Jürgen Flimm
Jürgen Flimm (* 17. Juli 1941 in Gießen; † 4. Februar 2023 in Wischhafen-Hamelwörden)[1] war ein deutscher Regisseur, Schauspieler, Intendant und Hochschullehrer. Von 2010 bis 2018 war er Intendant der Berliner Staatsoper Unter den Linden.
Leben
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Jürgen Flimm wuchs in den Kölner Stadtteilen Mülheim und Dellbrück, Siedlung Thielenbruch, als Sohn eines praktischen Arztes auf, der auch am Theater tätig war. So konnte Flimm mit seinem Vater kostenlos Vorstellungen besuchen.[2] Nach dem Abitur am Deutzer Gymnasium Schaurtestraße[3] studierte Jürgen Flimm Theaterwissenschaft, Literaturwissenschaft und Soziologie an der Universität zu Köln. An der Studiobühne Köln, einer Einrichtung der Universität, und der Studiobühne am Germanistischen Seminar der Uni-Bonn erwarb er seine ersten praktischen Erfahrungen.[4] Am 8. Februar 1963 nahm er an der Bühne für sinnliche Wahrnehmung – KONZIL, einem im Rahmen des „Studium Universale“ der Universität Bonn gegründeten kulturellen Forum, teil und wirkte in der Uraufführung des Werks BEWEGUNGEN II 24' 1963 des Komponisten Johannes Fritsch mit (Co-Regie, Pantomime).[5] Seine berufliche Theaterkarriere begann Jürgen Flimm 1968 als Regieassistent an den Münchner Kammerspielen. Ab 1971 wurden seine eigenen Inszenierungen gespielt. 1972 wurde er Spielleiter am Nationaltheater Mannheim und 1973 Oberspielleiter am Thalia Theater Hamburg. Von 1979 bis 1985 war Flimm Intendant des Schauspielhauses der Stadt Köln und von 1985 bis 2000 Intendant des Thalia Theaters. Als Nachfolger von Gründungs-Intendant Gerard Mortier leitete er von 2005 bis 2007 die RuhrTriennale. Nach dem Tod der designierten Folge-Intendantin Marie Zimmermann übernahm er gemeinsam mit Jürgen Krings für das Jahr 2008 die Geschäftsführung der Ruhrtriennale und fungierte als künstlerischer Leiter.
Seine Operntätigkeit begann 1978 mit einer Inszenierung von Luigi Nonos Al gran sole carico d’amore an der Oper Frankfurt. Danach arbeitete er an vielen weiteren Opernhäusern wie der Mailänder Scala, der Metropolitan Opera, dem Royal Opera House Covent Garden, der Berliner Staatsoper Unter den Linden, der Hamburgischen Staatsoper, dem Opernhaus Zürich, bei den Bayreuther Festspielen und bei den Salzburger Festspielen.
Von 2006 bis 2010 leitete Jürgen Flimm die Salzburger Festspiele. Ab 2009 war er Berater der Berliner Staatsoper Unter den Linden, deren Intendanz er von 2010 bis 2018 übernahm.[6]
Als Fernsehregisseur war Flimm in zwei Folgen der Serie Ein Herz und eine Seele und beim Dokumentarfilm Wer zu spät kommt – Das Politbüro erlebt die deutsche Revolution (1990) tätig. Auch als Darsteller wirkte er in verschiedenen Produktionen mit, beispielsweise in zwei Tatort-Episoden.
Als Hochschullehrer war Jürgen Flimm an der Harvard University, der New York University und als Professor an der Universität Hamburg tätig.
Flimm war evangelischer Konfession. Der Zeitschrift Chrismon sagte er, der Glaube bedeute für ihn Toleranz, Geduld, Nachsicht; während „schlechte Predigten, inspirationslose Pastoren, Frömmelei und liturgisches Geleier“ ihn auf Distanz gehen ließen.[7]
Flimm starb am 4. Februar 2023 im Alter von 81 Jahren in Hamelwörden.[8]
Familie
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]1969 heiratete Flimm seine Schauspielkollegin Inge Jansen (1938–2017). Ab 1990 war er mit der Filmproduzentin Susanne Ottersbach-Flimm verheiratet. Mit ihr erwarb er Anfang der 1990er Jahre den Rathshof im Ortsteil Hamelwörden von Wischhafen, ein denkmalgeschütztes reetgedecktes Kehdinger Zweiständerhaus aus dem Jahr 1678, für das er ab 2010 mit Hauptwohnung gemeldet war.[9][10] Flimms Bruder Dieter (1939–2002) war Architekt, Musiker und Bühnenbildner.
Ehrungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Bundesverdienstkreuz 1. Klasse (23. Mai 1990)[11]
- 1990 wurde er für seine Verdienste mit dem Silbernen Blatt der Dramatiker Union ausgezeichnet.
- 1991 erhielt er (zusammen mit Martin Wiebel, Cordt Schnibben, Claudia Rohe, Hans-Christian Blech und Dirk Dautzenberg) den Adolf-Grimme-Preis mit Silber für „Wer zu spät kommt… Das Politbüro erlebt die deutsche Revolution“
- Großes Bundesverdienstkreuz (4. Oktober 2002)[11]
- Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen (2006)
- 2012 wurde er mit dem Johann-Heinrich-Voß-Preis für Literatur und Politik der Stadt Otterndorf geehrt.
- Träger der Medaille für Kunst und Wissenschaft der Freien und Hansestadt Hamburg
- Ehrendoktor der Universität Hildesheim
- 2017 Berliner Bär (B.Z.-Kulturpreis)
Jürgen Flimm war Mitglied der Freien Akademie der Künste Hamburg, der Akademie der Künste (Berlin) der Bayerischen Akademie der Schönen Künste,[12] der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste, war von 1999 bis 2013 Präsident des Deutschen Bühnenvereins und war Mitglied des Kuratoriums der Rudolf Augstein-Stiftung.
Filmografie
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Regisseur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- 1975: Polly oder Die Bataille am Bluewater Creek (von Peter Hacks, mit Cornelia Froboess und Vera Tschechowa)
- 1975: Turandot oder Der Kongreß der Weißwäscher (nach Bertolt Brecht, mit Maria Emo)
- 1976: Ein Herz und eine Seele (Folgen: „Schlußwort“ und „Telefon“)
- 1978: Uns reicht das nicht (mit Herbert Grönemeyer, Eberhard Feik und Uwe Ochsenknecht)
- 1980: Das Käthchen von Heilbronn (nach Heinrich von Kleist, mit Günter Lamprecht und Katharina Thalbach)
- 1981: Polnischer Sommer (mit Rainer Werner Fassbinder und Vadim Glowna)
- 1985: Die Wupper (nach Else Lasker-Schüler)
- 1989: Das Mädl aus der Vorstadt (mit Otto Schenk und Julia Stemberger)
- 1990: Wer zu spät kommt – Das Politbüro erlebt die deutsche Revolution (Doku)
- 1992: L’incoronazione di Poppea von Claudio Monteverdi (Salzburger Festspiele)
- 1991: Der Schwierige (Hugo von Hofmannsthal, mit Karlheinz Hackl und Julia Stemberger)
- 1994: Die Wildente (Henrik Ibsen, mit Hans Christian Rudolph, Ignaz Kirchner, Sven Eric Bechtolf, Will Quadflieg)
- 1996: Figaros Hochzeit, Opernhaus Zürich, Leitung: Nikolaus Harnoncourt, mit Rod Gilfry, László Polgár, Isabel Rey, Cecilia Bartoli; DVD TDK/Arthaus
- 1997: Zwischen Rosen (Film mit Maximilian Schell)
- 2000: Der Ring des Nibelungen von Richard Wagner, Bayreuther Festspiele 2000 bis 2004, Leitung: Giuseppe Sinopoli und Ádám Fischer
- 2001: Don Giovanni von Wolfgang Amadeus Mozart Leitung: Nikolaus Harnoncourt, Rod Gilfry, Cecilia Bartoli, Agnes Baltsa
- 2001: The Rake’s Progress von Igor Strawinsky, Leitung: Ingo Metzmacher, Hamburgische Staatsoper
- 2004: Käthchens Traum (Film mit Tobias Moretti)
Drehbuchautor
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- 1997: Zwischen Rosen
Darsteller
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- 1968: Der Unfall
- 1969: Die Hupe – Eine Schülerzeitung (13 Folgen)
- 1971: Hugo was here (Kurzspielfilm)
- 1971: Tatort: Kressin und der tote Mann im Fleet (TV-Reihe)
- 1973: Mordkommission (Serie)
- 1974: Tatort: Eine todsichere Sache (TV-Reihe)
- 1978: Die schöne Marianne (TV-Reihe), siehe Marianne Ruaux#TV-Serie[13]
- Finkel will sterben
- Der Falschspieler
- 1981: Engel aus Eisen
- 1981: Looping
- 1988: Der Einbruch
- 1988: Der Passagier – Welcome to Germany
- 1994: Der gute Merbach
- 2013: Hai-Alarm am Müggelsee
Sonstiges
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Zeichnungen zum Buch Die Mundorgel wurden von Jürgen Flimm beigesteuert.[14]
Von 2004 bis zu seinem Tod 2023 war Jürgen Flimm Schirmherr der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft Landesverband Hamburg e. V.[15]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Ute Kröger: Jürgen Flimm. In: Andreas Kotte (Hrsg.): Theaterlexikon der Schweiz. Band 1, Chronos, Zürich 2005, ISBN 3-0340-0715-9, S. 607 f.
- Selbst-Porträt der Kindheit und Jugend in: Florian Langenscheidt (Hrsg.): Bei uns zu Hause. Prominente erzählen von ihrer Kindheit. Düsseldorf 1995, ISBN 3-430-15945-8.
- Jürgen Flimm: Theatergänger. Begegnungen und Situationen. Steidl, Göttingen 2004, ISBN 978-3-86521-052-4
- Jürgen Flimm: Theaterbilder. Eine fotografische Werkschau. Steidl, Göttingen 2008, ISBN 978-3-86521-248-1
- Jürgen Flimm: Die gestürzte Pyramide. Müry Salzmann, Salzburg 2010, ISBN 978-3-99014-006-2
- Jürgen Flimm: Das Salzburger Kapitel 1987–2010. Mit einem Interview von Andres Müry. Müry Salzmann, Salzburg 2010, ISBN 978-3-99014-022-2
- Jürgen Flimm: Mit Herz und Mund und Tat und Leben. Erinnerungen. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2024, ISBN 978-3-462-05480-4.
Zitat
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]„Vor allem wird man sich an den Intendanten Flimm erinnern – an einen Grossen im Nachkriegsdeutschland, das Theater liebend und umarmend. Wegbegleiter preisen seinen klugen Pragmatismus, seinen unerschütterlichen Sinn für Humor.“
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Literatur von und über Jürgen Flimm im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Jürgen Flimm bei IMDb
- Jürgen Flimm bei Crew United
- Jürgen Flimm bei Theapolis
- Biografie bei Universität der Künste Berlin
- Biografie bei Universität Hildesheim
- Deutschlandfunk (DLF) Kulturfragen. Debatten und Dokumente vom 1. April 2018: Staatsopern-Intendant Jürgen Flimm: „Ich höre in einem intellektuell guten Zustand auf“
- Sind Sie lieber Theaterregisseur oder Intendant? – Gespräch im Deutschlandfunk Kultur über Leben und Werk, Erstsendung am 2. September 2015 (wieder online gestellt am 6. Februar 2023)
- Videoaufnahmen von Inszenierungen von Jürgen Flimm im Rahmen der Salzburger Festspiele im Onlinearchiv der Österreichischen Mediathek (anmeldepflichtig)
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Traueranzeigen der Familie sueddeutsche.de vom 6. Februar 2023 und des Hamburger Freundeskreises faz.net vom 11. Februar 2023
- ↑ Interview in der SZ vom 6. Mai 2011.
- ↑ (auch für Wohnorte) Martin Oehlen: Interview mit JF zum 70. (online) vom 15. Juli 2011 ( vom 16. Juli 2011 im Internet Archive)
- ↑ Interview mit Bühnenleiter Georg Franke. In: Kölner Universitätszeitung. 2/2009 (PDF 2,5 MB), S. 9
- ↑ Vgl. Gerd Hergen Lübben: Bühne für sinnliche Wahrnehmung – KONZIL. Bonn 1961/2012, S. 17, 18, 20; abgerufen am 10. Januar 2016.
- ↑ Staatsoper unter den Linden: Jürgen Flimm wird neuer Intendant. Auf Spiegel Online, abgerufen am 22. Dezember 2008.
- ↑ Jürgen Flimm: Evangelisch im Laienspielkreis. In: Chrismon spezial. 31. Oktober 2014.
- ↑ Der Bundespräsident Pressemitteilung vom 5. Februar 2023: Bundespräsident Steinmeier kondoliert zum Tod von Jürgen Flimm, abgerufen am 3. April 2023
- ↑ Der Rathshof in Hamelwörden wird DSD-Förderprojekt. In: Deutsche Stiftung Denkmalschutz, 16. Mai 2017
- ↑ Jürgen Flimm: Ein Wandler zwischen den Welten. In: Kreiszeitung Wochenblatt, 26. Mai 2017
- ↑ a b Auskunft Bundespräsidialamt
- ↑ Bayerische Akademie der Schönen Künste: https://www.badsk.de/bayerische-akademie-der-sch%C3%B6nen-k%C3%BCnste/mitglieder/j%C3%BCrgen-flimm. Abgerufen am 5. Februar 2023.
- ↑ Jürgen Flimm bei IMDb
- ↑ die mundorgel. mundorgel verlag, Köln-Waldbröl 2001, ISBN 3-87571-043-6.
- ↑ Jürgen Flimm: Die DMSG Hamburg trauert um ihren Schirmherrn | DMSG Hamburg. Abgerufen am 7. Februar 2023 (deutsch).
- ↑ Marion Löhndorf: Der Vielbegabte – Jürgen Flimm war Intendant der Berliner Staatsoper, Theatermann und noch viel mehr. In: Neue Zürcher Zeitung, 4. Februar 2023, abgerufen am 6. Februar 2023.
Personendaten | |
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NAME | Flimm, Jürgen |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Regisseur, Schauspieler, Intendant und Hochschullehrer |
GEBURTSDATUM | 17. Juli 1941 |
GEBURTSORT | Gießen |
STERBEDATUM | 4. Februar 2023 |
STERBEORT | Berlin |
- Theaterintendant
- Theaterregisseur
- Filmregisseur
- Drehbuchautor
- Filmschauspieler
- Person (Salzburger Festspiele)
- Person (Bayreuther Festspiele)
- Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes
- Träger des Verdienstordens des Landes Nordrhein-Westfalen
- Mitglied der Akademie der Künste (DDR)
- Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste
- Mitglied der Akademie der Künste (Berlin)
- Ehrendoktor der Universität Hildesheim
- Grimme-Preisträger
- Deutscher
- Geboren 1941
- Gestorben 2023
- Mann