Serse

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Werkdaten
Titel: Xerxes
Originaltitel: Serse
Form: Opera seria
Originalsprache: Italienisch
Musik: Georg Friedrich Händel
Libretto: unbekannt
Literarische Vorlage: Nicolò Minato, Il Xerse (1654) und Silvio Stampiglia (1694)
Uraufführung: 15. April 1738
Ort der Uraufführung: King’s Theatre, Haymarket, London
Spieldauer: 3 Stunden
Ort und Zeit der Handlung: am Hellespont, um 480 v. Chr.
Personen
  • Serse, König von Persien (Sopran)
  • Arsamene, Serses Bruder, Geliebter Romildas (Sopran)
  • Amastre, Serses Braut, als Mann verkleidet (Alt)
  • Romilda, Tochter Ariodates, Geliebte Arsamenes (Sopran)
  • Atalanta, Tochter Ariodates, heimlich in Arsamene verliebt (Sopran)
  • Ariodate, Hauptmann des Serse (Bass)
  • Elviro, Arsamenes Diener (Bass)
  • Volk, Soldaten, Seeleute, Priester
Xerxes I., von 486 bis 465 v. Chr. achämenidischer Großkönig und ägyptischer Pharao

Serse, deutsch Xerxes (HWV 40) ist eine Oper (Dramma per musica) in drei Akten von Georg Friedrich Händel und neben Julius Caesar eine der in der Neuzeit meistgespielten Händel-Opern.

Entstehung

Vier Spielzeiten lang, beginnend mit der von 1733/34, standen Händels Opernproduktionen in London mit der Arbeit eines anderen Ensembles, der sogenannten „Opera of the Nobility“ im Wettstreit. Hierbei handelte es sich um eine Gruppe von Aristokraten, die zunächst von Friedrich, dem Prinzen von Wales, angeführt wurden und ein Rivalen-Ensemble in absichtlicher Opposition zu Händel zusammenführten, obwohl immer noch nicht klar ist, inwieweit sie persönliche, antagonistische Gefühle gegen Händel hegten; es ist möglich, dass eine gewisse politische Motivation mit ins Spiel kam, und es ist ebenfalls möglich, dass Friedrich einfach seinen Vater, König Georg II., einen ergebenen Bewunderer Händels, ärgern wollte. Das neue Ensemble verdrängte Händel für seine zweite Saison aus seinem gewohnten Opernhaus, dem King’s Theatre am Haymarket, aber Händel zog ins 1732 neu erbaute Theater in Covent Garden um und hatte dort 1734/35 eine seiner besten Opernspielzeiten mit den Uraufführungen von Ariodante und Alcina. Die Ausgaben der Opernunternehmen erwiesen sich als zu hoch und nach der Saison 1736/37 kam für beide Parteien der wirtschaftliche Zusammenbruch.[1] Nach 1729 und 1734 war damit zum dritten Male ein Händelsches Opernunternehmen bankrott.

Gleichgültig, unter welchem Gesichtspunkt man Händels Laufbahn im Nachhinein betrachtet, eine Tatsache sticht immer hervor: seine hartnäckige Weigerung, vom Theater, seiner eigentlichen Berufung, abzulassen. Weder finanzielle noch gesundheitliche Katastrophen kamen dagegen an, selbst angesichts eines desinteressierten Publikums, eines veränderten Musikgeschmacks und Gerüchten über seine schwindende Macht blieb er standhaft. Ende der dreißiger Jahre war sogar in Deutschland schon die Rede davon, Vorlage:Zitat-fr

Doch nach seinem Schlaganfall vom April 1737 und einer sechswöchigen Kur in Aachen meldete er sich mit dem Pasticcio Hermann von Balcke für die Fünfhundertjahrfeier der Stadt Elbing, nahe Danzig, wieder zurück. Er kehrte an Heideggers King's Theatre zurück, teilte sich dort jedoch die Saison mit dem Komponisten Giovanni Pescetti, der wahrscheinlich diejenigen zufriedenstellen sollte, die die Leichtigkeit des neuen vorklassischen Stils Händels altmodischer, kontrapunktischer Tugend vorzogen. Doch alle Pläne und Projekte sahen sich jäh unterbrochen, als Königin Caroline am 20. November starb. Gerade erst drei Vorstellungen hatte die neue Spielzeit am Haymarket gesehen, als alle Theater für eine Staatstrauer von sechs Wochen ihre Pforten schließen mussten.[2][1]

Für Händel bedeutete der Tod der Königin einen herben persönlichen Verlust: Er hatte sie seit ihrem elften Lebensjahr gekannt, als sie noch Caroline von Ansbach war; und im Jahre 1711 in Hannover hatte er für sie, damals die Braut von Georg August, Duette geschrieben. In England hatte sie ihn nachhaltig unterstützt, indem sie für sich und ihre Töchter Opernsubskriptionen bezog, ihn als Musiklehrer anstellte und versuchte, zwischen ihrem Gatten und ihrem Sohn in seinem Interesse zu vermitteln. Händel unterbrach die Komposition der Oper Faramondo, um für die Begräbnisfeierlichkeiten das ausgedehnte berühmte Funeral Anthem The Ways of Zion do Mourn (HWV 264) zu schreiben. Die Beisetzung war am 17. Dezember und eine Woche nach den Begräbnisfeierlichkeiten, am Heiligen Abend, hatte Händel gerade erst Faramondo beendet, als er sofort mit einer neuen Oper begann, Serse: „angefangen den 25 Decembr 1737 | Sontag oder 26 Montag, den 2 Xtag.“, notierte er am Beginn seiner Partitur; das heißt: angefangen am 25. Dezember, Sonntag, oder vielmehr am 26., Montag, nämlich am zweiten Weihnachtstage. Die Zahl 25 ist im Manuskript durchstrichen. Er nahm sich offensichtlich anlässlich des Weihnachtsfestes einen Tag frei. Man wird keinen deutlicheren Beweis finden für seinen Elan, seine Ausdauer und Hartnäckigkeit – trotz seines Vermerks im Autograph des Faramondo unter einer Arie: „Mr Duval, Arzt in der Poland Street.“.[2][3][1]

Die weiteren Bemerkungen bezüglich des Vorankommens mit der Komposition lauten: “Fine dell Atto primo | Jan 9. | 1738.”“Fine dell' Atto 2do. Jan. 25. 1738.”“Fine dell' Opera G. F. Handel. | London Februar. 6. 1738 | geendiget auszufüllen den 14 dieses Febr 17[38].” Die Spielzeit war inzwischen mit den ersten Vorstellungen des Faramondo fortgeführt worden. Händels nächste Produktion war Ende Februar ein Pasticcio, Alessandro Severo, aus Musik zusammengesetzt, die größtenteils den drei neuen Opern der vorangegangenen Saison, Arminio, Giustino und Berenice entnommen war.

Finanziell ohnehin in einer angespannten Situation, erreichte Händel jetzt eine Drohung, die für einen Mann von Händels Charakter schrecklich sein musste, umso schrecklicher, als sie von einer Person ausging, welche ihm eigentlich lebenslang Dank schulden sollte. Aurelio del Pò, der rohe, streitsüchtige Gemahl der Anna Maria Strada, einer Sopranistin, die über viele Jahre Händels treue Primadonna war, hatte sich auf ihr Zureden und sonstiger Freunde Händels ein Jahr lang mit Wechseln und Versprechungen besänftigen lassen. Als er aber in diesem Winter keine Gelegenheit fand, seiner Frau eine Anstellung zu verschaffen, forderte er das geschuldete Geld und drohte Händel sogar mit dem Schuldgefängnis. In dieser bedrängten Lage rieten ihm seine Freunde, ein Benefizkonzert zu veranstalten. Solche Konzerte hatten schon des öfteren für bestimmte Sänger, besonders für die Kastraten stattgefunden (solche Einnahmen waren sogar Vertragsbestandteil zwischen Opernakademie und dem jeweiligen Sänger), Händel selbst hatte jedoch noch nie für sich davon Gebrauch gemacht.[3]

Das Konzert fand am 28. März in der Karwoche statt und bestand aus einem „Chandos Anthem“ (As pants the hart, HWV 251), einem „Coronation Anthem“ (My heart is inditing, HWV 261), einzelnen Arien und Duetten, sowie einem Orgelkonzert. Es wurde von Händel als „An Oratorio“ angekündigt, weil die Theater in der Karwoche keine andere als höchstens oratorische Musik aufführen durften. Dieses Konzert brachte ihm ca. 800 bis 1000 Pfund ein und deckte zweifellos alle Schulden, die während der Zeit der rivalisierenden Opernensembles aufgelaufen waren. Es ist für Händel bezeichnend, dass er in dieser Zeit finanzieller Notlage das Auge für seine bedrängten Mitmenschen behielt: Am 23. April fand die erste Versammlung der Subskribenten für den „Fund for the Support of Decayed Musicians and their Families“, der späteren Royal Society of Musicians, einem Fond, der zur Unterstützung verarmter Musiker und deren Familien gegründet wurde, in der „Crown and Anchor Tavern“ statt. Händel war einer der ersten Subskribenten.[1][4]

Serse, die letzte Produktion dieser Spielzeit, hatte am 15. April 1738 im King's Theatre Premiere. Trotz Starbesetzung und unverhohlen komischer Elemente in der Handlung, schleppte sie sich mühsam über nur fünf Abende, und die Saison endete mit Wiederholungen der früher gegebenen heroischen Opern.[1]

Besetzung der Uraufführung

Der Zeitzeuge John Upton berichtet, Orchester und Chor wären nur schwach besetzt gewesen und der Earl of Shaftesbury schreibt an seinen Vetter, den Philosophen James Harris:

Xerxes is beyond all doubt a fine composition. The singers perform it very indifferently which is a great disadvantage to it; the airs too, for brevity's sake as the opera would otherwise be too long fall without any recitativ' intervening from one into another that tis difficult to understand till it comes by frequent hearing to be well known. My own judgement is that is it a capital opera notwithstanding tis called a ballad one.

Xerxes ist ohne Zweifel eine gute Komposition. Die Sänger haben sie allerdings, zu ihrem großen Nachteil, sehr gleichförmig dargestellt. Auch die Arien gingen der Kürze wegen ohne Rezitative dazwischen ineinander über, da die Oper sonst zu lang werden würde, sodass das Verstehen schwierig ist oder sich erst durch häufiges Hören einstellt. Mein eigenes Urteil ist, dass es eine prächtige Oper ist, ungeachtet der Tatsache, dass man sie eine Ballad Opera nennt.“

Earl of Shaftesbury: Brief an James Harris, London, 4. Mai 1738[5]

Es ist doppelte Ironie des Schicksals, dass eine Oper, die von dem Arioso Ombra mai fù (Nr. 2) eingeleitet wurde, sich als so vollkommener Misserfolg erwies, und dass sich eine so sinnliche Melodie, wie sie der unglückliche Xerxes zum Lob eines Baumes sang und die Händel als Larghetto schrieb, in „Händels Largo“, das sentimentale Trauerlied des neunzehnten und des halben zwanzigsten Jahrhunderts, wie es in der Aufnahme Enrico Carusos von 1920 verewigt ist, verwandeln sollte.[6]

Händel-Denkmal 1738, Vauxhall Gardens London, Louis-François Roubiliac (heute im Victoria and Albert Museum)

Mit der italienischen Oper in London ging es bergab; gleichzeitig konnte Händel mit gemischten Gefühlen seinen eigenen Aufstieg beobachten. Gerade erst waren die aufdringlichen finanziellen Forderungen der Strada und ihres Gatten aus der Welt, da sah er sich im Londoner Lustgarten Vauxhall Gardens zum Klassiker erhoben, wie eine Londoner Zeitung meldete:

“We are informed from very good Authority; that there is now near finished a Statue of the justly celebrated Mr. Handel, exquisitely done by the ingenious Mr. Raubillac, of St. Martin’s-Lane, Statuary, out of one entire Block of white Marble, which is to be placed in a grand Nich, erected on Purpose in the great Grove at Vaux-hall-Gardens, at the sole Expence of Mr. Tyers, Undertaker of the Entertainment there; who in Consideration of the real Merit of that inimitable Master, thought it proper, that his Effigies should preside there, where his Harmony has so often charm’d even the greatest Crouds into the profoundest Calm and most decent Behaviour; it is believed, that the Expence of the Statue and Nich cannot cost less than Three Hundred Pounds; the said Gentleman likewise very generously took at Mr. Handel’s Benefit Fifty of his Tickets.”

„Aus sehr zuverlässiger Quelle haben wir erfahren, dass eine fast fertiggestellte Statue des zu Recht gefeierten Händel existiert, feinstens angefertigt durch den geschickten Mr. Raubillac aus der St. Martin’s Lane, Statuary, ganz aus einem Block weißen Marmors; sie soll in einer großen Nische aufgestellt werden, die man zu diesem Zwecke im großen Gehölz der Vauxhall-Gärten anlegt; die Kosten trägt allein Mr. Tyers, der das dortige Unternehmen leitet; er hält es angesichts der Verdienste dieses unnachahmlichen Meisters für angemessen, dass sein Bildnis dort stehe, wo seine Harmonien so oft die größten Menschenmengen so verzauberte, dass sie in tiefer Stille und bestem Benehmen verharrten; es heißt, dass die Statue und die Nische mindestens 300 Pfund kosten werden; besagter Herr war auch so großzügig, anlässlich Handels Benefizkonzert fünfzig Eintrittskarten zu erwerben.“

The London Daily Post, London, 18. April 1738[7][6]

Die Tatsache, dass die Marmorstatue eines Mannes „aus Vergötterung und lobenswerter Verehrung“ noch zu dessen Lebzeiten aufgestellt wurde, war einzigartig.[6] Die Statue befindet sich im Victoria and Albert Museum in London.

Libretto

Mit seinem Serse griff Händel auf einen Operntext zurück, den er vielleicht schon in seinen Hamburger Jahren kennengelernt hatte. Der ihm wohlbekannte Dichter Christian Heinrich Postel hatte vordem ein Libretto Der mächtige Monarch der Perser, Xerxes, in Abydus für die Hamburger Oper „nach einem sinnreichen italiänischen Geiste verfertigt“ und der Komponist Johann Philipp Förtsch hatte ihn 1689 in Musik gesetzt. Dazu wird gesagt, man habe sich bei der Übersetzung ins Deutsche „nicht streng an die Worte gebunden, auch nach dem genius loci ein oder andere honnêtes plaisanterien hinzugefügt“. Der „sinnreiche Geist“ war der italienische Graf Nicolò Minato, dessen Il Xerse zuerst mit der Musik von Francesco Cavalli im Januar 1654 im Teatro SS. Giovanni e Paolo in Venedig zur Uraufführung kam. Der Text ist für seine Zeit typisch: eine erfundene Romanze basierend auf Ereignissen und Personen, die entweder auf traditionelle Mythen oder die Zeitgeschichte zurückgehen.[8][1]

Nachdem im Jahre 1660 die Oper von Minato und Cavalli in einer bearbeiteten Form in Paris gespielt worden war, gab es im Januar 1694 eine neue Version mit der ersten vollständigen Oper des 23-jährigen Komponisten Giovanni Battista Bononcini am Teatro Tordinona in Rom. Für diese Produktion wurde Minatos Libretto von Silvio Stampiglia umfangreich überarbeitet, um es dem neuen Geschmack anzupassen, insbesondere den Arien mehr Gewicht zu geben. In Stampiglias Text gibt es 62 Arien, er übernahm aber von Minato nur acht. Auf dieser Version basiert Händels Textbuch. Wir wissen nicht, wer Händels Adaption vorgenommen hat, aber möglicherweise war er es selbst, der auch für den Ersatz von Stampiglias ursprünglichem „Argomento“ („Vorbemerkung“), der den historischen Hintergrund der Geschichte durch die folgende knappe und sogar herablassende Anmerkung im gedruckten Londoner Textbuch ersetzte, verantwortlich war:

“The contexture of this Drama is so very easy, that it wou'd be troubling the reader to give him a long argument to explain it. Some imbicillities, and the temerity of Xerxes (such as his being deeply enamour'd with a plane tree, and the building a bridge over the Hellespont to unite Asia to Europe) are the basis of the story; the rest is fiction.”

„Der Zusammenhang in diesem Drama ist so einfach, dass es den Leser unnötig bemühen würde, ihm eine lange Vorbemerkung zu dessen Erklärung zu bieten. Einige Torheiten sowie die Kühnheit des Xerxes (wie seine Verliebtheit in eine Platane und der Bau einer Brücke über den Hellespont zur Vereinigung von Asien und Europa) bilden die Grundlage dieser Geschichte, der Rest ist Erfindung.“

To the Reader, in Xerxes an Opera, London 1738[9][1]

Die Bearbeitungen von Stampiglias Textbuch bestehen in erster Linie in einer Reihe von Kürzungen, wobei die Hauptveränderung in der Streichung von drei der vier komischen Dienern und unwichtigeren Charakteren besteht: Eumene, Clito und Aristone, es bleibt lediglich Arsamenes Diener Elviro übrig. Romilda, Arsamene und Atalanta verlieren je drei Arien, Amastre und Ariodate zwei, sowie Serse und Elviro je eine. Ebenso werden fünf der acht Duette Stampiglias gestrichen. Neu sind nur eine Arie für Elviro und drei der vier Chöre.

Weder Händel selbst, noch sonst eine Spielstätte in Kontinentaleuropa, haben Serse später wieder auf die Bühne gebracht: die Oper blieb von der Bühne verschwunden – während das sogenannte „Largo“ die Welt eroberte –, bis der Begründer der Göttinger Händelfestspiele Oskar Hagen sie am 5. Juli 1924 im Göttinger Theater wieder erweckte. Hagen hatte eine deutsche Textfassung gemacht und auch die musikalische Leitung über das Akademische Orchester Göttingen. Blieben auch Sinn und Form des Händelschen Werkes dabei nicht unangetastet, so wirkten doch auch in dieser Fassung Händels Musik und der heitere Geist der Oper so stark, dass sich ihrer in den 1920er Jahren mehr als ein Dutzend deutscher Bühnen annahmen.[8] Inzwischen gab es über 180 Neuinszenierungen (bis 2011) der Oper seit Hagens Produktion 1924. Dabei war auch die erste Wiederaufführung des Stückes in Originalsprache und historischer Aufführungspraxis am 1. Oktober 1982 im Atelier Lyrique in Tourcoing, nahe Lille durch die Opéra du Nord. Es spielte La Grande Écurie et la Chambre du Roy unter der Leitung von Jean-Claude Malgoire.

Handlung

Historischer und literarischer Hintergrund

Im siebten Buch seiner Historien (5. Jahrhundert v. Chr.) beschrieb Herodot den Aufbruch des persischen Heeres unter Führung des Königs Xerxes Richtung Griechenland. Sein Weg führte ihn nach Abydos am südlichen Ufer des Hellespont, wo er beabsichtigte, nach Europa überzusetzen. Herodot schildert uns den König als einen launenhaften Charakter. Seine Ingenieure hatten die Meerenge mit einer Brücke aus Flachs- und Papyruskabeln überspannt, diese wurde jedoch vom stürmenden Meer zerstört und Xerxes ließ daraufhin das Wasser von dreihundert Männern auspeitschen. Anschließend befahl er, dass die neue Konstruktion aus miteinander verbundenen Booten gemacht werde, die seine Armeen dann erfolgreich überqueren konnten. Im 31., 33. und 34. Kapitel erwähnt er jene berühmte Episode mit der von Xerxes wegen ihrer Schönheit mit goldenem Schmuck behängten Platane in Sardis, die schon in der Antike – in der um 200 n. Chr. verfassten Varia historia des Claudius Aelianus – als Beispiel für lächerliches Verhalten herhalten musste. Im neunten Buch (Kapitel 106 ff.) ist beschrieben, wie sich Xerxes in die Frau seines Bruders verliebt. Vier der handelnden Personen sind historisch belegt – neben dem Perserkönig Xerxes sein Halbbruder Achaimenes (Masistes), dessen Frau, die bei Herodot keinen Namen hat (in der Oper Romilda) und Xerxes Gemahlin Amestris.[10][1]

Diese Vorfälle werden im Libretto berührt, aber die Haupthandlung ist eine erfundene Hofintrige, bei der es um die Rivalität von Serse und seinem Bruder Arsamene um die Liebe von Romilda (der Tochter des Ariodate, des Kommandeurs von Serses Armeen) und den Streit zwischen Romilda und ihrer schelmischen Schwester Atalanta um die Liebe von Arsamene geht. Serses verlassene Braut Amastre (bei Herodot Amestris) spielt bei der Auflösung der Komplikationen eine Schlüsselrolle.[1] Luigi Cataldi konnte aber nachweisen, dass Nicolò Minato nicht der Erfinder dieser Intrige war.[11] Minato hatte hier eine comedia famosa des Lope de Vega, Lo cierto por lo dudoso (1625), in den antiken Orient verlegt und dem Titelhelden den Namen des historischen Xerxes gegeben, dabei aber die Intrige (abgesehen von dem neuen Handlungsstrang um die zusätzliche Figur Amastre) im großen Ganzen übernommen. Die Abhängigkeit von der spanischen Vorlage hatte Minato aber nicht deutlich herausgestellt, aber auch nicht eigentlich verschwiegen; der Hinweis in seinem Vorwort („Al lettore“) Vorlage:Zitat-it bezieht sich nicht auf Herodots Bericht über die Taten des Xerxes, sondern auf Lopes Stück. Der „Argomento“ verweist auf Herodot erst am Ende des Abschnitts „Di quello che si ha dall‘Istoria“, der tatsächlich auf den Historien basiert. Herodots Details fügte Minato seiner spanischen Quelle hinzu. Somit sind seine Angaben zwar vielleicht etwas irreführend, aber nicht falsch. Dass er Lopes Namen und den Titel von dessen Comedia nicht nennt, mag angesichts der Beliebtheit des spanischen Theaters in Italien und Venedig weniger als Versuch, Spuren zu verwischen, denn als Reverenz an die Repertoirekenntnis des Publikums zu verstehen sein.[12]

Inhalt

König Xerxes will Romilda heiraten, die aber seinen Bruder Arsamene liebt. Romildas Schwester Atalanta versucht, Arsamene für sich zu gewinnen, und rät Romilda, Xerxes zu heiraten.

Xerxes verbannt seinen Bruder, der Romilda durch den als Blumenhändler verkleideten Diener Elviro eine Nachricht zukommen lässt, um ihr ewige Treue zu schwören. Die Nachricht wird aber Atalanta überbracht, die sie ihrer Schwester zeigt, aber behauptet, selbst die Adressatin zu sein. Daraufhin streiten sich Arsamene und Romilda.

Xerxes verfolgt Romilda und sagt ihrem Vater Ariodate, Romilda müsse auf königlichen Befehl ein Mitglied seiner Familie heiraten. Ariodate nimmt irrtümlicherweise an, es beziehe sich auf Arsamene. Amastre, die Xerxes für Romilda verlassen hatte, verkleidet sich als Mann und beobachtet Xerxes. Nach der Hochzeit Arsamenes und Romildas gibt Amastre sich Xerxes zu erkennen, der sich seiner Treulosigkeit wegen schämt. Amastre nimmt seine Entschuldigung an.

Musik

Serse wurde manchmal als Händels einzige komische Oper bezeichnet, was jedoch nicht richtig ist: zwei seiner frühen Opern, nämlich Almira und Agrippina, sind komisch und unter den späteren Werken hebt sich Partenope als komplizierte Opern-Komödie hervor. Serse gehört zur letzteren Kategorie, besonders, wenn der Begriff „Komödie“ als Drama verstanden wird, das, obwohl es ein glückliches Ende hat und seine Charaktere gelegentlich lächerlich macht, ihnen dennoch erlaubt, echte und manchmal schmerzliche Gefühle zum Ausdruck zu bringen.[1]

Die zwei noch 1740 (Imeneo) und 1741 (Deidamia) folgenden späten und letzten Opern bestätigen dennoch den Eindruck, dass Händel sich bei Serse bewusst vom ernsten, heroischen Stil abwandte, den er in früheren Jahren bevorzugt hatte, auch wenn er ihn oft durch Elemente der Fantasie oder Satire aufgehellt hatte. Es ist möglich, dass er versuchte, sich auf das einzulassen, was er als eine Änderung in der Mode der Oper sah, wobei er jedoch leider nicht in der Lage war, sein Publikum davon zu überzeugen, ihm zu folgen. Nach 1741 wandte er sich zugunsten des englischen Oratoriums völlig von der italienischen Oper ab.[1]

Die Natur des Werkes selbst verursachte wahrscheinlich bei seinen ersten Zuhörern in London Schwierigkeiten. Sie waren an Opern gewöhnt, bei denen das Schwergewicht auf ausgedehnten Arien für großartige Sänger lag. Die dramatische Handlung fand in den Rezitativen statt, dem diejenigen, die nicht Italienisch sprachen, nur schwer folgen konnten. Serse hatte im Gegensatz hierzu eine flüssigere Konstruktion. Der Großteil der Arien war kurz, ohne die traditionelle Da capo-Wiederholung des ersten Abschnitts. In vielen Szenen ist die Musik derart präzise auf die Handlung angepasst, dass es auf attraktive Weise das modernere Konzept der Oper als sich fortlaufend entwickelndes musikalisches Drama vorauszuahnen scheint, was jedoch ohne genaue Aufmerksamkeit für den Text leicht übersehen wird. Dieser Stil leitet sich in der Tat von einer früheren Tradition der Venezianischen Oper ab, bei der das Libretto am wichtigsten war (und dem die Italiener natürlich mühelos folgen konnten) und bestand hauptsächlich aus einer Mischung von Rezitativ und Arioso, wobei kurze Arien von Zeit zu Zeit auftauchten. Francesco Cavalli, Schüler Monteverdis, war ein führender Vertreter des Stils. Die betrifft auch speziell dessen Oper Il Xerse.[1]

Händels Vertonung basiert nicht nur von der Dichtung her auf dem, was er in dem Stück Stampiglias/Bononcinis von 1694 vorfand, sondern zu einem bemerkenswerten Umfang auch auf Bononcinis Partitur. Die beiden Musiker waren im London der 1720er Jahre als Opernkomponisten Rivalen gewesen und zu jener Zeit war Händel, der ungenierte „Anleiher“ musikalischer Ideen seiner Kollegen, sehr darauf bedacht gewesen, kein Material Bononcinis zu verwenden. Bononcini verließ jedoch London im Jahr 1733, ironischerweise, weil er beschuldigt worden war, ein Madrigal von Antonio Lotti als sein eigenes ausgegeben zu haben. Kurz danach begann Händel mit Anleihen an der Partitur von Bononcinis Il Xerse, insbesondere in Alcina und im Alexander-Fest. Als er seine eigenen Version von Serse schuf, tendierte er eher zur Imitation von Bononcini, was Stil und Tonalität betraf, als dass er direkte thematische Zitate verwendete; die beachtliche Menge an Umschreibung, die man in der handschriftlichen Partitur vorfindet, weisen in der Tat auf eine Entschlossenheit hin, ein völlig originales Werk auf der Basis von Bononcinis Modell zu schaffen. Wie immer stimmte Händel das Werk auf die Sänger in seinem Ensemble ab.[1]

Sowohl in ihrer Charakterisierung als auch ihrer Struktur zeigt Serse den höchsten Grad an Kunstfertigkeit. Nur Elviro ist eine völlig komische Rolle; alle anderen Charaktere zeigen Ernsthaftigkeit und sind konturenscharf und einfühlsam angelegt. Serse ist eine ziemlich absurde Figur, aber nie ganz töricht; die Drohung seiner gesetzgebenden Macht schafft eine unterschwellige Spannung im Drama und seine Musik, mit seinen großangelegten Arien, betont seine Wichtigkeit. Sein verliebter Gesang an die Platane in der ersten Szene, Ombra mai fù, ist wahrscheinlich als Satire beabsichtigt, wobei jedoch seine perfekt geformte Melodie und schwermütige Schönheit es zum berühmtesten aller Lieder aus Händels Opern gemacht haben – leider oft in Instrumentalversionen mit dem Titel „Händels Largo“, obwohl es eigentlich ein Larghetto ist.[1]

Die zarte Mischung aus Rezitativen, Instrumentalsätzen (mit Blockflöten) und kurzen Arien, die folgen, bringen die Handlung in Gang und führen die meisten der anderen Charaktere auf erfreulich einfache Weise ein. Mitten im zweiten Akt findet Serses Treffen mit Romilda statt; in einem Duett, L’amerete?/L’amerò (Nr. 27), das so einfach wie rührend ist, gelingt es Serse nicht, Romilda dazu zu überreden, ihre Liebe zu Arsamene aufzugeben, und er reagiert dann mit der Arie Se bramate d'amar chi in sdegna (Nr. 28), einem überwältigenden Ausbruch, bei dem Zorn und Bedrängnis abwechselnd durch schnelle und langsame Tempi und harmonische Überraschungen zum Ausdruck kommen. Die tiefst empfundenen Emotionen finden sich in den Gesängen Romildas, Arsamenes und Amastres.[1]

Händel kontrastiert die Musik für Romilda und ihre Schwester Atalanta auf elegante Weise, wobei er ihre Charaktere in den abschließenden Arien der ersten beiden Akte offenlegt. Atalantas Un cenno leggiadretto (Nr. 19) beendet den ersten Akt und spricht den Hörer auf charmante Weise an; Romildas Chi cede al furore di stelle rubelle (Nr. 42) am Ende des zweiten Akts weist eine edle, nahtlose Linienführung auf, durch die ihre Beständigkeit passend zum Ausdruck kommt. Die gelegentlichen kurzen Chöre, zwei mit Solotrompete und einer mit einem Paar Hörner, verleihen der Partitur zusätzlich Farbe. Elviros Blumenarie Ah! Chi voler fiora (Nr. 21) soll von den Rufen eines Streichholzverkäufers inspiriert worden sein, dessen marktschreierischen Singsang sich Händel notierte.[1][13]

Händel selbst hat in seinem Autograph Kürzungen vorgenommen. Sie betreffen bezeichnenderweise vor allem Andante- und Larghetto-Arien. Diese Kürzungen kennzeichnen die Stilwandlung, die von den großen Da-capo-Arien der barocken Helden-Oper unter dem Einfluss der Aufklärung und besonders der Buffo-Oper zum Dramma giocoso Wolfgang Amadeus Mozarts führte. Charakteristisch dafür sind hier besonders auch Kleinformen wie Arioso und Arietta und damit auch Szenenbildungen aus ariosen und rezitativischen Gliedern wie schon in der zweiten Szene des Ersten Aktes.[8]

Alles in allem ist Händels Serse eine beständige und heitere Oper, die auf sicherem Fuß zwischen Komödie und Tragödie wandelt, wobei die Musik sehr klar die Emotionen ihrer sehr menschlichen Charaktere zum Ausdruck bringt.[1]

Die Arie Ombra mai fu

Frondi tenere e belle … Ombra mai fù gesungen von Enrico Caruso 1920.

Händel hat das Ombra mai fù in der pastoralen Tonart F-Dur mit der charakteristischen Punktierung der daktylischen Arienverse und der Tempobezeichnung „Larghetto“ vertont. In einem Aufsatz über dieses sogenannte „Händels Largo“ als Musik des „Goldenen Zeitalters“ hat Wolfgang Osthoff dargelegt, dass die Platane im antiken Persien als heiliger Baum verehrt wurde und Händel musikalisch sowohl das Numinose der Platane als auch das „Goldene Zeitalter“ beschreiben wollte, als Traum von einem irdischen Paradies, in dem Friede und immer Frühling herrschte. Darüber hinaus aber stellt diese erste Szene auch eine musterhafte Lösung für eines der zentralen Probleme musikalischer Dramaturgie dar, nämlich: Wie beginnt man eine Oper?[14][1]

In der Urfassung des Xerse hatte Nicolò Minato zu Beginn der Oper eine Szenerie entworfen, wie Herodot sie berichtet hatte: Xerxes entdeckt auf seinem Feldzug nach Abydos in der Nähe von Sardis eine schön gewachsene Platane, behängt sie mit Gold und Edelsteinen und lässt einen „Unsterblichen“ zu ihrem Schutz zurück. Minato eröffnete die Oper mit einem großen, aus einem vierzeiligen Refrain und zwei metrisch gleichgebauten Strophen zusammengesetzten Auftritt des Xerse:

Ombra mai fù
di vegetabile,
cara ed amabile
soave più.

Bel smeraldi crescent,
frondi tenere e belle,
di turbine o procelle
importune tormenti
non v'atfliggano mai la cara pace,
nè giunga a profanarvi austro rapace.

Mai con rustica scure
bifolco ingiurioso
tronchi ramo frondoso
e se reciso pure
fia, che ne resti alcuno, in stral cangiato,
o lo scocchi Diana, o il dio bendato.

Ombra mai fù
di vegetabile
cara ed amabile
soave più.

Nie war der Schatten
einer Pflanze,
lieblicher und angenehmer,
süßer.

Schöne wachsende Smaragde,
Blätter zart und schön,
lästige Plagen
durch Wirbelwinde und Stürme
mögen euch nie den süßen Frieden trüben,
und auch der gierige Südwind möge euch niemals entweihen.

Nie soll mit grober Axt
ein schimpflicher Grobian
einen belaubten Zweig abhacken.
Und wenn er doch geschnitten würde,
soll doch einer bleiben, in einen Pfeil verwandelt
möge ihn Diana abschießen oder der blinde Gott.

Nie war der Schatten
einer Pflanze,
lieblicher und angenehmer,
süßer.

In seiner Vertonung bildete Cavalli die metrische Struktur der Szene mit einem Refrain und zwei musikalischen Strophen, denen er jeweils ein gliederndes Instrumentalritornell voranstellte, getreulich ab. Dabei band er Refrain und Strophen eng aneinander, indem er beides im Dreiertakt vertonte und auch melodisch und rhythmisch nicht kontrastierte, so dass eine große, musikalisch homogene Szene entstand. Danach folgte ein Auftritt zweier Magier und eines Geisterchors, jener „Unsterblichen“ also, die die Platane auf ewig zu schützen versprachen.[14]

1694 änderte Silvio Stampiglia den Text, indem er die erste der beiden Binnenstrophen leicht veränderte, um die „platano amato“ („geliebte Platane“) erweiterte und an den Anfang stellte. Die metrisch wie grammatisch mit großer (und praktisch unübersetzbarer) Raffinesse in der Schwebe gehaltene Refrainstrophe ließ er unverändert; das Rezitativ aber befreite er zugunsten plakativer Bilder von allzu bemühter Metaphorik. Giovanni Bononcini vertonte diesen neugestalteten Text sodann als Secco-Rezitativ, dem das Ombra mai fù nun als einteilige Cavatina folgte.

Frondi tenere e belle,
del mió platano amato,
per voi risplenda il fato.
Tuoni, lampi e procelle
non v'oltraggino mai la cara pace
nè giunga a profanarvi mostro rapace.

Ombra mai fù
di vegetabile,
cara ed amabile
soave più

Ihr Blätter, zart und schön,
meiner geliebten Platane,
euch soll das Schicksal leuchten.
Donner, Blitze und Wirbelstürme
mögen euch nie den süßen Frieden trüben,
und auch der gierige Südwind möge euch niemals entweihen.

Nie war der Schatten
einer Pflanze,
lieblich und angenehm,
süßer.

Dass Händel diese Version kannte und einige von Bononcinis musikalischen Einfällen, darunter auch das eine oder andere melodische Bruchstück in Ombra mai fù, für seinen Serse und andere Opern nutzbar machte, ist ihm in der musikwissenschaftlichen Literatur bisweilen, wie von John Roberts, gar als „Schamlosigkeit“ ausgelegt worden. Weit mehr als die Frage nach der moralischen Rechtfertigung sollte uns jedoch interessieren, wie Händel seinerseits die Eröffnungsszene des Serse gestaltete und mit den Mitteln der Musik die Weichen für die weitere Entwicklung der Handlung und die Charakterzeichnung eines Kriegshelden stellt, der statt Länder zu erobern, auf Freiersfüßen wandelt.[14]

Händel vertonte den Beginn nicht als Secco-, sondern als Accompagnato-Rezitativ. Eingebettet in sanfte Streicherakkorde gibt sich Serse in gelösten, in kein melodisches oder rhythmisches Schema gezwängten Satzpartikeln seiner Bewunderung für den schönwüchsigen Baum hin. Der militärische Ton, den man von einem Feldherrn doch eher erwarten dürfte, bricht lediglich, angedeutet durch entfernt an fanfarenhafte Dreiklänge gemahnende Melodik, bei der Vorstellung von Blitz und Donner (Takt 5 f.) kurzzeitig hervor, und die müßigen Streicherakkorde halten gleichsam erschrocken inne, so dass Serse bei diesen rabiaten Worten ganz allein ist. Sie kehren erst in dem Moment zaghaft zurück, als Serse mit dem Wort „mai“ („niemals“) die friedliche Absicht seines Gedankens zu erkennen gibt, Zwar scheint die Erinnerung an Blitz und Donner, hörbar an dem verminderten Akkord auf „mai“, noch immer ein wenig zu schmerzen, doch bei dem Wort „pace“ („Frieden“, Takt 7) kurz darauf ist die Harmonie (buchstäblich) wiederhergestellt. Noch bevor die Arie beginnt – jenes Ombra mai fù, das Charles Burney 1789 prophetisch als

“[...] in a clear and majestic style, out of the reach of time and fashion.”

„[...] in einem klaren und majestätischen Stil, zeitlos und nicht der Mode unterworfen.“

Charles Burney: A General History of Music, London 1789[15][2]

beschrieb, hat Händel in gerade einmal neun Takten Accompagnato-Rezitativ den Charakter der Titelfigur in all ihren Widersprüchen hörbar gemacht.[14]

Das Felsgrab des Großkönigs Xerxes in Naqsch-e Rostam

Das Schwebende eines gleichsam magischen Augenblicks, in dem die Zeit stillzustehen scheint, kennzeichnet auch die Arie mit ihrem langen, von Streichern in tiefer Lage und fallenden Melodien geprägten Instrumentalritornell, das später den Mezzosopran der Singstimme begleitend umgibt, als würden die hängenden Zweige der Platane Serse einhüllen. Und der Gesang, mit einer langen Note auf dem dunklen Vokal des „Ombra“ und auf der unbetonten Zählzeit (Takt 15) beginnend, strömt aus diesem Streichergewebe wie unbemerkt heraus. Die Musik strahlt eine schier überirdische Ruhe und Gelassenheit aus; das Numinose der Platane scheint sich auf ihren Bewunderer zu übertragen, Serse eins mit der Natur zu sein. Serses Auftrittsszene ist jedoch kein Genrebild, das lediglich den Rahmen für die Handlung bereitstellen würde, Sie ist selbst bereits Teil der Handlung und Personencharakteristik in einem. Sie Iöst gleich zu Beginn die Bemerkung des kurzen Vorworts im gedruckten Libretto ein, …qualche debolezza e temerità… (…manche Schwäche und Tollkühnheit…) des persischen Heerführers seien die Grundlage der Handlung. Doch obwohl Händel seinen Helden in einer eher unpassenden Situation zeigt, denunziert er ihn nicht als eine lächerliche Figur – dies wird kurz darauf Romilda besorgen, die sich über den in die Platane verliebten Serse lustig macht und durch ihren schönen Gesang sogleich ihrerseits Serses Liebe auf sich ziehen wird.[14] Händels Musik lässt offen, ob die Verehrung der Platane ein Witz oder eine Vision ist. Und so ahnt der Zuschauer auch: So kann es nicht weitergehen, sonst würde keine Oper daraus. In das vollkommene Bild des Friedens mischt sich die Spannung, auf welche Weise dieser Friede gestört werden wird. Es ist das scheinbar Zwanglose, Pastorale von Tonart, Takt und Tempo, von Klang und Melodik, das diese Anfangsspannung erzeugt – die perfekte Eröffnung einer Partie, die alsbald sehr turbulent weitergehen wird.[14]

Der Musik fallen bei der Dramenexposition vor allem drei Aufgaben zu: Atmosphäre schaffen, Personen charakterisieren, Räume (auch Zeiträume) konstruieren, in denen sich die Handlung entwickeln kann, dabei nicht allzu viel von dem vorwegnehmen, was in den folgenden Stunden erzählt werden wird, aber dennoch schon Ergebnisse skizzieren, die als solche noch nicht erkennbar sind. In Serses Auftritt etwa sind, ohne dass sich dies gleich in vollem Umfang bemerkbar machen würde, schon alle jene Charakterzüge enthalten, die sein späteres ebenso kapriziöses wie bisweilen rohes Handeln leiten werden.[14]

Erfolg und Kritik

Friedrich Chrysander hat 1860, ohne zu wissen, dass Händel seinerzeit Bononcinis Partitur von dessen Il Xerse (1694) vorlag, folgendes geschrieben: Vorlage:Zitat-de

Orchester

Zwei Blockflöten, zwei Oboen, Fagott, zwei Hörner, Trompete, Streicher, Basso continuo (Violoncello, Laute, Cembalo).

Diskografie (Auswahl)

Literatur

Quellen

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h i j k l m n o p q r Anthony Hicks: Serse. Handel, RCA 75605513122, London 1998, S. 27 ff.
  2. a b c Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag; kein Text angegeben für Einzelnachweis mit dem Namen hogwood.
  3. a b Friedrich Chrysander: G. F. Händel, Zweiter Band, Breitkopf & Härtel, Leipzig 1860, S. 448 f.
  4. Bernd Baselt: Thematisch-systematisches Verzeichnis. Bühnenwerke. In: Walter Eisen (Hrsg.): Händel-Handbuch: Band 1, Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1978, ISBN 3-7618-0610-8. Unveränderter Nachdruck, Kassel 2008, ISBN 978-3-7618-0610-4, S. 28.
  5. Winton Dean: Handel’s Operas, 1726–1741. Boydell & Brewer, London 2006. Reprint: The Boydell Press, Woodbridge 2009, ISBN 978-1-84383-268-3, S. 443.
  6. a b c Christopher Hogwood: Georg Friedrich Händel. Eine Biographie (= Insel-Taschenbuch 2655). Aus dem Englischen von Bettina Obrecht, Insel Verlag, Frankfurt am Main/Leipzig 2000, ISBN 3-458-34355-5, S. 261 f.
  7. Editionsleitung der Hallischen Händel-Ausgabe: Dokumente zu Leben und Schaffen. In: Walter Eisen (Hrsg.): Händel-Handbuch: Band 4, Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1985, ISBN 3-7618-0717-1, S. 293 f.
  8. a b c Rudolf Steglich: Xerxes, Hallische Händel-Ausgabe, Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1958, S. VI f.
  9. Winton Dean: Handel’s Operas, 1726–1741. Boydell & Brewer, London 2006. Reprint: The Boydell Press, Woodbridge 2009, ISBN 978-1-84383-268-3, S. 417.
  10. Silke Leopold: Händel. Die Opern., Bärenreiter-Verlag, Kassel 2009, ISBN 978-3-7618-1991-3, S. 286.
  11. Luigi Cataldi: ‘Lo cierto por lo dudoso‘ trasformato in ‘Xerse‘. In: Studi urbinati, LXV, 1992, S. 309–333.
  12. Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag; kein Text angegeben für Einzelnachweis mit dem Namen gier.
  13. Bernd Baselt: Thematisch-systematisches Verzeichnis. Bühnenwerke. In: Walter Eisen (Hrsg.): Händel-Handbuch: Band 1, Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1978, ISBN 3-7618-0610-8. Unveränderter Nachdruck, Kassel 2008, ISBN 978-3-7618-0610-4, S. 481.
  14. a b c d e f g Silke Leopold: Händel. Die Opern., Bärenreiter-Verlag, Kassel 2009, ISBN 978-3-7618-1991-3, S. 30 ff.
  15. Charles Burney: A general history of music: … Vol. 4, London 1789. Nachdruck der Cambridge Library Collection, 2010, ISBN 978-1-108-01642-1, S. 423