Grosser Rat (Bern)
Grosser Rat (Bern) | |
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Basisdaten | |
Sitz: | Rathaus in Bern |
Legislaturperiode: | vier Jahre |
Erste Sitzung: | 1294 |
Abgeordnete: | 160 |
Aktuelle Legislaturperiode | |
Letzte Wahl: | 30. März 2014 |
Nächste Wahl: | 2018 |
Vorsitz: | Carlos Reinhard (FDP) |
Website | |
www.gr.be.ch | |
Rathaus | |
Der Grosse Rat (fr. Grand Conseil) ist das Kantonsparlament des Kantons Bern und damit dessen gesetzgebende Behörde. Er tritt jährlich zu fünf Sessionen im Berner Rathaus zusammen, welche in der Regel zehn Tage dauern. Die 160 Mitglieder des Rates «werden alle vier Jahre von den Stimmberechtigten an der Urne gewählt» (letztmals am 30. März 2014). Der Grosse Rat wird im Proporz (Verhältniswahlrecht) gewählt.[1]
Geschichte
Ancien Régime (bis 1798)
Der unter dem Vorsitz des Schultheissen tagende bernische Grosse Rat wurde im Rahmen der Verfassungsreform von 1294 geschaffen.[2] Je vier Vertreter der vier Stadtviertel wählten als Wahlmänner (die «Sechzehner») zu Ostern je 50 Mitglieder des Grossen Rats. Die Sechzehner und die Mitglieder des Kleinen Rats gehörten dem Grossen Rat ursprünglich nicht an. Mit dem Grossen Rat schufen die gewerbetreibenden Stadtbürger ein Gegengewicht zu dem durch den städtischen Adel dominierten Kleinen Rat.[3] Jeder Gewählte hatte innert 14 Tagen das bernische Burgerrecht anzunehmen (wenn er es noch nicht besass) und eine Rüstung zu beschaffen.[4] Im 15. Jahrhundert wurde die Mitgliedschaft im Grossen Rat erstmals durch eine Satzung erschwert, indem Berner fünf Jahre, und Eidgenossen zehn Jahre in Bern ansässig sein mussten.[5] Die ursprüngliche Anzahl von 200 Mitgliedern («Rat der Zweihundert») wuchs im Spätmittelalter allmählich an, zeitenweise auf über 300 Mitglieder. Während das Rote Buch die Satzungen der Stadt enthielt, entstand mit den Burgerspunkten die Geschäftsordnung des Grossen Rates. Die Geschäfte des Grossen Rats wurden seit 1526 vom Kleinen Rat vorberaten.[6] 1529 wurde die Satzung erlassen, dass jedes Mitglied des Grossen Rates innerhalb des Stadtbanns ein eigenes Haus besitzen soll, Söhne im Haus ihrer Väter hatten innerhalb eines Jahres eigenen Hausbesitz zu erlangen.[7] Unehelich Geborene durften ab 1557 nicht mehr Einsitz im Rat nehmen.[8] Ab 1530 erhielten alle Mitglieder vier Mütt Dinkel Jahresbesoldung und zwei Batzen Sitzungsgeld.[9]
Bis 1619 wurde der Grosse Rat jährlich ergänzt, im Verlauf des 17. Jahrhunderts erfolgten die Ergänzungswahlen immer seltener, bis schliesslich 1642 beschlossen wurde, eine Wahl nur dann anzusetzen, wenn die Mitgliederzahl unter 200 gefallen sein sollte. Mehr als 300 Mitglieder durften auf keinen Fall mehr gewählt werden.[10] Die 1643 neu geschaffenen Einwohnerkategorien der Ewigen Einwohner (Habitanten) und Hintersässen konnten nicht gewählt werden. Ab 1683 waren nun auch Ledige Männer nach zurückgelegtem 29. Altersjahr wählbar.[11] Dies führte dazu, dass Heiratsstrategien im Vorfeld der Burgerbesatzung (Wahlen) eine bedeutende Rolle zu spielen begannen. Die Töchter («Barettlitöchter») der Sechzehner und Kleinen Räte, welche Nominationen aussprechen durften, waren im Vorfeld der Wahlen heiss umworben. Während die «Burger» im Mittelalter die gesamte Einwohnerschaft der Stadt bezeichnete, meinte der Begriff spätestens in der Neuzeit ausschliesslich die Mitglieder des Grossen Rats. Mit dem Ratsbeschluss vom 8. Mai 1682 erklärte sich der Grosse Rat als Souverän und entriss damit der Burgerschaft die Landesherrschaft.[12] Die Zahl der wahlfähigen Geschlechter wurde durch die Kooptation zunehmend kleiner, was spätestens im 18. Jahrhundert in den nicht regierenden, im Bürgerrecht stehenden Familien zu Missmut führte (s. Henzi-Verschwörung). 1790 wurde beschlossen, dass die Mindestzahl der im Grossen Rat vertretenen Geschlechter 76 betragen soll.[13] Die Wahlen fanden im späten 18. Jahrhundert nur noch alle zehn Jahre oder wenn die Anzahl Grossräte unter 200 gefallen war statt. Dies führte dazu, dass Resignationen (Rücktritte) älterer Ratsmitglieder erkauft wurden.[14] Ein Sitz im Grossen Rat war die Voraussetzung für die Erlangung teilweise lukrativer Amtsstellen. Mit der am 4. März 1798 erfolgten Kapitulation gegenüber Frankreich verlor der Grosse Rat vorübergehend seine Befugnisse.
Helvetik und Mediationszeit
Während der Helvetik gab es ausschliesslich den helvetischen Grossen Rat. Ein Wahlmann pro hundert Einwohner wählte in den Kirchgemeinden acht Abgeordnete für den Kanton Bern.[15]
Durch die Mediationsakte erhielt der 1803 neu geschaffene Kanton Bern wiederum einen eigenen Grossen Rat mit souveräner Gewalt. Der nun 195 Mitglieder umfassende Rat tagte allerdings nur halbjährlich, je drei Wochen.[16] Der Kanton Bern wurde in fünf Wahlbezirke eingeteilt, diese wiederum in 13 Wahlzünfte. Gewählt wurde alle zwei Jahre in einem komplizierten Wahl- und Losverfahren.[17] Wählbar waren alle Burger (Stadt und Land) ab 30 Jahren, die über Grundbesitz oder Wertschriften verfügten. Dies führte dazu, dass die Burger der Stadt Bern mit 121 Abgeordneten stark übervertreten waren. 80 Mitglieder waren bereits vor 1798 im Grossen Rat vertreten.[18]
Aufgaben
Die Amtsperiode des Grossen Rates beginnt mit dem 1. Juni des Jahres der Gesamterneuerungswahlen – aktuell am 1. Juni 2014 – und dauert vier Jahre, endet also am 31. Mai 2018.
Jährlich tritt der Grosse Rat zu fünf Sessionen in Bern zusammen, die bis zu zwei Wochen andauern können. Beratungen finden in Deutsch (Mundart oder Schriftdeutsch) und Französisch statt unter Anwesenheit von Simultandolmetschern. In Sitzungen von Ausschüssen hingegen wird nicht gedolmetscht; hier sind die deutschsprachigen Ratsmitglieder verpflichtet, Schriftdeutsch zu sprechen. Protokolle werden grundsätzlich in der Sprache der protokollführenden Person verfasst, ein Votum aber stets in der Amtssprache wiedergegeben, in der sie abgegeben wurde.
Der Grosse Rat erlässt Gesetze und Dekrete und genehmigt internationale Verträge sowie interkantonale Verträge, soweit diese nicht in die Zuständigkeit des Regierungsrates fallen.
Er wählt den Grossratspräsidenten, den Regierungspräsidenten, den Staatsschreiber, den Präsidenten von Obergericht und Verwaltungsgericht sowie weitere Gerichtsmitglieder, sofern diese nicht der Volkswahl unterstehen.
Der Grosse Rat ist die oberste Aufsichtsbehörde über den Regierungsrat, Gerichte und Verwaltung. Des Weiteren entscheidet er über Gegenstände, die der Volksabstimmung unterliegen, entscheidet bei Zuständigkeitskonflikten zwischen den obersten kantonalen Behörden und beschliesst Amnestien und Begnadigungen.
Im Gegensatz zu anderen Kantonen gibt es im Kanton Bern kein obligatorisches Finanzreferendum ab Ausgaben einer bestimmten Höhe. Der Grosse Rat kann also frei entscheiden. Vielmehr ist es so, dass im Kanton Bern die Entscheidungsgewalt über neue Ausgaben einmaliger Art bis zur Höhe von 1 Million Franken und neue wiederkehrenden Ausgaben bis zu 200'000 Franken in den Händen des Regierungsrates liegt (Artikel 89 Kantonsverfassung).[19]
Hingegen räumt Artikel 62 ein fakultatives Finanzreferendum ein, welches jedoch erst ab einmaligen Ausgaben von über zwei Millionen Franken oder wiederkehrenden Ausgaben über 400'000 Franken ergriffen werden kann. Ein Referendum gilt im Kanton Bern als zustande gekommen, wenn die schriftliche Zustimmung von 10'000 Stimmberechtigten innerhalb von drei Monaten erfolgt ist.
Nach Artikel 57 der Kantonsverfassung können 30'000 Stimmberechtigte jederzeit eine vorgezogene Neuwahl des Grossen Rates verlangen. Über eine solche Vorlage ist innerhalb von 3 Monaten abzustimmen. Wird die Vorlage angenommen, so sind unverzüglich Neuwahlen durchzuführen.[20]
Parteien
Mitglieder
Wahlkreise
Gemäss Kantonsverfassung geschieht die Verteilung der Mandate entsprechend der Einwohnerzahl. Für den Berner Jura gilt insbesondere, dass ihm mindestens 12 Mandate zustehen. Weiter heisst es, dass für die französischsprachige Minderheit im Wahlkreis Biel-Seeland eine angemessene Vertretung sicherzustellen ist.
Konkret geregelt wird die Wahlkreisaufteilung im Gesetz über die Politischen Rechte.[21]
Der Kanton wurde bis zur Wahlkreisreform[22] 2010 in 8 Wahlbezirke unterteilt; mit der Reform wurde die Anzahl der Wahlkreise auf 9 erhöht und es gab einen teilweisen Neuzuschnitt der Grenzen (Artikel 24b); des Weiteren wird die Mindestzahl von 12 Vertretern für den Wahlbezirk Berner Jura festgelegt sowie der garantierte Anspruch der französischsprachigen Bevölkerung im Wahlbezirk Biel-Seeland gemäss ihrem prozentualen Bevölkerungsanteil (Artikel 24c). Die genaue Zahl an Mandaten pro Wahlkreis wird per Regierungsratsbeschluss veröffentlicht und festgehalten. (Artikel 24d). Letztmals geschah dies am 15. Mai 2013 basierend auf den Bevölkerungszahlen vom 31. Dezember 2011. (In Klammern die Zahlen der letzten Festlegung von 2009)
Wahlkreis | Anzahl Vertreter |
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Berner Jura | 12 (12) |
Biel-Seeland | 26 (25) |
Oberaargau | 12 (12) |
Emmental | 15 (15) |
Mittelland-Nord | 22 (20) |
Bern | 20 (20) |
Mittelland-Süd | 20 (22) |
Thun | 17 (17) |
Oberland | 16 (17) |
Wählbarkeit
Jedes Ratsmitglied ist verpflichtet, sich vereidigen zu lassen. Wer sich weigert, den Eid oder das Gelübde abzulegen, verzichtet auf sein Amt.
Dem Grossen Rat darf nicht angehören, wer gleichzeitig Mitglied im Regierungsrat oder einer kantonalen richterlichen Behörde ist; ebenso sind Angestellte der kantonalen Verwaltung und Mitarbeiter der Finanzkontrolle von einem Amt als Grossrat ausgeschlossen.
Entschädigung
Regelung bis Mai 2014
Jedes Ratsmitglied erhält eine Jahrespauschale von 2000 Franken. Für die Teilnahme an den Sitzungen des Grossen Rates, der parlamentarischen Organe, der Ausschüsse und Fraktionen gibt es zudem ein Sitzungsgeld von 170 Franken für einfache, 270 Franken für Doppelsitzungen und 370 Franken für Dreifachsitzungen. Ratsmitglieder, die keiner Fraktion angehören, erhalten zudem eine Jahrespauschale von 3400 Franken. Für Reisen gibt es eine Aufwandsentschädigung von 70 Rappen pro Kilometer, wobei hier Reise- und Übernachtungsspesen enthalten sind.
Zudem bezieht der Ratspräsident zusätzlich eine Entschädigung von 10000 Franken, der 1. Vizepräsident von 2000 Franken, der 2. Vizepräsident von 1000 Franken. Auch die Vorsitzenden der einzelnen Kommissionen werden zusätzlich entschädigt mit jeweils 5000 Franken pro Jahr. Hinzu kommen noch weitere Entschädigungen für Fraktionspräsidenten und Mitglieder des Büros.
Regelung seit Juni 2014
Die geänderte Fassung der Geschäftsordnung des Grossen Rates sieht eine grundsätzliche Erhöhung der Entschädigungen vor. Jedoch entfällt die bisherige Jahrespauschale für jedes Ratsmitglied.
Neu beträgt das Sitzungsgeld 230 Franken pro Tag. Für jede weitere Sitzung an einem Tag – es werden maximal vier entschädigt – kommen jeweils 100 Franken hinzu. Dazu zählen Sitzungen des Grossen Rates, der Ratsorgane oder deren Abordnungen und der Fraktionen.
Für fraktionslose Mitglieder wird weiterhin eine zusätzliche Jahrespauschale von 3500 Franken gezahlt.
Änderungen gab es zudem bei den jährlichen Entschädigungen für Sonderfunktionen. Der Grossratspräsident erhält weiterhin pauschal 10000 Franken pro Jahr, der 1. Vizepräsident künftig 5000 Franken, der 2. Vizepräsident 3500 Franken. Die weiteren Mitglieder des Ratsbüros erhalten 2500 Franken. Für die Präsidenten der Kommissionen bleibt es bei weiterhin 5000 Franken im Jahr.
Liste der Mitglieder
Stand vom 1. März 2015
Während der Legislaturperiode 2014–2018 zurückgetretene Mitglieder
Name | Wohnort | Rückzugstag | Nachfolger |
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Urs Muntwyler | Bern | 30. Juni 2014 | Bruno Vanoni |
Daniel Steiner-Brütsch | Langenthal | 31. Oktober 2014 | Christine Grogg-Meyer |
Heinz Siegenthaler | Rüti bei Büren | 31. Oktober 2014 | Jan Gnägi |
Tanja Sollberger | Bern | 31. Dezember 2014 | Michael Köpfli |
Hans Baumberger | Langenthal | 31. Dezember 2014 | Stefan Costa |
Sabine Kronenberg | Biel | 31. Januar 2014 | Nathan Güntensperger |
Siehe auch
- Liste der bis 1798 regimentsfähigen Geschlechter der Stadt Bern
- Mitglied des Grossen Rats vor 1798
- Liste der Mitglieder des Grossen Rats des Kantons Bern 2010, Stand 2010
Literatur
- Edgar Hans Brunner: Patriziat und Adel im alten Bern, in: Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde, Jg. 26 (1964). doi:10.5169/seals-244446
- Karl Geiser: Die Verfassung des alten Bern, in: Festschrift zur VII. Säkularfeier der Gründung Berns 1191–1891, Bern 1891.
- Roland Gerber: Gott ist Burger zu Bern. Eine spätmittelalterliche Stadtgesellschaft zwischen Herrschaftsbildung und sozialem Ausgleich, Weimar 2001.
- Beat Junker: Geschichte des Kantons Bern seit 1798. Helvetik, Mediation, Restauration: 1798–1830, Bern 1982.
- Beat Junker: Geschichte des Kantons Bern seit 1798. Die Entstehung des demokratischen Volksstaates 1831–1880, Bern 1990.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Erklärung zum Verhältniswahlrecht
- ↑ Geiser 1891, S. 19.
- ↑ Gerber 2001, S. 46.
- ↑ Geiser 1891, S. 96.
- ↑ Geiser 1891, S. 97.
- ↑ Geiser 1891, S. 98.
- ↑ Geiser 1891, S. 98.
- ↑ Geiser 1891, S. 98.
- ↑ Geiser 1891, S. 98.
- ↑ Geiser 1891, S. 98.
- ↑ Geiser 1891, S. 99.
- ↑ Brunner 1964, S. 4.
- ↑ Geiser 1891, S. 100.
- ↑ Geiser 1891, S. 102.
- ↑ Junker 1982, S. 24.
- ↑ Junker 1982, S. 131.
- ↑ Junker 1982, S. 131.
- ↑ Junker 1982, S. 133–134.
- ↑ Verfassung des Kantons Bern
- ↑ Art. 57 Berner Kantonsverfassung
- ↑ Gesetz über die Politischen Rechte im Kanton Bern
- ↑ Wahlkreisreform 2010