Familie

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Eine Familie aus Eltern und drei Kindern
Eine Großfamilie
Rembrandt van Rijn: Jakob segnet seine Enkel

Familie (von lateinisch famulus „Diener“[1]) bezeichnet soziologisch eine durch Partnerschaft, Heirat, Lebenspartnerschaft, Adoption oder Abstammung begründete Lebensgemeinschaft, im westlichen Kulturraum meist aus Eltern oder Erziehungsberechtigten sowie Kindern bestehend, gelegentlich durch weitere, mitunter auch im selben Haushalt lebende Verwandte oder Lebensgefährten erweitert.

Begriffsgeschichte

Antike (Römisches Reich)

Die lateinischen Begriffe famulus und famula heißen „Diener“ bzw. „Sklave“ und „Dienerin“ bzw. „Sklavin“. Der davon abgeleitete lateinische Begriff familia ist in der lateinischen Sprache „vielschichtig“. Für den heutigen Familienbegriff gab es im Lateinischen - genau wie Griechischen - kein Wort: „In keiner ihrer Bedeutungen war familia also die Kernfamilie, bestehend aus Vater, Mutter, Kindern.“ [2]

Die Begriffe familia und die zughörige soziale Zentralposition des pater familias waren Herrschaftsbezeichnungen, die Machtverhältnisse bzw. unterschiedliche Aspekte von Machtverhältnissen anzeigten[3]. Der biologische Erzeuger (Vater) hieß genitor, nicht Pater.[4] Bereits in den indogermanischen Sprachen stand Pater nicht für leibliche und materielle Aspekte einer Vaterschaft, sondern für „Schöpfungskraft“ und „übernatürliche Kräfte“ jenseits der reinen Fruchtbarkeit eines Mannes.

In der römischen Antike wurde erstmals die Verwandtschaft als zentrale beziehungsstiftende Institution relativiert, indem die familia sich um die Zentralposition des pater familias konstituierte und durch diesen quasi als soziale Einheit ins Leben gerufen wurde. Nicht die Vereinigung von männlichem Samen mit weiblicher Fruchtbarkeit, sondern die charismatisch überhöhte Stellung des Hausherrn verschaffte ihm das unbeschränkte Verfügungsrecht über die gesamte Hausgemeinschaft, d.h. Sachen und Personen wie Ehefrau, Kinder, Sklaven, Freigelassene und Vieh.[5][6]

Die höchst unterschiedlichen Kontexte in denen der lateinische Begriff familia verwendet wurde, bezeichnen jeweils bestimmte Aspekte des komplexen Herrschaftsbegriffs:

  • Sklavengesinde, d.h. die Sklaven und abhängigen Freigelassenen einer Hausgemeinschaft (häufigste alltägliche Begriffsverwendung)
  • Geschlecht der Vorfahren in männlicher Linie
  • Sämtliche Personen, die unter der Gewalt des pater familias standen (Ehefrau, Kinder, ggfs. Enkel, Sklaven, Freigelassene)
  • Sämtliche Sachen und Personen, die unter der Gewalt des pater familias (Patria Potestas) standen, also auch Vieh, Geld, Güter, Lebensmittel, Metalle etc.[7][8]

Mittelalter

Im Mittelalter war familia kein Begriff der Alltagssprache, sondern bezeichnete den Rahmenhaushalt des Herrschers, der oftmals viele hunderte oder tausende von Personen umfasste. Dieser Rahmenhaushalt bestand aus einem vielfach verschachtelten System einander über- und untergeordneter Hausgemeinschaften. Schlüsselbegriff der sozialen Ordnung war nicht der Begriff familia, sondern der des Hauses. Die Ordnung des Hauses ging dabei überall auf die gleiche häusliche Wurzel zurück.[9]

Neuzeit

Erst ab Ende des 17. Jahrhunderts wurde der Begriff Familie aus dem Französischen kommend allmählich in die deutsche Alltagssprache übernommen. Anfangs war er noch gleichbedeutend mit dem älteren Begriff Haus. Erst später bezeichnete er die engere Einheit der sogenannten Kernfamilie[10] oder die weitere soziale Einheit im Sinne der Verwandtschaft. Der neue Begriff bezeichnet das mit dem Aufstieg des Bürgertums sich durchsetzende Ideal der Bürgerlichen Familie, d.h. der Kernfamilie und ihrer Einbettung in Abstammungsbeziehungen.[11]

Neben dem Begriff der Familie hat sich der Begriff des Hauses in zahlreichen Kontexten der heutigen Sprache erhalten. Hierzu zählen beispielsweise die Begriffe Hausfrau, Hausaufgaben, Hausrecht oder Hausarbeit.

Funktionen der Familie

Die Familie bündelt biologisch und sozial viele Funktionen:

Ob die biologische Reproduktionsfunktion der Spezies „Mensch“ der Institution „Familie“ bedarf, ist teilweise umstritten.

Zur biologischen Basis einer Familie gehören die Zeugungsfähigkeit und Gebärfähigkeit sowie die Fähigkeit zu einem menschengemäßen Brutpflegeverhalten. Zeugungs- und Gebärfähigkeit entfallen als Bedingung, wenn ein Ehepaar ein Kind adoptiert, dennoch kann von einer „Familie“ gesprochen werden. Kennzeichnend ist das Zusammenleben von mindestens zwei Generationen. Wenn Großeltern, Eltern und Kinder als Familie zusammenleben, spricht man von einem Mehrgenerationenhaushalt bzw. einer Mehrgenerationenfamilie. Die Reproduktionsfunktion dient der Sicherung der Generationsfolge durch Weitergabe des Lebens.

Es lassen sich drei elementare soziale Funktionen hervorheben:

  • Die „Sozialisations“funktion (auch: erzieherische Funktion) der Familie besteht in ihrer Fähigkeit zur sozialen Kontrolle, zur Erleichterung der Sozialisation und in der Formierung von Motivationen und Fähigkeiten von Heranwachsenden. Sie bildet ein erstes dichtes soziales Netzwerk bereits für den Säugling und bildet Kinder und Jugendliche auch primär aus. Die Familie ist sozialer Raum für Geborgenheit, Wachstum, Entwicklung und als solcher mit entscheidend für die Entwicklung von Kompetenzen und Handlungspotential der nachfolgenden Generation.[12]
  • Die wirtschaftliche Funktion ist für viele Familien eine wichtige Funktion. So erbringt sie Schutz und Fürsorge (auch materielle) für Säuglinge, aber auch für kranke und alte Familienangehörige, ernährt, kleidet und behaust sie.
  • Die politische Funktion ist zunächst eine verortende: Für in ihr geborene Kinder erbringt sie eine legitime Platzierung in der jeweiligen Gesellschaft. Sonst ist die politische Funktion in neuzeitlichen staatlich verfassten („statalen“) Gesellschaften fast erloschen, findet sich aber oft noch informell in der Oberschicht. In nichtstaatlichen Gesellschaften tritt sie jedoch als einziger politischer Rückhalt durch Verwandtschaft (Sippe, Clan) deutlich hervor.

Aus diesen können weitere Funktionen abgeleitet werden:

  • Die religiöse Funktion (auch: Wertevermittlung) lässt sich aus der Sozialisationsfunktion ableiten, etwa in der Gestaltung von Familienfesten. Das ist in modernen Kleinfamilien unauffällig (Beispiele: Vater spricht das Tischgebet; er schmückt den Weihnachtsbaum). Anders in vorstaatlichen Gesellschaften: Da wurde es in vielen Bräuchen verdeutlicht – Beispiele: Der Vater bestimmte, ob ein Neugeborenes lebensfähig sei oder ausgesetzt werde; die Aussaat mit der Hand darf nur der Bauer selber vornehmen.
  • Die rechtliche Funktion ist verfassungs- und privatrechtlich (dort im Familienrecht) auch heute noch lebendig. Nach dem deutschen Grundgesetz steht die Familie unter besonderem staatlichen Schutz. Im privatrechtlichen Bereich hat sie zahlreiche Gestaltungsrechte (so im Unterhalts-, Vormundschafts-, Adoptions- und Erbrecht).
  • Die „Freizeit- und Erholungsfunktion“ ist eine moderne Variante der Wirtschaftsfunktion. Sie umfasst Basisleistungen zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit der Familienmitglieder und die Bereitstellung von Erholungsmöglichkeiten bzw. Ausgleichsleistungen der Familie gegenüber bestehenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Organisationsformen.

Des Weiteren erfüllt die Familie eine psychisch-emotionale Funktion, indem sie Identität stiftet, auch im Erwachsenenalter zu sozialer Identität und Selbstbild beiträgt und eine Basis für dauerhaft angelegte soziale Beziehungen innerhalb der erweiterten Familie bildet. Durch Verwandtschaftsbeziehungen entstehen bereits in der Kindheit persönliche Bindungen von hoher emotionaler Bedeutung. Die engen Beziehungen werden später meist auf Lebens- und Ehepartner der Verwandten erweitert und bis ins hohe Alter aufrechterhalten. Sie werden durch Familienbesuche und Familienfeste zelebriert.

In modernen Gesellschaften werden politische, religiöse, wirtschaftliche und erzieherische Funktionen der Familie zum Teil auf andere gesellschaftliche Institutionen (z. B. Staaten, politische Gemeinden, Versicherungsanstalten, Schulwesen, Sport) übertragen und treten im Familienalltag dann zurück, was sich in Notzeiten durchaus rasch ändern kann.

Alternativen

Ur- und frühgeschichtlichen Gesellschaften wird gelegentlich eine familienlose Organisation hypothetisch zugeschrieben. Auch in manchen indigenen Stammesgesellschaften der Neuzeit werden Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens beobachtet, die kernfamilienlos erscheinen, jedoch nicht unbedingt familienlos sind. Die Soziologie vermutet mit umfangreichem Material zumindest eine „Universalität der Kernfamilie“ (Needham). Moderne Gesellschaften versuchten, anderweitige funktional äquivalente Lebensformen zu etablieren, so etwa den Kibbuz in Israel.

Einzelterminologie

Unterschieden wird, ob ein junges Ehepaar nach der Heirat zur Familie der Frau zieht (Uxorilokalität) oder zu der des Mannes (Virilokalität) oder ob es sich an einem dritten Wohnort niederlässt (Neolokalität). Auch wird unterschieden, ob materielle, kulturelle und spirituelle Ressourcen in einer Familie vom Vater auf den Sohn übergehen (Patrilinearität) oder ob sie über die Mutter laufen (Matrilinearität) – Letzteres schließt aber nicht aus, dass Männer in der Familie herrschen (dann vererbt ein Mann auf die Männer seiner Töchter oder auf die Söhne seiner Schwester – vergleiche dazu auch Stiefmutter).

Diese Begriffe sind nicht mit den Bezeichnungen für inner- oder außerfamiliäre Formen der Herrschaft von Frauen bzw. Männern zu verwechseln – vergleiche dazu Matriarchat und Patriarchat, auch Paternalismus sowie Heiratsregel.

Als Familienoberhaupt wird diejenige Person angesehen, die formal und oft auch tatsächlich die größte Entscheidungsmacht auf die Familienmitglieder und das Agieren der Familie hat. In patriarchalischen Sozialisationsformen ist dies meistens der älteste, aktive Mann. Von dieser Person wird oft paternalistische Fürsorge erwartet.[13]

Familienformen im Laufe der europäischen Geschichte

Provinzialrömische Familie. Antikes Tonmodel aus Köln.
Die biblische Heilige Familie

Im westlichen Kulturkreis wird heute unter „Familie“ meist die so genannte Kernfamilie verstanden, das heißt Eltern – auch Alleinerziehende – und deren Kinder. Die Kernfamilie erscheint in der Tat in den meisten modernen Gesellschaften als überwiegend vorkommendes Modell. Moderne Formen, wie Wohngemeinschaften oder das Zusammenleben zweier Elternteile mit je eigenen Kindern (ob verheiratet oder nicht) bleiben minoritär, wenn auch zunehmend. Gleichwohl können sie die historische Dynamik bezeichnen, und vieles, was diese neuen Familienformen prägt, mag auch in „normalen“ Ehen gültig geworden sein. Begrifflich darf die „Kernfamilie“ in diesem Sinn nicht mit der „Kleinfamilie“ verwechselt werden, die wenig Mitglieder umfasst; eine „Kernfamilie“ mit zwölf ehelichen Kindern ist keine „Kleinfamilie“.

Historisch betrachtet gibt es in Europa eine ganze Reihe von Familienformen. Gegenstand der Diskussion waren insbesondere das „Ganze Haus“ und die „Große Haushaltsfamilie“. Beide Formen der Großfamilie gibt es in erheblichen Variationen, sowohl, was die Zahl der Mitglieder, die einbezogenen Generationen oder Seitenlinien, als auch, was den Einbezug Nicht-Blutsverwandter (Mündel, Gesinde, Haussklaven, Hauspersonal, au pair) angeht. Auch die Interpretation von „Abstammung“ unterscheidet sich (vergleiche zum Beispiel die Institutionen der Adoption und Pflegekindern/-eltern).

In matriarchalischen Gesellschaften wurde die Familie von der Mutter geleitet, in patriarchalischen Familien vom Vater.

Als „Ganzes Haus“ wird nach Wilhelm Heinrich Riehl die seit dem Mittelalter vor allem in „Westeuropa“ entstandene Familienform der Bauern und Stadtbürger bezeichnet, die neben der Kernfamilie primär durch den Einbezug von Gesinde und unverheirateten Verwandten ausgezeichnet ist. Wenn auch von der Zahl der Haushalte her minoritär (grob um ein Drittel), lebten in ihnen doch zum Stichtag um 50 % der sesshaften Menschen. Und sehr viel mehr Menschen haben Zeiten ihres Lebens im „Ganzen Haus“ gelebt, das mit der Industrialisierung sehr stark zurücktrat. Umstritten ist die „ideologische“ Bedeutung dieser Lebensform: Einerseits gilt sie als harmonischer Hort unterschiedlicher sozialer Stände, als vorbildhaftes Modell patriarchaler Lebensform, andererseits wird seine soziale Kluft zwischen Herrschaft und Gesinde betont und die Bedeutung des „Ganzen Hauses“ gegenüber der Kernfamilie relativiert – die zahlenmäßig immer überwiegt, aber in einer mittelalterlichen oder frühneuzeitlichen Gesellschaft kaum mit der heutigen Kernfamilie gleichgesetzt werden kann. Erst ab dem 18. Jh. liegen Quellen vor, die Haushalte mit allen in ihr lebenden Mitgliedern verzeichnen (Kameralistik; Steuer- und Zensuslisten); zuvor weisen Quellen oft ausschließlich Großfamilien der Oberschichten aus. René König hat darauf verwiesen, dass die Geschichtsschreibung deswegen oft die frühere Bedeutung von Kleinfamilien vernachlässigt habe.

Die „Große Haushaltfamilie“ bezeichnet Lebensformen, bei denen mehrere Generationen und unter Umständen mehrere parallele Ehen (z. B. von Brüdern) inklusive Gesinde unter einem Dach in einem Lebens- und Wirtschaftsverband lebten. Sie kam eher in Südosteuropa vor (von anderen Welt-Regionen abgesehen – vergleiche etwa den nordfriesischen Haubarg). Diese historischen Beispiele weisen darauf hin, dass die Familienbildung durchaus verschieden (auch nebeneinander) stattfinden kann: Geburt, Adoption, Scheidung, Verwitwung, Wiederheirat, Pflegschaft.

Hinweise auf die tatsächlichen Zahlen-Verhältnisse in einer Bevölkerung liefern Volkszählung und Mikrozensus.

Wandel der Familienstruktur – Die bürgerliche Kleinfamilie (etwa 1850–1950)

Bulgarische Familie um 1912
US-amerikanische Kleinfamilie beim Fernsehen, etwa 1958

Mit dem Wachstum der Städte und der Entwicklung des Bürgertums und der Verbürgerlichung des Industrieproletariats in Europa seit der Mitte des 19. Jahrhunderts entstand auch eine stark normative Vorstellung der Familie als bürgerliche Kleinfamilie. Diese Vorstellung entwickelte sich bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, um dann folgendes Bild zu bieten:

  • verheiratetes Elternpaar, mit Entscheidung für Ehepartner aus Liebe (Liebesheirat)
  • eigene (leibliche) Kinder, mit Entscheidung für Kinder aus Liebe und kaum noch aus wirtschaftlichen Überlegungen
  • Haushaltsgemeinschaft aus einem verheirateten Paar und dessen in der Regel leiblichen, unmündigen Kindern
  • lebenslange, monogame, heterosexuelle Ehe
  • Traditionelle Rollenverteilung innerhalb der Geschlechter: der Vater war der Haupternährer, besaß höchste Autorität („Familienvorstand“); die Mutter hatte in ca. 70 % der Fälle einen Nebenerwerb und stand der Haushaltsorganisation vor (Schlüsselgewalt).
  • Wohn- und Arbeitsstätte waren räumlich getrennt

Heute kennt die Familiensoziologie mehrere charakteristische Formen. Die traditionelle Familie hat nach wie vor eine hohe Wertigkeit und entspricht dem Lebensplan der meisten junger Menschen. Empirisch ist der Wandel der Familienstrukturen an einer Schrumpfung der Haushaltsgröße (zahlreiche kinderlose oder Ein-Kind-Familien), einem Rückgang der Eheschließungen (nicht notwendig aber der Paarbindungen), der Zunahme der Scheidungen, einer Zunahme des Singledaseins, einem Rückgang der durchschnittlichen Geburten pro Frau, einer Zunahme der Frauenerwerbsarbeit, verkürzter Dauer partnerschaftlicher und familiärer Bindung, und oft in entsprechend mehreren Intervallen (serielle Monogamie) feststellbar.

Für den (tatsächlichen oder vermeintlichen) Trend zum freiwillig und bewusst gewählten Lebensentwurf der Partnerlosigkeit wurde das Schlagwort (Trend zur) Singlegesellschaft geprägt. Die Realität eines solchen Trends wird jedoch in Frage gestellt.

Pluralisierung der Lebensformen (spätes 20. Jahrhundert)

Regenbogenfamilie
Deutsche Briefmarke von 1994 zum Internationalen Jahr der Familie

Durch die demographische Entwicklung und den Wandel der Lebensformen seit den 1960er Jahren hat die moderne Kleinfamilie ihre Stellung eingebüßt und befindet sich in Konkurrenz mit zahlreichen anderen alternativen Lebensformen. Man spricht daher von einer Pluralisierung der Lebensformen. Indikatoren hierfür sind die sinkende Geburtenzahl, der Rückgang der Eheschließungen und das Ansteigen der Scheidungen.

Dieser Wandel der Haushalts- und Familienstrukturen zeigt sich vor allem in der Anzahl der Alleinerziehenden und der kinderlosen Ehepaare sowie der nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften. Durch die hohe Scheidungsrate entstehen auch immer mehr Stieffamilien (im deutschen Sprachraum auch „Patchwork-Familien“ genannt), in denen Kinder unterschiedlicher Herkunft leben. Als Ursache für diesen Prozess wird der seit den 1970er Jahren beschleunigte Wertewandel gesehen.

Die Bundesbürger nennen im wesentlichen drei Gründe, die gegen eine Familiengründung sprechen:[14]

  • der Wunsch, lieber frei und unabhängig zu bleiben (62 %)
  • das Gefühl sich Kinder und den eigenen Lebensstandard mit Kindern nicht leisten zu können (61 %) sowie
  • die eigene berufliche Karriere dann vernachlässigen zu müssen (59 %).

Neben der „Normalfamilie“ haben sich verschiedene alternative Lebensformen herausgebildet:

Manchmal wohnen Kinder nicht im Haushalt der Eltern, sondern in Pflegefamilien, bei ihren Großeltern, in einem Kinderheim oder anderswo. Gründe dafür können Krankheit, Tod oder Drogensucht eines Elternteils sein. Im Fall sehr junger Mütter sind Mehrgenerationenhaushalte häufig.

Im Alter bleiben die Familienformen zunächst bestehen. Durch den durchschnittlich früheren Todeseintritt bei Männern kommt es allerdings zu alterstypischen Veränderungen der Familienformen:

  • Ehe/Lebensgemeinschaft – Erwachsene Kinder leben separat
  • Einpersonenhaushalt einer Witwe
  • seltener: Einpersonenhaushalt Witwer
  • Zwei- oder Mehrgenerationenhaushalt mit Witwe/Witwer (in der Regel zieht dabei die verwitwete Person in den Haushalt eines der Kinder)
  • funktionelle „Großfamilie“ – eine der Altenheimformen
  • funktionelle „kleine Familie“ – eine Form der Hausgemeinschaft überwiegend Älterer (nicht verwandt)

Der voranschreitenden Individualisierungsprozess und den stattfindenden sozial-strukturellen Differenzierungsprozess in der Gesellschaft erleichtert es dem Einzelnen, für die eigene Lebensgestaltung aus einer großen Zahl an Auswahl- und Entscheidungsmöglichkeiten auszuwählen. Hinzu kommt der soziale Wertewandel, durch den traditionelle Pflicht- und Akzeptanzwerte immer mehr an Bedeutung verlieren, während Selbstentfaltungswerte und die Planung eines individuellen Lebensentwurfes immer höher eingestuft werden. Dies trifft besonders auf die Institution der Ehe zu. Denn diese hat für die Erfüllung bestimmter Bedürfnisse (z. B. Sexualität) und als materielle Versorgungsinstanz (für die Frau) an Bedeutung verloren. Auch in Ehen und allgemeiner in Kernfamilien mit zwei Erwachsenen findet eine Pluralisierung der familialen Erwerbsarrangements statt: das vor allem in Westdeutschland vorherrschende Leitbild Ernährermodell wird zunehmend durch das Zuverdienermodell oder auch das Doppelversorgermodell (etwa Doppelkarrierepaare) abgelöst. Aus dem traditionellen Dasein für andere (Familie, Elternschaft), wurde immer stärker die Gestaltung eines selbst bestimmten Leben. Verantwortlich für diesen Wandel der Familienstrukturen sind unter anderem:

  • Angleichung der Bildungschancen von Mann und Frau – viele Frauen entscheiden sich für den Beruf und gegen die Elternschaft und damit gegen die Gründung einer Familie, auch angesichts von Zweifeln an der Vereinbarkeit dieser Lebensbereiche.
  • Insgesamt entscheiden sich mehr Männer als Frauen gegen die Gründung einer Familie. Als Gründe wird Vorrang von privaten Interessen und Freiheiten angegeben sowie die Angst der Aufgabe als Haupternährer der Familie nicht gewachsen zu sein.
  • zunehmendes Lebensalter
  • Technisierung der Haushalte
  • Die Reform des Familienrechts (insbesondere des Scheidungsrechts 1976) brachte neben der Vereinfachung der Scheidung eine Verlagerung der Unterhaltsverpflichtung von der Fürsorge des Staates auf den besser verdienenden ehemaligen Ehepartner.
  • einfachere Geburtenkontrolle – auch durch bessere Verhütungsmethoden
  • Bedeutungslosigkeit der Anzahl der Kinder für die individuelle Altersvorsorge
  • Der Bewusstseinswandel und die Kritik an der „Normalfamilie“ durch die 68er-Generation und den Feminismus (veränderte Rollenbilder)
  • Freiwilliger Verzicht zugunsten der ins Zentrum gewählten emotionalen Partnerschaft
  • Wandel der Erwerbsarbeit und damit verbunden größere finanzielle Unsicherheit
  • Einbettung der Familien in verwandtschaftliche und gesellschaftliche Generationenbeziehungen

Familienbezogene Wissenschaften

Wegen ihrer Funktionenvielfalt befassen sich zahlreiche Wissenschaften mit der Familie. Als Familienwissenschaften zu nennen wären (alphabetisch):

Erinnert sei auch an familienbezogene Berufsspezifikationen, wie etwa in der Sozialarbeit, Altenpflege u. dergl.

Literatur

Einführend

Darstellungen und Spezialuntersuchungen

  • André Burguière, Christiane Klapisch-Zuber, Martine Segalen, Françoise Zonabend (Hrsg.): Geschichte der Familie. 4 Bände. Campus, Frankfurt u. a. 1996–1998, ISBN 3-593-35557-4 (Original: Histoire de la famille. Paris 1986).
  • Birgit Kohlhase: Familie macht Sinn. Urachhaus, Stuttgart 2004, ISBN 3-8251-7478-6.
  • Christian von Zimmermann, Nina von Zimmermann (Hrsg.): Familiengeschichten. Biographie und familiärer Kontext seit dem 18. Jahrhundert. Campus, Frankfurt/New York 2008, ISBN 978-3-593-38773-4.

Kritische Aspekte

Fotos

  • Uwe Ommer: Transit. In 1424 Tagen um die Welt. Taschen, Köln 2006, ISBN 3-8228-4653-8 („Familienalbum der Erde“: 1000 Familien weltweit).

Siehe auch

Weblinks

Commons: Familie – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikiquote: Familie – Zitate
Wiktionary: Familie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wikibooks: Umgangsformen: Familie – Lern- und Lehrmaterialien

Einzelnachweise

  1. Duden (2014): Das Herkunftswörterbuch. Etymolobie der deutschen Sprache. 5. neu bearbeitete Auflage. Berlin, S. 271.
  2. Andreas Gestrich: Antike, In: A. Gestrich, J.-U. Krause, M. Mitterauer: Geschichte der Familie, Stuttgart 2003, S. 95ff..
  3. Andreas Gestrich: Neuzeit, In: A. Gestrich, J.-U. Krause, M. Mitterauer: Geschichte der Familie, Stuttgart 2003, S. 367.
  4. Andreas Gestrich: Neuzeit, In: A. Gestrich, J.-U. Krause, M. Mitterauer: Geschichte der Familie, Stuttgart 2003, S. 367.
  5. Berndhard Linke: Von der Verwandtschaft zum Staat: die Entstehung politischer Organisationsformen in der frührömischen Geschichte. Stuttgart 1995, 82f.
  6. Andreas Gestrich: Neuzeit, In: A. Gestrich, J.-U. Krause, M. Mitterauer: Geschichte der Familie, Stuttgart 2003, S. 367.
  7. Andreas Gestrich: Antike, In: A. Gestrich, J.-U. Krause, M. Mitterauer: Geschichte der Familie, Stuttgart 2003, S. 95ff..
  8. Marcel Mauss: Soziologie und Antropologie. Bd 2: Gabentausch - Todesvorstellung - Körpertechniken. Wiesbaden 2010. S. 98.
  9. Michael Mitterauer: Mittelalter, In: A. Gestrich, J.-U. Krause, M. Mitterauer: Geschichte der Familie, Stuttgart 2003, S. 270ff.
  10. Andreas Gestrich: Neuzeit, In: A. Gestrich, J.-U. Krause, M. Mitterauer: Geschichte der Familie, Stuttgart 2003, S. 367.
  11. Rosemarie Nave-Herz: Eine sozialhistorische Betrachtung der Entstehung und Verbreitung des Bürgerlichen Familienideals in Deutschland, in: Dorothea Christa Krüger ; Holger Herma ; Anja Schierbaum (Hrsg.): Familie(n) heute. Entwicklungen, Kontroversen, Prognosen. Weinheim 2013, S. 18-35.
  12. Jürgen Liminski: Die Bildung von Humanvermögen als Kern jedes Reformansatzes. (PDF) In: Wachstum ohne Nachwuchs? Leitbilder und politische Konsequenzen. Seminar, Mainz. , abgerufen am 31. Mai 2008.
  13. D. Geffken: Kulturelle Heterogenität als Aspekt der Zusammenarbeit mit Eltern: Die Rolle des Vaters im Wandel der Zeit. Einblicke in die Elternzeit, familiäre und berufliche Konflikte, Grin Verlag 2011, S. 2.
  14. Stiftung für Zukunftsfragen – eine Initiative von British American Tobacco: Zeitnot und Angst: Warum viele Deutsche keine Familie gründen wollen, Forschung Aktuell, 255, 35. Jg., 15. Mai 2014.