Noricum

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Noricum war ein keltisches Königreich unter der Führung des Stammes der Noriker im Gebiet des heutigen Österreich und später unter der Bezeichnung Provincia Noricum eine Provinz des Römischen Reiches. Es umfasste als Provinz ungefähr die heutigen österreichischen Bundesländer Kärnten, Salzburg, Oberösterreich, Niederösterreich und Steiermark sowie Südostoberbayern mit dem Chiemgau. Außerdem gehörten östliche Teile Tirols dazu. Angrenzend waren Raetia im Westen, Pannonia im Osten und Italia im Südwesten. Im Süden befand sich das italienische Kernland, im Norden reichte das keltische Königreich im Gegensatz zu späteren römischen Provinz über die Donau hinaus. Erst unter der Herrschaft Roms bildete die Donau die Grenze des Imperiums und somit auch der Provinz (Limes).

Die ursprüngliche hallstattzeitliche Bevölkerung wurde etwa ab 450 v. Chr. durch Zuwanderung keltischer Bevölkerungselemente aus dem keltischen Kerngebiet (Südwestdeutschland und Ostfrankreich) assimiliert. (Inwieweit man die Menschen der älteren Eisenzeit (Hallstattzeit), benannt nach dem berühmten oberösterreichischen Gräberfeld und Salzbergbau von Hallstatt, bereits als Kelten bezeichnen kann, ist nach wie vor strittig.) Um ca. 200 v. Chr. schlossen sich unter der Führung der Noriker dreizehn keltisch/illyrische Stämme zum Königreich von Noricum zusammen. Somit ist das Regnum Noricum das erste politische Gebilde auf österreichischem Boden. Acht der 13 Stämme Noricums sind bekannt: Ambidraven, Ambilinen, Ambisonten, Helvetier, Laianken, Noriker, Saevaten und Uperaken.

Zwei namentlich bekannte Könige des Königreiches Noricum sind Cincibilus, der 170 v. Chr. mit den Römern einen Freundschaftsvertrag schloß, und der norische König Voccio, der seine Schwester mit dem Germanenfürsten Ariovist verheiratete. Letzterer findet im Gallischen Krieg Erwähnung, da er Caesar 300 Reiter für den Kampf zur Verfügung stellte.

Die Lage der Hauptstadt Noreia ist nach wie vor unbekannt. Von manchen (Lokalpolitikern?) wird gelegentlich Neumarkt in Steiermark vermutet.

Noricum war für Norium namensgebend, einen Zeitabschnitt des Keuper.

Zeit der Selbständigkeit

Nach 200 v. Chr. wurden die Kelten Noricums von den Römern nach dem bedeutendsten Stamm als Taurisker oder Noriker (Caesar) bezeichnet. Die Bevölkerung nahm infolge verbesserter Anbaumethoden und technologischem Fortschritt (eiserne Pflugschar) rasch zu. Der Landmangel wurde 186 v. Chr. so drückend, dass 12.000 Taurisker und Boier nach Italien an die Adria zogen. Rom konnte zwar eine Stadtgründung in Friaul verhindern, nicht jedoch dass sich die Kelten in der Poebene und der Küste des heutigen Veneziens ansiedelten.

Fünf Jahre später gründeten die Römer Aquileia aus einer Militärkolonie heraus. Die Stadt sollte für den Alpentransithandel große Bedeutung erlangen. Angelockt von Handelsmöglichkeiten und Goldreichtum knüpften die Römer mit den Tauriskern des Noricum freundschaftliche Bande. Damit erhielten sie auch Zugang zu den Eisenlagerstätten des Regnum Noricum.

Um 170 v. Chr. verhandelte, wie Titus Livius berichtet, eine römische Gesandtschaft mit dem Stammesbündnis. Ab diesem Zeitpunkt stand König Cincibilus zu den Römern durch ein „hospitium publicum“ (staatliche Gastfreundschaft) in freundschaftlichem Verhältnis. In der Folge entwickelten sich gute Handelsbeziehungen und der Einfluss Roms nahm zu. Zentrum des Regnum Noricums war vermutlich die Siedlung auf dem Magdalensberg (später Virunum), eine dort gefundene frührömische Inschrift nennt die Namen der uns bekannten acht norischen Stämme. Im 2. Jahrhundert v. Chr. entstanden befestigte Zentralorte (oppida). Münzen nach griechischen Vorbildern wurden geprägt. Im 1. Jahrhundert v. Chr. erreichte das Regnum Noricum seine größte Ausdehnung nach Osten und Norden. Wirtschaftliche Grundlagen waren Eisen (norisches Eisen), Bergbau, Industrie, landwirtschaftliche Produkte und Handel.

Um 120–115 v. Chr. fielen in Noricum die germanischen Stämme der Kimbern, Ambronen und Teutonen ein, die vorher von den Boiern im Böhmischen Kessel, den Skordiskern am Balkan und schließlich von den Tauriskern abgewehrt worden waren. Im Jahre 113 v. Chr. erlitt bei Noreia ein römisches Heer eine vernichtende Niederlage, woraufhin die Invasoren Noricum verließen und nach Westen zogen. Durch den Druck der Germanen, besonders der Sueben, gerieten im Norden und Nordosten die Boier in Nachbarschaft Noricums (im Gebiet des späteren Regnum VannianumMarchfeld, Weinviertel, Wiener Becken), wobei Pressburg ihr wichtigstes Oppidum war. Um 58 v. Chr. versuchten die Boier, Noricum zu erobern, erlitten jedoch eine vernichtende Niederlage. Im Pakt mit den Tauriskern bedrohten sie dann über Jahre hinweg Noricum, bis ihr Reich von den Dakern zerstört wurde.

Im Jahr 49 v. Chr. schickte der norische König Voccio Caesar Hilfstruppen für den Bürgerkrieg. Infolge der Niederlage der Boier gegen die Daker wurde der Donauraum angegliedert oder in Abhängigkeit gebracht, die Macht Noricums reichte bis ins Wiener Becken und nach Westungarn. Somit gelang den Norikern die letzte überregionale Machtbildung der Festlandkelten.

Römische Zeit

Römische Provinzen

Noricum wurde im Jahr 15 v. Chr. unter Kaiser Augustus Teil des römischen Reichs. Zunächst behielt es eine eingeschränkte Autonomie als tributpflichtiges Fürstentum, doch unter Kaiser Claudius (41–54 n. Chr.) wurde es endgültig eine römische Provinz.

Die Provinz Noricum grenzte im Süden an Italien, im Osten an Pannonien und im Westen an Raetien. Bis zur Erhebung in den Provinzialstatus wurden die Grenzen jedoch laufend verändert. Während die Siedlungen Emona (Laibach), Poetovia (Pettau), Savaria (Stein am Anger) und Scarbantia (Ödenburg) entlang der Straße von Aquileia nach Carnuntum wahrscheinlich immer norisch waren, wurden sie um 8 n. Chr. mit der Errichtung der Provinz Pannonien dieser angegliedert. Carnuntum selbst gehörte 6 n. Chr. noch zu Noricum, wurde aber gemeinsam mit dem Wiener Becken ebenfalls der Provinz Pannonien zugeschlagen.

Noricum wurde von den Römern in den folgenden Jahrhunderten mit einem dichten Fernstraßennetz überzogen. Zahlreiche Meilensteine und andere archäologische Funde legen davon Zeugnis ab. Die besterforschte römische Straßenstation Noricums ist Immurium (Moosham, Bundesland Salzburg), am Südfuß des Radstädter Tauernpasses. Eine andere wichtige Verbindung führte von Rom über Aquileia, Emona, Celeia, Poetovio nach Carnuntum. Zahlreiche Seitenstraßen zweigten in das norische Alpenland ab. Bei Aquileia ging eine Straße nach Aguntum, eine andere führte über Virunum nach Ovilava (Wels). Auch der Loiblpass war durch einen Saumweg über Emona bereits existent. Von Celeia aus gelangte man in das Hüttenberger Erzgebiet sowie über Virunum nach Iuvavum. Das Murtal mit Flavia Solva war von Poetovio (Ptuj) aus erschlossen. Die zweitwichtigste Verbindung führte entlang des Donaulimes vom pannonischen Vindobona über Cetium, Lauriacum nach Boiodurum (Passau). An ihr zweigten bei Lauriacum Seitenäste nach Ovilava ab, die nach Iuvavum führten.


Bei der unter Kaiser Diokletian vorgenommenen Verwaltungsreform wurde Noricum der Diözese Illyria zugeschlagen. Die Provinz selbst wurde geteilt in

  • Noricum Ripense („Ufer-Noricum“, gemeint ist das Donau-Ufer) im Norden des Alpenhauptkamms und
  • Noricum Mediterraneum („Binnen-Noricum“) im Süden. Neu aufgestellt wurde die 1. Norische Legion (legio I Noricorum).

Die Hauptstadt der Gesamtprovinz war Virunum, das später auch das Verwaltungszentrum von Binnen-Noricum wurde. Später residierten hier auch Finanz- und Postverwaltung. Ab der 2. Hälfte des 5. Jh. n. Chr. übernahm Teurnia diese Funktion. Donau-Noricum wurde von Ovilavis aus verwaltet.

Die römische Provinz Noricum Ripense wurde durchflossen von Narus (Salzach) und Anisus (Enns), die Westgrenze bildete der Aenus (Inn), die Nordgrenze Danuvius (Donau). Der Name Danuvius für den Oberlauf der Donau wurde seit der Mitte des 1. Jh. n. Chr. verwendet. Die bedeutendsten Städte waren Lauriacum (Lorch-Enns), Lentia (Linz), Ioviaco (Schlögen), Iuvavum (Salzburg), Cucullis (Kuchl), Favianis (Mautern), Cetium (St. Pölten), Comagenis (Tulln) und Asturis (Klosterneuburg, Zwentendorf oder Zeiselmauer). Verwaltungssitz war Lauriacum (Lorch).

Die römische Provinz Noricum Mediterraneum wurde durchflossen vom Dravus (Drau). Die bedeutendsten Städte waren Aguntum (Dölsach/Lienz), Tiburnia oder Teurnia (St. Peter in Holz), Virunum (Zollfeld), Poetovio (Ptuj, dt. Pettau) und Flavia Solva (bei Leibnitz). Verwaltungssitz war Teurnia.

Mit Poststationen verbundene Siedlungen waren Noreia (Wildbad Einöd; nicht identisch mit dem gesuchten Noreia), Gabromagus (Windischgarsten), Graviacae (Flattnitz), Lotodos (), Ad Anisum (Radstadt), Ad Medias (/SLO), Ad Pontem (Lind), Ad Vicesimum (), Ad Vineas (), Atrans (Trojane/SLO), Beliandrum (Treibach), Candalicae (Friesach), Colatio (Stari trg bei Slovenj Gradec/Altenmarkt bei Windischgraz), Ernolatia (), Inalpe (Radstädter Tauernpass), In Murio (auch Immurium; Moosham), Ioviacum (Schlögen/Donau), Iuenna (Globasnitz), Laciacis (bei Mösendorf), Littamum (Innichen/I), Matucalum (), Monatae (Sankt Georgen ob Judenburg), Poedicum (Bruck an der Mur), Santicum (Villach), Sebatum (/I), Tarnantone (), Tarnasciae (), Tartusanae (St. Johann am Tauern), Tergolape (bei Vöcklabruck), Tutatio (Micheldorf), Upellae (), Vetonianae () und Vocario ().

An sonstigen Siedlungsresten sind bekannt: Ad Iuvense (Ybbs?), Ad Mauros (Eferding), Arelape (Pöchlarn), Augustianae (Traismauer), Bedaium (Seebruck/D), Boiodurum (Passau), Cannabiaca (Zeiselmauer), Favianae (Mautern), Gurina (Dellach im Gailtal), Lentia (Linz), Locus Felix (Wallsee), Meclaria (), Namare (Melk/Donau), Piranum (Piran/SLO), Piro torto (), Stiriatae (Liezen), Surontium (Trieben) und Viscella (Oberzeiring).

Lauriacum in Noricum Ripense (Ufer-Noricum) und Poetovio, Aguntum, Teurnia und wahrscheinlich auch Virunum (Binnen-Noricum) waren Bischofssitze, die dann in den Wirren der Völkerwanderung untergegangen sind.

Im 2. Jhd. litt Noricum unter den Markomannenkriegen. Damals wurde die 2. Italische Legion an der Ennsmündung stationiert. Ihr Kommandant war auch Provinzstatthalter mit Sitz in Lauriacum oder Ovilava. Später wurde es von germanischen Stämmen bedroht, weswegen Virunum aufgelassen und die Hauptstadt nach Teurnia verlegt wurde. Nach dem Zerfall des römischen Reiches blieb die römische Verwaltung noch eine Zeitlang erhalten, bis das Gebiet von Awaren und Slawen erobert wurde.

Eine herausragende Gestalt der römischen Spätzeit in dieser Region war der hl. Severin von Noricum (um 410 bis 08. Januar 482), Einsiedler, Abt und auch hoher römischer Verwaltungsangestellter. Severin wurde durch seine diplomatische und ausgleichende Verhandlungsführung bekannt, besonders mit dem nördlich der Donau um Krems siedelnden und sehr friedlichen Stamm der Rugier.

Entgegen veralteter Ansichten wanderte die keltisch-romanische Bevölkerung nur zu einem kleinen Teil ab. Namenskontinuität in Toponymen sowie eine Fülle archäologischer Funde belegen eine breite kulturelle Kontinuität über den offiziellen Zusammenbruch der römischen Verwaltung in den norischen Regionen hinaus und verbinden die römische Zeit über die Spätantike mit dem Frühmittelalter.

Literatur

Allgemeines

  • Géza Alföldy: Patrimonium Regni Norici – Ein Beitrag zur Territorialgeschichte der römischen Provinz Noricum. In: Bonner Jahrbücher Band 170, 1970, S. 163–177.
  • Géza Alföldy: Noricum, London 1974.
  • Géza Alföldy: Die regionale Gliederung in der römischen Provinz Noricum. In: G. Gottlieb (Hrsg.), Raumordnung im Römischen Reich, 1989, S. 37–55.
  • P. Pleyel: Das Römische Österreich, 1994.

Vor- und frührömisches Noricum

  • Gerhard Dobesch: Die Kelten in Österreich nach den ältesten Berichten der Antike – Das norische Königreich und seine Beziehungen zu Rom im 2. Jh. v. Chr., Wien u. a., 1980.
  • Gerhard Dobesch, Die Okkupation des Regnum Noricum durch Rom. In: Studien zu den Militärgrenzen Roms Band 3, 1986, S. 308–315.
  • R. Göbl: Die Münzprägung der norischen Fürsten. In: J. Grabmayer (Hrsg.), Die Kultur der Kelten, 1989, S. 54–66.

Militär- und Verwaltungsgeschichte

  • H. Grassl: Noricum im Bürgerkrieg des Jahres 196–197 n. Chr.. In: Römisches Österreich Band 2, 1974, S. 7–10.
  • M. Hainzmann: Fragen der Militär- und Zivilverwaltung (Ufer-)Norikums. In: Spezima Nova Universitatis Quinqueecclesiensis Band 11, 1995, S. 59–70.
  • N. Hanel, C. Schucany (Hrsg.): Colonia-municipium-vicus – Struktur und Entwicklung städtischer Siedlungen in Noricum, Raetien und Obergermanien, 1999.

Sozial- und Wirtschaftsgeschichte

  • S. Dusanic: Aspects of Roman Mining in Noricum, Pannonia, Dalmatia and Moesia Superior. In: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt Band II, 6, 1977 S. 52–94.
  • Jochen Garbsch: Die norisch-pannonische Tracht. In: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, Band II 12.3, 1985, S. 546–577.
  • K. Genser: Die ländliche Besiedlung und Landwirtschaft in Noricum während der Kaiserzeit (bis einschließlich 5. Jahrhundert). In: H. Bender und H. Wolff (Hrsg.), Ländliche Besiedlung und Landwirtschaft in den Rhein-Donau Provinzen des römischen Reiches, 1994, S. 331–376.

Noricum in der Spätantike

  • I. Bóna: Die Hunnen in Noricum und Pannonien – Ihre Geschichte im Rahmen der Völkerwanderung. In: D. Straub (Hrsg.), Severin zwischen Römerzeit und Völkerwanderung, 1982, S. 179–200.
  • R. Bratoz: Severinus von Noricum und seine Zeit – Geschichtliche Anmerkungen, 1983.
  • H. Castritius: Die Grenzverteidigung in Raetien und Noricum im 5. Jahrhundert n. Chr. – Ein Beitrag zum Ende der Antike. In: H. Wolfram u. A. Schwarz (Hrsg.), Die Bayern und ihre Nachbarn Band 1, 1985, S. 17–28.

Weblinks