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Königliche Hoheit

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Thomas und Katia Mann um 1900 - Vorbilder für Prinz Klaus Heinrich und Imma Spoelmann

Königliche Hoheit ist ein früher Roman von Thomas Mann. Er entstand zwischen Sommer 1906 und Februar 1909 und damit in den ersten vier Ehejahren von Thomas und Katia Mann, deren „Romanze“ er, märchenhaft eingekleidet, erzählt. Das 1909 erstmals in der Neuen Rundschau und kurz darauf in Buchform veröffentlichte Werk [1] stieß beim Publikum auf große Begeisterung, bei der Fachwelt aber auch auf Kritik.

Inhalt

Situation im Großherzogtum Grimmburg

Der Roman spielt um die Wende zum 20. Jahrhundert in dem fiktiven deutschen Mittelstaat Grimmburg, der trotz der Bemühungen der Minister Trümmerhauff, Dr. Krippenreuther und Knobelsdorff von wirtschaftlichem Verfall und hoher Staatsverschuldung geprägt ist. Die Landwirtschaft ist unterentwickelt, die Minen erschöpft, die Eisenbahn unrentabel, die Universität provinziell. Die Kur-Einkünfte aus der heilkräftigen Ditlindenquelle halten sich in Grenzen, die zahllosen über das Land verstreuten Schlösser verfallen. Sinnbildlich hierfür steht ein Rosenstock im Hof des Alten Schlosses, dessen Blüten ungeachtet normaler äußerer Gestalt nach Moder riechen.

Klaus Heinrichs Geburt

Der einzige Sohn des Großherzogs, Prinz Albrecht, ist kränklich; man erwartet daher nicht, dass er ein höheres Alter erreicht. Insofern ist die Freude groß, als in sechsjährigem Abstand zu Albrecht ein zweiter Prinz, Klaus Heinrich, geboren wird. Getrübt wird sie gleich bei der ersten Begegnung des Großherzogs mit seinem Sohn durch die Entdeckung, dass das Kind eine verkümmerte linke Hand und einen verkürzten linken Arm hat. Der neben dem eigentlichen Leibarzt bei der Geburt anwesende jüdische Arzt Dr. Sammet erklärt diese Beeinträchtigung als amniotische Hemmung. Der Vater solle froh sein, dass es immerhin zu keiner vollständigen Amputation der Hand gekommen sei. Ein anderer Berater des Königs verweist, um ihn zu trösten, auf eine alte Zigeunerweissagung, nach der einst ein Prinz geboren werde, der dem Land mit einer Hand mehr geben werde als andere mit zweien. Doch dass diese linke Hand, die Klaus Heinrich früh zu kaschieren und zu verstecken angehalten wird, bei seinem ganz auf Repräsentation ausgerichteten Leben eine ständige Beeinträchtigung darstellen wird, lässt sich nicht leugnen, soll doch „der Anblick des Fürsten […] seinem Volk andere Empfindungen erwecken als Mitleid.

Klaus Heinrichs Erziehung

Klaus Heinrich wächst mit seinen Geschwistern heran. Mit seiner zwei Jahre jüngeren Schwester, Prinzessin Ditlinde, verbringt er viel mehr Zeit als mit dem scheuen und hochmütigen älteren Bruder. Die beiden werden standesgemäß erzogen, zunächst von einer Hauslehrerin, einer „Madame aus der Schweiz“, deren schwerste und wirksamste Strafe darin besteht, ihre Schützlinge „traurig“ anzusehen. Alles signalisiert ihm seinen besonderen Stand: „Du Reiner, Du Feiner“, scheint in allen Mienen zu lesen zu sein, und so durchlebt er seine Kindheit überbehütet und realitätsfern. Die Lieblingsbeschäftigung der beiden jüngeren Geschwister ist das „Stöbern“ – die Suche nach unbekannten Räumen und Gegenständen in dem verwinkelten Alten Schloss, in dem sie aufwachsen. Bei solcher Gelegenheit begegnen sie einmal einem verirrten Lieferanten, dem Schuster Hinnerke, der ihnen die Augen dafür öffnet, dass sie in einer Scheinwelt leben und insbesondere auf die hinter der freundlichen Fassade der Lakaien verborgene Korruption und Bosheit hinweist.

Später wird Klaus Heinrich auf Schloss Fasanerie gemeinsam mit einer kleinen Schar ausgewählter Mitschüler unterrichtet. Dabei behandelt ihn Professor Kürtchen freilich mit aller Schonung: So ruft er ihn nur auf, wenn der Prinz durch die Art des Meldens gezeigt hat, dass er auch antworten kann. Zu den Mitschülern kann der Prinz auf Grund seiner besonderen Abkunft, aber auch der verwöhnten und anmaßenden Haltung der jungen Adeligen kein wirklich kameradschaftliches Verhältnis aufbauen.

Eine fast freundschaftliche Beziehung verbindet ihn hingegen mit dem jungen Hilfslehrer Dr. Raoul Überbein, einem wenig gelittenen Sonderling. Außerordentlich hässlich, nach eigenen Worten ein „Malheur von Geburt“, ist er als uneheliches Kind unter ärmlichen Lebensumständen in einer Pflegefamilie herangewachsen, hat dann aber unbändigen Ehrgeiz entwickelt. Bei jeder Gelegenheit hält er den Schülern vor, anders als sie habe er sich bereits „den Wind um die Nase wehen lassen“. Klaus Heinrich behandelt er nicht mit der devoten Rücksichtnahme der anderen Lehrer und gewinnt dadurch sein Herz. Als Klaus Heinrich, wie es üblich ist, für das letzte Schuljahr in die Prima des öffentlichen Gymnasiums versetzt wird, verlangt er denn auch, dass Überbein, der übrigens mit Dr. Sammet befreundet ist, sein Mentor bleibt.

In diese Zeit fällt ein peinliches Erlebnis: Klaus Heinrich hat auf dem alljährlich stattfindenden Bürgerball mit Begeisterung getanzt und sich, zunächst in durchaus harmloser Weise, an der Gemeinschaft mit den jungen Leuten, die ihm so oft versagt blieb, gefreut. Mit Begeisterung gebraucht er das Wort „wir“ in jedem Satz. Doch als Überbein, der den Prinzen einige Zeit aus den Augen gelassen hat, in den Ballsaal zurückkehrt, findet er eine erniedrigende Szene vor: Klaus Heinrich, einen Bowlendeckel auf dem Kopf und auch sonst nicht seinem Stand angemessen dekoriert, nimmt die Huldigungen der beschwipsten Jugend entgegen, die die Situation offenbar gehörig ausgenützt hat, den Prinzen zu sich „herunter, herunter, herunter“ zu ziehen.

Klaus Heinrich legt pro forma die Reifeprüfung ab – die häufigste Frage bei dieser Zeremonie ist „Nicht wahr, Hoheit?“ – und tritt eine Bildungsreise an, die nebenher dem Zweck dient, ihn in geeigneter Weise in die Geheimnisse des Geschlechtslebens einzuweihen. Er besucht ein Jahr lang die Universität und wird Mitglied einer Studentenverbindung, deren harte Sauf- und Paukbräuche für ihn auf ein „sinniges Ungefähr“ abgemildert werden. Schließlich tritt er als Leutnant in das großherzogliche Gardefüsilierregiment ein, wird bald zum Major befördert, ohne freilich jemals das Soldatenleben geteilt zu haben, und bezieht schließlich als Domizil Schloss Eremitage.

Klaus Heinrich als Prinz

Nach dem Tod des Großherzogs geht die Krone auf Klaus Heinrichs älteren Bruder Albrecht II. über, der jedoch sehr bald die ihm wenig willkommenen Repräsentationspflichten Klaus Heinrich überlässt und ihm hierfür den Titel „Königliche Hoheit“ überträgt.

In der Folgezeit kommt Klaus Heinrich seinem „hohen Beruf“ nach: Ob er den Grundstein für ein Rathaus legt oder eine Veteranenparade abschreitet, ob er Preise bei den Fünfhausener Fischertagen verleiht oder eine Ackerbauausstellung eröffnet, überall ist „Feier- und Ehrentag, verherrlicht das Volk sich selber im Feste, verklärt sich das graue Leben und wird Poesie“. Die notwendigste Fachkunde eignet sich der Prinz vor solchen Anlässen an, Ergänzungen lässt er sich vor Ort hastig von seinen Mitarbeitern soufflieren, Klagen von Untertanen nimmt er „ernst“ entgegen, ohne sich freilich in der Sache zu engagieren. Selbst die dem Volk großzügig gewährten „Freiaudienzen“ geraten ob ihrer formellen Steifheit und der fachlichen Inkompetenz des Prinzen zur Farce.

Die Familie Spoelmann

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Vogel Roch

Eines Tages sagt sich der amerikanische Stahlmagnat und Milliardär Samuel Spoelmann, ein wahrer „Leviathan“, ein „Vogel Roch“, zur Kur in der Residenzstadt an, um dort mit dem heilkräftigen Wasser der Ditlindenquelle ein Nierenleiden zu kurieren. Es tut ihm so gut, dass er ein Jahr darauf mit seiner Tochter Imma, deren Gesellschaftsdame, der wahnsinnigen Gräfin Löwenjoul, seinem Leibarzt Dr. Watercloose, seinem hysterischen Collie Perceval sowie weiterem Personal endgültig in das Großherzogtum übersiedelt und dort zu einem stattlichen Preis das Schloss Delphinenort erwirbt.

Bald bilden die Spoelmanns neben der großherzoglichen Familie eines der Zentren der öffentlichen Aufmerksamkeit. Zwar ist Samuel Spoelmann von unscheinbarer Gestalt, legt in seinem „missfarbenen Paletot“ wenig Wert auf Äußerlichkeiten und tut als eher misanthropischer Kunstsammler und Orgelspieler wenig dafür, sich persönlich populär zu machen. Doch gestattet er dem Volk weiterhin freien Zugang in seinen Schlosspark, lässt sich beim Teetrinken beobachten und spendet bei entsprechenden Anlässen genau die gleiche Summe wie das Fürstenhaus. Dementsprechend zieht er auch Bettler, Schnorrer und Plänemacher aller Art an.

Seine Tochter Imma erregt Aufmerksamkeit durch ihr Mathematik-Studium an der Universität, insbesondere aber auch einmal durch ihr resolutes Auftreten gegenüber einem Wachbataillon, das ihr den Weg verstellen will. Die Gräfin Löwenjoul schließlich fällt durch wirre Reden von „liederlichen Weibern“ auf, von zuchtlosen Feldwebelsgattinen, die sich nachts in ihr Zimmer schlichen und ihr die Brust zerkratzten. Auch möchte sie zeitweise gerne „Frau Meyer“ genannt werden.

Klaus Heinrich und Imma Spoelmann

Nachdem er bereits Zeuge von Immas Auftritt gegenüber dem Wachbataillon geworden ist, trifft Klaus Heinrich mit ihr bei einem „zufälligen“, tatsächlich aber vom Prinzen auf einen Hinweis Dr. Überbeins arrangierten gemeinsamen Besuch des mittlerweile von Dr. Sammet geleiteten Dorotheen-Kinderspitals zusammen. Trotz Immas mitunter spöttisch-verletzendem Auftreten sowohl gegenüber dem Personal als auch gegen ihn weckt sie Klaus Heinrichs lebhaftes Interesse.

In der Folge besucht er sie auf Schloss Delphinenort unter dem Vorwand, sich die Kunstglas-Sammlung ihres Vaters zeigen zu lassen. Zunächst tritt Imma Klaus Heinrich in bisweilen schnippisch-überheblicher Art entgegen, belehrt ihn über Fremdwörter wie „Parallaxe“, macht sich über ungelenke Fragen lustig oder wirft ihm seine „Scheinexistenz“ vor. Er wirke „erkältend“ auf sie, sagt sie mehrfach, da er so überhaupt keine wirkliche Funktion im Leben habe und an allem nur zum Schein Anteil nehme. Insbesondere mahnt sie ihn zur Nachsicht gegenüber Gräfin Löwenjoul, deren wunderliches Betragen auf traumatische Erfahrungen mit einem untreuen und gewalttätigen Ehemann zurückzuführen seien. Schließlich habe es ihr Vater nicht gern, auf die Gründe seiner Übersiedlung nach Europa angesprochen zu werden; wegen seines indianischen Blutes sei er in Amerika stets der Diskriminierung ausgesetzt gewesen.

Gleichwohl kommen sich Prinz Klaus Heinrich und Imma Spoelmann bei zahllosen weiteren Treffen auf Schloss Delphinenort und bei gemeinsamen Ausritten allmählich näher. Dabei hat Imma die Angewohnheit, wilde Pferderennen zu improvisieren, bei denen sie auf ihrer Araberstute Fatme den Prinzen, der wegen seiner Beeinträchtigung ohnehin nicht allzu sicher im Sattel seines Braunen Florian sitzt, jedes Mal besiegt. Während die Boulevardpresse die Romanze begeistert aufgreift, bringt Dr. Überbein unter Verweis auf Klaus Heinrichs Position sein Missfallen zum Ausdruck.

Alle Versuche Klaus Heinrichs, Imma auf diesen Ausflügen davon zu überzeugen, dass er keineswegs kalt und oberflächlich und nur „for show“, wie Spoelmann immer sagt, am Leben und den Menschen interessiert ist, scheitern indes zunächst. Eines Tages aber legt Staatsminister Knobelsdorff dem Prinzen in einer Unterredung die desaströse wirtschaftliche Lage im Land dar. Klaus Heinrich, überrascht, einmal tatsächlich mit Fakten konfrontiert und damit sozusagen ernst genommen zu werden, zieht die Konsequenzen: Er beschafft sich Werke über Nationalökonomie, schließt sich in seinen Zimmern ein und beginnt auf eigene Faust eine Art Studium der Volkswirtschaftslehre. Nach anfänglicher Verstimmung über Klaus Heinrichs scheinbaren Rückzug beteiligt sich Imma an diesen Studien und auf diesem Wege gelingt es Klaus Heinrich denn auch, sie umzustimmen. Eine Schlüsselszene stellt auch der Moment dar, in dem Imma die verkümmerte Hand des Prinzen entdeckt und feststellt, dass auch er mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat, die ihr bisher verborgen blieben.

Verlobung und Hochzeit

Auf Knobelsdorffs Initiative wird Imma gezielt in Hofkreise eingeladen. Gegen die Einwände sowohl des Großherzogs als auch Spoelmanns wird schließlich sogar die Vermählung vorbereitet. Man einigt sich auf eine zunächst morganatische Ehe, wobei Imma, sobald für die Thronfolge gesorgt sein wird, für ebenbürtig erklärt werden soll. Spoelmann gewährt dem Fürstentum indes einen einer Schenkung gleichenden Kredit von 350 Millionen, der zu einem jähen volkswirtschaftlichen Wachstum von Grimmburg führt.

Der Roman endet mit der Schilderung der prunkvollen Hochzeit. Kurz vor der Verlobung Klaus Heinrichs freilich erschießt sich, vordergründig wegen beruflicher Querelen, sein langjähriger Mentor Überbein, der stets auf die Pflichten des Menschen im Allgemeinen und des Prinzen im Besonderen hingewiesen hat, aber dafür selber das Zwischenmenschliche allzu sehr vernachlässigt hat. Damit geht eine Prophezeiung Immas in Erfüllung.

Der Rosenstock aber wird aus dem muffigen Hof des Alten Schlosses nach Schloss Delphinenort verpflanzt, wo er statt Moder- endlich Blütenduft verbreiten soll.

Interpretation

„Albrecht“ und „Klaus Heinrich“ (Heinrich und Thomas Mann)

Autobiografisches

Zunächst sind die vielfachen autobiografischen Bezüge von Königliche Hoheit festzustellen. Hinter den Protagonisten verbergen sich Thomas Mann und seine Frau Katia, geborene Pringsheim. Bezeichnenderweise trägt Prinz Klaus Heinrich nicht nur Vornamen, deren Initialen mit denen des Buchtitels übereinstimmen, sondern es handelt sich gleichzeitig auch um die Vornamen des ältesten Sohnes des Autors. Klaus Manns zweiter Vorname wiederum wurde nach Heinrich Mann gewählt. Dieser kann als Urbild für den Thronfolger Albrecht angesehen werden. Noch Jahrzehnte nach Erscheinen des Romans stellte Thomas Mann oft, wenn er über das Verhältnis zu seinem älteren Bruder reflektierte, eine Verbindung zu Königliche Hoheit her. Die Gunst des lesenden Publikums verteilte sich zeitweise ähnlich auf die beiden Brüder wie die des Volkes im Roman.

Katia Pringsheim war wohl die beste Partie, die Thomas Mann im München der Jahrhundertwende machen konnte. Die Ähnlichkeit zwischen Katia und Imma beschränkt sich aber nicht auf ihren finanziellen Hintergrund. Bezeichnend erscheint auch die schnippische Überheblichkeit, mit der Imma Klaus Heinrich zunächst entgegentritt, wenn auch Katia Mann später beteuern sollte, sie sei in dieser Hinsicht überzeichnet worden. Als Vorbild für Immas energisches Auftreten gegenüber dem ihr den Weg verstellenden Wachbataillon diente ein Vorfall aus dem Jahre 1904, bei dem Katia Mann sich in ähnlich resoluter Weise gegenüber Fahrkartenkontrolleuren in der Trambahn durchgesetzt hatte. Parallelen ergeben sich auch hinsichtlich des Algebra-Studiums, dem sowohl Katia als auch Imma obliegen. Den Pferdeausritten mit Imma entsprechen die gemeinsamen Fahrradfahrten in die Isarauen, auf denen Thomas Mann um seine Frau geworben hat.

Weiter beargwöhnt Spoelmann mit seinem „Tigersinn“ den „jungen Menschen“ ebenso kritisch, wie dies die Pringsheims und insbesondere auch Katias Großmutter Hedwig Dohm mit Mann taten. Den Komplexen Spoelmanns wegen seines „indianischen“ Blutes entspricht die Stigmatisierung der Pringsheims als Juden. Sie war es wohl auch, die das überlegene Auftreten des alteingesessenen und finanzkräftigen Hauses gegenüber dem damals noch nicht voll etablierten Künstler Thomas Mann etwas relativierte.

Nicht zuletzt wurde in Königliche Hoheit einem Vorgänger des bekannten Bauschan ein literarisches Denkmal gesetzt: Mit einem hysterischen Collie hatte auch die Familie Mann ihre liebe Not.

Wilhelm II. kaschierte seine verkümmerte linke Hand.

Zeitgeschichtliches

Bei allem Märchenhaftem des Romans ist im Hintergrund doch stets das wilhelminische Deutschland präsent. So trägt der Kleinstaat Grimmburg deutliche, wenn auch ungenannte und oft ironisch gehaltene Züge des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin. Das zwiespältige Verhältnis zwischen dem jungen Klaus Heinrich und seinen aus standesniedrigeren, zum Teil aber wohlhabenderen Familien stammenden Klassenkameraden spielt auf eine vergleichbare Situation zwischen den Großherzögen von Mecklenburg und den reichen Fürsten von Putbus auf dem pommerschen Rügen an.

Das Motiv der verkrüppelten Hand Klaus Heinrichs war der damaligen Leserschaft Manns sehr vertraut, hatte doch auch der damalige deutsche Kaiser Wilhelm II. einen verkümmerten linken Arm, den er stets zu kaschieren suchte.

Auch viele Namen der Figuren verweisen auf die preußische Geschichte. Neben dem Fürstennamen sind etwa die der Minister Knobelsdorff, Ranzau oder Bühl zu Bühl zu nennen, aber auch die Freifrau von der Schulenburg-Tressen oder Flügeladjutant Major von Platow. Auch in der Schilderung des Gymnasial-, Universitäts- oder Militärlebens, des Bürgerballs oder der Freiaudienzen lassen sich unschwer die realen Verhältnisse im Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg erkennen.

Märchenhaftes

Neben den autobiographischen und zeitgeschichtlichen Bezügen enthält der Roman auch vielfach märchenhafte Elemente:

Prophezeiungen

Es beginnt bei den beiden Prophezeiungen über den Prinzen, der „mit einer Hand“ dem Land mehr geben werde als andere mit zweien, und über den Rosenstock, der dann statt Moder- Blütenduft verbreiten soll. Diese Vorhersagen werden ironisch gebrochen: Frühzeitig weist etwa Minister Knobelsdorff auf die Instrumentalisierbarkeit der Hand-Weissagung hin. Der Prophezeiung über den Rosenstock wird ein wenig „nachgeholfen“, indem man ihn in eine günstigere Umgebung verpflanzt, sobald das Land tatsächlich gesundet.

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Der standhafte Zinnsoldat

Intertextualität

Mehrfach wird in Königliche Hoheit inhaltlich auf identifizierbare Volks- und Kunstmärchen angespielt: Etwa auf Andersens Schneekönigin, mit der seine Mutter, die kalte Großherzogin Dorothea, verglichen wird. Schneewittchen enthält das Spiegelmotiv, das im Leben der schönen Dorothea ebenfalls von Bedeutung ist. Auch Andersens Seejungfrau, die viel später wieder eine Rolle im Doktor Faustus spielen wird, taucht auf. Und auch an den standhaften Zinnsoldaten, der sich bekanntlich durch einen Gussfehler von der Masse abhebt, darf bei dem „einhändigen“ Prinzen, der stets Haltung bewahrt, gedacht werden. Auf den morgenländischen Märchenkreis verweist schließlich nicht nur der legendäre Vogel Roch, mit dem der schwerreiche Spoelmann verglichen wird, sondern auch der Name von Immas Reitpferd, Fatme. Explizit wird diese Interpretation, wenn „Madame aus der Schweiz“ Klaus Heinrich und Ditlinde „französische Märchen“ vorliest, mit deren Prinzen und Prinzessinnen sich die Kinder realistischer identifizieren können als ihre Altersgenossen aus anderen Ständen.

Prinzenmotiv

Als ausgesprochen märchenhaft ist das im Roman zentral verankerte Motiv des „Prinzen“ zu werten. Im Werk Thomas Manns hat es Tradition: Bereits in den Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull äußert sich die Sehnsucht der Hauptperson, sich über das Alltägliche zu erheben, darin, dass sie schon als Kind mit dem Entschluss aufwachen kann, heute einmal ein achtzehnjähriger Prinz namens Karl zu sein, und diese Fiktion auch den ganzen Tag über aufrecht erhält. Genannt sei auch die Weltreise unter der ausgeborgten Identität des Marquis de Venosta. Auch in den Buddenbrooks taucht das Motiv mehrfach auf: So wird hier Hanno als der Prinz des dekadenten Verfalls geschildert, und Tony Buddenbrook, die die Adligen ohnehin bewundert, wird von Morten Schwarzkopf darauf hingewiesen, dass sie als lübische Patriziertochter im Prinzip eine ebenso bevorzugte und besondere Stellung in der Gesellschaft innehat wie die von ihre Bewunderten.

Reflektiert wird das Prinzenmotiv noch einmal in der Figur der Imma Spoelmann. So ist sie zwar keine Prinzessin von Geblüt, aber sprachlich ruft Thomas Mann diese Assoziation mehrfach auf. Spoelmanns Vater gilt als „Eisenbahnkönig“, die Familie wohnt in Schloss Delphinenort - was an den Titel des französischen Tronfolgers, Dauphin, erinnert - und steht der Großherzogsfamilie an Luxus und Prachtentfaltung in nichts nach. Deren braunlivrierten Lakaien entsprechen die weißuniformierten Pagen der Spoelmanns, der Milliardär und seine Tochter stehen ebenso im Interesse von Öffentlichkeit und Klatschpresse wie die Grimmburgs, treten in ähnlicher Weise als Wohltäter auf und nehmen ebenfalls Repräsentationspflichten wahr.

Hoheit und Kälte

Wie ein roter Faden durchzieht den Roman der Begriff der „Hoheit“ und das damit verwandte Wortfeld „hoch“. Er taucht bereits im Titel des Werks wie des Protagonisten auf. Erwähnt seien auch der „hohe Beruf“, dem Klaus Heinrich nachgeht, „der Menschheit Höhen“, auf denen er nach den auf ein Schiller-Zitat anspielenden Worten seines Lehrers wandelt. Seine Schwester Ditlinde heiratet einen Fürsten zu Ried-Hohenried. Immer wieder wird der „Hochmut“ der Angehörigen des Fürstenhauses hervorgehoben. Aber auch in ihrer Physiognomie und Kleidung ist vieles „hoch“: Die Stirn des alten Großherzogs etwa wie auch seine Wangenknochen. Die Gestalt seiner Gemahlin Dorothea wird als „hoch aufgerichtet“ beschrieben, sie trägt „hohe Handschuhe“.

Mehrfach wird die „Hoheit“ des Fürstenhauses aber auch im Volk selbst reflektiert. Wenn die bereits erwähnten großherzoglichen Wangenknochen etwa als „allgemeines Merkmal“ seines Volksstamms bezeichnet werden, wenn die „Hoheit“ der Großherzogin eine „Erhöhung“ der sie betrachtenden Menschen bewirkt und deren Wangen sich „höher“ färben lässt, wenn die Leute „Hoch“ rufen, sich damit aber selbst meinen und an „hohe Dinge glauben in diesem Augenblick.“. Einen harten Kontrast dazu bilden demgemäß die trunkenen „Herunter, herunter ...“-Rufe der Jugend auf dem Bürgerball, mit der sie Klaus Heinrich auf ihr eigenes Niveau herabziehen möchte.

Kehrseite der allgegenwärtigen Hoheit ist die von ihr stets ausgehende, mit ihr untrennbar verbundene Kälte: Besonders klar tritt sie in der Großherzogin Dorothea zutage. In ihrem distanzierten Verhältnis zu ihren Kindern wird sie - wie bereits oben erwähnt - mit der Schneekönigin aus Andersens Märchen verglichen, in deren Kerzensaal die Herzen der Kinder erstarren. Ihr Lächeln ist von „kühler Vollkommenheit“. Den kleinen Klaus Heinrich weist sie mit „kaltem Blick“ und der Ermahnung, auf seine Hand zu achten, zurück, wann immer er bei ihr Liebe und Geborgenheit sucht. Ihr älterer Sohn, Prinz Albrecht, wird als „kalt aus Befangenheit“ geschildert, leidet andererseits aber auch physisch ständig unter der nördlichen Kälte seines Landes, weshalb ihm die Aussicht auf eine Zentralheizung für das Alte Schloss die Zustimmung zur nicht ganz standesgemäßen Hochzeit seines Bruders durchaus erleichtert. Aber auch Klaus Heinrich selbst wird später in seiner Scheinexistenz zunächst „erkältend“ auf Imma Spoelmann wirken.

Scheinexistenz

Königliche Hoheit kann als Parabel auf eine „Scheinexistenz“ aufgefasst werden. Bereits seine Kindheit und Jugend verbringt Klaus Heinrich weitgehend abgeschirmt. Im Alten Schloss, später auf der Fasanerie sowie auf dem Residenzgymnasium dringt das „wahre Leben“ nur sehr sporadisch an den Prinzen heran, etwa beim Bericht des Schusters Hinnerke über die Korruption der Lakaien oder bei seinem Schwips auf dem Bürgerball. Auch sein späteres Agieren als Regent ist „Ohne rechten Alltag“, setzt sich „aus lauter hochgespannten Augenblicken zusammen“. Sein Bruder Albrecht vergleicht es mit einem stadtbekannten Irren, der einem ohnehin abfahrenden Zug das Signal gibt. Dementsprechend gebricht es Klaus Heinrich an jedem materiellem Bezug zu seiner Tätigkeit. Mangels eigener Kenntnisse bleibt er stets auf die Stichworte seiner ‚Souffleure‘ angewiesen.

Sein Lehrer Schulrat Dröge nennt dies den „hohen Beruf“. Dr. Überbein spricht von einer „sinnbildlichen, […] formalen Existenz“, die ihm „kein Recht auf unmittelbare Vertraulichkeit“ gebe, sondern vielmehr „zur Haltung“ verpflichte. Imma indes findet deutlichere Worte: Der Prinz sei zum Schein auf die Schule gegangen, zum Schein auf der Universität gewesen, habe zum Schein als Soldat gedient, trage noch immer zum Scheine die Uniform, gebe zum Schein Audienzen und spiele zum Schein den Schützen. Er flöße deshalb kein Vertrauen, sondern Kälte und Befangenheit ein. Dementsprechend kündigt auch das gemeinsame Studium der Volkswirtschaft ein Ende der Scheinexistenz und den Übergang zu tätigem und nützlichem Schaffen an, das in der Verbindung des Fürstenhauses mit dem amerikanischen Stahlmagnaten seine Vollendung findet.

Unübersehbar sind die Parallelen zwischen der Scheinexistenz des „Prinzen“ mit der des „Dichters“: Auch dieser steht mit dem Leben nur in über die Literatur vermitteltem Kontakt. Er beteiligt sich nicht an unmittelbarem tätigem Schaffen, sondern reflektiert es nur. Dieser Gedanke war der Entstehungszeit des Romans nicht fremd. Thomas Mann selbst dürfte sich etwa mit Nietzsches Wagnerkritik, die bei diesem Problem ansetzt, beschäftigt haben.

Außenseitertum

In großer Zahl wird der Roman von gesellschaftlichen Außenseitern aller Art bevölkert. Prinz Klaus Heinrich selbst gehört dazu, schon wegen seiner bereits erwähnten „Scheinexistenz“, aber auch wegen seiner Verkrüppelung. Sein Lehrer und Freund Dr. Überbein ist wegen seiner Hässlichkeit, seiner unehelichen Geburt, seiner Erziehung in einer Pflegefamilie und seines Lebens als menschenscheuer Sonderling sozial gebrandmarkt, Dr. Sammet wegen seiner Zugehörigkeit zum Judentum, die Gräfin Löwenjoul wegen ihres Wahnsinns. Erwähnt seien auch der kränkliche und lebensferne Poet Axel Martini sowie der stadtbekannte Irre, der ohnehin abfahrenden Zügen zum Schein ein Signal gibt. Selbst der Milliardär Spoelmann ist schon wegen seines einzigartigen, ihn in die Sphäre eines Leviathan hebenden Reichtums ein Außenseiter, überdies aber auch wegen seines indianischen Bluteinschlags. Bei Imma kommt zusätzlich ihr für eine Frau der damaligen Zeit ungewöhnliches Algebrastudium hinzu.

Abstrakt entwickelt wird die Thematik der Außenseiterexistenz in Ausführungen Dr. Sammets gegenüber dem alten Großherzog:

Kein gleichstellendes Prinzip [...] wird je verhindern können, daß sich inmitten des gemeinsamen Lebens Ausnahmen und Sonderformen erhalten, die in einem erhabenen oder anrüchigen Sinne vor der bürgerlichen Norm ausgezeichnet sind. Der einzelne wird guttun, nicht nach der Art seiner Sonderstellung zu fragen, sondern in der Auszeichnung das Wesentliche zu sehen und jedenfalls eine außerordentliche Verpflichtung daraus abzuleiten. Man ist gegen die regelrechte und darum bequeme Mehrheit nicht im Nachteil, sondern im Vorteil, wenn man eine Veranlassung mehr, als sie, zu ungewöhnlichen Leistungen hat.

Land- und Wassersymbolik

Ein zentrales Motiv des Romans ist der Gegensatz zwischen Land und Wasser. Für ersteres steht das erdverbundene Geschlecht der Grimmburgs. Bezeichnenderweise ist das dritte Romankapitel, in dem die Zustände im Großherzogtum geschildert werden, mit „Das Land“ überschrieben. Es fängt damit an, dass die Fürsten Bauern sind; ihre Vermögen bestehen aus Grund und Boden, ihre Einkünfte aus landwirtschaftlichen Erträgen. Die „Äcker dehnten und breiteten sich“, Viehzucht, Milchverwertung und Molkereiwesen prägen das Bild, zum Wald hat das Volk ein geradezu inniges Verhältnis. Dazu kommen Ziegeleien und „ein wenig Salz- und Silberbergbau“ – ebenfalls sehr erdbezogene Wirtschaftszweige. Im Übrigen ironisiert Manns Darstellung die Ländermonographien der zur Zeit der Niederschrift des Romans herrschenden Lehre der Nationalökonomie, die „Historische Schule“, was ein Zeichen sorgfältiger schriftstellerischer Recherche darstellt.

Demgegenüber wird das Element „Wasser“ durch die Familie Spoelmann repräsentiert. Ein Leviathan ist der schwerreiche Magnat, also das Seeungeheuer aus der biblischen Mythologie. Heilkräftigen Wassers wegen kommen die Spoelmanns mit einem „Riesendampfer“ übers Meer nach Grimmburg. Dort wohnen sie zunächst im Quellenhof, kaufen später das Schloss Delphinenort, wo sie von „Schwanverbrämten“ bedient werden und sich einen „schön-gemeißelten Brunnen“ einbauen lassen. Sie stammen aus den Adirondacks, einer Landschaft „mit hübschen Seen“, und verbringen ihre Sommer bevorzugt am Meer, in Newport etwa, oder in Venedig, wo auch ihre Yacht liegt. Immas Gesicht wird mehrfach als „bleich wie die Perlen des Meeres“ beschrieben, ihr Hals hat die „Farbe angerauchten Meerschaums“, ihre Kleider sind „schillernd“, aus „seegrüner, glänzender Seide“; mal trägt sie ein „grünsamtenes Jäckchen“, mal ein „Gewand aus blassgrünem Chinakrepp“ und erinnert insofern wiederum an Andersens Seejungfrau, die im Werk – wenn auch in anderem Zusammenhang – ausdrücklich genannt wird. Auch Immas Augensprache wird fortwährend als „fließend“ charakterisiert. Selbst der Name Spoelmann lässt natürlich an Wasser denken – und an die 350 Millionen, die die Familie in die großherzoglichen Kassen „spült“.

In der Land-/Wasser-Symbolik kann auch eine Anspielung auf den zur Zeit der Romanveröffentlichung bestehenden Antagonismus zwischen der Kontinentalmacht Deutschland und der dem Meer zugewandten Seemacht England - bzw. ihrem Erben Amerika - gesehen werden. Das wilhelminische Kaiserreich mit seinen Landjunkern und Rittergütern befand sich gegenüber dem stärker industrialisierten England lange in einer ähnlichen Lage wie das Großherzogtum Grimmburg gegenüber der großkapitalistischen Welt der Spoelmanns.

Bezüge zu anderen Werken Thomas Manns

Anfang 1944 erhielt Thomas Mann einen begeisterten Brief von Franz Werfel über seinen ersten Roman Buddenbrooks. In Die Entstehung des Doktor Faustus berichtet er, was für Überlegungen dies bei ihm auslöste:

„Ich sinne darüber“, schrieb ich, „ob es nicht dies Buch sein mag unter all den meinen, dem bestimmt ist, zu bleiben. Vielleicht war damit meine ‚Sendung’ erfüllt [...] es könnte ein Fall sein wie mit dem ‚Freischütz’ [...]“

Doch auch wenn die nachfolgenden Werke nur noch dazu gedient haben sollten, ein nachfolgendes langes Leben leidlich würdig und interessant zu erfüllen, sollte man ihren Wert - auch den des Romans Königliche Hoheit - nicht undankbar verkleinern.

Über Jahrzehnte tun sich Zusammenhänge auf und werden Themen und Motive weitergeführt, die schon in den frühesten Erzählungen Manns eine wesentliche Rolle spielen. In mancherlei, aber nicht in jeder Hinsicht fällt hier Königliche Hoheit tatsächlich etwas aus dem Rahmen.

Tiara

Außenseitertum des Helden

Zunächst ist die Abstammung des Helden zu erwähnen. Von Geburt an wegen seines Standes bzw. seiner Herkunft ein wirklicher Außenseiter ist von allen anderen Protagonisten bei Thomas Mann nur noch Gregorius (aus Der Erwählte) – dessen Geschichte ähnlich märchenhafte Züge trägt wie Königliche Hoheit. Dementsprechend gibt es denn auch in dieser Erzählung ein – bedingt – glückliches Ende.

Doch auch Gregorius, auf den Papstthron berufen, muss auf das strenge Glück, das Klaus Heinrich und Imma bevorsteht, verzichten. Er darf in keiner Partnerschaft leben.

Liebesgeschichte mit Happy End

Die alten Oeverdiecks, Randfiguren in Buddenbrooks, die einander mit den bräutlichsten Kosenamen zu belegen pflegen, sind wohl die einzigen Gestalten Thomas Manns, bei denen es erstens zu einer Liebesheirat gekommen ist und zweitens diese Liebesheirat auch zu einer glücklichen Partnerschaft geführt hat. Betrachtet man allein die Figuren dieses ersten Romans, so stellt man fest, dass schon in Buddenbrooks Liebesgeschichten in aller Regel traurig enden: Gotthold Buddenbrook heiratet unter seinem Stande und wird dafür weitgehend enterbt; sein Leben mit der geborenen Stüwing sowie den drei neidischen und missgünstigen ledigen Töchtern entwickelt sich nicht allzu erfreulich. Tony darf den Mann, den sie liebt, nicht heiraten, und wird in zwei scheiternde Vernunftehen getrieben. Thomas folgt dem Zug seines Herzens zur morbiden Schönheit Gerdas und muss es erleben, dass sie ihm nur einen einzigen, wenig lebenstüchtigen Erben gebiert und sich schließlich zum Stadtgespräch macht, weil man allgemein meint, sie betrüge ihren Mann mit dem musikalischen Leutnant von Trotha. Christian heiratet seine geliebte Kokotte und wird von dieser in einer Anstalt untergebracht, woraufhin sie ihr bisheriges Leben fortsetzt, und selbst Claras geistlicher Gatte erweist sich schließlich als Erbschleicher. Die Ehe Erikas, der Tochter Tonys, steht von Anfang an unter keinem guten Stern und endet auch entsprechend.

Doch immerhin eignet den meisten dieser traurigen Liebesgeschichten noch etwas, das sie mit der Beziehung zwischen Imma Spoelmann und Klaus Heinrich verbindet: Sie sind zwar mitunter aus der Sicht der Gesellschaft erstaunlich, aber immerhin nicht völlig unmöglich oder gar „verboten“.

Die Verbindung zwischen dem armen Prinzen und der reichen Bürgerlichen ist zwar zunächst so nicht vorgesehen und wirft Fragen des Standesunterschiedes und der Erbfolge auf, diese werden jedoch aufgrund der eindeutigen finanziellen Vorteile der Ehe wohlwollend geregelt.

Ein solches Ende findet keine andere Liebesgeschichte bei Thomas Mann mehr. Am 2. April 1953 notierte er in seinem Tagebuch, nachdem er das Manuskript seiner letzten Erzählung Die Betrogene an die Verlage abgeschickt hatte:

Erikas Äußerungen darüber, wie sehr es in meinen „Ur-Kram“ gehört. Erzählt von Klaus' Aufregung darüber, dass alle meine Liebesgeschichten dem Bereich des Verbotenen und Tötlichen [sic!] angehören, - wo ich doch „glücklicher Ehemann und sechsfacher Vater.“ Ja, ja... Diese Geschichte, noch immer die nämliche, sei noch eine Übersteigerung.

Tatsächlich entsprechen fast alle Liebesgeschichten Thomas Manns dem Schema dieses „Ur-Krams“ – sie „verbieten“ sich von selbst und haben dann die entsprechenden Konsequenzen.

Sei es das homophile Element, das etwa in Tonio Kröger und im Tod in Venedig eine Rolle spielt, sei es der Altersunterschied, der ebenfalls im Tod in Venedig thematisiert, aber auch in Die Betrogene wieder aufgenommen wird, oder sei es gar der Bund mit dem Teufel, der im Doktor Faustus jede Liebesregung Adrian Leverkühns tödlich enden lässt – all diese Bedingungen treffen auf Königliche Hoheit nicht zu. Im Vergleich zu anderen Figuren Thomas Manns sind Imma Spoelmann und Klaus Heinrich ein geradezu ‚normales‘ Paar. Den "Versuch eines Lustspiels in Romanform" hat Thomas Mann seinen Prinzenroman genannt [2] Die Liebenden, die im Lustspiel nach allerlei Hindernissen endlich zu einander finden, sind, so wünscht es sich das Publikum, Charaktere von sympathischer Durchschnittlichkeit.

Die Behinderung

Und doch ist Klaus Heinrich, wie bereits erwähnt, nicht nur wegen seiner Abstammung ein Außenseiter, sondern auch wegen seines körperlichen Handicaps. Als Königliche Hoheit in den fünfziger Jahren verfilmt wurde, war meist Erika Mann vor Ort und versuchte, Einfluss auf das Geschehen zu nehmen. Einmal aber gab Mann auch selbst eine Anweisung: Dieter Borsche, der Darsteller Klaus Heinrichs, sollte seine linke Hand noch deutlicher verstecken und ihren Rücken öfters reiben – also den Zuschauer gerade auf die eigentlich kaschierte Besonderheit aufmerksam machen. Offenbar war ihm also diese Einzelheit wichtig.

Verfolgt man nochmals die Schöpfungen Thomas Manns, so stellt man fest, dass Klaus Heinrich mit seiner körperlichen Einschränkung in einer langen Tradition steht. Der kleine Herr Friedemann, ein sehr früher Novellenheld, ist bucklig und deshalb vom „normalen“ Leben ausgeschlossen. Lange gelingt es ihm, im Genuss von Kunst und einer Art Epikureertum Ersatz und Ausgleich zu finden, dann aber fällt er der schönen Gerda von Rinnlingen zum Opfer und kommt zu Tode. Makler Gosch in Buddenbrooks ist zwar nicht bucklig, wünscht es sich aber sehnlichst zu sein und spielt erfolgreich den Verwachsenen – jahrzehntelang schwärmt er Gerda Buddenbrook aus der Ferne an, doch das höchste Ziel, das er dieser Verehrung zu stecken wagt, ist, ihr eventuell dermaleinst die Übersetzung von Lope de Vegas Werken zu widmen, an der er fast sein Leben lang arbeitet. Sesemi Weichbrodt, eine weitere Bucklige in Buddenbrooks, beschränkt sich auf ein „gelehrtes“ Dasein, und den hochschultrigen, ungeschickten, literarisch interessierten Mädchen, die in Tonio Kröger erscheinen, steht wohl kein wesentlich anderes Schicksal bevor. Cipolla, noch ein Fall von Wirbelsäulenverkrümmung in Thomas Manns Werken, büßt den Kuss, den er sich vom hypnotisierten Mario geben lässt, mit dem Tode. Anna von Tümmler schließlich, die klumpfüßige Künstlerin aus Manns letzter Erzählung, hat früh auf die Liebe zu verzichten beschlossen, betrachtet die Welt mit sinnenden und kühlen Augen und malt abstrakte Bilder.

Gemeinsames Merkmal all dieser körperlich behinderten Figuren Thomas Manns also ist erstens, dass sie eine gewisse Distanz zu ihren Mitmenschen einhalten und ein einsames Leben führen. Auch Klaus Heinrichs linke Hand wird vor dem glücklichen Ende nur zweimal von anderen Menschen berührt – einmal auf dem gemeinschaftsstiftenden, aber unrühmlich endenden Bürgerball und einmal, als Imma sie küsst. Zweitens sind, außer Klaus Heinrich, alle aufgeführten Personen in irgendeiner Weise mit den Künsten oder wenigstens der Wissenschaft befasst. Hier könnte man zum Helden von Königliche Hoheit einen Unterschied sehen, der aber in sich zusammenfällt, wenn man bedenkt, dass Thomas Mann selbst hinter der Figur steckt. Eine körperliche Beeinträchtigung scheint bei Thomas Mann also geradezu eine Chiffre für den distanzierten Künstler oder Kunstfreund zu sein, der die Mitmenschen und ihre Werke zwar genau beobachtet oder auch darstellt, an ihrem Leben aber nur sehr bedingt teilhat.

Ein verwandtes Thema ist die Krankheit. In Der Zauberberg spricht es Hans Castorp einmal aus: Krankheit und Dummheit passen nicht zusammen, Krankheit soll etwas Verehrungswürdiges sein. Er erntet damit den schärfsten Widerspruch des Humanisten Settembrini – aber die – bei Castorp nicht wirklich vorhandene – Krankheit ermöglicht diesem eine Erhöhung, eine „Steigerung“ seiner Durchschnittsexistenz, die er im „Flachland“ nie erreicht hätte. Ähnlich wird die lungenkranke Heldin aus Tristan dargestellt. Im Vergleich zu ihrem plumpen und lebenstüchtigen Gatten Klöterjahn ist die klavierspielende junge Frau eine reine und feine Existenz und zeigt die gleichen blauen Adern unter ihrer blassen Haut, die auch die sensibleren und künstlerischeren Naturen in Buddenbrooks aufzuweisen haben. Das Motiv der Steigerung der Genialität durch Krankheit wird im Doktor Faustus auf den Gipfel geführt: Der Komponist Adrian Leverkühn hat sie - seine Genialität - den Folgen einer Luesinfektion zu verdanken – übrigens eine (nach dem Schicksal des Philosophen Friedrich Nietzsche naheliegende) alte Idee Thomas Manns, der sich schon um die Jahrhundertwende bei seinem Münchener Buchhändler nach einschlägigen Werken erkundigt und damit eine betroffene Reaktion ausgelöst hatte.

Fazit

Man kann feststellen, dass die künstlerisch 'angehauchten' oder tätigen Sympathieträger in Thomas Manns Werken überdurchschnittlich häufig körperliche Besonderheiten aufweisen und der Held von Königliche Hoheit insofern bestens in den Werkszusammenhang passt. Dass seine Liebesgeschichte ausnahmsweise glücklich endet und ihm, so hofft er, auch weiteres, wenn auch „strenges“ Glück mit Rücksicht auf seine Untertanen und das Land bevorsteht (ähnlich, wie Tonio Kröger den wahren Künstler zu einem äußerlich bürgerlichen und anständigen Leben verpflichten möchte), ist im Vergleich zu anderen Schöpfungen Thomas Manns ungewöhnlich, aber aus der Datierung des Romans und den autobiografischen Hintergründen zu erklären.

Entstehungsgeschichte

Erste Planungen Thomas Manns eines Romans über einen zum Außenseiter gestempelten Prinzen reichen bis in das Jahr 1903 zurück. Im Dezember dieses Jahres stand auch bereits der endgültige Titel fest. Gestalt nahm das Vorhaben freilich erst unter dem Einfluss der Verlobungszeit mit Katia Mann an, die im Roman letztlich in vielfältiger Weise thematisiert werden sollte.

Mit der Niederschrift begann Mann erst nach der Hochzeit am 11. Februar 1905. Die Figuren wurden im Laufe der Zeit mehrfach umgestaltet. Insbesondere war das Stigmatisierungs- und Außenseiter-Motiv ursprünglich noch weitaus ausgeprägter. So sollte etwa Imma Spoelman ursprünglich auch noch Jüdin sein und Imma Davidsohn heißen.

Abgeschlossen wurde das Manuskript im Februar 1909. Veröffentlicht wurde der Roman zunächst in der Neuen Rundschau und im Oktober schließlich im S. Fischer Verlag.

Wirkungsgeschichte

Publikum

Nach seinem Erscheinen wurde Königliche Hoheit vom Publikum begeistert aufgenommen. Bereits nach zwei Jahren wurde die 30. Auflage gedruckt, 1918 waren 165.000 Exemplare im Umlauf.

Kritik

Das Echo in der literarischen Fachwelt blieb verhalten, wurde der Roman doch – insbesondere gemessen an den wenige Jahre zuvor erschienenen Buddenbrooks – als etwas seicht, als „sicher schwächster“ von Manns Romanen (Reinhard Baumgart) eingestuft.

Dass sogar der Autor selbst sein Werk mit gemischten Gefühlen betrachtete, zeigt folgende Passage aus seiner Mitteilung an die Literaturhistorische Gesellschaft Bonn aus dem Jahr 1907: „Ein Prinz, ein Milliardär, ein Chauffeur, ein Rassehund, ein romantischer Hülfslehrer und eine Prinzessin besonderer Art treten auf […]. Mir selbst erscheint das Ganze zuweilen so neu und schön, dass ich in mich hineinlache – und zuweilen so läppisch, dass ich mich auf die Chaiselongue setze und zu sterben glaube.

Als „Simplicissimus-Humor“ erschienen die allzu sprechenden Namen (die wirre Gräfin Löwenjoul [schwedisch, sprich „Löwenjaul“], der schlaue Knobelsdorff, der Finanzminister Krippenreuther, der sanfte Arzt Sammet, der Hofminister Trümmerhauff, der hässliche Überbein, der englische Badearzt Watercloose u.a.m.) - der „fernab aller Beunruhigung jüngerer Schulenleitmotivisch die Generationen durchporträtierende Hofmaler heißt natürlich Lindemann. Besonders aber das Happy End, die romantische Märchenhochzeit, die Verbindung von Liebe und Hoheit, wurde „gewogen und zu leicht befunden“ – wie in Anspielung auf die Worte des alten Großherzogs gegenüber dem Leibarzt ein gängiges Urteil der Kritik lautet. Von einem „Abstieg ins Flachland des Optimismus“ (Kurt Martens), von einer „aufgesetzten“ (Helmut Jendreiek), einer „vorschnellen“ (Friedhelm Marx) Lösung war die Rede.

Hellmuth Karasek erklärte diese Kritik mit der tradierten Erwartung an den deutschen Roman, „tragisch zu enden, tödlich, im Untergang, in der Götterdämmerung.“

Apologie

Apologetische Ansätze kamen indes insbesondere von Joachim Rickes. Der Roman ende keinesfalls mit einem eindeutigen Happy End. So bleibe etwa offen, ob der Rosenstock tatsächlich duften werde. Leichte Schatten würfen auch die Rückfälligkeit des amnestierten Mörders Gudehus und die offenbar fortbestehende Korruption der Lakaien. Auch würden weder die Gräfin Löwenjoul noch der Hund Perceval von ihrem Wahnsinn geheilt. Schließlich sei zu bedenken, dass die Hochzeit nicht zuletzt aus Gründen der Staatsraison erfolge, wie die „verschmitzten Augenfältchen“ des als Standesbeamten fungierenden Knobelsdorff unterstrichen, aber auch das ironische Predigtthema „Man wird ihm vom Golde Arabiens geben“ (Zitat aus einer Schrift Justins des Märtyrers). Die „weitgehende Verkennung“ von Königliche Hoheit solle zum Anlass für eine neue literaturwissenschaftliche Methodik genommen werden.

Auch Thomas Manns Sohn Golo weist darauf hin, dass der Roman allenfalls „für den Nichteingeweihten (...) ein Operettenscherz“ sei.

Hörspiel / Verfilmung

Der Roman wurde 1953 von Hans Abich und Rolf Thiele unter Regie von Harald Braun in den Ateliers der Filmaufbau GmbH Göttingen in Agfacolor verfilmt. Teile der Außenaufnahmen - besonders die Reit- und Jagdszenen - wurden im Bereich des Jagdschlosses Nienover auf dem Gemeindegebiet des Flecken Bodenfelde im südniedersächsischen Solling und dem ca. 4 km westlich gelegenen Forsthaus Winnefeld produziert.

In den Hauptrollen spielen Dieter Borsche, Ruth Leuwerik und Lil Dagover. Daneben stand aber auch Thomas Manns Tochter Erika als Oberschwester Amalie vor der Kamera. Erika Mann war jedoch in erster Linie künstlerische Beraterin.

Ferner gibt es eine Hörspielfassung von 1954 mit Joachim Fernau, Dietrich Haugk, Inge Langen, Erich Ponto und Boy Gobert.

Literatur

  • Thomas Mann, Königliche Hoheit, Frankfurt a.M. Fischer, 1989. ISBN 3-596-29430-4
  • Thomas Mann, Königliche Hoheit, Herausgegeben von Heinrich Detering in Zusammenarbeit mit Stephan Stachorski. Text und Kommentar in einer Kassette, Frankfurt 2004, ISBN 3-10-048321-9

Sekundärliteratur

  • Heinrich Detering, „Juden, Frauen und Litteraten“ – Zu einer Denkfigur beim jungen Thomas Mann, Frankfurt am Main: S. Fischer, 2006
  • Hellmuth Karasek, Königliche Hoheit, in: Thomas-Mann-Jahrbuch, Band 4 (1991), S. 29-44
  • Jürgen Manthey, Prinz im Reich der Schneekönigin. Thomas Manns „Königliche Hoheit“, in: Merkur 50 (1996), S. 480-490
  • Jürgen H. Petersen, Die Märchenmotive und ihre Behandlung in Thomas Manns Roman „Königliche Hoheit“, in: Sprachkunst 4 (1973), S. 216-230
  • Joachim Rickes, Der sonderbare Rosenstock. Eine werkzentrierte Untersuchung zu Thomas Manns Roman „Königliche Hoheit“, Frankfurt/Berlin/Bern/New York 1998, ISBN 3-631-33486-9
  • Frithjof Trapp, Artistische Verklärung der Wirklichkeit. Thomas Manns Roman „Königliche Hoheit“ vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Presserezeption, in: Stationen der Thomas-Mann-Forschung: Aufsätze seit 1970
  • Hans Wysling, Die Fragmente zu Thomas Manns „Fürsten-Novelle“. Zur Urhandschrift der „Königlichen Hoheit“, in: Quellenkritische Studien zum Werk Thomas Manns, Bern/München 1967, S. 64-105
  • Hans Wysling, Königliche Hoheit (1990), in: Hans Wysling, Ausgewählte Aufsätze 1963-1995, Frankfurt am Main 1996, S. 219-230

Einzelnachweise

  1. Erstausgabe Königliche Hoheit
  2. Betrachtungen eine Unpolitischen. Berlin: S. Fischer 1918, S. 61

Weblinks

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