Tschechische Literatur

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Als tschechische Literatur werden die niedergeschriebenen oder mündlich überlieferten Texte in tschechischer Sprache, vor allem der Belletristik, bezeichnet. Zusätzlich muss die Literatur, die auf dem Gebiet des heutigen Staates Tschechien in lateinischer, deutscher und hebräischer Sprache im Lauf der Jahrhunderte entstanden ist, beachtet werden. Tschechischsprachige Publikationen im Ausland werden als tschechische Exilliteratur bezeichnet.

Jaroslav Seifert, tschechischer Literatur-Nobelpreisträger (Foto von Hana Hamplová 1981)

Mittelalter

Altkirchenslawische Literatur im Großmährischen Reich

Während der christlichen Missionierung des Großmährischen Reiches im 9. Jahrhundert durch die Slawenapostel Kyrill und Method entstanden die ältesten Denkmäler slawischer Literatur. Einige in der Glagolica geschriebenen Texte enthalten Legenden böhmisch-westslawischen Ursprungs, wie etwa die Legende vom Wenzel von Böhmen, die um 950 entstanden sein dürfte, jedoch erst im 14. Jahrhundert niedergeschrieben wurde. Bedeutend sind auch die Legenden von der Heiligen Ludmilla von Böhmen und die sogenannten Prager Blätter, die christliche Bittgebete enthalten. Ein Zentrum der kirchenslawischen Tradition in Böhmen war das Kloster Sázava bei Prag. Aufgrund der Rivalität zwischen römisch-katholischen Missionaren aus Franken und griechisch-orthodoxen Missionaren aus Byzanz fand die Slawenmission im 11. Jahrhundert ein Ende. Die katholische Kirche und die herrschenden Dynastien in Böhmen förderten mit lateinischen Texten eine weitere Christianisierung.

Lateinische Texte

Vom 11. bis ins 13. Jahrhundert war die Lateinische Sprache die dominante Literatur- und Gelehrtensprache im tschechischen Siedlungsgebiet. Zu nennen sind hier die Hagiographien, Heiligenlegenden, deren bedeutendste die Christianslegende ist, und die umfangreiche Chronikliteratur. Beachtet bis heute wird die Chronica Boemorum („Böhmische Chronik“) des Cosmas von Prag, der auch als „Herodot des Mittelalters“ bezeichnet wurde, und deren Fortsetzung durch Benesch von Weitmühl.

Die Anfänge der tschechischsprachigen Literatur im 13. und 14. Jahrhundert

Der erste tschechische Satz auf der Gründungsurkunde des Leitmeritzer Kapitels

Alttschechische Literatur ist etwa ab dem Jahr 1300 greifbar. Mit dem bedeutendsten böhmischen König Karl IV. von Luxemburg wurde Prag Hauptstadt im Staatenbund Heiliges Römisches Reich und Mittelpunkt eines Kulturgebietes. Es kam zu einer wirtschaftlichen Blütezeit, die einen Aufschwung der Dichtung und die Gründung der Karls-Universität Prag mit sich brachte. Latein war weiterhin die Sprache der Literatur und Wissenschaft. Das älteste erhaltene Dokument in tschechischer Sprache ist ein Satz auf der Gründungsurkunder des Leitmeritzer Kapitels, der in den Anfang des 13. Jahrhunderts datiert. Die ersten Texten in tschechischer Sprache sind:

  • „Hospodine, pomiluj ny“ (Herr, erbarme dich unser)
  • „Svatý Václave, vévodo české země“ (Lied vom Hl. Wenzel)
  • Ostrovská píseň (Ostrover Lied), Kloster Ostrov
  • Kunhutina modlitba (Passional der Kunigunde)
  • der alttschechische Alexanderroman (Alexandreis), Bilder aus dem Leben des makedonischen Königs Alexander der Große
  • die Dalimil-Chronik, als erste tschechischsprachige Chronik
  • Mastičkář, eine erste dramatische Dichtung, als Zwischenspiel zu geistlich-religiösen Festspielen entstanden; hat jedoch teilweise weltlich-satirische Tendenzen.

Deutsche Texte

Durch die Deutsche Ostsiedlung der slawischen Gebiete der Germania Slavica seit dem 13. Jahrhundert beeinflusste die deutsche Kultur und Sprache auch das höfische Leben der in Böhmen herrschenden Dynastie der Přemysliden und nachfolgende Generationen. Dies machte sich besonders stark in der Tradition des beliebten Minnesangs bemerkbar. König Wenzel II. dichtete als „Wenzel von Beheim“ in deutscher Sprache. Mitte des 14. Jahrhunderts erschien Di tutsch kronik von Behem lant, eine Übersetzung und Überarbeitung der Dalimil-Chronik aus dem Tschechischen. Im Jahr 1460 wurde der Ackermann aus Böhmen des Johannes von Tepl gedruckt, eine der eindrucksvollsten Publikationen des Mittelalters in Böhmen.

Hebräische Texte

Unter dem Herrschergeschlecht der Premysliden waren die Juden eine kulturell und ökonomisch sehr wichtige Gruppe von Handelsleuten und Geldgebern in Böhmen. Die damals entstandenen hebräischen Texte sollen zahlreicher als die lateinischen gewesen sein. Besonders prägend waren die „Prager Talmudisten“, deren Schriften allerdings nur mehr in Fragmenten erhalten sind. Das große Pogrom des Jahres 1389 und zahlreiche Brände zerstörten diese Literatur weitgehend. Josef Dobrovsky (1753–1829) veröffentlichte 1777 nach eigenen Forschungen "Pragische Fragmente hebräischer Handschriften".

Hussitismus

Der Reformator Jan Hus – eine der prägendsten Gestalten der tschechischen Geschichte – wurde 1370 in Südböhmen geboren. Nach einem Studium in Prag wurde er Anhänger des englischen Kirchenkritikers John Wyclif, der gegen die Privilegien des römisch-katholischen Klerus und andere Missstände in der Kirche eintrat und die alleinige Autorität der Bibel einforderte. Forderungen des Jan Hus waren ähnlich, er strebte unter anderem die Kommunion in beiderlei Gestalt (sub utraque specie) an. Aufgrund seiner Kritik an der römisch-katholischen Kirche wurde er am Konzil von Konstanz 1415 als Ketzer verurteilt und starb den Feuertod. Die Empörung seiner Anhänger führte zum Ersten Prager Fenstersturz im Neustädter Rathaus am späteren Karlsplatz (Prag) und den Hussitenkriegen. Die Hussitenzeit war zerstörend für Literatur und Kunst in Böhmen.

Die Publikationen des Jan Hus, sowohl in Latein als auch in Tschechisch sind von großer Bedeutung in der tschechischen Sprache. Er gilt als der Begründer des diakritischen Systems. In „De ortographia Bohemica“ führt er erstmals Diakritika anstelle von Graphemkombinationen ein und setzt damit die Grundlage der Ausgestaltung der heutigen tschechischen Schriftsprache. Außerdem verfasste er einen Katechismus zur Erläuterung der zentralen Texte des Christentums sowie das „Knížky o svatokupectvi“ (dt. „Büchlein über die Simonie“) im Tschechisch der damaligen Zeit.

Neuzeit

Humanismus und Renaissance

Die Kralitzer Bibel

Um 1450 zu Beginn der Neuzeit entstand in der Nachfolge der Reformbewegung der Hussiten die Gemeinde der Böhmischen Brüder (unitas fratrum), die für Gewaltfreiheit und freiwillige Besitzlosigkeit eintrat. Ihr wird die Kralitzer Bibel („Kralická bible“), die erste Bibelübersetzung aus den Originalsprachen Hebräisch, Aramäisch und Griechisch in die tschechische Sprache, zugeschrieben. Ein Apologet der Brüdergemeinde war Jan Blahoslav, ein Historiker der Gemeinde und Verfasser der „Gramatika česká“.

Renaissanceliteratur gab es in Böhmen nur vereinzelt, Hynek z Poděbrad schrieb Parodien und übersetzte zum Beispiel den Dekameron von Giovanni Boccaccio.

In der Zeit des Humanismus war die vorherrschende europäische Kultursprache Latein. Böhmische Humanisten waren etwa Bohuslav Hasištejnský z Lobkovic, Jan Campanus Vodňanský und die erste namentlich bekannte Dichterin Elisabeth Johanna von Weston. Es gab aber zahlreiche Gelehrte in Böhmen, die beweisen wollten, dass Tschechisch als Sprache fähig sei, die gleichen Inhalte auszudrücken wie die großen Vorbilder in lateinischer Sprache. Zunächst erschienen deshalbzahlreiche Übersetzungen aus dem Lateinischen. Viktorin Kornel ze Všehrd zum Beispiel wechselte zur tschechischen Sprache, damit ein größerer Leserkreis seine Texte verstehen konnte. Im 16. Jahrhundert war der Verleger und Drucker Daniel Adam z Veleslavína normbildend und sprachprägend. Auf sein im Druck erschienenes Tschechisch wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts zurückgegriffen. (siehe: Nationale Wiedergeburt). Bedeutend ward auch die „Kronika česká“ des Václav Hájek z Libočan, eine parteiische, deutschfeindliche Chronik, die bis in das 19. Jahrhundert viel gelesen wurde.

Johann Amos Comenius

Der aus Südmähren stammende Bischof Jan Amos Komenský (Johann Amos Comenius) gilt als bedeutendster Gelehrter der Zeit, er war im Exil in Ungarn, Schlesien, England und Schweden tätig und verstarb in Amsterdam. Seine didaktisch-pädagogischen Werke („Didactica Magna“) in lateinischer Sprache sind bis heute prägend für die Gestaltung von Schulbüchern, den Unterricht für Jungen und Mädchen. Er wurde häufig als „Lehrer der Nationen“ bezeichnet, wird in Ortsgeschichten rühmend erwähnt, wurde Namensgeber von Schulen und des europäischen Programms Comenius für schulische Bildung. Sein herausragendstes literarisches Werk ist der utopische Roman „Labyrint světa a ráj srdce“ (Das Labyrinth der Welt und das Paradies des Herzens).

Barock

Die Vertreibung der Protestanten und die Rekatholisierung in Böhmen seit Beginn des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) führten dazu, dass die Barockliteratur stark vom Katholizismus geprägt war, häufig finden sich Dichtungen der Marienverehrung oder Gesangbücher (Kancionály). Besonders bekannt ist Matěj Václav Šteyers (1630–1692) „Ceský kancionál“, das über 850 Lieder beinhaltet. Zu den Meisterwerken der katholischen Dichtung zählt „Co Bůh? Člověk?“, eine poetische Meditation über das Verhältnis zwischen Mensch und Gott des Jesuiten Bedřich Bridel (1619–1680). Die reiche Metaphorik des Werkes ist vergleichbar mit der des Andreas Gryphius. Übersetzungen in die tschechische Sprache des Jesuiten Felix Kadlinsky (1613–1675) enthalten religiöse Trostliteratur zur Bewältigung des Alltags während des Dreißigjährigen Krieges. Erwähnenswert ist auch das Werk des Universalgelehrten Bohuslav Balbín (1621–1688), der historische und hagiographische Schriften als auch eine apologetische Abhandlung über die slawischen Sprachen verfasste, mit besonderem Augenmerk auf die tschechische Sprache, für deren Verwendung er sich stark einsetzte.

Klassizismus und nationale Wiedergeburt

Das Prager Nationaltheater, Symbol der nationalen Wiedergeburt

Der Klassizismus war eine Epoche der europäischen Kunst im Zeitraum zwischen 1760 und 1848 mit dem Ende der Erbuntertänigkeit und eine Gegenbewegung zu den prunkvollen Formen des Barock. Bezogen auf die Literatur bezeichnet es Dichtungen mit Themen aus der Antike, den damaligen Stilformen und deren Übertragung in zeitgenössische Literatur und schöpfte seine Kraft vor allem aus dem Wortschatz und Stil einzelner Autoren. Diese wurden Leitbilder dieser neuen Kulturströmung, deren Werke entscheidend für die Sprach- und Literaturentwicklung in Europa wurde.

Die Religionsfreiheit und die Abschwächung der Zensur unter Josef II. im Sinne der Aufklärung ermöglichten Bürgerrechte und Meinungsfreiheit. In dieser Zeit des ausgehenden 18. und im 19. Jahrhundert entwickelte sich die nationale Wiedergeburt (národní obrození) mit dem Wunsch nach Unabhängigkeit von der Habsburgermonarchie und einer politischen Selbstständigkeit des tschechischen Volkes. Zu dieser Zeit bestimmte die tschechische Nationalbewegung das kulturelle und politische Klima in Böhmen. Sie stand unter dem Einfluss des beginnenden Panslawismus und tschechische Persönlichkeiten aus Politik und Dichtung machten auf die seit langem unbeachtete Sprache und Kultur der Tschechen in Manifesten und Werken aufmerksam. Sie verlangten Anerkennung, Pflege und Gebrauch der tschechischen Sprache. Die Gründung des Nationalmuseums im Jahre 1818 und vor allem das Nationaltheater stellte das Können der tschechischen Künstler und Architekten unter Beweis und stärkten das Selbstbewusstsein des Volkes.

Zu Beginn beschäftigten sich Gebildete wie der Begründer der tschechischen, heute gültigen Schriftsprache Josef Dobrovský (1753–1829) wissenschaftlich mit der Kultur- und Siedlungsgeschichte des tschechischen Volkes in Böhmen. Die tschechische Grammatik wurde auf Basis der hoch entwickelten Literatursprache aus dem 16. Jahrhundert neu beschrieben und kodifiziert. An den Universitäten wurden Lehrstühle für tschechische Sprache errichtet und Gelehrtenkreise formierten sich.

In der späteren Phase der Nationalen Erneuerung spielte der Schüler Dobrovskýs, Josef Jungmann, eine wichtige Rolle. Dieser gab Übersichten zu Genies des tschechischen Volkes heraus, suchte Vorbilder in der tschechischen Geschichte und schrieb selbst als Autor. Sein Hauptwerk ist das Tschechisch-Deutsche Wörterbuch (Slovník česko-německý). Das Werk hatte vermutlich einen sprachpatriotischen Hintergrund. Jungmann stellte das Tschechische dem Deutschen als gleichwertig gegenüber, um die Ausdrucksfähigkeit der tschechischen Sprache zu dokumentieren. Dafür nahm er Wörter aus altslawischen Texten, formulierte Neuprägungen und übernahmen Umformulierungen aus dem Deutschen, Russischen und Polnischem. Sein Schüler Bernhard Scheinpflug schrieb Lehrbücher, die nach Einsetzen der allgemeinen Schulpflicht für Kinder von 6 bis 12 Jahren Pflichtlektüre wurden. Zwei weitere Schüler Dobrovskýs, Josef Linda und Václav Hanka, simulierten in Übereifer eine seit langem nachweisbare Hochkultur des tschechischen Volkes. Sie gelten als Fälscher der sogenannten Königinhofer Handschrift und der Grünberger Handschrift, Heldenlieder in tschechischer Sprache aus dem Mittelalter. In der letzten Phase wurde die nationale Wiedergeburt zu einer Massenbewegung; in Bevölkerungsteilen der tschechischen Unterschicht sogar zum Muss. Patriotische Vereine der Mittelschicht und die Turnbewegungen des Sokol bildeten sich, aber auch wissenschaftliche Gesellschaften, wie Matice česká oder Matice moravská wurden gegründet.

Romantik

Der Romantiker Karel Hynek Mácha

Im Vergleich zu anderen Ländern erreichte die Romantik und das Biedermeier Böhmen und Mähren mit einer Zeitverzögerung und hatte in dem in Südböhmen geborenen Adalbert Stifter (1805–1868) einen Wegbereiter.

Karel Hynek Mácha (1810–1836) gilt als der bedeutendste tschechische Dichter der Romantik. Während seiner zahlreichen Reisen schrieb er sein Hauptwerk „Máj“. Máj besteht aus vier Gesängen und zwei Intermezzi. Mácha verwendete hier eine außergewöhnliche sprachliche Gestaltung. Er brachte die tschechische Sprache seiner Zeit auf ein sehr hohes literarisches Niveau. Sein Werk ist ein lyrisches Poem, das hochromantisch und hochdramatisch ist. Das Grundthema seines Werks ist die Ausgeliefertheit des Menschen, aber auch die romantische Zerrissenheit (Liebe, Mord, Suizid, Angst vor dem Tod). Man warf ihm vor, er zeige zu wenig Patriotismus, in seinem Werk führe er nur sein eigenes Leid vor, dies sei zu individuell. Er solle sich mehr für Nationales engagieren. Erst die Generation nach Mácha lernte sein Werk zu schätzen, seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde er verehrt.

Karel Jaromír Erben (1811–1870) war tschechischer Historiker, Sammler von Volksdichtung und Schriftsteller der Romantik. Genauso wie Mácha beschäftigte sich auch Erben mit der tschechischen Nationaldichtung, vor allem mit der tschechischen Geschichte. Er gab einige Schriften des Jan Hus heraus. Seine bekanntesten Publikationen sind:

  • Kytice z pověstí národních (Blumenstrauß nationaler Sagen): 12 Balladen, die Heimat wird mit Thymianstrauch verglichen, der auf dem Grab der Mutter wächst. Schuld und Strafe für Eitelkeit und Habsucht.
  • Výbrané báje a pověsti národní jiných větví slovánských (Ausgewählte Sage und Volkslegenden anderer slawischer Stämme, 1869)
  • Sto prostonárodních pohádek a pověstí slovanských v nářečích původních (Hundert Märchen und Legenden des einfachen Volkes in den ursprünglichen Dialekten, 1865), 1905 hrsg. als České pohádky von Václav Tille.

Josef Kajetán Tyl (1808–1856) war einer der bedeutendsten tschechischen Dramatiker. Außerdem war er Theaterautor und Prosaautor. In den Jahren von 1845 bis 1850 begründete er das tschechische Drama. Zu dieser Zeit entstanden seine dramatischen Bilder aus dem Alltagsleben, wie „Des Brandstifters Tochter“ (1847), die dramatischen Märchen „Der Dudelsackspieler aus Strakonitz“ (1847) und die historischen Dramen „Die Bergarbeiter aus Kuttenberg“ (1848), „Jan Hus“ (1848) oder „Drahomira und ihre Söhne“ (1849). Aber auch Komödien und Zauberspiele „Fidlovačka“ oder „Jiříkovo vidění“. Auch der Text zur tschechischen Hymne „Kde domov můj“ stammt von ihm.

Ein Longseller der belehrenden romantischen Lebensbetrachtung ist das Kinderbuch Die Käferchen (Broučci, 1876) des Pfarrers der Böhmischen Brüder Jan Karafiát (1846–1929), das bis heute immer wieder aufgelegt wird.

Realismus und Naturalismus

Božena Němcová

Bereits bei Božena Němcová (1820–1862) lässt sich ein Übergang von der Romantik zum Realismus erkennen, etwa in ihrem berühmten und noch heute viel gelesenen Roman „Babička“ (dt. „Großmutter“). Zu den bekannten Realisten der tschechischen Literatur zählen Jan Neruda, vor allem mit den Geschichten von der Prager Kleinseite, Vítězslav Hálek (1835–1874), 1861 Redakteur der Národní listy und Karolína Světlá, der ersten Romanautorin mit dem Dorfroman (Vesnický román). Diese drei Autoren zählen u. a. zur Dichtergruppierung der Májovci, benannt nach Máchas Gedicht Máj. Sie zeichnen sich durch Vielseitigkeit aus und sind als Schriftsteller und im Journalismus tätig. Weitere Autoren des sind u. a. Teréza Nováková und Karel Václav Rais.

Nach dem Jahr 1868 entwickelt sich die tschechische Literatur in zwei Richtungen, die sich teilweise überschneiden. Die Richtung der Autorengruppe Ruch war nationaltschechisch, ihre Publikationen erschienen in den Zeitschriften „Osvěta“ und „Květy“. Zu ihren wichtigsten Vertretern zählen Svatopluk Čech („Die wahre Reise des Herrn Brouček zum Mond“), Jakub Arbes mit der Sondergattung des Romaneto, z. B. „Newtons Gehirn“, Eliška Krásnohorská, welche die Schulbildung der Mädchen und die Frauenrechte erstmals in den Vordergrund stellte und Karel Klostermann, der den Böhmerwald und seine Bewohner in den Mittelpunkt seines Schaffens stellte.

Die Autoren der Gruppe Lumír wandten sich von nationalen Interessen ab und einer kosmopolitischen ästhetisch geprägter Dichtung (l’art pour l’art) zu und werden deshalb als Vorboten der Moderne gesehen. Zu ihnen zählen Jaroslav Vrchlický mit Zlomky epopeje, (dt. Bruchstücke einer Epopöe), Julius Zeyer (Drei Legenden über das Kruzifix) und Václav Beneš Třebízký. Josef Václav Sládek, der Redakteur der Zeitschrift Lumír, ist seinen poetischen Publikationen nach eher der Autoren-Bewegung Ruch zuzuordnen, seine Dichtung orientiert sich stark an Volksliedern.

Der Hauptvertreter des tschechischen Naturalismus ist Karel Matěj Čapek-Chod mit „Der Rächer Kašpar Len“. Wie für den Naturalismus kennzeichnend, wird bei ihm anhand des Schicksals der Hauptperson gezeigt, wie Umwelt und Triebe ein Leben zerstören. Der naturalistische Determinismus ist aber nicht so stark ausgeprägt wie im französischen Naturalismus.

Jahrhundertwende

Die Tschechische Moderne

Otokar

Ab 1894 erschien die Zeitschrift Moderní revue in der die dekadenten Schriftsteller Jiří Karásek ze Lvovic, Arnošt Procházka und Karel Hlaváček veröffentlichten. Die zweite Gruppierung der Moderne wurde 1895 mit dem von Josef Svatopluk Machar und František Xaver Šalda geschriebenen Manifest Česká moderna ins Leben gerufen. Darin werden künstlerische Freiheit und Individualität und die Loslösung von der patriotischen Tendenz und vom Nationalismus proklamiert. Des Weiteren setzen sich die Vertreter offen für die Emanzipation der Frauen und ein allgemeines Wahlrecht ein. Zu den Unterzeichnern des Manifests gehören Otokar Březina, mit seinen Gedichten der kosmischen Harmonie und Vilém Mrštík. Antonín Sova verfasst stimmungsvolle Naturgedichte und ist der wichtigste tschechische Impressionist, wendet sich in anderen Gedichten aber dem Symbolismus zu.[1]

Die Gruppierung der Rebellen oder Stürmer (buřiči nach dem gleichnamigen Gedichtband von Viktor Dyk) lehnte Symbolismus und Dekadenz ab und forderte Haltung und Kampf. Zu den Stürmern gehören etwa Stanislav Kostka Neumann, Karel Toman und František Gellner (Nach uns die Sintflut). Petr Bezručs Anliegen war vor allem die Unterdrückung der Bevölkerung im peripheren Schlesien.

In Prag entstand eine rege Szene der Kaffeehausliteratur. Auch deutschsprachige Literaten wie Franz Werfel, Gustav Meyrink (Der Golem), Egon Erwin Kisch, Max Brod und Friedrich Torberg prägten das literarische und journalistische Leben in Prag. Als Literatencafés wurden das „Continental“, das „Café Arco“, das „Café Union“ das „Café Slavia“ bekannt.

Vorkriegsavantgarde

Die Avantgarde will die neuen technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen literarisch fassen. Im Jahre 1911 gründete sie die Gruppe Skupina výtvarných umělců („Gruppe bildender Künstler“) der neben den bildenden Künstlern des Kubismus wie Emil Filla und Bohumil Kubišta auch Schriftsteller wie František Langer, Josef und Karel Čapek sowie dessen Schwiegervater Karel Scheinpflug angehörten. Sie veröffentlichten mit Stanislav Kostka Neumann und Otakar Theer den „Almanach na rok 1914“ (Almanach über das Jahr 1914). In dieser Sammlung wurden Ansichten über Literatur, Poesie, Malerei, Architektur und Übersetzungen neuer französischer Poesie publiziert.[1]

Der Erste Weltkrieg

Der brave Soldat Švejk

Der Erste Weltkrieg bedeutete eine Zäsur der bestehenden Kultur. Es kam 1914 zur Mobilisierung der Massen und Technisierung des Krieges. Politiker wie Tomáš Garrigue Masaryk und Schriftsteller wie Josef Svatopluk Machar und Viktor Dyk wurden unterdrückt und Gedenkfeiern für Jan Hus untersagt. Die tschechischen Schriftsteller forderten im sogenannten „Mai-Manifest“ nationale Unabhängigkeit für ihre Heimat. Die Kriegssituation bzw. politische Situation bewirkte einen Rückfall in die national-patriotische Thematik, wie in Viktor Dyks „Země mluví“ (Die Erde spricht) erkennbar ist. Tschechische Soldaten desertierten und wechselten zum Feind und formierten sich zur sogenannten Revolutionsarmee. Ein bekannter Deserteur war Jaroslav Hašek. Seine zuerst als „minderwertig“ abgestempelte Literatur „Osudy dobrého vojáka Švejka za svetové války“ (dt. Der brave Soldat Schwejk) wurde später ein Welterfolg.

Zwischenkriegszeit

Die Devětsil-Bewegung

Die Devětsil (= Neunmalstark oder Pestwurzen) war eine linke Gruppierung der tschechischen Avantgarde. Der Name soll von den Brüdern Karel und Josef Čapek stammen. Sie brachten den Künstlerbund in Verbindung mit einem als unverwüstlich gesehenen Wachstum. Dichter, Filmregisseure, Maler, Architekten, Musiker versammelten sich nach Gründung der Tschechoslowakei im Jahr 1918 zu einem Treffen am 5. Oktober 1920 und begründeten diese Gruppierung. Die Mitglieder arbeiteten mit Kunst der Proletariats, dem magischen Realismus und später dem Poetismus. Dieser Künstlerbund hatte auf das künstlerische Leben in Böhmen und Mähren Einfluss. Sein Motto lautete: „Na tváři lehký žal, / hluboký v srdci smích“. Bekannte Devětsil-Mitglieder waren Jaroslav Seifert, Vítězslav Nezval, František Halas, Konstantin Biebl, Vladislav Vančura und Karel Teige.

Karel Čapek

Bis heute berühmt mit ihren Utopien und Antiutopien sind die Brüder Josef und Karel Čapek, beide tschechische Schriftsteller. Josef war nebenbei Maler, Grafiker und Fotograf. Er illustrierte die meisten Werke seines Bruders Karel. Berühmt ist er auch dafür, dass er der Urheber des Wortes „Roboter“ ist. Dieses Wort benutzte Karel in seinem Theaterstück „R.U.R.“. Josef veröffentlichte zusammen mit seinem Bruder zahlreiche Schauspiele und Erzählungen. Karel widmete sich dem Drama, dem Realismus und hauptsächlich der utopischen Literatur. In seinen phantastisch-utopischen Romanen beschreibt er seine Sicht der menschlichen Gesellschaft. Seine Werke sind Musterbeispiele an tschechischer Sprache und slawischem Humor. Zu erwähnen sind:

  • Tovarná na Absolutno (Fabrik des Absoluten, 1922): Karburator macht billige Energiegewinnung möglich, Nebenprodukt Absolutes – Gott in chemisch reiner Form – führt zum Weltkrieg. Keine durchgehende Handlung – Episoden, die als einzelne für Beilagen der Lidové noviny geschrieben wurden.
  • Krakatit (1924): Chemiker entwickelt Sprengstoff, der die Welt zerstören kann. Er gerät daher unter Einfluss der Großmächte. Es kommt zur Explosion, der Held trifft aber auf Gott.
  • R.U.R. (Rossum’s Universal Robots, 1920): wurde ein Welterfolg und in 30 Sprachen übersetzt.
  • Der gestohlene Kaktus. Geschichte aus einer Tasche und der anderen, Übertragung aus dem Tschechischen, 1963.
  • Der Krieg mit den Molchen, ein Roman, Übertragung aus dem Tschechischen, Ullstein-Buch Nr. 2795, 1964.

Surrealismus

Diese Kunstrichtung entstand in den frühen zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts in Paris. Sie versuchte das Unwirkliche und Traumhafte der gesellschaftlichen Realität sowie die Tiefen des Unbewussten abzuschätzen und darzulegen. Merkmale des Surrealismus sind Mystifikationen des Absurden, Verfremdung und Automatismus (spontane Schreibtechniken). Bekannte tschechische Surrealisten waren Richard Weiner, der auch in Paris lebte, („Hra doopravdy“), Vítězslav Nezval und Karel Teige. Karel Hynek Mácha war eine große Inspiration für sie mit „Ani labuť ani Lůna“ (dt. Weder Schwan noch Mond, 1936).

Literatur zur Zeit des Protektorats

Die Zeitspanne von 1939 bis 8. Mai 1945 des Protektorat Böhmen und Mähren war eine Besatzungsherrschaft des Deutschen Reiches und endete mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die herrschenden Reichsprotektoren konnten die Verbreitung der tschechischen Kultur und Literatur nicht unterdrücken. Dies galt nicht nur für die Literatur des Exilanten, sondern auch weitgehend für die heimischen Publikationen. Hervorzuheben ist Jan Scheinost (1896–1964) mit seiner versöhnend wirkenden Einstellung zwischen Deutschen und Tschechen und auch Jaroslav Durych (1886–1962), die für ihre Einstellung nach 1945 inhaftiert wurden. Die Skupina 42 (Gruppe 42) um Jiří Kolář, Josef Kainar, Jan Hanč und Ivan Blatný entstammte einer jungen Generation, die sich zu Wort meldete. Einige markante Werke und verfolgte Autoren während der Zeit des Protektorats waren:

  • Josef Čapek, (einen Monat vor Kriegsende 1945 im KZ gestorben): Básne z koncentracního tábora
  • Julius Fučík: Reportáž, psaná na oprátce (dt. Reportage, unter dem Strang geschrieben, 1946). Er leistete Widerstand gegen den Nationalsozialismus mit Gefängnis und dem Leben mit Mitgefangenen. Er wurde vom nachfolgenden Stalinismus als Idol propagiert und kopiert herausgegeben
  • Jiří Orten: im Jahr 1942 als 23-Jähriger verstorben. Von ihm ist überliefert, dass er von einem deutschen Krankenwagen angefahren wurde und ihm als Juden die Versorgung verweigert wurde.
  • Vladimír Holan: die epische Dichtung Terezka Planetová (1943)
  • Jiří Weil: Leben mit dem Stern (1949)

Literatur der sozialistischen Zeit von 1948 bis 1989

Nach dem kommunistischen Putsch 1948 unter der stalinistischen Politik wurde die Meinungsfreiheit erneut eingeschränkt und kritische Autoren mit einem Publikationsverbot belegt, manche gingen ins Exil. Vergangene Literaturströmungen, die nicht dem kommunistischen Idealen entsprachen, wurden zensuriert und mit Kampagnen bekämpft. Der Sozialistische Realismus wurde zum verbindlichen Einheitsstil. Es wurden kaum Romane veröffentlicht, Schriftsteller widmeten sich eher der Publizistik und Lyrik. In den 1950er Jahren sorgten markante lyrische Texte für Interesse, die sich mit Problemen des Alltag, dem gewöhnlichen Leben beschäftigten. Josef Škvorecký und Arnošt Lustig zählen zu diesen Schriftstellern. „Katakombenliteratur“ wurde eine mündlich verbreitete oder in Minimalauflagen entstandene Literatur, genannt. In dieser Zeit der materiellen und kulturellen Verarmung bestand noch keine Samizdat-Struktur; diese entstand erst in 1970er Jahren. In den 1960ern entstand eine Reihe kleiner Theater wie zum Beispiel das Semafor, das Theater am Geländer oder das Theater Jára Cimrmans.

Bohumil Hrabal

Bedeutende Prosaiker, die mehr oder weniger eingeschränkt in offiziellen Verlagen publizierten waren Bohumil Hrabal, Ladislav Fuks, Jan Drda, Vladimír Páral, Vladimír Neff, Jiří Mucha, Jan Otčenášek, Josef Nesvadba, Eduard Petiška, Vladimír Körner und Ota Pavel. Bohumil Hrabals unverkennbarer Stil zeichnet sich durch eine Mischung der Umgangssprache mit hochliterarischen Mitteln und durch ungebremsten und ununterbrochenen Redefluss aus. Poetische Vergleiche, Obszönismen und Derbheit mit zarten Beschreibungen schmückten seine Werke aus. Romane wie Ich habe den englischen König bedient oder Allzu laute Einsamkeit machten ihn berühmt und fanden ihre Leser.

Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings gingen zahlreiche Schriftsteller ins Exil. Josef Škvorecký (Zbabělci, Prima sezóna, Příběh inženýra lidských duší) gründete in Kanada den Verlag 68 Publishers, der zum wichtigsten Organ der Exilliteratur wurde. Milan Kundera hatte mit seiner Prosa Welterfolg. Sein bekanntestes Werk ist Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins. Weitere Exilautoren sind Pavel Kohout, Ivan Diviš, Jan Křesadlo, Ludvík Aškenazy, Jiří Gruša und Egon Hostovský. Im Samizdat veröffentlichten Ludvík Vaculík und Ivan Klíma. Mit dem Dramatiker und Essayisten Václav Havel (1936–2011), 9. Staatspräsident der Tschechoslowakei und 1. in Tschechien hatte das Land eine der bedeutendsten und erfolgreichsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Im Jahr 1984 erhielt Jaroslav Seifert als bisher einziger Tscheche den Nobelpreis für Literatur.

Gegenwart

Nach der Samtenen Revolution im November 1989 wurde die Demokratie wiederhergestellt und die Zensur vollständig aufgehoben. Bis dahin verbotene Schriftsteller konnten wieder uneingeschränkt publizieren und es kam zu einer Welle von Veröffentlichungen. Jáchym Topol war bereits vor 1989 Teil des literarischen und musikalischen Underground. Der Durchbruch gelang ihm 1994 mit dem Roman Sestra (dt. „Die Schwester“), in dem er stark verfremdet aus der Sicht eines Angehörigen im Underground Einzelheiten aus der Zeit nach der politischen Wende des Jahres 1989 erzählt. Zu den Bestsellerautoren gehört Michal Viewegh. Weitere Autoren sind Iva Hercíková, Sylvie Richterová, Petr Šabach, Halina Pawlowská, Patrik Ouředník, Jan Balabán, Michal Ajvaz, Josef Formánek, Petra Hůlová, Radka Denemarková und Jaroslav Rudiš.

Literaturpreise

Literatur

  • Jiří Holý: Tschechische Literatur 1945–2000. Tendenzen, Autoren, Materialien. Ein Handbuch. Harrassowitz, Wiesbaden 2011, ISBN 978-3-447-06575-7.
  • Jiří Holý: Geschichte der tschechischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Edition Praesenz, Wien 2003, ISBN 3-7069-0145-5.
  • Antonín Měšťan: Geschichte der tschechischen Literatur im 19. Und 20. Jahrhundert. Böhlau, Köln/ Wien 1984, ISBN 3-412-01284-X.
  • Walter Schamschula: Geschichte der tschechischen Literatur. 3 Bände. Böhlau, Köln.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Jiří Holý: Geschichte der tschechischen Literatur des 20. Jahrhunderts. S. 15-28, 46-49