Arthur Seyß-Inquart

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 22. Juni 2016 um 10:55 Uhr durch MBq (Diskussion | Beiträge) (Änderungen von TaxonKatBot (Diskussion) auf die letzte Version von NiTenIchiRyu zurückgesetzt). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Arthur Seyß-Inquart (1940)
Arthur Seyss-Inquart (1925)
Joseph Goebbels, Gertrud Seyß-Inquart, Kajetan Mühlmann, Paula Wessely und Seyß-Inquart beim Empfang von Schauspielern am 30. März 1938 in der Wiener Hofburg
Seyß-Inquart neben Hitler in Wien (1938)
Arthur Seyß-Inquart bei einer Ansprache vor der Ordnungspolizei in Den Haag (1940)

Arthur Seyß-Inquart (* 22. Juli 1892 in Stannern; † 16. Oktober 1946 in Nürnberg) war ein österreichischer Jurist, der in der Zeit des Nationalsozialismus in unterschiedlichen Funktionen politisch Karriere machte.

Seyß-Inquart gehörte zu den 24 im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof angeklagten Personen und wurde am 1. Oktober 1946 in drei von vier Anklagepunkten schuldig gesprochen und als Kriegsverbrecher hingerichtet.

Leben

Familie

Arthur Seyß-Inquart kam als Sohn des Pädagogen Emil Seyß-Inquart (* 29. November 1841 Jaroslau, Lehrer am k.k. Staats-Gymnasium in Villach, 1882–88 Professor am Gymnasium in Iglau, danach Direktor des k.k. Deutschen Staats-Gymnasiums in Olmütz; † 17. Oktober 1920 Wien) und dessen Frau Auguste, geb. Hyrenbach, in Südmähren als jüngstes von sechs Geschwistern zur Welt. 1907 übersiedelte die Familie nach Wien. 1911 lernte Arthur Gertrud Maschka kennen, die er im Dezember 1916 heiratete. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor: Ingeborg Caroline Auguste (* 1917), Richard (* 1921) und Dorothea (* 1928).

Geboren wurde er als Arthur Seyß; durch Namensübertragung seitens eines Großonkels, Heinrich Ritter von Inquart, entstand 1906 der Doppelname Seyß-Inquart.[1]

Es wird auch behauptet, Arthurs Familie habe den Namen Zajtich geführt und ihn erst 1907, nach der Übersiedlung nach Wien, auf Seyß-Inquart geändert. Dagegen sprechen Schulpublikationen, die Arthurs Vater Emil Seyß ab den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts unter diesem Namen veröffentlicht hat.[2] Die Führung des Namens Zajtich ist nicht durch Primärquellen nachgewiesen und kommt auch in der deutschsprachigen Literatur nicht vor.

Werdegang zum Rechtsanwalt

Nach dem Besuch der Volksschule und des Gymnasiums in Olmütz studierte Seyß-Inquart Rechtswissenschaft an der Universität Wien. Während des Ersten Weltkrieges diente er in der österreichisch-ungarischen Armee und erreichte dort den Rang eines Oberleutnants der Reserve. Seyß-Inquart promovierte während eines Fronturlaubes 1917 in Wien zum Dr. iur. Ab 1921 war er zunächst als Rechtsanwalt in Wien tätig.[3]

Politik

Nationalsozialist

Um 1919/1920 war Seyß-Inquart in Wien Mitglied der katholisch-deutschnationalen Deutschen Gemeinschaft, der auch Engelbert Dollfuß, Karl Wache, Robert Hohlbaum, Emmerich Czermak und Hermann Neubacher angehörten.[4] Seit 1931 engagierte er sich in österreichischen Organisationen, die der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) nahestanden, wie dem Deutsch-Österreichischen Volksbund und dem Steirischen Heimatschutz.[5] 1934 nahm Bundeskanzler Engelbert Dollfuß die Verbindung zu Seyß-Inquart neu auf; es kam zu zwei Treffen im Juli 1934 in Mattsee und Wien, also unmittelbar vor dem Juliputsch, wo es zur Tötung von Dollfuß kam.[4] Ab 1936 war er zunächst als österreichischer Staatsrat tätig. 1937 wurde er zum „Befriedungskommissar“ berufen, um die Verbindung zur – wie es hieß – „nationalen Opposition“ herzustellen.[3] 1938 trat er der NSDAP (Mitgliedsnr. 6.270.392) bei. Auf Druck von Adolf Hitler, der im Berchtesgadener Abkommen vom 15. Februar 1938 ultimativ die Beteiligung der NSDAP an Regierungsämtern gefordert hatte, überließ der damalige österreichische Bundeskanzler Kurt Schuschnigg Seyß-Inquart am darauffolgenden Tag das Amt des Innen- und Sicherheitsministers.

In dieser Funktion begann er Überlegungen dazu, ein nationalsozialistisches Österreich nicht sofort voll in das Deutsche Reich zu integrieren, sondern vorerst nur die Personalunion des Staatsoberhauptes herzustellen. Dies hätte seiner eigenen Karriere genützt und Skrupel in Bezug auf seinen österreichischen Amtseid vermieden. Wie er allerdings in den Anschlusstagen selbst zugeben musste, wurde er von den treibenden Kräften des „Anschlusses“ nur vor- (und wie sich bald zeigte beiseite) geschoben. So versuchte Seyß-Inquart noch in der Nacht vom 11. auf den 12. März 1938, Stunden vor dem Einmarsch der Wehrmacht, über die zuständigen Stellen in Berlin Hitler davon zu überzeugen, von einem Grenzübertritt abzusehen. Dieser, noch wenige Stunden zuvor schwankend in seinem Entschluss, wurde daraufhin geweckt, erklärte jedoch, dass der Einmarsch nicht mehr aufzuhalten sei.

Österreichischer Bundeskanzler und Reichsstatthalter

Schuschnigg musste sein Vorhaben, eine Volksbefragung über Österreichs Unabhängigkeit abzuhalten, unter dem Druck Hitlers aufgeben und trat am 11. März 1938 zurück. Darauf hin wurde Seyß-Inquart von Bundespräsident Wilhelm Miklas nach mehrstündigem Zögern und nach telefonischen Ultimaten Hermann Görings noch am späten Abend zum Bundeskanzler bestellt und am darauffolgenden Morgen vereidigt. Er übte dieses Amt bis zum 13. März 1938, dem Tag des „Anschlusses Österreichs“ an das Deutsche Reich, aus. Seyß-Inquart war damit nach Walter Breisky die kürzeste Zeitspanne österreichischer Bundeskanzler.

Am 13. März 1938 wurde der „Anschluss Österreichs“ an das Deutsche Reich staatsrechtlich vollzogen. Das entsprechende, von der NS-Bundesregierung beschlossene Bundesgesetz musste, den Regeln der Ständestaatsverfassung entsprechend, vom Bundespräsidenten unterzeichnet werden, um in Kraft treten zu können. Wilhelm Miklas weigerte sich und trat zurück.

Seine Funktionen gingen damit verfassungsgemäß auf Bundeskanzler Seyß-Inquart über. Dieser unterschrieb den Beschluss nunmehr in seiner Doppelfunktion als amtierendes Staatsoberhaupt und als Bundeskanzler. Seine Unterschrift gab dem Anschlussgesetz Rechtskraft; da damit der Staat Österreich zu bestehen aufhörte, endete mit dieser Unterschrift auch Seyß-Inquarts Funktion als amtierendes Staatsoberhaupt.

Wie die gesamte Gesetzgebung der Ständestaatsdiktatur wurde auch dieser Vorgang bei der Wiedererrichtung der Republik Österreich 1945 als verfassungswidrig aufgehoben.[6]

Bei Hitlers Auftritt und Rede auf dem Wiener Heldenplatz am 15. März 1938 hielt Seyß-Inquart eine kurze pathetische Rede.[7]

Vom 15. März 1938 bis 30. April 1939 wurde Seyß-Inquart dann von Hitler zum Leiter der österreichischen Landesregierung mit dem Titel Reichsstatthalter bestellt. Die Landesregierung wurde im Mai 1938 verkleinert und hatte unter der Aufsicht des Reichskommissars für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich, Josef Bürckel, die Liquidation der österreichischen Zentralstellen durchzuführen. „Als Reichsstatthalter in Österreich führte Seyß-Inquart die Beschlagnahme jüdischen Eigentums durch. […] Politische Gegner der Nazis [wurden] durch die Gestapo in Konzentrationslager geschafft, misshandelt und in vielen Fällen getötet.“[8] Mit Inkrafttreten des Ostmarkgesetzes am 1. Mai 1939 wurde die Landesregierung aufgelöst.

Siehe auch: Bundesregierung Seyß-Inquart

SS-Führer, Reichsminister ohne Geschäftsbereich und weitere Funktionen

Am 12. März 1938 wurde Seyß-Inquart Mitglied der SS (SS-Nr. 292.771) und stieg dort im April 1941 bis zum SS-Obergruppenführer auf.[3] Mit der Gleichschaltung der österreichischen und deutschen Alpenvereine im Jahr 1938 wurde Seyß-Inquart zum „Führer des Deutschen Alpenvereins (DAV)“ bestellt. Seyß-Inquart war von 1939 bis 1945 Reichsminister ohne Geschäftsbereich.

Zweiter Weltkrieg − Stellvertretender Generalgouverneur im Generalgouvernement

Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde Seyß-Inquart Ende Oktober 1939 Stellvertreter des Generalgouverneurs Hans Frank im deutsch besetzten Generalgouvernement.[3]

Reichskommissar für die Niederlande

Arthur Seyß-Inquart als Angeklagter während einer Verhandlungspause im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess

Am 18. Mai 1940 ernannte Hitler ihn zum Reichskommissar für die besetzten Niederlande.[9] Dort war Seyß-Inquart verantwortlich für die Einführung von Zwangsarbeit, Deportationen von über 100.000 niederländischen Juden in Vernichtungslager, Niederschlagung des Februarstreiks und Erschießung von Widerstandskämpfern. Für die niederländische Hauptstadt Amsterdam war ihm Hans Böhmcker unterstellt.

Im Urteil des Nürnberger Internationalen Militärgerichtshofes wird Seyß-Inquarts Verhalten beschrieben (Auszug):

„Als Reichskommissar […] übte Seyß-Inquart unbarmherzigen Terror zur Unterdrückung allen Widerstandes gegen die deutsche Besatzung, ein Programm, das er selbst als ‚Vernichtung‘ der Gegner bezeichnete. […] Die wirtschaftliche Verwaltung der Niederlande führte Seyß-Inquart durch, ohne die Regeln der Haager Konvention […] zu beachten. […] Öffentlicher und privater Besitz wurde in großem Stil geplündert […] Sofort […] begann er, Sklavenarbeiter nach Deutschland zu schicken. […] Während der Besetzung wurden 500.000 Menschen von den Niederlanden nach dem Reich als Arbeiter gesandt, und nur ein ganz geringer Bruchteil davon waren tatsächlich Freiwillige.“[10]

„Eine der ersten Maßnahmen […] war der Erlass einer Reihe von Gesetzen, die die wirtschaftliche Schlechterstellung der Juden erzwang. […] […] Es ist […] wahr, dass in gewissen Fällen Seyß-Inquart gegen besonders scharfe Maßnahmen, die von anderen Dienststellen getroffen wurden, protestierte […] Dennoch bleibt die Tatsache bestehen, dass Seyß-Inquart ein wissender und freiwilliger Teilnehmer an Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit war, die während der Besetzung der Niederlande begangen wurden.“[11]

Im letzten Kriegswinter 1944/45, dem nassesten seit 1864, drohte in den Niederlanden eine humanitäre Katastrophe. Seyß-Inquart kündigte an, weite Teile des Landes unter Wasser zu setzen, woraufhin SHAEF verlautbaren ließ, dass er und Generaloberst Blaskowitz als Kriegsverbrecher behandelt würden, falls sie das umsetzten.[12]

Hitler ernannte Seyß-Inquart in seinem politischen Testament zum Außenminister und befahl, in den Niederlanden „verbrannte Erde“ zu hinterlassen, was Seyß-Inquart jedoch nicht durchführte.[13] Kurz nach dem Suizid Hitlers setzte er sich aus den Niederlanden mit einem Schnellboot nach Flensburg zur Regierung Dönitz ab.[14] Aufgrund der Wetterlage machte er sich bald darauf auf dem teils noch offenen Seeweg in die Niederlande auf. Kurz nach seiner Rückkehr wurde er im Mai 1945 in Den Haag von Angehörigen der kanadischen Streitkräfte festgenommen.[13]

Nürnberger Prozess

Im Sommer 1945 wurde Seyß-Inquart bis zur Überstellung nach Nürnberg im Kriegsgefangenenlager Nr. 32 (Ascheimer) im luxemburgischen Bad Mondorf mit einer Anzahl von NSDAP-Größen und hohen Wehrmachtsangehörigen interniert. Im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher, bei dem ihn Gustav Steinbauer verteidigte, wurde er in den Anklagepunkten 2, 3 und 4 (Planung, Entfesselung und Durchführung eines Angriffskrieges, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit) für schuldig gesprochen, zum Tod durch den Strang verurteilt und am 16. Oktober 1946 in Nürnberg hingerichtet. Der Leichnam wurde einen Tag später im Krematorium des Münchener Ostfriedhofs eingeäschert und die Asche in einen Seitenarm der Isar gestreut.[15]

Literatur

Weblinks

Commons: Arthur Seyß-Inquart – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Seyss-Inquart, Arthur. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950 (ÖBL). Band 12, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2005, ISBN 3-7001-3580-7, S. 213.
  2. Emil Seyss als Autor eines am 4. November 1900 in Olmütz gehaltenen Nachrufs auf einen Pädagogen. Österreichischer Bibliothekenverbund, Gesamtkatalog.
  3. a b c d Bogdan Musial: Deutsche Zivilverwaltung und Judenverfolgung im Generalgouvernement. Harrassowitz, Wiesbaden 1999, ISBN 3-447-04208-7, S. 393.
  4. a b Kurt Bauer: Korrektur: Nicht doch, Andreas Khol! (PDF; 48 kB). In: Die Presse. 12. März 2005.
  5. Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. 2., aktualisierte Auflage. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-596-16048-8, S. 580.
  6. Verfassungsgesetz vom 1. Mai 1945 (St.G.Bl. 4/1945) über das neuerliche Wirksamwerden des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 (Verfassungs-Überleitungsgesetz) Artikel 2 und 3
  7. Der 15. März 1938, Wiener Heldenplatz, S. 3.
  8. Das Urteil von Nürnberg. dtv-Dokumente Nr. 8. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1961, S. 246.
  9. Kriegstagebuch, Anhang D, Datum 18.5., S. 1164
  10. Das Urteil von Nürnberg. dtv-Dokumente Nr. 8. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1961, S. 247.
  11. Das Urteil von Nürnberg. dtv-Dokumente Nr. 8. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1961, S. 248.
  12. Antony Beevor: Der Zweite Weltkrieg. München 2014, S. 831.
  13. a b Peter Niebaum: Hans Calmeyer. Ein „anderer Deutscher“ im 20. Jahrhundert. Frank & Timme Verlag für Wissenschaftliche Literatur, Berlin 2011, ISBN 978-3-86596-376-5, S. 54.
  14. Wolfgang Graf: Österreichische SS-Generäle. Himmlers verlässliche Vasallen. Klagenfurt/Ljubljana/Wien 2012, S. 197 f.
  15. Thomas Darnstädt: Ein Glücksfall der Geschichte. In: Der Spiegel. Nr. 14, 2005, S. 128 (online).
  16. Rezension in der Süddeutschen Zeitung vom 14. Februar 2016
Vorlage:Navigationsleiste Angeklagte NP