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Frühsommer-Meningoenzephalitis

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Klassifikation nach ICD-10
A84 Virusenzephalitis, durch Zecken übertragen
A84.1 Mitteleuropäische Enzephalitis, durch Zecken übertragen
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME; englisch tick-borne encephalitis, TBE) ist eine durch das FSME-Virus ausgelöste Erkrankung, die mit grippeähnlichen Symptomen, Fieber und bei einem Teil der Patienten mit einer Meningoenzephalitis, der Entzündung von Gehirn und Hirnhäuten, verläuft. Beim Großteil der Patienten treten bei einer Infektion jedoch keine Krankheitsanzeichen auf.

Übertragen wird die Krankheit durch den Biss einer infizierten Zecke, hauptsächlich durch den Gemeinen Holzbock (Ixodes ricinus), oder durch den Konsum von Rohmilch von infizierten Tieren.[1][2] Eine ursächliche Behandlung der FSME ist nicht möglich. Neben allgemeinen Schutzmaßnahmen wie dem Absuchen des Körpers nach einem Waldbesuch kommt die aktive Impfung als vorbeugende Maßnahme in Frage. National etwas unterschiedlich wird sie von verschiedenen Behörden für alle Personen empfohlen, die sich in „Risiko“- oder Endemiegebieten aufhalten. Der Nachweis einer Infektion eines Menschen mit dem FSME-Erreger ist in Deutschland (seitens des Labors),[3] Österreich[4] und der Schweiz[5] meldepflichtig.

Erreger und Übertragung

Der Verursacher der Frühsommer-Meningoenzephalitis ist das FSME-Virus, ein humanpathogenes Virus aus der Familie der Flaviviridae und Gattung Flavivirus.[6] Dieses Virus ist ein behülltes Einzelstrang-RNA-Virus [ss(+)RNA], von dem derzeit drei Subtypen (Western, Siberian, Far Eastern Subtype) bekannt sind.

Zecke

Der in Europa vorkommende Western Subtype des FSME-Virus wird durch den Stich einer infizierten Zecke übertragen. Die Hauptkrankheitsüberträger in Mitteleuropa sind die Arten der Gattung Ixodes mit der häufigsten einheimischen Art, dem Gemeinen Holzbock (Ixodes ricinus), sowie Ixodes persulcatus, seltener auch die Gattungen Rhipicephalus, Dermacentor, Haemaphysalis, Amblyomma und aus der Familie der Lederzecken die Gattungen Argas und Ornithodorus.

Das FSME-Virus wird beim Einstich aus der Speicheldrüse der Zecke übertragen. Im Gebüsch, an Waldrändern oder in hohem Gras auf Wiesen besteht das größte Risiko eines Zeckenstiches, weil dort Kleinsäugetiere (Mäuse), Vögel und Wild als Hauptwirte (primäres Erregerreservoir) der Zecken leben. In Höhen oberhalb von 1000 Metern kommen keine Zecken vor. In Risikogebieten liegt der Anteil der FSME-infizierten Zecken bei etwa 0,1 % bis 5 %.[7]

Die Übertragung durch virusinfizierte Milchprodukte („biphasisches Milchfieber“) tritt in Deutschland, Österreich und der Schweiz selten auf,[8] da diese nur durch Rohmilch von Ziegen, Schafen oder Kühen möglich ist.[9] In baltischen Ländern wird eine höhere Prävalenz von Antikörpern gegen das FSME-Virus mit dem häufigen Genuss von Ziegenmilch in Verbindung gebracht.[10] Eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist nicht möglich. Das Virus wird durch Pasteurisierung der Milch zuverlässig inaktiviert.

Zecken können auch Borreliose übertragen. Die Borreliose wird durch Bakterien (Borrelien) verursacht und ist wesentlich häufiger als die FSME (pro 100.000 Einwohnern werden in Bundesländern mit Meldepflicht zwischen 20 und 90 Borreliosefälle pro Jahr gemeldet,[11] bei FSME beträgt diese Zahl nur 1,3, s.u.[12]). Gegen Borreliose existiert bisher keine Impfung, allerdings kann die Infektion im Gegensatz zur FSME mit Antibiotika behandelt werden. Während die FSME in Deutschland nur in bestimmten Risikogebieten auftritt, ist bei der Borreliose von einer Infektionsgefährdung in allen Landesteilen auszugehen.

Häufigkeit

In Deutschland ist die Frühsommer-Meningoenzephalitis seit 2001 nach § 7 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz durch den Leiter des diagnostizierenden Labors meldepflichtig. Im Jahr 2004 wurden insgesamt 274, im Jahr 2005 432 und 2006 546 Fälle gemeldet, die den Falldefinitionen des Robert-Koch-Institutes (RKI) entsprachen. Im Jahr 2007 war entgegen den Prognosen des RKI mit 238 Fällen ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen, 2012 wurden 195 Fälle gemeldet, 2013 dagegen 420, 2014 waren es 260 und 2015 wurden 223 Fälle verzeichnet. Als „Fall“ wird hierbei bezeichnet, wenn bei einer Person, die:

  1. grippeähnliche Beschwerden oder Symptome des zentralen Nervensystems hat,
  2. ein labordiagnostischer Nachweis (Serologie oder PCR) einer zugrundeliegenden FSME gelingt.[13][14]

In der Schweiz erkranken pro Jahr etwa 100 Personen an FSME, wobei 2005 (204 Fälle) und 2006 (249 Fälle) ein starker Anstieg zu verzeichnen war. In der Folge lag die Zahl bis 2013 bei 100 bis 170 Fälle pro Jahr.[15]

In Österreich gab es in den vergangenen Jahren, mit der Ausnahme 2011 mit 113 Infizierten, jährlich unter hundert Infektionen, 2012 sank die Zahl auf 52. 2013 war ein Anstieg auf 99 Fälle zu verzeichnen, 2014 wurden 80 Fälle und 2015 64 Fälle registriert.[16][17]

Aufgrund der grippeähnlichen, oft unspezifischen Symptomatik ist eine hohe Dunkelziffer von Erkrankungen möglich (die dann aber harmlos verlaufen).

Risikogebiete

Verbreitungsgebiet der durch Zecken übertragenen FSME
FSME-Risikogebiete in Deutschland nach der Statistik des Robert-Koch-Instituts (Stand: 20. April 2012, 2843 Fälle in den Jahren 2002 bis 2011)[18]

In Deutschland galten bis 2006 Land- oder Stadtkreise als FSME-Risikogebiete, in denen im Zeitraum von einem Jahr mindestens zwei oder innerhalb einer 5-Jahre-Periode mindestens fünf Erkrankungen festgestellt wurden. Dabei musste die Ansteckung im selben Gebiet erfolgt sein. Als Hochrisikogebiete galten bis 2006 diejenigen Risikogebiete, in denen innerhalb von fünf Jahren mindestens 25 Krankheitsfälle auftraten. Dies waren der Schwarzwald in Südbaden, der südhessische Odenwald, die Bergstraße sowie die Region um Passau.[19] Seit 2007 wird ein (Land-)Kreis in Deutschland als Risikogebiet definiert, wenn die Anzahl der übermittelten FSME-Erkrankungen zuvor in fünf aufeinanderfolgenden Jahren im Kreis oder in der Kreisregion (bestehend aus dem betreffenden Kreis sowie allen angrenzenden Kreisen) signifikant höher liegt als die bei einer Fünfjahresinzidenz von einer Erkrankung pro 100.000 Einwohner erwartete Fallzahl (die deutschlandweite Inzidenz für FSME liegt bei 1,3 Erkrankten pro 100.000 Einwohnern jährlich).[18] Insgesamt wurden durch diese Neudefinitionen 33 neue Kreise in Deutschland zu FSME-Risikogebieten erklärt, eine Zunahme um 34 % (siehe Karten unter Weblinks), darüber hinaus entfiel trotz großer Streuung der Inzidenzen (bis über 30 pro 100.000 Einwohner[20]) die Differenzierung in Risiko- und Hochrisikogebiete. Der Zuwachs an neuen Stadt- und Landkreisen kam nicht dadurch zustande, dass dort vermehrt FSME-Infektionen auftraten, sondern alleine dadurch, dass diese Landkreise von solchen umgeben sind, die ihrerseits Risikogebiete sind: in insgesamt 80 Kreisen wurde eine Fünfjahresinzidenz berechnet, die signifikant höher lag als eine Erkrankung pro 100.000 Einwohner, in weiteren 51 Kreisen lag sie darunter.[21] Die durch diese Ausweitung erhöhte Nachfrage nach Impfstoff führte – und führt auch heute noch – immer wieder zu Lieferengpässen.

Eine reguläre FSME-Impfung empfiehlt die Ständige Impfkommission nur für die Landkreise der vom Robert-Koch-Institut (RKI) herausgegebenen FSME-Karte. Das RKI[18] kritisiert Karten anderer Urheber, die zum Teil die Risikogebiete noch weiter fassen.

In der Schweiz und in Liechtenstein finden sich Risikogebiete vor allem in den nordöstlichen Landesteilen, am häufigsten im Kanton Zürich, gefolgt von Thurgau, St. Gallen, Aargau, Bern und Zug, aber auch in den Kantonen Schaffhausen, Graubünden, Luzern, Solothurn, Baselland, Nidwalden, Obwalden, Uri, Freiburg und Waadt.[22] Oberhalb 1500 m ü. M. kommen Zecken nicht mehr vor und oberhalb von 1000 m ü. M. sind in der Schweiz keine FSME-Gebiete bekannt. Beides wird sich aber möglicherweise mit der zu erwartenden Klimaerwärmung ändern.[23]

Österreich gilt als ein Kernland der FSME-Virusverbreitung in Europa. Das gesamte Bundesgebiet ist Zecken-Endemiegebiet, wobei aber aus Höhenlagen über 1000 Meter keine Fälle von FSME durch Zeckenstiche bekannt sind.[24] Die meisten Erkrankungen gab es 2005 in der Steiermark, Oberösterreich und Tirol, jedoch gab es in allen Bundesländern FSME-Fälle.[25] Die Hochrisikogebiete befinden sich entlang der Donau in Wien, in der Wachau, im Gebiet von St. Pölten sowie zwischen Passau und Linz. Auch große Teile des Burgenlandes, Kärntens und der Steiermark sowie das Tiroler Inntal sind Gebiete mit hohem Risiko, dazwischen finden sich weitere Risikogebiete. Als Besonderheit erkranken in Österreich trotz der weiten Verbreitung verhältnismäßig wenig Personen an FSME, was an der hohen Impfrate von rund 90 % liegt.[26]

Tabelle der FSME-Fälle in Österreich
Jahre Altersgruppe
1 – 20 Jahre
Altersgruppe
21 – 50 Jahre
Altersgruppe
> 50 Jahre
Gesamt
1971–1981 779 1077 522 2378
1986–1994 158 607 523 1288
1994–2002 043 278 466 0787

Auffällig ist der starke Rückgang der Gesamtzahlen, der aber in der Altersgruppe ab 50 Jahren kaum nachweisbar ist. Seit 1981 gibt es die FSME-Schutzimpfung in Österreich. Der Rückgang der Erkrankungszahlen ist auf die hohe Durchimpfungsrate zurückzuführen, so sind 90 % der Steirer gegen FSME geimpft.[27]

In anderen europäischen Ländern ist die Situation sehr unterschiedlich. Besonders ausgeprägt ist das Risiko in Russland, Tschechien und europaweit am höchsten in den baltischen Staaten Litauen, Estland und Lettland. Eine nicht unerhebliche Bedeutung besitzt die FSME neben Deutschland, Österreich und der Schweiz vor allem in Polen, Ungarn, Slowenien, Kroatien, Schweden, Finnland und der Slowakei. Nur selten wird ein Vorkommen in Frankreich, Italien, Dänemark und Griechenland beobachtet, überhaupt keines im Vereinigten Königreich, den Benelux-Ländern und auf der iberischen Halbinsel.[26]

Symptome und Krankheitsverlauf

Nur etwa 10–30 % der Infizierten zeigen Symptome, bei den restlichen verläuft die Krankheit asymptomatisch. Zwei bis zwanzig Tage nach der Infektion treten grippeähnliche Symptome mit Fieber und Kopf- und Gliederschmerzen auf, die sich nach wenigen Tagen wieder zurückbilden.

Bei 70 % der symptomatischen Patienten kommt es nach etwa einer Woche zur Entfieberung und wenige Tage später zu einem zweiten Fiebergipfel[28] mit bis zu 40 °C Körpertemperatur. Auch Zeichen der Gehirn- und Hirnhautbeteiligung treten in diesem Stadium auf: Kopfschmerzen, Erbrechen sowie Hirnhautzeichen (meningeale Reizzeichen). Die Symptome können mehrere Monate anhalten, es kann selbst nach schweren Verläufen zur völligen Ausheilung kommen.[29] In dieser zweiten Krankheitsphase kommt es bei ca. 50 % zu einer Meningitis. Bei 40 % der Patienten kommt es zu einer Meningoenzephalitis mit schweren Bewusstseinsstörungen und Lähmungen bis hin zur Atemlähmung. Bei 10 % der Fälle kommt es zu einer Myelitis mit schlaffen Arm- und Beinparesen, oft zusammen mit einer Hirnstammenzephalitis, oft innerhalb von Stunden, mit Befall der motorischen Hirnnervenkerne und der Vorderhörner im Rückenmark. Diese schweren Formen heilen selten und meist nur unvollständig aus. Kinder und Jugendliche haben insgesamt eine bessere Prognose als Erwachsene.[30]

Diagnostik

Ein erinnerlicher Zeckenstich in der Krankheitsgeschichte und die neurologische Untersuchung geben Hinweise auf eine Erkrankung. Wird eine Lumbalpunktion durchgeführt, zeigen sich eine Zellvermehrung (Pleozytose) und eine Eiweißerhöhung in der Hirnflüssigkeit (Liquor cerebrospinalis) ab dem zweiten Fiebergipfel.

Beweisend für eine FSME ist der Nachweis von IgM- und IgG-Antikörpern gegen das Virus in Serum oder Liquor mittels eines ELISA-Testes. Auch dieser Nachweis ist erst mit Beginn der zweiten Fieberphase möglich. Zu beachten ist, dass eine FSME-Impfung zu positiven Antikörpertitern führt. Spezialverfahren zum direkten Virusnachweis sind die RT-PCR sowie der Western Blot.[7]

Die weltweit umfangreichste Virusstammsammlung besitzt das Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr. Bei der Rickettsien-Forschung gehört sein Labor zu den weltweit führenden. Großen Anteil hat der Leiter der Abteilung „Virologie und Rickettsiologie“, Oberfeldarzt Gerhard Dobler. Mit einem Sonderprogramm will er mögliche Gesundheitsgefahren durch afrikanische Zecken erforschen – im Dienste der Wissenschaft und zum Schutz deutscher Soldaten auf dem afrikanischen Kontinent.[31]

Behandlung und Prognose

Es bestehen keine Möglichkeiten der ursächlichen (kausalen) Therapie, spezifische antivirale Medikamente existieren nicht. Ist die Krankheit einmal ausgebrochen, ist nur eine symptomatische, auf die Linderung einzelner Symptome konzentrierte Therapie möglich. Das therapeutische Spektrum umfasst Bettruhe und Schmerzmittel (Analgetika). Vom vermeidbaren Einsatz von fiebersenkenden Mitteln (Antipyretika) sowie Glukokortikoiden wird abgeraten. In schweren Fällen ist eine intensivmedizinische Behandlung mit parenteraler Ernährung und Flüssigkeitsersatz, eventuell auch Intubation und kontrollierter Beatmung notwendig.[29]

Im Rahmen einer Rehabilitation nach der akuten Phase der Erkrankung kommen Methoden wie die Physiotherapie, Logopädie und neurophysiologisches Training zum Einsatz.

Die Prognose der schweren Verläufe ist ungünstig, bei Kindern und Jugendlichen besser als bei Erwachsenen. Bei fast 60 % der über 15-jährigen zeigen sich nach einem schwerwiegenden Verlauf langwierige, teils dauerhafte Funktionsstörungen. Es kann zu einem monatelangen neurasthenischen Syndrom mit emotionaler Instabilität und Stressintoleranz kommen. Nach einer Studie erholten sich nur 20 % der Patienten vollständig, über 50 % behielten neurologische Funktionsstörungen und 30 % starben im Zeitraum bis zu zehn Jahren an den Folgen der FSME.[30] Nach einer überstandenen Infektion besteht eine lebenslange Immunität, auch gegen die anderen Typen des FSME-Virus.

Vorbeugung

Allgemeine vorbeugende Schutzmaßnahmen (Expositionsprophylaxe) sind die Grundlage der Vorbeugung. Im Gegensatz zur Borreliose kann eine Frühsommer-Meningoenzephalitis durch eine aktive Impfung („Zeckenimpfung“) häufig verhindert werden. Der Wirkstoff für eine passive Impfung nach einem Zeckenstich (postexpositionelle Immunprophylaxe) wird in Deutschland nicht mehr vertrieben.[7]

Allgemeine vorbeugende Maßnahmen

Körper und Kleider sollten nach Besuch von Wald und Flur abgesucht werden. Gefundene Zecken sollten sorgfältig entfernt und verwahrt, die Stelle des Stichs desinfiziert und der Zeitpunkt sowie Befallsort notiert werden.

Impfung

Der FSME-Impfstoff enthält für eine aktive Immunisierung inaktivierte, nicht vermehrungsfähige FSME-Viren sowie als Hilfsmittel (Adjuvans) Aluminiumhydroxid, das die Wirksamkeit des Impfstoffs verstärkt. Der Impfstoff wird intramuskulär gespritzt. Es gibt mehrere Impfstoffhersteller, die unterschiedliche Dosierungen ihrer Produkte für Erwachsene und Kinder anbieten. Der Impfstoff gegen FSME ist sehr effektiv. Basierend auf Angaben zur Durchimpfung und zur Häufigkeit von Erkrankungen bei geimpften Personen wurde bei einer Untersuchung in Österreich die Wirksamkeit nach dreimaliger Gabe auf 96–99 % geschätzt. Das Erkrankungsrisiko wird von etwa 1:18.000 bei Nicht-Geimpften auf 1:840.000 reduziert. In Österreich erkrankten von 1995 bis 2004 insgesamt nur zwei Geimpfte mit eindeutigen Erkrankungszeichen.[32]

Die Meinungen zur Verträglichkeit der Impfstoffe sind geteilt. 2004–2005 betrafen fast 10 % aller in Deutschland an das Paul-Ehrlich-Institut gemeldeten Verdachtsfälle auf Impfkomplikationen FSME-Impfstoffe (insgesamt 224 Verdachtsfälle).[33] Als Nebenwirkung treten lokale Hautreaktionen bei bis zu einem Drittel der Geimpften auf. Fieber als systemische Nebenwirkung der zugelassenen Impfstoffe ist bei Erwachsenen selten (< 1 %), kommt bei Kindern jedoch etwas häufiger (6–24 %) vor, jedoch fast ausschließlich in milder Form (unter 40 °C Körpertemperatur). Weitere Nebenwirkungen können Kopfschmerzen, Müdigkeit, Übelkeit, Sehstörungen, Schüttelfrost, Nesselsucht, Nervenentzündungen, entzündliche Reaktionen des Gehirns sowie Muskel- und Gelenkschmerzen sein (10–20 % der Geimpften). Allergische Reaktionen traten hingegen nur nach 1–2 von 1.000.000 Impfungen auf.[34]

Die Impfung wird oft fälschlich als „Zeckenschutzimpfung“ bezeichnet. Da die Impfung aber nur vor FSME schützt, nicht jedoch vor anderen durch Zecken übertragbare Krankheiten, ist diese Bezeichnung irreführend. Auch nach einer FSME-Impfung sind weitere präventive Maßnahmen notwendig, mit denen die Wahrscheinlichkeit der Übertragung anderer durch Zecken übertragbarer Erkrankungen – z. B. der weitaus häufiger als die FSME auftretenden Lyme-Borreliose – reduziert werden kann. Dies sind das Tragen von heller, geschlossener Kleidung, die Anwendung von Repellents, das Vermeiden von unwegsamem Gelände und Unterholz, das zeitnahe Absuchen des Körpers nach Zecken und deren sofortige Entfernung. Das Fernsehmagazin Report Mainz sendete am 4. Mai 2009 eine TV-Reportage, in der die Werbemethoden von impfstoffproduzierenden Pharmafirmen und die teils mangelhafte Aufklärung durch impfende Ärzte thematisiert wurden.[35]

Durchführung

Für einen langjährigen Schutz ist eine Grundimmunisierung notwendig, die aus drei Impfungen besteht. Nach der ersten Impfung wird vier Wochen darauf erneut geimpft (ab hier ist die Impfung wirksam), abgeschlossen wird mit einer dritten Impfung neun bis zwölf Monate nach der zweiten Impfung.

Eine Auffrischungsimpfung wird nach drei bis fünf Jahren empfohlen. In Österreich wird die erste Auffrischungsimpfung nach drei Jahren durchgeführt, die weiteren erfolgen jeweils im Abstand von fünf Jahren. Verschiedene neuere Publikationen mit Bestimmung der Antikörpertiter zeigen jedoch, dass vermutlich ein wesentlich längerer Impfschutz vorhanden ist.[36][37] Zum Beispiel empfiehlt das Schweizerische Bundesamt für Gesundheit eine Auffrischungsimpfung nur noch alle zehn Jahre.[34]

Bei kurzfristigem Bedarf können die Impfungen in einem Schnellschema verabreicht werden. Dabei werden drei Dosen innerhalb von drei Wochen gegeben (zweite und dritte Dosis am 7. und am 21. Tag). Für einen langfristigen Schutz ist dann eine einmalige Wiederholungsimpfung nach einem Jahr notwendig.

Eine Impfung nach erfolgtem Zeckenstich kann Ungeimpfte nicht mehr vor einer FSME-Infektion durch die gerade entfernte Zecke schützen. Um die Diagnose einer FSME nicht zu verzögern, soll eine Grundimmunisierung frühestens vier Wochen nach dem Stich erfolgen. Eine passive Immunisierung durch Gabe von Antikörpern gegen FSME wird nicht mehr empfohlen.

Impfempfehlungen

Deutschland: Nach den Impfempfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO)[38] am Robert-Koch-Institut besteht eine Indikation zur aktiven Impfung für Personen, „die in FSME-Risikogebieten Zecken exponiert sind, oder Personen, die durch FSME beruflich gefährdet sind (exponiertes Laborpersonal sowie in Risikogebieten z. B. Forstarbeiter und Exponierte in der Landwirtschaft)“. Dabei ist zu beachten, dass die Zeckensaison sich auf die Monate April bis November begrenzt.

Bei Kindern im Vorschulalter sollte aufgrund der milde verlaufenden Krankheit (bei unter sechsjährigen Kindern treten nur zu 2 % Defektheilungen und diese ausschließlich bei Kindern, die mit Dexamethason oder einer passiven Immunisierung nach Zeckenstich behandelt wurden, auf) und den deutlich erhöhten Impfnebenwirkungsraten in diesem Alter (siehe unten verlinkte Fachinformationen der Impfstoffe) die Impfung zurückhaltender erfolgen. Bei einer Erhebung des Paul-Ehrlich-Institutes (PEI) konnte im Zeitraum 1997/98 kein Fall einer schwer verlaufenden FSME-Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen bis 16 Jahren eruiert werden.[39]

Schweiz: Die Eidgenössische Kommission für Impffragen der Schweiz empfiehlt Impfungen für alle Personen in Endemiegebieten, allerdings erst ab einem Alter von sechs Jahren.[34]

Österreich: Der oberste Sanitätsrat, ein beratendes Gremium des Bundesministeriums für Gesundheit, empfiehlt im Impfplan 2014 FSME-Schutzimpfungen für Kinder ab dem zweiten Lebensjahr.[40]

Gegenanzeigen zur Impfung stellen allgemeine Impfhindernisse wie fieberhafte Erkrankungen (über 38 °C), Allergien gegen Impfbestandteile sowie bevorstehende große körperliche Anstrengungen dar. Chronische Erkrankungen sind hingegen kein Impfhindernis; im Gegenteil profitiert dieser Personenkreis besonders von Schutzimpfungen. Auch banale Infekte mit leichtem Fieber (bis 38 °C) stellen kein Impfhindernis dar. Während einer Schwangerschaft ist eine sorgfältige Abwägung der Risiken und Vorteile vorzunehmen. Erfahrungen zur Impfung von schwangeren Frauen liegen nicht vor.

Impfstoffherstellung

Die Herstellung des FSME-Impfstoffes erfolgt auf sogenannten CEC (chick embryo cells)-Zellen. Dabei handelt es sich um eine primäre Zelllinie, die von embryonierten Hühnereiern ausgehend hergestellt wird. Hierzu werden die zehn bis zwölf Tage alten Eier geöffnet, der Embryo entnommen, zerkleinert und einer Trypsin-Behandlung unterworfen. In kleinen Fermentern werden die CEC-Zellen mit dem FSME-Virus inokuliert. Nach Vermehrung des Virus sterben die CEC-Zellen ab, der Überstand wird geerntet, es erfolgt eine Inaktivierung des Virus mit Formaldehyd. Anschließend wird eine Antigen-Reinigung mittels einer Fällungsstufe, Ultrafiltration und einem kontinuierlichen Saccharose-Gradienten durchgeführt.

Entwicklungsgeschichte

Nach der Erstbeschreibung der Erkrankung 1931[41] und der Isolierung des FSME-Virus 1956 durch die beiden Österreicher Hans Moritsch und Josef Krausler[42] gelang es 1973 Christian Kunz vom Institut für Virologie der Universität Wien, den Impfstoff FSME-Immun herzustellen.[43] Die industrielle Produktion begann 1976 das Unternehmen Immuno in Orth an der Donau, mit dem von nun an geimpft wurde, anfangs nur Forstarbeiter. Ende der 1990er Jahre übernahm Baxter International, ein US-amerikanischer Pharmakonzern, die Firma Immuno.[44] Baxter brachte seinen eigenen Impfstoff namens TicoVac mit, doch fiel dieser durch häufige Nebenwirkungen (Fieber und Fieberkrämpfe bei Kindern) auf und wurde daher 2001 vom Markt genommen, woraufhin für kurze Zeit keine Impfung zur Verfügung stand. Seit 2002 sind verbesserte FSME-Impfstoffe von Baxter (FSME-Immun) und Novartis (Encepur) jeweils in einer Kinder- und Erwachsenenformulierung erhältlich.

FSME bei Tieren

Rot- und Rehwild zeigen in Endemiegebieten hohe Antikörpertiter (Maß der Konzentration von Antikörpern), erkranken aber nicht klinisch. Bei Haushunden sind Einzelfälle mit Fieber, Bewusstseinstrübung, Lähmungen und Ausfällen der Hirnnerven beschrieben, insgesamt scheinen sie aber wenig empfänglich, und selbst experimentelle Infektionen an Welpen führten zu keiner klinischen Symptomatik.[45]

Namensherkunft

Die Bezeichnung Frühsommer kommt von der russischen Taigazecke, die nur im Frühjahr und Frühsommer aktiv ist. In Mitteleuropa sind Zecken ganzjährig (außer in kalten Wintern) aktiv.[46]

Literatur

  • Peter Kimmig, Dieter Hassler, Rüdiger Braun: Zecken. Trias, 2001, ISBN 3-431-04018-7.
  • Patrick Oschmann, Peter Kraiczy: Lyme-Borreliose und Frühsommer-Meningoenzephalitis. UNI-MED, Bremen 1998, ISBN 3-89599-408-1.
  • Hans-Peter Wirtz: Zecken als Krankheitsüberträger: Was tun bei einem Stich? In: Biologie in unserer Zeit. 31(4), 2001, ISSN 0045-205X, S. 229–238.
  • Jochen Süss: Zecken – Was man über FSME und Borreliose wissen muss. Irisiana-Hugendubel, 2006, ISBN 3-7205-5006-0.
  • Ralph Peters: Zecken und Zeckenerkrankungen. Borreliose und FSME Bund Deutschland e. V., 2006, www.borreliose-bund.de

Weblinks

Allgemeine Links

Vorlage:RKI

Karten der Risikogebiete

Einzelnachweise

  1. Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV: Frühsommer-Meningoencephalitis FSME
  2. FSME-Risiko auch durch unbehandelte Rohmilch, Ärztezeitung 12. Mai 2010, abgerufen 5. März 2014.
  3. Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger. Robert-Koch-Institut, abgerufen am 12. Januar 2013.
  4. Meldepflichtige Krankheiten in Österreich. infektionsnetz.at, abgerufen am 12. Januar 2013.
  5. Meldepflichtige Infektionskrankheiten. Schweizerisches Bundesamt für Gesundheit, abgerufen am 12. Januar 2013.
  6. U. Dumpis, D. Crook, J. Oksi: Tick-borne encephalitis (review). In: Clin Inf Dis. 1999; 28, S. 882–890 PMID 10825054
  7. a b c Robert-Koch-Institut: Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME). RKI-Ratgeber Infektionskrankheiten – Merkblätter für Ärzte. Aktualisierte Fassung 2011.
  8. Heidemarie Holzmann, Franz X. Heinz: FSME-Ausbruch durch Konsum von Frischkäse aus nichtpasteurisierter Ziegenmilch. ImpfDialog 3/2008 (Volltext)
  9. R. Herzig u. a.: An uncommon severe clinical course of European tick-borne encephalitis. In: Biomed. Pap. Med. Fac. Univ. Palacky. Olomouc. Czech. Repub. (2002) 146(2), S. 63–67 PMID 12572899.
  10. A. Juceviciene u. a.: Prevalence of tick-borne-encephalitis virus antibodies in Lithuania. In: J. Clin. Virol. (2002) 25(1), S. 23–27 PMID 12126718
  11. Robert-Koch-Institut: Epidemiologisches Bulletin. Nr. 38 vom 21. September 2007, S. 351–355. (PDF, 1MB).
  12. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass grippeähnliche Symptome nach einem Zeckenstich (welche als FSME-Fall gemeldet werden müssen) ebenso durch eine Borrelieninfektion (bei der eine Wanderröte nur in ca. 50 % der Fälle auftritt) ausgelöst werden können!
  13. rki.deRKI, Infektionsepidemiologisches Jahrbuch meldepflichtiger Krankheiten für 2012, abgerufen am 25. Februar 2014.
  14. Epidemiologisches Bulletin des RKI, 19. Januar 2015
  15. Bundesamt für Gesundheit der Schweiz Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) / Zeckenenzephalitis, Stand September 2013, abgerufen am 25. Februar 2014.
  16. FSME-Impfung „erspart“ 400 Erkrankungen jährlich. In: Der Standard. 14. März 2013.
  17. Zecken: Was sie wissen sollten. www.news.at, 26. April 2016
  18. a b c FSME: Risikogebiete in Deutschland. Bewertung des örtlichen Erkrankungsrisikos. In: Epidemiologisches Bulletin. Nr. 18 vom 29. Mai 2012. Robert-Koch-Institut, abgerufen am 12. Januar 2013.
  19. FSME: Zum aktuellen Vorkommen in Deutschland. Bewertung des örtlichen Erkrankungsrisikos – Karte der Risikogebiete. Epidemiologisches Bulletin 9. Dezember 2004, Nr. 21, S. 171–172.
  20. Robert-Koch-Institut: Fünfjahresinzidenz der Frühsommer-Meningoenzephalitis in Kreisen und Kreisregionen, Deutschland, 2002–2010, Anlage zum Epidemiologischen Bulletin 17/2011 vom 2. Mai 2011, abgerufen am 3. Mai 2012 (PDF, 167 KB).
  21. Robert-Koch-Institut: FSME: Risikogebiete in Deutschland, Aktuelle Änderungen Epidemiologisches Bulletin Nr. 15 vom 13. April 2007, S. 131, abgerufen am 3. Mai 2012.
  22. Onlinekarte Risikogebiete und lokale Häufungen FSME. Schweizerisches Bundesamt für Landestopographie swisstopo, abgerufen am 19. März 2014.
  23. Zeckenübertragene Krankheiten. Schweizerisches Bundesamt für Gesundheit, abgerufen am 12. Januar 2013.
  24. Der Standard: Wie gefährlich sind Zecken wirklich? 12. April 2007.
  25. Österreichische Apothekerkammer/F.X. Heinz: Bilanz der FSME 2005: Epidemiologische Situation in Österreich und im internationalen Vergleich, 22. Februar 2006.
  26. a b Zur FSME in Europa. Epidemiologisches Bulletin 16 / 2005 des RKI (Memento vom 3. Mai 2008 im Internet Archive)
  27. reisemed.at
  28. Leitlinie Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME)
  29. a b Gleixner, Müller, Wirth: Neurologie und Psychiatrie. 4. Auflage. 2004/5, ISBN 3-929851-53-9, S. 116.
  30. a b R. Kaiser: Frühsommer-Meningoenzephalitis. In: Münchener Medizinische Wochenzeitschrift. Jg. 156, Februar 2014.
  31. „Der Zeckenaufklärer“ auf der Homepage des Sanitätsdienstes der Bundeswehr
  32. C. Kunz: TBE vaccination and the Austrian experience. In: Vaccine. 2003 Apr 1;21 Suppl 1, S. S50–S55. PMID 12628814
  33. K. Weißer u. a.: Verdachtsfälle von Impfkomplikationen nach dem Infektionsschutzgesetz und Verdachtsfälle von Nebenwirkungen (von Impfstoffen) nach dem Arzneimittelgesetz vom 1. Januar 2004 bis zum 31. Dezember 2005. Online auf der Webseite des Paul-Ehrlich-Institutes publiziert.
  34. a b c Eidgenössische Kommission für Impffragen: Empfehlungen zur Impfung gegen Zeckenenzephalitis. Schweizerisches Bundesamtes für Gesundheit (Hrsg.) URL: http://www.bag.admin.ch/themen/medizin/00682/00684/01069/index.html?lang=de&download=M3wBUQCu/8ulmKDu36WenojQ1NTTjaXZnqWfVpzLhmfhnapmmc7Zi6rZnqCkkIV4g3yDbKbXrZ2lhtTN34al3p6YrY7P1oah162apo3X1cjYh2+hoJVn6w== (abgerufen 5. Mai 2009)
  35. Panikmache bei Zeckenschutzimpfungen – Die verantwortungslosen Kampagnen der Pharmaindustrie
  36. P. Rendi-Wagner u. a.: Immunogenicity and safety of a booster vaccination against tick-borne encephalitis more than 3 years following the last immunisation. In: Vaccine. 2004 PMID 15530690
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  38. Robert-Koch-Institut: Empfehlungen der Ständigen Impfkommission
  39. PEI, Information für Ärzte und Apotheker vom 28. März 2001.
  40. aerztezeitung.at: Impfplan 2014 für Säuglinge und Kleinkinder.
  41. H. Schneider: Über epidemische akute Meningitis serosa. Wr. Klin. Wochenschrift. 1931, 44, S. 350–352.
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  44. Wie gefährlich sind Zecken wirklich. Beitrag im Online-Standard
  45. Bärbel Reiner, Andrea Fischer: Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) beim Hund in Deutschland: Zwei Fallberichte. In: Kleintierpraxis. 43 (1998), S. 255–268.
  46. zeckenwetter.de