Grenztruppen der DDR
Die Grenztruppen der DDR waren eine dem Ministerium für Nationale Verteidigung (MfNV) unterstehende militärische[1] Formation zur Sicherung und Überwachung der Staatsgrenze der DDR. Sie waren Teil der Bewaffneten Organe der DDR.
Geschichte der Grenztruppen
Die Vorläuferorganisation der Grenztruppen der DDR wurde aufgrund von Vorgaben der alliierten Siegermächte am 1. Dezember 1946 zunächst als paramilitärische Polizeieinheit zur Überwachung der Außengrenzen der Sowjetischen Besatzungszone (ab 1949 der DDR) unter der Bezeichnung Grenzpolizei, ab Mai 1952 unter der Bezeichnung Deutsche Grenzpolizei aufgestellt. Der 1. Dezember als Gründungsdatum wurde später in der DDR als Tag der Grenztruppen begangen. Die Grenzpolizei/Deutsche Grenzpolizei unterstand dem Ministerium des Innern der DDR, von Mai 1952 bis Juni 1953 dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS). Nach dem Mauerbau wurde die Deutsche Grenzpolizei am 15. September 1961 dem Ministerium für Nationale Verteidigung unterstellt und das Kommando Grenze der NVA gebildet. Die Teile der Deutschen Grenzpolizei, die mit den Personenkontrollen an den Grenzübergängen befasst waren, wurden als Passkontrolleinheiten (PKE) der Hauptabteilung VI des MfS unterstellt. Mit Einführung der Wehrpflicht in der DDR wurden ab April 1962 auch Wehrpflichtige im Rahmen der allgemeinen Wehrpflicht[2] zu den nunmehrigen Grenztruppen der NVA eingezogen. Im Oktober 1962 wurden militärische Grenzregimenter gebildet. Im Frühjahr 1971 wurden die Grenztruppen der DDR wegen der laufenden Abrüstungsverhandlungen aus der Nationalen Volksarmee (NVA) ausgegliedert, um nicht zur Truppenstärke des Landes gezählt zu werden. Trotzdem blieben die Grenztruppen als eigenständige Teilstreitkraft direkt dem Ministerium für Nationale Verteidigung unterstellt. Sie bildeten einen Teil der Bewaffneten Organe der DDR. Ebenso wie die Grenzsicherungskräfte der anderen Ostblockstaaten (z. B. die tschechoslowakische Pohraniční stráž/PS) waren sie am Vorbild der Grenztruppen der UdSSR ausgerichtet, wenn auch ihre organisatorische Unterstellung vom sowjetischen Muster abwich. Den Grenztruppen der DDR gehörten in den 1980er Jahren bis zum Zeitpunkt der Wende und friedlichen Revolution 1989 durchschnittlich 44.000 Personen unter Waffen an.[3]
Die DDR-Regierung kultivierte selbst gegenüber den von ihr eingesetzten Bewachern ein gehöriges Maß an Misstrauen. Vor allem gegenüber Mannschaftsdienstgraden wurden Vorkehrungen getroffen, um Fluchtplänen weitestgehend vorzubeugen. Zur Grenzsicherung eingeteilt, wussten diese bis kurz vor Dienstantritt nie, wer mit wem Posten zu stehen oder auf Streife zu gehen hatte. Es sollten sich auf keinen Fall Freundschaften bilden, die in Fluchten hätten münden können. Auch wusste niemand, ob der mit ihm Diensttuende nicht ein Stasi-Spitzel war, mit dem Auftrag, solche Vorhaben frühzeitig aufzudecken. Mehr Verlass war auf die Offiziere, deren Treue sich das SED-Regime durch diverse Vergünstigungen und Privilegien erkaufte.[4]
Der weitaus größte Teil der Truppen diente der Bewachung der innerdeutschen Grenze zur Bundesrepublik Deutschland und der Berliner Mauer, die Berlin (West) umschloss. Es ist bis heute umstritten, wie viele Menschen bei dem Versuch, die Grenze zu überwinden, ums Leben gekommen sind. Die Arbeitsgemeinschaft 13. August nennt 1200 Todesopfer, die Berliner Staatsanwaltschaft kann 125 Todesfälle nachweisen, weitere 85 werden untersucht.
Vergleichsweise geringe Kräfte kontrollierten die Oder-Neiße-Grenze nach Polen und die Grenze zur ČSSR. Eine Sonderstellung nahm die 6. Grenzbrigade Küste zur Sicherung der Seegrenze an der Ostsee ein, die organisatorisch der Volksmarine angehörte.
Die Kontrollen an der innerdeutschen Grenze wurden am 1. Juli 1990 offiziell eingestellt und die Grenztruppen in operativen Fragen der Kontrolle der Grenzen zu Tschechien, Polen, den Seegrenzen und den Flughäfen dem Innenminister der DDR unterstellt. Die Grenztruppen wurden per „Befehl Nr. 49/90 des Ministers für Abrüstung und Verteidigung über die Auflösung der Grenztruppen der DDR“ am 30. September 1990 aufgelöst, die verbliebenen 15.000 Angehörigen entlassen. Das Personal wurde zuvor teilweise in den Grenzschutz der DDR und von dort weiter in den Bundesgrenzschutz (BGS) (heute Bundespolizei) übernommen. Etwa 4500 Grenztruppenangehörige wurden von der Bundeswehr als Zivilkräfte in Rekultivierungskommandos zum Abbau der innerdeutschen Grenzsperranlagen eingestellt. Im Übrigen hatten die Grenztruppen der DDR und ihre militärischen Vorgängereinheiten in den Jahrzehnten zuvor eine hohe Anzahl vollendeter Fahnenfluchten zu verzeichnen – in Richtung Westdeutschland und West-Berlin.[5]
Auftrag
- nach außen: Sicherung der territorialen Integrität der Deutschen Demokratischen Republik
- nach innen: Vorbeugung, Aufklärung und Verhinderung von nach DDR-Recht als illegale Grenzdurchbrüche (Grenztruppen-Diktion für den DDR-Straftatbestand Republikflucht) bezeichnete Fluchtversuche von DDR-Bürgern, auch durch Schusswaffengebrauch. [6]
Organisation
Der Sitz des Kommandos der Grenztruppen befand sich von 1961 bis 1990 in Pätz südöstlich von Berlin. Ihm unterstanden die
- Offiziershochschule der Grenztruppen der DDR „Rosa Luxemburg“ in Suhl (bis 1984 in Plauen)
- Unteroffiziersschule der Grenztruppen „Egon Schultz“ in Perleberg (Diensthundeführer-Ausbildung in Wilhelmshorst)
1961 bis 1971
Das Kommando Grenze der NVA gliederte sich von 1961 bis 1971 wie folgt:
Sechs Grenzbrigaden entlang der Grenze zur Bundesrepublik
- Grenzbrigade 3 mit Stab in Perleberg
- Grenzbrigade 5 mit Stab in Kalbe (Milde)
- Grenzbrigade 7 mit Stab in Magdeburg
- Grenzbrigade 9 mit Stab in Erfurt
- Grenzbrigade 11 mit Stab in Meiningen
- Grenzbrigade 13 mit Stab in Rudolstadt
Drei Grenzbrigaden um Berlin (West)
- Grenzbrigade 1 mit Stab in Berlin-Treptow
- Grenzbrigade 2 mit Stab in Groß Glienicke
- Grenzbrigade 4 mit Stab in Potsdam (1966 aufgelöst)
an der Grenze zur Volksrepublik Polen
- Grenzregiment 18 mit Stab in Frankfurt (Oder) (1966 aufgelöst und in Grenzbataillone gegliedert)
an der Grenze zur ČSSR
- Grenzregiment 19 mit Stab in Pirna (1966 aufgelöst und in Grenzbataillone gegliedert)
entlang der Ostseeküste
- Grenzbrigade Küste mit Stab in Rostock-Gehlsdorf
Jede Grenzbrigade bestand aus drei Grenzregimentern mit je zwei (GR-3/GR-9 drei) Grenzbataillonen, je neun (zwölf) Grenzkompanien und einem Ausbildungsbataillon.
1971 bis 1989
1971 erfolgte eine Umgliederung mit der Einführung von drei Grenzkommandos:
- Grenzkommando Nord in Stendal
- Grenzkommando Süd in Erfurt
- Grenzkommando Mitte in Berlin-Karlshorst (Kommandeur 1979–1990: Erich Wöllner)
Dazu kamen:
- Grenzabschnittskommando Polen in Frankfurt (Oder)
- Grenzabschnittskommando ČSSR in Pirna
- 6. Grenzbrigade Küste in Rostock
- Hubschrauberstaffel 16 in Salzwedel, ab 1986 in Nordhausen
Jedes Grenzkommando war in mehrere Grenzregimenter und in ein bis zwei Grenzausbildungsregimenter untergliedert. An den Grenzen zu den „sozialistischen Bruderstaaten“ taten nur rund 600 Grenzsoldaten Dienst.
Die 6. Grenzbrigade Küste (6. GBK) war zuständig für die Überwachung der Seegrenze und die Verhinderung von Fluchtversuchen über die Ostsee. Organisatorisch und operativ war sie dem Kommando der Volksmarine unterstellt.
- Fähnrich- und Grenzaufklärerschule der Grenztruppen, Nordhausen (Bez. Erfurt), ab Dezember 1985 Eingliederung in die OHS der Grenztruppen
Organisation ab 1989
Anfang 1989 begann eine weitere Strukturveränderung:
- Grenzbezirkskommando 1 in Schwerin
- Grenzkreiskommando Grevesmühlen/Gadebusch
- Grenzkreiskommando Hagenow
- Grenzkreiskommando Ludwigslust
- 18 Grenz- und 2 Bootskompanien
- Grenzbezirkskommando 2 in Stendal
- Grenzkreiskommando Salzwedel/Osterburg
- Grenzkreiskommando Klötze
- Grenzkreiskommando Haldensleben
- Grenzkreiskommando Halberstadt/Oschersleben
- Grenzkreiskommando Wernigerode
- 27 Grenzkompanien
- Grenzbezirkskommando 3 in Erfurt
- Grenzkreiskommando Nordhausen
- Grenzkreiskommando Worbis/Mühlhausen
- Grenzkreiskommando Heiligenstadt
- Grenzkreiskommando Eisenach
- 22 Grenzkompanien
- Grenzbezirkskommando 4 in Sonneberg
- Grenzkreiskommando Bad Salzungen
- Grenzkreiskommando Meiningen
- Grenzkreiskommando Hildburghausen
- Grenzkreiskommando Sonneberg/Neuhaus
- 29 Grenzkompanien
- Grenzbezirkskommando 5 in Gera
- ohne Grenzkreiskommandos
- 8 Grenzkompanien
- ohne Grenzkreiskommandos
- Grenzbezirkskommando 7 in Plauen
- ohne Grenzkreiskommandos
- 3 Grenzkompanien
- ohne Grenzkreiskommandos
Grenzausbildungszentren in Halberstadt und Plauen, die dem Kommando Grenze direkt unterstellt waren, sollten die bisherigen Grenzausbildungsregimenter ersetzen. Die Realisierung des neuen Grenzsystems wurde aufgrund der politischen Umwälzungen nicht mehr abgeschlossen.
Grenztruppen und das Ministerium für Staatssicherheit
Die Besatzung der Grenzübergangsstellen (GÜSt) waren Angehörige der Hauptabteilung VI des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), der Zollverwaltung der DDR (die ihrerseits durch die HA VII kontrolliert und überwacht wurde) und Angehörige der Grenztruppen, sowie teilweise Zivilangestellte, wie z. B. Tierarzt, Rotes Kreuz, Staatsbank. Erstere gehörten zu als Passkontrolleinheit (PKE) bezeichneten Abteilungen und versahen ihren Dienst in der Uniform der Grenztruppen, ohne diesen jedoch anzugehören. Die Abfertigung von Personen und Waren lag außerhalb der Zuständigkeit der Grenztruppen. Durch Sicherungskompanien (SiK) oder Sicherungszüge (SiZ) der Grenztruppen wurden die Flanken, die Grenze selbst und die rückwärtige Begrenzung der GÜSt abgesichert.
Von kleinen Sondereinheiten der Grenztruppen wurde der technische Betrieb der GÜSt realisiert, wie Reinigung, Müllabfuhr, (Strom-)Netzersatzanlage, Beleuchtung, Schranken und Ampeln.
Eine weitere komplett als GT-Einheit legendierte MfS-Diensteinheit war die Funkaufklärung der Grenztruppen, welche vornehmlich den westlichen Grenzbereich abhörte (Funkverkehr der NATO-Einheiten und des Bundesgrenzschutzes). Diese Mitarbeiter waren bei den drei Grenzkommandos Küste, Nord und Süd stationiert und gehörten vollständig der Hauptabteilung III (Funkaufklärung) an. Sie wurden von den MfS-Bezirkverwaltungen geführt (Nord beispielsweise von der BV Magdeburg), welche auch regelmäßig die Bänder von den GT-Kommandos abholten.
Insgesamt wurden die Grenztruppen von der Hauptabteilung I des MfS überwacht, sichtbar als Verwaltung 2000 oder Büro 2000 an den GT-Standorten und verdeckt mit Offizieren im besonderen Einsatz (OibE) in Schlüsselpositionen und Inoffiziellen Mitarbeitern (so genannten IMs). Die Grenztruppen hatten die höchste Durchdringung mit IMs aller DDR-Institutionen (Verhältnis von nahezu eins zu fünf).
Mit der Medaille für vorbildlichen Grenzdienst zeichnete das MfNV, vertreten durch den Stellvertreter des Ministers für Nationale Verteidigung und Chef der Grenztruppen der DDR, Grenzsoldaten für vorbildliche Sicherung der Staatsgrenze aus. Eine niedrigere Auszeichnung war das „Leistungsabzeichen der Grenztruppen“. Für vorbildliche Diensterfüllung sowie herausragende politische und sportliche Leistungen wurde das „Bestenabzeichen“ verliehen.
Chef der Grenztruppen
(einschließlich Vorgänger in der Deutschen Grenzpolizei)
- 1952 Chefinspekteur Richard Smolorz
- 1952–1955 Generalinspekteur bzw. Generalmajor Hermann Gartmann
- 1955–1957 Oberst Heinrich Stock
- 1957 Generalmajor Hermann Gartmann
- 1957–1960 Generalmajor Paul Ludwig
- 1960–1979 Generaloberst Erich Peter
- 1979–1990 Generaloberst Klaus-Dieter Baumgarten
- 1990 Generalmajor Dieter Teichmann als Chef GT/Chef Grenzsicherung
Mauerschützenprozesse
In den Mauerschützenprozessen (wegen der tödlichen Schüsse an Berliner Mauer und innerdeutscher Grenze und wegen des Schießbefehls) wurden zwischen 1991 und 2004 die Verbrechen sowohl ausführender Personen als auch politisch und militärisch Verantwortlicher des DDR-Regimes angeklagt und verurteilt.
Literatur
- Peter Joachim Lapp: Frontdienst im Frieden – Die Grenztruppen der DDR. Entwicklung-Struktur-Aufgaben. 2. Auflage. Koblenz 1987, ISBN 3-7637-5349-4.
- Peter Joachim Lapp: Gefechtsdienst im Frieden. Das Grenzregime der DDR 1945–1990. Bonn 1999, ISBN 3-7637-5992-1.
- Dietmar Schultke: Keiner kommt durch. Die Geschichte der innerdeutschen Grenze 1945–1990. Berlin 1999, ISBN 3-7466-8041-7.
- Dietmar Schultke: Die Grenze, die uns teilte – Zeitzeugenberichte zur innerdeutschen Grenze. Berlin 2005, ISBN 3-89574-565-0.
- Volker Koop: Ausgegrenzt. Der Fall der DDR-Grenztruppen. Berlin 1996, ISBN 978-3-89488-064-4.
- Jürgen Ritter, Peter Joachim Lapp: Die Grenze. Ein deutsches Bauwerk. 9. Auflage. Berlin 2015, ISBN 978-3-86153-560-7.
- Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.): Flucht aus der DDR am Beispiel „Versuchter Grenzdurchbruch zweier Schüler“, Auszug aus einer Akte des MfS. BStU für Schulen. Quellen für die Schule 2, 2., korrigierte Auflage, Berlin 2008 (PDF).
- Peter Joachim Lapp: Grenzregime der DDR. Aachen 2013, ISBN 978-3-86933-087-7.
- Peter Joachim Lapp: Offiziershochschule „Rosa Luxemburg“. Kaderschmiede der DDR-Grenztruppen. Aachen 2014, ISBN 978-3-86933-113-3.
- Jochen Maurer: Halt – Staatsgrenze!. Alltag, Dienst und Innenansichten der Grenztruppen der DDR. Ch. Links Verlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-86153-863-9.
Siehe auch
- Freiwillige Helfer der Grenztruppen
- Flucht aus der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR
- Todesfälle DDR-Grenzer
Weblinks
- Detaillierte Erläuterung zur Geschichte und Aufbau der Grenztruppen der DDR
- einestages, Zeitgeschichten auf Spiegel online Grenzsicherung in der DDR, „Der Schlag hat gesessen“ mit weiteren Links auf Original-Filmmaterial aus der Zeit vor 1989
- Die Grenztruppen - Grenzaufklärer in den Grenztruppen
Einzelnachweise
- ↑ Rainer Blasius: DDR und Militär, Gefechtsbereit im Frontstaat in Faz-Online vom 18. September 2011
- ↑ Wehrpflichtgesetz der DDR
- ↑ Jürgen Ritter, Peter Joachim Lapp: Deutschland grenzenlos: Bilder der deutsch-deutschen Grenze - Damals und heute, S. 12
- ↑ Hans Hermann Hertle: Die Berliner Mauer/The Berlin Wall. Monument des Kalten Krieges. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2009
- ↑ Ulrich Bröckling (Hrsg.): Armeen und ihre Deserteure: vernachlässigte Kapitel einer Militärgeschichte der Neuzeit. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1998, ISBN 3-525-01365-5; Rüdiger Wenzke: Die Fahnenflucht in den Streitkräften der DDR. S. 252 ff.
- ↑ Gesetz über die Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik, vom 25. März 1982, aufgehoben durch Einigungsvertrag vom 31. August 1990 (BGBl. II. S. 889)