„Hominisation“ – Versionsunterschied

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=== Aufrechter Gang ===
=== Aufrechter Gang ===
Anhand der Skelettmerkmale zahlreicher Fossilfunde konnte belegt werden, dass sich der [[Bipedie|aufrechte, zweibeinige Gang]] in der [[Familie (Biologie)|Familie]] der [[Menschenaffen]] deutlich früher entwickelte als die starke Vergrößerung des Gehirns.<ref>Zur Übersicht siehe: W. E. H. Harcourt-Smith, L. C. Aiello: ''Fossils, feet and the evolution of human bipedal locomotion.'' Journal of Anatomy, Band 204 (5), 2004, S. 403–416, {{DOI|10.1111/j.0021-8782.2004.00296.x}}, [http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1571304/ Volltext]</ref> C. Owen Lovejoy, ein Anatom an der [[Kent State University]], bezeichnete 1988 den Übergang zum aufrechten Gang als die augenfälligste Veränderung der Anatomie, die man in der gesamten Evolutionsbiologie bisher nachgewiesen habe.<ref> C. Owen Lovejoy: ''Evolution of Human Walking.'' [[Scientific American]], November 1988, S. 118–125</ref> Die Fähigkeit zum dauerhaft aufrechten Gehen setzt eine Vielzahl von Anpassungen des Skeletts voraus, insbesondere im Bereich des [[Becken (Anatomie)|Beckengürtels]] und der [[Hüftgelenk]]e, der [[Kniegelenk]]e, der Füße sowie des [[Foramen magnum]].<ref> [[Ronald J. Clarke]], [[Phillip Tobias]]: ''Sterkfontein member 2 foot bones of the oldest South African hominid.'' [[Science]], Band 269, 1995, S. 521; {{DOI|10.1126/science.7624772}}</ref>
Anhand der Skelettmerkmale zahlreicher Fossilfunde konnte belegt werden, dass sich der [[Bipedie|aufrechte, zweibeinige Gang]] in der [[Familie (Biologie)|Familie]] der [[Menschenaffen]] deutlich früher entwickelte als die starke Vergrößerung des Gehirns.<ref>Zur Übersicht siehe: W. E. H. Harcourt-Smith, L. C. Aiello: ''Fossils, feet and the evolution of human bipedal locomotion.'' Journal of Anatomy, Band 204 (5), 2004, S. 403–416, {{DOI|10.1111/j.0021-8782.2004.00296.x}}, [http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1571304/ Volltext]</ref> C. Owen Lovejoy, ein Anatom an der [[Kent State University]], bezeichnete 1988 den Übergang zum aufrechten Gang als die augenfälligste Veränderung der Anatomie, die man in der gesamten Evolutionsbiologie bisher nachgewiesen habe.<ref> C. Owen Lovejoy: ''Evolution of Human Walking.'' [[Scientific American]], November 1988, S. 118–125</ref> Die Fähigkeit zum dauerhaft aufrechten Gehen setzt eine Vielzahl von Anpassungen des Skeletts voraus, insbesondere im Bereich des [[Becken (Anatomie)|Beckengürtels]] und der [[Hüftgelenk]]e, der [[Kniegelenk]]e, der [[Fuß|Füße]] sowie des [[Foramen magnum]].<ref> [[Ronald J. Clarke]], [[Phillip Tobias]]: ''Sterkfontein member 2 foot bones of the oldest South African hominid.'' [[Science]], Band 269, 1995, S. 521; {{DOI|10.1126/science.7624772}}</ref>


[[Richard Leakey]] zufolge ist diese Veränderung derart einzigartig, „dass wir berechtigt sind, alle Arten von zweibeinigen Menschenaffen als menschlich ''[human]'' zu bezeichnen.“<ref>[[Richard Leakey]]: ''The origin of humankind.'' Phoenix, a division of Orion Books Ltd., 1995, S. 13</ref> Eine so weitgehende Festlegung ist allerdings in Fachkreisen umstritten, da nicht alle Fossilfunde von zumindest zeitweise aufrecht gehenden, menschenaffen-ähnlichen Individuen der unmittelbaren Vorfahrenreihe des Menschen zuzuordnen sind.<ref>[http://www.pbs.org/wgbh/evolution/library/07/1/text_pop/l_071_04.html www.pbs.org: ''The Transforming Leap, from Four Legs to Two.''] Eine Übersicht zum Stand der Forschung</ref>
[[Richard Leakey]] zufolge ist diese Veränderung derart einzigartig, „dass wir berechtigt sind, alle Arten von zweibeinigen Menschenaffen als menschlich ''[human]'' zu bezeichnen.“<ref>[[Richard Leakey]]: ''The origin of humankind.'' Phoenix, a division of Orion Books Ltd., 1995, S. 13</ref> Eine so weitgehende Festlegung ist allerdings in Fachkreisen umstritten, da nicht alle Fossilfunde von zumindest zeitweise aufrecht gehenden, menschenaffen-ähnlichen Individuen der unmittelbaren Vorfahrenreihe des Menschen zuzuordnen sind.<ref>[http://www.pbs.org/wgbh/evolution/library/07/1/text_pop/l_071_04.html www.pbs.org: ''The Transforming Leap, from Four Legs to Two.''] Eine Übersicht zum Stand der Forschung</ref>


Aus dem Knochenbau von Fossilien wie „[[Little Foot]]“ und „[[Lucy]]“ konnte abgeleitet werden, dass schon die Individuen der Gattung ''[[Australopithecus]]'' über größere Strecken hinweg aufrecht gehen konnten. Bestätigt wurde diese Interpretation 1979, als in [[Laetoli]] 3,6 Millionen Jahre alte [[Palichnologie|fossile Fußspuren]] von ''[[Australopithecus afarensis]]'' entdeckt wurden,<ref>[[Mary Leakey]] et al.: ''Pliocene footprints in the Laetoli beds at Laetoli, northern Tanzania.'' Nature, Band 278, 1979, S. 317–323; {{DOI|10.1038/278317a0}}</ref> die dessen bipede Fortbewegungsweise konserviert hatten. Umstritten blieb jedoch, ob ''Australopithecus afarensis'' – vergleichbar einem Schimpansen – mit ständig angebeugtem [[Kniegelenk]] und [[Hüftgelenk]] lief oder wie der moderne Mensch energetisch günstiger mit durchgedrücktem Knie. Erst im Jahr 2010 erbrachte ein biomechanisches Experiment den Nachweis, dass die versteinerten Fußspuren ein Abdruckprofil konserviert haben, das weitgehend dem der modernen Menschen gleicht: Beim aufrechten Gehen ist die Abdrucktiefe von Zehen und [[Ferse]] annähernd gleich; beim schimpansen-artigen Gehen drücken sich die Zehen tiefer in den Boden als die Ferse.<ref>David A. Raichlen et al.: ''Laetoli footprints preserve earliest direct evidence of human-like bipedal biomechanics. PLoS ONE 5(3): e9769. 2010; {{DOI|10.1371/journal.pone.0009769}} <br> [http://www.wissenschaft.de/wissenschaft/news/310563.html wissenschaft.de] vom 20. März 2010: „Vormensch mit durchgedrücktem Kreuz. Stammesverwandte des Menschen gingen vor 3,6 Millionen Jahren aufrecht.“ </ref> Demnach hatte sich ein – hinsichtlich der [[Bewegungsablauf|Bewegungsabläufe]] und der [[Energieeffizienz]] – menschenähnlicher aufrechter Gang bereits lange vor dem Entstehen der Gattung ''Homo'' entwickelt.
Aufgrund von Fossilfunden wie „[[Little Foot]]“ und „[[Lucy]]“ gilt als gesichert, dass schon die Vertreter der Gattung ''[[Australopithecus]]'' über größere Strecken hinweg aufrecht gehen konnten.
Bereits ''[[Homo erectus]]'' verfügte, wie bei [[Laetoli]] freigelegte, 1,51 bis 1,53 Millionen Jahre alte [[Palichnologie|fossile Fußspuren]] belegen, sowohl über einen im Wesentlichen dem modernen Menschen entsprechenden Bau der Füße als auch über eine vergleichbare Form der aufrechten, zweibeinigen Fortbewegungsweise.<ref> „The Ileret prints show that by 1.5 Ma, hominins had evolved an essentially modern human foot function and style of bipedal locomotion.“ Matthew R. Bennett et. al.: ''Early Hominin Foot Morphology Based on 1.5-Million-Year-Old Footprints from Ileret, Kenya.'' [[Science]], Band 323, 2009, S. 1197–1201; {{DOI| 10.1126/science.1168132}}. – In [[New Scientist]] vom 23. Mai 2009, S. 24, wies [[Richard Leakey]] darauf hin, dass die Zuordnung der Spuren zu ''Homo erectus'' nicht zwingend sei, da zur gleichen Zeit und in den gleichen afrikanischen Biotopen auch ''[[Paranthropus boisei]]'' und ''[[Homo habilis]]'' vorkamen.</ref> Den Analysen zufolge waren die Zehen relativ kurz, der große Zeh war – anders als bei Affen und beim Fossil [[Ardi]] – parallel zu den anderen Zehen ausgerichtet; die Füße waren wie beim modernen Menschen ein wenig nach oben [[Fuß#Fußgewölbe|gewölbt]]. Beim Laufen verlagerte sich das Gewicht von der [[Ferse]] zum [[Ballen]]. Aus den Abständen der Fußabdrücke sowie aus ihrer Größe und Tiefe schlossen die Forscher, dass die Erzeuger der Spuren eine ähnliche Körpergröße und ein ähnliches Gewicht wie die modernen Menschen besaßen.


Einen weiteren direkten Beweis für eine im Wesentlichen mit dem modernen Menschen vergleichbare Form der aufrechten, zweibeinigen Fortbewegungsweise liefern erst gleichfalls bei Laetoli freigelegte, 1,51 bis 1,53 Millionen Jahre alte und ''[[Homo erectus]]'' zugeschriebene Fußspuren.<ref> „The Ileret prints show that by 1.5 Ma, hominins had evolved an essentially modern human foot function and style of bipedal locomotion.“ Matthew R. Bennett et al.: ''Early Hominin Foot Morphology Based on 1.5-Million-Year-Old Footprints from Ileret, Kenya.'' [[Science]], Band 323, 2009, S. 1197–1201; {{DOI| 10.1126/science.1168132}}. – In [[New Scientist]] vom 23. Mai 2009, S. 24, wies [[Richard Leakey]] darauf hin, dass die Zuordnung der Spuren zu ''Homo erectus'' nicht zwingend sei, da zur gleichen Zeit und in den gleichen afrikanischen Biotopen auch ''[[Paranthropus boisei]]'' und ''[[Homo habilis]]'' vorkamen.</ref> Den Analysen zufolge waren die Zehen relativ kurz, der große Zeh war – anders als bei Affen und noch beim 4,4 Millionen Jahre alten Fossil [[Ardi]] – parallel zu den anderen Zehen ausgerichtet; die Füße waren wie beim modernen Menschen ein wenig nach oben [[Fuß#Fußgewölbe|gewölbt]]. Beim Laufen verlagerte sich das Gewicht von der [[Ferse]] zum [[Ballen]]. Aus den Abständen der Fußabdrücke sowie aus ihrer Größe und Tiefe schlossen die Forscher, dass die Erzeuger der Spuren eine ähnliche Körpergröße und ein ähnliches Gewicht wie die modernen Menschen besaßen.
In der gleichen Region waren zuvor schon 3,6 Millionen Jahre alte Fußspuren von ''[[Australopithecus afarensis]]'' entdeckt worden,<ref>[[Mary Leakey]] et. al.: ''Pliocene footprints in the Laetoli beds at Laetoli, northern Tanzania.'' Nature, Band 278, 1979, S. 317–323; {{DOI|10.1038/278317a0}}</ref> die dessen bipede Fortbewegungsweise konserviert hatten.


Zum Entstehen des aufrechten Ganges gibt es zahlreichen [[Hypothese]]n.
Zum Entstehen des aufrechten Ganges gibt es zahlreichen [[Hypothese]]n.
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==== Die Hypothese von der Entwicklung des aufrechten Gangs auf Bäumen ====
==== Die Hypothese von der Entwicklung des aufrechten Gangs auf Bäumen ====
Nach Auffassung eines Forscherteams um Susannah Thorpe von der Universität Birmingham und Robin Crompton von der Universität Liverpool könnte sich der aufrechte Gang bereits bei den noch überwiegend auf Bäumen lebenden Vorfahren des Menschen entwickelt haben, um auf diese Weise zum Beispiel die Früchte am Ende dünner Zweige besser erreichen zu können. Die Forscher hatten ein Jahr lang [[Orang Utan]]s auf [[Sumatra]] beobachtet;<ref>S. K. S. Thorpe et. al.: ''Origin of Human Bipedalism As an Adaptation for Locomotion on Flexible Branches.'' Science, Band 316, 2007, S. 1328–1331, {{DOI|10.1126/science.1140799}}; vergl. dazu: [http://www.sueddeutsche.de/wissen/923/325788/text/ www.sueddeutsche.de]: „Aufrecht auf dem Ast“</ref> diese Menschenaffen verbringen ihr ganzes Leben auf Bäumen und könnten daher als ein Modell dafür gelten, wie unsere Vorfahren vor mehreren Millionen Jahre gelebt haben könnten. Die Analyse von rund 3000 Bewegungen habe ergeben, dass die Orang-Utans sich auf sehr dünnen Zweigen auf zwei Beinen fortbewegen, sich dabei mit den Händen an darüber hängenden Zweigen festhalten und mit den Armen ihr Gewicht ausbalancieren. An mitteldicken Zweigen ließen sie sich dagegen eher hängen, sehr dicke Äste würden im Vierfüßler-Gang gemeistert. Dieser Argumentation zufolge wären unsere Vorfahren weitaus früher, als zuvor angenommen, zumindest zeitweise auf zwei Beinen unterwegs gewesen. Erst später, als viele afrikanischen Regenwälder während einer Trockenperiode nach und nach verschwanden, hätten sie mit dem „Umzug“ auf den Boden reagiert, wo sie den aufrechten Gang weiter entwickelten und schließlich perfektionierten. Die andere Linie, die zu den heutigen [[Schimpansen]] und [[Gorillas]] führte, habe hingegen einen Vierfüßer-Gang auf den Handknöcheln (den so genannten [[Knöchelgang]]) entwickelt, um in den ausgedünnten Wäldern rasch von einem Baum zum nächsten gelangen zu können. Unterstützt wird diese Hypothese durch die Tatsache, dass einige Homininifunde aus Gegenden stammen, die zu ihren Lebzeiten eindeutig bewaldet waren. Dies gilt zum Beispiel für den im Jahr 2000 entdeckten ''[[Orrorin tugenensis]]'' und für ''Australopithecus-''Funde wie „[[Lucy]]“. Gestützt wird diese Hypothese ferner durch genaue Analysen des 4,4 Millionen Jahre alten Skeletts [[Ardi]] von ''[[Ardipithecus ramidus]].'' <ref>C. Owen Lovejoy et. al.: ''The Pelvis and Femur of Ardipithecus ramidus: The Emergence of Upright Walking.'' Science, Band 326, 2009, S. 71, 71e1–71e6, {{DOI|10.1126/science.1175831}}<br /> C. Owen Lovejoy et. al.: ''Careful Climbing in the Miocene: The Forelimbs of Ardipithecus ramidus and Humans Are Primitive.'' Science, Band 326, 2009, S. 70, 70e1–70e8, {{DOI|10.1126/science.1175827}}<br /> C. Owen Lovejoy et. al.: ''Combining Prehension and Propulsion: The Foot of Ardipithecus ramidus.'' Science, Band 326, 2009, S. 72, 72e1–72e8, {{DOI|10.1126/science.1175832}}</ref> [[Friedemann Schrenk]] beschrieb dessen Fortbewegungsweise so: „Spannend ist die Konstruktion von Ardis Fuß. Er war so gebaut, dass sie grazil auf den Zweigen spazieren konnte. Sie hangelte sich also nicht an ihnen entlang, wie das [[Schimpansen]] tun.“ <ref>zitiert aus einem Interview („Sensationsfund Ardi – Attraktion statt Aggression“) in: [[Süddeutsche Zeitung]] vom 2. Oktober 2009, S. 24, [http://www.sueddeutsche.de/wissen/267/489652/text/ Volltext]</ref>
Nach Auffassung eines Forscherteams um Susannah Thorpe von der Universität Birmingham und Robin Crompton von der Universität Liverpool könnte sich der aufrechte Gang bereits bei den noch überwiegend auf Bäumen lebenden Vorfahren des Menschen entwickelt haben, um auf diese Weise zum Beispiel die Früchte am Ende dünner Zweige besser erreichen zu können. Die Forscher hatten ein Jahr lang [[Orang Utan]]s auf [[Sumatra]] beobachtet;<ref>S. K. S. Thorpe et al.: ''Origin of Human Bipedalism As an Adaptation for Locomotion on Flexible Branches.'' Science, Band 316, 2007, S. 1328–1331, {{DOI|10.1126/science.1140799}}; vergl. dazu: [http://www.sueddeutsche.de/wissen/923/325788/text/ www.sueddeutsche.de]: „Aufrecht auf dem Ast“</ref> diese Menschenaffen verbringen ihr ganzes Leben auf Bäumen und könnten daher als ein Modell dafür gelten, wie unsere Vorfahren vor mehreren Millionen Jahre gelebt haben könnten. Die Analyse von rund 3000 Bewegungen habe ergeben, dass die Orang-Utans sich auf sehr dünnen Zweigen auf zwei Beinen fortbewegen, sich dabei mit den Händen an darüber hängenden Zweigen festhalten und mit den Armen ihr Gewicht ausbalancieren. An mitteldicken Zweigen ließen sie sich dagegen eher hängen, sehr dicke Äste würden im Vierfüßler-Gang gemeistert. Dieser Argumentation zufolge wären unsere Vorfahren weitaus früher, als zuvor angenommen, zumindest zeitweise auf zwei Beinen unterwegs gewesen. Erst später, als viele afrikanischen Regenwälder während einer Trockenperiode nach und nach verschwanden, hätten sie mit dem „Umzug“ auf den Boden reagiert, wo sie den aufrechten Gang weiter entwickelten und schließlich perfektionierten. Die andere Linie, die zu den heutigen [[Schimpansen]] und [[Gorillas]] führte, habe hingegen einen Vierfüßer-Gang auf den Handknöcheln (den so genannten [[Knöchelgang]]) entwickelt, um in den ausgedünnten Wäldern rasch von einem Baum zum nächsten gelangen zu können. Unterstützt wird diese Hypothese durch die Tatsache, dass einige Homininifunde aus Gegenden stammen, die zu ihren Lebzeiten eindeutig bewaldet waren. Dies gilt zum Beispiel für den im Jahr 2000 entdeckten ''[[Orrorin tugenensis]]'' und für ''Australopithecus-''Funde wie „[[Lucy]]“. Gestützt wird diese Hypothese ferner durch genaue Analysen des 4,4 Millionen Jahre alten Skeletts [[Ardi]] von ''[[Ardipithecus ramidus]].'' <ref>C. Owen Lovejoy et al.: ''The Pelvis and Femur of Ardipithecus ramidus: The Emergence of Upright Walking.'' Science, Band 326, 2009, S. 71, 71e1–71e6, {{DOI|10.1126/science.1175831}}<br /> C. Owen Lovejoy et al.: ''Careful Climbing in the Miocene: The Forelimbs of Ardipithecus ramidus and Humans Are Primitive.'' Science, Band 326, 2009, S. 70, 70e1–70e8, {{DOI|10.1126/science.1175827}}<br /> C. Owen Lovejoy et al.: ''Combining Prehension and Propulsion: The Foot of Ardipithecus ramidus.'' Science, Band 326, 2009, S. 72, 72e1–72e8, {{DOI|10.1126/science.1175832}}</ref> [[Friedemann Schrenk]] beschrieb dessen Fortbewegungsweise so: „Spannend ist die Konstruktion von Ardis Fuß. Er war so gebaut, dass sie grazil auf den Zweigen spazieren konnte. Sie hangelte sich also nicht an ihnen entlang, wie das [[Schimpansen]] tun.“ <ref>zitiert aus einem Interview („Sensationsfund Ardi – Attraktion statt Aggression“) in: [[Süddeutsche Zeitung]] vom 2. Oktober 2009, S. 24, [http://www.sueddeutsche.de/wissen/267/489652/text/ Volltext]</ref>


==== Die Hypothese vom Zusammenhang von aufrechtem Gang und Nahrungsaufnahme ====
==== Die Hypothese vom Zusammenhang von aufrechtem Gang und Nahrungsaufnahme ====
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==== Savannen-Hypothese ====
==== Savannen-Hypothese ====
Als [[Savannen-Hypothese]] wurde die Annahme bezeichnet, die Evolution der Bipedie sei bei den Menschenaffen vor rund 7 bis 8 Mio. Jahren dadurch in Gang gekommen, dass die damals noch in Wäldern lebenden Arten ihren Lebensraum in offene, baumlose Savannen verlegt und dort zum aufrechten Gehen gefunden hätten. Diese Hypothese gilt heute aufgrund zahlreicher Fossilfunde als widerlegt, da die frühesten aufrecht gehenden und daher zu den [[Hominini]] gestellten Arten wie ''[[Sahelanthropus]]'' und ''[[Orrorin tugenensis]]'' keine reinen Savannen-Bewohner waren, sondern in [[Galeriewald|Galeriewäldern]] lebten. Auch ''[[Ardipithecus ramidus]]'' lebte in einer Umwelt, die „Habitate aus geschlossenem Waldland und aufgelockertem Baumbestand umfasste.“ <ref>Giday WoldeGabriel et. al.: ''The Geological, Isotopic, Botanical, Invertebrate, and Lower Vertebrate Surroundings of Ardipithecus ramidus.'' Science, Band 326, 2009, S. 65, 65e1–65e5, {{DOI|10.1126/science.1175817}}</ref>
Als [[Savannen-Hypothese]] wurde die Annahme bezeichnet, die Evolution der Bipedie sei bei den Menschenaffen vor rund 7 bis 8 Mio. Jahren dadurch in Gang gekommen, dass die damals noch in Wäldern lebenden Arten ihren Lebensraum in offene, baumlose Savannen verlegt und dort zum aufrechten Gehen gefunden hätten. Diese Hypothese gilt heute aufgrund zahlreicher Fossilfunde als widerlegt, da die frühesten aufrecht gehenden und daher zu den [[Hominini]] gestellten Arten wie ''[[Sahelanthropus]]'' und ''[[Orrorin tugenensis]]'' keine reinen Savannen-Bewohner waren, sondern in [[Galeriewald|Galeriewäldern]] lebten. Auch ''[[Ardipithecus ramidus]]'' lebte in einer Umwelt, die „Habitate aus geschlossenem Waldland und aufgelockertem Baumbestand umfasste.“ <ref>Giday WoldeGabriel et al.: ''The Geological, Isotopic, Botanical, Invertebrate, and Lower Vertebrate Surroundings of Ardipithecus ramidus.'' Science, Band 326, 2009, S. 65, 65e1–65e5, {{DOI|10.1126/science.1175817}}</ref>


Als unerheblich für das Entstehen des aufrechten Gangs gilt daher heute auch das thermoregulatorische Modell, das der Zoologe und Evolutionsbiologe Peter Wheeler von der [[Liverpool John Moores University]] 1993 ins Gespräch brachte.<ref>[http://discovermagazine.com/1993/nov/thenakedandthebi317 discovermagazine.com] vom 1. November 1993: Tim Folger, ''The Naked and the Bipedal. Early hominids may have stood up and gotten naked as a way to cope with heat stress on the sere African savanna.''</ref> Er hatte argumentiert, dass Bipedie und Nacktheit eine erleichterte Abgabe der Körperwärme zur Folge gehabt hätten und beides das Gehirn beim Aufenthalt in der offenene Savanne vor Überhitzung geschützt habe: Je höher der Körper eines Menschenaffen sich über den Boden erhoben habe, desto eher sei er höheren, kühlenden Windgeschwindigkeiten ausgesetzt gewesen.
Als unerheblich für das Entstehen des aufrechten Gangs gilt daher heute auch das thermoregulatorische Modell, das der Zoologe und Evolutionsbiologe Peter Wheeler von der [[Liverpool John Moores University]] 1993 ins Gespräch brachte.<ref>[http://discovermagazine.com/1993/nov/thenakedandthebi317 discovermagazine.com] vom 1. November 1993: Tim Folger, ''The Naked and the Bipedal. Early hominids may have stood up and gotten naked as a way to cope with heat stress on the sere African savanna.''</ref> Er hatte argumentiert, dass Bipedie und Nacktheit eine erleichterte Abgabe der Körperwärme zur Folge gehabt hätten und beides das Gehirn beim Aufenthalt in der offenene Savanne vor Überhitzung geschützt habe: Je höher der Körper eines Menschenaffen sich über den Boden erhoben habe, desto eher sei er höheren, kühlenden Windgeschwindigkeiten ausgesetzt gewesen.

Version vom 2. April 2010, 22:50 Uhr

Als Hominisation (auch Anthropogenese, selten Anthropogenie) wird der stammesgeschichtliche Prozess der Menschwerdung bezeichnet, in dessen Verlauf sich die für die Gattung Homo charakteristischen körperlichen, kognitiven und kulturellen Eigenschaften herausgebildet haben. Hierzu gehören insbesondere die Entwicklung des typischen menschlichen Gebisses mit verkürztem, parabolischem Zahnbogen und kleinen Eckzähnen, des aufrechten Ganges, der späte Eintritt der Geschlechtsreife sowie die Vergrößerung des Gehirns und die hiermit verbundenen geistigen und sozialen Fähigkeiten, die die Vertreter der Gattung Homo von den anderen Menschenaffen (Hominidae) unterscheiden.

Anatomische Besonderheiten und Verhalten

Fünf Merkmale unterscheiden dem US-amerikanischen Anatomen C. Owen Lovejoy zufolge den Menschen von den anderen Arten der Menschenaffen: verkleinerte Schneidezähne und Eckzähne, der aufrechte Gang, ein großer Neocortex, ein einzigartiges sexuelles und reproduktives Verhalten sowie materielle Kultur.[1]

Zähne und Gebiss

Rekonstruktion von Aegyptopithecus

Zähne sind hochgradig widerstandsfähig gegen zerstörerische Umwelteinflüsse, deshalb sind sie die am häufigsten gefundenen Fossilien von Primaten. Ihre Größe und Form, die Dicke ihres Zahnschmelzes und das Verhältnis der beiden stabilen Kohlenstoff-Isotope 12C und 13C im Zahnschmelz (vergl. Isotopenuntersuchung) können Auskunft geben über die stammesgeschichtliche Zugehörigkeit ihrer ehemaligen Besitzer, über ihr Sozialverhalten und ihre Nahrung.

Die frühesten bekannten Vertreter der Altweltaffen – wie beispielsweise Aegyptopithecus – besaßen große, längliche Eckzähne, die durch stetiges Reiben an einem Vorderbackenzahn des Unterkiefers (durch sogenanntes Honen) geschärft wurden. Zugleich besaß der Unterkiefer zwei Zahnlücken (Diastema), in die jeweils einer der Eckzähne passte. Dem Menschen fehlen beide Merkmale.

Schon 1871 hatte Charles Darwin die heute noch in Afrika lebenden Schimpansen und Gorillas als die nächsten Verwandten des Menschen erkannt und daher vermutet, dass sich auch der moderne Mensch in Afrika entwickelt habe.[2] Zugleich hatte Darwin aber auch den Körperbau dieser Menschenaffen im Sinne eines ursprünglichen Merkmals gedeutet. Seiner Vermutung nach

„waren die früheren männlichen Vorfahren des Menschen wahrscheinlich mit grossen Eckzähnen versehen; in dem Maasse aber, als sie allmählich die Fertigkeit erlangten, Steine, Keulen oder andere Waffen im Kampfe mit ihren Feinden zu gebrauchen, werden sie auch ihre Kinnladen und Zähne immer weniger und weniger gebraucht haben. In diesem Falle werden die Kinnladen in Verbindung mit den Zähnen an Grösse reducirt worden sein, wie wir nach zahllosen analogen Fällen wohl ganz sicher annehmen können.“ [3]

Darwins Vermutung beeinflusste mehr als 100 Jahre lang zahllose Versuche, die ursprüngliche Bezahnung der Hominini – abgeleitet von der Bezahnung der Schimpansen – zu rekonstruieren. Verlässliche, weil durch zusammenhängende Funde belegbare Aussagen zum Gebiss der frühen Hominini waren jedoch erstmals möglich, nachdem man das 4,4 Millionen Jahre alte Fossil Ardi und zahlreiche Zähne von anderen Individuen der Art Ardipithecus ramidus entdeckt hatte. [4] Weder hatte Ardi eine besonders stark ausgeprägte Schnauze, noch hatten ihre männlichen Artgenossen die von Schimpansen bekannten, dolchartig verlängerten und von außen deutlich wahrnehmbaren Eckzähne („Reißzähne“). Demnach hatte der evolutionäre Trend hin zu verkleinerten Eckzähnen in der Entwicklungslinie der Hominini bereits vor mehr als vier Millionen Jahren eingesetzt, also lange vor der Herstellung erster Steinwerkzeuge, und somit das gesamte Pliozän hinweg angedauert.

Die dolchartigen Eckzähne des Oberkiefers dienen bei den heute lebenden männlichen Affen regelmäßig u. a. als Waffe bei Rangordnungskämpfen innerhalb der eigenen Gruppe und bei Kämpfen mit Individuen anderer Gruppen. Die früh einsetzende Verkleinerung der Eckzähne legt daher nahe, dass sich aufgrund sexueller Selektion auch das agonistische Verhalten und das Imponierverhalten verändert hat, „lange bevor die Hominini ein vergrößertes Gehirn hatten und Steinwerkzeuge benutzten.“ [5]

Unterkiefer mit Weisheitszahn

Ein zweiter, langfristiger evolutionärer Trend, der mit der Verkleinerung der Zähne und der Schnauze einherging, kann aufgrund der Verringerung der Zahnzahl rekonstruiert werden. Weitgehend anerkannt ist heute, dass die ursprünglichen Plazentatiere in jeder Kieferhälfte drei Schneidezähne, einen Eckzahn, vier Vorderbackenzähne und drei Backenzähne hatten. Ihre Zahnformel lautet demnach 3 · 1 · 4 · 3, ihre Zahnzahl betrug 44.[6] Alle heute lebenden Altweltaffen haben hingegen die Zahnformel 2 · 1 · 2 · 3 und somit 32 Zähne. Beim Menschen ist der Trend zur Verringerung insofern unmittelbar zu beobachten, als der dritte (hintere), so genannte Weisheitszahn erhebliche Unterschiede der Form sowie des Durchbruchzeitpunkts aufweist und seine Zahnanlagen gelegentlich völlig fehlen; er kann daher als Rudiment bezeichnet werden.

Im Vergleich zu den Schimpansen ist beim Menschen zudem während der Individualentwicklung der Wechsel vom Milchgebiss zum Dauergebiss verzögert, was zugleich als Indiz für eine Verlängerung der Jugendphase beim Menschen gilt. Bei den nicht-menschlichen Menschenaffen beginnt der Durchbruch der Dauerzähne im Alter von 3,0 bis 3,5 Jahren,[6] beim Menschen hingegen meist erst im 6. Lebensjahr.

Aufrechter Gang

Anhand der Skelettmerkmale zahlreicher Fossilfunde konnte belegt werden, dass sich der aufrechte, zweibeinige Gang in der Familie der Menschenaffen deutlich früher entwickelte als die starke Vergrößerung des Gehirns.[7] C. Owen Lovejoy, ein Anatom an der Kent State University, bezeichnete 1988 den Übergang zum aufrechten Gang als die augenfälligste Veränderung der Anatomie, die man in der gesamten Evolutionsbiologie bisher nachgewiesen habe.[8] Die Fähigkeit zum dauerhaft aufrechten Gehen setzt eine Vielzahl von Anpassungen des Skeletts voraus, insbesondere im Bereich des Beckengürtels und der Hüftgelenke, der Kniegelenke, der Füße sowie des Foramen magnum.[9]

Richard Leakey zufolge ist diese Veränderung derart einzigartig, „dass wir berechtigt sind, alle Arten von zweibeinigen Menschenaffen als menschlich [human] zu bezeichnen.“[10] Eine so weitgehende Festlegung ist allerdings in Fachkreisen umstritten, da nicht alle Fossilfunde von zumindest zeitweise aufrecht gehenden, menschenaffen-ähnlichen Individuen der unmittelbaren Vorfahrenreihe des Menschen zuzuordnen sind.[11]

Aus dem Knochenbau von Fossilien wie „Little Foot“ und „Lucy“ konnte abgeleitet werden, dass schon die Individuen der Gattung Australopithecus über größere Strecken hinweg aufrecht gehen konnten. Bestätigt wurde diese Interpretation 1979, als in Laetoli 3,6 Millionen Jahre alte fossile Fußspuren von Australopithecus afarensis entdeckt wurden,[12] die dessen bipede Fortbewegungsweise konserviert hatten. Umstritten blieb jedoch, ob Australopithecus afarensis – vergleichbar einem Schimpansen – mit ständig angebeugtem Kniegelenk und Hüftgelenk lief oder wie der moderne Mensch energetisch günstiger mit durchgedrücktem Knie. Erst im Jahr 2010 erbrachte ein biomechanisches Experiment den Nachweis, dass die versteinerten Fußspuren ein Abdruckprofil konserviert haben, das weitgehend dem der modernen Menschen gleicht: Beim aufrechten Gehen ist die Abdrucktiefe von Zehen und Ferse annähernd gleich; beim schimpansen-artigen Gehen drücken sich die Zehen tiefer in den Boden als die Ferse.[13] Demnach hatte sich ein – hinsichtlich der Bewegungsabläufe und der Energieeffizienz – menschenähnlicher aufrechter Gang bereits lange vor dem Entstehen der Gattung Homo entwickelt.

Einen weiteren direkten Beweis für eine im Wesentlichen mit dem modernen Menschen vergleichbare Form der aufrechten, zweibeinigen Fortbewegungsweise liefern erst gleichfalls bei Laetoli freigelegte, 1,51 bis 1,53 Millionen Jahre alte und Homo erectus zugeschriebene Fußspuren.[14] Den Analysen zufolge waren die Zehen relativ kurz, der große Zeh war – anders als bei Affen und noch beim 4,4 Millionen Jahre alten Fossil Ardi – parallel zu den anderen Zehen ausgerichtet; die Füße waren wie beim modernen Menschen ein wenig nach oben gewölbt. Beim Laufen verlagerte sich das Gewicht von der Ferse zum Ballen. Aus den Abständen der Fußabdrücke sowie aus ihrer Größe und Tiefe schlossen die Forscher, dass die Erzeuger der Spuren eine ähnliche Körpergröße und ein ähnliches Gewicht wie die modernen Menschen besaßen.

Zum Entstehen des aufrechten Ganges gibt es zahlreichen Hypothesen.

Datei:Orang Utan 2009-01.jpg
Orang Utan, aufrecht im Baum stehend; Zeichnung nach einem Titelbild von Science [15]

Die Hypothese von der Entwicklung des aufrechten Gangs auf Bäumen

Nach Auffassung eines Forscherteams um Susannah Thorpe von der Universität Birmingham und Robin Crompton von der Universität Liverpool könnte sich der aufrechte Gang bereits bei den noch überwiegend auf Bäumen lebenden Vorfahren des Menschen entwickelt haben, um auf diese Weise zum Beispiel die Früchte am Ende dünner Zweige besser erreichen zu können. Die Forscher hatten ein Jahr lang Orang Utans auf Sumatra beobachtet;[16] diese Menschenaffen verbringen ihr ganzes Leben auf Bäumen und könnten daher als ein Modell dafür gelten, wie unsere Vorfahren vor mehreren Millionen Jahre gelebt haben könnten. Die Analyse von rund 3000 Bewegungen habe ergeben, dass die Orang-Utans sich auf sehr dünnen Zweigen auf zwei Beinen fortbewegen, sich dabei mit den Händen an darüber hängenden Zweigen festhalten und mit den Armen ihr Gewicht ausbalancieren. An mitteldicken Zweigen ließen sie sich dagegen eher hängen, sehr dicke Äste würden im Vierfüßler-Gang gemeistert. Dieser Argumentation zufolge wären unsere Vorfahren weitaus früher, als zuvor angenommen, zumindest zeitweise auf zwei Beinen unterwegs gewesen. Erst später, als viele afrikanischen Regenwälder während einer Trockenperiode nach und nach verschwanden, hätten sie mit dem „Umzug“ auf den Boden reagiert, wo sie den aufrechten Gang weiter entwickelten und schließlich perfektionierten. Die andere Linie, die zu den heutigen Schimpansen und Gorillas führte, habe hingegen einen Vierfüßer-Gang auf den Handknöcheln (den so genannten Knöchelgang) entwickelt, um in den ausgedünnten Wäldern rasch von einem Baum zum nächsten gelangen zu können. Unterstützt wird diese Hypothese durch die Tatsache, dass einige Homininifunde aus Gegenden stammen, die zu ihren Lebzeiten eindeutig bewaldet waren. Dies gilt zum Beispiel für den im Jahr 2000 entdeckten Orrorin tugenensis und für Australopithecus-Funde wie „Lucy“. Gestützt wird diese Hypothese ferner durch genaue Analysen des 4,4 Millionen Jahre alten Skeletts Ardi von Ardipithecus ramidus. [17] Friedemann Schrenk beschrieb dessen Fortbewegungsweise so: „Spannend ist die Konstruktion von Ardis Fuß. Er war so gebaut, dass sie grazil auf den Zweigen spazieren konnte. Sie hangelte sich also nicht an ihnen entlang, wie das Schimpansen tun.“ [18]

Die Hypothese vom Zusammenhang von aufrechtem Gang und Nahrungsaufnahme

Eine Hypothese zum Entstehen des aufrechten Ganges infolge der Nahrungsaufnahme in einer bestimmten Haltung („postural feeding hypothesis“) wurde vom Paläoanthropologen Kevin D. Hunt von der Indiana University ins Gespräch gebracht.[19] Diese Theorie macht geltend, dass Schimpansen bei der Nahrungsaufnahme regelmäßig zweibeinig seien. Auf dem Boden würden sie nach oben greifen, um an Früchte zu gelangen, die von kleineren Bäumen hingen, und auf den Bäumen würde die Fähigkeit zur zeitweisen Bipedie beim Greifen nach einem über ihnen befindlichen Ast genutzt. Diese zweibeinigen Bewegungen entwickelten sich der Theorie zufolge zu häufigeren Gewohnheiten.

Hunts Hypothese kann zwar als Vorläufer zur Hypothese von der Entwicklung des aufrechten Gangs auf Bäumen beschrieben werden, sie wurde jedoch 2009 durch die Analysen des Körperbaus von Ardipithecus ramidus „falsifiziert“, wie C. Owen Lovejoy ausdrücklich anmerkte.[20]

Savannen-Hypothese

Als Savannen-Hypothese wurde die Annahme bezeichnet, die Evolution der Bipedie sei bei den Menschenaffen vor rund 7 bis 8 Mio. Jahren dadurch in Gang gekommen, dass die damals noch in Wäldern lebenden Arten ihren Lebensraum in offene, baumlose Savannen verlegt und dort zum aufrechten Gehen gefunden hätten. Diese Hypothese gilt heute aufgrund zahlreicher Fossilfunde als widerlegt, da die frühesten aufrecht gehenden und daher zu den Hominini gestellten Arten wie Sahelanthropus und Orrorin tugenensis keine reinen Savannen-Bewohner waren, sondern in Galeriewäldern lebten. Auch Ardipithecus ramidus lebte in einer Umwelt, die „Habitate aus geschlossenem Waldland und aufgelockertem Baumbestand umfasste.“ [21]

Als unerheblich für das Entstehen des aufrechten Gangs gilt daher heute auch das thermoregulatorische Modell, das der Zoologe und Evolutionsbiologe Peter Wheeler von der Liverpool John Moores University 1993 ins Gespräch brachte.[22] Er hatte argumentiert, dass Bipedie und Nacktheit eine erleichterte Abgabe der Körperwärme zur Folge gehabt hätten und beides das Gehirn beim Aufenthalt in der offenene Savanne vor Überhitzung geschützt habe: Je höher der Körper eines Menschenaffen sich über den Boden erhoben habe, desto eher sei er höheren, kühlenden Windgeschwindigkeiten ausgesetzt gewesen.

Verhaltenshypothese

Der Anatom C. Owen Lovejoy von der Kent State University leitete 1981 die Bipedie aus dem Sozialverhalten der frühen männlichen Menschenaffen ab.[23] Seine Hypothese besagte, dass die Bipedie infolge einer monogamen Lebensweise entstanden sei: Die Männchen jener Menschenaffen-Arten, die sich zu den frühen Hominini fortentwickelten, seien monogam geworden und hätten tagsüber ihre Familien alleingelassen, um nach Nahrung zu suchen. Diese Nahrung hätten sie zu ihrer Familie tragen müssen, und die effektivste Fortbewegungsweise sei in dieser Situation das zweibeinige Laufen gewesen. Lovejoys Hypothese, die mangels fossiler Überlieferung nicht unmittelbar durch paläoanthropologische Befunde zu belegen ist, rief umgehend massive Kritik hervor.[24] Insbesondere wurde darauf verwiesen, dass monogame Primaten in der Regel keinen Sexualdimorphismus aufweisen; männliche Exemplare von Australopithecus afarensis besaßen jedoch fast das doppelte Gewicht von Weibchen – dies sei ein Merkmal, das man bei polygamen Arten erwarten würde. Ferner seien monogame Primaten stark territorial, lebten also nicht in größeren sozialen Verbänden; fossile Hinweise zeigten jedoch, dass Australopithecus afarensis in Gruppen lebte.

2009 widerrief C. Owen Lovejoy seine Hypothese unter Verweis auf die Funde von Ardipithecus ramidus in Hadar (Äthiopien): „Seit der Zeit Darwins standen zumeist die heute lebenden afrikanischen Menschenaffen Pate, wenn die frühe Evolution des Menschen rekonstruiert wurde. Diese Modelle veranschaulichen grundlegende menschliche Verhaltensweisen als Steigerung von Verhaltensweisen, die man bei Schimpansen und/oder Gorillas beobachten kann (zum Beispiel aufrechte Haltung bei der Nahrungsaufnahme, männliches Dominanzverhalten, Werkzeuggebrauch, Kultur, Jagd und Kriegsführung). Ardipithecus falsifiziert im Wesentlichen solche Modelle, denn die heute lebenden afrikanischen Menschenaffen sind hochgradig abgeleitete Verwandte unseres letzten gemeinsamen Vorfahren.“ [20]

Ein Gorillaweibchen nutzt einen Ast als Stütze beim Durchqueren eines Gewässers.

Wat-Hypothese

Der sogenannten Wat-Hypothese zufolge entwickelte sich die Bipedie der Hominini als ein Ergebnis des zweibeinigen Watens in Gewässern mit niedrigem Wasserstand; zweibeiniges Waten wird gelegentlich bei den Bonobos, den Flachlandgorillas und den Nasenaffen beobachtet. Zweibeiniges Waten bietet den Vorteil, den Kopf zum Atmen über Wasser zu halten. In seinem Buch „Das Geheimnis des aufrechten Ganges“ [25] versuchte der Autor, Carsten Niemitz, nachzuweisen, dass keines der anderen Erklärungsmodelle das Entstehen des aufrechten Ganges plausibel erklären könne.[26] Teile dieser Theorie finden sich auch in der Wasseraffen-Theorie.[27]

Gehirnentwicklung

Neben den Walen – speziell den Delfinen – gelten die Primaten als die Säugetiere mit den am komplexesten entwickelten Gehirnen. Im Verlauf der Zerebralisation bestand bei den Hominini vor allem eine Tendenz zur Volumen- und Oberflächenzunahme des Gehirns, speziell im Bereich der Großhirnrinde, was unter anderem erhebliche Auswirkungen auf die Nahrungsaufnahme hatte: Das Gehirn des modernen Menschen macht zwar nur etwa zwei Prozent vom Körpergewicht aus, es verbraucht aber rund 20 Prozent der Stoffwechselenergie.[28] Die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Gehirnentwicklung, anatomischen Veränderungen des Gesichtsschädels und anderer Körpermerkmale sowie beispielsweise dem Nahrungserwerb sind jedoch noch immer relativ wenig erforscht.

Das Volumen des Gehirns der fossilen Hominini konnte anhand von Schädelfragmenten zumindest näherungsweise rekonstruiert werden. Die nachfolgende Tabelle gibt hierzu einen Überblick. Da Hirn etwa das spezifische Gewicht von Wasser hat, entspricht das Volumen ungefähr der Masse in Gramm. Die Angaben zu fossilen Arten sind Schätzungen auf Grundlage von meist unvollständigen und deformierten Funden; unterschiedliche Fachbücher können daher voneinander abweichende Angaben enthalten.

Art Volumen in cm3
Schimpansen ca. 400 [29]
Ardipithecus ramidus 280–350[30]
Australopithecus 400–550[31]
Homo rudolfensis ca. 750[32]
Homo habilis 600–800[33]
Homo erectus 850–1100[34]
Neandertaler ca. 1450
(1300–1750)
[35]
Homo floresiensis 380[36]
Homo sapiens 1345
(900–1880)[37]
Das Gehirn des Menschen und des Schimpansen
(rechts unten als Maßstab: 1 cm)

Das Gehirnvolumen des modernen Menschen weist eine erhebliche Spannweite auf, die eine unmittelbare Folge der gleichfalls erheblichen Variabilität seiner Körpergröße ist. Da Frauen im Mittel kleiner sind als Männer, haben Frauen im Mittel auch ein etwas kleineres Gehirn als Männer[28] (siehe dazu: Gehirne von Männern und Frauen).

Im Vergleich mit den diversen Arten der Australopithecinen – insbesondere zum Beispiel mit Paranthropus aethiopicus – besitzen alle bisher bekannten Arten der Gattung Homo einen extrem schwachen Kauapparat mit zurückgebildeter Kaumuskulatur. US-Forschern um Hansell H. Stedman zufolge besteht ein zeitlicher und funktioneller Zusammenhang zwischen dieser Rückbildung und der Vergrößerung des Gehirns. Vor rund 2,4 Millionen Jahren habe sich die Mutation eines Gens ereignet, das für das Protein MYH16 (myosin heavy chain 16) kodiert; das MYH16-Gen ist bei Säugetieren ausschließlich im Bereich der Kiefer aktiv – im Musculus temporalis und im Musculus masseter – und bewirkt die Produktion von besonders belastbaren Myosin-Ketten in den Muskelzellen (siehe Heavy Chain). Die Mutation habe dazu geführt, dass dieses Gen seitdem in der zum modernen Menschen führenden Abstammungslinie inaktiv ist.[38] Es sei kein Zufall, dass aus der gleichen erdgeschichtlichen Epoche die frühesten Fossilien der Gattung Homo stammen: Der Ausfall des Gens habe eine markante Verkleinerung der einzelnen Muskelfasern und – als Folge davon – der gesamten Kaumuskulatur zur Folge gehabt. Der damit verbundene Wegfall der erheblichen Zugkraft von Muskeln, die am Schädel ansetzen und den Unterkiefer bewegen, sei wiederum eine Voraussetzung dafür gewesen, dass sich das Gehirn und mit ihm der gesamte Schädel später vergrößern konnten. Schimpansen und andere Primaten verfügen auch heute noch über das intakte, nicht mutierte Gen.

Behaarung

Auffallend beim heute lebenden Menschen ist, dass er – als einziger aller heute lebenden Primaten – neben dem meist unauffälligen Vellushaar allenfalls eine außerordentlich geringe Körperbehaarung besitzt. Das über einige Jahre ungebremste Wachstum des Haupthaares findet ebenfalls keine Parallele unter den Primaten; eine klare Funktion ist nicht ersichtlich. Da bisher keine paläoanthropologisch relevanten Haarfunde entdeckt wurden, sind weder Aussagen zur Behaarung ausgestorbenen Spezies der Hominini möglich, noch lässt sich die Zeitspanne belegen, während der bei seinen Vorfahren das Fell verloren ging. Über die Frage, warum die Reduktion des Fells eingesetzt hat, gehen die Ansichten der Evolutionsbiologen auseinander. „Die vielleicht plausibelste Theorie geht davon aus, dass die Nacktheit zusammen mit der Vermehrung der Schweißdrüsen ursprünglich zur Regulierung der Körpertemperatur diente. Das Merkmal wäre also bereits vor rund zwei Millionen Jahren bei frühen Menschen (H. erectus) als Anpassung an ausdauerndes Laufen unter Hitzebelastung entstanden.“[39]

Eine Folge der reduzierten Behaarung war, dass die nunmehr weitgehend ungeschützte Haut der intensiven afrikanischen Sonneneinstrahlung ausgesetzt war: „Um die schädliche UV-Strahlung abzuhalten, ‚erfand‘ der Körper die Produktion von Melanin und damit die dunklere Hautfarbe, die es den Menschen ermöglichte, in diesen Breitengraden überhaupt überleben zu können.“[40] Eine weitere Folge der reduzierten Behaarung war, dass die sichtbar gewordene Haut zu einem sozialen Signal werden konnte und beim modernen Menschen auch zur innerartlichen Kommunikation dient, indem emotionale Zustände wie Angst oder Wut mit Erbleichen oder Erröten einhergehen.

Sexualverhalten

Hauptartikel: Sexualität des Menschen

Genetisch determinierte Besonderheiten

  • Versteckter Eisprung: Die Fruchtbarkeit von Tierweibchen wird in der Regel durch körperliche oder Verhaltens-Signale mitgeteilt, damit in dieser Phase eine Befruchtung stattfinden kann; bei Menschen ist dies nicht der Fall, die fruchtbare Phase ist für beide Geschlechter kaum ohne hochentwickelte Diagnostik erkennbar.
  • Anders als bei fast allen Tieren wird Sexualität bei Menschen nicht nur zu bestimmten, genetisch fixierten Zeiten (Brunftzeiten) praktiziert. Menschen können grundsätzlich ganzjährig miteinander sexuell verkehren, und der Geschlechtsakt ist weniger stark als bei den Tieren mit der Fortpflanzung verbunden. Die jederzeit praktizierte Sexualität ist aber auch bei den nächsten Verwandten des Menschen angelegt: Sowohl Bonobos als auch Schimpansen sind für ihr ausgeprägtes Sexualverhalten bekannt.
  • Ausbildung von Brüsten bei erwachsenen Frauen unabhängig von einer Laktation, deren Größe vom Fettgewebe bestimmt wird, nicht vom Drüsengewebe. Solche Brüste existieren nur beim Menschen. Auch die auffällige Färbung der Brustwarzenregion und die Größe der Brustwarzenhöfe ist einzigartig unter den Säugetieren. Diese Besonderheiten werden mit einer sexuellen Signalfunktion erklärt, deren genaue Bedeutung umstritten ist.
  • Ausbildung eines für Primaten im erigierten Zustand außerordentlich großen Penis, der nicht (ohne Hilfsmittel) verborgen werden kann (beim Gorilla demgegenüber unscheinbar).
  • Geschlechtsverkehr ist in vielfältigen Positionen möglich, die eher häufig praktizierte zugewandte Lage kommt bei anderen Primaten - außer beim Orang Utan - nicht vor und ist auch sonst selten im Tierreich.
  • Der direkten Ansicht verborgene primäre Geschlechtsorgane bei der erwachsenen Frau.
  • Eine Hervorhebung der adulten primären Geschlechtsorgane durch deutlich abgesetzte Schambehaarung bei sonst geringer Behaarung ist im Tierreich einzigartig.
  • Beginn der Fruchtbarkeit im Vergleich zu anderen (auch langlebigen) Primaten erheblich verzögert.
  • Beendigung der Fruchtbarkeit von Frauen: Ab einem Alter von ca. 50 Jahren erleben Frauen durch die Wechseljahre ein Ende ihrer Fruchtbarkeit.

Kulturell etablierte Besonderheiten

  • Kopplung von Scham und Sexualität: Menschen sind die einzige Spezies, die Scham für Sexualität entwickeln kann; Geschlechtsverkehr findet üblicherweise unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, während Tiere in der Regel vor den Augen der Artgenossen kopulieren.
  • „Offizielle“ Monogamie: Dieses umstrittene Merkmal bezieht sich darauf, dass viele (nach einer anderen Position: die meisten) menschlichen Kulturen mehr oder weniger langfristige Paarbeziehungen zwischen einer Frau und einem Mann zum Zweck der Kinderaufzucht kennen. Relativ selten kommen offizielle Polygynie oder Polyandrie vor. Die offizielle Monogamie ist allerdings nachweisbar gekoppelt mit einer Neigung beider Geschlechter zu „Seitensprüngen“.
  • Vorschriften und Verbote von Sexualpraktiken in vielen (oder den meisten) Kultur- und Religionsvorschriften.

Eine Reihe von Autoren vertritt die Position, dass der versteckte Eisprung, die Sexualität zum Vergnügen und die Privatheit des Sexualaktes Merkmale sind, die die Bindung des Mannes an eine Frau, d. h. die zur Kinderaufzucht notwendige langfristige wirtschaftliche Kooperation von Paaren begünstigt haben. Die Beendigung der Fruchtbarkeit der Frau ab einem Alter, in dem die Lebensgefährdung durch eine Geburt eine bestimmte Schwelle überschreitet, komme ebenfalls der Kinderaufzucht zugute und habe sich deshalb in der Evolution bewährt und durchgesetzt.

Kulturell tradierte Merkmale

Zu den kulturell tradierten Merkmalen zählen u. a. die Weitergabe von Wissen durch Sprache (d. h. durch symbolische Kommunikation), die mit steigender Gruppengröße wesentlich komplexere Kooperation, das Anfertigen von Kunstwerken und der Technikeinsatz. Prozesse der kulturellen Evolution werden seit den 1970er Jahren unter dem Begriff Kulturethologie erforscht.[41]

Für Informationen, die allein durch menschliches Bewusstsein repliziert werden, schlug der Evolutionsbiologe Richard Dawkins im Jahre 1976 das Konzept der Memetik vor. Damit wurde ein Pendant zum Gen entworfen, wobei der Grundgedanke darin besteht, dass sich bestimmte Informationen („Meme“) aufgrund ihrer Vorteilhaftigkeit replizieren und gegenüber anderen Informationen durchsetzen, ebenso wie das „erfolgreiche“ Gene tun.[42] In diesem Sinne können Traditionen der Werkzeugherstellung (Beispiel: Faustkeil), Arbeitsprozesse (Beispiel: Feuer, Ackerbau) oder Rituale früher Hominiden als Meme bzw. Memplexe bezeichnet werden, die sich aufgrund ihrer Vorteilhaftigkeit von Gehirn zu Gehirn replizieren.[43] Ein solches Modell kann nützlich sein, um zum Beispiel die dominierende Rechtshändigkeit heutiger Menschen als Ergebnis einer memetischen Tradierung von Werkzeugherstellung und anderen Arbeitsprozessen zu verstehen.

Werkzeuggebrauch

Hauptartikel: Steingerät

Für die Abgrenzung der Gattung Homo von den Australopithecinen wurde lange Zeit Werkzeugnutzung als wichtiges Definitionskriterium angesehen. Da älteste Steinwerkzeuge (Pebble Tools) bis zu 2,6 Millionen Jahre alt und damit älter als die frühesten Vertreter der Gattung Homo sind, kann heute keine überzeugende Korrelation von biologischer Entwicklung und dem vermuteten Selektionsvorteil durch Nutzung einfacher Geröllgeräte mehr festgestellt werden. Stattdessen war zwischen 3 und 2 Millionen Jahren vor heute das unterschiedliche Nahrungsangebot offenbar die wichtigste Triebkraft der Speziation und der Bevorteilung von Omnivoren (Generalisten). Als gesichert gilt beim derzeitigen Forschungsstand, dass Homo erectus als erster das Feuer zu beherrschen lernte, was damit unter allen Lebewesen eine exklusive Fähigkeit der Gattung Homo ist. Die älteste unumstrittene Fundstelle mit verbrannten menschlichen Nahrungsresten ist Gesher Benot Ya'aqov im Norden Israels, die etwa 700.000 Jahre alt ist.[44]

Kunstwerke

Hauptartikel: Jungpaläolithische Kleinkunst

Als die frühesten Zeugnisse symbolischer Kommunikation gelten mit Gravuren verzierte Knochenobjekte aus der Blombos-Höhle in Südafrika, deren älteste auf etwa 77.000 Jahre datiert wurden.[45] Ungefähr 60.000 Jahre alt sind 270 Fragmente von Straußeneiern, die gleichfalls in Südafrika – in der Diepkloof-Höhle – entdeckten wurden und ebenfalls geometrische Muster (Schraffuren, parallele und sich kreuzende Linien) aufweisen.[46] Mit einem Alter von unter 40.000 Jahren wesentlich jünger sind die aus Europa bekannten Höhlenmalereien sowie Objekte wie beispielsweise die Löwenmenschen und die Venus vom Hohlen Fels.

Quellen

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  2. Charles Darwin: The Descent of Man, and Selection in Relation to Sex. London, John Murray, 1871, Band 1, S. 199: „In each great region of the world the living mammals are closely related to the extinct species of the same region. It is therefore probable that Africa was formerly inhabited by extinct apes closely allied to the gorilla and chimpanzee; and as these two species are now man's nearest allies, it is somewhat more probable that our early progenitors lived on the African continent than elsewhere.“
  3. Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl. 3. Auflage, gänzlich umgearbeitete Auflage, aus dem Englischen übersetzt von J. Victor Carus. In: Ch. Darwin's gesammelte Werke, Bd. 5, E. Schweizerbart’sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, S. 68; Digitalisat
  4. Gen Suwa et al.: Paleobiological Implications of the Ardipithecus ramidus Dentition. Science, Band 326, 2009, S. 69, 94–99, doi:10.1126/science.1175824
  5. Gen Suwa et. al.: Paleobiological Implications of the Ardipithecus ramidus Dentition. Science, Band 326, 2009, S. 69
  6. a b Winfried Henke, Hartmut Rothe: Stammesgeschichte des Menschen. Springer Verlag, Berlin 1999, S.33–34
  7. Zur Übersicht siehe: W. E. H. Harcourt-Smith, L. C. Aiello: Fossils, feet and the evolution of human bipedal locomotion. Journal of Anatomy, Band 204 (5), 2004, S. 403–416, doi:10.1111/j.0021-8782.2004.00296.x, Volltext
  8. C. Owen Lovejoy: Evolution of Human Walking. Scientific American, November 1988, S. 118–125
  9. Ronald J. Clarke, Phillip Tobias: Sterkfontein member 2 foot bones of the oldest South African hominid. Science, Band 269, 1995, S. 521; doi:10.1126/science.7624772
  10. Richard Leakey: The origin of humankind. Phoenix, a division of Orion Books Ltd., 1995, S. 13
  11. www.pbs.org: The Transforming Leap, from Four Legs to Two. Eine Übersicht zum Stand der Forschung
  12. Mary Leakey et al.: Pliocene footprints in the Laetoli beds at Laetoli, northern Tanzania. Nature, Band 278, 1979, S. 317–323; doi:10.1038/278317a0
  13. David A. Raichlen et al.: Laetoli footprints preserve earliest direct evidence of human-like bipedal biomechanics. PLoS ONE 5(3): e9769. 2010; doi:10.1371/journal.pone.0009769
    wissenschaft.de vom 20. März 2010: „Vormensch mit durchgedrücktem Kreuz. Stammesverwandte des Menschen gingen vor 3,6 Millionen Jahren aufrecht.“
  14. „The Ileret prints show that by 1.5 Ma, hominins had evolved an essentially modern human foot function and style of bipedal locomotion.“ Matthew R. Bennett et al.: Early Hominin Foot Morphology Based on 1.5-Million-Year-Old Footprints from Ileret, Kenya. Science, Band 323, 2009, S. 1197–1201; doi:10.1126/science.1168132. – In New Scientist vom 23. Mai 2009, S. 24, wies Richard Leakey darauf hin, dass die Zuordnung der Spuren zu Homo erectus nicht zwingend sei, da zur gleichen Zeit und in den gleichen afrikanischen Biotopen auch Paranthropus boisei und Homo habilis vorkamen.
  15. sciencemag.org: Cover von Science, 1. Juni 2007
  16. S. K. S. Thorpe et al.: Origin of Human Bipedalism As an Adaptation for Locomotion on Flexible Branches. Science, Band 316, 2007, S. 1328–1331, doi:10.1126/science.1140799; vergl. dazu: www.sueddeutsche.de: „Aufrecht auf dem Ast“
  17. C. Owen Lovejoy et al.: The Pelvis and Femur of Ardipithecus ramidus: The Emergence of Upright Walking. Science, Band 326, 2009, S. 71, 71e1–71e6, doi:10.1126/science.1175831
    C. Owen Lovejoy et al.: Careful Climbing in the Miocene: The Forelimbs of Ardipithecus ramidus and Humans Are Primitive. Science, Band 326, 2009, S. 70, 70e1–70e8, doi:10.1126/science.1175827
    C. Owen Lovejoy et al.: Combining Prehension and Propulsion: The Foot of Ardipithecus ramidus. Science, Band 326, 2009, S. 72, 72e1–72e8, doi:10.1126/science.1175832
  18. zitiert aus einem Interview („Sensationsfund Ardi – Attraktion statt Aggression“) in: Süddeutsche Zeitung vom 2. Oktober 2009, S. 24, Volltext
  19. Kevin D. Hunt: The evolution of human bipedality: ecology and functional morphology. Journal of Human Evolution, Band 26, 1994, S. 183–202
    Kevin D. Hunt: The postural feeding hypothesis: an ecological model for the evolution of bipedalism. South African Journal of Science, Band 92, 1996, S. 77–90.
  20. a b C. Owen Lovejoy: Reexamining Human Origins in Light of Ardipithecus ramidus. Science, Band 326, 2009, S. 74, 74e1–74e8, doi:10.1126/science.1175834
  21. Giday WoldeGabriel et al.: The Geological, Isotopic, Botanical, Invertebrate, and Lower Vertebrate Surroundings of Ardipithecus ramidus. Science, Band 326, 2009, S. 65, 65e1–65e5, doi:10.1126/science.1175817
  22. discovermagazine.com vom 1. November 1993: Tim Folger, The Naked and the Bipedal. Early hominids may have stood up and gotten naked as a way to cope with heat stress on the sere African savanna.
  23. C. Owen Lovejoy: The Origin of Man. Science, Band 211, 1981, S. 341–350
  24. nachzulesen in Science, Band 217, S. 295–304; die kritischen Stellungnahmen stammten von Glynn Isaac, Diahan Harley, James W. Wood, Linda D. Wolfe, J. Patrick Gray, John G. Robinson, Leslie S. Lieberman, Elizbeth H. Peters, Rebecca L. Cann und Allan C. Wilson
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  46. Pierre-Jean Texiera et al.: A Howiesons Poort tradition of engraving ostrich eggshell containers dated to 60,000 years ago at Diepkloof Rock Shelter, South Africa. PNAS, Online-Vorabveröffentlichung vom 1. März 2010, doi:10.1073/pnas.0913047107
  • waldwildnis.de, November 1998: „Vom Werkzeugmacher zum Aasfresser: Vorstellungen von der Menschwerdung im Spiegel der Wissenschaftsgeschichte.“ Vortrag von Dr. Inge Schröder, Anthropologisches Institut der Christian-Albrechts-Universität, Kiel; Schröder ist seit 2003 Privatdozentin und seit 2006 wissenschaftliche Geschäftsführerin des Wissenschaftszentrums Kiel
  • zdf.de: „Evolution des Menschen.“ ZDF-Film vom 16. Juli 2008: Interaktive Grafikanimation - mit Stammbusch und Steckbrief der Menschenaffen, ihre Ausbreitung und Erklärung der morphologischen Unterschiede