Cyanwasserstoff

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Strukturformel
Struktur von Cyanwasserstoff
Allgemeines
Name Cyanwasserstoff
Andere Namen
  • Ameisensäurenitril
  • Blausäure
  • Cyanwasserstoffsäure
  • Formonitril
  • Hydrogencyanid
  • Zyklon[1]
Summenformel HCN
Kurzbeschreibung

farblose, nach Bittermandeln riechende Flüssigkeit[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 74-90-8
PubChem 768
Wikidata Q26075
Eigenschaften
Molare Masse 27,03 g·mol−1
Aggregatzustand

flüssig

Dichte

0,69 g·cm−3[1]

Schmelzpunkt

−13 °C[1]

Siedepunkt

26 °C[1]

Dampfdruck

817 hPa (20 °C)[1]

pKS-Wert

9,40[2]

Löslichkeit

mit Wasser vollständig mischbar[1]

Brechungsindex

1,2614 (20 °C)[3]

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung aus Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 (CLP),[4] ggf. erweitert[1]
Gefahrensymbol Gefahrensymbol Gefahrensymbol Gefahrensymbol

Gefahr

H- und P-Sätze H: 224​‐​300+310+330​‐​314​‐​410
P: 210​‐​241​‐​260​‐​273​‐​280​‐​303+361+353​‐​304+340​‐​309+310​‐​403+233​‐​405[5]
MAK

DFG/Schweiz: 1,9 ml·m−3 bzw. 2,1 mg·m−3[1][6]

Toxikologische Daten
Thermodynamische Eigenschaften
ΔHf0

108,9 kJ/mol[9]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen. Brechungsindex: Na-D-Linie, 20 °C

Cyanwasserstoff (Blausäure) ist eine farblose bis leicht gelbliche, brennbare, sehr flüchtige und wasserlösliche Flüssigkeit. Die Bezeichnung Blausäure rührt von der Gewinnung aus Eisenhexacyanoferrat (Berliner Blau) her, einem lichtechten tiefblauen Pigment. Blausäure kann als Nitril der Ameisensäure angesehen werden (der Nitrilkohlenstoff hat die gleiche Oxidationsstufe wie der Carboxylkohlenstoff), daher rührt auch der Trivialname Ameisensäurenitril.

Blausäure ist hochgiftig. Ihre tödliche Wirkung wurde in der Geschichte verschiedentlich gegen Menschen eingesetzt, vor allem bei den Massenmorden zur Zeit des Nationalsozialismus im KZ Auschwitz, und fand auch Eingang in die Literatur (Kriminalromane). Industriell wird Blausäure als Vorprodukt und Prozessstoff sowie zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt.

Nach verbreiteter Auffassung geht von Blausäure ein charakteristischer Geruch nach Bittermandeln aus. Der tatsächliche Geruch der Substanz wird jedoch in der Literatur nicht einhellig so beschrieben und von manchen Menschen abweichend wahrgenommen, z. B. „dumpf“ oder „scharf“. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung nimmt den Geruch von Blausäure überhaupt nicht wahr (siehe auch Handhabung).

Eigenschaften

Blausäure ist in hochreiner Form eine farblose, leichtbewegliche, mit Wasser und Alkohol in jedem Verhältnis mischbare Flüssigkeit. Der Siedepunkt liegt bei 26°C. Die Substanz verdampft bei Raumtemperatur so schnell, dass ein Teil davon wegen der Verdunstungskälte erstarren kann.

Blausäure besitzt in verdünnter Form einen betäubend-dumpfen, an bittere Mandeln erinnernden Geruch, der sich aber signifikant von z.B. Bittermandelaroma unterscheidet. In konzentrierter Form riecht Blausäure unangenehm, intensiv stechend-scharf und krazend, reizt die Schleimhäute und die Kehle und hinterlässt einen bitteren Geschmack. Allerdings lähmt die Substanz schon in sehr kleinen Mengen nach kurzer Zeit die Geruchs- und Geschmacksnerven.[10]

Blausäure ist in Wasser eine sehr schwache Säure, die schon von Kohlensäure aus ihren Salzen, den Cyaniden, getrieben wird und nur zu einem kleinen Anteil dissoziiert:

Ihr pKs-Wert wird, je nach Quelle, mit 9,04 bis 9,31 angegeben. Die Dissoziationskonstante beträgt 4,0·10−10.[11] Blausäure ist hochentzündlich, Gemische mit Luft sind im Bereich von 5,4–46,6 Vol.-% explosiv. Da Blausäure zudem mit Wasser in jedem Verhältnis mischbar ist, besteht beim Löschen von Bränden die Gefahr einer Kontamination des Grundwassers. Daher wird gegebenenfalls ein kontrolliertes Abbrennen in Betracht gezogen.

Blausäure kann in einer autokatalysierten Reaktion spontan polymerisieren oder in die Elemente zerfallen. Diese Reaktion ist stark exotherm und verläuft explosionsartig. Sie wird durch geringe Mengen an Basen initiiert und durch weitere Base, die sich dabei bildet, beschleunigt. Wasserhaltige Blausäure ist dabei instabiler als vollkommen wasserfreie. Es entsteht ein braunes Polymer. Aus diesem Grund wird Blausäure durch Zugabe geringer Mengen an Säuren, wie Phosphor- oder Schwefelsäure, stabilisiert. Die Säure neutralisiert die Basen und vermeidet eine Durchgehreaktion.

Geschichte

Der Name Blausäure geht auf den Farbstoff Preußischblau (später Berliner Blau genannt) zurück. 1752 entdeckte der französische Chemiker Pierre-Joseph Macquer die Substanz bei seinen Versuchen, die genaue Zusammensetzung war jedoch damals noch nicht bekannt. Macquer zeigte, dass der Farbstoff Eisen enthält. Bei dem von ihm durchgeführten Experiment entstanden aus dem blauen Farbstoff zwei Substanzen, und zwar Eisenoxid und die uns heute als Cyanwasserstoff bekannte chemische Verbindung. Außerdem ließ sich der Versuch rückgängig machen - er konnte also den Farbstoff synthetisieren.[12] 1782 wurde Blausäure von Carl Wilhelm Scheele aus gelbem Blutlaugensalz und Schwefelsäure erhalten. Die Silbe Cyan wurde von Joseph Louis Gay-Lussac eingeführt.

Nachweis

  • Ein klassisches Verfahren ist der Nachweis über die Cyanid-Ionen: Zu einer alkalischen Lösung wird im Unterschuss Eisen(II)-sulfat-Lösung zugegeben. Sind Cyanid-Ionen vorhanden, bildet sich nach dem Ansäuern Berliner Blau. Es entweicht Blausäure.
  • Bei Zugabe von Quecksilber(II)-chlorid entsteht Chlorwasserstoff-Gas. Dieses kann durch einen Säureindikator nachgewiesen werden.

Toxikologie

Toxizität

Blausäure ist extrem giftig, schon 1–2 mg Blausäure pro kg Körpermasse wirken tödlich. Die Aufnahme kann, neben der direkten Einnahme, auch über die Atemwege und die Haut erfolgen. Letzteres wird durch Schweiß begünstigt, da Blausäure eine hohe Wasserlöslichkeit besitzt. In Deutschland wurde die Substanz vom Umweltbundesamt in die Wassergefährdungsklasse 3 (stark wassergefährdend) eingestuft.[1]

Die primäre Giftwirkung besteht in der Blockade der Sauerstoff-Bindungsstelle in der Atmungskette der Körperzellen. Dabei bindet sich das Cyanid irreversibel an das zentrale Eisen(III)-Ion des Häm-a3-Kofaktors in der Cytochrom-c-Oxidase in den Mitochondrien. Durch die Inaktivierung des Enzyms kommt die Zellatmung zum Erliegen, die Zelle kann den Sauerstoff nicht mehr zur Energiegewinnung verwerten, und es kommt damit zur sogenannten „inneren Erstickung“. Der Körper reagiert auf den vermeintlichen Sauerstoffmangel mit einer Erhöhung der Atemfrequenz, was gegebenenfalls die Aufnahme von gasförmiger Blausäure weiter erhöht. Schließlich sterben die Zellen an ATP-Mangel.

Die Bindung des Cyanids an Eisen(II)-Ionen ist vergleichsweise schwach. Die Inaktivierung des Hämoglobins spielt daher bei Vergiftungen eine untergeordnete Rolle.

Vergiftungssymptome

Eine hellrote Färbung der Haut ist ein typisches Anzeichen einer Cyanidvergiftung: Auch venöses Blut ist noch mit Sauerstoff angereichert, da der Sauerstoff von den Zellen nicht verwertet werden kann. Aus gleichem Grund finden sich nach einer Vergiftung durch Blausäure bei dem Toten leuchtend rote Leichenflecke (Livores), die neben dem genannten Bittermandelgeruch ein wichtiges Indiz für einen unnatürlichen Tod sind. Bei einer Vergiftung mit sehr hohen Konzentrationen kommt es nach wenigen Sekunden zur Hyperventilation, Atemstillstand, Bewusstlosigkeit und innerhalb von wenigen Minuten zum Herzstillstand. Eine hellrote Färbung der Haut bleibt in diesen Fällen oft aus.

Symptome für eine Vergiftung sind unter anderem:

Antidot (Gegengift)

Bei Cyanid-Vergiftungen wird zunächst 4-Dimethylaminophenol (4-DMAP) als Antidot eingesetzt. Dieses wandelt Fe(II) in Fe(III) um, was zu einer Methämoglobin-Bildung führt. Das Methämoglobin bindet die Cyanidionen. Gemessen am gesamten Hämoglobin genügt schon eine geringe Menge an Methämoglobin, um einen großen Teil des Cyanids zu binden. Die Wirksamkeit dieses Gegenmittels hängt allerdings von der Hämoglobinkonzentration im Blut ab.

Ein weiteres Gegenmittel ist Natriumthiosulfat. Dieses beschleunigt die körpereigene Entgiftung erheblich.

Bei Brandgasinhalation muss unbedingt beachtet werden, dass durch eine gleichzeitig vorliegende Kohlenmonoxidvergiftung größere Mengen Hämoglobin bereits gebunden sind und keinen Sauerstoff mehr transportieren können. Dies birgt bei der Behandlung, die bis zu einem Drittel des Hämoglobins umwandelt, die große Gefahr einer tödlichen Hypoxie.

Speziell für diese Fälle wird Hydroxycobalamin verwendet, das unter dem Handelsnamen Cyanokit in der EU seit 2007 zugelassen ist. Für dieses Antidot bestand bisher keine offizielle Zulassung in Deutschland, es wurde aber in einzelnen Regionen versuchsweise verwendet (etwa Berufsfeuerwehr München). Zu beachten ist hier jedoch, dass eine Lebensrettung nur bei hundertprozentig nüchternem Zustand (auch kein Restalkohol im Blut) Chancen auf Erfolg verspricht. Die Wirkung des Hydroxycobalamins besteht darin, dass es mit Cyanidionen starke Komplexe eingeht und somit das Cyanid bindet. Jedes Hydroxocobalaminmolekül kann ein Cyanidion binden, indem der Hydroxoligand, der an das dreiwertige Cobalt-Ion gebunden ist, durch einen Cyanoliganden ersetzt wird. Das dabei entstandene Cyanocobalamin ist eine stabile, ungiftige Substanz, die im Urin ausgeschieden wird.

Der in vielen Nahrungsmitteln in geringen Konzentrationen enthaltene Cyanwasserstoff wird vom menschlichen Enzym Rhodanase in den ungefährlichen Stoff Rhodanid umgewandelt.

Als weitere Maßnahme könnte Isoamylnitrit zur Inhalation verabreicht werden, das ebenfalls eine Methämoglobinbildung bewirkt; diese Maßnahme sollte wegen der Gefahr eines starken Blutdruckabfalls allerdings nur mit Vorsicht angewandt werden. In Deutschland befindet sich kein Präparat mit diesem Wirkstoff auf dem Markt; andere NO-Donatoren wie Glyceroltrinitrat bewirken nur eine sehr geringe Methämoglobinbildung und sind nicht als Antidot geeignet.

Natürliches Vorkommen

Aprikosenkerne

Die Kerne einiger Steinobstfrüchte (Mandel, insbesondere Bittermandel, Aprikose, Pfirsich, Kirsche) und anderer Rosengewächse enthalten geringe Mengen an Blausäure; diese dient teilweise als Fraßschutz der Samen und auch als chemischer Keimungshemmer, indem die Atmung der Samen gehemmt wird. Erst nachdem die Fruchtwand (Endokarp) verrottet ist, kann die Blausäure entweichen und somit den Keimungsprozess aktivieren. Die in den Tropen vielfach als Nahrungsmittel genutzte Knolle des Maniok enthält ebenfalls als cyanogenes Glykosid gebundene Blausäure, die durch die Verarbeitung vor dem Verzehr der Pflanze entfernt wird. Weitere wichtige Nahrungsmittel mit toxikologisch relevanten Blausäuregehalten sind Yamswurzel, Süßkartoffel (gewisse Sorten), Zuckerhirse, Bambus, Leinsamen und Limabohne. Unreife Bambussprossen, die in östlichen Ländern als Delikatesse gelten, enthalten hohe Blausäuregehalte, Vergiftungsfälle sind bekannt. Durch Zubereitung (intensives Kochen) wird die Blausäure von den Glykosiden abgespalten und in die Luft abgegeben.

Cyanogene Giftpflanzen sind unter den höheren Pflanzen weit verbreitet und können bei Verletzung des Pflanzengewebes durch Pflanzenfresser HCN aus cyanogenen Glykosiden mittels des Enzyms Hydroxynitrillyase freisetzen. Einige Beispiele für cyanogene Pflanzen sind der tropische Goldtüpfelfarn (Phlebodium aureum), ein Mitglied der Tüpfelfarngewächse, oder der brasilianische Gummibaum (Hevea brasiliensis). Weiß-Klee enthält das Blausäureglyklosid Linamarin, das bei oraler Aufnahme von Pflanzenteilen für kleine Tiere (z. B. Schnecken) besonders giftig ist, da sich hieraus Blausäure abspalten kann. Einer der bekanntesten Stoffe, die Blausäure abspalten und in Kernen einiger Steinobstfrüchte vorkommen, ist Amygdalin.

Blausäure als Neuromodulator und endogene Bildung von Blausäure im Organismus

Blausäure wird auch endogen im Organismus gebildet und hat offenbar die Rolle eines Neuromodulators.[13] Weiterhin wird Blausäure z. B. auch durch Gabe von Opioiden über die Aktivierung von µ-Opioidrezeptoren generiert.[14] Die endogene Bildung von  Blausäure ist auch in der Forensik von Bedeutung.[15] So wird beim Aufbewahren von Leichen bei 4°C nach etwa 2 Wochen durch Fäulnisprozesse und Autolyse Blausäure gebildet, wobei die Konzentration etwa 6 Wochen ihr Maximum erreicht und danach langsam geringfügig abfällt.

Herstellung

Industrielle Erzeugung

Für die Herstellung von Cyanwasserstoff sind folgende Verfahren von Bedeutung:

  • Bei der Ammonoxidation von Methan (Andrussow-Verfahren) wird ein Gemisch aus Ammoniak und Methan bei rund 1200 °C an einem Platinnetz als Katalysator oxidiert.
  • Bei der Ammondehydrierung von Methan (Degussa-BMA-Verfahren) werden Ammoniak und Methan mit Hilfe eines Platinkatalysators zu Blausäure und Wasserstoff umgesetzt.
  • Bei der Formamid-Spaltung in Cyanwasserstoff und Wasser werden Katalysatoren verwendet, die die erwünschte Reaktion beschleunigen, während die thermische Spaltung, die zu unerwünschten Produkten führt, verdrängt wird. Hierfür sind geheizte Metalloberflächen – aus Messing oder Eisen – geeignet, die mit einer Metalloxidschicht, etwa aus Zink-, Aluminium-, Magnesium-, Chrom- oder Zinn-Oxiden, überzogen sind, oder auch gesinterte Formkörper aus Aluminiumoxid und Siliciumdioxid oder solche aus Chrom-Nickel-Edelstahl.[16][17]
  • Als Nebenprodukt bei der Herstellung von Acrylnitril durch Ammoxidation von Propylen (Sohio-Verfahren). Die Menge an anfallender Blausäure kann dabei durch Zugabe von Methanol erhöht werden.
  • Fluhomic- oder Shawinigan-Verfahren, bei dem Kohlenwasserstoffe und Ammoniak in einem Lichtbogen umgesetzt werden. Dieses Verfahren ist nur von untergeordneter Bedeutung und wird dort ausgeübt, wo elektrischer Strom preiswert ist.
  • Von historischer Bedeutung ist außerdem die Thermolyse von Kaliumhexacyanoferrat (III) (Erlenmeyer-Verfahren).

Abfall- und Nebenprodukt

Blausäure wird bei fehlerhafter Handhabung von Prozessschritten in der Galvanik frei.

Beim Verbrennen stickstoffhaltiger Polymere (Kunststoffe) kann in erheblichem Umfang Blausäure entstehen.

Beim Rauchen von Tabak und bei der Verbrennung von Esbit werden geringe Mengen Blausäure freigesetzt.

Handhabung

Genetische Wahrnehmungseinschränkung

Mehr als ein Viertel der Bevölkerung kann den Geruch von Blausäure nicht wahrnehmen, häufig wird die Wahrnehmung durch Lähmung der Geruchsnervenzellen verhindert.[18][19][20] Es müssen daher besondere Sicherheitsmaßnahmen beim Umgang mit Blausäure getroffen werden. Das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit berücksichtigt dies bei Eignungsuntersuchungen von Befähigungsscheinbewerbern für Begasungen bzw. Schädlingsbekämpfung.[21]

Transport

Um den Transport dieses Gefahrstoffes zu vermeiden, wird Blausäure in der Regel sofort am Herstellungsort weiterverarbeitet.

Verwendung

Gemäß EINECS, dem europäischen Verzeichnis der vor Inkrafttreten der REACH-Verordnung vorhandenen chemischen Stoffe, gehört Cyanwasserstoff zur Liste der Altstoffe und hat die Nummer 200-821-6. Das englische Synonym prussic acid ist ein Hinweis auf die historische Verwendung.

Hinrichtungen/Morde

Als Biozid

Blausäure wird zur Bekämpfung von Ungeziefer eingesetzt. Hierzu wird ein Trägermaterial, z. B. Kieselgur, mit Blausäure getränkt und Riechstoffe zur Warnung zugefügt.

Kampfmittel

Als Giftgas wurde Blausäure erstmals durch die französische Armee am 1. Juli 1916 eingesetzt. Aufgrund seiner hohen Flüchtigkeit blieb der Einsatz aber wirkungslos.[22] 1918 wurde es auch von den USA und Italien eingesetzt.

Industrielle Verwendung

Blausäure wird in vielen Prozessen in der Industrie und im Bergbau eingesetzt, beispielsweise für die Herstellung von Chlorcyan, Cyanurchlorid, Aminosäuren (besonders Methionin), Natriumcyanid und vieler weiterer Derivate sowie zum Auslaugen von Gold:

Die Gold-Lösung wird dann mit Zink reduziert. Der Cyanido-Komplex kann auch durch zugesetzte Kokosnussschalen-Aktivkohle absorptiv gebunden werden. Aus der so mit dem Cyanidokomplex beladenen Aktivkohle kann das Gold nach dem Verbrennen des organischen Anteils als „Asche“ gewonnen werden. In moderneren Anlagen wird der Cyanido-Komplex aus der abgetrennten beladenen Aktivkohle durch Eluieren mit heißer Natriumcyanid-Lösung in konzentrierter Form gewonnen (wegen der besseren Handhabung wird hierbei nicht flüssige Blausäure, sondern eine Natriumcyanid-Lösung eingesetzt). Dieses Verfahren führt, wie auch das alternativ nur noch sehr selten eingesetzte Quecksilber-Amalgamverfahren, zu den teilweise katastrophalen Gewässervergiftungen in den Goldfördergebieten der Dritten Welt.

Blausäure wird in großen Mengen zur Herstellung von Adiponitril und Acetoncyanhydrin, beides Zwischenprodukte der Kunststoffproduktion, verwendet. Bei der Adiponitrilherstellung wird Blausäure mittels eines Nickel-Katalysators an 1,3-Butadien addiert (Hydrocyanierung). Zur Acetoncyanhydrinherstellung wird Blausäure katalytisch an Aceton addiert. Aus Blausäure werden im industriellen Maßstab in mehrstufigen Verfahren auch die α-Aminosäure DL-Methionin (Verwendung in der Futtermittel-Supplementierung) und der Heterocyclus Cyanurchlorid hergestellt. Aus Cyanurchlorid werden Pflanzenschutzmittel und andere Derivate synthetisiert.

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h i j Eintrag zu Cyanwasserstoff in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA (JavaScript erforderlich).
  2. chem.wisc.edu: pKa Data, Compiled by R. Williams (PDF, 78 kB).
  3. David R. Lide (Hrsg.): CRC Handbook of Chemistry and Physics. 90. Auflage. (Internet-Version: 2010), CRC Press / Taylor and Francis, Boca Raton FL, Physical Constants of Organic Compounds, S. 3-286.
  4. Eintrag zu Hydrogen cyanide im Classification and Labelling Inventory der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) Hersteller bzw. Inverkehrbringer können die harmonisierte Einstufung und Kennzeichnung erweitern.
  5. Blausäure (Cyanwasserstoff), seilnacht.com
  6. Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva): Grenzwerte – Aktuelle MAK- und BAT-Werte
  7. a b Eintrag in der ChemIDplus-Datenbank der United States National Library of Medicine (NLM) (Seite nicht mehr abrufbar).
  8. a b c d Department of Health: Hydrogen Cyanide. Version 1.2 vom 4. Februar 2004.
  9. David R. Lide (Hrsg.): CRC Handbook of Chemistry and Physics. 90. Auflage. (Internet-Version: 2010), CRC Press / Taylor and Francis, Boca Raton FL, Standard Thermodynamic Properties of Chemical Substances, S. 5-19.
  10. Karlheinz Lohs: Synthetische Gifte. Vierte, überarbeitete und ergänzte Auflage. Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Leipzig 1974.
  11. Svirbely, W.J., Roth, J.F.: The Kinetics of Cyanohydrin Formation in Aqueous Solution. In: J. Am. Chem. Soc., 1953, 75, 3106.
  12. Pierre-Joseph Macquer: Éxamen chymique de bleu de Prusse, Mémoires de l'Académie royale des Sciences, 1756, Seiten 60-77
  13. R. Cipollone, P.Visca: Is there evidence that cyanide can act as a neuromodulator? IUBMB Life 2007, 59, 187.
  14. J.L. Borowitz, P.G. Gunasekar, G.E. Isom: Hydrogen cyanide generation by mu-opiate receptor activation: possible neuromodulatory role of endogenous cyanide. Brain Res. 1997, 768(1-2), 294.
  15. T. Grabowska, H. Sybirska: The role of endogenous Hydrogen cyanide in forensic medical appraisal and interpretation of fire victims. Problems of Forensic Sci. 2003, 54 (LIV), 82.
  16. Blausäure aus Formamid (WO 2004050587 A2). Google-Patente, Eintrag vom 3. Dezember 2003, veröffentlicht am 17. Juni 2004.
  17. Verfahren zur Herstellung von Blausäure (EP1791787). PatentDE, 15. April 2010.
  18. Tödlicher Giftanschlag auf BASF Mitarbeiter, Chemie im Alltag, 2006.
  19. Schadstoff-Glossar: Cyanwasserstoff beim Umweltbundesamt Baden-Württemberg.
  20. Cyanide, inability to smell. In: Online Mendelian Inheritance in Man. (englisch)
  21. Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit: Eignungsuntersuchungen von Befähigungsscheinbewerbern für Begasungen bzw. Schädlingsbekämpfung.
  22. Markus Schnedlitz: Chemische Kampfstoffe: Geschichte, Eigenschaften, Wirkung. GRIN Verlag, 2008, ISBN 3-640-23360-3, S. 13 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).

Weblinks

Wiktionary: Blausäure – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Commons: Hydrogen cyanide – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien