Ferdinand Sauerbruch

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Ferdinand Sauerbruch (1932)
Unterschrift
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Ernst Ferdinand Sauerbruch (* 3. Juli 1875 in Barmen; † 2. Juli 1951 in Berlin) war ein deutscher Arzt. Er gilt als einer der bedeutendsten und einflussreichsten Chirurgen des 20. Jahrhunderts.

Leben

Schule und Studium

Da sein Vater früh verstorben war, wuchs Sauerbruch bei seinem Großvater, dem Schuhmachermeister Friedrich Hammerschmidt, auf.

1895 bestand er das Abitur am Realgymnasium in Elberfeld. Um Medizin studieren zu können, unterzog er sich 1896 der Graecumprüfung am altsprachlichen Gymnasium in Mülheim an der Ruhr. Anschließend begann er das Studium der Naturwissenschaften an der Universität Marburg. Hier wurde er zunächst Mitglied des pharmazeutisch-naturwissenschaftlichen Vereins „Pharmacia“, einer naturwissenschaftlichen Studentenverbindung und Vorläuferin der heutigen Landsmannschaft Hasso-Borussia Marburg. Dort trat er wenig später jedoch wieder aus und wurde Mitglied beim Naturwissenschaftlich-Medizinischen Verein Studierender zu Marburg, der heutigen Landsmannschaft Nibelungia, die er allerdings noch während seiner Fuxenzeit wegen „ungebührlichen Verhaltens auf dem Haus“ wieder verlassen musste. Er wechselte dann an die Medizinische Fakultät der Universität Leipzig, wo er – nach kurzem Studienaufenthalt in Jena – 1901 Arzt wurde.

Ferdinand Sauerbruch (Kreis) 1901 als Paukarzt in Jena

Hier wurde er Conkneipant bei der Turnerschaft Borussia Jena und war als Paukarzt auf Mensurtagen tätig. 1902 wurde er mit einer Dissertation über einen Fall kindlicher Knochenerweichung zum Dr. med. promoviert, an deren Schluss er eingestehen musste: „Wir fanden bei unserer Arbeit nichts Neues“.[1]

Erste Jahre als Arzt

In der Nähe von Erfurt arbeitete er kurz als Landarzt, bevor er Assistent am Kasseler Diakonissenkrankenhaus wurde. Er wechselte im selben Jahr als Assistent an die Chirurgie des Erfurter Krankenhauses, wo er 1902 Erster Assistenzarzt wurde.

Ab 1903 arbeitete Sauerbruch kurz im Krankenhaus Berlin-Moabit und ging noch im selben Jahr an die Chirurgische Universitätsklinik in Breslau, wo er als Assistent von Johannes von Mikulicz-Radecki nach mehreren Misserfolgen mit der von ihm entwickelten Unterdruckkammer (Druckdifferenzverfahren) die Thoraxchirurgie, d. h. die Operation am offenen Brustkorb, begründete. Dort wurde er 1905 als Chirurg habilitiert. Anschließend wechselte er zum Universitätsklinikum Greifswald.

Professor

Sauerbruch wurde 1908 Professor und Oberarzt in Marburg. Ab 1910 war er Professor für Chirurgie an der Universität Zürich und Direktor der Chirurgischen Klinik und Poliklinik des Kantonsspitals Zürich. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs warb Sauerbruch in der neutralen Eidgenossenschaft für den Dienst in Badischen Lazaretten. So wurde ein fünfköpfiges Team Schweizer Ärzte 1914 nach Heidelberg entsandt, um in der dortigen Stadthalle ein Lazarett aufzubauen.[2][3] Von 1918 bis 1928 arbeitete er an der Universität München, danach an der Charité in Berlin (1928–1949). 1919 operierte er den Mörder von Kurt Eisner, Anton Graf von Arco auf Valley, und den Sozialdemokraten Erhard Auer.

Nach dem Münchner Hitlerputsch vom 8./9. November 1923 behandelte Sauerbruch im Uffinger Domizil von Ernst Hanfstaengl die verletzte linke Schulter von Adolf Hitler, der vor der Polizei geflüchtet war.[4]

Max Liebermann: Ferdinand Sauerbruch (1932), Hamburger Kunsthalle

1932 wurde Sauerbruch von Max Liebermann, mit dem er sich in Berlin angefreundet hatte und dessen Nachbar er war, porträtiert. Trotz der zunehmenden Repressalien, denen sich der jüdische Liebermann durch die Nationalsozialisten ausgesetzt sah, blieb die freundschaftliche Beziehung der Nachbarn bestehen, so dass Sauerbruch und sein Sohn Hans Sauerbruch zu den wenigen zählten, die am Trauerzug für Max Liebermann nach dessen Tod 1935 in Berlin teilnahmen.

1933 wurde er zum Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina gewählt.[5] Von 1932 bis 1950 war er Vorsitzender, Ehrenmitglied und Ehrenpräsident der Berliner Chirurgischen Gesellschaft. 1935 bis 1936 war er Vorsitzender der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte.

In der Zeit des Nationalsozialismus

Im November 1933 beteiligte sich Sauerbruch mit einem eigenen Brief „An die Ärzteschaft der Welt“ am weltweit verbreiteten Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und zum Nationalsozialismus, bei dessen Präsentation auf einer Großveranstaltung er einer der Hauptredner gewesen war. Er war Mitautor eines Sammelbands Deutschland fordert Gleichberechtigung, der 1933 im nazi-freundlichen Armanen-Verlag erschien.[6]

1934 ernannte Göring ihn zum Staatsrat. Im Januar 1937 warnte Sauerbruch jedoch davor, dass Hitler, den er seit 1920 kenne und als Grenzfall zwischen „Genie und Wahnsinn“ bezeichnete, der „verrückteste Kriminelle der Welt“ werden könne. Gleichwohl nahm er im September desselben Jahres auf dem Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg den von Hitler gestifteten Deutschen Nationalpreis für Kunst und Wissenschaft (geteilt mit August Bier) an.[7] Die Einführung dieses Preises war die Antwort der Nationalsozialisten auf den Friedensnobelpreis für Carl von Ossietzky. Zur Teilung des mit 100.000 Reichsmark dotierten Deutschen Nationalpreises kam es offensichtlich in Folge massiven Protests durch Gerhard Wagner, Reichsärzteführer und Leiter des Amts für Volksgesundheit in der Reichsleitung der NSDAP, gegen die Nominierung Sauerbruchs.[8]

Da Sauerbruchs bester Schüler Rudolf Nissen als Jude bereits im Frühjahr 1933 nach Absprache mit ihm in die Türkei emigriert war und dort einen Lehrstuhl an der Universität Istanbul übernommen hatte, unterhielt er während der Zeit des Nationalsozialismus Kontakte in dieses Land.

Philipp Schwartz berichtet hingegen, dass Sauerbruch 1935 – nach Ablauf der (meisten) Dreijahresverträge der in die Türkei geflohenen Mediziner – versucht habe, die Flüchtlinge durch regimetreue NS-Ärzte zu ersetzen, was damals aber vom Botschafter Wilhelm Fabricius verhindert worden sei. Im Nachlass Sauerbruchs fanden sich dazu Namenslisten von Emigranten, die als „nichtarisch“ denunziert wurden. Nissen selbst schreibt in seiner Autobiografie, sein Lehrer sei kein Antisemit gewesen und habe durch Empfehlungsschreiben zahlreichen emigrierten Kollegen geholfen. Sauerbruch bemühte sich auch nach 1933, die Kontakte zu deutsch-jüdischen Freunden und Bekannten nicht abreißen zu lassen, setzte sich für sie ein und nahm Unannehmlichkeiten von Seiten des Regimes in Kauf. Dies berichten unter anderem Robert M. W. Kempner, Richard Willstätter und Paul Rosenstein.

Generalarzt Sauerbruch in Brüssel, 1943

Ab 1935 fungierte Sauerbruch als Kurator des am Rudolf-Virchow-Krankenhaus in Berlin neu gegründeten Allgemeinen Instituts gegen die Geschwulstkrankheiten.[9] 1937 wurde Sauerbruch in den Reichsforschungsrat berufen, nachdem er seit Mitte der dreißiger Jahre dem Hauptausschuss der Deutschen Forschungsgemeinschaft angehört hatte. Der Reichsforschungsrat unterstützte auch „Forschungsprojekte“ der SS, zu denen die Menschenversuche in nationalsozialistischen Konzentrationslagern gehörten.[10] 1942 wurde er zum Generalarzt des Heeres ernannt und bewilligte in dieser Position im selben Jahr Mittel für Senfgasversuche an Häftlingen im KZ Natzweiler.

Andererseits protestierte Sauerbruch gegen das nationalsozialistische „Euthanasie“-Programm und bot der regimegegnerischen „Mittwochsgesellschaft“ zeitweise Raum in seinem Haus in Berlin-Wannsee. Da einige Mitglieder der Mittwochsgesellschaft zu den „Verschwörern“ des Attentats vom 20. Juli 1944 gehörten, wurde auch Sauerbruch mehrfach vernommen, entging aber einer Verhaftung.

Mitte September 1943 wurde ihm das Ritterkreuz mit Schwertern des Kriegsverdienstkreuzes verliehen.

Nach dem Krieg

Keine zwei Wochen nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht schuf die Sowjetische Militäradministration in Deutschland einen Magistrat für Berlin. Sie setzte Sauerbruch als Stadtrat für das Gesundheitswesen ein und am 10. Mai 1945 wurde er, veranlasst durch Hans Mahle, in dieser Angelegenheit Walter Ulbricht in der Prinzenallee 80 (heute Einbecker Straße 41) persönlich vorgestellt.[11] Sauerbruch forderte eine Rückbesinnung auf Menschlichkeit und Demokratie. So unterzeichnete er den Gründungsaufruf der CDU in Berlin am 26. Juni 1945.[12] Er forderte alle Männer und Frauen auf, sich aktiv für den Wiederaufbau des Landes einzusetzen. Dagegen wandte er sich später deutlich gegen die Aufarbeitung der Beteiligung deutscher Ärzte an nationalsozialistischen Verbrechen durch Alexander Mitscherlich. Am 12. Oktober 1945 wurde er unter dem Vorwurf, in der Zeit des Nationalsozialismus zur Steigerung des Ansehens der nationalsozialistischen Diktatur beigetragen zu haben, vom Alliierten Kontrollrat aus dem Stadtratsamt entlassen.

Zu Beginn der 1. Zonentagung der Chirurgen der Sowjetischen Besatzungszone am 18.–21. Juli 1947 sagte er:[13]

„Zweieinhalb Jahre nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches wird unser Volk immer noch hart, ablehnend und einseitig beurteilt. Wir verstehen Zurückhaltung, vermissen aber den Versuch, unsere Fehler, Übergriffe und Entgleisungen wenigstens zu einem angemessenen Teil als Schicksalsfolge aufzufassen. … Rücksichtsloser Zwang, der sich bis zur Vergewaltigung des Volkes steigerte, bedrohte viele, die darum ihr Vaterland verließen. Aufrechte Männer, die die Gefahr der drohenden Entwicklung erkannten, standen unter einer Diktatur, die Widerstand und Abwehr grausam unterdrückte. Was unter diesem unglücklichen Regime an Katastrophen geschah, wird Deutschland wieder gutmachen. Es ist dazu verpflichtet und bereit.“

Sauerbruch

In seinen letzten Lebensjahren war er weiterhin als Operateur an der Charité und in einer Privatklinik in Berlin-Grunewald tätig. Probleme traten auf, als er an dieser Tätigkeit festhielt, obwohl seine Fähigkeiten infolge fortschreitender Demenz nachließen.[14] Am 6. Dezember 1949 teilten die DDR-Zeitungen mit: „Ferdinand Sauerbruch hat im Zuge der allgemeinen Emeritierung der über 70 Jahre alten Lehrkräfte darum gebeten, ihn von seiner Tätigkeit als Professor der Humboldt-Universität und als Leiter der Chirurgischen Klinik der Berliner Charité zu entbinden.“ Dem Ersuchen wurde entsprochen. Somit leitete sein Vertreter Max Madlener 1949/50 als kommissarischer Direktor die Klinik. Offiziell verabschiedet wurde Sauerbruch am 6. Juni 1950 durch den Dekan Theodor Brugsch in der Sitzung der Berliner Chirurgischen Gesellschaft im Hörsaal der Chirurgischen Klinik. Zugegen war ein leitender Mitarbeiter des Ministeriums.[15] Ihm folgte Willi Felix, der bereits in den 1920er Jahren in München und Berlin bei Sauerbruch gearbeitet hatte.

Noch in seinem Todesjahr erschienen Sauerbruchs heiter-melancholische Lebenserinnerungen Das war mein Leben, die hohe Auflagen erzielten. Der Text stammt von dem Journalisten und Schriftsteller Hans Rudolf Berndorff; sein Wahrheitsgehalt wird von Rudolf Nissen vehement bestritten, der eine Auseinandersetzung mit dem Autor und dem Verlag darüber führte. 1954 wurde dieses Buch unter dem Titel Sauerbruch – Das war mein Leben verfilmt. Der Film stellt das Leben und Wirken Sauerbruchs deutlich positiv-verzerrt dar; so finden sich weder Hinweise auf eine Affinität zum NS-Regime noch wird das als geradezu selbstlos dargestellte Wesen Sauerbruchs relativiert.

Ferdinand Sauerbruch, der an einer schweren Gefäßerkrankung[16] litt, starb einen Tag vor seinem 76. Geburtstag an den Folgen seiner bestehenden Zerebralsklerose[17] und wurde in einem Ehrengrab auf dem Friedhof Wannsee, Lindenstraße in der Abt. A.T.-58 beigesetzt.[18]

Leistungen

Unterdruckkammer von Mikulicz und Sauerbruch

Sauerbruch war einer der bedeutendsten und einflussreichsten Chirurgen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seine Schüler besetzten zahlreiche chirurgische Lehrstühle in Deutschland und dem Ausland, seine Klinik wurde von ausländischen Chirurgen reichlich frequentiert.

Berühmt wurde Sauerbruch für die Einführung eines Verfahrens, das die operative Öffnung des Brustkorbes erlaubte. Normalerweise bedingt eine Öffnung des Brustraumes, dass sich Luft im Brustfellraum ansammelt und dadurch den dort herrschenden Unterdruck aufhebt: die Lunge fällt zusammen (Pneumothorax). Mit seinem Lehrer Johann von Mikulicz konstruierte Sauerbruch 1904 eine große Kammer, in der ein Unterdruck von etwa hundert hPa (ein Zehntel des normalen Luftdrucks) herrschte; darin konnten Brustoperationen unter Unterdruckverhältnissen stattfinden. Diese Unterdruckkammer ist ein Vorläufer der Eisernen Lunge. Wenig später wurde das Druckdifferenzverfahren von Ludolf Brauer (Internist) so verändert, dass nicht außen ein Unterdruck erzeugt, sondern die Lunge mit geringem Überdruck von innen stabilisiert wurde (CPAP-Atmung). Sauerbruchs ablehnende Haltung und sein Einfluss in den nationalsozialistischen Regierungskreisen verhinderte in Deutschland eine Verbreitung der zu seinem Druckdifferenzverfahren in Konkurrenz stehenden endotrachealen Intubation mit mechanischer Beatmung und behinderte somit die Entwicklung der modernen Anästhesiologie bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges.

Überdies entwickelte Sauerbruch eine Oberarmprothese (sogenannter Sauerbruch-Arm), bei der ein Kanal durch die Oberarmmuskulatur gelegt wurde. Die Prothese hatte einen Bolzen, der durch diesen Kanal geführt wurde. Auf diese Weise wollte er die noch vorhandenen Bewegungsreflexe für die Handhabung des Unterarmes der Prothese nutzen. Sauerbruch verwendete dabei die von Jakob Hüfner entwickelte Hand. Vielen verletzten Soldaten half der „Sauerbruch-Arm“, obwohl er sich als problematisch erwies, weil im Kanal häufig Entzündungen auftraten. Prominente Patienten Sauerbruchs waren Hanno Hahn, der Sohn Otto Hahns, und Claus Graf Schenk von Stauffenberg, eine der Hauptpersonen des militärischen Widerstands gegen Hitler. Stauffenberg erhielt jedoch eine andere als die von Sauerbruch entwickelte Prothese.

Einer seiner Patienten war der 2013 verstorbene Kunstmaler und Bildhauer Hubert Weber, der im Krieg beide Hände verloren hatte. Er wurde innerhalb eines Jahres zehnmal operiert, wobei Sauerbruch alle wichtigen Operationen selbst ausführte. Dabei wurde der linke Oberarm auf einer Länge von 17 cm mit dem halben Schienbein überspannt. Eine erfolgreiche Überspannung in dieser Größenordnung war zur damaligen Zeit eine einmalige Leistung. Nachdem zuerst der rechte Arm so weit wiederhergestellt war, dass Hubert Weber eine willkürlich bewegliche Sauerbruch-Prothese tragen und bedienen konnte, begann er zu zeichnen. Sauerbruch war von seinen Federzeichnungen beeindruckt und nahm seinen Patienten häufig mit in den Hörsaal, wo er ihn seine neu erworbenen Fähigkeiten demonstrieren ließ. Als der noch schlimmer verletzte linke Arm wieder so weit hergestellt war, dass Hubert Weber auch links eine willkürlich bewegliche Sauerbruch-Prothese tragen konnte, begleitete er Sauerbruch auf Kongresse, um dort seine Bewegungsmöglichkeiten mit den neuen Händen zu demonstrieren. Sauerbruch erkannte das Talent und auch die Beharrlichkeit Hubert Webers und riet ihm, Kunst zu seinem Beruf zu machen. Mit Sauerbruchs Hilfe konnte Weber bereits während der Heilung an der Reimannschule in Berlin einen Einführungskurs als Vorbereitung für sein späteres Kunststudium absolvieren. Nach seiner Entlassung aus der Charité fertigte Hubert Weber ein erstes Porträt von Sauerbruch an und überreichte es ihm im Hörsaal.

Um die Lungen von Tuberkulosekranken zu heilen, lähmte Sauerbruch deren Zwerchfell; waren die Lungen schon zu stark verwachsen, entfernte er Teile der Rippen, um einen therapeutischen (künstlichen) Pneumothorax erzeugen zu können. Auch in die Herz-, Magen- und Speiseröhrenchirurgie brachte Sauerbruch bedeutende Verbesserungen ein. Nicht zuletzt durch die Weltkriege fanden die von ihm entwickelten bewegbaren Prothesen weite Verbreitung. 1911 erschien Sauerbruchs Technik der Thoraxchirurgie, die in den folgenden Auflagen Chirurgie der Brustorgane hieß (1920–1925, zweibändig) und ab 1937 als Thoracic surgery auch in englischer Sprache verlegt wurde.

Darüber hinaus beschrieb Sauerbruch als einer der ersten Mediziner akuten Stress als Auslöser des Morbus Basedow, einer autoimmunen Form der Schilddrüsenüberfunktion. Während seiner Tätigkeit als Militärarzt im Ersten Weltkrieg war ihm das ungewöhnlich häufige Auftreten dieser Erkrankung bei Soldaten nach extremen psychischen Belastungen aufgefallen.

Bewertung heute

2014 berief die Stadt Hannover einen Beirat aus Fachleuten zur Überprüfung, ob es bei Personen als Namensgeber für Straßen „eine aktive Mitwirkung im Nazi-Regime oder schwerwiegende persönliche Handlungen gegen die Menschlichkeit gegeben hat“. Er regte die Umbenennung der nach Sauerbruch benannten Straße an. Nach der Darstellung dieses Beirats habe Sauerbruch wissentlich medizinische Versuche an Menschen mindestens in Kauf genommen. Der Beirat erwähnt, dass Sauerbruch zwar beim Reichsjustizminister gegen das Euthanasieprogramm vorstellig geworden sei. Auf Kongressen habe er aber nicht gegen Versuche an KZ-Häftlingen protestiert.[19][20]

Verfilmung

  • Sauerbruch – Das war mein Leben (BRD 1954), Spielfilm in Anlehnung an Sauerbruchs angebliche Autobiographie gleichen Titels; mit Ewald Balser in der Hauptrolle.
  • „Die dunklen Jahre“ aus dem Zyklus „Berühmte Ärzte der Charité“ (Fernsehen der DDR 18. Dezember 1983), Fernsehfilm mit Alfred Müller als Geheimrat Ferdinand Sauerbruch.

Hörspiel

Sonstiges

Sein kurzzeitiger Mitarbeiter Werner Forßmann erhielt den Nobelpreis für Medizin für die Erfindung des Herzkatheters.

Sein Sohn Hans Sauerbruch (1910–1996) war ein bekannter Maler und Vater des Architekten Matthias Sauerbruch. Der Sohn Peter Sauerbruch (* 5. Juni 1913 in Zürich; † 29. September 2010) war Berufsoffizier und erhielt 1943 das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes. Er war in die Pläne zum Attentat vom 20. Juli 1944 durch Claus Schenk Graf von Stauffenberg eingeweiht. Der Enkel Tilman Sauerbruch war von 1992 bis 2012 Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik I der Universitätsklinik Bonn sowie C-4 Professor an der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn.

Der Asteroid (13086) Sauerbruch und das Ferdinand-Sauerbruch-Gymnasium im sächsischen Großröhrsdorf wurden nach ihm benannt.

Veröffentlichungen

  • Ferdinand Sauerbruch im Sammelband: Hans Weberstedt Hg.: Deutschland fordert Gleichberechtigung. Eine Sammlung von Aufsätzen und Rundfunkreden über die Fragen der Gleichberechtigung, Sicherheit und Abrüstung. Armanen-Verlag, Leipzig 1933 (zus. mit den Antisemiten Johann von Leers, Wilhelm Ziegler u. a. Nazi-Größen).
  • Ferdinand Sauerbruch: Das war mein Leben. Kindler & Schiermeyer 1951, ständige Neuauflagen (Knaur, München 1995, ISBN 3-426-75026-0). Die Behauptung des Verlags, es handle sich auch nur entfernt um eine „Autobiographie“, wird von seinem Schüler Nissen bestritten; in: Helle Blätter, dunkle Blätter (172 ff.) beschreibt er genau die Entstehung des Textes zur Zeit schwerer Gedächtnisstörungen Sauerbruchs, der tatsächliche Autor war Hans Rudolf Berndorff, das Buch strotze von Irrtümern.
  • Ferdinand Sauerbruch und Rudolf Nissen: Allgemeine Operationslehre. Leipzig 1933.
  • Ferdinand Sauerbruch und Hans Wenke: Wesen und Bedeutung des Schmerzes. Berlin 1936.

Literatur

  • Werner E. Gerabek: Ferdinand Sauerbruch. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 22, Duncker & Humblot, Berlin 2005, ISBN 3-428-11203-2, S. 459 f. (Digitalisat).
  • Marc Dewey, U. Schagen, W. U. Eckart, E. Schönenberger: Ernst Ferdinand Sauerbruch and his ambiguous role in the period of National Socialism. In: Annals of Surgery. August 2006, Band 244, Heft 2, S. 315–321, PMID 16858197, PMC 1602148 (freier Volltext)
  • Tibor Doby: Development of Angiography and Cardiovascular Catheterization Littleton, Mass., USA, 1976, S. 123–126.
  • Wolfgang U. Eckart: Ernst Ferdinand Sauerbruch (1875–1951). In: Michael Fröhlich (Hg.): Die Weimarer Republik. Portrait einer Epoche in Biographien. Darmstadt 2002, S. 175–187.
  • Martin Friedrich Karpa: Die Geschichte der Armprothese unter besonderer Berücksichtigung der Leistung von Ferdinand Sauerbruch. Diss. med., RUB 2005 Volltext (PDF; 4,7 MB).
  • Rudolf Nissen: Helle Blätter, dunkle Blätter. Erinnerungen eines Chirurgen. DVA 1969, öfters Neuaufl., zuletzt: Reprint Ecomed, Landsberg 2001, ISBN 3-609-16029-2 (S. 186–188: Wiedergabe eines Briefes, den Sauerbruch im April 1933 an diesen seinen Schüler jüdischer Herkunft schrieb, um ihn (vergeblich) zum Bleiben in Nazi-Deutschland zu bewegen. Eine interessante Quelle, wie Sauerbruch zu dieser Zeit intern den Nationalsozialismus einschätzte.) Explizite Biographie Sauerbruchs im Kapitel Sauerbruch: S. 143 bis 180 als Gegen-Entwurf zu Das war mein Leben (sowie häufige Erwähnung Sauerbruchs passim). Sein vergeblicher Versuch, durch Verhandlungen das Berndorff-Buch in dieser Form zu verhindern.
    • Rudolf Nissen: Sauerbruch. Die Entwicklung der Chirurgie der Brustorgane. In: Hans Schwerte und Wilhelm Spengler (Hgg.): Forscher und Wissenschaftler im heutigen Europa. 2. Erforscher des Lebens. Mediziner, Biologen, Anthropologen. Stalling, Oldenburg 1955 (abweichende Verlagsorte: Bremen, Hamburg) Reihe: Gestalter unserer Zeit, Band 4.
  • Leo Norpoth: Ferdinand Sauerbruch (1875–1951). In: Rheinische Lebensbilder, Bd.1 (1961), hrsg. v. Edmund Strutz, S. 207–223.
  • Sabine Schleiermacher und Udo Schargen (Hg.): Die Charité im Dritten Reich. Zur Dienstbarkeit medizinischer Wissenschaft im Nationalsozialismus. Paderborn 2008, ISBN 3-506-76476-4.
  • Jürgen Thorwald: Die Entlassung. Das Ende des Chirurgen Ferdinand Sauerbruch. München 1983, ISBN 3-426-00011-3 (Das Buch war wegen seiner Aussagen Gegenstand rechtlicher Auseinandersetzungen).
  • Jörn Henning Wolf: Ferdinand Sauerbruch und seine kineplastische Operation zum Funktionieren der «willkürlich bewegbaren künstlichen Hand». In: Zs. Operative Orthopädie und Traumatologie. Urban & Vogel, Vol. 3, Nr. 3, Aug. 1991, S. 221–226 ISSN 0934-6694 Print; ISSN 1439-0981 Online.
  • Peter Schneck: Sauerbruch, Ferdinand. In: Wer war wer in der DDR? 5. AusgabeBand 2. Ch. Links, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4.
  • Wolfgang U. Eckart: Ferdinand Sauerbruch - Meisterchirurg im politischen Sturm. Eine kompakte Biographie für Ärzte und Patienten, Springer Wiesbaden 2016, ISBN 978-3-658-12547-9, Online Ressource Ferdinand Sauerbruch 2016.

Weblinks

Commons: Ferdinand Sauerbruch – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Dachkämmerchen der Wissenschaft. In: Der Spiegel vom 10. April 1989 (online, Zugriff am 30. September 2012).
  2. Philipp Osten: Als die Stadthalle zu einem Lazarett wurde. Während des Ersten Weltkrieges war der Festbau für die Bürger eine Militär-Krankenstation, Rhein-Neckar-Zeitung Heidelberg, Wöchentliche Beilage vom 20. Juli 2010, Heidelberg Ausgabe 28.
  3. Christoph Mörgeli. Der Sauerbruch-Skandal von 1915: Ein Chirurg politisiert. In: Schweiz. Rundschau Med. (Praxis) 77 (1988), No. 6, S. 123-127.
  4. Othmar Plöckinger: Geschichte eines Buches: Adolf Hitlers 'Mein Kampf' 1922–1945. München 2006, S. 30.
  5. Mitgliedseintrag von Ferdinand Sauerbruch bei der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, abgerufen am 21. Juni 2016.
  6. Appell von Prof. Dr. Sauerbruch und unsere Antwort. In: Internationales ärztliches Bulletin. Zentralorgan der Internationalen Vereinigung sozialistischer Ärzte. Prag, Januar 1934, S. 3 Internet Archive
  7. Die pro-nazistische Rede Sauerbruchs zur Verleihung bei Dewey u. a., siehe Lit., auch in der Online-Fassung (Appendix 3), in engl. Übersetzung aus dem Rundfunkarchiv 1938. Teilweise original, wie im Rundfunkarchiv überliefert (kursiv); teilweise Rückübersetzung aus dem Englischen (Auszug):

    „Zu dieser Zeit (1919) wuchsen aus dem Wirrwarr elementare nationale Kräfte langsam empor, noch ungeregelt und verwirrt, aber voller Kraft und Glaube. Dann kam der 9. November 1923, der Tag, an dem die erste nationale Machtprobe scheiterte. Unsere Hoffnungen wurden unter Enttäuschung und Verzweiflung begraben. In dieser großen, schicksalsträchtigen Zeit bestimmten entschlossene, gestaltende Arbeit und Anstrengung unser Leben. Damals wurden die Fundamente gelegt für die Errungenschaften, die heute durch den Führer höchste Anerkennung finden.

    Die Universitäten jener Zeit hatten die vornehme Aufgabe, zu bewahren, was bis dahin erreicht worden war, und ihr Ansehen im In- und Ausland zu befestigen [...]

    Es kam das Jahr 1933. Mit Hilfe des Führers kam die entscheidende Wende für unser Vaterland [...] Mit dem Nationalsozialismus vollzog sich eine Umgestaltung des völkischen Lebens auf allen Gebieten, von der auch die Medizin lebendige Wirkung empfing. Die Gemeinschaft der medizinisch Tätigen bewahrte das, was schon immer ihren Wert ausgemacht hatte; aber sie war zugleich offen für großartige neue Entwicklungen, die aus dem neuen Geist entstanden.

    Heute nehmen wir mit Stolz und innerer Freude die hohe Anerkennung wahr, die der Führer den deutschen Ärzten zollt, wir erleben sie auf eine wunderbare, eine erhebende Art. Die Ehrung, die zwei deutsche Chirurgen erhalten, bedeutet in einem tieferen Sinn eine Ehre und Genugtuung für die deutschen Ärzte, eine Anerkennung des deutschen Arzttums durch den Führer. Wir drücken unseren Dank für dieses Vertrauen aus, und es ist unser Wunsch, unseren vollen Einsatz zu geben, um wirkungsvoll an den großen Aufgaben mitzuarbeiten, die an unser Volk gestellt sind.

  8. Jörg Nimmergut: Deutsche Orden und Ehrenzeichen bis 1945. Band 4: Württemberg II – Deutsches Reich. Zentralstelle für wissenschaftliche Ordenskunde, München 2001, ISBN 3-00-001396-2, S. 1912.
  9. Ulrike Scheybal: Das Allgemeine Institut gegen die Geschwulstkrankheiten 1935−1945. In: Wolfgang U. Eckart (Hrsg.): 100 Years of Organized Cancer Research. Georg Thieme-Verlag, Stuttgart 2000, ISBN 3-13-105661-4, S. 51–55, speziell S. 52.
  10. Ernst Klee: Deutscher Menschenverbrauch Zeit, 28. November 1997, abgerufen 30. Januar 2015.
  11. Volker Klimpel: Sauerbruch und Ulbricht. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen 23, 2004, S. 418–427; hier: S. 422 f.
  12. Gründungsaufruf der CDU in Berlin (Memento vom 11. Juli 2006 im Internet Archive) (PDF; 157 kB).
  13. Helmut Wolff: Zur Entwicklung der Chirurgie und der chirurgischen Forschung in der DDR. Deutsche Gesellschaft für Chirurgie – Mitteilungen 1/2012, S. 1–8.
  14. Tod des Titanen. SPIEGEL 47/1960
  15. Mitteilung Helmut Wolff (November 2012).
  16. Rudolf Nissen (1969), S. 176 f.
  17. Volker Klimpel: Sauerbruch und Ulbricht., S. 418.
  18. knerger.de: Bild des Grabs von Ferdinand Sauerbruch.
  19. Diese zehn Straßen sollen umbenannt werden in: Onlineausgabe Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 2. Oktober 2015, abgerufen am 3. Oktober 2015.
  20. Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 2. Oktober 2015, S. 18.
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