Kanadische Literatur

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Der Begriff Kanadische Literatur bezeichnet üblicherweise Prosa, Dichtung, Drama in englischer und französischer Sprache aus Kanada. Nicht zur kanadischen Literatur werden durch den deutschsprachigen Wissenschaftsbetrieb die traditionellen Literaturen der indianischen Ureinwohner, der Esquimaux (Inuit, Innu. Yupik) und der anderen First Nations gezählt, wohl aber durch die deutschsprachigen Buchverlage, wenn sie solche Autoren publizieren.[1] Im Unterschied dazu wird Kanada im Jahr 2021 (verschoben von 2020) als Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse mit allen Sprachen des Landes, also Englisch, Französisch, den Sprachen der Indigenen und der Inuit vertreten sein.

Merkmale

Die kanadische Literatur wird durch das Neben- und Miteinander anglokanadischer und frankokanadischer Literatur(en) sowie von Einflüssen zahlreicher Minderheiten geprägt. Häufige Sujets, Motive und stilistische Elemente sind:

Die offizielle Mehrsprachigkeit Kanadas wirkt sich auch auf die Gestaltung der Figuren und ihrer Interaktionen aus, insbesondere in wörtlicher Rede (was wiederum zu Schwierigkeiten bei der Übersetzung kanadischer Literatur in andere Sprachen führen kann).
Der Autor Hugh MacLennan beschreibt dieses Phänomen im Vorwort zu seinem Roman The Two Solitudes (1945): Einige der Charaktere seines Buches sprächen vermutlich nur Englisch und andere nur Französisch, während viele bilingual seien. Er weist darauf hin, dass es in Kanada kein einziges Wort gibt, das in zufriedenstellender Weise die zwei im Land heimischen Gruppen von Weißen mit einem einheitlichen Begriff bezeichnet. Während die Frankophonen mit dem Wort Canadien (franz.: Kanadier) fast immer nur sich selbst meinten, würden sie ihre anglophonen Mitbürger les Anglais (franz.: die Engländer) nennen. Die Anglophonen wiederum würden sich selbst Canadians (engl.: Kanadier), ihre frankophonen Mitbürger French-Canadians (engl.: Frankokanadier) nennen.[2]

Anglokanadische Literatur

Thomas Chandler Haliburton
Lucy Maud Montgomery (um 1897). Ihr Kinder- und Jugendbuch Anne of Green Gables (2008) über ein unkonventionelles Waisenmädchen, das seine Pläne durchsetzt, wurde in fünf Jahren 32 Mal aufgelegt und ist im englischsprachigen Raum weit verbreitet. Der letzte von neun Bänden der Reihe wurde postum erst 1974 veröffentlicht.

Die anglokanadischen Schriftsteller wurden durch die literarischen Entwicklungen im kolonialen Mutterland beeinflusst, gefolgt von Einflüssen aus den Vereinigten Staaten sowie aus den Literaturen der zahlreichen Herkunftsländer – durch Immigranten, die nunmehr Englisch oder Französisch schreiben. Letztere z. B. sind Einwanderer aus dem Libanon, aus Vietnam, aus Haiti oder Westafrika.

Als einer der ersten kanadischen Schriftsteller gilt Thomas Chandler Haliburton (1796–1865), der allerdings zwei Jahre vor der Gründung des Landes verstarb. Zu seinen wichtigsten Werken zählt die humorvolle Charakterskizze The Clockmaker (1838). Neben der frühen Siedlerliteratur der noch aus Europa zugewanderten Generation, für die beispielhaft Susanna Moodies Life in the clearing versus the bush (1853) und Catharine Parr Traills The Backwoods of Canada (1837) stehen, entstanden historische und Liebesromane nach englischen Vorbildern. So orientierte sich John Richardson in seinem 1832 erschienenen Roman Wacousta; or The Prophecy. A Tale of the Canadas am Vorbild Walter Scotts. Der gebürtige Engländer William Kirby siedelte seinen historischen Roman The Golden Dog (1877) in Québec an und arbeitete viele lokale Legenden und Schauplätze aus dem französischsprachigen Teil Kanadas darin ein.

Auch die mehrheitlich bereits in Kanada geborenen Autoren des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts schrieben über das Pionierleben an der nordamerikanischen Frontier (Sheila Watsons Deep Hollow Creek), über die Größe, das Potential und die natürliche Schönheit des Landes (Bliss Carman und Francis Reginald Scott – ein auch unter dem Namen Frank Scott bekannter sozialistischer Aktivist), über die Entwicklung einzelner Einwandergruppen im Dominion Kanada (Laura Goodman Salversons The Viking Heart) sowie über die schlichten Sitten, den Glauben und das Streben einfacher Menschen (Stephen Leacock, Lucy Maud Montgomery). Carman und sein Cousin Charles G. D. Roberts lebten lange in den USA. weil man zu dieser Zeit in Kanada von den Einkünften als Autor noch kaum leben konnte.

Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs rückte das Verhältnis zur ›Alten Welt‹ und der Einfluss des Krieges auf die Einwanderer in den Fokus, so in den Werken der Tochter isländischer Immigranten Laura Goodman Salverson (The Viking Heart, The Dark Weaver).

Margaret Atwood in Stockholm (2015)

Nach dem Zweiten Weltkrieg brachten u. a. Mordecai Richler (The Apprenticeship Of Duddy Kravitz), Timothy Findley, Mavis Gallant, Margaret Laurence (The Stone Angel), Irving Layton, Norman Levine, der in Canada made me (1958) die Provinzialität Kanadas immer kritisierte, und vor allem Sheila Watson mit The Double Hook (1959) über die soziale Desintegration in einem kleinen Dorf in British-Columbia modernistische Impulse in die kanadische Literatur ein. Das gespaltene Verhältnis zwischen anglo- und frankophonen Kanadiern wurde zum Thema u. a. in Hugh MacLennans Two Solitudes. Leonard Cohen setzte 1966 mit Beautiful Losers erste postmoderne Impulse.[3] Michael Ondaatje erhielt 1970 den renommierten Governor General’s Award for Poetry. Seine Jazz-Novelle Coming through Slaughter (1976), aber vor allem der Toronto-Roman In the Skin of a Lion (1987) waren frühe anerkannte Werke. Der englische Patient (1992) und seine Verfilmung machten ihn international bekannt.

Mit der Southern Ontario Gothic entwickelte sich zudem ein eigenständiges Subgenre der Gothic Novel, bei dem das Leben im südlichen Ontario und die protestantische Mentalität seiner Bewohner im Zentrum der Kritik steht.[4] Zu deren wichtigsten Vertretern zählen Margaret Atwood, Robertson Davies, Marian Engel, Barbara Gowdy, Jane Urquhart und die Literaturnobelpreisträgerin Alice Munro, die die Struktur von Kurzgeschichten revolutionierte. Neben zahlreichen kanadischen Preisen und dem Booker Prize (2009) wurde sie 2013 mit dem Nobelpreis für Literatur geehrt.

Robertson Davies’ Liebe galt eigentlich dem Schauspiel, erfolgreich waren auch seine humoristischen Essays. Bekannt wurde jedoch vor allem durch die Salterton Trilogy (1951–1958), die in der fiktiven anglikanischen Kleinstadt Salterton in Ontario mit ihrem kunstfeindlichen Fundamentalismus, ihren Eifersuchtsdramen und anderen Alltagsskandalen spielt. Urquharts erster Roman The Whirlpool (1986) behandelt die Obsessionen und Phantasien neurotisch gestörter Menschen im späten 19. Jahrhundert vor der Kulisse der Niagarafälle. Marian Engel beschreibt mit feministischer Perspektive das Leben in Kanadas potkolonialem Norden. Ihr bekanntestes und umstrittenstes Buch Bear (1976) handelt von der sexuellen und spirituellen Beziehung einer Bibliothekarin mit einem Bären.

Zu Margaret Atwoods wichtigsten Arbeiten zählt ihre Analyse des kanadischen Überlebenswillens, Survival (1972), der Gedichtband The Journals of Susanna Moodie (1970), der dasselbe Thema behandelt, und ihr Roman Surfacing (1972), auf deutsch Der lange Traum. Surfacing wurde als „Schlüsselwerk der kanadischen Literatur“ bezeichnet; damit gelang Atwood der internationale Durchbruch. Jane Urquhart stammt aus dem Nord-Ontario. Ihr erster Roman, The Whirlpool (1986) erhielt 1992 als erstes kanadisches Buch den französischen Prix du Meilleur Livre Etranger (Preis für den besten ausländischen Roman). The Underpainter erhielt 1997 den "Governor General’s Award for Fiction".

In den 1990er und frühen 2000er Jahren reüssierten zahlreiche neue Autoren, u. a. Caroline Adderson (Pleased to Meet You, The Sky is Falling), Joseph Boyden (Three Day Road, The Orenda), Lynn Coady (Hellgoing, The Antagonist - dt.: „Abgeschrieben“ 2012), Douglas Coupland (Generation X, Marshall McLuhan: You Know Nothing of My Work!), Bill Gaston (Gargoyles), Lawrence Hill (The Book of Negroes), Yann Martel (The Facts behind the Helsinki Roccamatios; Life of Pi), Anne Michaels (Fugitive Pieces), Nino Ricci (Lives of the Saints) und David Adams Richards, der fast 30 Bücher veröffentlichte (Mercy Among the Children, Lines on the Water: A Fisherman's Life on the Miramichi). Carol Shields wurde in Illinois geboren, heiratete 1957 einen Kanadier und lebte und arbeitete bis zu ihrem Tod 2003 in Kanada. Sie befasste sich wie auch Margaret Atwood intensiv mit Susanna Moodie und schrieb eine Reihe von preisgekrönten Romanen, u. a. das Pulitzer-Preis-Buch The Stone Diaries (1993; deutsch: Das Tagebuch der Daisy Goodwill), Larry’s Party (1997) und Unless (2002; deutsch Die Geschichte der Reta Winters), der für den Scotiabank Giller Prize nominiert war. Die postmoderne anglophone kanadische Literatur greift auf feministische, ethnozentrische und dekonstruktivistische Ansätze zurück und wirkt dadurch sehr selbstständig neben der US-amerikanischen Literatur.

Frankokanadische Literatur

Der Osten Kanadas wurde zuerst von französischen Siedlern als Neufrankreich kolonisiert. Québec verblieb nach der Ausdehnung der britischen Herrschaft die einzige Region des nordamerikanischen Festlandes mit einer französischsprachigen Mehrheit und prägt als solche die kanadische Literatur. Viele frankokanadische Autoren wurden stilistisch durch französische Literaten beeinflusst, u. a. durch Honoré de Balzac. Bis in die 1860er Jahre wurde die Verbreitung der französischen Sprache jedoch behindert.

Le chercheur de trésors ou L'influence d'un livre (1837) von Philippe-Ignace Aubert de Gaspé (1814–1841) gilt als erster frankokanadischer Roman. Antoine Gérin-Lajoie veröffentlichte 1842 das patriotische Lied Un Canadien errant über die zum Tode verurteilten oder ins Exil geflüchteten Rebellen des Aufstands in Süd-Québec 1837/38, das auch heute noch auf zahlreichen Folk- oder Rockfestivals gespielt und auf Alben verbreitet wird. Noch Louis-Honoré Fréchette musste in den 1860er Jahren ins Exil in die USA ausweichen, wo er La voix d'un exilé schrieb, und kehrte erst 1871 wieder zurück.

La Chasse-galerie oder Das fliegende Kanu. Vorstudie von Henri Julien (1906) zu einem Gemälde zum gleichnamigen populären Buch von Honoré Beaugrand (Musée national des beaux-arts du Québec).

Ein fast hundert Jahre lang populäres Genre war der historische Roman. Auch der in den 1850er Jahren als „poète national“[5] gefeierte Dichter Octave Crémazie arbeitete mit historischen Stoffen. Lokale Legenden und Sagen – teils Synthesen aus alten französischen und indianischen Motiven und Erzählungen – sammelte Honoré Beaugrand. Als romantischer Lyriker wurde William Chapman bekannt.[6]

Ein wichtiges Genre im späten 19. Jahrhundert und weiter bis in die 1940er Jahre war der roman du terroir. Dieser feiert das ländliche Leben als Gegenpol zur Industrialisierung. Als erster roman du terroir gilt Patrice Lacombes The Paternal Farm (1846). Das Genre wurde in den 1860er Jahren durch theoretische Setzungen des Abbé Henri-Raymond Casgrain bestärkt. Casgrain, der erste Literaturtheoretiker aus Québec, sah in katholischer Moral und Patriotismus die höchsten Ziele der Literatur. Sein Essay Le mouvement littéraire en Canada (1866) galt über Jahrzehnte als Richtlinie für viele frankokanadische Autoren.[7] Der 1916 veröffentlichte Roman Maria Chapdelaine von Louis Hémon wurde erst Jahre nach dem Tod des Autors zum Erfolg auch in Frankreich und zum emblematischen Vorbild der agrikulturistischen Bewegung, zu der auch Félix-Antoine Savard mit seinem patriotischen Buch Menaud maître-draveur über einen Flößer (1937) zählte.

Die erste frankokanadische Romanautorin war Laure Conan, die u. a. den psychologischen Roman Angéline de Montbrun (1884) verfasste. Erst in den 1930er Jahren kam es zu einer stärkeren Hinwendung zu psychologisch und sozialkritisch geprägten Romanformen. Gabrielle Roy und Anne Hébert brachten der frankokanadischen Literatur erste internationale Anerkennung. Gabrielle Roy gehörte zu den Vertretern der Révolution tranquille, die mit der ländlich-konservativ-katholischen Tradition brach und Themen des städtischen Lebens aufgriff. Sie zählt zu den wichtigsten kanadischen Autorinnen der Nachkriegsepoche. Ihr Roman Bonheur d'occasion (1947) war als The Tin Flute auch in den USA äußerst erfolgreich. Alexandre Chenevert (1954) gilt als eines der bedeutendsten Werke des psychologischen Realismus in der kanadischen Literatur. Ihr Werk wurde u. a. dreifach mit dem Governor General’s Award for Fiction ausgezeichnet (1947, 1957, 1978).In der Folge kam es mit Autoren wie Antonine Maillet und Roch Carrier zu einem weiteren Aufschwung, wobei auch die kulturellen und sozialen Spannungen zwischen den Franko- und Anglokanadiern stärker in den Blick gerieten. Einen experimentalen Zweig der Literatur in Québéc entwickelten u. a. die feministische Dichterin Nicole Brossard sowie die Romanciers Hubert Aquin und Gérard Bessette (Nouveau roman).

Marie Claire Blais auf der Buchmesse in Montreal 2010. Ihr Roman Une saison dans la vie d'Emmanuel (1965) handelt von Kindheit und Jugend des 16. Kindes einer matriarchalisch dominierten Bauernfamilie.

In den späten 1970er verhalfen die (anglophone) Literaturwissenschaftlerin Susan Joan Wood und die Science-Fiction-Autorin Judith Merril den Studies of Feminist Science Fiction zur Anerkennung – was sich u. a. in der Gründung des frankokanadischen Science-Fiction-Magazins Solaris niederschlug.

Weitere vielfach ausgezeichnete frankokanadische Autorinnen sind Marie-Claire Blais, die geradezu als Vertreterin einer Anti-terroir-Literatur gelten kann, Yves Beauchemin und Antonine Maillet. Weitere wichtige Autoren sind der Dichter Hector de Saint-Denys Garneau, der Romancier Jacques Poulin sowie der Dramatiker Michel Tremblay, der das Joual (die Umgangssprache der Arbeiterklasse Québecs) auf die Bühne brachte.[8] Jocelyne Saucier zeichnet in ihren zwei ins Deutsche übersetzten Romanen Menschen nach, deren Leben von der Normalität anderer Bürger auffällig abweicht. In Niemals ohne sie zerstreut sich eine Quebecer Großfamilie von 23 Personen nach der Explosion in einer Erzmine in alle Welt, um nach 30 Jahren wieder zusammen zu kommen und das alte Trauma endlich anzugehen.

Literatur von Minderheiten

Kanadische Besonderheiten sind die anglophone Binnenminderheit im frankophonen Québec und die frankophone Minderheit im restlichen Kanada. So lebten etwa die anglophonen Dichter Louis Dudek und Irving Layton und die Romanschriftsteller Hugh MacLennan und Mordecai Richler in Montreal, Provinz Québec. Aus dem anglophonen jüdischen Teil Montreals stammt auch Leonard Cohen, der bereits vor seiner Musikerkarriere als Autor bekannt wurde.

1967 erhöhte die kanadische Regierung die finanzielle Unterstützung für Verleger, was zu einem starken Anstieg kleiner Verlage im ganzen Land führte. Nach Premierminister Pierre Trudeaus Announcement of Implementation of Policy of Multiculturalism within Bilingual Framework 1971 wurde Kanadas literarische Szene noch vielgestaltiger.

Zu den erfolgreichen Autoren der eingewanderten Minderheiten zählen Marie-Célie Agnant (aus Haiti), Ryad Assani-Razaki (aus Benin), Clark Blaise (aus den Vereinigten Staaten), Adrienne Clarkson (aus Hongkong), Rawi Hage sowie Wajdi Mouawad (beide aus dem Libanon), Erin Mouré (aus Galizien), Joy Nozomi Nakayama (japanische Community), Samuel Dickson Selvon (aus Trinidad und Tobago), Russell Claude Smith (aus Südafrika), Moyez G. Vassanji (aus Kenia), Henry Kreisel aus Österreich und der deutschstämmige Rudy Wiebe mit Plautdietsch als Muttersprache. Dany Laferrière wanderte 1976 von Haiti nach Kanada aus und wurde mit seinem Debütroman Comment faire l'amour avec un nègre sans se fatiguer berühmt. 2009 wurde sein Roman L'Énigme du retourder mit dem französischen Literaturpreis Prix Médicis ausgezeichnet. Er wurde 2013 als erster Kanadier (und erster Haitianer) zum Mitglied der Académie française gewählt wurde. Arif Anwar stammt aus Bangladesh widmet sich der Geschichte seiner Heimat.

Es gibt eine kleine Anzahl deutschsprachiger Schriftsteller im Land, welche von der Regierung zu den kanadischen Autoren gezählt werden, auch wenn der Verlagsort möglicherweise in Deutschland liegt, z. B. Walter Bauer.

Literatur der autochthonen Völker

Autoren der First Nations traten seit der offiziellen Unterstützung für eine Politik des Multikulturalismus in den 1970er Jahren verstärkt in Erscheinung. Nach einem ersten Aufbruch von Norval Morrisseau (1932–2007) mit Legenden (Ojibwa Legends of My People, 1965) folgten poetische Werke des Häuptlings der Burrard Dan George und der Mi’kmaq Rita Joe (My Heart Soars, 1974; Poems of Rita Joe, 1978), aber auch politische Schriften wie The Unjust Society: The Tragedy of Canada's Indians (1969, 2000) und The Rebirth of Canada's Indians (1977) des Cree Harold Cardinal (1945–2005).

Joséphine Bacon auf dem Manitou-Festival in Mont-Tremblant (2017)

Trotz der Zusicherung von Minderheitenrechten in der Kanadischen Charta der Rechte und Freiheiten im Jahr 1982 wurden die Internate für die kulturelle Assimilierung autochthoner Kinder erst 1996 abgeschafft. Dieses Thema beschäftigt bis heute die Innu-Autorin Joséphine Bacon, die im Alter von fünf Jahren von ihren Eltern getrennt wurde; sie publiziert in Englisch und in Innu-aimun, das noch von über 10.000 Menschen in Labrador und Québec gesprochen wird.[9] Auch die Innu-Musikerin Tanya Tagaq verfasste einen Roman über ihre Erfahrungen in einem solchen Residential Home (Split Tooth 2018; dt. „Eisfuchs“ 2020).

In englischer Sprache schreibt die Inuk-Autorin Aviaq Johnston aus Igloolik. Ihr Debütroman Those Who Run in the Sky, den man dem Magischen Realismus zurechnen kann, wurde 2017 mehrfach ausgezeichnet. Romane und Erzählungen in französischer Sprache verfassen Virginia Pésémapeo Bordeleau (* 1951), die unter anderem die Konflikte und Symbiosen zwischen Schamanismus und dem modernen Bedürfnis nach Spiritualität karikiert und auch als Malerin hervortritt, und Naomi Fontaine (* 1987), die in Kuessipan (2011) das harte Leben nomadisierender Innu beschreibt. Als Lyrikerin und Schauspielerin wurde die Innu Natasha Kanapé Fontaine (* 1991) bekannt. Ihre Themen sind Zivilisationsschäden und Identitätskrisen der Innu, die im Vergleich zu den Inuit viel stärker assimiliert sind. In einer Reihe verschiedener Genres betätigen sich die Wendat Jean Sioui (* 1948) und der Anthropologe Louis-Karl Picard-Sioui (* 1976), der sich auch als Performance-Künstler und Grafiker einen Namen gemacht hat.

Frankfurter Buchmesse 2020

Auf dem kanadischen Buchmarkt arbeiten 2019 landesweit 260 Verleger für englische Bücher und mehr als 100 für französische, dazu kommen Produkte in Minderheitensprachen. Jährlich erscheinen über 8500 Titel. Der Umsatz auf diesem Markt betrug 2018 zwei Milliarden Can$.

Wegen der COVID-19-Pandemie in Deutschland wird Kanada zwei Jahre nacheinander Gastland auf den Frankfurter Buchmessen 2020 (nur virtuell) und 2021 sein. Die beiden Auftritte stehen unter dem Motto Singulier Pluriel – Singular Plurality („Eine einzigartige Vielfalt“).[10] Die kanadische Verlegerin Caroline Fortin sieht in der sprachlichen und ethnischen Vielfalt ein typisches Merkmal Kanadas und eine Stärke im internationalen Wettbewerb.[11]

Literaturpreise (Auswahl)

Siehe auch

Sekundärliteratur

Anthologien

  • Kanadische Erzähler der Gegenwart. Hg. Armin Arnold, Walter E. Riedel. Manesse, Zürich 1967, 1986.
  • Kanada. Moderne Erzähler der Welt. Hg. Walter Riedel. Erdmann, Stuttgart 1987.
  • Jennifer Dummer Hg.: Pareil, mais différent - Genauso, nur anders. Frankokanadische Erzählungen. Zweisprachig. dtv, München 2020

Weblinks

Anmerkungen

  1. U. a. in: Catharine Parr Traills The Backwoods of Canada (1836), Margaret Atwoods Survival: A Thematic Guide to Canadian Literature (1972), Yann Martels Life of Pi (2001).
  2. U. a. in: Susanna Moodies Life in the Clearings (1853), Sheila Watsons Deep Hollow Creek (1951/1992).
  3. U. a. in: Stephen Leacocks Sunshine Sketches of a Little Town (1912), Alistair MacLeods No Great Mischief (1999).
  4. U. a. bei: Mordecai Richler, Leonard Cohen, Margaret Laurence, Rohinton Mistry, Michael Ondaatje, Wayson Choy, Rita Joe.
  5. U. a. in: Hugh MacLennans Two Solitudes (1945), Leonard Cohens Beautiful Losers (1966), Mordecai Richlers Oh Canada! Oh Quebec! Requiem for a Divided Country (1992).
  6. U. a. in: Thomas Chandler Haliburtons The Clockmaker (1838).
  7. U. a. in: Robertson Davies' Fifth Business (1970), Norman Levines Canada Made Me (1958).
  8. U. a. in: Anne Héberts Kamouraska (1970), Timothy Findleys Not Wanted on the Voyage (1984).
  9. U. a. in: Laura Goodman Salversons When Sparrow Falls (1925), Leonard Cohens Beautiful Losers (1966), Nicole Brossards L'Amer ou, Le Chapitre effrite (1977), Jane Rules "Slogans" (in: Inland Passage and Other Stories, 1985), Farzana Doctors Six Metres of Pavement (2011).
  10. U. a. in: Thomas McCullochs Letters of Mephibosheth Stepsure (1821−1823), Stephen Leacocks Literary Lapse (1910), Michel Tremblays Les Belles sœurs (1968), Yves Beauchemins Le Matou (1981).

Einzelnachweise

  1. Die Konzentration auf Francophonie/Anglophonie stellt ein Relikt der Kanadistik, sogar im Land selbst und in anderen Ländern, bis ca. 1990 dar. Sie wird seitdem heftig angegriffen, nicht nur wegen der First Nations, sondern auch auf Grund der deutlich sichtbaren Einwanderung aus anderen Kulturkreisen und Sprachherkünften. Der deutschsprachige Wissenschaftsbetrieb ist organisatorisch bislang meist zu schwerfällig, um darauf zu reagieren. Immerhin weist Martin Kuester in Canadiana, 12, Verlag Peter Lang, Bern 2013, S. 16, Mit-Hg. ist der Österreicher Klaus-Dieter Ertler, auf diese völlig veraltete Sichtweise hin, die sich optisch sehr gut festmachen lässt am "Kreuz von Gaspé", einem riesigen Monument von 1934 zur Feier der ersten europäischen, weißen Einwanderer.
  2. “... it is a novel of Canada. This means that its scene is laid in a nation with two official languages, English and French. It means that some of the characters in the book are presumed to speak only English, others only French while many are bilingual. No single word exists, within Canada itself, to designate with satisfaction to both races a native of the country. When those of the French language use the word Canadien, they nearly always refer to themselves. They know their English-speaking compatriots as les Anglais. English-speaking citizens act on the same principle. They call themselves Canadians; those of the French language French-Canadians.”, »Foreword«, in: Hugh MacLennan, Two Solitudes. Collins, Toronto 1945
  3. Stan Dragland, "Afterword", in: Leonard Cohen, Beautiful Losers. McClelland & Stewart, Toronto 1991 ISBN 0-7710-9875-8
  4. Eugene Benson und William Toye (Hrsg.), The Oxford Companion to Canadian Literature, Oxford University Press Canada: Don Mills 1997, S. 1085.
  5. Odette Condemine, Octave Crémazie, in The Canadian Encyclopedia, abgerufen am 15. September 2015 (wahlweise französisch, englisch)
  6. Chapman, William auf Dictionary of Canadian Biography.
  7. "Casgrain, Henri-Raymond" auf: Dictionnaire biographique du Canada, abgerufen am 27. Juli 2015 (französisch, englisch).
  8. Übersicht frankokanadischer Literatur 1960er Jahre bis Anfang 2013, insbes. zugehörige deutschsprachige Rezensionen oder Überblicksartikel. Canada-Zentrum der Universität Innsbruck
  9. Cornelius Wüllenkemper: Schreiben als Existenzbeweis auf dlf.de, 20. März 2020. Michel Jean, ein assimilierter Innu, veröffentlicht Romane und gab 2017 die Anthologie Amun heraus (dt. 2020).
  10. Ehrengast Kanada auf buchmesse.de, abgerufen am 15. Oktober 2020.
  11. Kurz notiert. In: Börsenblatt. Nr. 28, 2020, S. 12.
  12. Bezug: Universitätsbibliothek Marburg. Folgende Nrr. der "Ahornblätter" sind nicht erschienen. Die vorherigen Ausgaben enthalten ebenfalls Beiträge zur kanadischen Literatur.
  13. nicht über Kanada, sondern weltweit
  14. Die dortige Suchmaschine funktioniert öfters nicht. Immer zielführend ist google, wenn man Canadian Encyclopedia und dann den gesuchten Begriff eingibt.
  15. Gibt man den Namen eines hier zu findenden Übersetzers in die Suchfunktion auf der Site oben ein, erscheinen u. a. weitere Ergebnisse je Person