Dies ist ein als exzellent ausgezeichneter Artikel.

Georg Philipp Telemann

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 17. Januar 2007 um 22:08 Uhr durch 193.201.52.133 (Diskussion) (→‎Telemann heute). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Georg Philipp Telemann (* 14. März 1681 in Magdeburg; † 25. Juni 1767 in Hamburg) war während seiner langen Hauptschaffensphase der berühmteste deutsche Komponist. Er prägte durch neue Impulse, sowohl in der Komposition als auch in der Musikanschauung, maßgeblich die Musikwelt der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts.

Georg Philipp Telemann, koloriertes Aquatintablatt von Valentin Daniel Preisler nach einem verschollenen Gemälde von Ludwig Michael Schneider (1750)

Leben

Kindheit und Jugend

Telemann stammte aus einer gebildeten Magdeburger Familie; fast alle seine Vorfahren besuchten die Universität. Sowohl sein Vater Heinrich als auch der Vater seiner Mutter Maria übten ein Kirchenamt aus. Abgesehen von Telemanns Urgroßvater väterlicherseits, der zeitweilig Kantor war, hatte niemand aus seiner Familie direkten Bezug zur Musik. Georg Philipp war das jüngste von drei Kindern, die das Erwachsenenalter erreichten.

Georg Philipp besuchte das Gymnasium der Altstadt und die Schule am Magdeburger Dom, wo er Unterricht in Latein, Rhetorik, Dialektik und deutscher Dichtung erhielt. Von seiner umfassenden Allgemeinbildung zeugen beispielsweise seine selbst verfassten deutschen, französischen und lateinischen Verse, die er in seiner späteren Autobiografie wiedergab. Daneben beherrschte Telemann die italienische und die englische Sprache bis ins hohe Alter.

Da öffentliche Konzerte zur damaligen Zeit in Magdeburg noch unbekannt waren, ergänzte die in der Schule aufgeführte weltliche Musik die Kirchenmusik. Insbesondere die altstädtische Schule, die über konzertierende Musikinstrumente verfügte und regelmäßig Aufführungen betrieb, hatte für die Musikpflege der Stadt große Bedeutung. Auch in den kleineren Privatschulen, die Telemann besuchte, erlernte er im Selbststudium unterschiedliche Instrumente wie Geige, Flöte, Zither und Klavier zu spielen. Er zeigte beachtliches musikalisches Talent und begann mit zehn Jahren, seine ersten Stücke zu komponieren – oft heimlich und auf ausgeliehenen Instrumenten. Erste fundierte musikalische Erfahrungen verdankte er seinem Kantor Benedikt Christiani. Bereits nach wenigen Wochen Gesangsunterricht war Telemann in der Lage, den lieber komponierenden als unterrichtenden Kantor in den Oberklassen zu vertreten. Abgesehen von einer zweiwöchigen Unterweisung im Klavierspiel erhielt er keinen weiteren Musikunterricht. Gedämpft wurde sein Eifer von seinen Eltern. Insbesondere die Mutter, die 1685 Witwe wurde, missbilligte seine Beschäftigung mit Musik, zumal Bekannte sie vor dem oftmals als minderwertig geltenden Musikerstand warnten.

Mit nur zwölf Jahren komponierte Telemann seine erste Oper, Sigismundus, auf ein Libretto von Christian Heinrich Postel. Um Georg Philipp von einer musikalischen Karriere abzubringen, beschlagnahmte seine Mutter alle seine Instrumente und schickte ihn Ende 1693 oder Anfang 1694 zur Schule nach Zellerfeld. Wahrscheinlich wusste sie nicht, dass der dortige Superintendent Caspar Calvör sich in seinen Schriften intensiv mit Musik beschäftigte und Telemann förderte. Fast wöchentlich komponierte Telemann für den Kirchenchor Motetten. Daneben schrieb er auch Arien und Gelegenheitsmusiken, die er dem Stadtpfeifer vorlegte.

1697 wurde Telemann Schüler des Gymnasium Andreanum in Hildesheim. Unter der Leitung des Direktors Johann Christoph Losius vervollkommnete er seine musikalische Ausbildung und lernte – auch hier größtenteils als AutodidaktBlockflöte, Orgel, Violine, Gambe, Traversflöte, Oboe, Schalmei, Kontrabass und Bassposaune zu spielen. Daneben komponierte er Vokalwerke für das Schultheater und für ein 1708 erscheinendes Schulbuch (Singende Geographie, Autorschaft zweifelhaft). Weitere Kompositionsaufträge für den Gottesdienst des St.-Godehardi-Klosters erhielt er vom jesuitischen kirchenmusikalischen Direktor der Stadt, Pater Crispus.

Telemann wurde auch durch das Musikleben in Hannover und Braunschweig-Wolfenbüttel beeinflusst, wo er mit französischer und italienischer Instrumentalmusik in Berührung kam. Die zu dieser Zeit gesammelten Erfahrungen sollten große Teile seines späteren Werks prägen. Außerdem lernte er bei heimlichem Musikunterricht die italienisch geprägten Stile von Rosenmüller, Corelli, Caldara und Steffani kennen.

Studienjahre in Leipzig

1701 beendete Telemann seine Schulausbildung und schrieb sich an der Universität Leipzig ein. Unter dem Druck seiner Mutter nahm er sich vor, wie vorgesehen Jura zu studieren und sich nicht mehr mit der Musik zu beschäftigen. Zumindest versicherte er dies in seiner Autobiografie; dennoch scheint die Wahl der Stadt Leipzig, die als bürgerliche Metropole der modernen Musik galt, nicht zufällig gewesen zu sein. Schon auf dem Weg nach Leipzig hielt Telemann in Halle, um den damals sechzehnjährigen Georg Friedrich Händel zu treffen. Mit ihm begründete er eine Freundschaft, die sein ganzes Leben andauern sollte. Telemann schrieb, dass er seine musikalischen Ambitionen zunächst vor seinen Kommilitonen verheimlicht habe. Angeblich fand jedoch Telemanns musikbegeisterter Zimmerkamerad dank eines (wohl fingierten) Zufalls eine Komposition unter dessen Handgepäck, die er am folgenden Sonntag in der Thomaskirche aufführen ließ. Daraufhin wurde Telemann vom Bürgermeister beauftragt, zwei Kantaten pro Monat für die Kirche zu komponieren.

Telemanns Unterschrift (1714 und 1757)

Nur ein Jahr nach dem Eintritt in die Universität gründete er für die musikalischen Studenten ein 40-köpfiges Amateurorchester (Collegium musicum), das auch öffentliche Konzerte gab. Im Gegensatz zu ähnlichen studentischen Einrichtungen dieser Art blieb das Collegium auch nach Telemanns Weggang bestehen und wurde unter dessen Namen weitergeführt. Auch später noch, unter Leitung von Johann Sebastian Bach, hatte das „Telemannische“ Collegium Musicum großen Einfluss auf das Musikleben der Stadt.

Zunächst scheint Telemann sein Universitätsstudium noch fortgesetzt zu haben, im selben Jahr wurde er aber zum Direktor des Opernhauses ernannt, an dessen Aufführungen auch viele Mitglieder des Collegium teilnahmen und dessen Hauptkomponist er bis zur Schließung blieb. Zu den Aufführungen spielte er den Generalbass und sang gelegentlich. Von Telemanns wachsendem Ansehen irritiert, warf der offizielle städtische Musikdirektor Johann Kuhnau ihm vor, mit seinen weltlichen Werken zu großen Einfluss auf die geistliche Musik genommen zu haben und verweigerte die Teilnahme seiner Choristen an den Opernaufführungen. 1704 wurde Telemann nach erfolgreicher Bewerbung von der Neukirche, der damaligen Universitätskirche der Stadt, als Musikdirektor eingestellt. Die damit verbundene Organistenstelle gab er allerdings an Studenten ab. Ein Chor stand ihm wohl nicht zur Verfügung, denn für die Kirche schrieb Telemann ausschließlich Solokantaten.

Telemann unternahm von Leipzig aus zweimal Reisen nach Berlin. 1704 erhielt er von Graf Erdmann II. von Promnitz das Angebot, als Nachfolger von Wolfgang Caspar Printz Kapellmeister am Hof von Sorau in Schlesien zu werden – weshalb er die gräfliche Aufmerksamkeit auf sich zog, ist unbekannt. Daraufhin bot die Stadt, die den neuen Kompositionsstil schätzte, Telemann das Thomaskantorat und die Nachfolge Kuhnaus an. Möglicherweise bewogen die zwischen Kuhnau und Telemann entstandenen Spannungen letzteren dazu, Leipzig dennoch frühzeitig zu verlassen.

Sorau und Eisenach

Im Juni 1705 begann Telemann seine Arbeit in Sorau. Der Graf war ein großer Bewunderer der französischen Musik und sah in Telemann einen würdigen Nachfolger der von Lully und Campra geprägten Versailler Musikschule, von deren Kompositionen er bei einer Frankreich-Reise einige Abschriften mitbrachte und die Telemann nun studierte. In Sorau traf Telemann auf Erdmann Neumeister, dessen Texte er später vertonte und den er auch in Hamburg wieder sehen sollte. Auf Reisen nach Krakau und Pleß lernte er die polnische und mährische Folklore, wie sie wohl in Wirtshäusern und auf öffentlichen Veranstaltungen aufgeführt wurde, schätzen.

1706 verließ Telemann das vom Einmarsch der schwedischen Armee bedrohte Sorau und ging nach Eisenach, vermutlich auf eine Empfehlung des mit den sächsischen Herzogsfamilien verwandten Grafen Promnitz. Dort wurde er im Dezember Konzertmeister und Kantor am Hof des Herzogs Johann Wilhelm und gründete ein Orchester. Oft musizierte er gemeinsam mit Pantaleon Hebenstreit. Außerdem traf Telemann auf den Musiktheoretiker und Organisten Wolfgang Caspar Printz sowie auf Johann Bernhard und Johann Sebastian Bach. Er komponierte in Eisenach Konzerte für verschiedene Besetzungen, etwa 60 bis 70 Kantaten sowie Serenaden, Kirchenmusiken und „Operetten“ für festliche Anlässe. Den Text dazu verfasste er meistens selbst. Hinzu kamen etwa vier oder fünf Jahrgänge an Kantaten für den Gottesdienst. Als Bariton war er bei der Aufführung seiner eigenen Kantaten beteiligt.

Im Oktober 1709 heiratete Telemann Amalie Luise Juliane Eberlin, eine Hofdame der Gräfin von Promnitz. Kurz zuvor noch wurde er vom Herzog zum Sekretär ernannt – eine zur damaligen Zeit hohe Auszeichnung. Telemanns Frau verstarb bereits im Januar 1711 bei der Geburt der ersten Tochter am Kindbettfieber.

Frankfurt

Telemann, Kupferstich von Georg Lichtensteger (um 1745)

Vielleicht, weil er auf der Suche nach neuen Herausforderungen war, vielleicht, um vom Adel unabhängig zu sein, bewarb sich Telemann in Frankfurt am Main. Dort ernannte man ihn im Februar 1712 zum städtischen Musikdirektor und zum Kapellmeister der Barfüßer-, wenig später auch der Katharinenkirche. Er vollendete seine in Eisenach begonnenen Kantatenjahrgänge und komponierte fünf weitere. Außerdem war er für den Unterricht einiger Privatschüler zuständig. Wie auch in Leipzig begnügte sich Telemann in Frankfurt nicht mit diesen Verpflichtungen. 1713 übernahm er die Organisation der wöchentlich stattfindenden Konzerte sowie verschiedene Verwaltungsaufgaben des vornehmen „Klubs“ Gesellschaft Frauenstein. Außerdem ernannte der Eisenacher Hof Telemann zum Kapellmeister „von Haus aus“, sodass er seinen Titel behielt, aber Kantaten und Gelegenheitsmusiken nur noch an den Hof und an die Kirchen lieferte. Dies geschah bis 1731.

Während seiner Zeit in Frankfurt komponierte Telemann neben den Kantaten Oratorien, Orchester- und Kammermusik, von der ein Großteil veröffentlicht wurde, sowie Musik für politische Festakte und Hochzeitsserenaden. Allerdings fand er keine Gelegenheit, Opern zu veröffentlichen, wenngleich er weiterhin für die Leipziger Oper schrieb.

1714 heiratete Telemann Maria Katharina Textor, die Tochter eines Ratskornschreibers. Ab dem darauffolgenden Jahr gab er seine ersten gedruckten Werke im Selbstverlag heraus. Auf einer Reise nach Gotha im Jahr 1716 wurde Telemann vom Herzog Friedrich eine Stelle als Kapellmeister angeboten. Der Herzog versprach ihm nicht nur, seine Tätigkeit als Kapellmeister von Haus aus für den Eisenacher Hof zu bewahren, sondern veranlasste auch den Herzog von Sachsen-Weimar, Telemann eine weitere Kapellmeisterstelle zuzusagen. Damit wäre Telemann gewissermaßen Oberkapellmeister aller sächsisch-thüringischen Höfe geworden.

Ein an den Frankfurter Rat gerichteter Brief, in dem Telemann in höflichen Worten ein Ultimatum bezüglich seines Gehaltes stellte, beweist sein diplomatisches Geschick. Er blieb in Frankfurt und setzte eine Gehaltserhöhung von 100 Gulden durch. Zusammen mit seinen Einkünften aus der Gesellschaft Frauenstein und Honoraren für Gelegenheitskompositionen bezifferten sich Telemanns Jahreseinkünfte auf 1.600 Gulden, womit er zu den Bestbezahlten in Frankfurt gehörte.

Während eines Besuchs in Dresden im Jahr 1719 traf er wieder auf Händel und widmete dem Geigenvirtuosen Pisendel eine Sammlung von Violinkonzerten. Telemann schrieb auch weiterhin bis 1757 alle drei Jahre Werke für Frankfurt, nachdem er die Stadt verlassen hatte.

Anfangszeit in Hamburg

Telemanns Ultimatum an den Hamburger Stadtrat von 1722

1721 nahm Telemann das Angebot an, als Nachfolger von Joachim Gerstenbüttel die Kantorenstelle des Hamburger Johanneums zu übernehmen. Vermutlich schlugen Barthold Heinrich Brockes und Erdmann Neumeister seinen Namen vor. Telemann war allerdings schon früher mit der Hansestadt in Verbindung gekommen, da er bereits an ein oder zwei Opern für die Oper am Gänsemarkt beteiligt gewesen war. Mit seiner Berufung zum musikalischen Leiter der Stadt wurde Telemann auch Direktor der fünf großen ev. luth. Stadtkirchen – mit Ausnahme des Domes, für den Johann Mattheson verantwortlich war. Telemanns feierlicher Amtsantritt fand am 16. Oktober statt. Erst hier begann, mit der Möglichkeit Werke aller Formen zu komponieren und aufzuführen, seine 46 Jahre lang andauernde Hauptschaffensphase.

Als Kantor verpflichtete sich Telemann zur Komposition von zwei Kantaten wöchentlich und einer Passion pro Jahr, in späteren Jahren griff er allerdings bei seinen Kantaten auf frühere Werke zurück. Außerdem komponierte er zahlreiche Musiken für private und öffentliche Anlässe, etwa für Gedenktage und Hochzeiten. Das Kantorat war auch mit einer Tätigkeit als Musiklehrer des Johanneums verbunden; seinen Verpflichtungen zu außermusikalischem Unterricht kam er jedoch nicht selbst nach. Telemann baute das bereits 1660 von Matthias Weckmann gegründete, aber mittlerweile nicht mehr konzertierende Collegium musicum neu auf. Die Eintrittskarten verkaufte er persönlich.

In Hamburg nahm Telemann wieder seine Tätigkeit als Verleger auf. Um Kosten zu sparen, stach er entweder selbst die Kupferplatten, oder er verwendete ein 1699 von William Pearson entwickeltes und bis dahin nur in England gebräuchliches Verfahren, bei dem er mit Bleistift die Noten spiegelverkehrt auf eine Platte aus Hartzinn aufzeichnete. Die Druckplatte wurde dann von einem anderen ausgeschabt und abgezogen. Dabei schaffte Telemann neun bis zehn Platten pro Tag. Bis 1740 veröffentlichte er 46 Notenwerke im Selbstverlag, die er in mehreren deutschen Städten sowie in Amsterdam und London an Buchhändler verkaufte. Man konnte auch beim Komponisten selbst Partituren bestellen; bis 1739 informierten regelmäßig ergänzte Kataloge den Musikfreund.

Telemann hatte jedoch in der Hansestadt mehr Ärger, als er erwartet hatte. Der Ratsdrucker, der das alleinige Recht beanspruchte, die Musiknoten zu drucken, beschwerte sich beim Rat. Aus diesem Streit sollte er erst 1757 siegreich hervorgehen. Das Kollegium der Oberalten, das den Kantor auf geistliche Aufgaben beschränken wollte, klagte, als Telemann 1722 einige Kantaten in einem vornehmen Wirtshaus aufführen wollte. Obwohl der Rat schwieg, erlangte Telemann Kenntnis dieser Beschwerden. Dies, zusammen mit der unzureichenden Bezahlung und seiner zu kleinen Wohnung, bewog ihn dazu, am 3. September ein Entlassungsgesuch einzureichen – das, anders als sein Brief an den Frankfurter Rat, durchaus ernsten Anschein hat – und bewarb sich nach dem Tode Kuhnaus um die Stelle als Thomaskantor in Leipzig. Unter den sechs Bewerbern wurde er einstimmig gewählt, lehnte die Stelle jedoch etwas später ab, da der Stadtrat nun sein Gehalt um 400 Hamburgische Mark erhöhte. Telemanns gesamte Jahreseinkünfte betrugen damit etwa 4.000 Mark.

Neubeginn in Hamburg

Schlusschor des Oratorios der Kapitänsmusik (1730)

Erst jetzt gedieh Telemanns Tätigkeit in Hamburg auf allen Gebieten. Noch im selben Jahr übernahm er für ein Jahresgehalt von 300 Talern die Leitung der Oper. Dieses Amt führte er bis zur Schließung des Hauses im Jahr 1738 weiter. Von den etwa 25 Opernwerken aus dieser Zeit sind die meisten verschollen. 1723 übernahm Telemann zusätzlich eine Stelle als Kapellmeister von Haus aus für den Hof des Markgrafen von Bayreuth. Dorthin lieferte er von Zeit zu Zeit Instrumentalmusik sowie eine Oper jährlich. Telemanns Konzertveranstaltungen fanden meist im „Drillhaus“, der Exerzierhalle der Hamburgischen Bürgerwehr, statt und waren aufgrund des hohen Eintrittspreises den höheren Klassen vorbehalten. Telemann lieferte für seine Aufführungen – abgesehen von denen im Opernhaus – fast ausschließlich eigene Kompositionen.

1728 gründete Telemann zusammen mit Johann Valentin Görner die erste deutsche Musikzeitschrift, die auch Kompositionsbeiträge unterschiedlicher Musiker enthielt. Der getreue Musikmeister sollte das Musizieren daheim fördern und erschien zweiwöchentlich. Neben Telemann und Görner trugen auch elf andere zeitgenössische Musiker, unter anderem Keiser, Bonporti und Zelenka, mit ihren Kompositionen zur Zeitschrift bei. Weitere Sammelwerke zu Lehrzwecken folgten.

Telemanns Privatleben und seine zweite Ehe verliefen weniger glücklich. Es war ein offenes Geheimnis, dass Maria Katharina ein Verhältnis mit einem schwedischen Offizier hatte. Zehn Jahre nach der Geburt des letzten Kindes warf Telemann seine Frau aus dem Haus und schickte sie zu ihren Verwandten nach Frankfurt zurück, nachdem er entdeckt hatte, dass sie im Glücksspiel 5.000 Reichstaler (etwa 18.125 Hamburgische Mark) verloren hatte. Ohne Telemanns Wissen ließen einige Hamburger Bürger eine Spendenaktion organisierten, um ihn vor dem Bankrott zu retten. Dass es Telemann dennoch gelang, seine dringlichsten Gläubiger hauptsächlich aus eigener Tasche zufrieden zu stellen, und dass er sich mehrere – offensichtlich von der Stadt bewilligte – Kuraufenthalte in Bad Pyrmont leistete, beweist, dass er ein vermögender Mann war.

Reise nach Paris und späte Jahre

Einem langgehegten Wunsch folgend, besuchte Telemann im Herbst 1737 Paris, nachdem er von einer Gruppe dortiger Musiker (Forqueray, Guignon und Blavet) dazu eingeladen worden war. Während seiner Abwesenheit ließ sich Telemann von Johann Adolf Scheibe vertreten. Sieben Werke Telemanns lagen in Paris bereits im Nachdruck vor. Nach viermonatigem Aufenthalt verlieh der König ihm ein zwanzig Jahre dauerndes Exklusivrecht an seinen Veröffentlichungen, das vor Raubdrucken schützen sollte. Mit mehreren Aufführungen seiner Werke gelangte Telemann endgültig zu internationalem Ruhm. Als erster deutscher Komponist durfte er sich am Concert Spirituel, das öffentliche Konzerte gab, vorstellen. Im Mai 1738 kehrte Telemann, dessen Ansehen auch in Deutschland durch die Reise erhöht worden war, nach Hamburg zurück. 1739 trat er in die Correspondierende Societät der musicalischen Wissenschaften, die sich mit musiktheoretischen Fragen beschäftigte, ein.

Gedenktafel am Hamburger Rathaus

In einer im Oktober 1740 erschienenen Zeitungsanzeige bot Telemann die Druckplatten von 44 selbstverlegten Werken zum Verkauf an, da er sich nunmehr auf die Veröffentlichung von Lehrschriften konzentrieren wolle. Aus den folgenden 15 Jahren sind vergleichsweise wenige Kompositionen erhalten. Zunehmend setzte Telemann ungewöhnliche Instrumentenkombinationen und neuartige harmonische Effekte ein. Außerhalb seiner Pflichten widmete er sich der Sammlung seltener Blumen. Aus der Ehe mit Maria Katharina gingen insgesamt zehn Kinder hervor; keiner der Söhne wurde Musiker.

Aus der Zeit ab 1755 sind noch drei große Oratorien und weitere geistliche und weltliche Werke erhalten. Telemanns Sehvermögen verschlechterte sich zusehends, außerdem litt er an Beinbeschwerden. Immer häufiger zog er seinen ebenfalls komponierenden Enkel Georg Michael zur Unterstützung beim Schreiben heran. Telemanns Humor und Innovationskraft litten nicht unter seiner Müdigkeit. Sein letztes Werk, eine Markus-Passion, komponierte er 1767. Am 25. Juni, im Alter von 86 Jahren, starb Telemann an den Folgen einer Lungenentzündung. Er wurde im Friedhof des St. Johannis-Klosters beigesetzt, an dessen Stelle sich heute der Rathausmarkt befindet. Dort erinnert eine Gedenkplatte links neben dem Eingang zum Rathaus an ihn. Sein Nachfolger im Amt wurde sein Patensohn, Carl Philipp Emanuel Bach.

Über Telemanns Leben und Werk sind mehr Details überliefert als über viele seiner zeitgenössischen Kollegen. Neben etwa 100 Briefen sind auch Gedichte, Vorworte und diverse Artikel des Komponisten überliefert. Die wichtigsten Textquellen aber sind – ungeachtet ihrer Fehler – seine drei Autobiografien, die er auf Wunsch der Musikgelehrten Mattheson (1718 und 1740) sowie Johann Gottfried Walther (1729) schrieb. Die Lebensabschnitte in Sorau und Eisenach sowie nach dem Erscheinen der letzten Autobiografie sind in den von Telemann selbst stammenden Textquellen kaum beschrieben, lassen sich aber durch indirekte Hinweise in diversen anderen Dokumenten grob rekonstruieren.

Wirken und Schaffen

Einfluss

Mehrere zeitgenössische Musiker – darunter auch Telemanns Schüler Johann Christoph Graupner, Johann Georg Pisendel und Johann David Heinichen – griffen Elemente von Telemanns Schaffen auf. Andere Komponisten wie Gottfried Heinrich Stölzel eiferten ihnen bald nach. Weitere Schüler aus der Hamburger Zeit, denen Telemann nicht das Instrumentalhandwerk, sondern „Stilkunde“ vermittelte, sind Jacob Wilhelm Lustig, Johann Hövet, Christoph Nichelmann, Johann Christoph Schmügel, Caspar Daniel Krohn und Georg Michael Telemann. Telemanns polnische Einflüsse regten Carl Heinrich Graun zum Nachahmen an; Johann Friedrich Agricola lernte in jungen Jahren aus Telemanns Werken. Auch Johann Friedrich Fasch, Johann Joachim Quantz und Johann Bernhard Bach erwähnten Telemann ausdrücklich als Vorbild für einige ihrer Werke. Aus eigenhändigen Bemerkungen, mit denen er die Manuskripte von Telemann versah, geht hervor, dass Carl Philipp Emanuel Bach etliche seiner Kompositionen studiert und aufgeführt hat. Die rege Freundschaft Telemanns mit Händel drückte sich nicht nur darin aus, dass Telemann mehrere von Händels Bühnenwerken – teilweise mit eigenen Einlagen – in Hamburg aufführte, sondern auch darin, dass Händel in späteren Jahren oftmals Themen von Telemann in seinen eigenen Kompositionen verwendete. Johann Sebastian Bach fertigte Abschriften mehrerer Kantaten Telemanns an und führte seinen Sohn Wilhelm Friedemann in einem für ihn angelegten Klavierbüchlein an dessen Musik heran. Das von Leopold Mozart für Wolfgang Amadeus angelegte Notenbuch enthält elf Menuette sowie eine Klavier-Fantasie von Telemann. Sowohl der Klavierstil Carl Philipp Emanuel Bachs als auch Wolfgang Amadeus Mozarts erinnert mitunter an Telemanns Schreibweise.

Neben seinen Leistungen als Komponist hatte Telemann Einfluss auf die bürgerliche Haltung zur Musik. Telemann war der Begründer eines dynamischen Hamburger Konzertlebens, in dem er regelmäßige öffentliche Aufführungen außerhalb jeglicher aristokratischer oder kirchlicher Rahmenbedingungen ermöglichte. Telemanns Gründung von Amateurorchestern und der ersten deutschen Musikzeitschrift mit diversen Kompositionsbeiträgen entsprang möglicherweise dem Wunsch, einer gewissen Bourgeoisie Zugang zur Musik zu ermöglichen. Ebenso bekunden die Vorworte mehrerer im Druck erschienener Lehrstücke die musikerzieherische Absicht, praktisches Studienmaterial zur Verfügung zu stellen.

Werke

Mit über 3600 verzeichneten Werken ist Telemann einer der produktivsten Komponisten der Musikgeschichte. Dieser große Umfang ist teils auf seine flüssige Arbeitsweise, teils auf eine mit 75 Jahren sehr lange Schaffensphase zurückzuführen. Einen Eindruck von Telemanns Arbeitsweise gab Friedrich Wilhelm Marpurg, der berichtete, zu seiner Zeit als Kapellmeister am Eisenacher Hofe seien Telemann wegen der bevorstehenden Ankunft eines hohen Besuchs nur drei Stunden Zeit gegeben worden, eine Kantate anzufertigen. Der Hofpoet verfasste den Text, und dazu schrieb Telemann gleichzeitig die Partitur, wobei er meist noch vor dem Dichter mit der Zeile fertig war. Nach etwas über einer Stunde war das Stück fertig.

Telemanns Erbe umfasst alle zu seiner Zeit verbreiteten Gattungen. Allerdings sind viele Kompositionen verschollen. Aus Telemanns Anfangszeit sind nur wenige Werke erhalten; der Großteil der überlieferten Stücke fällt in die Zeit von Frankfurt und Hamburg. Das Werk wird im Telemann-Werke-Verzeichnis (TWV) und dem Telemann-Vokalwerke-Verzeichnis (TVWV) aufgelistet. Die Instrumentalmusik wurde fast vollständig in modernen Ausgaben wiederveröffentlicht, während die Arbeit am TVWV noch nicht abgeschlossen wurde. Von den 49 geplanten Bänden der Auswahlausgabe sind bis jetzt 37 (ohne Ergänzungsbände; Stand: November 2005) erschienen oder in Arbeit. Einige Bereiche des Werks, wie etwa die Passionen, sind noch zu wenig erschlossen, um sich einen Überblick verschaffen zu können.

Telemann bewies Flexibilität, indem er sowohl nach wechselnden Moden seiner Zeit als auch nach der Musik verschiedener Nationen komponierte. In seiner Hauptschaffensphase wandte er sich dem empfindsamen Stil zu, der kunstgeschichtlich eher dem Rokoko als dem Barock zuzuordnen ist und eine Brücke zur Wiener Klassik schlug; oft vereinigte er diesen „galanten“ Stil mit kontrapunktischen Elementen.

Im Zentrum von Telemanns Schaffensprinzip steht ein gesanglich fundiertes Melodieideal. Er selbst betonte mehrmals die grundlegende Wichtigkeit dieses Kompositionselements; auch Mattheson charakterisierte Telemann zu Lebzeiten als einen Komponisten schöner Melodien.

In der Harmonik drang Telemann in für damalige Zeiten ungewohnte Klangbereiche vor. Er machte absichtsvollen Gebrauch der Chromatik und Enharmonik und verwendete oft Rückungen, ungewöhnliche (übermäßige und verminderte) Intervalle sowie alterierte Akkorde. In seinem Spätwerk treten die ausdruckssteigernden Dissonanzen besonders deutlich hervor. Die „nahezu funktionssichere Anwendung der Dur/Moll-Paralleltonarten, Leittonwechselklänge u. a.“ geht zum Teil auf Jean-Philippe Rameau zurück.[1] Im empfindsamen Stil hatte die akkordisch begleitete Oberstimme einen hohen Stellenwert. Ausgeprägte Polyphonie betrachtete Telemann daher als nicht zeitgemäß und setzte sie nur dort ein, wo sie ihm zweckdienlich erschien.

Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen spielte Telemann kein Musikinstrument virtuos, war aber mit einer Vielzahl vertraut und beherrschte alle gebräuchlichen. Der so erlangte Einblick in die unterschiedlichen Wirkungen verschiedener Klangfarben erklärt seine Behandlung der Instrumentation als unerlässliches Kompositionselement. Am meisten schätzte Telemann wohl die Traversflöte und Oboe, insbesondere die Oboe d’amore. Selten verwendete Telemann hingegen das Violoncello außerhalb seiner Generalbassfunktion; vom Dudelsack und der Drehleier machte er keinen Gebrauch. Gelegentlich, wie etwa in einer Arie der Lukas-Passion von 1744, schrieb er Skordatur vor. An Kompositionen mit besonders schwierigem oder schnellem Instrumentalspiel zeigte Telemann kein Interesse; er schrieb auch Lehrwerke bewusst geringen technischen Schwierigkeitsgrades.

Beispiel für Tonmalerei in Telemanns Musik (aus der Wassermusik, TWV 55:C3). Zu Beginn des „Der stürmische Aeolus“ überschriebenen Satzes wird der lauter werdende Wind mit nacheinander einsetzenden Instrumenten umgesetzt:

Neben der im Barock und vor allem im empfindsamen Stil verbreiteten musikalischen Umsetzung von Seelenstimmungen betrieb Telemann des Öfteren akribisch ausgearbeitete Tonmalerei. Bei Vokalwerken verwendete er zur Unterstreichung von Textstellen malende Figuren, Koloraturen und Wortwiederholungen. Sowohl in weltlichen als auch in geistlichen Vokalweren legte Telemann auf Deklamation und musikalische Wortausdeutung, insbesondere in Rezitativen, großen Wert.

Da die literarischen Strömungen des Zeitalters der Aufklärung Telemanns geistige Orientierung beeinflussten, kommt der Dichtung eine besondere Bedeutung in seinem musikalischen Schaffen zu. Die Texte zu den Vokalwerken wurden teils von ihm selbst verfertigt, teils stammten sie von den bekanntesten deutschen Schriftstellern seiner Zeit, darunter Brockes, Hagedorn, König, Klopstock, Neumeister und anderen. Telemann gab seine Erwartungen an geeignete Texte sowie an deren innere Gliederung den Textdichtern vor. Gelegentlich nahm er an den Libretti nachträgliche Änderungen gemäß seinen Vorstellungen vor.

Um den Charakter eines Musikstückes präzise anzugeben, wohl aber auch aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Dichterverband Teutschübende Gesellschaft, setzte sich Telemann – bereits 100 Jahre vor Robert Schumann – für die Verwendung deutscher Vortrags- und Ausdrucksbezeichnungen (z. B. „liebreich“, „unschuldig“ oder „verwegen“) ein, allerdings ohne damit Nachahmer gefunden zu haben.

Instrumentalwerke

Zu Telemanns Instrumentalmusik gehören etwa 1.000 (davon erhalten sind 126) Orchestersuiten sowie Sinfonien, Konzerte, Violinsoli, Sonaten, Duette, Triosonaten, Quartette, Klavier- und Orgelmusik.

Die Instrumentalwerke weisen oftmals starke Einflüsse verschiedener Nationen auf; gelegentlich wird dieser Stil auch „vermischter Geschmack“ genannt. Einige Stücke sind vollständig nach italienischer oder französischer Art geschrieben. Letztere übte besonders großen Einfluss auf Telemann aus und findet sich in lebhaften, fugierten Sätzen, Tanzsuiten und französischen Ouvertüren wieder. Auch die Tonmalerei ist zum Teil französischen Ursprungs.

Beispiel für osteuropäische Einflüsse in Telemanns Musik (aus dem Concerto poloniosy, TWV 43:G7). Der zweite Satz ist der mährischen Musik nachempfunden:
Beispiel anhören/?
Der dritte Satz ist eine Mazurka:
Beispiel anhören/?

Als erster deutscher Komponist integrierte Telemann auch im großen Umfang Elemente der polnischen Volksmusik. Im Gegensatz zu anderen Komponisten wie Heinrich Albert beschränkte er sich dabei nicht auf bekannte Elemente und Tanzformen, sondern prägte sowohl Orchester- als auch Kammermusik mit slawischer Melodik und Rhythmik. Letztere drückt sich etwa in Synkopierungen und häufigen Geschwindigkeitswechseln aus. Zeitweise, wenn auch seltener, nahm Telemann folkloristische Elemente weiterer Völker wie etwa des Spanischen in seine Werke auf.

Telemann trug zur Emanzipation bestimmter Instrumente bei. So schrieb er das erste bedeutende Solokonzert für Bratsche und nutzte dieses Instrument erstmalig im Rahmen der Kammermusik. Ungewöhnlich für die damalige Zeit war eine Komposition (Concert à neuf parties), in der zwei Kontrabässe verwendet wurden. Außerdem komponierte er – ohne es so zu benennen – das erste Streichquartett. Gleichzeitig mit und unabhängig von Johann Sebastian Bach entwickelte Telemann einen Sonatentyp, in dem das Cembalo nicht mehr als Continuo, sondern als Soloinstrument auftrat. In seinen Nouveaux Quatuors ließ Telemann zum ersten Mal in der Musikgeschichte das Cello gleichberechtigt neben anderen Instrumenten konzertieren. Oft weisen seine Instrumentalwerke eine ungewöhnliche Führung der Melodiestimmen auf; in einem Stück beispielsweise sah er als Alternative für die Blockflöte auch ein zwei Oktaven tiefer gespieltes Violoncello oder Fagott vor.

In einigen Instrumentalwerken spielt der sich in Tonmalerei ausdrückende Humor eine große Rolle. Der Schlusssatz « L’Espérance du Mississippi » der Ouvertüre La Bourse etwa mit seinem Auf und Ab spielte auf den Krach an der Pariser Börse im Jahre 1720 an. Ein anderes Beispiel bietet das Konzert Die Relinge, das das Liebesspiel eines Froschpaares musikalisch umsetzt.

MIDI-Hörbeispiel: Blockflötensonate TWV 41:f1/? aus dem getreuen Musikmeister

Zu den heute populärsten Instrumentalwerken Telemanns gehören diejenigen, die im Getreuen Music-Meister und in den Essercizii Musici (1739/40) veröffentlicht wurden, sowie die Wassermusiken Hamburger Ebb’ und Flut (1723) und die Alster-Ouvertüre, die Tafelmusik (1733) und die Nouveaux Quatuors („Pariser Quartette“, 1737). Zu Telemanns Zeit genossen ebenso die Musiksammlungen Singe- Spiel- und Generalbassübung (1733) und Melodische Frühstunden (1735) Bekanntheit.

Geistliche Vokalwerke

Siehe auch: Kantaten (Telemann)

Telemanns 1.750 Kirchenkantaten stellen fast die Hälfte seines gesamten Nachlasses dar. Daneben schrieb er 15 Messen, 23 Psalmen, über 40 Passionen, 6 Oratorien sowie Motetten und andere sakrale Werke.

Kantate Die Hirten bei der Krippe zu Bethlehem (1759)

Telemann löste sich vom älteren Kantatentyp, der nur Choräle und unveränderte Bibelstellen vertonte. Wie auch Johann Sebastian Bach hält sich Telemann an die von Neumeister entwickelte Form, worin einem einleitenden Bibelvers oder Choral Arien und Ariosi folgen und in einen Schlusschoral münden. Meist schrieb Telemann Soloarien. Duette treten vergleichsweise selten auf; wenn, dann sind sie oft kontrapunktisch ausgearbeitet, mitunter auch kanonisch. Von Soloterzetten und -quartetten gibt es nur Einzelbeispiele.
Neben den verbreiteten vierstimmigen Chören finden sich auch Beispiele von Drei- oder Fünfstimmigkeit, selten Doppelchöre. Wie auch in der Instrumentalmusik zieht Telemann hier fugierte Abschnitte vollständig gearbeiteten Fugen vor.

Dramatik und detaillierte Tonmalerei bestimmen Telemanns Oratorien. Dabei verwendet er mannigfaltige Ausdrucksformen wie wiederholte Rezitative, häufige Instrumenteneinsätze zur Unterstreichung von Seelenstimmungen und Situationen sowie kurze konzertante Phrasen. Die Chöre setzen vehement und selbstbewusst, gelegentlich unisono, ein. Die Harmonik ist im Allgemeinen einfacher, aber evokativer und auf die jeweilige Situation zugeschnittener als im älteren barocken Stil.

Zu den populärsten geistlichen Werken von Telemann zählten seinerzeit das Selige Erwägen (1722), die Donner-Ode (1756), Das befreite Israel (1759), Der Tag des Gerichts (1762), Das Lied Mirjams (1759) sowie Die Hirten bei der Krippe zu Bethlehem. Um den Anforderungen der sehr zahlreichen kleineren Kirchen sowie den Lehrzwecken für den Hausgebrauch gerecht zu werden, veröffentlichte Telemann auch Kantatensammlungen in kammermusikalischer Besetzung, wie Der harmonische Gottesdienst (1726). 1730 veröffentlichte er sein Fast allgemeines evangelisch-musikalisches Liederbuch.

Telemann schrieb zudem zahlreiche Trauermusiken für hochgestellte Persönlichkeiten seiner Zeit – so für August den Starken (Unsterblicher Nachruhm Friederich Augusts, fälschlich auch Serenata eroica, 1733), Georg II. von Großbritannien (1760), die römisch-deutschen Kaiser Karl VI. (1740, verschollen), Karl VII. (1745) und Franz I. (1765, verschollen), neun weitere für verschiedene Hamburger Bürgermeister (darunter der so genannte Schwanengesang für Garlieb Sillem, 1733), zwei für das Pastoren-Ehepaar Elers sowie die nicht näher datierbare, aber vielleicht bekannteste Kantate Du aber, Daniel, gehe hin und noch sieben weitere, die jedoch teils nur noch fragmentarisch oder im Textbuch überliefert sind.

Weltliche Vokalwerke

Telemanns weltliche Vokalwerke lassen sich in Opern, großangelegte Festmusiken für offizielle Angelegenheiten, Kantaten im privaten Auftrag und Kantaten, in denen er dramatische, lyrische oder humorige Texte vertonte („Oden“, „Kanons“, „Lieder“) unterteilen.

Die meisten der überlieferten Opern wenden sich dem komischen Genre zu. Romain Rolland bezeichnete Telemann als den Komponisten, der der Opéra comique in Deutschland zu größerer Verbreitung verhalf.

Im Gegensatz zu Händel, der sich fast ausschließlich auf Soloarien beschränkte, machte Telemann in seinen Opern Gebrauch von äußerst verschiedenartigen Stilmitteln. Dazu gehören unterschiedlich gearbeitete Rezitative, Da-capo-Arien, tänzerische Motive, singspielartige Arien, arie di bravura und Stimmlagen vom Bass bis zum Kastraten. Charaktere und Situationen stellte Telemann konsequent mit darauf abgestimmter Melodik, Motivik und Instrumentation dar; auch hier machte er einfallsreichen Gebrauch diverser pittoresker Figuren.

Zu den ehemals beliebtesten und heute zum Teil wiederentdeckten der rund 50 Opern gehören Der geduldige Socrates (1721), Sieg der Schönheit oder Gensericus (1722), Der neumodische Liebhaber Damon (1724), Pimpinone oder Die ungleiche Heirat (1725) und Emma und Eginhard (1728).

Telemanns letzte weltliche Kompositionen weisen eine hohe Dramatik und kühne Harmonik auf; die Kantaten Ino (1765), Der May – Eine musicalische Idylle (um 1761) und Der Tod Jesu erinnern ob ihrer extremen Gefühlsregungen an die Musik Christoph Willibald Glucks. Weitere weltliche Kantaten, die eine gewisse posthume Bekanntheit erlangten, sind die Trauer-Music eines kunsterfahrenen Canarienvogels („Kanarienvogel-Kantate“) und Der Schulmeister.

In seinen Liedern knüpfte Telemann an das Schaffen Adam Kriegers an und entwickelte es in textlicher und melodischer Hinsicht weiter. Die Melodien sind einfach gehalten und häufig in unregelmäßige Perioden gegliedert. Telemann war „wichtigstes ‚Verbindungsglied‘ zwischen dem Liedschaffen des 17. Jahrhunderts und der Berliner Liederschule“.[2]

Musiktheoretische Werke

In seiner späteren Schaffensphase plante Telemann mehrere musiktheoretische Abhandlungen, darunter eine über das Rezitativ (1733) und einen Theoretisch-practischen Tractat vom Componiren (1735). Keine dieser Schriften ist überliefert, sodass davon ausgegangen werden muss, dass sie entweder verloren gingen oder wieder von Telemann verworfen wurden.

1739 veröffentlichte Telemann die Beschreibung der Augenorgel, eines vom Mathematiker und Jesuitenpater Louis-Bertrand Castel entworfenen Instruments, das Telemann während seiner Paris-Reise besichtigte. Überliefert ist auch ein Stimmungssystem mit dazugehöriger Intervalltabelle, an dem Telemann noch einen Monat vor seinem Tod arbeitete und bei dem er sich offenbar an Arbeiten von Johann Scheibe orientierte. Es war jedoch theoretischer Natur und wurde wenig beachtet.

Rezeptionsgeschichte

In der gesamten Geschichte der europäischen Kunstmusik war das Ansehen kaum eines Tonkünstlers einem derart radikalen Wandel unterworfen wie das von Georg Philipp Telemann.

Während Telemann zu Lebzeiten ein großes Ansehen genoss, das auch über die Ländergrenzen hinausstrahlte (Lit.: Fleischhauer 1967–70), schwand seine Wertschätzung bereits wenige Jahre nach seinem Tod. Einen Tiefpunkt erreichte seine Anerkennung während der Romantik, als die bloße Bemängelung des Werks einer unbegründeten, auch seine Person betreffenden Diffamierung wich (Lit.: Klein 1998). Musikwissenschaftler des 20. Jahrhunderts räumten, zunächst zögerlich, auf Werkanalyse gestützten Einschätzungen mehr Raum ein und leiteten schließlich eine Wiederentdeckung Telemanns ein, die von sporadischer Kritik begleitet wird.

Ruhm zu Lebzeiten

Telemann, Titelkupfer zur Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste nach dem Porträt von Lichtensteger (1764)

Neben den prestigeträchtigen Posten und Angeboten aus höfischem und städtischem Umfeld zeugen auch Quellen aus künstlerischen und populären Kreisen von Telemanns hohem, stetig wachsendem Ansehen. Während Telemann schon in Frankfurt weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt war, erreichte sein Ruhm in Hamburg den Höhepunkt. Beigetragen zu seiner beispiellosen Karriere hatten neben der Tatsache, dass er neue, beliebte musikalische Entwicklungen vorantrieb, auch sein Geschäftssinn und die Unverfrorenheit, die er höher gestellten Personen entgegenbrachte.

Dass Telemann eine europäische Berühmtheit war, zeigt sich beispielsweise an den Bestelllisten seiner Tafelmusik und seiner Nouveaux Quatuors, in denen Namen aus Frankreich, Italien, Dänemark, Schweiz, Holland, Lettland, Spanien und Norwegen, sowie Händel (aus England) aufgeführt sind. Ebenso beweisen Einladungen und Kompositionsaufträge aus Dänemark, England, dem Baltikum und Frankreich sein internationales Ansehen. Wie ein Angebot aus Sankt Petersburg zum Aufbau einer Hofkapelle aus dem Jahr 1729 zeigt, interessierte sich auch der Hof des russischen Zaren für Telemanns Talent. Zu Aufführungs- und Studienzwecken wurden von Telemanns beliebtesten Werken allerorts Abschriften wie auch Raubdrucke angefertigt.

Kurz nach Telemanns Amtsantritt in Hamburg berichtete der als „Kunstrichter“ regelmäßig publizierende Johann Mattheson, dass jener „sich bisher, der ihm beywohnenden grossen Geschicklichkeit und Arbeitsamkeit zu Folge, äuserst, und mit sehr gutem Fortgange, angelegen seyn lassen, die geistliche Music so wohl, als auch Privat-Concerte, aufs neue zu beseelen […]; also hat man auch, seit kurzem, ein fast gleiches Glück an den hiesigen Opern zu erleben angefangen“ (Critica Musica I, 1722).

Johann Christoph Gottsched zählte in seiner Zeitschrift Der Biedermann vom Dezember 1728 Telemann zusammen mit Händel und Johann Sebastian Bach zu den „dreien musikalischen Meistern, die heutzutage unserem Vaterland Ehre machen.“

Viele von Telemanns Konzerten wurden in der Hamburger Tagespresse angekündigt und besprochen. Bei der Ankündigung einer gedruckten Kantatensammlung hieß es etwa:

„Unser Herr Telemann hat abermahls eine ausnehmende Probe seiner Geschicklichkeit in seiner Kunst und seines unermüdlichen Fleißes […] an den Tag geleget […] weil nicht allein jedwede Cantate, sondern sogar fast jedwede Arie einen besonderen Affect ausdrücket, so kann man sich nichts anderes, als einen allgemeinen und der Telemannischen Arbeit gewöhnlichen Beyfall versprechen.“ (Korrespondenz vom 30. März 1731)

Geschätzt wurde neben Telemanns Ausdruckskraft und melodischem Einfallsreichtum auch sein international geprägtes Schaffen. Johann Scheibe behauptete, Johann Sebastian Bachs Werke seinen „keinesfalls von solchem Nachdruck, Überzeugung und vernünftigem Nachdenken […wie diejenigen von Telemann und Graun…] Das vernünftige Feuer eines Telemanns hat auch in Deutschland diese ausländische Musikgattungen bekannt und beliebt gemacht […] Dieser geschickte Mann hat sich auch sehr oft in seinen Kirchensachen derselben mit guter Wirkung bedienet, und durch ihn haben wir die Schönheit und die Anmut der französischen Musik mit nicht geringem Vergnügen empfunden“ (Der critische Musikus, 2. Auflage, 1745). Auch Mizler, Agricola und Quantz (Versuch einer Anweisung…, 1752) lobten Telemanns Verwendung fremder Einflüsse.

Während seines Hamburger Lebensabschnitts war Telemann der bekannteste Komponist der deutschsprachigen Welt (Händel war nach England ausgewandert). Besondere Wertschätzung erfuhr seine geistliche Musik, die nicht nur an seinen Wirkungsstätten, sondern in vielen weiteren nord-, mittel- und süddeutschen Gemeinden, teilweise auch im Ausland, Anklang fand. Der Musikkritiker Jacob Adlung schrieb 1758, es gebe kaum eine deutsche Kirche, in der Telemanns Kantaten nicht aufgeführt würden. Friedrich Wilhelm Zachariä bezeichnete in seinen Tageszeiten (1754) Telemann in einem Vergleich mit Bach als „Vater der heiligen Tonkunst“. Weiteres Lob an der allgemeinverständlichen und ausdrucksstarken Musik kam unter anderem von Johann Scheibe und Christian Friedrich Weichmann. Nach einigem erfolglosem anfänglichem Widerstand fand letztendlich auch der „theatralische“ Stil des Kirchenkomponisten allgemeinen Beifall.

Zu den kritisch betrachteten Aspekten von Telemanns Schaffen gehörte die von Mattheson missbilligte musikalische Umsetzung von Natureindrücken. Anders als bei der nach dem Tode Telemanns einsetzenden Kritik an der Tonmalerei ging es Mattheson vor allem darum, die Musik als menschliche Ausdrucksform vor der Beschreibung der „unmusikalischen“ Natur zu bewahren. Meist wurde Telemanns hohe Produktivität positiv betrachtet – Mattheson ging so weit, eine lobende Ode auf seinen Fleiß zu schreiben. Graun hingegen wies in einem Brief vom 14. Januar 1752 Telemann auf die Gefahr hin, „durch allzu vieles Schreiben sich selbst einen Eckel verursachen“ zu können. Telemanns ungewohnte Harmonik wurde unterschiedlich aufgenommen, aber als Mittel zur Unterstreichung des Ausdrucks generell akzeptiert. Teilweise getadelt wurde die Komik und der Mangel an „Schamhafftigkeit“ (Mattheson) von Telemanns Opern, ebenso die damals gebräuchliche Mischung von deutschen und italienischen Texten.

Vom Ableben Telemanns im Jahre 1767 zeigte sich die Musikwelt betroffen. Johann Heinrich Rolle fasste das Wirken Telemanns in einem an dessen Enkel gerichteten Kondolenzschreiben folgendermaßen zusammen:

„Wie viele Jahre wäre vielleicht die Music in Deutschland nicht noch elend und erbärmlich geblieben, wenn kein Telemann aufgestanden, der durch sein göttliches Genie und durch seinen überaus großen Fleiß die Music aus der Finsterniß herausgezogen, und ihr einen ganz andern und neüern Schwung gegeben?“ (Brief vom 7. Juli)

Wandel der Musikauffassung

Die zu Telemanns Lebzeiten vorherrschende Wertschätzung überdauerte seinen Tod nicht lange. Schon wenige Jahre danach häufte sich die Kritik an seinem Werk. Der Grund für diesen Wechsel lag im Übergang vom Barock zu einer Zeit des Sturm und Drang und der beginnenden Wiener Klassik mit dem damit einhergehenden modischen Wandel. Die Aufgabe der Musik lag nicht mehr im „Erzählen“, sondern im Ausdruck subjektiver Empfindungen. Außerdem löste sich die Bindung der Musik an bestimmte Anlässe; die sogenannte Gelegenheitsmusik wurde von Kompositionen verdrängt, die „um ihrer selbst willen“ angefertigt wurden.

Kritisch betrachtet wurden zum einen die Textvorlagen der geistlichen Musik von Telemann und anderen Kirchenkomponisten, denn auch diese hatten sich nun den modernen Regeln der Dichtung unterzuordnen. Zum anderen wurde die von Telemann besonders konsequent betriebene Umsetzung textueller Ideen wie Herzklopfen, wütendem Schmerz und ähnlichem in die Musik heftig kritisiert. Außerdem betrachtete man die komische Oper als Zeichen eines angeblichen Verfalls der Musik.

Repräsentativ für die nun vorherrschenden, veränderten Auffassungen über die Komposition und Dichtung ist folgende Aussage Gotthold Ephraim Lessings:

„Telemann übertrieb auch nicht selten seine Nachahmung in das Abgeschmackte, indem er Dinge mahlte, welche die Musik gar nicht mahlen sollte“ (Kollektaneen zur Literatur, zwischen 1768 und 1770).

Weitere Kritik aus der Musikersphäre kam von Sulzer, Kirnberger, Schulz und anderen. Telemanns Ansehen schwand rapide, und andere Komponisten wie Graun, denen man einen „zärtlicheren“ Geschmack nachsagte, kamen in Mode.

1770 äußerte der Hamburger Literaturprofessor Christoph Daniel Ebeling in seinem Versuch einer auserlesenen musikalischen Bibliothek erstmals die später sehr häufig verwendete Folgerung, aus dem enormen Umfang von Telemanns Werk ließe sich auf eine mangelnde Qualität des Opus schließen, indem er Telemanns „schädliche Fruchtbarkeit“ mit der Begründung „Selten hat man von Polygraphen [Vielschreibern] viele Meisterstücke“ angriff.

Telemanns weltliches und instrumentales Werk konnte sich vor den Kritikern noch einige Zeit lang behaupten, doch bald übertrug sich die Kritik auf sein gesamtes Schaffen.

Der Komponist und Musikkritiker Johann Friedrich Reichardt bemängelte, Telemanns Tonmalerei gehe mit Gefälligkeit einher:

„Wenn er [Telemann] aber von den Franzosen lernte, sich zu sehr nach dem Geschmacke der Nation oder der Leute, unter denen man lebte, zu bequemen, so weiß ich auch viel nachtheiliges über die Reise zu sagen. Er bequemte sich wirklich oft nach Leuten vom übelsten Geschmakke, daher man auch unter seinen vortreflichen Werken so viel mittelmäßige Arbeiten findet, und in diesen die ungeheuren und läppischen Schildereyen“ (Briefe eines aufmerksamen Reisenden die Musik betreffend…, Zweyter Theil, 1776).

Ausschnitt aus einem gegen Ende des 18. Jahrhunderts erschienenen Kupferstich eines englischen Organisten, der auch Bachs Wohltemperiertes Klavier herausgab. Der Autor zählte Bach, Händel, Graun und Haydn zu den besten Komponisten; Telemann ist zusammen mit anderen Musikern zweitrangig eingeordnet.

Eine Würdigung des Werkes im Bewusstsein eines veränderten Geschmacks fand nur vereinzelt statt. John Hawkins bezeichnete Telemann in seinem Werk A General History of the Science and Practice of Music…, Volume the Fifth (1776) als „den größten Kirchenmusiker in Deutschland“ („the greatest church musician in Germany“).
Christian Friedrich Daniel Schubart rühmte Telemann ausdrücklich. Auch bedauerte er die seiner Meinung nach zu sehr von der Mode geprägte Wertschätzung:

„…Caldara, Fuchs, Brescianello, Buxtehude, – selbst Sebastian Bach, Telemann – wie wenig werdet ihr heutiges Tages noch gelesen. – Mit Staub bedekt sind eure köstliche Partituren, und Schellenklang und honigtriefende Rondo’s haben euch weggeklümpert! […] Welch ein kindisches Publikum, das hinter jedem unzeitigen Schreier daherfluthet, daherjolt, und sich in wenigen Monaten seines verschwendeten Beifalls schämt! Komponisten, die […] ausgezischt worden wären, sind iezt im Ansehen, – als Lieblinge der Höfe und Tongeber für Alle.“ (1779, in: Leben und Gesinnungen…, Erster Theil, 1791)

Ernst Ludwig Gerber hat in seinem bekannten Musiklexikon (1792) wenig Gutes über Telemann zu sagen. Auch er beanstandet die zu textgebundene Deklamation des „Polygraphen“. Häufig zitiert wurde Gerber später in seiner Behauptung, die beste Schaffensperiode des Künstlers liege in der Zeit von 1730 bis 1750.

Nach seinem Tod waren Telemanns Partituren in den Besitz seines Enkels übergegangen, der später nach Riga berufen wurde und dort mehrere Werke aufführte. Dabei nahm er häufig als unerlässlich empfundene Bearbeitungen – teils bis zur Unkenntlichkeit – vor, um das Schaffen seines Großvaters zu „retten“. Dennoch war das Interesse an Telemann nunmehr fast historisch; seine Werke wurden nur noch zuweilen in den Kirchen Hamburgs und einigen Konzertsälen aufgeführt. In Paris sind letzte Aufführungen bis 1775 nachzuweisen. Ab etwa 1830 bestand, abgesehen von wenigen Aufführungen, keine auf eigener Hörerfahrung basierende Kenntnis von Telemanns Werk.

Dessen ungeachtet sind einige Beispiele von Persönlichkeiten überliefert, die Interesse an Telemanns Schaffen zeigten. So erwähnte der Schriftsteller Carl Weisflog in Phantasiestücke und Historien, dass er von einer 1827 stattfindenden vereinzelten Aufführung der Donner-Ode beeindruckt war. Wie aus einem an den Kaufmann Johann Daniel Runge gerichteten Brief vom 17. Dezember 1811 hervorgeht, gedachte Johann Wolfgang von Goethe, Manuskripte von Telemann zu erwerben.

Systematische Diffamierung

Charakteristisch für die musikhistorischen Erwähnungen Telemanns im 19. Jahrhundert ist der Mangel an fundierter, auf den Werken basierender Analyse und die verschärfte Weiterführung bereits früher erwähnter Kritikpunkte. In Gustav Schillings Eintrag seiner Encyclopädie der gesammelten musikalischen Wissenschaften… von 1838 mischt sich ein nationalistischer Unterton:

„Nun waren es aber vornehmlich französische [Partituren], in deren Besitz er gelangte, und daher schreibt sich wohl die Leichtfertigkeit, womit er hie und da später selbst gearbeitet zu haben scheint. […] Deutsch von Natur wollte sein Geist auch einen deutsch-ernsten, einen wahrhaft charakteristischen Aufschwung nehmen, aber in französischem Treibhause groß gezogen, ist er eine Bastardnatur geworden…“

Inzwischen waren Telemanns Partituren von Georg Michael in den Besitz des Musikaliensammlers Georg Johann Daniel Poelchau übergegangen, der sie wiederum 1841 der damaligen Königlichen Bibliothek zu Berlin überließ, wo sie der zukünftigen Quellenforschung zur Verfügung standen.

Vor allem Telemanns geistlichen Kompositionen warf man mangelnde Ernsthaftigkeit vor, welche man offenbar von einem deutschen Komponisten erwartete. Carl von Winterfeld betrachtete den den Werken zugrundeliegenden Text als flach und pathetisch, als „ermüdende[s] Einerlei“. Weiterhin bezeichnete er Telemanns Werk als „leicht und schnell hingeworfen“, den Ausdruck der geistlichen Vokalwerke als fehlerhaft und der Kirche unwürdig:

„Ein unverkennbares Talent hat bei wirklichem Erfolge hier offenbar nur das Abgeschmackte geleistet und durch glänzenden Beifall der Zeitgenossen sich hinlänglich entschädigt gehalten, der jedoch das Widersinnige nimmer rechtfertigen kann“ (Der evangelische Kirchengesang und sein Verhältniß zur Kunst des Tonssatzes…, Dritter Theil, 1847).
Die Stadt Hamburg widmete Telemann ein monumentales Grabdenkmal im altrömischen Stil, das im Park des Etatrats Carl Friedrich Richardi errichtet wurde (Kupferstich von 1781). Wahrscheinlich existierte es bereits 1796 nicht mehr.

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts verschärfte sich die Wortwahl der Bemängelung von Telemann stetig; laut Ernst Otto Lindners Die erste stehende deutsche Oper… (1855) schuf er „keine künstlerischen Schöpfungen sondern Fabrikwaare“. Die Kritik übertrug sich auch auf seine Person. Lindner verurteilte Telemann ob seiner Autobiografien und der Wahl seines anagrammatischen Pseudonyms Signor Melante als eitel, August Reissmann sah in seinem Selbststudium der Musik einen Fehler (Allgemeine Geschichte der Musik, 1864). Karl Ernst Schneider wies in Das Musikalische Lied in geschichtlicher Entwickelung… (1865) darauf hin, dass die Verwendung des Kürzels „G. P. T.“ anstelle des vollen Namens in einem Manuskript entweder auf eine Scham angesichts eines solchen Machwerks, oder auf ein Bewusstsein der eigenen Bekanntheit hindeute.

Weitere kritische Ansichten äußerte Eduard Bernsdorf (Neues Universal-Lexikon der Tonkunst, 1861), der Telemanns Melodien als „steif und trocken“ bezeichnete; auch hier übernahmen viele andere Musikkritiker diese Formulierung. Andere wiederum beanstandeten einen Mangel an Melodiefrische oder eine unter der Deklamation leidende Melodie, die teilweise in ein „sinnwidriges, gefühlverletzendes Gezerre“ abgleite. Diverse Autoren sprachen von „Geschmacklosigkeit“, „rhythmischen Abnormalitäten“, „unentwickeltem Taktgefühl“, „Nichtsnutzigkeit der Texte“, „Herz- und Rücksichtslosigkeit“, „Dürftigkeit“, „Originalitätssucht“, „schablonenmäßigem“ oder „seichtem“ Musikmachen voller „kleinlicher Künsteleien“ sowie „paradoxer Dreistigkeit“.

Im 19. Jahrhundert kam es zu einem Geniekult, wobei einsam und der Zeit weit vorauseilend geglaubte Meister verherrlicht wurden; Publikumslieblinge wurden mit Skepsis betrachtet. In der Musikwelt leiteten Carl Hermann Bitter, Philipp Spitta und andere im Zuge ihrer Forschungen eine historische Wiederentdeckung Johann Sebastian Bachs ein. Damit begann auch eine Zeit der abschätzigen Bewertung vieler anderer Komponisten, ungeachtet der Tatsache, dass man, wenn überhaupt, sich nur Kenntnis eines kleinen Bruchteils des Gesamtwerks aneignete und zudem nie ernsthafte Werkanalysen durchführte. Im Falle Telemanns orientierten sich Musikwissenschaftler vor allem an den Ausführungen Ebelings und Gerbers. Einige Bach- und Händelforscher intensivierten ihre Kriterien hinsichtlich Telemanns Schaffensprinzipien, um die qualitative Differenz zu diesen Komponisten verdeutlichen.

„Die Kirchenmusik nach dem Tode Bach’s verflachte unsäglich, nicht er und Händel waren die Vorbilder, denen man nachstrebte, sondern Telemann und noch mehr Graun und Hasse; Einflüsse der italienischen Oper paarten sich mit rein conventionell gewordenem Contrapunct zu einer Mischung von Sinnlichkeit und Trockenheit, die Formen erstarrten, weil nichts vorhanden war, wodurch sie von innen heraus Trieb und Leben bekommen hätten. […] nach Bach beginnt die Instrumentalmusik jene objective Hingabe an den Ton und seinen naturmässig ihm innewohnenden allgemeinen Poesie- und Empfindungsgehalt […] zu opfern.“ (Arrey von Dommer, Handbuch der Musikgeschichte…, 1868)
„So kann der Rückblick auf die langjährige Thätigkeit Telemann’s in Hamburg nur ein bedauernder sein. Sein Wirken war verfehlt und flach.“ (Bitter, Beiträge zur Geschichte des Oratoriums…, 1872)
„…allein da sein [Telemanns] Talent für das Großartige wenig ergiebig war, so bleibt er auch hier im Alltäglichen sitzen, oder bringt es mit der krampfhaften, stimm- und chorwidrigen Gesangsbehandlung […] nur zur Carricatur. […das Werk fällt] gänzlich ab gegen die hohe Originalität und quellende Frische der Bachschen Musik.“ (Spitta, Johann Sebastian Bach…, Erster Band, 1873)
„Die directe Verbindung, welche in Telemanns Person zwischen Oper und Kirche hergestellt war, übte sofort ihren unheilvollen Einfluß […] Telemann, Fasch und andre productive Zeitgenossen waren flachere Talente und insofern bietet ihr Schaffen für dasjenige Bachs keinen ausreichenden Maßstab. […In Choralchören] konnte und mochte Bach nichts von Telemann annehmen und Telemann wäre nicht im Stande gewesen, es ihm auch nur von ferne darin nachzuthun.“ (Spitta, Johann Sebastian Bach…, Zweiter Band, 1880)
„Kann man sich etwas Unnatürlicheres denken? Hätte der gute Telemann schon damals eine Ahnung von dem, was Bach schön geschaffen hat, gehabt, er würde wohl schwerlich solchen Unsinn herausgegeben haben.“ (Otto Wangemann, Geschichte des Oratoriums…, Dritte Auflage, 1882).

Der Bachbiograf Albert Schweitzer konnte es nicht fassen, dass Bach scheinbar unkritisch ganze Kantaten von Telemann abschrieb. Spitta kam im Zuge seiner Analyse der Kantate Ich weiß, dass mein Erlöser lebt (BWV 160) zu folgendem Urteil: „Was Bach daraus gemacht, ist ein wahres Kleinod an ergreifender Deklamation und herrlichem melodischen Zuge.“ Später stellte sich heraus, dass diese Kantate von Telemann komponiert wurde. Ein ähnlicher Fehltritt unterlief Schweitzer, als er sich bei der Betrachtung der Kantate Ich lebe, mein Herze, zu deinem Ergötzen (BWV 145) besonders vom – von Telemann stammenden – Eingangschor „So du mit deinem Munde“ beeindruckt zeigte.

Weiterhin wurde Telemann ab den 1870er Jahren Konventionalität vorgeworfen. Lindner schrieb, dass Telemann, der „altbewährten Schule“ entstammend, eigentliche Selbständigkeit nie erreicht hätte; Hugo Riemann bezeichnete ihn in seinem Musik-Lexikon (1882) als „das Urbild eines deutschen Komponisten von Amts wegen“, der auf eine Wiederbelebung wenig Anspruch habe.

Im ausgehenden 19. Jahrhundert erreichte das Ansehen Telemanns in musikhistorischen Kreisen einen absoluten Tiefpunkt.

„Telemann kann entsetzlich bummelich schreiben, ohne Kraft und Saft, ohne Erfindung; er dudelt ein Stück wie das andere herunter.“ (Robert Eitner, „Cantaten aus dem Ende des 17. und Anfange des 18. Jahrhunderts“, in: Monatshefte für Musikgeschichte, 1884)
„In Wirklichkeit war er nur ein Talent der flachsten Art.“ (Salomon Kümmerle, Encyklopädie der evangelischen Kirchenmusik…, 1894)

Rehabilitationsversuche

Die ersten Versuche der gründlicheren Auseinandersetzung mit Telemanns Werk fanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts statt. Vor allem die intensivere Beschäftigung mit dem Quellenmaterial führte zum erneuten, zunächst fast unmerklich vonstatten gehenden Wandel in der Telemann-Rezeption.

Zu den ersten Musikwissenschaftlern, die eine unvoreingenommenere Beurteilung von Telemanns Werken formulierten, zählten Carl Friedrich Weitzmann und Max Seiffert, die 1899 im Zuge der Analyse einiger seiner Klavierkompositionen eine eher beschreibende als wertende Haltung einnahmen. 1902 würdigte Max Friedlaender in seiner Schrift Das deutsche Lied im 18. Jahrhundert Telemann, in dessen Liedern voller „witziger und pikanter Melodien“ er sich als „eigenartigen, liebenswürdigen, interessanten Componisten, der sich von der Schablone des Zeitgeschmacks gern emancipirt“ zeige. Damit behauptete er das genaue Gegenteil der häufig geäußerten Kritik an den „trockenen Melodien“ und der „Schablonenhaftigkeit“. Andererseits stellte er auch eine große Ungleichheit in seinem Werk fest. Arnold Scherings Urteil von Telemanns Instrumentalkonzerten war wie folgt:

„Telemanns Konzerte sind von konventionellem Phrasenwerk nicht frei, enthalten aber viel originelle Einfälle und kunstvolle Satzproben und bekunden vor allem eine unerschöpfliche Phantasie.“ [3]

Weitere Forscher, die zu differenzierten, wenngleich noch zuweilen negativ beeinflussten Einschätzungen kamen, waren Wilhelm Kleefeld, Hermann Kretzschmar, Curt Ottzenn, Carl Mennicke, Caroline Valentin und Hugo Leichtentritt.

Den Grundstein für die Wiederentdeckung Telemanns lieferten aber erst die Publikationen Max Schneiders und anderer. Schneider war der erste, der die Praxis der unbegründeten Kritik an Telemann angriff und versuchte, ihn in seiner eigenen Historizität zu begreifen. Er veröffentlichte 1907 in den Denkmälern Deutscher Tonkunst das Oratorium Der Tag des Gerichts und die Solokantate Ino. In seiner Kommentierung von Telemanns Autobiografien wies er auf den beispiellosen Wandel des Telemann-Verständnisses in den vergangenen Jahrhunderten hin. Schneider kritisierte insbesondere den Vorwurf der „Oberflächlichkeit“ des Werks und darüber angestellte „Scheinuntersuchungen“. Er forderte „‚Bonmots‘ und vages Gerede über einen Meister geflissentlich [zu] vermeiden, der zwei Menschenalter hindurch von der ganzen gebildeten Welt zu den Ersten seiner Kunst gerechnet wurde und Anspruch darauf hat, in der Geschichte der Musik die rechte Würdigung zu finden.“ [4]

Im Anschluss daran veröffentlichten Romain Rolland und Max Seiffert detaillierte Werkanalysen und Editionen von Telemanns Werken.

„Er [Telemann] hat dazu beigetragen, dass die deutsche Musik von der Intelligenz und der Ausdrucksschärfe französischer Kunst angenommen und die Gefahr, unter Meistern wie Graun in einem abstrakten Schönheitsideal blass und ausdruckslos zu werden, überwunden hat. […] Zu gleicher Zeit hat er die ursprüngliche Verve […] der polnischen und der neueren italienischen Musik mitgebracht. Das war nötig: die deutsche Musik in all ihrer Größe roch ein wenig nach Moder. […] Ohne dieses würden die großen Klassiker wie ein Wunder erscheinen, während sie im Gegenteil nur die natürliche Entwicklung eines ganzen Jahrhunderts von genialen Begabungen abschlossen.“ [5]
„Unfaßbar, solchen Reichtum zu besitzen und ihn achtlos in der Ecke verstauben zu lassen!“ [6]

Vom breiten Publikum wurden diese Äußerungen allerdings vorläufig nicht wahrgenommen.

Telemann heute

Datei:Telemann-Briefmarken.png
Briefmarken mit Telemann als Motiv

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg begannen Arbeiten zur methodischen Erforschung von Telemanns Gesamtwerk. Im Zuge der nun häufiger erscheinenden Arbeiten über den Komponisten wandelte sich auch die musikgeschichtliche Einschätzung. 1952 stellte Hans Joachim Moser fest:

„Noch vor wenigen Jahren galt er als platter Vielschreiber, der ‚mehr produziert hat als Bach und Händel zusammen‘ und der sich gerühmt haben soll, er könnte selbst den Torzettel komponieren. Heute steht er dank vieler Neuausgaben als der interessante Meister jener mächtigen Generation gleich hinter Bach und Händel.“ [7]

1953 gab die Gesellschaft für Musikforschung den ersten Band der – auch heute noch nicht abgeschlossen – Auswahlausgabe von Telemanns Werken heraus. Ab 1955 wurde dieses Projekt von der Musikgeschichtlichen Kommission e.V. unterstützt.

1961 wurde in Magdeburg der Arbeitskreis „Georg Philipp Telemann“ e.V. gegründet, der sich hauptsächlich der Forschung widmete. Er wurde 1979 unter dem Namen Zentrum für Telemann-Pflege und -Forschung eine Abteilung der Georg-Philipp-Telemann-Musikschule, die ihrerseits im September 2000 in Konservatorium Georg Philipp Telemann umbenannt wurde. 1985 wurde das Telemann-Zentrum zu einer eigenständigen Institution.

Seit 1962 veranstaltet die Stadt Magdeburg zusammen mit dem Arbeitskreis „Georg Philipp Telemann“ zweijährlich die international beachteten Telemann-Festtage, die sich mit zahlreichen Veranstaltungen und Konferenzen gleichermaßen an Musikfreunde, Musiker und Forscher wenden. Daneben verleiht die Stadt jährlich den Georg-Philipp-Telemann-Preis.

In mehreren Städten bildeten sich eingetragene Vereine, die sich sowohl mit der Forschung als auch mit der Praxis befassen. Dazu gehören die Telemann-Gesellschaften in Magdeburg, Frankfurt und Hamburg.

Zu Ehren des 300. Geburtstages des Komponisten wurde 1981 das Denkmal Telemann und die vier Temperamente in der Großen Klosterstraße in Magdeburg errichtet.

Neben Werkausgaben und weiteren Publikationen gelangten auch bald Tonträger-Veröffentlichungen und Rundfunk-Übertragungen an die Öffentlichkeit. Das erste auf Schallplatte eingespielte Werk von Telemann war ein e-Moll-Quartett aus der Tafelmusik. Es wurde in einer der ersten sich der alten Musik widmenden Reihen, der französischen Anthologie sonore, 1935 veröffentlicht. Dank des Erfolgs der Langspielplatte in den 1960er Jahren und im Zuge der Entdeckung des wirtschaftlichen Potentials der Barockmusik wurden bis 1970 etwa 200 Werke von Telemann auf Tonträgern veröffentlicht, was nur einem kleinen Teil des Gesamtwerks entspricht. Auch heute noch ist seine Instrumentalmusik am besten erschlossen.

Die historische Aufführungspraxis erwies sich angesichts des entscheidenden Anteils der Instrumentation an Telemanns Werken als unerlässlich. Moderne Instrumente verzerren das vom Komponisten vorgesehene Klangbild aufgrund unterschiedlicher Klangfarben völlig. Die anfangs häufig praktizierte „romantische“ Aufführungspraxis verzögerte eine adäquate Wiederentdeckung von Telemanns Werk beim Musikfreund.

Dem vor allem im 19. Jahrhundert gefestigten Bild des Komponisten konnte die Telemann-Pflege des 20. Jahrhunderts mit teilweisem Erfolg entgegenwirken. Zwar besteht heute unter Musikforschern Einigkeit über die musikgeschichtliche Bedeutung von Telemann, gelegentlich wird aber Tadel an seinem gesamten Schaffen geäußert. 1969 meinte der Musikwissenschaftler Ludwig Finscher, einige der Spätwerke seien Teil der „großen Musik des 18. Jahrhunderts“, aber „die Masse des Werks kaum mehr als musikalisches Mittelmaß“. Er begründet diese Einschätzung folgendermaßen:

„Telemann hat nach dieser Devise komponiert: seine Musik ist – mit wenigen gewichtigen Ausnahmen – in der Tat ‚unschuldiger Zeitvertreib‘, eine Musik, die Ansprüche nicht stellt, sondern befriedigt, Erwartungen der Musizierenden und Hörenden erfüllt in einer bewußt auf Einfaches […] konzentrierten Sprache. […] Telemann ist […] Wegbereiter jener Stilwende gewesen, die eine rigorose Vereinfachung des kompositorischen Handwerks mit den Kategorien Einfall und Originalität zu kompensieren suchte. […] Wenn Telemann, wie gern gesagt wird, der erste ‚moderne‘ Komponist gewesen ist, dann ist er es in dem Sinne gewesen, daß er der erste war, der […] sein bedeutendes musikalisches Talent […] seiner jeweiligen Umgebung bruchlos anpaßte. […] Er hat das Modell des Komponisten geschaffen, der sich aus dem Hofdienst emanzipierte, nur um im Bürgerdienst aufzugehen.“ [8]

In seinem Buch Der Bürger erhebt sich (2000) sieht Peter Schleunig Telemann als einen Komponisten, der – anders als „der Unangepasste“ Bach – etwa polnische Musik nur darum verarbeitet habe, um dem sächsischen Kurfürsten, der auch König von Polen war, zu schmeicheln. Weiter erklärt er:

„Telemann ist der Idealtyp des bürgerlichen Unternehmers, […] voll unerschöpflicher Kraft und Erfindungsgabe die Konkurrenz angreifend und ausbootend.“ [9]

Martin Geck schreibt in seiner Bach-Biografie (2000): „Bach tänzelt vielleicht nicht durch die Reihen wie Telemann.“ Dessen Musik beschreibt er als „routinierte Vertonung“ und „Musik ohne Ecken und Kanten“.[10] Eckart Kleßmann erwidert darauf in seiner Telemann-Monografie (2004, S. 118 f., S. 132):

„Die Verehrung Bachs kommt offenbar ohne die Verachtung Telemanns nicht aus. […] Beide Komponisten ergänzen sich in ihrem Werk in geradezu idealer Weise, denn jeder hat etwas, was dem anderen fehlt. Die Frage nach der „Größe“, wer denn der Größte sei, hat in der Kunst keine Bedeutung, man sollte sie dem Hochleistungssport überlassen. […] Es ist nicht ein einziger Fall bekannt, daß dieser Komponist vorsätzlich einem anderen geschadet hätte. Telemann war geschäftstüchtig; aber gereicht diese Eigenschaft, die jeden Kaufmann ziert, einem Künstler zur Schande?“

Literatur

Monografien:

  • Gilles Cantagrel: Georg Philipp TELEMANN. Série «Mélophiles». Éditions Papillon, Genève 2003, ISBN 2-940310-15-7
  • Karl Grebe: Georg Philipp Telemann. Rowohlt, Reinbek 2002 (10. Aufl.), ISBN 3-499-50170-8
  • Eckart Kleßmann: Georg Philip Telemann. Hamburger Köpfe. Ellert und Richter, Hamburg 2004, ISBN 3-8319-0159-7
  • Werner Menke: Georg Philipp Telemann: Leben, Werk und Umwelt in Bilddokumenten. Heinrichshofen, Wilhelmshaven 1987, ISBN 3-7959-0399-8
  • Richard Petzoldt: Georg Philip Telemann – Leben und Werk. VEB Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1967.
  • Erich Valentin: Georg Philipp Telemann. Bärenreiter, Kassel-Basel 1952.

Weitere Literatur und Dokumentensammlungen:

  • Günter Fleischhauer: Die Musik Georg Philipp Telemanns im Urteil seiner Zeit. In: Händel-Jahrbuch. Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1967/68, S. 173–205, 1969/70, S. 23–73.
  • Christine Klein: Dokumente zur Telemann-Rezeption 1767 bis 1907. Schriftenreihe zur Mitteldeutschen Musikgeschichte. Ziethen, Oschersleben 1998, ISBN 3-932090-31-4
  • Werner Rackwitz: Georg Philipp Telemann – Singen ist das Fundament zur Music in allen Dingen. Eine Dokumentensammlung. Philipp Reclam jun., Leipzig 1967, 1981, 1985.

Einrichtungen:

Werke:

Quellen

  1. Günter Fleischhauer: Einige Gedanken zur Harmonik Telemanns. In: Beiträge zu einem neuen Telemannbild. Konferenzbericht der 1. Magdeburger Telemann-Festtage. Magdeburg 1963, S. 50–63
  2. Karin Zauft: Telemanns Liedschaffen. Magdeburger Telemann-Studien. II. Magdeburg 1967, S. 18
  3. Arnold Schering: Geschichte des Instrumentalkonzerts bis auf die Gegenwart… Leipzig 1905, S. 120 f.
  4. Max Schneider: Einleitung. In: Georg Philipp Telemann. Der Tag des Gerichts.… Ino. In: Denkmäler deutscher Tonkunst. Erste Folge. Bd 28. Leipzig 1907, S. 55
  5. Romain Rolland: Memoiren eines vergangenen Meisters. In: Musikalische Reise ins Land der Vergangenheit. Übersetzung aus dem Französischen. Rütten & Loenig, Frankfurt am Main 1923, S. 103–145
  6. Max Seiffert: Neuausgabe der Tafelmusik. In: Denkmäler deutscher Tonkunst. Leipzig 1927. Zitiert bei Kleßmann 2004, S. 127
  7. Hans Joachim Moser: Georg Philipp Telemann. In: Musikgeschichte in 100 Lebensbildern. Reclam, Stuttgart 1952. Zitiert bei Grebe 2002, S. 152
  8. Ludwig Finscher: Der angepaßte Komponist. Notizen zur sozialpraktischen Stellung Telemanns. In: Musica. 23.1969,6 S. 549–554
  9. Peter Schleunig: Der Bürger erhebt sich. Geschichte der deutschen Musik im 18. Jahrhundert. Metzler, Stuttgart-Weimar 2000, ISBN 3-476-01797-4. Zitiert bei Kleßmann 2004, S. 131
  10. Martin Geck: Johann Sebastian Bach. Rowohlt, Reinbek 2000, ISBN 3-499-50637-8. Zitiert bei Kleßmann 2004, S. 118