Linie 4 der Pariser Straßenbahn

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Zwei Züge der Linie T4 im Endbahnhof Bondy

Die Linie 4 der Straßenbahn Île-de-France wurde am 20. November 2006 in Betrieb genommen. Es handelt sich um die erste Eröffnung eines Tram-Train-Betriebs in Frankreich. Die Strecke liegt außerhalb des Pariser Stadtgebiets im Département Seine-Saint-Denis. Die eingesetzten Straßenbahnzüge fahren auf Eisenbahnoberbau und mit der straßenbahnuntypischen Fahrleitungsspannung von 25 kV bei einer Frequenz von 50 Hz.

Geschichte der Strecke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Strecke als Bahnlinie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bahnstrecke Bondy–Aulnay auf einer Karte von 1888
Zug aus der Anfangszeit in der Station L’Abbaye
Bahnhof Gargan in den 1930er Jahren
BB 16500 mit „Inox“-Zug am noch eingleisigen Haltepunkt Freinville, 2003

Die Strecke zwischen den Bahnhöfen Aulnay-sous-Bois und Bondy wurde bereits 1875 als Verbindung zwischen zwei Hauptbahnen der Compagnie des Chemins de fer de l’Est (EST) und Compagnie des chemins de fer du Nord (NORD) gebaut, die von Paris aus nach Osten bzw. nach Norden führten. Im August jenes Jahres eröffnete die Compagnie du chemin de fer de Bondy à Aulnay den südlichen Abschnitt von Bondy an der Bahnstrecke Paris–Strasbourg nach Gargan, im folgenden Monat die Strecke von Gargan nach Aulnay (Bahnstrecke La Plaine–Hirson).[1] Ursprünglicher Zweck des Baus war, die Abfuhr von Holz und Gips sowie den Transport von Eiern und Geflügel nach Paris zu erleichtern. Daraus resultiert die umgangssprachliche Bezeichnung „Ligne des Coquetiers“.[Anm. 1]

Zunächst war die acht Kilometer lange, normalspurige Strecke eingleisig mit nur drei Bahnstationen. 1880 kaufte der Staat die in finanzielle Schwierigkeiten geratene Bahngesellschaft und übergab den Betrieb an die EST, die 1883 Eigentümer der Strecke wurde. 1913 legte die EST auf dem vier Kilometer langen Südabschnitt ein zweites Gleis, zwischen Gargan und Aulnay blieb die Strecke eingleisig. Im Mai 1962 – seit 1938 waren die Bahngesellschaften verstaatlicht – rüstete die SNCF den Südabschnitt mit einer Oberleitung für 25 kV Wechselspannung aus. Der weiterhin eingleisige Nordabschnitt blieb zunächst Dieseltriebwagen im Pendelverkehr zwischen Gargan und Aulnay vorbehalten, erst im September 1977 wurde auch er elektrifiziert.

Der Nordabschnitt ließ aufgrund der Eingleisigkeit nur eine 30-minütige Bedienung zu. Auf der zweigleisigen Strecke von Gargan nach Bondy verkehrten im 15-Minuten-Takt Elektrolokomotiven der Baureihe BB 16500 mit Personenwagen des Typs „Inox“, die in den Stoßzeiten bis zum Gare de l’Est durchgebunden wurden. Die hohe Zugfrequenz beeinträchtigte in zunehmendem Maß den Straßenverkehr. Die vierzehn niveaugleichen Übergänge wiesen für Kraftfahrzeuge aus Platzmangel meist keine separaten Wartespuren auf, sodass bei geschlossenen Bahnschranken jeweils der gesamte Verkehr blockiert wurde. Daher wurde in den 1970er Jahren eine Tieferlegung der Bahntrasse diskutiert, aus Kostengründen aber verworfen.

Das Projekt Est Ouest Liaison Express (Eole) brachte in den 1990er Jahren das Ende der direkten Züge zum Gare de l’Est. Mit der Eröffnung der Linie E des S-Bahn-ähnlichen Réseau express régional d’Île-de-France (RER) im Jahr 1999 gab es für die Züge der „Ligne des Coquetiers“ dorthin keine freien Fahrplantrassen mehr. Fortan pendelten sie nur noch zwischen Bondy und Aulnay, wodurch die Strecke an Attraktivität verlor und die Auslastung auf unter 10.000 Fahrgäste pro Tag sank. Bestehen blieb das Problem der zahlreichen Bahnübergänge und der damit verbundenen Beeinträchtigung des Straßenverkehrs. Am 14. Dezember 2003 verkehrten die letzten regulären Personenzüge, am folgenden Tag wurden sie durch Omnibusse ersetzt.

Straßenbahnbetrieb[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zug der Linie T4 zwischen den Haltepunkten Allée de la Tour — Rendez-Vous und Les Coquetiers

Im Jahr 2000 begannen die Planungen für eine Umgestaltung der Strecke. Vorrangiges Ziel war, die beschrankten Bahnübergänge durch andere Lösungen zu ersetzen. Hierfür bot sich der Tram-Train an, dessen Züge, nach dem Vorbild der Stadtbahn Karlsruhe, als Straßenbahn im Straßenraum wie auch auf Eisenbahnstrecken verkehren können. Als Straßenbahn (auch auf eigener Trasse – hier der alten Bahnstrecke) kann er Straßen, wie eine solche, an normalen Lichtsignalanlagen (Verkehrsampeln) kreuzen. Die Vorstudien wurden 2003 abgeschlossen und von offizieller Seite befürwortet, nachdem die SNCF bereits 2001 den Bau der Fahrzeuge europaweit ausgeschrieben hatte.

Im Juni 2004 begannen die Sanierungsarbeiten, dabei wurden der Unterbau saniert und der Oberbau erneuert. Die Bahnsteige wurden passend zu den Wagenbreiten und -bodenhöhen neu- sowie die Strecke durchgehend zweigleisig ausgebaut. Die eingleisige Stahlbetonbrücke über die Route nationale 3 in Gargan aus dem Jahr 1932 wurde durch einen Neubau ersetzt, über den Canal de l’Ourcq kam parallel zur ersten eine zweite Brücke hinzu. Beibehalten wurden die Fahrleitungsanlagen und die Wechselspannung von 25 kV.

Die heutige Strecke ist 7,9 Kilometer lang, hat elf Haltestellen – wovon drei neu geschaffen wurden – und verbindet sechs Gemeinden. Im Gegensatz zum früheren Eisenbahnbetrieb verkehren die Straßenbahnzüge im Rechtsverkehr. Die zulässige Geschwindigkeit beträgt 70 km/h, in bebauten Gebieten ist sie auf 50 km/h und an den Kreuzungen auf 30 km/h beschränkt. Trotz der zusätzlichen Halte blieb die Fahrzeit zwischen den Endpunkten mit 20 Minuten unverändert, was sich auf das bessere Beschleunigungs- und Bremsvermögen sowie den schnelleren Fahrgastwechsel aufgrund der Niederflurtechnik zurückführen lässt.

Die offizielle Inbetriebnahme der Linie T4 war am 18. November 2006. In Aulnay-sous-Bois besteht Anschluss an die Linie RER B, in Bondy an die Linie RER E.

Haltestellen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Stammstrecke der T 4
Station Gemeinde(n) Anschluss
Bondy Bondy E
Remise à Jorelle Bondy
Les Coquetiers Villemomble
Allée de la Tour — Rendez-Vous Villemomble
Les Pavillons-sous-Bois Le Raincy, Les Pavillons-sous-Bois
Gargan Les Pavillons-sous-Bois
Lycée Henri Sellier Livry-Gargan
L’Abbaye Livry-Gargan
Freinville — Sevran Sevran
Rougemont — Chanteloup Sevran, Aulnay-sous-Bois
Aulnay-sous-Bois Aulnay-sous-Bois B
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Besonderheiten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Unterschied zu den anderen Straßenbahnlinien wird die Linie T4 nicht vom Nahverkehrsunternehmen RATP, sondern von der Eisenbahngesellschaft SNCF betrieben, was an der blauen Farbgebung der Züge erkennbar ist (RATP: hellgrün / weiß). Die Züge fahren auf Eisenbahnoberbau und mit der im Nordosten des Landes bei der Eisenbahn üblichen Spannung von 25 kV mit einer Frequenz von 50 Hz, die Option des Verkehrens unter Gleichspannung wird erst seit Inbetriebnahme der im Straßenraum verlaufenden Strecke nach Montfermeil genutzt. Zudem fahren die Züge auf Sicht und damit nicht signalgedeckt im Raumabstand.

Für den Einsatz von Fahrern auf Tram-trains schuf die SNCF in diesem Zusammenhang einen neuen Beruf: Der Conducteur tram train (CRTT) ist für das Führen von Triebfahrzeugen auf Eisenbahnstrecken wie auch im Straßenraum ausgebildet.[2]

Fahrzeuge[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Für den Einsatz auf dieser Strecke hat die SNCF 15 Straßenbahngelenkwagen vom Typ Avanto S 70 des deutschen Herstellers Siemens erworben, die im Fahrzeugschema der SNCF als Baureihe U 25500 eingeordnet sind. Depot und Betriebswerkstätte befinden sich in Noisy-le-Sec.

Für die Zweiglinie nach Montfermeil wurden weitere Fahrzeuge benötigt. Im Januar 2016 bestellte die SNCF bei Alstom deswegen 15 vierteilige Wagen des Typs Citadis Dualis. Die Auslieferung begann im Oktober 2017. Der Betrieb auf der neuen Zweigstrecke wurde 2019 aufgenommen.[3]

Weitere 11 Citadis Dualis sind zur Ablösung der Avanto vorgesehen.

Zweigstrecke Gargan–Montfermeil[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Endstelle Hôpital de Montfermeil im Bau (August 2019)
Schematischer Plan T4: Stammstrecke Bondy – Aulnay-sous-Bois sowie Zweigstrecke Gargan – Montfermeil

Ein neuer Zweig der T4 dient seit 2019 den Mobilitätsbedürfnissen der Bewohner von Les Pavillons-sous-Bois, Livry-Gargan, Clichy-sous-Bois und Montfermeil. Er schafft schnelle Verbindungen zu den RER-Linien E und B sowie später zu den Stationen Clichy-Montfermeil und Bondy des Projektes Grand Paris Express.

Dieser Streckenneubau war Teil des Entwicklungsprogramms für den ÖPNV im östlichen Teil der Ile-de-France, zu dem auch die geplante Schnellbuslinie T Zen 3 zwischen Porte de Pantin und Gargan, die Verlängerung der Straßenbahnlinie T1 bis zum Bahnhof Val de Fontenay und der Bau der Tangentielle Nord bis Noisy-le-Sec gehören.

Die 6,5 km lange Zweigstrecke zweigt in Gargan von der bestehenden Linie nach Osten ab und verläuft im Unterschied zur bisherigen Strecke im Straßenraum. Es entstanden elf Haltestellen. Montfermeil soll in einer langen, eingleisigen Wendeschleife durchfahren werden, an der insgesamt vier Haltestellen liegen werden, die aber noch nicht fertiggestellt ist. Vorläufig enden die Züge an der Haltestelle Hôpital de Montfermeil am Ostende der Wendeschleife. Erwartet werden etwa 37 000 Fahrgäste im Tagesdurchschnitt.

Der Streckenabschnitt Arboretum – Hôpital de Montfermeil wird Teil der Wendeschleife und ist deshalb nur eingleisig. Deswegen endet im Augenblick jede zweite Fahrt in Arboretum.

Die Stammstrecke Bondy–Gargan wird von allen Zügen in Richtung Aulnay bzw. Montfermeil befahren wird. Auf dieser liegt die Zugfolge zwischen 6 und 20 Uhr bei drei Minuten, auf dem Nord- bzw. Ostast bei sechs Minuten. Die Neubaustrecke wurde nach Straßenbahnrichtlinien gebaut. Die Fahrleitung führt in diesem Zweig 750 V Gleichspannung.[4]

Die Baukosten wurden mit ca. 214 Mio. Euro angegeben. Die Kosten für das Rollmaterial übernahm das STIF. Eingesetzt werden zweisystemfähige Gelenkwagen des Typs Citadis Dualis von Alstom, dafür wurden rund 60 Mio. Euro veranschlagt. Der Baubeginn war zunächst für 2014 vorgesehen; die Inbetriebnahme gegen Ende 2017.[5] Aber erst im Herbst 2016 konnte mit den Tiefbauarbeiten begonnen werden. Die Fertigstellung der Neubaustrecke war dann für 2018 geplant.[6] Die Freigabe des ersten Abschnitts bis Arboretum erfolgte schließlich am 14. Dezember 2019.[7] Im August 2020 folgte die Verlängerung bis Montfermeil, in den ersten Wochen kam es jedoch mehrfach zu längeren Betriebsunterbrechungen.[8]

Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Coquetier = Geflügelhändler

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Straßenbahnlinie T4 – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  • Eröffnung der Linie T4 (Fotos)
  • La fin de la ligne des Coquetiers. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 26. Dezember 2013; abgerufen am 9. Mai 2017. (französisch)

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Jean Tricoire: Le tramway à Paris et en Île-de-France. Éditions La Vie du Rail, Paris 2007, ISBN 978-2-915034-66-0, S. 127.
  2. Jean Tricoire: Le tramway à Paris et en Île-de-France. Aufl. 2007, S. 130.
  3. International Railway Journal vom 5. Januar 2016: SNCF orders tram-trains for Paris Line T4 (englisch) abgerufen am 20. Januar 2016
  4. La nouvelle branche du tramway T4 déclarée d’utilité publique (Memento vom 11. Juni 2015 im Internet Archive) Mitteilung STIF 2013 (frz.) abgerufen am 4. November 2013.
  5. http://www.stif.org/IMG/pdf/Dossier_de_Presse_T4.pdf Pressemitteilung STIF 2012 (frz.) abgerufen am 4. November 2013.
  6. mobilicites.com vom 19. Oktober 2016: Seine-Saint-Denis : le tram Clichy-sous-Bois Montfermeil franchit une ultime étape (französisch); abgerufen am 20. Oktober 2016
  7. Gransparisgrandest.fr: Inauguration du T4, abgerufen am 2. Februar 2021
  8. France TV: Seine-Saint-Denis: le tramway T4 est de nouveau à l'arrêt, les usagers craquent, 13. Oktober 2020 (französisch), abgerufen am 2. Februar 2021