Freikörperkultur

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Nacktbaden am Senftenberger See 1983

Die Freikörperkultur (FKK; auch Nacktkultur, Naturismus, Nudismus; für Unterschiede siehe unten) bezeichnet die gemeinschaftliche Nacktheit, vielfach im Freien, aber auch in Gebäuden (Sauna, Schwimmbad, Gymnastiksaal, Clubräume usw.). Anliegen dabei ist die Freude am Erlebnis der Natur oder auch am Nacktsein selbst, ohne das zwangsläufig mit Sexualität in Verbindung zu bringen.

Begriff und Abgrenzung

Freikörperkultur, Nudismus und Naturismus

Mitglieder eines FKK-Vereins in Florida, der Verband der Young Naturists and Nudists America entspricht der deutschen fkk-jugend

Die Anhänger dieser Kultur heißen traditionell Naturisten, FKKler oder Nudisten (lat. nudus „nackt“). Seit der weitgehenden Enttabuisierung der öffentlichen Nacktheit – in der Bundesrepublik Deutschland ungefähr seit den 1970er Jahren – wird auf einen besonderen Begriff für nackte Menschen zunehmend verzichtet. Während das Praktizieren der FKK noch in den 1950er Jahren streng auf Vereinsebene reglementiert war, etablierte sich Anfang der 1970er Jahre die freie („unorganisierte“) FKK: Man war überall dort nackt, wo es nicht explizit verboten war, was damals auch allgemein sozial akzeptiert war. Dieser Trend hielt jedoch nur etwa zwanzig Jahre lang an und wich dann geradezu einer FKK-Feindlichkeit. Mehr noch: Der Bikini wurde wieder vom einteiligen Badeanzug abgelöst; Miniröcke wichen langen Hosen usw. Die unverhältnismäßig starke Verbreitung der FKK in der DDR (wo sie allerdings hauptsächlich ein Ausdrucksmittel des politischen Protests war) konnte sich nach der Wiedervereinigung nicht halten. Mit dem Anlass für diesen Protest verschwand auch die Motivation für die FKK, und die FKK-Feindlichkeit, die sich im Westen gerade etabliert hatte, schwappte nun auch auf Ostdeutschland über, während sich die FKK-Begeisterung des Ostens nicht im Westen durchsetzen konnte.

Mit dem gleichzeitig einsetzenden Balkankrieg fiel zudem das ehemalige Jugoslawien als Urlaubsland aus, das als solches bis dahin wegen seiner niedrigen Preise sehr beliebt war. Da praktisch die gesamte jugoslawische Küste ein einziges Nacktbadegebiet war, was für das Land ein wichtiges touristisches Marketing-Instrument war, wurden dadurch auch Menschen an das Nacktsein herangeführt, die bisher noch keine Berührung damit hatten. Mit dem Balkankrieg verschwanden jedoch die Möglichkeiten zum Nacktbaden und -erholen dort weitgehend. Nach dem Krieg und der Zergliederung in Einzelstaaten hielt auch das westliche Preisniveau Einzug, was die Region zudem als lohnendes Urlaubsziel weit zurückwarf. Der große Impuls, der vor dem Krieg für den Naturismus von Jugoslawien ausgegangen war, fehlte nun. Nacktbadestrände wurden verkürzt oder einfach nicht mehr genutzt. Nackt-Badezeiten in den Schwimmbädern wurden gestrichen, einschlägige Zeitschriften und Bücher verschwanden von den Kiosken.

Radfahrerin beim World Naked Bike Ride in London, 2011

Der Begriff Freikörperkultur umfasst im deutschsprachigen Raum heute verschiedene Ausprägungen. Viele Anhänger beschränken sich mit der Ausübung auf Vereine, Campingplätze oder extra gekennzeichnete Strände. Der Naturismus ist ein Lebensstil, der weitere Ziele miteinschließt, z. B. Wandern, Radeln, Sport, Kanufahren in freier Natur, was gegenseitige Toleranz und Rücksichtnahme voraussetzt und mit ökologischem Engagement verbunden wird. In diesem Sinne steht der Naturismus in der Tradition der Lebensreform, auch wenn ihm deren asketische Tendenz (Verzicht auf Alkohol und Nikotin, Vegetarismus, Freiwirtschaft usw.) heute meist abgeht.

Außerhalb des deutschen Sprachraums werden die Begriffe Nudismus für Nacktkultur allgemein und Naturismus für den erweiterten Lebensstil verwendet. In vielen Ländern Europas hat man wohl durch die vielen deutschsprachigen Touristen auch das deutsche Fremdwort „FKK“ übernommen. Die Abkürzung FKK im Zusammenhang mit Freikörperkultur bürgerte sich in den deutschen Sprachgebrauch erst seit Ende der 1960er Jahre ein. Häufig wird im englischen Sprachraum die Bezeichnung „clothing optional“ (dt. „Kleidung optional“), im niederländischen der Begriff „naaktrecreatie“[1] verwendet, um zu verdeutlichen, dass Nacktheit toleriert beziehungsweise explizit erlaubt ist.

Die Bezeichnung Freikörperkultur ist erweitert aus Körperkultur, worunter Anfang des 20. Jahrhunderts die Hinwendung zum Körperlichen durch Sport, Wandern und andere Freizeitgestaltung in der Natur verstanden wurde. Dies galt als Gegenbewegung zu einem als „muffig“ empfundenen Bürgertum und einer beengten, städtischen Lebens- und Wohnsituation mit wenig Luft und Licht. Diese Bewegung mit bequemer und gesunder Kleidung vollzog dann zum Teil den Schritt zur Nacktheit und wählte den Zusatz frei- zum Hauptbegriff Körperkultur. Der Begriff Freikörperkultur trat dann zunehmend an die Stelle des zunächst bevorzugten Begriffs „Nacktkultur“, der auf starke Tabuschranken stieß. Der Ausdruck FKK hat als Synonym für nackt seit den 1970er Jahren auch sonst in viele Wortschöpfungen Eingang gefunden, zum Beispiel in FKK-Baden für Nacktbaden, FKK machen (oder … treiben) für Nacktsein generell.

Auch im 21. Jahrhundert werden in Deutschland öffentliche Badestellen, die zum Nacktbaden vorgesehen sind, meist als „FKK-Strand“ oder „FKK-Badestelle“ bezeichnet, obwohl viele dort badende Gäste keine besondere Kulturbewegung mit dem Baden ohne Bekleidung verbinden und vor allem deshalb nackt baden, weil sie Badekleidung schlicht als überflüssig und unpraktisch ansehen.

Dem Selbstverständnis der Anhänger einer nackten Lebensweise ist FKK- bzw. Naturismus folgendermaßen definiert:

„Sie [diese Lebensweise] kommt zum Ausdruck in der gemeinschaftlichen Nacktheit, verbunden mit Selbstachtung, sowie Respektierung der Andersdenkenden und der Umwelt. Gemeinschaftliche Nacktheit ist ein essentielles Kennzeichen des Naturismus, der die Naturelemente Sonne, Luft und Wasser völlig auswertet. Der Naturismus stellt das physische und psychische Gleichgewicht wieder her, indem er Erholung in einer natürlichen Umgebung bringt, durch Bewegung und Respekt für die Grundprinzipien von Gesundheits- und Ernährungslehre. Der Naturismus fördert viele Aktivitäten, die die Kreativität entwickeln. Völlige Nacktheit ist der geeignetste ‚Anzug‘, um eine Rückkehr zur Natur zu verwirklichen und ist mit Sicherheit der sichtbarste Aspekt des Naturismus, auch wenn sie nicht der einzige ist. Sie hat eine ausgleichende Wirkung auf Menschen, indem sie sie von Spannungen befreit, die durch Tabus und Provokationen der heutigen Gesellschaft verursacht sind, und den Weg zu einer einfacheren, gesunderen und menschlicheren Lebensweise zeigt.“

Definition der Internationale Naturisten Föderation (INF-FNI) vom Weltkongress Cap d’Agde, 1974

Abgrenzung zum Exhibitionismus

Der Begriff Nudisten wird zuweilen abwertend gebraucht und ihr Nacktsein in die Nähe von Exhibitionismus gerückt. Jedoch lässt sich auch eine klare Trennung ziehen: Der Exhibitionismus, zumindest im klinisch-pathologischen Sinne, besteht in der Lust an den schockierten Reaktionen anderer Menschen. Gerade im klassischen FKK-Kontext ist mit solchen Reaktionen nicht zu rechnen. Der Nudismus dringt jedoch zunehmend auch in die normale Öffentlichkeit vor, auch hier steht aber vielmehr die Lust am Nacktsein im Vordergrund.

Oft wird der Begriff Exhibitionismus allerdings auch in einem breiteren und allgemeineren Sinne als „Lust am Zeigen“ verwendet. Hier ist eine Überlappung, gerade mit neueren Formen des Nudismus, durchaus möglich. (siehe Freikörperkultur in der Gegenwart)

Geschichte

Anfänge im 18. Jahrhundert

In weiten Teilen Mitteleuropas badeten die Menschen bis ins 18. Jahrhundert hinein in Flüssen und Seen nackt, wenn auch oft nach Geschlechtern getrennt. Erst im späten 18. Jahrhundert begann hier die wirksame Tabuisierung der öffentlichen Nacktheit, die im dünner besiedelten Skandinavien nie durchgesetzt wurde. Parallel dazu propagierte und praktizierte Lord Monboddo (1714–1779) bereits im 18. Jahrhundert das Nacktbaden als Wiedererwachen der altgriechischen Nacktkultur. Es fand literarische Erwähnung in Georg Christoph Lichtenbergs (1742–1799) Buch Das Luftbad. Die bei weitem umfangreichste Sammlung zur historischen und aktuellen Situation der Freikörperkultur, die „Internationale FKK-Bibliothek“ (ehemals Sammlung Damm – Baunatal), befindet sich im Niedersächsischen Institut für Sportgeschichte in Hannover.

„Nacktkultur“ und Lebensreform-Bewegung bis zum Ersten Weltkrieg

Religiös begründeter Nudistenprotest von Duchoborzen-Extremisten (Sons of Freedom) in Langham (Saskatchewan, Kanada; kurz nach 1900)

1898 entstand in Essen der erste FKK-Verein. Um 1900 kam das Schwedisch-Baden im Raum Berlin und an Nord- und Ostsee immer mehr auf. Wenige Jahre zuvor war vielerorts ein gemeinsames Baden in der Öffentlichkeit – selbst in zeitgemäß umfänglicher Badebekleidung – offiziell verboten worden oder galt als unmoralisch. Ebenfalls um 1900 begann die naturistische Bewegung in Frankreich.

Hinter der Freikörperkulturbewegung stand – jedenfalls in Deutschland – eine Lebenseinstellung, nach welcher der nackte Körper kein Grund für Schamgefühle ist. Die im Sinne der FKK propagierte Nacktheit sollte nicht die Sexualität ansprechen; Erektionsverbote waren allgegenwärtig. In diesem Sinne gehört die Nacktheit unter der Dusche oder in der Sauna nicht zur Freikörperkultur, da sie hier praktisch notwendig ist. Sie setzte hier auch früher schon keinen besonderen Gruppenkonsens voraus und erforderte deswegen keine reservierten Zonen, wie etwa abgetrennte Strände oder Vereinsgelände.

Noch lange Zeit nach der politischen Liberalisierung versuchten konservative Kreise das besonders unter urbanen Intellektuellen zunehmend populäre Nacktbaden als Sittenverfall zu bekämpfen. Als Gegenbewegung dazu formierten sich vor allem in Preußen, das traditionell toleranter war als andere Länder des Deutschen Reiches, lebensreformerische und naturistische Nacktkultur (FKK)-Vereinigungen, von denen es bereits 1913 über 50 gab. Der hohe ideologische Anspruch dieser Vereine zeigt sich in Namen wie „Die neue Zeit“ u. ä.

Die frühen Protagonisten der FKK hatten unterschiedliche politische Ausrichtungen. Man wollte – pointiert formuliert – mit der Nacktheit entweder die Gleichheit aller Menschen erreichen oder aber die Rückkehr zu den abgehärteten, nackten Germanen, von denen der römische Schriftsteller Tacitus in seiner Germania berichtet. Wirklich ideologiefreie FKK-Vereine, die das Nacktsein einfach als die angenehmere und intensivere Art des Naturerlebnisses betrachtet hätten, gab es zu dieser Zeit kaum. Die Anhänger der FKK hatten zumeist einen evangelischen Hintergrund[2] und bezogen in die FKK auch verschiedene Ernährungslehren wie Rohkost oder Vegetarismus wie unterschiedliche esoterische Lehren wie die Mazdaznanlehre und die Neugeist-Bewegung mit ein. Es sind eher linke wie auch dezidiert antisemitisch bzw. völkisch ausgerichtete Varianten bekannt, so letzteres bei der Runengymnastik in enger Beziehung zur Ariosophie. Die anfängliche starke politische Pluralisierung trug dabei auch zur breiten Verbreitung sowie zur heutigen Anerkennung als ideologiefreie Nackterholung bei.[3]

Die größte europäische Sammlung zur Geschichte der FKK (ehemals Sammlung Damm – Baunatal) befindet sich im Niedersächsischen Institut für Sportgeschichte (NISH) in Hannover und ist nach vorheriger Anmeldung zugänglich.

Bekannte Persönlichkeiten, die zu jener Zeit als „FKK-Pioniere“ zur Entstehung und Verbreitung des Naturismus beitrugen, sind unter anderen:

  • Karl Wilhelm Diefenbach (1851–1913), Maler und FKK-Vorkämpfer
  • August Engelhardt (1875–1919), Aussteiger und Naturprediger, gründete in Neuguinea einen nudistischen „Sonnenorden“
  • Adolf Koch (1896–1970), Arzt und Sozialist
  • Heinrich Pudor (1865–1943), Früher Propagandist der Nacktkultur, völkisch-nationaler Publizist
  • Arnold Rikli (1823–1906), Schweizer Naturheiler, neuzeitlicher Begründer des Naturismus
  • Herbert Rittlinger (1909–1978), Weltreisender und Schriftsteller, der u. a. in seinen Büchern die Verbindung von FKK und Kanusport schildert
  • Hans Surén (1885–1972), Autor von FKK-Schriften, wegen seiner Nähe zur NS-Ideologie umstritten
  • Richard Ungewitter (1869–1958), Buchautor und erster Organisator der FKK-Bewegung

Der Naturismus in der Weimarer Republik und dem Dritten Reich

Nachdem 1920 in Deutschland der erste offizielle Nacktbade-Strand auf Sylt entstand, wurde das Nacktbaden außerhalb geschlossener Vereinsgelände ab 1931 wieder generell verboten und die FKK-Vereine nach 1932 entweder aufgelöst oder als Sportverbände in nationalsozialistische Organisationen, wie dem Bund für Leibeszucht, integriert. Am Ende der Weimarer Republik hatten die FKK-Vereine ca. 100.000 Mitglieder.[4]

Generell machte der Naturismus in den 1930er Jahren jedoch Fortschritte: Es entstand das Lichtschulheim Lüneburger Land (LLL) in Glüsingen (Lüneburger Heide). Die erste Doktorarbeit über die FKK-Bewegung wurde geschrieben. Am 5. Mai 1931 wurde in Leipzig das erste öffentliche FKK-Schwimmfest durchgeführt, Anfang August 1939 fanden in Thielle (heutige Gemeinde La Tène, Schweiz) die 1. Naturistischen „Olympischen Spiele“ statt. In Deutschland wurde das Verbot des Nacktbadens per Reichsverordnung vom 10. Juli 1942 gelockert, indem das Nacktbaden abseits von Unbeteiligten gestattet wurde. Es gab im Dritten Reich jedoch auch eine „rassistische Nacktkultur“, deren bekanntester Vertreter Hans Surén war und die die nationalsozialistischen Körperideale verherrlichte.[5]

FKK in der DDR

FKK-Strand an der Bugsine zwischen Golzow und Joachimsthal (1983)
Nacktbereich des Strandbads Müggelsee in Ostberlin (1989)

In der DDR war das Nacktbaden an offenen Badeseen und Gewässern (beispielsweise der Ostsee) seit den 1970er Jahren altersunabhängig weit verbreitet. An Gewässern, an denen das Baden offiziell gar nicht erlaubt war (Kiesgruben u. ä.), wurde vielfach nackt gebadet, an offiziellen Badeseen gab es häufig FKK-Bereiche. An der Ostsee gab es in den meisten Badeorten Strandabschnitte, die für FKK ausgewiesen waren. Häufig lagen diese links und rechts des textilen Abschnitts an der jeweiligen Hauptpromenade. Generell herrschte in der DDR, zumindest ab den 1970er Jahren, eine weitaus größere Toleranz gegenüber öffentlicher Nacktheit als in der Bundesrepublik.[6]

FKK-Verbotsschild am Strand von Warnemünde (August 1953)

Der Beginn des Naturismus in der DDR lag in den frühen 1950er Jahren in Ahrenshoop. In dem Badeort an der Ostsee entstanden Bereiche, in denen Künstler und Intellektuelle erstmals das Nacktbaden einführten. Die Region war ein Badeort der gesellschaftlichen Avantgarde der DDR, ein Urlaubsort für zahlreiche Schriftsteller, Schauspieler und Politiker. Es kam in den folgenden Jahren zu Konflikten zwischen bekleideten und unbekleideten Badegästen, bis die Gemeindeverwaltung Ahrenshoop im Mai 1954 das Nacktbaden verbot. Aus dieser Zeit stammt auch die später bekanntgewordene Anekdote, wonach der Kulturminister Johannes R. Becher eine nacktbadende Frau mit den Worten: „Schämen Sie sich nicht, Sie alte Sau?“ anschrie. Es handelte sich dabei um Anna Seghers, die er nicht erkannt hatte. Als Becher ihr wenige Wochen später den Nationalpreis erster Klasse mit den Worten „Meine liebe Anna“ überreichte, erwiderte Seghers für alle deutlich hörbar: „Für dich immer noch die alte Sau.‘“[7]

Mit dem Verbot des Nacktbadens regte sich bald Unmut innerhalb der FKK-Anhängerschaft, die auf eine erneute Legalisierung des Nacktbadens drängten. Unter anderem setzten sich Rudolf Bernstein, Chef des Progress Film-Verleihs sowie Werner Otto, Dramaturg an der Komischen Oper Berlin für das Nacktbaden ein. Das Nacktbaden wurde daraufhin in Ahrenshoop wieder erlaubt, blieb jedoch auf diese Region beschränkt. In anderen Teilen des Landes ging die Staatsführung weiterhin gegen Nacktbader vor. Zum Teil kam es zu eskalierenden Konflikten, wobei (vermeintlich) feindselige, bekleidete Badegäste zwangsentkleidet oder an Bäume gefesselt und beschimpft wurden. Auch kam es zu wilden und ausschreitenden Strandfesten, die sich zunehmend verbreiteten. Als Der Spiegel im September 1954 über die ostdeutsche Nudistenszene und die Konflikte berichtete,[8] sah die Staatsführung ihren internationalen Ruf gefährdet und verhängte ein vollständiges Nacktbadeverbot an der gesamten Ostseeküste. Auf diesen Entscheid regte sich nunmehr noch größerer Widerstand, zahlreiche Eingaben, Forderungsschreiben an politische Führung der DDR, die binnen Monatsfrist zu beantworten waren und ähnlich wie das Petitionsrecht fungierten, Protestbriefe und öffentliche Aufrufe folgten, bis die DDR-Führung das Verbot 1956 wieder zurücknahm. Es folgte die „Anordnung zur Regelung des Freibadwesens“, wonach „ein Baden ohne Schwimmbekleidung an Orten, zu denen jedermann Zutritt hat, dann gestattet sei, wenn diese Orte als ausdrücklich dafür von den zuständigen örtlichen Räten freigegeben und entsprechend gekennzeichnet sind.“ Das öffentliche Nacktbaden hatte nun in dafür ausgewiesenen Zonen volle Legalität und entwickelte sich spätestens mit der zunehmenden Liberalisierung der Gesellschaft ab den 1970er Jahren zur Massenbewegung.[9]

Nachkriegszeit bis 1980

1953 wurde in Hannover unter dem Einfluss der Jugendbewegung die fkk-jugend gegründet. Ihr ursprünglicher, vollständiger Name „fkk-jugend – Bund der Lichtscharen“ zeigt die fortdauernde ideologische Orientierung der deutschen FKK-Bewegung in den 1950er Jahren. Allerdings nahm die Tabuisierung des Nacktseins ab, nachdem um 1950 die ersten FKK-Urlaubsanlagen entstanden (1949/50 Centre-Hélio-Marin in Montalivet-les-Bains, Südfrankreich).

Ab Mitte der 1960er Jahre kam es zu einem starken Aufschwung des Naturismus, die Mitgliederzahlen der Vereine nahmen sprunghaft zu. Besondere Popularität erlangte durch ausgiebige Berichterstattung in den Medien der Nacktbadestrand bei Kampen auf Sylt; die Nackt-Badestrände und -Urlaubsanlagen in Jugoslawien (heute Kroatien), Frankreich und an der Ostseeküste wurden zu beliebten Urlaubszielen. Der Aufschwung der ,,Freiheit zum Nacktsein" ging zeitlich mit der gesellschaftlichen Liberalisierung der 68er-Bewegung einher. Ende der 1960er Jahre wurde die Nacktheit ein selbstverständliches Ausdrucksmittel etwa des Theaters und der Aktionskunst. Auch diese kulturelle Entwicklung spiegelt die zunehmende Besinnung der Menschen auf ihre Freiheitsrechte und die Ablehnung der von Staat oder Kirchen gesetzten Normen.

Entwicklung seit etwa 1980

Nackterholungsstrand in Leucate, Frankreich

Ab dem Jahr 1979/80 sorgten die „Nackerten“ vom Englischen Garten in München für Aufsehen. Immer öfter nutzten in den Sommermonaten Münchner aller Altersgruppen den zentral gelegenen Ort, um nackt zu sonnen oder im Eisbach zu schwimmen. Nach kurzen und eher halbherzigen Versuchen der Münchner Stadtverwaltung und Polizei, den spontanen Naturismus zu unterbinden, wurde das Nacktsein in zwei recht großen Bereichen des Englischen Gartens offiziell erlaubt. Der Englische Garten wurde damit zum weltweit ersten frei zugänglichen (und auch nicht durch Sichtschutz abgegrenzten) innerstädtischen Nackterholungsgebiet. Es folgten ähnliche Bereiche an Berliner Seen (Badewiese Halensee) und eine starke Zunahme inoffizieller, aber geduldeter Nacktbademöglichkeiten an Seen, Stränden und Flüssen. Auch die spontane Nacktheit etwa auf Rockkonzerten und Festivals (Roskilde, Burning Man, Nambassa u. a.) nahm zu. Zur gleichen Zeit nahm auch in der DDR das Nacktbaden und -wandern weiter zu und fand teilweise allgemeine Verbreitung. Mehrere Reiseanbieter gingen dazu über, ihre Nackt-Urlaubs-Angebote nicht mehr separat zu präsentieren, sondern sie in ihre allgemeinen Kataloge zu integrieren; ähnlich verfuhren die Verleger von Campingführern.

Parallel mit dieser weitgehenden Enttabuisierung wurde es für FKK-Vereine immer schwieriger, Mitglieder zu werben. Die Möglichkeit zur gemeinschaftlichen Nacktheit reichte als einziger oder auch nur primärer Vereinszweck immer weniger aus. Die Zahl der FKK-Vereinsmitglieder sank von etwa 150.000 Anfang der siebziger Jahre auf etwa 60.000 Ende der Neunziger.[10]

Gegenwart

Nackt auf einem Straßenfest
Datei:Mehndi 3.jpg
Nacktheit auf dem Burning Man-Festival

Die Präsenz von Nacktheit hat in den Medien seit den 1960er-Jahren stark zugenommen, nackte Menschen sind zu einem Bestandteil der Medien geworden. Für viele Menschen ist Nacktheit am Strand inzwischen kein Problem, während die Zahl der in Vereinen organisierten Naturisten zurückgeht. Laut Kurt Fischer, Präsident des Deutschen Verbandes für Freikörperkultur (DFK), haben die Vereine 45.000 Mitglieder, jedoch zählen zirka sieben Millionen Deutsche zu den Anhängern des nackten Badens.[11][12]

In neuester Zeit gibt es seitens Gruppen von Nackt-Aktivisten, so genannten Nacktivisten, Bestrebungen, möglichst in jeder Lebenslage nacktiv zu sein und die Zulässigkeit des Nacktseins auch auf den gesamten öffentlichen Raum auszudehnen. Die Erwartung an ihre Umgebung sind dabei hoch: „Nur sehr wenige stören sich an uns – und die, die es tun, müssen eher was an ihrer Einstellung ändern“.[13] Zunehmend werden über Internet-Foren Nacktivitäten organisiert wie Nacktwander- und Nacktradeltouren, Nacktrudern oder Nacktreiten. Im Jahr 2009 wurde in Braunlage im Harz der erste „Nacktrodelwettbewerb“ ausgetragen[14] und 2010 wiederholt. Wie bei vielen ähnlichen Anlässen ging es dabei jedoch vorwiegend um eine Werbekampagne eines privaten Radiosenders. Nacktparties sind ein aktueller Trend bei US-amerikanischen Studenten, laut der New York Times sei „es sehr hip geworden, dort hin zu gehen“.[15]

Weitere vereinzelte Äußerungen wurden auch schon als „neuer Lifestyletrend“ missverstanden; Shakira gab sich als FKK-Anhängerin[16] und Gwyneth Paltrow betreibe Nacktjoga.[17]

Dem vorhandenen Bedürfnis nach Nacktheit wird jedoch auch kommerziell begegnet: So wurden von einem Reiseveranstalter im Jahr 2008 Flugreisen angekündigt, auf denen man sich im Flugzeug nackt aufhalten könnte.[18] Letztlich wurde dieses Angebot trotz großer Resonanz jedoch zurückgezogen.[19]

Im selben Jahr wurde in Wernigerode im Harz vom Harzer Verkehrsverband (HVV) ein Nacktwanderweg in Planung gegeben[20] und 2010 eröffnet. Als Harzer Naturistenstieg nahe Dankerode[21] erfüllt er ebenso wie der Naturistenweg bei Undeloh[22] alle Kernaussagen der Lebensphilosophie des DFK.

Der Umfang des organisierten FKK-Lebens in Vereinen ist in den letzten Jahren stark zurückgegangen, da auch hier der Nachwuchs ausbleibt. Ein Grund mag darin liegen, dass inzwischen das Nacktbaden an Stränden, in Saunaanlagen[23] von Hallenbädern und in Thermalbädern weit verbreitet ist. Auch ist die Akzeptanz von Nacktheit in der Öffentlichkeit mittlerweile recht hoch, so dass es keine klare Gegnerschaft mehr gibt.[24]

Street Parade, San Francisco

Nacktsein in der Öffentlichkeit wird auch als Protesthaltung bei Demonstrationen eingesetzt (etwa gegen Studiengebühren, gegen die Globalisierung oder für mehr Tierschutz). Jedoch ist hier ein ähnlicher Effekt wie im Theater erkennbar: Das Ausdrucksmittel verliert durch Alltäglichkeit an Kraft. Also muss wieder das Argument oder die schauspielerische Leistung überzeugen. Die Nacktheit ist nicht mehr dominantes, sondern nur noch beiläufiges oder ergänzendes Ausdrucksmittel.

Nackt-Veranstaltungen

Zahlreiche Veranstaltungen sind in den letzten Jahren entstanden, die öffentliche Nacktheit als zentralen Bestandteil haben oder aber zumindest viele Teilnehmer nackt sind. Meist steht der Spaß und die politische Botschaft im Vordergrund, weniger die Freude am Nacktsein.

World Naked Bike Ride

World Naked Bike Ride in Saragossa

Der World Naked Bike Ride (WNBR) ist gemäß Definition auf der Webseite[25] ein internationales Protestevent mit Spaßcharakter gegen den Raumbedarf des Automobilverkehrs und dessen Gefahren. Der WNBR findet seit 2001 regelmäßig jedes Jahr im Juni statt. Ausgetragen wird der WNBR in zahlreichen Städten weltweit, wobei der größte „ride“ in London stattfindet, die Gründungsstadt ist Saragossa in Spanien.

Dabei wird Wert auf Freiheit und Optionalität gelegt. Das Fahrradfahren ist nicht verbindlich, ebenso sind andere nicht-motorisierte Teilnehmer wie Inliner, Skateboarder, Fußgänger willkommen, ebenso ist Nacktheit für die Teilnahme nicht verbindlich. Die Botschaft liegt darin, sich frei und uneingeschränkt im Straßenraum bewegen zu können, ohne die Rechte anderer einzuschränken und so zu einem positiven, urbanen Lebensgefühl beizutragen.[26]

Fremont Summer Solstice Parade

Fremont Summer Solstice Parade in Seattle (2012)

In Seattles Stadtteil Fremont findet jährlich zur Sommersonnenwende eine große Nackt-Parade statt, die Teilnehmer bewegen sich hauptsächlich auf Fahrrädern.

Ähnlich wie beim WNBR stellt die Nacktheit der Teilnehmer ein Element dar, ist jedoch nicht verbindlich. Die Parade ist bekannt für das hohe Ausmaß an Körperbemalung; die meisten der Teilnehmer sind mehr oder weniger bemalt. Die Fremont Summer Solstice Parade ist erklärtermaßen ein Straßenkarneval vergleichbar mit dem Berliner Karneval der Kulturen. Der Spaß sowie der kunstvolle, kreative Ausdruck stehen hier im Vordergrund, während der politische Anspruch geringer ausgeprägt ist.

Roskilde Naked Race

Auf dem Musikfestival Roskilde in Dänemark hat sich inzwischen das vom Festival-Radio organisierte, alljährliche Naked Race (dän.: nøgenløbet) etabliert.[27] Dabei treten ca. 30 der insgesamt 115.000 Festivalteilnehmer zu einem Nacktlauf an, bei dem die Gewinner ein Ticket für das nächstjährige Festival bekommt. Das Rennen hat inzwischen Kultstatus. Das Rennen hat reinen Spaßcharakter, die Gewinnerin des Jahres 2009 beschreibt die Erfahrung mit den Worten: The best thing about being naked is that you transcend boundaries (Das beste am Nacktsein ist seine Grenzen zu transzendieren).[28][29]

Internationaler Naturistenlauf

Alljährlich findet am Rosenfelder Strand an der Ostsee das FKK-Familientreffen „Mee(h)r erleben“ statt. Der Höhepunkte dieser Veranstaltung ist der Internationale Naturistenlauf.

Folgende Wettkämpfe werden ausgetragen: 500 Meter-Nachwuchslauf, 5.000 Meter und 10.000 Meter Laufen, sowie 5.000 Meter Walking und Nordic Walking. Der Lauf erfreut sich zunehmender Beliebtheit (Teilnehmerzahlen: im Jahr 2011 – 92 Teilnehmer; im Jahr 2012 – 119 Teilnehmer; im Jahr 2013 – 131 Teilnehmer; im Jahr 2014 - 192 Teilnehmer; im Jahr 2015 - 201 Teilnehmer). Die Läuferinnen und Läufer kommen aus Deutschland, Dänemark, Schweden, Finnland, Niederlande, Frankreich, Spanien, Schweiz und sogar aus Indien, Indonesien, Australien, Amerika und der Dominikanischen Republik. Diese Laufveranstaltung ist ein naturistisches Breitensportangebot, deshalb nehmen neben professionellen Läufern auch viele Freizeitsportler teil. Eines verbindet jedoch alle Starterinnen und Starter, sie laufen ausnahmslos „nackt“. Nur Laufschuhe und -socken, Kopfbedeckung, sowie bei Frauen ein Sport-BH sind erlaubt.

Der Internationale Naturistenlauf wird durch die FKK-Verbänden INF (Internationalen Naturisten Föderation), DFK (Deutscher Verband für Freikörperkultur), FSG (Familien-Sport-Gemeinschaft Nordrhein-Westfalen) und VFN (Verband für Familiensport und Naturismus Nord e. V.) unterstützt.

Naked Pumpkin Run

Naked Pumpkin Run 2010

Der Naked Pumpkin Run ist ein alljährlich zu Halloween stattfindender Nacktlauf in verschiedenen Städten der Vereinigten Staaten. Er wird seit 1998 in mehreren großen Städten der USA durchgeführt. Teilnehmer des Laufes tragen das typische Symbol für Halloween, den ausgehöhlten Kürbis, der auch namensgebend für die Veranstaltung ist.

Regionale Unterschiede

Deutschland

Der Historikerin Dagmar Herzog zufolge ist die Kultur öffentlicher Nacktheit in Deutschland stärker ausgeprägt als in anderen westlichen Ländern. So war Deutschland Vorreiter der FKK-Bewegung, andere Länder wie England, Belgien und auch die USA folgten später. Herzog zufolge ist das entspannte deutsche Verhältnis zur Nacktheit zurückführbar „auf den Aufstand der 68er gegen die Heuchelei der 1950er Jahre, ferner die Normalität des Nacktbadens in der DDR und der Fitness- und Wellnessboom der 1980er und 1990er Jahre.“[30]

Nach der Wiedervereinigung wurde das Nacktbaden in den neuen Bundesländern zurückgedrängt. Besonders an den Ostseestränden kam es in den 1990er Jahren zu Konflikten um das Nacktbaden, in deren Folge einige Kommunen die FKK-Strände wieder verkleinerten. An einigen Binnenseen in Mecklenburg und anderen Regionen im Osten Deutschlands hat sich die ungezwungene Nacktheit trotzdem weitgehend erhalten. Auch an der Ostsee wurden die Gepflogenheiten zuletzt wieder etwas lockerer. Inzwischen ist es an vielen ehemals textilfreien Orten weitgehend akzeptiert, sowohl bekleidet als auch nackt zu sein. Ausnahme bilden ausgesprochene Textilstrände und von FKK-Vereinen betriebene Strandabschnitte und Seen.

Laut einer 2014 durchgeführten Studie ist Deutschland weltweit das Land mit der größten Akzeptanz für's Nacktsein: rund ein Drittel aller Befragten gab an, schon einmal nackt in der Öffentlichkeit gewesen zu sein.[31][6][32]

Andere Länder

In vielen Kulturen der Welt wird Nacktheit in der Öffentlichkeit als anstößig betrachtet und ist – außer in bestimmten Zusammenhängen – verboten. Unter dieses Verbot kann bereits die Entblößung des Oberkörpers bei Frauen fallen. So sorgte ein Streit zwischen der deutschen Ostseegemeinde Ahlbeck sowie dem benachbarten polnischen Swinemünde für Aufsehen: Während in der DDR Nacktbaden verbreitet war und bis in die Gegenwart an ostdeutschen Stränden vielfach Textil- und Nacktbader gemischt auftreten, ist in Polen die Freikörperkultur kaum ausgeprägt. Nachdem im Zuge der EU-Osterweiterung die Grenzbarriere fiel, gerieten häufig polnische Badegäste unvorbereitet unter nackte Menschen, worauf die Polen empört reagierten. Dies führte bis hin zu politischen Verstimmungen zwischen den beiden Gemeinden.[33]

In der UdSSR konnte man wegen Nacktbaden verhaftet werden. Erst Glasnost und Perestroika Mitte der 1980er Jahre erleichterte den Naturisten in Russland nach ihrer Fasson zu leben. Von 1992 bis 1995 gab es einen Boom. Im Jahre 1995 wurde der erste Verein in Moskau offiziell anerkannt und damit legal. 2006 hatte er etwa 200 Mitglieder. Im Silberwäldchen (Серебряном Бору, Serebrjany Bor) liegt der bekannteste FKK-Strand bei Moskau. Die Gesamtzahl der offiziellen und erlaubten Strände ist überschaubar.[34]

In den Vereinigten Staaten gibt es in den warmen Gegenden zahlreiche Urlaubs-Privatgelände, wo das Nacktsein erlaubt oder sogar erforderlich ist. Dagegen wird das Nacktsein an öffentlichen Badestränden nahezu überall rechtlich untersagt. In San Francisco, einer traditionell sehr liberalen Stadt, sprach sich die Stadtvertretung im November 2012 für ein Verbot öffentlicher Nacktheit in der Stadt aus. Diese Entscheidung zog Proteste und Demonstrationen nudistischer Bürger nach sich.[35] Arnd Krüger hat die historische Entwicklung der FKK-Bewegungen in Deutschland und den USA verglichen und gezeigt, dass in Deutschland ein starker Nationalismus dahinter stand, während in den USA von Anfang an Vermarktungsinteressen dominierten.[36]

In Frankreich setzt sich die Aktivistengruppe Association pour la promotion du naturisme en liberté (APNEL) dafür ein, überall im öffentlichen Raum nackt sein zu können.

Rechtliche Aspekte öffentlicher Nacktheit

„Der FKK-Strand darf nur bekleidet verlassen werden.“ Schild in Westerdeichstrich.

Deutschland

Während Nacktheit am Strand und Badeseen weitgehend geduldet ist und keine rechtlichen Konsequenzen nach sich zieht, ist Nacktheit außerhalb dieses Kontextes bisher mitunter sanktioniert worden.[13]

In Deutschland ist öffentliche Nacktheit ohne sexuellen Bezug für sich nicht strafrechtlich verboten, wird jedoch gelegentlich wegen Belästigung der Allgemeinheit nach § 118 OWiG als Ordnungswidrigkeit mit Bußgeld belegt.[37]

Internationale Entwicklungen

Öffentlicher Nacktheit wird von Behördenseite mancherorts durch Verbote begegnet. So erließ die Stadt Brattleboro in den Vereinigten Staaten im Jahr 2007 ein Verbot öffentlicher Nacktheit, nachdem Jugendliche immer öfter nackt in der Stadt auftauchten.[38][39]

In der Schweiz hat im stark katholisch geprägten Kanton Appenzell Innerrhoden die Landsgemeinde (das wahlberechtigte Stimmvolk als höchstes politisches Organ) vom 26. April 2009 Artikel 15 des kantonalen Übertretungsstrafrechts dahingehend ergänzt, dass fortan ein „öffentlich anstössiges, Sitte oder Anstand verletzendes Verhalten“ als Offizialdelikt bestraft wird. Obwohl nicht ausdrücklich genannt, wurde diese Bestimmung hauptsächlich mit Blick auf das Nacktwandern aufgenommen. Es handelt sich dabei nicht um eine Neu-Einführung eines Verbots, sondern um eine ununterbrochene und ansonsten kaum beachtete Praxis in mehreren Kantonen.[40] Das Bundesgericht in Lausanne hat am 17. November 2011 diese Bestimmung als zulässig und auf das Nacktwandern anwendbar erklärt[41] (vgl. dazu auch den Abschnitt „Wandern“ im Artikel „Nacktsport“).

In Polen wird öffentliche Nacktheit, teilweise auch an den öffentlichen Stränden, von Amts wegen verfolgt, wenn sie von Amtsträgern vor Ort oder über Videoüberwachungssysteme[42] bzw. ortsfeste Geschwindigkeitsmessanlagen[43] festgestellt wird, ohne dass es Geschädigte (belästigte Personen) gibt. Nach dem polnischen Vergehensgesetzbuch (kodeks wykroczeń) kann sie als Ungehörigkeitsvergehen mit Arrest, einer Geldbuße von bis zu 1.500 PLN (ca. 350 €) geahndet werden.[44] Bei Frauen wird bereits „oben ohne“ als Ungehörigkeit bestraft.

Die in Freiburg im Breisgau ansässige Bürgerinitiative Wald-FKK und ähnliche Initiativen in Großbritannien traten für die Anerkennung der öffentlichen Nacktheit als Bürgerrecht ein.[45] Das galt für die Jahre 1999 bis 2005, während ab 2007 keine derartige Aktivität mehr auffindbar ist.

Naturismus als Wirtschaftsfaktor

FKK-Anlage in Leucate, Frankreich
FKK-Golfanlage

In Deutschland wird der Markt für FKK-Ferien auf etwa zehn Millionen Urlauber jährlich geschätzt. Führende Reiseziele in diesem Segment sind derzeit Frankreich und Kroatien. Allein in Frankreich gibt es über 100 naturistische Feriendörfer und Campingplätze, der jährliche Umsatz erreicht einen dreistelligen Millionenbetrag.

Viele Urlaubsorte und Regionen versuchen sich durch entsprechende Angebote an Nacktstränden und Resorts hervorzuheben. In Deutschland sind Sylt und die Ostseeküste bekannt als FKK-freundliche Urlaubsregionen. In Frankreich haben sich das Tal der Cèze, die Biskayaküste und Orte wie Montalivet-les-Bains, Leucate oder Cap d’Agde einen solchen Ruf erworben.[46]

Darüber hinaus werden Tourismusangebote speziell für Nudisten vermarktet. Das Angebot reicht von Campingplätzen[47], Golfplätzen[48] und Fitnesscentern[49] bis hin zu Segeltörns[50] und Safaritouren.[51] Auch auf einigen großen Kreuzfahrtschiffen wie der AIDAdiva befinden sich gesonderte FKK-Bereiche.[52] Der Kreuzfahrtveranstalter Carnival Cruise Lines stellt einmal jährlich das Schiff Carnival Freedom für eine einwöchige FKK-Kreuzfahrt in der Karibik zur Verfügung. Mit zirka 3000 Passagieren ist dies die weltweit größte Nudistenkreuzfahrt.[53]

Literatur

  • Michael Andritzky, Thomas Rautenberg (Hrsg.): „Wir sind nackt und nennen uns Du“. Von Lichtfreunden und Sonnenkämpfern. Eine Geschichte der Freikörperkultur. Anabas-Verlag, Gießen 1989, ISBN 3-87038-142-6 (Fesselnde Kulturgeschichte der FKK-Bewegung von Kaisers Zeiten bis in die 1970er).
  • Volkmar Ellmauthaler: Nackt. Das Buch. 24 Versuche über das Natürliche. (444 Seiten, 65 Fotos, 7 Graphiken, 83 Literaturhinweise. Sachbuch) – Wien: edition L 2012. ISBN 978-3-902245-07-6.
  • Achim Freudenstein: Jugenderziehung durch Freikörperkultur. Eine Dokumentation. 4. durchgesehene Auflage. Freudenstein, Edermünde 2005, ISBN 3-932435-17-6, 126 S.
  • Michael Grisko (Hrsg.): Freikörperkultur und Lebenswelt. Studien zur Vor- und Frühgeschichte der Freikörperkultur in Deutschland. Kassel University Press, Kassel 1999, ISBN 3-933146-06-2.
  • Arnd Krüger: Zwischen Sex und Zuchtwahl. Nudismus und Naturismus in Deutschland und Amerika. In: NORBERT FINZSCH & HERMANN WELLENREUTHER (Hrsg.): Liberalitas: Eine Festschrift für Erich Angermann (⇐ Transatlantische Studien Bd. 1). Stuttgart: Steiner. 1992, 343–365, ISBN 3-515-05656-4.
  • Thomas Kupfermann: Sommer, Sonne, Nackedeis. FKK in der DDR. Eulenspiegel-Verlag, Berlin 2008, ISBN 978-3-359-01667-0.
  • Maren Möhring: Marmorleiber. Körperbildung in der deutschen Nacktkultur (1890–1930) (= Kölner Historische Abhandlungen. Bd. 42). Böhlau, Köln u. a. 2004, ISBN 3-412-14904-7 (Zugleich: München, Univ., Diss., 2001: Nackte Marmorleiber und organische Maschinen).
  • Maren Möhring: Nacktheit und Leibeszucht. Die FKK-Praxis im Nationalsozialismus. In: Paula Diehl (Hrsg.): Körper im Nationalsozialismus. Bilder und Praxen. Fink u. a., München u. a. 2006, ISBN 3-7705-4256-8, S. 211–228.
  • Lutz Thormann: „Schon die Augen der Nation!“ Zum Verhältnis von Nacktheit und Öffentlichkeit in der DDR. In: Ulrike Häußer, Marcus Merkel (Hrsg.): Vergnügen in der DDR. Panama-Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-938714-04-1, S. 385–404.
  • Bernd Wedemeyer-Kolwe: „Der neue Mensch“. Körperkultur im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Königshausen & Neumann, Würzburg 2004, ISBN 3-8260-2772-8 (Zugleich: Göttingen, Univ., Habil.-Schr., 2002).
  • Interview mit dem Historiker Hans Bergemann über die Geschichte der FKK in der Zeitschrift Der Freitag vom 19. Juli 2002 (online).

Weblinks

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Einzelnachweise

  1. Bsp. Zeeland
  2. Der neue Mensch: Körperkultur im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Bernd Wedemeyer-Kolwe Verlag Königshausen & Neumann, 2004, ISBN 3-8260-2772-8, z. B. S. 174.
  3. Der neue Mensch a. a. O. S. 262 ff.
  4. Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft
  5. Barbara Schleicher: Gesunde Bräune? Wiener Zeitung, 17. August 2001, archiviert vom Original am 22. Januar 2011; abgerufen am 19. November 2013.
  6. a b Jennifer Köllen: Deutschland führt im FKK-Ranking: "Wozu die nasse Klamotte?" In: Spiegel Online. 30. Juli 2014, abgerufen am 4. Januar 2015.
  7. Rainer Moritz: Anna Seghers nackt - und noch mehr Funde. In: welt.de. 16. Juni 2007, abgerufen am 4. Januar 2015.
  8. Kamerun an der Ostsee. In: Der Spiegel. Nr. 37, 1954 (online).
  9. Solveig Grothe: FKK in der DDR: Aufstand der Nackten. In: Spiegel Online. 10. Juni 2008, abgerufen am 4. Januar 2015.
  10. Geschichte der Freikörperkultur: Ein Leben lang nackt. In: Spiegel Online. 2. Januar 2001, abgerufen am 4. Januar 2015.
  11. Hilmar Poganatz: Was Nudisten am Nacktsein so begeistert. In: welt.de. 13. Juni 2008, abgerufen am 4. Januar 2015.
  12. FKK-Präsident: Rund sieben Millionen Deutsche verzichten im Urlaub auf Kleidung / 45.000 sind in Vereinen organisiert – maerkischeallgemeine (Memento vom 19. Oktober 2008 im Internet Archive)
  13. a b Hilfe, die Nackten kommen – Stadt. In: tz.de. 10. März 2009, abgerufen am 4. Januar 2015.
  14. Harz: Erster Nacktrodel-Meister ermittelt. In: Focus Online. 8. März 2009, abgerufen am 4. Januar 2015.
  15. Malte Arnsperger: Nackt-Partys: Ausziehen statt büffeln. In: stern.de. 9. Januar 2007, abgerufen am 4. Januar 2015.
  16. RP ONLINE: Leben wie Eva im Paradies: Shakira wäre gern immer nackt. In: rp-online.de. 1. August 2006, abgerufen am 4. Januar 2015.
  17. Sylvie-Sophie Schindler: FKK-Lifestyle: Die neuen Nackten. In: stern.de. 24. September 2008, abgerufen am 4. Januar 2015.
  18. Georgina Prodhan, Reuters: Nackt-Flüge: FKK-Abenteuer in luftiger Höhe. In: stern.de. 29. Januar 2008, abgerufen am 4. Januar 2015.
  19. FKK Flug: Reisebüro streicht Nacktflug. In: Focus Online. 23. Mai 2008, abgerufen am 4. Januar 2015.
  20. FKK in Wanderschuhen: Harzer Verkehrsverband plant Nacktwanderweg. In: Spiegel Online. 22. September 2008, abgerufen am 4. Januar 2015.
  21. DFK-Verbandszeitschrift Der Naturist, Jahrgang 15, Nr. 6, Dezember 2009, S. 20.
  22. Naturistenweg Undeloh
  23. Gerald Ganglbauer: Saunakultur in Österreich. In: gangway.net. 8. Januar 2015, abgerufen am 8. Januar 2015.
  24. Naturisten ärgern sich über schamlose Nudisten'. Archiviert vom Original am 2. März 2010; abgerufen am 5. Januar 2015. In: Stuttgarter Nachrichten.
  25. Nackte Radfahrer protestieren gegen die Zumutung des Automobilverkehrs
  26. World Naked Bike Ride. Abgerufen am 4. Januar 2015.
  27. Nøgenløbet er slut på Roskilde Festival 2010. In: kpn.dk. 20. November 2012, abgerufen am 4. Januar 2015.
  28. Relaxing at Roskilde – Copenhagen Post. Official Festival Site (Memento vom 19. Januar 2011 im Internet Archive)
  29. SIGRID HVIDSTEN: Skulle bare delta i nakenløpet - Festival - Dagbladet.no. In: dagbladet.no. 3. Juli 2008, abgerufen am 4. Januar 2015.
  30. Bettina Seipp: Nacktheit – Ein urtypisch deutsches Phänomen. In: welt.de. 15. September 2009, abgerufen am 4. Januar 2015.
  31. Rebecca Schuman: Germans Love Getting Naked at the Beach. So Should We. In: slate.com. 22. Juli 2014, abgerufen am 4. Januar 2015.
  32. Germans most likely to go nude - Telegraph. In: telegraph.co.uk. 17. Juli 2014, abgerufen am 4. Januar 2015.
  33. Usedom: Deutsch-polnischer Strand erhält FKK-Warnschilder. In: Spiegel Online. 25. Mai 2009, abgerufen am 4. Januar 2015.
  34. Moskauer Nächte: Millionäre, Miliz und Melancholie, Spiegel.tv, 3. Juni 2006, 1:09:32; 1:23:40.
  35. Nudistenverbot: San Francisco will keine Nackten mehr. In: fr-online.de. Abgerufen am 4. Januar 2015.
  36. Arnd Krüger: Zwischen Sex und Zuchtwahl. Nudismus und Naturismus in Deutschland und Amerika. In: Norbert Finzsch, Hermann Wellenreuther (Hrsg.): Liberalitas: Eine Festschrift für Erich Angermann (Transatlantische Studien, Bd. 1). Stuttgart: Steiner. 1992, 343–365, ISBN 3-515-05656-4. eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  37. Der Westen.de: Sunderner skatet nackt im Vogelschutzgebiet. In: derwesten.de. 30. Januar 2009, abgerufen am 4. Januar 2015.
  38. Town well-known for nakedness outlaws public nudity. In: Herald Tribune (Memento vom 10. Oktober 2007 im Internet Archive)
  39. Tom Leonard: Nude visitors test Brattleboro's blind eye policy - Telegraph. In: telegraph.co.uk. 16. Juli 2007, abgerufen am 4. Januar 2015.
  40. Monica Müller: Nacktwanderer muss für Ausflug teuer bezahlen. In: tagesanzeiger.ch. 20. Januar 2011, abgerufen am 4. Januar 2015.
  41. Entscheid 6B 345/2011.
  42. Biegali nago po Rynku. Dostali po 500 zł mandatu. In: onet.pl. 22. Februar 2013, abgerufen am 25. Februar 2013 (polnisch).
  43. Fotoradar złapał golasa na rowerze. "Tłumaczył, że miał stringi". In: tvn24.pl. 5. Oktober 2012, abgerufen am 25. Februar 2013 (polnisch).
  44. Kodeks wykroczeń – wykroczenia przeciwko obyczajowosci publicznej (Vergehen gegen die öffentlichen Sitten)
  45. Nackt im Grünen: Ohne Notfallunterhose im Wald. (Memento vom 15. März 2009 im Internet Archive) ARD
  46. Département Hérault – Südfrankreich-Netz
  47. FKK-CampingDer FKK-Reiseführer
  48. [1] 10 Coolest Golf Courses
  49. Spanish gym launches nudist workout sessions to win back businessThe Australian
  50. Hüllenlos in See stechen: Nacktschiff vor der Küste Kroatiens – Reise. In: hna.de. 22. Oktober 2010, abgerufen am 4. Januar 2015.
  51. Nudisten und FKK: Warum sind Menschen so gern nackt? In: bild.de. 24. September 2009, abgerufen am 4. Januar 2015.
  52. Claudia Pientka: Aida Diva: Ein bisschen Aida für alle. In: stern.de. 18. April 2007, abgerufen am 4. Januar 2015.
  53. Philipp Schwenke: Nackt im Wind - Gesellschaft/Leben. In: sz-magazin.sueddeutsche.de. 15. März 2013, abgerufen am 4. Januar 2015.