Berliner Jedermann-Festspiele

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Die Tischgesellschaft von 2010

Die Berliner Jedermann-Festspiele bestanden von 1987 bis 2014 und zeigten alljährlich im Herbst Hugo von Hofmannsthals Jedermann.[1] Gründerin der Festspiele, Regisseurin und Darstellerin des Glaubens seit Anbeginn war Brigitte Grothum. Während der Jedermann der Salzburger Festspiele vor dem Salzburger Dom unter freiem Himmel gespielt wird, fanden die Berliner Aufführungen seit 1993 im Innenraum des Berliner Domes statt. Von 1988–1992 in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, 1988 in der Südsternkirche in Kreuzberg.

Geschichte

In Berlin gab es ab 1987 die jährlichen Jedermann-Festspiele.[2] Weil Hofmannsthals Stück weitgehend mit dem Salzburger Domplatz assoziativ verknüpft wird, wo es seit 1920 nahezu jeden Sommer gegeben wird, trat allgemein in den Hintergrund, dass die Uraufführung des Jedermann im Jahre 1911 in Berlin stattfand, im Circus Schumann, inszeniert von Max Reinhardt.

Die Inszenierungen leitete Brigitte Grothum. Spielstätte war zunächst die Kreuzberger Kirche am Südstern, später die Marienkirche, aber auch die Gethsemanekirche und die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Zumeist versammelte Grothum ein Ensemble von namhaften Schauspielern und Schauspielerinnen der Film- und Fernsehwelt sowie des Boulevardtheaters. Die Besetzungen waren oft prominent und ungewöhnlich, bisweilen auch mutig. Grothums ursprüngliche Motivation für die Produktion war Werktreue, die Sorge, ein anderer könnte aus dem Mysterienspiel einen Abend des Regietheaters machen, „bei dem das Werk nur Mittel zum Zweck wäre“.[3] Die ersten Jedermann-Darsteller waren die Film- und Fernsehschauspieler Erik Schumann (1987) und Bodo Wolf (1988–1990), erste Buhlschaft war Monika Tabsch, die zuvor in einer Folge der Fernsehserie Die Nervensäge mit Dieter Hallervorden aufgetreten war.

1991 sollte die Schlagersängerin und Filmschauspielerin Heidi Brühl, damals 49 Jahre alt, die Rolle der Buhlschaft übernehmen, nahm auch an den ersten Proben teil, verstarb jedoch nach einer Operation noch vor der Premiere. Ihre Rolle übernahm kurzfristig Iris Berben.[4] Der Jedermann der Jahre 1991 bis 1993 war der Schauspieler Ezard Haußmann, der 23 Jahre lang an der Berliner Volksbühne engagiert war. Seine Buhlschaften waren, nach Berben, Ingrid Steeger (1991) und die Schlagersängerin Dunja Rajter (1993). Im Jahr 1993 gab es eine Neuinszenierung an einer neuen Spielstätte, Grothum etablierte das Mysterienspiel im Berliner Dom und untermalte ihre Neuinszenierung nunmehr mit Musik von Johann Bach. Der Dom blieb Spielstätte des Stückes bis zum Ende der Festspiele. Die Regisseurin übernahm in allen Vorstellungen der Festspiele von Anbeginn bis zum Ende die Rolle des Glaubens. Nur bei einem Gastspiel im Jahr 1990 spielte sie die Buhlschaft. Eine Reihe von Schauspielern blieben dem Projekt über lange Jahre treu:

  • Die Fassbinder- und Fernseh-Schauspielerin Brigitte Mira spielte von 1990 bis zu ihrem Tod, fünfzehn Sommer lang, die Mutter.
  • Den Mammon verkörperte sieben Spielzeiten lang Gerd Duwner, danach fünf Spielzeiten Klaus Dahlen und erneut sieben Spielzeiten Ilja Richter.
  • Peter Sattmann spielte von 1998 bis 2003 den Tod und verkörperte ab 2004 in sieben Spielzeiten den Teufel, zuletzt 2014.
  • In ebenfalls sieben Spielzeiten verkörperte Debora Weigert, die Tochter der Festspielleiterin, die Rolle der Guten Werke.
Brigitte Grothum als Glaube, Winfried Glatzeder als Jedermann und Debora Weigert als Gute Werke, Berliner Dom 2010

1994 debütierte Hermann Treusch, 1998 Joachim Hansen und 1999 Reiner Schöne in der Rolle des Jedermanns, die Buhlschaften der 1990er Jahre waren namhafte Persönlichkeiten aus Film und Fernsehen, darunter Carry Sass, Uta Schorn, Sonja Kirchberger und Isabel Varell. 2002 übernahm der Travestiestar Georg Preuße alias Mary die Titelrolle, 2006 der vormalige Schlager- und spätere Opernsänger René Kollo. Die Buhlschaften dieser Jahre waren Dennenesch Zoudé, in der Folge Jenny Elvers-Elbertzhagen und 2006 Barbara Becker.

Im Jahr 2008 gab der Schauspieler Winfried Glatzeder den Jedermann, und Mariella Ahrens die Buhlschaft. 2009 übernahm Rüdiger Joswig die Titelrolle, die vormalige Eiskunstläuferin Katarina Witt die Buhlschaft und der Kabarettist Herbert Feuerstein die Rolle des Teufels. 2010 und 2011 übernahm wieder Glatzeder den Jedermann, 2012 und 2013 erstmals Francis Fulton-Smith und 2014 erneut Georg Preuße. Die letzten drei Buhlschaften waren die Fernsehmoderatorin Eva Habermann, die Schauspielerin Barbara Wussow und die Popsängerin Jeanette Biedermann.[5][6]

Das Ende der Institution begründete die Gründerin, Regisseurin und Schauspielerin einerseits mit ihrem Alter, andererseits mit dem ständigen Risiko einer freien Produktion, die auf Sponsoren angewiesen war und keine Subventionen erhielt: „Wenn wir es nicht anders finanziert bekommen als durch Betteln, dann müssen wir aufhören.“[7]

Als berührendstes Erlebnis der 28 Jahre Jedermann schilderte Grothum ein Gastspiel im Juli 1989 im Osten der Stadt, in der Marienkirche am Alexanderplatz – wenige Monate vor dem Fall der Berliner Mauer. „Das Publikum hat unten gestanden und geweint und wir haben oben gestanden und geweint.“ Es regnete Rosen und gab Sprechchöre: „Wiederkommen, wiederkommen!“[7]

Insgesamt haben rund 500 000 Zuschauer die Berliner Jedermann-Vorstellungen gesehen.

Besetzungen

Jahr Jedermann Buhlschaft Gott
Tod
Teufel
Mutter
Werke
Glaube
Guter Gesell
Hausvogt
Koch
Armer Nachbar
Schuldknecht
Sein Weib
Dicker Vetter
Dünner Vetter
Mammon
Alternierend in verschiedenen Kirchen Berlins
1987 Erik Schumann Monika Tabsch Erich Schellow
Eberhard Prüter
Rudolf Geske
Erika Dannhoff
Edith Teichmann
Brigitte Grothum
Wolfgang Ziffer
Helmut Ellfeldt
Walter Jacob
Egon Hofmann
Bodo Wolf
Agathe Winkler
Dieter Brammer
Uwe Müller
Gerd Duwner
1988 Bodo Wolf Erich Schellow
Eberhard Prüter
Wolfgang Gruner
Egon Hofmann
Jürgen Kluckert
Agathe Winkler
1989 Erich Schellow
Manfred Tümmler
Wolfgang Gruner
Klaus Dahlen
Santiago Ziesmer
Gerd Duwner
1990 Erich Schellow
Peter Maertens
Wolfgang Gruner
Brigitte Mira
Edith Teichmann
Brigitte Grothum
Wolfgang Ziffer
Helmut Ellfeldt
Dietmar Wunder
Egon Hofmann
Dieter Knust
Agathe Winkler
1991 Ezard Haußmann Iris Berben Wolfgang Ziffer
Helmut Ellfeldt
Klaus Bergatt
1992 Ingrid Steeger Erich Schellow
Alexander Kerst
Leander Haußmann
Berliner Dom
1993 Ezard Haußmann Dunja Rajter Erich Schellow
Hermann Treusch
Wolfgang Gruner
Brigitte Mira
Edith Teichmann
Brigitte Grothum
Wolfgang Ziffer
Helmut Ellfeldt
Klaus Bergatt
Egon Hofmann
Dieter Knust
Agathe Winkler
Klaus Dahlen
Wolfgang Bahro
Gerd Duwner
1994 Hermann Treusch Carry Sass Erich Schellow
Arno Wyzniewski
Wolfgang Gruner
Wolfgang Ziffer
Helmut Ellfeldt
Peter Schlesinger
Horst Schultheis
Dieter Knust
Agathe Winkler
Uwe Hacker
Wolfgang Bahro
Klaus Dahlen
1995 Uta Schorn Brigitte Mira
Judy Winter
Brigitte Grothum
Wolfgang Ziffer
Helmut Ellfeldt
Helmut Hildebrand
Gerry Wolff
Dieter Knust
Agathe Winkler
Horst Pinnow
Wolfgang Bahro
Klaus Dahlen
1996 Sonja Kirchberger Erich Schellow
Peter Maertens
Wolfgang Gruner
Wolfgang Ziffer
Helmut Ellfeldt
Andreas Müller
1997 Erich Schellow
Alexander Kerst
Wolfgang Gruner
Wolfgang Ziffer
Helmut Ellfeldt
Helmut Hildebrand
Gerry Wolff
Dieter Knust
Debora Weigert
1998 Joachim Hansen Susanne Meikl Erich Schellow
Peter Sattmann
Wolfgang Gruner
Gerry Wolff
Piotr Papierz
Debora Weigert
Horst Pinnow
Wolfgang Bahro
Volker Brandt
1999 Reiner Schöne Isabel Varell Brigitte Mira
Elke Sommer
Brigitte Grothum
Horst Pinnow
Wolfgang Bahro
Klaus Dahlen
2000 Joachim Hansen Erich Schellow
Peter Sattmann
Peter Sattmann
Manfred Molitorisz
Helmut Ellfeldt
Stephan Wilke
Gerry Wolff
Stefan Gossler
Mona Klare
Horst Pinnow
Wolfgang Bahro
Georg Preuße
2001[8] Sonja Kirchberger Manfred Molitorisz
Waldemar Arnold
Stephan Wilke
Horst Schultheis
Stefan Gossler
Ilona Schulz
2002 Georg Preuße Dennenesch Zoudé Wolfgang Lippert
Waldemar Arnold
Jörg Büttner
Horst Bergmann
Stefan Gossler
Debora Weigert
Stephan Wilke
Wolfgang Bahro
Ilja Richter
2003 Wolfgang Lippert
Götz Gendries
Stephan Wilke
Horst Schultheis
Stefan Gossler
Mona Klare
Horst Pinnow
Wolfgang Bahro
Ilja Richter
2004 Jenny Elvers-Elbertzhagen Erich Schellow
Joachim Hansen
Peter Sattmann
Brigitte Mira
Jitka Frantova
Brigitte Grothum
Daniel Fehlow
Uwe Seibertz
Stephan Wilke
Horst Schultheis
Stefan Gossler
Fiona Siemering
Horst Pinnow
Wolfgang Bahro
Marcello de Nardo
2005 Erich Schellow
Karl Walter Diess
Peter Sattmann
Dagmar Biener
Elisabeth Wiedemann
Brigitte Grothum
Wolfgang Bahro
Uwe Seibertz
Stephan Wilke
Horst Schultheis
Stefan Gossler
Debora Weigert
Horst Pinnow
Santiago Ziesmer
Ilja Richter
2006 René Kollo Barbara Becker Erich Schellow
Peter Sattmann
Peter Sattmann
Hannelore Zeppenfeld
Debora Weigert
Brigitte Grothum
Horst Schultheis
Uwe Seibertz
Stephan Wilke
Horst Bergmann
Stefan Gossler
Dagmar Biener
2007 Jenny Elvers-Elbertzhagen Erich Schellow
Peter Sattmann
Ezard Haußmann
Anny Schlemm
Debora Weigert
Brigitte Grothum
Wolfgang Bahro
Uwe Seibertz
Stephan Wilke
Horst Pinnow
Santiago Ziesmer
Axel Herrig
2008 Winfried Glatzeder Mariella Ahrens Erich Schellow
Peter Sattmann
Peter Sattmann
Monika Lennartz
Debora Weigert
Brigitte Grothum
Nicolai Tegeler
Uwe Seibertz
Stephan Wilke
Herbert Köfer
Stefan Gossler
Claudia Weiske
Dagmar Biener
Santiago Ziesmer
Ilja Richter
2009 Rüdiger Joswig Katarina Witt Erich Schellow
Günter Junghans
Herbert Feuerstein
Ursula Karusseit
Debora Weigert
Brigitte Grothum
Dagmar Biener
Santiago Ziesmer
Robert Kreis
2010 Winfried Glatzeder Eva Habermann Erich Schellow
Siemen Rühaak
Herbert Feuerstein
Herbert Köfer
Michael Jussen
Anne-Kathrin Vorwerk
Dagmar Biener
Santiago Ziesmer
Ilja Richter
2011 Barbara Wussow Erich Schellow
Sascha Gluth
Peter Sattmann
Nicolai Tegeler
Michael Jussen
Stephan Wilke
Herbert Köfer
Stefan Gossler
Claudia Weiske
2012 Francis Fulton-Smith Ursula Karusseit
Ingrid Mülleder
Brigitte Grothum
Matthias Zahlbaum
Michael Jussen
Stephan Wilke
Herbert Köfer
Torsten Spohn
Ingrid Mülleder
Dagmar Biener
Santiago Ziesmer
André Eisermann
2013 Jeanette Biedermann Erich Schellow
Reiner Schöne
Peter Sattmann
Herbert Köfer
Stefan Gossler
Ingrid Mülleder
Horst Pinnow
Santiago Ziesmer
André Eisermann
2014 Georg Preuße Barbara Wussow Erich Schellow
Achim Wolff
Peter Sattmann
Ursula Karusseit
Debora Weigert
Brigitte Grothum
Herbert Köfer
Stefan Gossler
Ines Bartholomäus
Horst Pinnow
Santiago Ziesmer
Ilja Richter
  • 1989 wurde der Tod auch von Manfred Tümmler gespielt, 1994 und 1995 auch von Ekkehard Schall, 1996 auch von Arno Wyzniewski.
  • Erich Schellow erlitt 1993 einen schweren Schlaganfall und starb 1995. Die Stimme des Herrn in den Berliner Jedermann-Aufführungen stammte von einer älteren Tonaufzeichnung.
  • In den Jahren 2000 bis 2003 sowie 2006 und 2008 verkörperte Peter Sattmann sowohl den Tod als auch den Teufel.
  • Erik Schumann spielte den ersten Jedermann nur in zwei Vorstellungen, danach musste er die Rolle krankheitsbedingt niederlegen und wurde durch Bodo Wolf ersetzt.[9]

Gastspiele

Die Berliner Jedermann-Produktion wurde in den Jahren 2004 bis 2006 auch in jährlich einem Gastspiel gezeigt. 2004 gastierte der Berliner Jedermann im Hof des Schlosses Herrenchiemsee. Gespielt wurde bei Tageslicht.

2005 gastierte das Ensemble vor dem Ital-Reding-Haus in der Schweizer Gemeinde Schwyz, die Tribüne im Freien war für 3.000 Besucher errichtet worden. Charles Linsmayer gab seiner Kritik den Titel Schauspiel wie Gottesdienst und lobte die Aufführung „als durch und durch traditionelles Schauspiel vom Besten“, das gut aufeinander eingespielte Ensemble und alle darstellerischen Leistungen. Als Gäste aus der Schweiz übernahmen Walo Lüönd die Rolle des Armen Nachbarn und Stefanie Glaser die von Jedermanns Mutter.

2006 gastierte die Produktion mit René Kollo als Jedermann und Barbara Becker als Buhlschaft in Speyer.

Commons: Berliner Jedermann-Festspiele – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Jedermann-Festspiele in Berlin
  2. Jedermann-Festspiele in Berlin
  3. Stefan Kirschner: Diese Berliner "Jedermann"-Festspiele sind die letzten, Berliner Morgenpost, abgerufen am 16. November 2016.
  4. Fanseite Heidi Brühl, Bühnenrollen, abgerufen am 16. November 2016.
  5. TrendJam Magazin: Berliner Jedermann Festspiele 2012 mit Francis Fulton-Smith, Barbara Wussow, Ursula Karusseit und Herbert Köfer, 8. Oktober 2012
  6. Berliner Jedermann Festspiele: [1]
  7. a b Franziska Felber: Nach 28 Jahren: Ein Abschied für Jedermann, Der Tagesspiegel (Berlin), 24. September 2016, abgerufen am 16. November 2016.
  8. Stadtmenschen – jedermann küsst die Buhlschaft Tagesspiegel, aufgerufen am 7. Dezember 2016
  9. Brigitte Grothum: Mein "Jedermann", S. 38/39, Siebenhaar Verlag, Berlin, 2006, ISBN 978-3-936962-35-2