Tupolew Tu-104
Tupolew Tu-104 | |
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Typ: | Strahlverkehrsflugzeug |
Entwurfsland: | |
Hersteller: | OKB Tupolew |
Erstflug: | 17. Juni 1955 |
Indienststellung: | 1956 |
Produktionszeit: | 1956–1960 |
Stückzahl: | ca. 200 |
Die Tupolew Tu-104 (russisch Туполев Ту-104, NATO-Codename Camel) war nach der De Havilland DH.106 Comet das zweite Strahlverkehrsflugzeug der Welt, wobei das vom Tupolew OKB entwickelte Flugzeug größer und schneller war, aber eine geringere Reichweite hatte. Das Ausgangsflugzeug für die Tu-104 war der Bomber Tu-16. Der Erstflug fand im Juni 1955 statt, ab 1956 wurde die Maschine auch im Liniendienst eingesetzt. Bis zum Produktionsende 1960 wurden etwas mehr als 200 Flugzeuge dieses Typs produziert.
Für die sowjetischen Luftstreitkräfte wurde aus der Tu-104 das Transportflugzeug Tu-107 abgeleitet, das aber nicht in den Bestand der Luftstreitkräfte übernommen wurde.
Inhaltsverzeichnis
Entwicklung und konstruktiver Aufbau[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Für die Verwendung im Passagierverkehr musste der auf militärische Anforderungen konzipierte Rumpf neu entwickelt werden. So wurde der Rumpfdurchmesser von 2,90 m auf 3,40 m vergrößert, jedoch ohne die Einschnürungen im Bereich der Triebwerksanordnung wie bei der Tu-16. Dies ergab eine druckbelüftete Kabine von 16,11 m Länge, 3,2 m Breite und 1,95 m Höhe. Die Kabine wird durch ein erhöhtes Mittelstück im Bereich des Tragflügelmittelstücks in einen vorderen und einen hinteren Kabinenbereich unterteilt. Dort wurde bei den ersten Serienflugzeugen die Bordküche installiert. Das Cockpit ist für eine fünfköpfige Besatzung, bestehend aus Pilot, Copilot, Navigator (in der verglasten Bugkanzel), Funker und Flugingenieur, ausgelegt.
Aufgrund der Rumpfänderungen musste auch die Anordnung der Triebwerke geändert werden. Die Triebwerksgondeln zur Aufnahme der für damalige Verhältnisse riesigen Mikulin-AM-3M-Triebwerke wurden nun in die Tragflächen integriert. Die Triebwerke waren im hinteren Bereich der Gondeln untergebracht. Der Tragflügel erhielt ein breiteres Mittelstück, war aber ansonsten von der Tu-16 übernommen worden. Die Höhenflosse war nun auf dem Rumpfheck angebracht, das Bugfahrwerk weiter vorn platziert. Als Besonderheit für ein Passagierflugzeug verfügten einige Versionen über einen Bremsschirm.
Mit dem Luftfahrzeugkennzeichen CCCP-Л5400 hob der Prototyp am 17. Juni 1955, gesteuert von J. I. Alaschejew, zu seinem Jungfernflug ab. Bereits am 3. Juli 1955 wurde er auf der Luftparade in Tuschino der Öffentlichkeit vorgestellt.[1] Die Produktion erfolgte in den Flugzeugwerken von Charkow und Omsk und später auch in Kasan.
Durch die Weiterentwicklung der Triebwerke konnte man im OKB Tupolew im Winter 1956/57 die Tu-104-A entwickeln. Sie hatte eine erhöhte Startmasse und eine auf 70 Passagiere erweiterte Sitzplatzkapazität. Der A-Version folgte die Tu-104B mit einem um 1,21 m verlängerten Rumpf. Diese zusätzliche Nutzlaststeigerung ermöglichte es, die Passagierkapazität nochmals auf 100 Personen zu steigern (30 vordere Kabine, 15 Mittelbereich, 65 hintere Kabine). Ende der 1970er-Jahre wurden fast alle Tu-104 auf 104 oder 115 Sitzplätze umgerüstet.
Einsatz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Flugerprobung der Tu-104 lief relativ problemlos. Schon im Sommer 1955 begann die Aeroflot mit dem Besatzungstraining auf zwei entmilitarisierten Tu-16 (auch als Tu-104G bezeichnet). Erstmals im Westen landete die Tu-104 am 22. März 1956 in London-Heathrow in Vorbereitung eines sowjetischen Staatsbesuches. Der Besuch erregte unter westlichen Experten großes Interesse, zumal bis dahin nur die De Havilland DH.106 Comet als Passagierflugzeug mit Strahlantrieb im Einsatz war.
Am 15. September 1956 begann die Aeroflot den Liniendienst auf der Strecke Moskau–Irkutsk mit Tu-104. Ab 12. Oktober 1956 wurde auch die Strecke Moskau–Prag mit diesem Typ beflogen. Bis Anfang der 1960er-Jahre wurde die Tu-104 zum wichtigsten Mittelstreckenflugzeug der Aeroflot. Einziger Exportkunde wurde die tschechoslowakische ČSA, die 1957 sechs Exemplare der Tu-104A erwarb.
Am 15. März 1959 nahm Aeroflot mit der Tu-104 die stark frequentierte Route Moskau–Leningrad auf.
Ab 1981 wurde die Tu-104 von Aeroflot aus dem Betrieb genommen. Einige der Maschinen sollen an das Militär übertragen worden sein und wurden teils im Rahmen des Kosmonautentrainings zu fliegenden Trainern für Schwerelosigkeit umgebaut. Mindestens eine Maschine soll für meteorologische Forschung verwendet worden sein.
Wie alle der ersten strahlgetriebenen Passagierflugzeuge hatte die Tu-104 mit 37 Totalverlusten von ca. 200 (18,5 %) gebauten Maschinen eine für heutige Verhältnisse hohe Verlustrate. Sie lag damit deutlich schlechter als die DC-8 (14,5 %), in etwa auf dem Niveau der Boeing 707 (17,0 %) und besser als die De Havilland DH.106 Comet (21,9 %) sowie die Sud Aviation Caravelle (23,0 %). Zu Anfang der Nutzung gerieten mehrfach Tu-104 aus unbekannten Gründen ins Flachtrudeln. Ein Zusammenhang mit der Konstruktion wurde zunächst nicht gesehen. Beim zweiten Absturz auf einem Linienflug am 17. Oktober 1958, bei dem alle 80 Insassen ums Leben kamen, konnte die Besatzung wenigstens bruchstückhaft Details über die Lage an Bord übermitteln. Daraufhin konnten die Ursachen ermittelt werden. Bei hohen Machzahlen (>0,82), Höhen über 10.000 m und hinteren Schwerpunktlagen von über 30 % konnten Böen von unten zu einem Hochreißen des Flugzeugs, Geschwindigkeitsverlust und anschließendem Trudeln führen. Dieses Phänomen war bis dahin nicht bekannt. Zudem waren Steuerelemente für solche Fälle nicht stark genug ausgelegt. Noch im Dezember wurden konstruktive Änderungen getroffen und bestimmte Betriebsparameter beschränkt.[2]
Ein umfangreiches Bauprogramm an den Einsatzflughäfen ließ die Pisten deutlich verlängern, um der Tu-104 gerecht zu werden. Wie fast alle Flugzeuge am Anfang des Strahlzeitalters hatte auch die Tu-104 einen hohen Schalldruckpegel.
Varianten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- Tu-104: Basismodell, 50 Sitzplätze, 29 Stück wurden gebaut
- Tu-104A: Version mit schubstärkeren Triebwerken AM-3M und veränderter Kabinenanordnung, 70 Sitzplätze, 77 Stück wurden gebaut
- Tu-104B: Version mit 1,21 m verlängertem Rumpf, vergrößerter Flügelfläche und geänderten Landeklappen, 100 Sitzplätze, später auf 115 Sitzplätze umgerüstet, Erstflug im Juli 1958
- Tu-104D: umgerüstete Tu-104A mit 85 Sitzplätzen, wurde später wieder auf A-Standard zurückgebaut
- Tu-104E: verbesserte Version von 1963 mit M16-15-Triebwerken. Es entstanden zwei Exemplare, von denen eines veränderte Lufteinläufe, einen verkürzten Bug, Doppelspalt-Landeklappen und Vorflügel aufwies. Die Version kam für die Serienfertigung zu spät
- Tu-104G: zwei zu zivilen Besatzungstrainern umgerüstete Tu-16 (keine eigentlichen Tu-104)
- Tu-104W: ab 1962 umgerüstete Tu-104A auf 116 Sitzplätze, später wieder auf A-Standard zurückgebaut
- Tu-107: zum militärischen Truppentransporter umgerüstete Testversion mit Zwillingskanone im Heck, kein Serienbau[3]
Zwischenfälle[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Vom Erstflug 1955 bis zum Betriebsende 1986 kam es mit Tu-104 zu 37 Totalschäden von Flugzeugen. Bei 23 davon kamen 1139 Menschen ums Leben.[4] Diese Liste ist unvollständig und wurde erst begonnen (November 2018).
- Am 17. Oktober 1958 stürzte eine Tupolew Tu-104A der sowjetischen Aeroflot (Luftfahrzeugkennzeichen CCCP-42362) auf dem Flug vom Flughafen Omsk nach Moskau bei Kanasch, Sowjetunion ab. Alle 71 Fluggäste sowie die neunköpfige Besatzung kamen ums Leben (zur Ursache siehe auch oben im Abschnitt Einsatz).[5]
- Am 18. Mai 1973 zündete ein Passagier in einer Tupolew Tu-104B der Aeroflot (CCCP-42411) eine Bombe, woraufhin das Flugzeug östlich des Baikalsees abstürzte. Alle 82 Insassen kamen ums Leben.[6]
- Am 30. September 1973 stürzte eine Tu-104B der Aeroflot (CCCP-42506) vier Minuten nach dem Start zum Flughafen Omsk zehn Kilometer südwestlich des Flughafens Jekaterinburg in einen Wald. Offensichtlich führte ein Stromverlust zum Ausfall beider künstlicher Horizontinstrumente und daraus resultierend zum Kontrollverlust und folgenden Absturz. Alle 100 Passagiere und 8 Besatzungsmitglieder kamen ums Leben.[7]
Technische Daten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Kenngröße | Tu-104A | Tu-104B |
---|---|---|
Länge | 38,85 m | 40,05 m |
Spannweite | 34,54 m | |
Höhe | 11,90 m | |
Flügelfläche | 174,40 m² | 183,50 m² |
Flügelstreckung | 6,80 | 6,50 |
Flügelpfeilung | 37° 30′ | |
Rumpfbreite | 3,50 m | |
Kabine | Länge: 16,11 m Breite: 3,20 m Höhe: 1,95 m Volumen: 143,20 m³ |
Länge: 20,12 m Breite: 3,20 m Höhe: 1,97 m Volumen: 149,20 m³ |
Frachtraumvolumen | 13,00 m³ | 28,00 m³ |
Fahrwerkspurbreite | 11,83 m | |
Radstand | 14,10 m | 15,32 m |
Leermasse | 41.600 kg | 42.500 kg |
Zuladung | 34.400 kg | 33.500 kg |
Nutzlast | 9.000 kg | 12.000 kg |
max. Startmasse | 76.000 kg | |
Flächenbelastung | 435,5 kg/m² | 457,7 kg/m² |
Leistungsbelastung | 3,9 kg/kp | |
Triebwerke | zwei Strahltriebwerke Mikulin AM-3M | |
Leistung | je 6750 kp | |
Tankvolumen | 33.000 l | |
Kraftstoffverbrauch | 6000 l/h | |
Höchstgeschwindigkeit | 900 km/h | |
Reisegeschwindigkeit | maximal 800 km/h wirtschaftlich 750 km/h | |
Landegeschwindigkeit | 200 km/h | |
Reichweite | 3100 km mit maximalem Tankvolumen 2650 km mit maximaler Nutzlast |
3100 km mit maximalem Tankvolumen 2100 km mit maximaler Nutzlast |
Dienstgipfelhöhe | 11.500 m | |
Reiseflughöhe | 10.000 m | |
Start- / Landerollstrecke | 2000 m / 1100 m mit Bremsschirm | 2000 m / 1800 m |
Besatzung | 5 | |
Passagiere | 70 | 100 |
Rekorde[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Im September 1957 stellte die Tu-104A an drei Tagen einen Höhenrekord von 20.000 kg Nutzlast in 11.221 m auf. Weiterhin stellte dieses Flugzeug einen Geschwindigkeitsrekord von 847,498 km/h mit 20.000 kg Nutzlast in der Platzrunde auf. Auch mit einer Tu-104A wurde ein Geschwindigkeitsrekord von 970,821 km/h auf einem 1.000-km-Rundkurs mit 10.000 kg Nutzlast erreicht.
Die Tu-104B erreichte gegenüber ihrer Vorgängerin noch größere Leistungen. So wurde mit diesem Typ auf einem 2.000-km-Rundkurs mit 15.000 kg Nutzlast ein Geschwindigkeitsrekord von 1.015,86 km/h aufgestellt. Weiterhin schaffte die Tu-104B einen Höhenrekord von 12.799 m mit 25.000 kg Nutzlast.
Aus einer Tu-104B wurde die für Rekordflüge ausgelegte Tu-104E entwickelt. Mit dieser Version wurde auf einem Rundkurs mit 15.000 kg Nutzlast ein Geschwindigkeitsrekord von 959,94 km/h aufgestellt.
Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- Ulrich Unger: Die legendäre Tu-104. In: Fliegerrevue Extra. 3 und 4, 2003 und 2004. Möller, Berlin.
- de Agostini (Hrsg.): Aircraft. Die neue Enzyklopädie der Luftfahrt. Nr. 29. TOPIC, München-Karlsfeld 1993.
- Heinz A. F. Schmidt: Sowjetische Flugzeuge. Transpress, Berlin 1971, S. 71.
Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- ↑ Karl-Heinz Eyermann, Wolfgang Sellenthin: Die Luftparaden der UdSSR. Zentralvorstand der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, 1967. S. 38
- ↑ Ulrich Unger in Flieger-Revue-Extra 3, zit. in: Holger Lorenz: Start ins Düsenzeitalter. hollipress-Eigenverlag 2008, ISBN 978-3-931770-75-4, S. 188/190
- ↑ Heiko Thiesler: Paukenschlag vor 60 Jahren: Tu-104 geht in Liniendienst. In: Fliegerrevue. Nr. 08/2016, S. 48–51.
- ↑ Unfallstatistik Tupolev Tu-104, Aviation Safety Network (englisch), abgerufen am 5. November 2018.
- ↑ Unfallbericht TU-104A CCCP-42362, Aviation Safety Network (englisch), abgerufen am 19. August 2017.
- ↑ Unfallbericht TU-104B CCCP-42411, Aviation Safety Network (englisch), abgerufen am 5. November 2018.
- ↑ Unfallbericht TU-104B CCCP-42506, Aviation Safety Network (englisch), abgerufen am 5. November 2018.