Thomas Dehler

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 12. Oktober 2016 um 12:05 Uhr durch Horst Gräbner (Diskussion | Beiträge) (Die letzte Textänderung von 217.91.166.120 wurde verworfen; keine Crosswikilinks, siehe Hilfe:Internationalisierung). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Bundestagsvizepräsident Dehler (links) empfängt 1967 den Präsidenten der American Federation of Jews from Central Europe, Curt C. Silberman

Thomas Dehler (* 14. Dezember 1897 in Lichtenfels; † 21. Juli 1967 in Streitberg, Landkreis Ebermannstadt) war ein deutscher Politiker (DDP und FDP). Von 1949 bis 1953 war er Bundesminister der Justiz und von 1954 bis 1957 Bundesvorsitzender der FDP.

Leben und Beruf

Nach dem Abitur 1916 nahm Dehler als Soldat am Ersten Weltkrieg teil. Er begann dann ein Studium der Medizin, das er jedoch nach drei Semestern abbrach, um stattdessen ein Studium der Rechts- und Staatswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München, an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und in Würzburg zu absolvieren, das er 1920 mit dem ersten und 1923 mit dem zweiten juristischen Staatsexamen beendete. 1920 wurde er in Würzburg mit der Arbeit Die Begründung des Strafurteils zum Doktor der Rechte promoviert. Seit 1924 war er zunächst in München, ab 1925 in Bamberg als Rechtsanwalt zugelassen. Bereits in der Weltwirtschaftskrise erwirtschaftete Dehler als Anwalt ein überdurchschnittliches Einkommen.[1]

Seit 1925 war Thomas Dehler mit Irma Frank verheiratet. Die Ehe wurde in der Zeit des Nationalsozialismus nach den Nürnberger Gesetzen als „Mischehe“ eingestuft. Da Thomas Dehler innerhalb der NS-Kategorien als deutschblütig galt und es bereits Nachkommen gab, wurde die Ehe den sog. privilegierten Mischehen zugeordnet. Verwandte Irma Dehlers wurden jedoch 1941 deportiert. Durch Nachforschungen erhielt Dehler die Information, dass es kaum Hoffnung auf ein Überleben der Deportierten gebe. In dieser Zeit wurde von der Familie Dehler die zu dieser Zeit nicht mehr durchführbare Auswanderung erwogen.[2] Trotz erheblichen Drucks der Nationalsozialisten wie auch der NS-dominierten Rechtsanwaltskammer hielt Dehler nicht nur an seiner Ehe und an seinen jüdischen Mandanten fest, sondern er übernahm auch Mandate von Regimegegnern. Im Stürmer wurde er daraufhin als „echter Judengenosse“ verunglimpft.

Die wirtschaftliche Situation Dehlers war in der NS-Zeit schwankend. Phasenweise gehörte Dehler aber weiterhin zu den Spitzenverdienern unter den Anwälten im Reich. Insbesondere in den Jahren 1938 und 1939 ergab die Interessenvertretung von als Juden verfolgten Deutschen im Rahmen sog. Arisierungsmaßnahmen finanziell lohnende Aufgaben. Die resultierenden Verpflichtungen verfolgte er dabei wohl im Sinne der Klienten rechtschaffen, zumal im Gegenzug staatliche und ständische Stellen des NS-Staates mehrfach erfolglos versuchten, ihn aufgrund seiner Prozessführung u. a. wegen groben Unfugs, Rechtsbeugung oder Pflichtverletzung zu belangen.[3]

Dehler gehörte ab Mitte der 1930er Jahre der Robinsohn-Strassmann-Gruppe an.[4]

Im Zweiten Weltkrieg war Dehler zunächst erneut Soldat, wurde aber wegen seiner jüdischen Frau bereits nach einem Dreivierteljahr als „wehrunwürdig“ aus der Wehrmacht ausgeschlossen. Eine berufliche Beschränkung unterblieb zunächst. Im März 1943 wurde er als „entbehrlich“ für die Rechtspflege eingestuft und für die Kriegswirtschaft freigestellt. Infolgedessen wurde er ab November 1944 für einige Wochen als Bauschreiber im Lager Schelditz bei Rositz durch die Organisation Todt zwangsverpflichtet. Zuvor war Thomas Dehler bereits Ende 1938 infolge der Reichspogromnacht für kurze Zeit in Haft gekommen. Dass er viele auf ihn zielende nationalsozialistisch motivierte Anwürfe parieren konnte, kann vermutlich auch damit begründet werden, dass er bereits vor 1933 in der Bürgerschaft Bambergs vielfältige Kontakte besessen und sich unter den dortigen Richtern und Staatsanwälten einen guten Ruf erworben hatte.[5]

Von 1945 bis 1947 war er Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht Bamberg, ab 1946 auch Generalankläger am Kassationshof beim Bayerischen Staatsministerium für Sonderaufgaben (Entnazifizierung). Von 1947 bis 1949 war er dann Präsident des Oberlandesgerichtes Bamberg.

Dehler wurde schon 1926 in die Freimaurerloge Zur Verbrüderung an der Regnitz in Bamberg aufgenommen. Nach deren Verbot in der NS-Zeit gehörte er 1946 zu den Wiederbegründern der Loge, der er bis zu seinem Tod 1967 angehörte.[6]

1923 war Dehler Mitbegründer des Burschenbundes Südmark Monachia in München.[7] 1948 trat er als Alter Herr der Studentenverbindung Humanitas Würzburg bei.[8] Diese ging in der Landsmannschaft Alemannia Makaria Würzburg im CC auf, beim Pfingstkongress 1959 hielt Dehler die Festrede.

Thomas Dehler erlag im Streitberger Freibad einem Herzversagen.[9] Sein politischer Nachlass liegt im Archiv des Liberalismus der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Gummersbach, der museale Teil im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn.

Partei

Von 1920 bis zu ihrer Selbstauflösung nach Druck durch die Nationalsozialisten 1933 war Dehler Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (bzw. ab 1930: Deutsche Staatspartei). Seit 1926 war er Vorsitzender des Kreisverbandes Bamberg seiner Partei. 1924 war er Mitbegründer des die Republik stützenden Kampfverbandes Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zählte Dehler gemeinsam mit Fritz Linnert zu den Mitbegründern der FDP in Bayern, deren Landesvorsitzender er von 1946 bis 1956 war und als der er 1954 maßgeblich zur Bildung der bislang einzigen bayerischen Landesregierung ohne CSU-Beteiligung beitrug. Auf dem Gründungsparteitag der Bundes-FDP in Heppenheim 1948 wurde er in den Parteivorstand gewählt.

Innerhalb der FDP gehörte Dehler, wie auch Reinhold Maier (Württemberg-Baden), Hans Reif (Berlin) und Willy Max Rademacher (Hamburg), zur Gruppe der entschiedenen Liberalen, die sich gegen einen Kurs der Nationalen Sammlung aussprachen, wie er etwa von den Landesvorsitzenden Friedrich Middelhauve (Nordrhein-Westfalen), August-Martin Euler (Hessen) und Artur Stegner verfolgt wurde. Dehler und seine politischen Freunde sahen den Platz der FDP stattdessen in der politischen Mitte zwischen der SPD und den Unionsparteien. So sprach er sich nach der Bundestagswahl 1949 beispielsweise gegen eine gemeinsame Fraktion mit der DP aus, wie sie vom rechten Flügel der Partei gefordert worden war.

Thomas Dehler bildete mit Alfred Onnen und Fritz Neumayer die parteiinterne Untersuchungskommission zur Aufklärung der Affäre um den Naumann-Kreis.

1954 wurde er zum Bundesvorsitzenden der FDP gewählt. Dieses Amt übte er bis 1957 aus.

Abgeordneter

Als Bundestagsvizepräsident empfängt Dehler (rechts) 1966 den Parlamentspräsidenten von Mali Alassane Haidara (Mitte)

1946 gehörte Dehler der Verfassunggebenden Landesversammlung in Bayern und von 1946 bis 1949 dem Bayerischen Landtag an.

Von 1947 bis 1948 war er Mitglied im Länderrat des amerikanischen Besatzungsgebietes und von 1948 bis 1949 des Parlamentarischen Rates.

Von 1949 bis zu seinem Tode war Dehler Mitglied des Deutschen Bundestages, in den er stets über die bayerische Landesliste der FDP gewählt wurde und wo er von 1953 bis 1957 Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion war. Am 23. Februar 1956 beschloss die FDP-Fraktion unter seiner Führung, die Koalition mit der CDU/CSU aufzukündigen. Daraufhin schieden 16 Mitglieder, darunter auch die vier FDP-Bundesminister, aus der Fraktion aus und gründeten die Freie Volkspartei (FVP).

Von 1957 bis 1961 leitete Dehler den Arbeitskreis Außenpolitik und Verteidigung der FDP-Bundestagsfraktion und war daneben Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft.

Vom 28. September 1960, als er Nachfolger des verstorbenen Max Becker wurde, bis zu seinem Tode war er Vizepräsident des Deutschen Bundestages. 1960/61 vertrat er den Bundestag vor dem Bundesverfassungsgericht im Verfahren über den Antrag der bayerischen Staatsregierung auf Feststellung der Nichtigkeit des „Gesetzes zur Reinhaltung der Bundeswasserstraßen vom 17. August 1960“.

Seit dem 19. Juni 1963 war er außerdem Vorsitzender des Wahlmännerausschusses nach § 6 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht.

In der sog. Verjährungsdebatte im Bundestag vom 10. März 1965 plädierte Dehler auf der Basis rechtsstaatlicher Erwägungen für die bevorstehende Verjährung von ungesühnten Morden, insbesondere auch nationalsozialistischer Täter. In diesem Sinne erklärte er 1965 im Bundestag: „Zu unserem Recht gehört auch, dass Schuld, dass jede Schuld verjährt“.

Öffentliche Ämter

Von Juni 1945 bis 1946 war er von der US-Militärregierung ernannter Landrat des Kreises Bamberg.

Nach der Bundestagswahl 1949 wurde er am 20. September 1949 als Bundesminister der Justiz in die von Bundeskanzler Konrad Adenauer geführte Bundesregierung berufen.

Zu den ersten unter dem Bundesjustizminister Dehler veröffentlichten Bundesgesetzen gehört das Straffreiheitsgesetz. Dieses amnestierte die meisten Straftaten, die vor dem 15. September 1949 verübt worden und mit Arrest von höchstens einem Jahr oder einer Geldstrafe von bis zu 10.000 Mark bedroht waren. Trotz einiger Vorbehalte gegen dieses Gesetz bewertete er letztlich die Maßnahme als geeignet, um das politische Leben in der Bundesrepublik „zu entgiften“. Allgemein trat Dehler für einen Schlussstrich im juristischen Sinne gegenüber der Zeit des Nationalsozialismus ein. Unter Anderem arbeitete er einen Parteitagsbeschluss der Bundes-FDP im Jahre 1949 zur Beendigung der Entnazifizierung mit aus. Die durch Dehler unterstützte Ausführungsgesetzgebung zu Art. 131 GG ermöglichte es vielen ehemaligen Beamten, die wegen ihrer Parteizugehörigkeit zur NSDAP nach 1945 aus dem Dienst entfernt worden waren, ab 1951 ihre Wiedereinstellung oder beamtenrechtliche Versorgung zu betreiben. Auch wenn Dehler dafür eintrat, die Verbrechen der Nationalsozialisten nicht zu vergessen, hielt er es innenpolitisch dennoch für zumutbar, deren Funktionäre zu amnestieren. Insofern nahm er gegenüber den ehemaligen Kriegsgegnern eine teilweise provozierende Position ein, indem er in der Kriegsverbrecherfrage für ein allgemeines und befriedend wirkendes Verzeihen und Vergessen eintrat. Entsprechende öffentliche Äußerungen seinerseits hatten 1950 einen Protest des französischen Hohen Kommissars bei Adenauer zur Folge.[10]

Im Bundestagswahlkampf 1953 sprach er sich mit der FDP im Gegensatz zu den Koalitionspartnern CDU/CSU und DP gegen die Wiedereinführung der Todesstrafe aus.

Nach der Bundestagswahl 1953 wurde er wegen schwerer Differenzen mit Konrad Adenauer nicht erneut in die Bundesregierung berufen, aus der er daher am 20. Oktober 1953 ausschied.

Ehrungen

Thomas-Dehler-Preis

Der Vorstand der Thomas-Dehler-Stiftung verleiht den Preis jährlich. Zu den Preisträgern gehören:

Werke

  • Die Begründung des Strafurteils, Dissertation, Würzburg 1920
  • Die Rechtsentwicklung in der Sowjetischen Besatzungszone, Bundesverband der Deutschen Industrie, Köln 1952
  • Das Parlament im Wandel der Staatsidee. In: Macht und Ohnmacht der Parlamente. Stuttgart 1965, S. 9 ff.
  • Lob auf Franken: Ein Bekenntnis, Glock u. Lutz, Nürnberg 1967
  • Parlament und Presse, in: Zeitungsverlag und Zeitschriften-Verlag, 1965, Heft 43/44, S. 1990f.
  • Reden und Aufsätze (postum), Westdeutscher Verlag, 1969

Literatur

Siehe auch

Weblinks

Commons: Thomas Dehler – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Vgl: Wengst, Udo: Thomas Dehler 1897-1967. Eine politische Biographie, München 1997, S. 53.
  2. Vgl: Wengst, Udo: Thomas Dehler 1897-1967. Eine politische Biographie, München 1997, S. 66ff.
  3. Vgl: Wengst, Udo: Thomas Dehler 1897-1967. Eine politische Biographie, München 1997, S. 59ff.
  4. Wolfgang Benz: Widerstand traditioneller Eliten. In: Informationen zur politischen Bildung: Deutscher Widerstand 1933-1945, Ausgabe 243
  5. Vgl: Wengst, Udo: Thomas Dehler 1897-1967. Eine politische Biographie, München 1997, S. 60ff und S. 73f.
  6. Thomas Dehler Biographie. Website der LeMO (Lebendiges virtuelles Museum Online). Abgerufen am 18.November 2010
  7. Udo Wengst: Thomas Dehler 1897–1967. Eine politische Biographie. Oldenbourg Verlag, München 1997, ISBN 3-486-56306-8, Seite 36
  8. Heinz Kraus, CC-Blätter 82 (1967), S. 188 ff
  9. http://www.infranken.de/nachrichten/lokales/forchheim/Im-Freibad-war-Thomas-Dehler-Stammgast;art216,162789
  10. Vgl: Wengst, Udo: Thomas Dehler 1897-1967. Eine politische Biographie, München 1997, S. 53.
  11. Am Café Raab, Lichtenfels, Marktplatz 9, erinnert eine Tafel, dass hier sein Geburtshaus stand