„Ketamin“ – Versionsunterschied
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Die dissoziative Wirkung von Ketamin kann Nutzer in einen Zustand versetzen, in dem sie verwundbar sind durch Unfälle, Raub, Überfall und Vergewaltigung. In einer Studie mit neunzig Ketamin-Nutzern berichteten 13 %, dass sie als direkte Folge des Ketaminrausches in einen Unfall verwickelt waren, 83 % kannten jemanden, der einen Unfall durch Ketaminkonsum erlitt.<ref name="ACMD" /> |
Die dissoziative Wirkung von Ketamin kann Nutzer in einen Zustand versetzen, in dem sie verwundbar sind durch Unfälle, Raub, Überfall und Vergewaltigung. In einer Studie mit neunzig Ketamin-Nutzern berichteten 13 %, dass sie als direkte Folge des Ketaminrausches in einen Unfall verwickelt waren, 83 % kannten jemanden, der einen Unfall durch Ketaminkonsum erlitt.<ref name="ACMD" /> |
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Eine magnetresonanztomographische Untersuchung an chronischen Ketaminkonsumenten zeigte bei allen Probanden Hirnschäden, deren Schwere mit Dauer des Konsums korrelierten.<ref>{{Literatur|Autor=Chunmei Wang, Dong Zheng, Jie Xu, Waiping Lam, D. T. Yew|Titel=Brain damages in ketamine addicts as revealed by magnetic resonance imaging|Sammelwerk=Frontiers in Neuroanatomy|Band=7|Datum=2013|DOI=10.3389/fnana.2013.00023|Online=http://journal.frontiersin.org/article/10.3389/fnana.2013.00023/full|Abruf=2017-08-30}}</ref> |
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Version vom 6. August 2019, 18:12 Uhr
Strukturformel | |||||||||||||||||||
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Strukturformel ohne Stereochemie | |||||||||||||||||||
Allgemeines | |||||||||||||||||||
Freiname |
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Andere Namen |
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Summenformel | C13H16ClNO | ||||||||||||||||||
Kurzbeschreibung |
weißer, kristalliner Feststoff (Ketaminhydrochlorid)[1] | ||||||||||||||||||
Externe Identifikatoren/Datenbanken | |||||||||||||||||||
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Arzneistoffangaben | |||||||||||||||||||
ATC-Code | |||||||||||||||||||
Wirkstoffklasse | |||||||||||||||||||
Eigenschaften | |||||||||||||||||||
Molare Masse | 237,74 g·mol−1 | ||||||||||||||||||
Schmelzpunkt | |||||||||||||||||||
pKS-Wert |
7,5[4] | ||||||||||||||||||
Sicherheitshinweise | |||||||||||||||||||
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Toxikologische Daten | |||||||||||||||||||
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa). |
Ketamin ist ein chirales Arylcyclohexylamin und ein in Human- und Tiermedizin eingesetzter Arzneistoff. Angewendet wird er vor allem in der Anästhesie und bei der Schmerzbehandlung. Ketamin nimmt unter anderem durch die Auslösung einer dissoziativen Anästhesie eine Ausnahmestellung gegenüber anderen Analgetika und Narkotika ein, worunter die Erzeugung von Schlaf und Schmerzfreiheit unter weitgehender Erhaltung der Schutzreflexe verstanden wird. Für die Verwendung in der Anästhesie ist Ketamin in der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der Weltgesundheitsorganisation aufgeführt.[5] Im März 2019 hat die Food and Drug Administration für die USA das Enantiomer (S)-Ketamin (Esketamin) mit strengen Auflagen zur Behandlung der behandlungsresistenten Depression zugelassen. Als dissoziative psychotrope Substanz wird Ketamin auch als Rauschdroge verwendet.
Geschichte
Im Rahmen eines Forschungsauftrages der Firma Parke-Davis bei der Suche nach einem Ersatz für das mit starken Nebenwirkungen behaftete Narkosemittel Phencyclidin (PCP, „Angel Dust“) synthetisierte Calvin L. Stevens, Chemiker an der Wayne State University (Detroit, Michigan, USA), im April 1962 erstmals die Substanz Ketamin (CI-581).[6]
Im Jahr 1966 erhielt Parke-Davis ein Patent[7] für die Herstellung von Ketamin als Arzneimittel sowohl für die Humanmedizin als auch für die Tiermedizin. Edward Felix Domino, Professor für klinische Pharmakologie an der Universität in Michigan (USA), führte am 3. August 1964 seinen ersten (nichtmedizinischen) Selbstversuch mit Ketamin durch und erkannte dabei das psychedelische Potential der Substanz. Die Bezeichnung dissoziatives Anästhetikum für Ketamin wurde von ihm dann im folgenden Jahr 1965 eingeführt.
Im Vietnamkrieg wurde Ketamin an amerikanischen Soldaten erprobt und bald routinemäßig als Anästhetikum bei der Behandlung von Kampfverletzungen eingesetzt. 1970 erfolgte die Zulassung als Arzneimittel durch die Food and Drug Administration. Als Straßendroge verbreitete sich Ketamin etwa ab Mitte der 1970er Jahre.
Chemie
Struktur und Stereochemie
Ketamin ist ein chirales Cyclohexanonderivat und Arylcyclohexylamin mit einem Stereozentrum. Es ist strukturell verwandt mit den Arylcyclohexylaminen Methoxetamin (MXE), Phencyclidin (PCP) und 3-Methoxyphencyclidin (3-MeO-PCP). Therapeutisch werden sowohl das Racemat, d. h. das 1-zu-1-Isomerengemisch aus (S)-Ketamin und (R)-Ketamin, als auch das enantiomerenreine Eutomer (S)-Ketamin (INN: Esketamin) eingesetzt. (S)-Ketamin ist etwa doppelt so wirksam wie racemisches Ketamin.
Isomere von Ketamin | ||
Name | (R)-Ketamin | (S)-Ketamin |
Andere Namen | Arketamin | Esketamin |
Strukturformel | ||
CAS-Nummer | 33643-49-1 | 33643-46-8 |
6740-88-1 (Racemat) | ||
EG-Nummer | - | 811-504-2 |
229-804-1 (Racemat) | ||
ECHA-Infocard | - | 100.242.065 |
100.027.095 (Racemat) | ||
PubChem | - | 182137 |
3821 (Racemat) | ||
Wikidata | Q20707684 | Q2365493 |
Q243547 (Racemat) |
Pharmazeutisch werden die Hydrochloride, Ketaminhydyrochlorid[8] und Esketaminhydrochlorid[9], verwendet.[10][11]
Herstellung
Ketamin kann in einer Dreistufensynthese hergestellt werden aus 2-Chlorbenzonitril und Cyclopentylmagnesiumbromid mittels Grignard-Reaktion, dann Umsetzung mit Brom und anschließend mit Methylamin. Das Erhitzen in Decalin führt unter Ringerweiterung zum racemischen Ketamin.
Pharmakologische Eigenschaften
Wirkmechanismus
Die Hauptwirkung des Ketamins besteht in der Porenblockade des ionotropen NMDA-Rezeptors. Das Enantiomer Esketamin ist diesbezüglich aufgrund höherer Affinität wirksamer.[12] Zusätzlich hemmt Ketamin diesen Rezeptor allosterisch.[13] Es moduliert und aktiviert GABAA-Rezeptoren der Typen α6β2δ und α6β3δ und unterscheidet sich hierin von den NMDAR-Antagonisten Phencyclidin und Dizocilpin.[14] Ketamin hat eine schwache agonistische Wirkung an Opioidrezeptoren.
Weiterhin wirkt Ketamin hemmend auf die periphere Wiederaufnahme von Katecholaminen wie Noradrenalin und Dopamin an der synaptischen Endplatte mit Verstärkung endogener und exogener Katecholamineffekte. Durch diese Mechanismen kommt es zu einer ausgeprägten Stimulation des Herz-Kreislauf-Systems, zum Beispiel zu gesteigerter Herzfrequenz, erhöhtem Blutdruck und (kurzzeitig)[15] erhöhtem Herzschlagvolumen. Durch Überstimulation des Zentralnervensystems oder Induktion eines kataleptischen Stadiums wird eine Amnesie ausgelöst. Das thalamoneocorticale System wird gedämpft, das limbische aktiviert. Ketamin wirkt auf das periphere Nervensystem sowohl depressiv (durch Blockade des Membranstroms) als auch exzitatorisch (durch Modifikation der Natrium-Kanal-Fraktion). Es hat nur geringe viscerale analgetische Effekte, dafür aber ausgeprägte somatische.
Die Ursache für die schnell einsetzende antidepressive Wirkung von Ketamin ist noch unklar. Es gibt mannigfaltige Erklärungsversuche.[16] Einer der jüngeren Ansätze erklärt diese spezielle Wirkung mit der Hemmung von NMDA-Rezeptoren in der lateralen Habenula und der Enthemmung nachgeschalteter monoaminerger Belohnungszentren.[17] Daneben rückten MikroRNAs ins Blickfeld.[18] Die Expression von miR-29b-3p im präfrontalen Kortex wird durch Ketamin erhöht, was sich günstig auf die Regulation des metabotropen Glutamatrezeptors Typ 4 auswirkt.[19] Ferner wird untersucht, inwieweit der Metabolit (2R,6R)-Hydroxynorketamin eine eigene antidepressive Wirkung hat.[20][21]
Das allgemeine pharmakologische Profil von (S)-Ketamin entspricht weitgehend dem des Racemats. Die analgetische und anästhetische Potenz von (S)-Ketamin ist etwa dreifach höher als die der (R)-Form bzw. doppelt so hoch wie die des Racemats; zur Erzielung gleichartiger Wirkungen ist mit (S)-Ketamin gegenüber dem Racemat eine Dosisreduktion um die Hälfte möglich. Darüber hinaus wird (S)-Ketamin schneller eliminiert und ist damit insgesamt besser steuerbar. Neben der reduzierten Substanzbelastung führt dies zu eindeutig verkürzten Aufwachzeiten.[22] Die unterschiedliche Wirkung von (R)- und (S)-Ketamin ist durch klinische Studien belegt.[23]
Pharmakokinetische Daten
- Plasmahalbwertszeit: bei klinischer Gabe beträgt die terminale Eliminationshalbwertszeit für (S)-Ketaminhydrochlorid zwischen 79 Minuten (nach kontinuierlicher Infusion) und 186 Minuten (nach niedrigdosierter i.v.-Gabe),[24] bei anderen Applikationsformen zwei bis dreieinhalb Stunden.[6]
- Therapeutische Dosis: Abhängig von Zielsetzung (Analgesie, Narkose), Co-Medikation und Kreislaufsituation sowie nach Wirkung im Einzelfall anzupassen.
- Bioverfügbarkeit: oral 17 %, sublingual 33 %, intranasal 25 bis 50 %, intramuskulär 93 %.[6][25]
Klinische Anwendung
Anästhesie und Analgesie
Ketamin ist als Allgemeinanästhetikum zur Einleitung und Durchführung einer Vollnarkose, als Ergänzung bei Regionalanästhesien und als Anästhetikum und Analgetikum in der Notfallmedizin zugelassen. In der Allgemeinanästhesie wird es bei Erwachsenen oft in Kombination mit einem Schlafmittel (Hypnotikum), beispielsweise aus der Gruppe der Benzodiazepine, eingesetzt, während in der Kinderchirurgie und in der Notfallmedizin der Einsatz ohne Hypnotika überwiegt.[26]
Auf Grund seiner bronchienerweiternden Eigenschaften ist Ketamin in Kombination mit einem Muskelrelaxans auch zur Intubation bei einem therapieresistenten Status asthmaticus zugelassen. Hierbei werden mit 1 bis 2 und bei Bedarf bis zu fünf Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht vergleichbar höhere Ketamindosen eingesetzt.[26] Für eine niedrigdosierte Anwendung außerhalb der Zulassung (Off-Label-Use) bei Erwachsenen mit einem akuten Asthmaanfall gibt es keine ausreichenden Belege.[27] Abgesehen von Einzelfallberichten gibt es auch keine Hinweise auf eine Wirksamkeit von Ketamin für eine Anwendung bei einem akuten Asthmaanfall bei Kindern.[28]
Ein weiteres zugelassenes Anwendungsgebiet von Ketamin ist die Schmerzbehandlung (Analgesie) intubierter Intensivpatienten.[26]
Ketamin findet auch in der Veterinärmedizin (zum Beispiel in Kombination mit Xylazin in der Hellabrunner Mischung) und in der Pädiatrie Anwendung. Ketamin kann nasal, oral, intravenös sowie intramuskulär verabreicht werden.
Ketamin ist sowohl ein schlaferzeugendes Mittel (Hypnotikum) als auch ein potentes Analgetikum. Charakteristisch für seine Wirkung ist die Erzeugung einer dissoziativen Anästhesie, d. h. die Erzeugung von Schlaf und Schmerzfreiheit unter weitgehender Erhaltung der Reflextätigkeit, auch der Schutzreflexe. Damit entfällt insbesondere die bei anderen Anästhetika bestehende Gefahr eines lebensbedrohenden Atemstillstands, damit verbunden die Notwendigkeit der Atem- und Kreislaufüberwachung mit entsprechendem Apparate- und Personalaufwand.
Therapie der Depression
Eine Studie von 2010 mit 18 Teilnehmern erforschte die intravenöse Gabe von Ketamin, welche die depressiven Episoden bei Patienten mit bipolarer Störung binnen 40 Minuten beendete. Die Wirkung war jedoch nicht von Dauer.[29][30]
Eine Studie aus dem Jahr 2013 mit 26 Teilnehmern beschrieb anhaltende antidepressive Wirkungen von niedrigen sublingualen Ketamindosen bei hartnäckigen Depressionen und Depressionen im Rahmen der bipolaren Störung. Bei 20 Teilnehmern (77 %) zeigte sich eine beständige Stimmungsaufhellung sowie verbesserter Schlaf. Es wurden dabei alle zwei bis drei Tage bzw. wöchentlich zehn Milligramm (RS)-(±)-Ketamin sublingual eingenommen, wobei sich als Nebenwirkung eine leichte Benommenheit – jedoch keine Euphorie oder Dissoziation – bemerkbar machte.[31]
Untersuchungen aus dem Jahr 2014 an der Charité weisen aufgrund der schnellen therapeutischen Wirkung auf eine geeignete Einsatzmöglichkeit für die Akutbehandlung therapieresistenter und vor allem suizidgefährdeter depressiver Patienten hin.[32]
In einer Studie aus dem Jahr 2014 mit 21 Patienten (bipolare Störung) wurden durch bildgebende Verfahren Effekte durch Ketamin in Gehirnregionen registriert, die besondere Bedeutung bei Depressionen haben. Unter anderem war die Besserung der Symptome durch Ketamin signifikant korreliert mit Änderungen im rechten ventralen Striatum.[33]
Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2015 von acht randomisierten kontrollierten Studien bestätigte die Wirkung von Ketamin nach einmaliger Gabe zur sofortigen Behandlung uni- und bipolarer Depression.[34] Nach einer weiteren Metaanalyse von 2015 führte eine einmalige Gabe zu einer signifikanten Besserung über einen Zeitraum von mindestens sieben Tagen.[35] Eine Übersicht von 2015 über neun Einzelstudien zur Behandlung von insgesamt 137 Patienten mit Suizidgefährdung (Suizidalität) berichtete über eine schnelle Besserung (ab 40 Minuten) in jeder der neun Einzelstudien.[36]
Verschiedene Studien in den USA untersuchen das Potential des Ketamins bei einer schweren Depression, behandlungsresistenten Depressionen sowie bei Angstgefühlen und Depressionen bei Krebspatienten (Stand: 2015).[37][38][39][40]
Am 12. Februar 2019 empfahl ein unabhängiger Expertenausschuss der US Food and Drug Administration die Zulassung des enantiomerenreinen Eutomers (S)-Ketamin (Freiname: Esketamin) als Nasenspray zur Behandlung von behandlungsresistenter Depression,[41][42] im März 2019 folgte die Zulassung unter strengen Bedingungen als Spravato.[43]
Neben- und Wechselwirkungen
Als sehr häufige Nebenwirkungen können psychotrope Effekte (Pseudohalluzinationen, unangenehme Träume), Übelkeit und Erbrechen, erhöhter Speichelfluss (Hypersalivation), Sehstörungen, Schwindel und motorische Unruhe auftreten. Daneben wirkt Ketamin als einziges Narkotikum blutdruck- und herzfrequenzsteigernd; dies ist bei spezifischen Indikationen erwünscht. Im Rahmen der Notfallmedizin ist es das einzige Medikament, mit dessen Einsatz kreislaufstabilisierende und narkotische Effekte kombiniert werden können. Der Einsatz bei Patienten mit schwerer koronarer Herzerkrankung (zum Beispiel Herzinfarkt) ist hingegen abzulehnen, weil das Medikament durch Herzfrequenz- und Blutdruckanhebung die Herzarbeit steigert und somit den Sauerstoffverbrauch des Herzmuskels erhöht.
Ketamin bewirkt eine Erhöhung von Augen- und Hirndruck, weshalb es bei Verletzungen dort nicht als einziges Anästhetikum eingesetzt werden sollte.[44] Der Muskeltonus der Kehlkopfmuskulatur bleibt unter Ketamin erhalten. Ein sicherer Aspirationsschutz besteht jedoch nicht. In höheren Dosierungen wirkt Ketamin ebenso bronchospasmolytisch.[45] Ketamin als Notfallmedikation kann das Risiko einer Posttraumatischen Belastungsstörung erhöhen.[46] In der Routineanästhesie wird Ketamin aufgrund der psychotropen Nebenwirkungen weitgehend abgelehnt. Die Kombination mit einem Benzodiazepin kann aber das Auftreten von Albträumen und Halluzinationen teilweise verhindern. Eine Reizabschirmung ist ebenfalls sinnvoll.
Experimentelle Behandlung der Tollwut
Ketamin gehört wie Midazolam zum sogenannten Milwaukee-Protokoll, einem experimentellen Behandlungsschema bei einer Tollwut-Erkrankung. Dabei wird der Patient in ein künstliches Koma versetzt. Versuche mit Zellkulturen wie auch an Ratten hatten gezeigt, dass Ketamin die virale Gen-Transkription in den Nervenzellen verlangsamt.[47] Wie auch bei anderen Substanzen konnte auch für Ketamin noch keine klinische Wirksamkeit gegen Tollwut beim Menschen nachgewiesen werden.[48] Dennoch ergeben sich daraus für die pharmakologische Forschung Hinweise auf mögliche Zielmoleküle.
Verwendung als Rauschmittel
Akute psychologische Effekte
Aufgrund seiner dissoziativen Wirkung wird Ketamin auch weltweit als Rauschdroge verwendet.[49]
In niedrigen Dosierungen induziert Ketamin eine Verzerrung des Raum- und Zeitempfindens, Pseudohalluzinationen sowie milde dissoziative Effekte. Ketaminkonsumenten gaben an, dass die besonders erwünschten Effekte in einer „Verschmelzung mit der Umgebung“ (‘melting into the surroundings’), visuellen Halluzinationen, außerkörperlichen Erfahrungen und Albernheit bestanden. Die psychoaktiven Effekte, die mit der Rauschwirkung von Ketamin einhergehen (Derealisation, Depersonalisation, auditive sowie visuelle Halluzinationen, ungewöhnliche Gedankeninhalte, Euphorie, verstärkte Farbwahrnehmung, Verlust des Zeitgefühls sowie neuartige Körperempfindungen) wurden im Allgemeinen als positiv eingestuft. Allerdings gaben 20 % aller Ketaminkonsumenten an, dass derartige Effekte unerwünscht und psychisch belastend seien. Zudem gaben 38 % an, eine Person zu kennen, die bereits schlechte Erfahrung mit Ketamin gemacht hat.[49]
Die Aufwach-Erscheinungen nach einer Anwendung zur Narkose, die bei Ketamin vorkommen, können Wahngedanken, Halluzinationen, Delir, Verwirrtheit, gelegentlich aber auch außerkörperliche Erfahrungen sowie Nahtoderfahrungen beinhalten. Der klinische Einsatz von Ketamin wurde deshalb von jeher durch derartige Symptome eingeschränkt, doch wurde dadurch auch ab den 1960er-Jahren das Interesse an einer Verwendung als Rauschdroge geweckt.[49] Zu den teils erwünschten, teils unangenehmen und angsteinflößenden Wirkungen zählt das K-Hole (Ketamin-Loch), eine etwa 30-minütige komplette Dissoziation von der Realität. Hierbei können Ataxie, Dysarthrie, muskuläre Hypertonie sowie Myoklonie auftreten.[50] Äußerlich gleicht der Zustand häufig einer Bewusstlosigkeit. Das Risiko eines K-Holes wurde mit erhöhtem Ketaminkonsum in Verbindung gebracht, insbesondere bei Nutzern, die Ketamin mehr als 20-mal konsumiert hatten. Die Anwesenheit anderer Personen (etwa Freunde, Personal in Clubs oder auf Festivals) kann dabei helfen, mit der Erfahrung umzugehen.[49]
Risiken
Es besteht das Risiko einer psychischen Abhängigkeit, wenn Ketamin für längere Zeit nichtmedizinisch verwendet wird.[51] Sporadischer Ketaminkonsum ist nicht mit kognitiven Einschränkungen behaftet, chronischer Gebrauch verursacht allerdings erhebliche Beeinträchtigungen des Kurz- und Langzeitgedächtnisses; ob diese reversibel sind, ist noch offen (Stand: 2013).[49]
Ketamin hat eine große therapeutische Breite, sodass eine Überdosierung schwierig bzw. kaum möglich ist. Die mittlere letale Dosis (LD50), die bei Tieren beobachtet wurde, ist etwa die 100fache der durchschnittlichen menschlichen intravenösen Dosis und das 20fache der durchschnittlichen menschlichen intramuskulären Dosis, die im klinischen Umfeld zur Narkose benutzt wird.[6] Weiterhin kann Ketamin bei längerfristigem Gebrauch die ableitenden Harnwege schädigen. Es kann zu urologischen Beschwerden (LUTS) und zu einer Blasenentzündung mit Bildung von Geschwüren (ulzerative Zystitis) kommen.[52][53][54] Die Symptome sind meist reversibel, falls der Ketamingebrauch eingestellt wird, bei chronischem Gebrauch sind jedoch Operationen nötig.[49][55][56]
Die dissoziative Wirkung von Ketamin kann Nutzer in einen Zustand versetzen, in dem sie verwundbar sind durch Unfälle, Raub, Überfall und Vergewaltigung. In einer Studie mit neunzig Ketamin-Nutzern berichteten 13 %, dass sie als direkte Folge des Ketaminrausches in einen Unfall verwickelt waren, 83 % kannten jemanden, der einen Unfall durch Ketaminkonsum erlitt.[49]
Eine magnetresonanztomographische Untersuchung an chronischen Ketaminkonsumenten zeigte bei allen Probanden Hirnschäden, deren Schwere mit Dauer des Konsums korrelierten.[57]
Statistik
Öffentliche Daten für den Gebrauch von Ketamin als Rauschdroge lagen bis 2011 für Frankreich, Großbritannien, Italien, Tschechien und Ungarn vor.[58]
Der Europäische Drogenbericht 2015 der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) erwähnt eine nicht-repräsentative Online-Befragung mit 25.790 Teilnehmern zwischen 15 und 34 Jahren, die regelmäßig an „Veranstaltungen des Nachtlebens“ teilnahmen, nach der in zehn europäischen Ländern die 12-Monats-Prävalenz des Konsums von Ketamin hinter der von Cannabis, MDMA, Kokain und Amphetamin lag.[59] Im Vereinigten Königreich gab es von 1997 bis April 2013 nach amtlicher Statistik 93 Todesfälle in Verbindung mit dem Gebrauch von Ketamin als Rauschmittel. Von den 93 Personen waren 86 % männlich, und das Durchschnittsalter betrug 30,9 Jahre (15,8 bis 60,6 Jahre). Bei 70 dieser Fälle war eine zusätzliche Droge (wie etwa Alkohol) beteiligt.[49]
Rechtslage
In Deutschland, der Schweiz und Österreich ist Ketamin verschreibungspflichtig.
In Großbritannien hat der zunehmende Gebrauch von Ketamin als Droge die Regierung veranlasst, das Medikament seit Januar 2006 als Droge der Klasse C einzustufen.[60] Da in der Folgezeit die Schäden noch höher waren als erwartet, wurde die Klassifizierung 2014 verschärft und die Substanz in Klasse B hochgestuft.[61] Der illegale private Besitz ist dort seitdem mit bis zu fünf Jahren Haft strafbar, statt mit bis zu zwei Jahren (seit 2006). Der illegale Handel kann weiterhin mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden. Mittlerweile wird Ketamin auch in Ländern, in denen es bisher frei erhältlich war (zum Beispiel Indien), unter Restriktion gestellt.
Handelsnamen
Ketalar (CH), Ketanest S (Wirkstoff Esketamin, D), zahlreiche Generika (D)
Tiermedizin: Anesketin, Ketaset, Ketavet, Narketan, Ursotamin
Literatur
- David T. Yew: Ketamine. Use and Abuse, CRC Press 2015, ISBN 1-4665-8339-8.
- Stephen J. Hyde: Ketamine for Depression, Xlibris Corporation, Bloomington (IN) USA 2015, ISBN 1-5035-0953-2.
- Advisory Council on the Misuse of Drugs: Ketamine: a review of use and harm, Bericht für den britischen Innen- und Gesundheitsminister, London, 10. Dezember 2013.
- Friedrich Wilhelm Ahnefeld, Ernst Pfenninger (Hrsg.): Ketamin in der Intensiv- und Notfallmedizin, Springer Verlag, Berlin Heidelberg 1989, ISBN 3-642-74144-4.
- M. A. Peltoniemi, N. M. Hagelberg, K. T. Olkkola, T. I. Saari: Ketamine: A Review of Clinical Pharmacokinetics and Pharmacodynamics in Anesthesia and Pain Therapy. In: Clinical Pharmacokinetics. Band 55, Nummer 9, September 2016, S. 1059–1077, doi:10.1007/s40262-016-0383-6, PMID 27028535 (Review).
- T. A. Henderson: Practical application of the neuroregenerative properties of ketamine: real world treatment experience. In: Neural regeneration research. Band 11, Nummer 2, Februar 2016, S. 195–200, doi:10.4103/1673-5374.177708, PMID 27073354, PMC 4810965 (freier Volltext) (Review).
- C. J. Morgan, H. V. Curran: Ketamine use: a review. In: Addiction. Band 107, Nummer 1, Januar 2012, S. 27–38, doi:10.1111/j.1360-0443.2011.03576.x, PMID 21777321 (Review).
- B. Sinner, B. M. Graf: Ketamine. In: Handbook of experimental pharmacology. Nummer 182, 2008, S. 313–333, doi:10.1007/978-3-540-74806-9_15, PMID 18175098 (Review).
- K. L. Jansen: A review of the nonmedical use of ketamine: use, users and consequences. In: Journal of psychoactive drugs. Band 32, Nummer 4, 2000 Oct-Dec, S. 419–433, doi:10.1080/02791072.2000.10400244, PMID 11210204 (Review).
- K. L. Jansen, R. Darracot-Cankovic: The nonmedical use of ketamine, part two: A review of problem use and dependence. In: Journal of psychoactive drugs. Band 33, Nummer 2, 2001 Apr–Jun, S. 151–158, doi:10.1080/02791072.2001.10400480, PMID 11476262 (Review).
Weblinks
- Roland Seifert, Lutz Hein: Ketamin zur Behandlung von Depression und Suizidalität, (PDF) in: BIOspektrum 4/2015, 21. Jahrgang, Springer-Verlag, WISSENSCHAFT AKTUELL, S. 419, abgerufen am 17. Oktober 2015.
- Volkart Wildermuth: Depression: Auf der Suche nach Alternativen für Ketamin (Text und Audio), Deutschlandfunk Forschung aktuell, 9. Juni 2015, abgerufen am 16. Oktober 2015.
- Janna Lawrence: The secret life of ketamine, in: The Pharmaceutical Journal, the official weekly journal of the Royal Pharmaceutical Society, 19. März 2015, Vol 294, No 7854/5, abgerufen am 17. Oktober 2015.
- Ketamine lifts depression via a byproduct of its metabolism. In: nih.gov. 4. Mai 2016, abgerufen am 7. Mai 2016 (englisch).
- Rachel Wright: Ketamine: why not everyone wants a ban, BBC News, 13. März 2015, zur Bedeutung von Ketamin als unersetzliches Narkotikum in weiten Gebieten der weniger entwickelten Welt, abgerufen am 18. Oktober 2015.
- Wie Ketamin die Depressionen zügelt. In: Deutsches Ärzteblatt. 20. Februar 2018, abgerufen am 15. August 2018.
Einzelnachweise
- ↑ a b c Datenblatt (±)-Ketamine hydrochloride bei Sigma-Aldrich (PDF).
- ↑ a b Eintrag in der ChemIDplus-Datenbank der United States National Library of Medicine (NLM) (Seite nicht mehr abrufbar )
- ↑ The Merck Index. An Encyclopaedia of Chemicals, Drugs and Biologicals. 14. Auflage, 2006, S. 916–917, ISBN 978-0-911910-00-1.
- ↑ Eintrag zu Ketamin. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag
- ↑ WHO Model List of Essential Medicines. 18th Auflage. World Health Organization, Oktober 2013, S. 1 [p. 5 of pdf] (who.int [PDF; abgerufen am 22. April 2014] [April 2013]).
- ↑ a b c d B. Sinner, B. M. Graf: Ketamine. In: Handbook of experimental pharmacology. Nummer 182, 2008, S. 313–333, doi:10.1007/978-3-540-74806-9_15, PMID 18175098 (Review).
- ↑ Patent US3254124.
- ↑ Externe Identifikatoren von bzw. Datenbank-Links zu Ketaminhydyrochlorid: CAS-Nr.: 1867-66-9, EG-Nr.: 217-484-6, ECHA-InfoCard: 100.015.895, PubChem: 15851, ChemSpider: 15065 , DrugBank: DBDBSALT000396 , Wikidata: Q27105184.
- ↑ Externe Identifikatoren von bzw. Datenbank-Links zu Esketaminhydrochlorid: CAS-Nr.: 33643-47-9, EG-Nr.: 687-681-3, ECHA-InfoCard: 100.213.809, PubChem: 44632368, ChemSpider: 26332012 , Wikidata: Q27128597.
- ↑ Eintrag zu Ketamine in der DrugBank der University of Alberta
- ↑ Eintrag zu Esketamine in der DrugBank der University of Alberta
- ↑ Hirota K, Lambert DG: Ketamine: its mechanism(s) of action and unusual clinical uses. In: Br J Anaesth. 77. Jahrgang, Nr. 4, 1996, S. 441–4, PMID 8942324.
- ↑ Orser BA, Pennefather PS, MacDonald JF: Multiple mechanisms of ketamine blockade of N-methyl-D-aspartate receptors. In: Anesthesiology. 86. Jahrgang, Nr. 4, 1997, S. 903–17, PMID 9105235.
- ↑ Hevers W, Hadley SH, Lüddens H, Amin J: Ketamine, but not phencyclidine, selectively modulates cerebellar GABA(A) receptors containing alpha6 and delta subunits. In: J. Neurosci. 28. Jahrgang, Nr. 20, 2008, S. 5383–5393, doi:10.1523/JNEUROSCI.5443-07.2008, PMID 18480294.
- ↑ Reinhard Larsen: Anästhesie und Intensivmedizin in Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie. (1. Auflage 1986) 5. Auflage. Springer, Berlin/ Heidelberg/ New York u. a. 1999, ISBN 3-540-65024-5, S. 22 f.
- ↑ Strasburger SE, Bhimani PM, Kaabe JH, u. a.: What is the mechanism of Ketamine's rapid-onset antidepressant effect? A concise overview of the surprisingly large number of possibilities. In: J Clin Pharm Ther. 42. Jahrgang, Nr. 2, 2017, S. 147–154, doi:10.1111/jcpt.12497, PMID 28111761.
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