Otto Schily

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Otto Schily (1983)

Otto Georg Schily (* 20. Juli 1932 in Bochum) ist Rechtsanwalt und ein deutscher Politiker der SPD. Von 1998 bis 2005 war er Bundesminister des Innern. Er war Mitbegründer der Partei Die Grünen, von der er im November 1989 zur SPD wechselte.

Leben

Ausbildung und Tätigkeit als Rechtsanwalt

Schily ist Sohn einer anthroposophisch orientierten Familie. Sein Vater Franz war promovierter Hüttendirektor. Schily wuchs in Bochum und ab Ende des Zweiten Weltkrieges in Garmisch-Partenkirchen im Ortsteil Partenkirchen auf. Nach dem Abitur am Werdenfels-Gymnasium studierte Schily Rechts- und Politikwissenschaften in München, Hamburg und Berlin bis zum zweiten juristischen Staatsexamen 1962. Seit 1963 ist er als Rechtsanwalt zugelassen.

Bis 1968 vertrat Schily für die konservative Anwaltskanzlei Neufeldt Mandanten in Grundstücks- und Erbschaftsangelegenheiten. Nachdem Schily 1968 erstmals Gudrun Ensslin vertreten hatte, beendete er auf Bitten des Kanzlei-Seniors die Mitarbeit in der Rechtsanwaltsgemeinschaft und eröffnete an der Charlottenburger Kantstraße eine eigene Kanzlei.[1]

Bereits im Studium engagierte sich Schily politisch und stand dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) nahe. Er freundete sich mit Rudi Dutschke und Horst Mahler an und war Vertreter der Nebenklage im Prozess um den Mord an Benno Ohnesorg. Als Rechtsanwalt war er Hauptmieter einer als „Wielandkommune“ bekannt gewordenen anarchistisch orientierten Wohngemeinschaft und Kommune in der Wielandstraße, Berlin-Charlottenburg.

1971 war er Wahlverteidiger des damaligen RAF-Mitgliedes Horst Mahler, von 1975 bis 1977 der RAF-Terroristin Gudrun Ensslin.[2] Wegen der Abhöraffäre von Stammheim erschien Schily schließlich nicht mehr im Gerichtssaal des Stammheim-Prozesses. Nach dem Tod der Angeklagten bezweifelte Schily die Selbsttötungen und machte den Staat für die Todesfälle verantwortlich. Am 19. Oktober 1977 war er bei der Obduktion von Andreas Baader, Jan-Carl Raspe und Gudrun Ensslin anwesend.

Heute betreibt Schily eine Rechtsanwaltskanzlei in Berlin-Mitte.

Mitbegründer der Grünen

Otto Schily und Petra Kelly auf einer Pressekonferenz nach der Bundestagswahl 1983

1980 war er Mitbegründer der Bundespartei Die Grünen, er galt als Gegenspieler zu dem wertkonservativen Flügel um Herbert Gruhl. Für den West-Berliner Landesverband (Alternative Liste für Demokratie und Umweltschutz) kandidierte Schily 1981 bei der vorgezogenen Wahl zum Abgeordnetenhaus von Berlin. 1983 wurde er in den Deutschen Bundestag gewählt und war Mitglied der ersten Grünen-Bundestagsfraktion. Gemeinsam mit Marieluise Beck-Oberdorf und Petra Kelly übte er bis 1984 im Sprecherrat die Funktion des Fraktionsvorsitzenden aus. Innerhalb der Grünen galt Schily zu dieser Zeit als Realo, trat für eine mögliche Koalition mit der SPD ein.

Wegen des damals bei den Grünen noch herrschenden Rotationsprinzips schied er im März 1986 aus dem Bundestag aus. 1987 wurde er erneut in den Bundestag gewählt. Nachdem er 1989 mit seiner Kandidatur für den Fraktionsvorstand der Grünen scheiterte, trat er am 2. November 1989 bei den Grünen aus, legte sein Bundestagsmandat nieder und wurde Mitglied der SPD.

SPD-Politiker

Wahlkampfveranstaltung in München 2005

Am 2. Dezember 1990 wurde er für die SPD zum Mitglied des Deutschen Bundestages gewählt. Von 1993 bis 1994 hatte er den Vorsitz des Treuhand-Untersuchungsausschusses im Deutschen Bundestag inne. Von 1994 bis zum Eintritt in die Bundesregierung 1998 war er stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Während der Regierung Schröder I war er Mitglied des Richterwahlausschusses, des Vermittlungsausschusses sowie stellvertretendes Mitglied des Innen- und des Rechtsausschusses sowie des gemeinsamen Ausschusses nach Artikel 53a des Grundgesetzes. 2005 bis 2009 wurde Otto Schily zum ordentlichen Mitglied im Auswärtigen Ausschuss gewählt.

Schily leitete als Alterspräsident die konstituierenden Sitzungen des Deutschen Bundestages in den Jahren 2002 und 2005. Sein Wahlkreis war München-Land.

Bei der Bundestagswahl 2009 hat Schily nicht mehr kandidiert.

Bundesinnenminister

Datei:Innenminister G8.jpg
Otto Schily (oben links) beim Treffen der G8-Minister für Inneres und Justiz (2004)

Nach dem Sieg von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei der Bundestagswahl am 27. September 1998 wurde Schily am 27. Oktober 1998 zum Bundesminister des Innern ernannt.

1999 machte er mit der Feststellung auf sich aufmerksam, nur drei Prozent der etwa 100.000 Menschen, die jährlich nach Deutschland wollten, seien „asylwürdig“, 97 Prozent seien hingegen Wirtschaftsflüchtlinge. Das bisherige Asylrecht sei daher zu überprüfen. Die Äußerungen wurden kontrovers diskutiert, führten aber im Ergebnis zu keiner Änderung des Aslyrechtes.[3]

Schily war vor allem für die Verschärfung von Gesetzen und Verordnungen nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 in den USA verantwortlich. Seine zwei Sicherheitspakete wurden in der Presse in Anspielung auf den Verkaufskatalog des gleichnamigen Versandhauses als Otto-Kataloge bezeichnet.

Ebenfalls 2001 scheiterte er vor dem Bundesverfassungsgericht mit einem Verbotsantrag gegen die rechtsextremistische NPD aus formalen Gründen.

Schily setzte sich als Innenminister für die Einführung von Reisepässen mit biometrischen Merkmalen ein, welche seit Oktober 2005 ausgestellt werden. Am 10. Mai 2005 kündigte er einen „Nationalen Plan zum Schutz der Informationsinfrastrukturen in Deutschland“ an. Dieser soll gemeinsam mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) erarbeitet werden. Dabei sollen „neue Strategien zur Bekämpfung von Angriffen von Hackern und Viren“ entwickelt werden.[4]

Am 15. Juli 2005 sagte Schily als Zeuge vor dem Visa-Untersuchungsausschuss des Bundestages aus. Es ging um die Vergabe von Touristenvisa für Deutschland an der deutschen Botschaft in Kiew im Zusammenhang mit dem so genannten Volmer-Erlass.

Im September 2005 erteilte Schily die Ermächtigung zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Mitarbeiter des Magazins Cicero. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft genehmigte ein Gericht daraufhin die Durchsuchung der Redaktionsräume des Magazins durch das BKA, die zu einer heftigen Diskussion über Pressefreiheit führte.

Am 18. Oktober 2005, dem Tag der Konstituierung des 16. Deutschen Bundestages, wurde er gemeinsam mit den übrigen Bundesministern aus dem Amt entlassen und gleichzeitig von Bundespräsident Horst Köhler mit der Wahrnehmung der Geschäfte bis zur Bildung einer neuen Bundesregierung beauftragt. Nach der Wahl von Angela Merkel zur Bundeskanzlerin schied er am 22. November 2005 endgültig aus dem Amt.

Es werden Vorwürfe von Politikern aller Parteien, auch seiner eigenen, gegen Schily erhoben, weil er als Bundesinnenminister am 31. Mai 2004 durch den US-amerikanischen Botschafter Dan Coats über den Fall des deutschen Staatsbürgers Khaled el-Masri informiert wurde und anschließend bis Herbst 2005 der Bitte des Botschafters nachkam, diesbezüglich Stillschweigen zu bewahren. Khaled el-Masri war nach derzeitigem Sachstand im Jahre 2003 durch die CIA nach Afghanistan entführt, gefoltert und schließlich im Mai 2004 heimlich zurückgeflogen und in einem Wald in Albanien ohne Erklärungen ausgesetzt worden. Die Oppositionsfraktionen im Bundestag beantragten eine Aktuelle Stunde über die Vorgänge. Schily äußerte, er habe zu einem Zeitpunkt, wo er hätte eingreifen können, keine Informationen bekommen, die ihn in die Lage versetzt hätten, dafür zu sorgen, dass einem deutschen Staatsbürger kein Leid geschähe.

Wie nach seiner Amtszeit bekannt wurde, stimmte Otto Schily im Jahr 2005 der Änderung einer Dienstanweisung zu, auf Grundlage derer der Verfassungsschutz verdeckte Online-Durchsuchungen durchführte.[5] Nach Angaben des damaligen Staatssekretärs Lutz Diwell soll die Anweisung jedoch nur auf das Eindringen in geschlossene Nutzergruppen und Chatrooms abgezielt haben („offensive Beobachtung des Internets“), nicht hingegen auf das Ausspähen privater Festplatteninhalte.[6]

Aufsichtsrat

Otto Schily wurde nach seiner Zeit als Bundesinnenminister Aufsichtsrat bei der Firma SAFE ID Solutions AG (Unterhaching).[7] Diese Firma bietet Lösungen zur Personalisierung von Ausweisdokumenten an. Seine Tätigkeit für diese Firma ist umstritten, denn als Bundesinnenminister war Otto Schily ein maßgeblicher Wegbereiter der Einführung des kontrovers diskutierten biometrischen Reisepasses (epass), von dessen Einführung seine nunmehrigen Arbeitgeber in erheblichem Maße wirtschaftlich profitieren.[8] Nach seinen Angaben liegt die eigene finanzielle Beteiligung an der Firma unter 1 Prozent.

Vor dem Hintergrund der Klage von Juli Zeh steht der Verdacht im Raum, dass Schily für weitere Kunden der Ausweis-Branche tätig sein könnte: Mit Verweis auf den Mandantenschutz weigert sich Schily bislang, die Einkünfte zu spezifizieren, die er neben seinem Bundestagsmandat aus seiner Nebentätigkeit als Rechtsanwalt erzielt.[9] Das Bundestagspräsidium sah darin eine Pflichtverletzung und hat deshalb ein Ordnungsgeld in Höhe von 22.000 € verhängt.[10] Hiergegen hatte Schily Klage erhoben. Das Bundesverfassungsgericht hat das zugrunde liegende Gesetz allerdings bereits im Eilverfahren für verfassungsgemäß angesehen. Mit Urteil vom 30. September 2009 hat außerdem das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschieden, dass Bundestagsabgeordnete ihre Nebeneinkünfte bis ins kleinste Detail offenlegen müssen. Die Ordnungsgelder gegen Schily hob das Gericht allerdings auf, da die Richter darin einen Verstoß der Bundestagsverwaltung gegen die Gleichbehandlung aller Abgeordneten sahen. Während Einzelanwälte ihre Einkünfte aus Nebentätigkeiten offenlegen müssen, gilt dies für Anwälte in Anwaltssozietäten nicht. Dies sei eine „gleichheitswidrige Verwaltungspraxis“, erklärte der Vorsitzende Richter. Der Bundestag wurde zudem aufgefordert, die entsprechenden Regeln anzugleichen.

Privates

Anfang Mai 2008 kündigte Schily für 2009 seinen Rückzug aus der Politik an.[11] Schily ist in zweiter Ehe verheiratet und hat zwei Kinder, darunter die Schauspielerin Jenny Schily. Sein Bruder Konrad Schily ist Arzt und wurde bei der Bundestagswahl 2005 für die FDP in den Deutschen Bundestag gewählt.

Auszeichnungen

Ehrungen

Schily wurde am 20. Juni 2001 mit dem Bayerischen Verdienstorden und am 29. Juni 2004 mit dem Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.

Schmähungen und Kritik

Am 28. Oktober 2005 wurde Schily mit dem Negativpreis Big Brother Lifetime Award 2005 ausgezeichnet. Gewürdigt wurde er „für den Ausbau des deutschen und europäischen Überwachungssystems auf Kosten der Bürger- und Freiheitsrechte und für seine hartnäckigen Bemühungen um die Aushöhlung des Datenschutzes unter dem Deckmantel von Sicherheit und Terrorbekämpfung“. Schily hatte die Auszeichnung bereits 2001 für den ersten „Otto-Katalog“ erhalten.


Schily wird heute oftmals als Vertreter des Law and Order bezeichnet, vor allem bedingt durch seine weitgehenden Vorschläge zur inneren Sicherheit und Bürgerüberwachung. Kritiker meinen, Schily stehe aufgrund seiner Vorstellungen zur Terrorismusbekämpfung, Zuwanderungspolitik und Einschränkung des Datenschutzes den Unionsparteien näher als der SPD. Dies wurde zum Beispiel damit begründet, dass Schily nicht lediglich auf innenpolitische Ereignisse reagiert, sondern bereits über eine größere Anzahl fertig ausgearbeiteter Vorschläge für Gesetzesverschärfungen verfügt habe; diese hätten passend zu den jeweiligen Ereignissen als Vorschlag präsentiert und dann sofort umgesetzt werden können („Pläne in der Schublade“).

Einzelnachweise

  1. Peter Carstens: Der Fall Ohnesorg. Wendepunkt für Otto Schily, FAZ vom 2. Juni 2007, Nr. 126, Seite 8
  2. Vgl. zur Rolle Schilys im Stammheim-Prozess: Christopher Tenfelde, Die Rote Armee Fraktion und die Strafjustiz. Anti-Terror-Gesetze und ihre Umsetzung am Beispiel des Stammheim-Prozesses; Osnabrück: Jonscher Verlag, 2009; ISBN 978-3981139938; S. 147; 171 ff.; 195; 200; 235 f.
  3. Härtefall Schily In: Der Spiegel vom 21. November 1999
  4. [1]
  5. Bundesregierung gibt zu: Online-Durchsuchungen laufen schon. In: heise online. 25. April 2007, abgerufen am 31. Januar 2008.
  6. Online-Schnüffeln ohne Freibrief? In: taz.de. 2. Mai 2007, abgerufen am 31. Januar 2008.
  7. http://www.safe-id.de/about_us/supervisory_board.html, abgerufen am 13. April 2007
  8. August 2006: „Otto Schily neues Mitglied im Aufsichtsrat der SAFE ID Solutions AG“, http://www.omnicard.de/index.php?m=88&id=1607. „Der frühere Bundesinnenminister Otto Schily hat ein Aufsichtsratsmandat bei der SAFE ID Solutions AG, einem Anbieter moderner Personalisierungs-Lösungen im Bereich sicherer Reisedokumente, angenommen. Während seiner Amtszeit als Innenminister war Schily maßgeblich an der Einführung des biometrischen Reisepasses (ePass) beteiligt.“
  9. http://www.bundestag.de/bundestag/abgeordnete/bio/S/schilot0.html
  10. Pressemitteilung des Deutschen Bundestages: Präsidium verhängt Ordnungsgeld gegen Schily
  11. Otto Schily kündigt Abschied aus der Politik an

Weblinks

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