmers Vorliebe für Geländermotive hatte neben einem künstlerischen Aspekt auch einen psychologischen Hintergrund. In einem tieferen Sinne symbolisiert das Geländer eine Art Stütze, einen festen Halt vor den unkontrollierbaren Mächten des Irrationalen. Maß und Einheit dient hier dem Zwecke der Disziplinierung. Das Geländermotiv bürgt für feste Ordnung und ist dem Gefühl von Chaos und Zerfall entgegengesetzt, das angesichts der politischen Krisensituation zu Beginn der 1930er Jahre das vorherrschende Zeitgefühl ist. „Wir brauchen Zahl, Maß und Gesetz als Wappnung und Rüstzeug, um nicht vom Chaos verschlungen zu werden“, forderte Schlemmer selbst.

Tischgesellschaft, 1935

Anders akzentuiert transportierte Schlemmer das Geländermotiv auch in Bauhaustreppe (1932). Drei turmartig gestaffelte, aufwärts strebende Rückenfiguren in einer lichten Architektur wurden zum Wahrzeichen der Jugendkult-Bewegung des 20. Jahrhunderts, zum Symbol aufstrebender Jugendlichkeit in eine leuchtende Zukunft. Bauhaustreppe formuliert die Befreiung des Menschen selbst, ist Leitbild und Ausdruck ungebrochener Moderne. Es beschreibt die Wechselwirkung zwischen Mensch und Raum, zwischen Menschheit und Zivilisation und äußert die Vision einer künftigen Kultur.

1933–1943

Schlemmers Figurendarstellungen erfuhren eine Wandlung. In einer Reihe von Übermalungen wurde seine Palette tieftonig-düster (Dunkle Gruppe, 1936). Die bedrohlich wirkende Atmosphäre, die nun von seinen Bildern ausging, reflektierte seinen seelischen Zustand. Schlemmers Malerei zeugte jetzt von Abkehr und Introspektion. Sein künstlerischer Zenit war überschritten. Es entstanden noch verschiedene Aquarelle und ab 1940 eine Reihe Wuppertaler Stadtansichten sowie Versuchstafeln für das Projekt Modulation und Patina.

Im Sommer 1942 begann Schlemmer seine letzte Werksgruppe, die Wuppertaler Fensterbilder, variierende Fensteransichten auf Karton oder Ölpapier. Die reduzierte Farbigkeit, die verschiedentlich mit Pinsel, Farbstift oder Öl aufgetragen ist, zeigt diverse Wohn- und Innenraumszenen, meist von rechtwinkligen Fensterrahmen umgrenzt. Die Bilder, in denen Gefühle der Sehnsucht und Melancholie mitschwingen, können nicht mehr an die ausdrucksstarken Darstellungen der 1920er und 1930er Jahre anschließen und bleiben letzte Zeugnisse einer vielschichtigen Künstlerbiographie.

Oskar Schlemmer war Mitglied im Deutschen Künstlerbund.[8] Seine Werke wurden auf der documenta 1 (1955), der documenta II (1959) und der documenta III (1964) in Kassel gezeigt.

Nachlass

Seit dem Tod der Schlemmer-Witwe im Jahr 1987 gab es Streit um das Erbe Oskar Schlemmers vor allem zwischen seiner Enkelin Janine und deren Cousin Raman, dem Sohn der Schlemmer-Tochter Jaina und des Malers Paran G’schrey.[9] Seitdem wurden viele Leihgaben an deutsche Museen zurückgezogen; der genaue Verbleib von etwa 2.000 bis 3.000 Kunstwerken wird geheim gehalten.

Geneigter Kopf von Oskar Schlemmer 1941

Mit Urheberrechtsklagen wurde versucht, die Ausstellung und den Abdruck von Schlemmers Werken zu verhindern. So sind im Katalog des Stuttgarter Kunstmuseums weiße Seiten anstelle von Werken Schlemmers enthalten. Auch die Ausstellung der Wandmalerei Familie war von einer Klage bedroht, da auch ein Ausbau der Wand angeblich das Urheberrecht verletzte.[10] Aufgrund der Erbstreitigkeiten musste im Jahre 2004 der Abdruck von Texten Oskar Schlemmers in einer aus Anlass des 70. Todestags Adolf Hölzels vorgelegten Veröffentlichung der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart unterbleiben.[11] Seit dem Jahr 1977 wurden keine Retrospektiven mehr veranstaltet und es konnten bis 2014 keine innovativen Bücher mehr über Schlemmer erscheinen.

Auch das von ihm entworfene Haus in Sehringen bei Badenweiler geriet in die Erbschaftsstreitigkeiten; eine Zwangsversteigerung wurde mehrmals abgesagt, Bestrebungen um einen öffentlich zugänglichen Erhalt und/oder eine Stellung unter Denkmalschutz[12] waren bis dahin nicht von Erfolg gekrönt.[13] [14] [15] [16] [17]

Am 1. Januar 2014, 70 Jahre nach Schlemmers Tod, lief das Urheberrecht des Künstlers und seiner Erben aus. Unter dem Titel Oskar Schlemmer – Visionen einer neuen Welt eröffnete am 21. November 2014 die Staatsgalerie Stuttgart eine umfassende Retrospektive zu seinem Werk, wie sie rund 40 Jahre in Deutschland nicht gezeigt werden konnte.[18][19] Im Rahmenprogramm wurde im Kammermusiksaal der benachbarten Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart das Triadische Ballett durch das Bayerische Staatsballett aufgeführt. [20]

Oskar-Schlemmer-Preis

Der mit 25.000 Euro dotierte[21] Große Staatspreis für Bildende Kunst des Landes Baden-Württemberg trägt zu Ehren des Künstlers dessen Namen.

Träger

Museen und Sammlungen

Ausstellungen

Literatur

  • Nobert Berghof (Red.): Beispiele: Kunst in der Verfolgung. Entartete Kunst (Ausstellung) 1937 in München. Neckar, Villingen 1998 (Bildmappe, darin von O. S: Römisches und 5 Figuren im Raum. 1925, Großformat), ohne ISBN.
    • Beiheft dazu, ebd. 1998, enthält von O. S. u. a., ohne ISBN.
    • Warum Ballett? und Mißverständnisse. S. 68–70.
    • Mensch und Kunstfigur. S. 71–74 mit Abb.
    • Analyse eines Bildes und anderer Dinge. S. 74–78 mit Abb.
  • Ausstellungskatalog: Kestner-Gesellschaft, Hannover, 1956, Einleitung: Alfred Hentzen.
  • Wolfgang Kermer (Hrsg.): Aus Willi Baumeisters Tagebüchern: Erinnerungen an Otto Meyer-Amden, Adolf Hölzel, Paul Klee, Karl Konrad Düssel und Oskar Schlemmer. Mit ergänzenden Schriften und Briefen von Willi Baumeister. Edition Cantz, Ostfildern-Ruit 1996 (Beiträge zur Geschichte der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart / hrsg. von Wolfgang Kermer; 8) ISBN 3-89322-421-1.
  • Kay Kirchmann: Oskar Schlemmer. In: Jeannine Fiedler, Peter Feierabend (Hrsg.): Bauhaus. Könemann, Köln 1999, S. 280–287, ISBN 3-89508-600-2; Neuauflage: h.f.ullmann publishing, Potsdam 2013, ISBN 978-3-8480-0275-7.
  • Karin von Maur: Oskar Schlemmer und die Stuttgarter Avantgarde 1919. Mit einem Vorwort von Wolfgang Kermer. Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, Stuttgart 1975 (Beiträge zur Geschichte der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart / hrsg. von Wolfgang Kermer; 1).
  • Karin von Maur: Oskar Schlemmer. Monographie und Œuvrekatalog der Gemälde, Aquarelle, Pastelle und Plastiken, 2 Bde., München 1979.
  • Karin von Maur: Oskar Schlemmer. Der Folkwang-Zyklus. Malerei um 1930. Stuttgart 1993.
  • Karin von Maur: Schlemmer, Oskar Alfred Victor. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 23, Duncker & Humblot, Berlin 2007, ISBN 978-3-428-11204-3, S. 59–61 (Digitalisat).
  • Karl Ruhrberg: Kunst als sozialer Auftrag. Die Maler am „Bauhaus“ unter Walter Gropius. In: Karl Ruhrberg, Ingo F. Walther (Hrsg.): Kunst des 20. Jahrhunderts, Teil 1, Malerei, Taschen, Köln 2000, ISBN 3-8228-6029-8, S. 176–183.
  • Dirk Scheper: Oskar Schlemmer – Das Triadische Ballett und die Bauhausbühne. Akademie der Künste Berlin 1988 (Schriftenreihe der Akademie der Künste Bd. 20).
  • Norbert M. Schmitz: Oskar Schlemmers anthropologisches Design. In: Jeannine Fiedler, Peter Feierabend (Hrsg.): Bauhaus. Könemann, Köln 1999, S. 288–291, ISBN 3-89508-600-2; Neuauflage: Ullmann, Potsdam 2013, ISBN 978-3-8480-0275-7.
    • Arnd Wesemann: Die Bauhausbühne. in: ebd., S. 532–547.
  • Friederike Zimmermann: ›Mensch und Kunstfigur‹. Oskar Schlemmers intermediale Programmatik. Dissertation, Universität Freiburg i.Br. 2007, ISBN 978-3-7930-9508-8.

Filme

  • Oskar Schlemmer – Menschenbilder. Dokumentarfilm, Deutschland, 2015, 51 Min., Buch und Regie: Nicola Graef, Produktion: Lona media, SWR, arte, Erstsendung: 11. Januar 2015 bei arte, Inhaltsangabe von ARD.
    Film-Reportage anlässlich der Stuttgarter Ausstellung Oskar Schlemmer – Visionen einer neuen Welt.

Weblinks

Commons: Oskar Schlemmer – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Nicola Kuhn: Der letzte Avantgardist, tagesspiegel.de vom 27. November 2014, abgerufen am 22. Februar 2015.
  2. bad-bad.de: Oskar Schlemmer (1888–1943)
  3. Abb. in Nobert Berghof (Red.): Kunst in der Verfolgung: Entartete Kunst (Ausstellung) 1937 in München. 18 Beispiele, dazu Beiheft: Lebensdaten und Selbstzeugnisse. Neckar, Villingen 1998, ohne ISBN, Großformat.
  4. "Ich will Menschen-Typen schaffen und keine Porträts, und ich will das Wesen des Raumes und keine Interieurs." fasste Oskar Schlemmer den Ansatz seiner Kunst in wenigen Worten zusammen., auf arsmundi.de, abgerufen am 11. Mai 2016
  5. K. von Maur: Oskar Schlemmer – Perspektiven des Menschenbildes „Zitat“ im Katalog Oskar Schlemmer, Ausstellung der Staatsgalerie Stuttgart im Württembergischen Kunstverein Stuttgart, 11. August bis 18. September 1977, S. 9
  6. Johann Eckart von Borries: Oskar Schlemmer. Die Wandbilder für den Brunnenraum im Museum Folkwang Essen, Reclam, Leipzig, 1960
  7. Brief an Otto Meyer-Amden, vom 3. Januar 1926, in Andreas Hüneke (Hrsg.): Oskar Schlemmer. Idealist der Form. Briefe, Tagebücher, Schriften 1912 – 1943., Reclam, Leipzig, 1990, ISBN 3-379-00473-1
  8. kuenstlerbund.de: Ordentliche Mitglieder des Deutschen Künstlerbundes seit der Gründung 1903 / Schlemmer, Oskar (abgerufen am 19. Januar 2016)
  9. Nikolai B. Forstbauer: Oskar-Schlemmer-Retrospektive. Der Finger ist gestreckt. (Memento vom 6. Januar 2014 im Internet Archive) In: Stuttgarter Nachrichten, 4. Juli 2008.
  10. Das Schicksal sieht uns an. In: Der Spiegel. Nr. 42, 1995, S. 240–242 (online).
  11. Wolfgang Kermer (Hrsg.): „Lieber Meister Hölzel…“ (Willi Baumeister)-Schüler erinnern sich an ihren Lehrer. Zum 70. Todestag Adolf Hölzels am 17. Oktober 2004. Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, WerkstattReihe, Bd. 11, 2004, ISBN 3-931485-67-6.
  12. gb: Abriss ist nicht einfach möglich. In: Badische Zeitung, Lokales, Badenweiler, 12. Februar 2010, Interview mit H. Ringhof über Denkmalschutz-Rechte.
  13. Sigrid Umiger: Holzhaus unterm Hammer. In: Badische Zeitung, Lokales, Badenweiler, 28. Januar 2010.
  14. Gabriele Babeck-Reinsch: Höchstgebot von einem Berliner Anwalt. In: Badische Zeitung, Lokales, Müllheim, 3. März 2010.
  15. dpa: Zwangsversteigerung von Schlemmer-Haus gescheitert. In: Badische Zeitung, Lokales, Badenweiler, 8. März 2010.
  16. dop: Schlemmer-Haus wieder unterm Hammer. In: Badische Zeitung, Lokales, Müllheim, 25. Oktober 2011.
  17. dop: Die Bilder und das Haus. In: Badische Zeitung, Lokales, Müllheim, 27. Oktober 2011.
  18. a b Adrienne Braun: Der neue Mensch ist geometrisiert. In: Stuttgarter Zeitung, 20. November 2014.
  19. Stuttgart verneigt sich vor Oskar Schlemmer. In: Stuttgarter Zeitung, 20. November 2014
  20. oskarschlemmer-stuttgart.de – Internetauftritt der Staatsgalerie Stuttgart zur Ausstellung Oskar Schlemmer – Visionen einer neuen Welt.
  21. Badische-zeitung.de, Kunst, 20. Februar 2016: Fotograf Esser erhält den Oskar-Schlemmer-Preis (20. Februar 2016)
  22. bauhaus – Workshops for modernity. In: MoMA, aufgerufen am 12. Januar 2015.
  23. just what is it … In: ZKM Karlsruhe, aufgerufen am 12. Januar 2015.
  24. ani: Von Rodin bis Giacometti: Die Kunsthalle zeigt „Plastik der Moderne“. In: ka-news, 26. November 2009.
  25. Brücke, Bauhaus, Blauer Reiter. Schätze der Sammlung Max Fischer. In: Staatsgalerie Stuttgart, aufgerufen am 12. Januar 2015.
  26. Ausstellung: Oskar Schlemmer – Visionen einer neuen Welt. In: Staatsgalerie Stuttgart, 21. November 2014 – 6. April 2015.