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Jesus Christus

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Christus Pantokrator, Ikone im Katharinenkloster auf dem Sinai (6. Jh.).

Jesus Christus (von altgriechisch Ἰησοῦς Χριστός Iēsous Christos, [iɛːˈsuːs kʰrisˈtos], Jesus, der Gesalbte) ist nach christlicher Lehre gemäß dem Neuen Testament (NT) der von Gott zur Erlösung aller Menschen gesandte Messias und Sohn Gottes. Mit seinem Namen drückten bereits die Urchristen ihren Glauben aus und bezogen die Heilsverheißungen des Alten Testaments (AT) auf die historische Person Jesus von Nazaret.

Jesus, der gute Hirte im Tympanon der Evangelischen Friedenskirche in Hanau-Kesselstadt

Die urchristlichen Quellen

Das Neue Testament überliefert die Botschaft von Jesus Christus in verschiedenen Literaturformen für verschiedene Zwecke:

Den historischen Jesus kannte wahrscheinlich keiner der Autoren des Neuen Testaments.[1] Die Paulusbriefe (entstanden 50–60) sind die ältesten urchristlichen Schriften. Ihr Autor stellt sich als Augenzeuge des auferstandenen Jesus dar, den er vorher nicht gekannt habe. Die Paulusbriefe enthalten einige Worte Jesu und biografische Details, aber keine Berichte von seinem irdischen Wirken.

Die vier kanonischen Evangelien (entstanden zwischen 70 und 100) erzählen Jesu Wirken und Schicksal auf verschiedene, auf ihre Adressaten zugeschnittene Weise. Vor allem die drei synoptischen Evangelien bieten gemeinsame Stoffe, die meist mit der Zwei-Quellen-Theorie erklärt werden.[2] Ihre Reihenfolge, Auswahl und Darstellung unterscheiden sich aufgrund verschiedener redaktioneller Konzepte; ihre Glaubensaussagen über Jesus stimmen jedoch in den Grundzügen überein und ergänzen einander. Ihre ältesten Bestandteile stammen von Nachfolgern Jesu aus Galiläa, die die Jerusalemer Urgemeinde gründeten und Jesu Worte zuerst mündlich, dann schriftlich weitergaben.

Von den urchristlichen Apokryphen, die nicht in den späteren Kanon des NT aufgenommen wurden, kann vor allem das Thomasevangelium einige authentische Jesusworte enthalten. Sie können aus einer gemeinsamen Überlieferung mit der Logienquelle stammen.[3] Einige außerchristliche Schriften erwähnen Jesus beiläufig oder indirekt.

Alle NT-Schriften verkünden Jesus Christus, seine Geschichte, sein Verhältnis zu Gott und seine Bedeutung auf verschiedene, aber im Kern übereinstimmende Weise als Evangelium (Frohbotschaft) für die ganze Welt. Denn ihre Autoren glaubten an die Auferstehung Jesu Christi, die ihnen eine unbeteiligte Mitteilung biografischer Daten unmöglich machte. Jesus war für sie der zur Rettung aller Menschen aus Sünde und Tod in die Welt gekommene Sohn Gottes, der den Gerichtstod auf sich genommen habe, von Gott auferweckt worden sei, nun für alle Zeiten lebe und sich selbst immer neu in Erinnerung rufe, bis er seine Botschaft am Ende der Zeit selbst wahr machen werde.

Dieser Glaube veranlasste die Urchristen, Gemeinden zu bilden, Jesu Worte zu sammeln, aufzuzeichnen und als jeden angehende Botschaft weiterzugeben. Ihre Schriften wollen alle Menschen zum Glauben an den menschgewordenen, für sie stellvertretend getöteten und auferstandenen Gottessohn einladen. So wurde das NT zur Grundlage für das Christentum, das seit etwa 100 als eigene Religion neben dem Judentum hervortrat.

Der Name

Herz-Jesu-Statue in Osttimor als König mit timoresischen Herrscherinsignien Kaibauk und Belak

Jesus Christus (Latinisierung des griechischen Ἰησοῦς Χριστός)[4] ist das zum Namen konzentrierte Glaubensbekenntnis der Urchristen. Jesus (griech. Ἰησοῦς Iēsūs) ist die griechische Form des hebräisch-aramäischen Vornamens Jeschua oder Jeschu, beides Kurzformen von Jehoschua. Christus ist die latinisierte Form des griechischen Wortes Christós (Χριστός), das das hebräische Wort maschiach (משיח), (griechische Übertragung Μεσσίας, „Gesalbter“) übersetzt. Als Gesalbte werden im Tanach von Gott erwählte Könige oder Priester bezeichnet,[5] besonders der erwartete Nachkomme König Davids.[6] Im NT bezeichnet „der Gesalbte“ (griech. ὅ Χριστός ho Christós) Jesus von Nazaret als den auferstandenen Messias der Endzeit.

Hebräisch Griechische
Übertragung
Griechische
Übersetzung
Lateinische
Übertragung
Deutsche
Übersetzung
יהושוע
Jehoschua
(Jeschua, Jeschu)
Ἰησοῦς
Iēsous
Iesus,
Jesus
Gott rettet
משיח
Maschiach
Μεσσίας
Messias
Χριστός
Christos
Christus
Gesalbter

Jesus Christus verbindet Vorname und Titel: Indem der männliche Artikel des Titels entfällt, wird dieser anstelle eines Verbs zu einer Apposition des Vornamens und damit zum Eigennamen des Trägers.[7] Somit ist Jesus Christus ein griechischer Nominalsatz, der aussagt: Jesus ist der Gesalbte. Damit identifizierten seine Anhänger den historischen Jesus aus Nazareth mit dem erwarteten jüdischen Heilsbringer.

Der Name Jesus Christus ist die urchristliche Bekenntnisformel. Sie findet sich in allen NT-Schriften und stammt wohl aus der Missionspredigt (Kerygma) und Taufpraxis der Jerusalemer Urgemeinde, erkennbar in Apg 2,38 EU und 5,42 EU. Der Philipperhymnus, einer der ältesten Christushymnen des NT, verkündet: Gott hat Jesus diesen Namen verliehen. Darum würden sich zu ihm eines Tages „alle Zungen im Himmel und auf Erden bekennen“ (Phil 2,9–11 EU). Nach Mk 1,11 EU hat Gott sich bei der Taufe Jesu zu ihm bekannt und ihn als seinen geliebten Sohn erwählt. Auf dem Weg nach Jerusalem habe Jesus seine Jünger gefragt (Mk 8,27–30 EU): „Für wen halten mich die Menschen? Sie sagten zu ihm: Einige für Johannes den Täufer (hebräisch Yokhanan HaMatbil יוחנן המטביל), andere für Elija, wieder andere für sonst einen von den Propheten. Da fragte er sie: Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Darauf habe Simon Petrus als Erster geantwortet: Du bist der Christus! Doch er verbot ihnen, mit jemand über ihn zu sprechen.

Der Christustitel bezieht sich in den ältesten Bekenntnissätzen und Predigten der Urchristen immer auf Tod und Auferstehung Jesu, setzt sie also voraus und fasst ihre Heilsbedeutung zusammen. Von dieser nachösterlichen Perspektive aus zurückblickend erzählten die Urchristen die Geschichte des vorösterlichen Jesus. Mt 1,21 EU versteht daher schon seinen Vornamen als Hinweis auf seine Aufgabe: „Du sollst ihm den Namen Jesus geben; denn er wird sein Volk von seinen Sünden retten.“[8] Der Vers spielt auf die Eigenbedeutung des hebräischen männlichen Vornamens Jeschua an, der im Judentum damals verbreitet war.[9] Er enthält seinerseits mit der Vorsilbe Je- eine Kurzform des Gottesnamens JHWH und eine Verbform von jaša („helfen“, „retten“). Er verweist also auf Gottes Handeln („Gott hilft“, „Gott rettet“), etwa in Sir 46,1 EU, oder appelliert daran („Gott helfe“).[10]

Die Urchristen sahen Gottes Rettung durch Tod und Auferstehung Jesu Christi verwirklicht. Darum glaubten sie an die heilende Kraft seines Namens. Dieses Heilen war Bestandteil ihrer Anhängerschaft. So heilten sie laut Apg 3,6 EU auch unheilbar Kranke „im Namen Jesu Christi“. Simon Petrus verkündet in Apg 4,12 EU: „Denn es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen“.[11]

Deklination

Im Deutschen wurde Jesus Christus bis ins frühe 20. Jahrhundert lateinisch dekliniert: „Jesus Christus ist der Herr“ (Nominativ) – „Im Kreuz Jesu Christi findet ihr Heil“ (Genitiv) – „Ihr seid in Jesu Christo“ (Dativ) – „Das ist das ewige Leben, dass sie Jesum Christum erkennen“ (Akkusativ) – „O Jesu Christe, wahres Licht“ (Vokativ). Heute ist, außer in literarischen Zitaten, nur noch der Genitiv Jesu Christi gebräuchlich.

Die Auferstehung

Frauen am Grabe Christi und Himmelfahrt (sog. „Reidersche Tafel“); Elfenbein; Mailand oder Rom, um 400 n. Chr.

Die Auferstehung Jesu von den Toten ist Hauptinhalt der urchristlichen Heilsbotschaft, die im Kern lautete: Jesus wurde für uns gekreuzigt und auferweckt (1 Kor 15,3–5 EU). Diese Glaubensaussage beruhte auf bestimmten Erfahrungen mit Jesus nach seinem Tod. Er kündigt den Jüngern schon vor seinem Kreuzestod seine Auferstehung dreifach an: (Mt 16,21–23 EU), (Mt 17,22–23 EU) und (Mt 20,17–19 EU).

Das älteste Evangelium berichtete anfangs wohl noch nicht von Jesu nachösterlichem Erscheinen, sondern kündigte es in Mk 16,5 EU nur an. Auch die NT-Briefe führen Jesu Auftreten nach seiner Auferstehung nicht aus. Lukas, Johannes und die Apostelgeschichte beschreiben die Auferstehung genauer.

Die ersten Augenzeugen

Paulus ist der früheste Autor einer NT-Schrift und erklärt, den Auferweckten selbst gesehen zu haben. Er übernahm von der Jerusalemer Urgemeinde um 36 n. Chr. ein frühes Credo, verbunden mit einer Zeugenliste (1 Kor 15,3–8 EU):

„Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift, und erschien dem Kephas, dann den Zwölf. Danach erschien er mehr als fünfhundert Brüdern zugleich; die meisten von ihnen sind noch am Leben, einige sind entschlafen. Danach erschien er dem Jakobus, dann allen Aposteln.“

Paulus zitiert hier den Glauben aller Urchristen und stellte dazu fest, dass viele Augenzeugen noch leben und befragt werden können. Dann fügte er seine eigene Jesusvision hinzu:

„Als Letztem von allen erschien er auch mir, dem Unerwarteten, der ‚Missgeburt‘.“

Mit dieser als Berufung erfahrenen Jesusvision (Gal 1,15 EU) begründete er wie der Prophet Jeremia seinen gleichberechtigten Auftrag zur Völkermission. Er beschrieb sein Damaskuserlebnis nicht näher (vgl. Apg 9,1–9 EU), sondern betonte nur: Er sah Jesus im Lichtglanz der Herrlichkeit Gottes (2 Kor 3,38 EU).

Was genau diese ersten Zeugen „sahen“, war der „Auferweckte“: Dieser Ausdruck bezeichnet Gottes unsichtbares Handeln am getöteten Jesus. Das Bild des Weckens vom Schlaf meint die jenseitige Überwindung des Todes. Das Passivum Divinum drückt Respekt aus: Fromme Juden vermeiden es, Gott beim Namen zu nennen. Ihr Credo deutet aber diesseitige Erfahrungen: Es weist auf eine leibhafte Begegnung mit Jesus hin und zugleich auf seine unvergleichbare, der Sterblichkeit nicht mehr unterworfene Seinsweise.

„Er ist wahrhaftig auferstanden!“ (Lk 24,34 EU): Dieser frühe Bekenntnissatz bezog sich auf das aktive Erscheinen des Auferweckten vor seinen Jüngern. Beide Ausdrücke bezeichnen im NT wie in der jüdischen Apokalyptik exklusiv Gottes Handeln. Das „Sehen“ meint dort das Vorhersehen der Zukunft in einer von Gott geoffenbarten „Vision“ (Dan 7,1 EU). Es war demnach kein gewöhnliches Wahrnehmen, sondern ein Erkennen, von dem die Beteiligten nur sagen konnten, dass Gott (AT) bzw. Jesus (NT) es selbst bewirkt habe.

Das leere Grab

Der älteste Passionsbericht, den Markus übernahm, führt das urchristliche Credo erzählend aus und endet daher mit der Entdeckung des leeren Grabes Jesu am „dritten Tag“ von Jesu Tod an (Mk 16,1–8 EU). Der Passionsbericht liefert folgende Darstellung: Nur noch Frauen von Jesu Anhängern waren dabei (Mk 15,40f EU). Einige sahen, wo er begraben wurde (Mk 15,47 EU). Nach dem Sabbat wollten sie den Toten gemäß jüdischer Sitte einbalsamieren und so ehren (Mk 16,1). Dabei fanden sie sein Grab leer. Die Erklärung dafür gab ihnen ein Engel in der Gestalt eines jungen Mannes in weißem Gewand (v. 6–7):

„Er aber sagte zu ihnen: Erschreckt nicht! Ihr sucht Jesus von Nazaret, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden; er ist nicht hier. Seht, da ist die Stelle, wo man ihn hingelegt hatte. Nun aber geht und sagt seinen Jüngern, vor allem Petrus: Er geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat.“

Das verweist auf die frühe Zeugenliste. Ihr „Sehen“ wird demnach als Erkenntnis gedeutet: Gott hat diesen zuvor getöteten Galiläer auferweckt. Darum war sein Grab leer. Alle, die ihn nicht sahen, wurden auf einen Weg gesandt, auf dem er sich zu erkennen gab: Das rief sie erneut in die Nachfolge. Der betonte Hinweis auf „den Gekreuzigten“ stellt Gottes endgültiges Lebenschaffen gegen das unrechtmäßige Töten der Menschen und verweist auf die urchristliche Predigt in Jerusalem (Apg 4,10 EU): „Ihr habt ihn gekreuzigt, Gott aber hat ihn auferweckt!“

Nur bei Markus endet der Bericht mit der Flucht der Frauen, die entgegen ihrem Auftrag nichts weitersagen (Mk 16,8 EU). Das erinnert an die Flucht der Männer bei Jesu Festnahme (Mk 14,50 EU) und macht klar, dass die Frauen diese zunächst gar nicht antreffen konnten. Es spielt auch versteckt auf Jes 52,15 EU an, wo von der Erhöhung des verachteten, „für uns“ getöteten Gottesknechts die Rede ist (Jes 53,4f EU).

Danach kann nur Jesu eigenes Erscheinen Entsetzen, Angst und Trauer überwinden, in Freude verwandeln (Mt 28,8 EU) und Glauben an ihn schaffen (Joh 20,20 EU). Damit legt der Text nahe, dass die Jesusvisionen schon bekannt waren und in oder unterwegs nach Galiläa (Emmaus, Lk 24,13 EU) erfolgten: also einige wenige Tage nach der Jüngerflucht und Jesu Tod.

Der historische Gehalt der Grabüberlieferung ist stark umstritten. Einige NT-Forscher (z. B. Rudolf Bultmann, Hans Graß, Willi Marxsen, Gerd Lüdemann) halten den Text für eine späte apologetische Legende, die Jesu Auferstehung nachträglich „beweisen“ sollte. Auch Georg Strecker und Eugene Finegan sehen in dieser Erzählung „Merkmale sekundären legendarischen Ursprungs“.[12] Andere (Hans von Campenhausen, Ulrich Wilckens, Wolfhart Pannenberg, Peter Stuhlmacher, J. Spencer Kennard) gehen davon aus, dass die Auffindung des leeren Grabes „am 3. Tag“ historisch war und erst Markus den Bericht davon mit der Engelsbotschaft und Jesu Erscheinungen verband.

Für die Historizität spricht, dass die Zeugenliste keine Frauen, die Grabgeschichte keine Männer und nur Frauen nennt, die Zeugen der Grablegung Jesu waren. Diese hatten im patriarchalischen Judentum damals kein Zeugenrecht, so dass ihr anfängliches Schweigen plausibel wirkt. Nach Lk 24,11 EU hielten die Männer ihre Nachricht vom leeren Grab für ein „Gerücht“ (Martin Luther übersetzte: „Märchen“) und glaubten ihnen nicht, bis Jesus selbst sie überzeugte. Das legt nahe, dass die Erscheinungen Jesu unabhängig von, aber zeitnah zur Entdeckung des leeren Grabes erfolgten. Dass dieses in Jerusalem bekannt war, könnte Mt 28,13 EU zeigen: „Erzählt den Leuten: Seine Jünger sind bei Nacht gekommen und haben ihn gestohlen, während wir schliefen.“ Solche Polemik gegen die Urchristen überliefert auch die Mischnah.

Damals wurden jüdische Märtyrer durch den Ausbau ihrer Gräber geehrt, um ihr Anrecht auf künftige Auferstehung zu betonen (Eduard Schweizer). Das war den Urchristen verwehrt: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“ (Lk 24,5 EU). Darum fehlt Jesu Grab in den ersten Petruspredigten und in den Paulusbriefen. Doch wenn es nicht nachprüfbar leer war, dann hätte sich die Botschaft von seiner Auferweckung in Jerusalem (Apg 2,32 EU) kaum halten können (so u. a. Paul Althaus, Karl Barth, Klaus Berger, Martin Karrer).

Die Emmausjünger

Zwei Jünger begegnen Jesus auf dem Weg nach Emmaus. Relief aus dem Benediktinerkloster Santo Domingo de Silos in Nordspanien

Nach Lk 24,13–35 EU begegneten zwei seiner Jünger Jesus auf dem Weg von Jerusalem nach Emmaus. Sie erkennen ihn nicht, teilen ihm aber ihre maßlose Trauer und Enttäuschung mit: „Wir aber hatten gehofft, dass er der sei, der Israel erlösen werde.“ Darauf legt er ihnen die Schrift aus: „Musste nicht der Messias all das erleiden, um so in seine Herrlichkeit zu gelangen?“ Sie bitten ihn, zu bleiben. Er tut es, isst mit ihnen und bricht dabei wie beim Passahmahl vor seinem Tod das Brot. „Da gingen ihnen die Augen auf und sie erkannten ihn; dann sahen sie ihn nicht mehr.“ Darauf tauschen sie ihr Erlebnis aus – „Brannte uns nicht das Herz in der Brust, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schrift erschloss?“ –, kehren sofort nach Jerusalem um, treffen dort die versammelten Elf und hören deren Bestätigung: „Der Herr ist wirklich auferstanden und ist dem Simon erschienen“.

Der Text repräsentiert lukanische Theologie: Der Evangelist wollte zeigen, wie man auch ohne eigene Vision Christ werden kann. Bibelauslegung, Eucharistie, Austausch der Erfahrungen mit Jesus und gemeinsames Glaubensbekenntnis spiegeln wohl den Ablauf eines urchristlichen Gottesdienstes. Der Name „Kleophas“ (v. 18) für einen der Jünger – der zweite bleibt ungenannt – wurde sichtlich später eingefügt. Wäre der Zeuge historisch, hätte die Urgemeinde seinen Namen in ihre Liste aufgenommen. Der Credosatz, auf den der Text zielt, wird von NT-Historikern als sehr alt und der Geschichte vorgegeben eingeschätzt. Es erinnert daran, dass Petrus den Auferweckten als Erster sah und dies dann Anderen mitteilte. Auch Mk 16,7 EU nennt ihn neben den übrigen Jüngern. Das bestätigt den Anfang der Jerusalemer Zeugenliste.

Die Elfervision

Alle Evangelien berichten von einer Erscheinung Jesu vor dem Kreis der ersten Jünger. Dabei reden die Synoptiker ausdrücklich von elf Jüngern, da Judas Iskariot nicht mehr zu „den Zwölfen“ gerechnet wurde (nach Mt 27,5 EU hatte er sich erhängt). Das Johannesevangelium nennt keine Zahl, jedoch wird Judas auch dort nicht mehr erwähnt. Alle Evangelien begründen mit der Erscheinung Jesu die Beauftragung der Jünger zur Völkermission. Jedes Evangelium formuliert diese anders und zeigt so seine besondere theologische Sicht.

  • Mt 28,1–20 EU übernahm und veränderte die Grabgeschichte: Die Frauen, die sich bei Markus noch fürchteten und nichts weitersagten, freuen und beeilen sich nun, ihren Auftrag auszuführen. Sie begegnen Jesus selbst, der durch sie die Jünger zu einem Berg in Galiläa bestellt. Dort erscheint er ihnen, offenbart seine ihm von Gott übergebene Macht, sagt ihnen seine Geistesgegenwart und Wiederkunft zu und beauftragt sie zur Völkermission. Dieser schließt die Taufe auf seinen Namen und das Halten all seiner Gebote (Bergpredigt, Mt 5–7 EU) ein.
  • Lk 24,36–53 EU und Joh 20,19–23 EU teilen gemeinsame und verschiedene Motive der Jüngersendung: Jesus erschien am Abend des Sabbatfolgetags nach seinem Tod, trat zu den Versammelten (Joh: durch verschlossene Türen), entbot ihnen den Friedensgruß, überwand ihre Angst und ihren Unglauben (Lk: durch Essen, Joh: durch Zeigen der Wundmale), legte ihnen die Schrift aus (Lk) bzw. gab ihnen den Heiligen Geist (Joh), sandte sie in die Welt zur Verkündigung der Sündenvergebung und Buße (Lk) bzw. zum Erlassen oder Behalten der Sünden (Joh).
  • Mk 16,9–20 EU ist ein späterer Anhang an das ursprüngliche Ende des Evangeliums: Er setzt die Jesusbegegnungen Marias (Joh 20 EU) und der Emmausjünger (Lk 24 EU) schon voraus, die Markus noch nicht kannte. Er bringt die verschiedenen Erscheinungsberichte in eine Abfolge, um Widersprüche auszugleichen. Dabei widerspricht er jedoch der Zeugenliste: Dort steht die Elfervision aller Erstberufenen am Anfang, hier am Ende. Der universale Missionsauftrag der Christen enthält nun auch die Vollmacht zum Austreiben von Dämonen, analog zu den bei Markus überlieferten Exorzismen Jesu.

Alle Evangelien betonen die Identität der auferweckten mit der gekreuzigten Person, des neuen mit dem alten Leib: Damit wehren sie wohl die gnostische These vom „Scheintod“ des Erlösers ab. Dass der Auferstandene sich ernährte, hieße aber, dass er nur wiederbelebt, nicht unsterblich war. Doch die Texte verkünden auch, dass er den Naturgesetzen nicht mehr unterworfen war, sondern durch Wände ging (Joh 20,19 EU) und an verschiedenen Orten zugleich erschien (Lk 24,33–36 EU). − Nach 1 Kor 15,50f EU kann der alte den neuen Leib nicht „erben“, sondern der himmlische Leib verwandelt den irdischen völlig. Insofern bestätigte Paulus, der nichts vom leeren Grab Jesu zu wissen schien, die Evangelienberichte indirekt.

Ob und wo Jesus sich den elf Jüngern zeigte – in Galiläa (Mk und Mt) oder in Jerusalem zwei Tage nach Jesu Tod (Lk und Joh) –, ist nicht mehr zu ermitteln. Beides war bei einer Jüngerflucht drei Tage zuvor unmöglich. Darum erklärt jeder Evangelist das Jüngertreffen anders: Bei Matthäus erschien Jesus den Frauen am Grab zusätzlich zu den Engeln. Bei Lukas veranlasst das Emmauserlebnis die sofortige Rückkehr der Elf. Bei Johannes blieb Petrus in Jerusalem und betrat Jesu Grab, während Maria ihn zuerst sah. So verknüpften die Evangelisten die Grabgeschichte auf widersprüchliche Weise mit den Erscheinungen, um das Jüngertreffen zu erklären.

Spätere Erscheinungstexte

  • Mk 9,1–13 EU erinnert mit Jesu Verklärung auf einem Berg in Galiläa an eine nachösterliche Jesusvision (v. 9) für Petrus, Jakobus und Johannes. Diese Namen nennt Gal 2,9 EU als „Säulen“ der Urgemeinde: Man kann also annehmen, dass sie ihr Führungsamt aufgrund einer solchen Jesusvision erhielten. Markus deutet diese als vorösterliche Offenbarung des erwählten Sohnes Gottes in Gegenwart des Mose und des Elija, des Gesetzes und der Propheten.
  • Joh 20,1–18 EU formt die überlieferte Grabgeschichte zu einer Selbstoffenbarung des Auferweckten um. Der Text widerspricht offenbar bewusst der synoptischen Tradition: Maria Magdalena, nicht Petrus sah Jesus zuerst. Dafür betrat Petrus als Erster das leere Grab. Die johannäische Endredaktion widersprach dem nochmals und fügte den „Jünger, den Jesus liebte“ ein: Sie lässt ihn mit Petrus um die Wette laufen und das leere Grab zuerst betreten, um seine Autorität zu untermauern. Das bestätigt: Ohne Jesu eigenes Erscheinen konnte das leere Grab nur Furcht und Entsetzen, aber keinen Glauben an Jesu Auferstehung bewirken. Es bestätigt auch: Frauen waren – ob sie ihn selbst sahen oder nur sein Grab leer fanden – die ersten Osterzeugen.
  • In Joh 21,1–14 EU erscheint Jesus sieben seiner ersten Jünger am Ufer des Sees Genezareth, wo er sie anfangs berief. Er hilft ihnen, einen großen Fischfang zu machen. Der Jünger, den Jesus liebte, erkennt als Erster: „Es ist der Herr!“ Dieser lädt sie zum gemeinsamen Mahl ein, bereitet es vor und isst mit ihnen. Auch dieser Text wurde an einen früheren Schluss des Evangeliums angehängt (Joh 20,31 EU) und gehört zu seiner Endredaktion (v. 24). Er setzt die Episode vom wunderbaren Fischzug (Mt 4,8–22 EU/Lk 5,1–11 EU) voraus, erinnert an die ersten Jüngerberufungen Jesu (Mk 1,16–20 EU), will die Adressaten so zur Mission ermutigen und neu Getaufte zum Abendmahl einladen. – Der Fisch wurde für verfolgte Christen in Rom zum geheimen Erkennungszeichen: griechisch Ichthys (Ιχθυς) ist das Akrostichon Iesus Christus Theu ´Yios Soter (Ιήσους Χριστος Θεου Ύιος Σωτηρ, „Jesus Christus, Sohn Gottes, Erlöser“).

Rekonstruktionsversuche des Osterereignisverlaufs

Christus-Darstellung 1310

Was nach Jesu Tod geschah, erzählen die Evangelien in den Grundzügen übereinstimmend:

  • Jesus wurde an seinem Todestag noch vor Anbruch des Sabbats in ein frisches Felsengrab gelegt. Einige Frauen unter seinen Anhängern sahen, wo man ihn begrub.
  • Am Tag nach dem Sabbat wollten sie den Toten einbalsamieren. Dabei fanden sie sein Grab leer vor.
  • Die Jünger kehrten inzwischen getrennt nach Galiläa zurück. Dort oder auf dem Weg dorthin hatten einige von ihnen eine Vision, die sie als Wundertat Gottes erfuhren und beschrieben: Jesus wurde auferweckt.
  • Diese Visionen ähnelten sich, fanden aber unabhängig voneinander, zeitlich und räumlich gestreut statt (Lk 24,34 EU).
  • Daraufhin suchten die Jünger erneut Kontakt, tauschten ihre Erlebnisse aus und kehrten nach Jerusalem zurück: Dort erwarteten Juden gemäß biblischer Prophetie das Weltende.
  • In der Stadt trafen sie die Frauen, die ihnen das leere Grab zeigten. Ihr Bericht davon wurde daraufhin zur Verheißung des „Sehens“ Jesu in Galiläa umgeformt.

Die Rückkehr der Jünger nach Jerusalem erfolgte also wahrscheinlich unabhängig von einer Grabentdeckung der Frauen. Sie kehrten dann nicht unbedingt gleichzeitig, sondern aufgrund je eigener Erfahrungen und Nachrichten vom auferstandenen Jesus dorthin um. Deshalb nehmen eine Reihe von NT-Exegeten (Hans von Campenhausen, Wolfhart Pannenberg, Martin Karrer) an, dass die ältesten Notizen von Jüngern, denen Jesus unterwegs nach Galiläa erschien, echte Erlebnisse widerspiegelten, da anders die Gemeindegründung in Jerusalem nach der Jüngerflucht kaum zu erklären sei. Andere NT-Forscher dagegen halten die Erscheinungsberichte für subjektive Projektionen ohne äußeren Anstoß.

Welche Frauen Jesu leeres Grab fanden, warum sie es aufsuchten, welche Jünger den auferweckten Jesus sahen, wann, wo und was sie dabei sahen und hörten: das sind einige der Punkte, die die Evangelien verschieden und zum Teil widersprüchlich überliefern. Sie bestätigen nur die Erstvision des Petrus und einiger anderer ungenannter Jünger aus der Zeugenliste der Urgemeinde, ohne diese näher zu beschreiben. Von den in der Liste genannten Erscheinungen Jesu vor „500 Brüdern“ und „allen Aposteln“ wissen sie nichts. Die „Himmelfahrt“ (Apg 1,EU EU) galt nur dem Elferkreis; die Massenvision meint eventuell eine Massentaufe wie die nach der Pfingstpredigt (Apg 2,41 EU).

Die theologischen Deutungsmotive der Ostertexte

  • Gott hat gehandelt

Alle Ostertexte des NT verkünden: Nur Gott selbst konnte Jesus auferwecken. Niemand war dabei. Nur der Auferweckte selbst konnte sich dann seinen Jüngern offenbaren. Von sich aus erkannte ihn niemand. Nur einige der ersten Jünger und Paulus sahen den Auferstandenen. Dieser war nur eine befristete Zeit lang zu sehen (Apg 1,2–5 EU): Darin stimmen Zeugenliste, Evangelien und Apostelgeschichte überein.

Das betont den besonderen Charakter des Verkündeten als ein reales Ereignis, das aber außerhalb aller sonst bekannten Wirkungszusammenhänge steht (Wunder). Es ist nicht „von außen“ einsehbar, sondern wurde nur einem kleinen Kreis von Zeugen offenbart. Wer dem NT glauben möchte, kann nur dem Glauben dieser ersten Zeugen glauben und ihrem Zeugnis trauen, oder aber nicht.

Hier liegt der Grund für die Bandbreite der Deutungen: Während rationalistische Theologen und Religionskritiker von „Betrug“ (Hermann Samuel Reimarus), „Fiktion“ und „subjektiven Visionen“ (David Friedrich Strauß), „Projektion“ (Ludwig Feuerbach, Sigmund Freud), „mythologischem Selbstverständnis“ (Rudolf Bultmann), „apologetischen Legenden“ (Hans Graß) u. a. sprechen und diese aus einer „Verarbeitung von Schuldgefühlen“ erklären (Gerd Lüdemann), versuchen evangelikale, konservative und fundamentalkatholische Theologen (z. B. Walter Künneth, Wolfhart Pannenberg), Jesu Auferstehung als „historisches Ereignis“ auszuweisen. Eine Mittelposition vertrat Karl Barth: Er betont das objektive Geschehen hinter den Glaubenszeugnissen, das aber prinzipiell nicht historisch verifizierbar sei.

  • Der Auferweckte schenkt Versöhnung und überwindet so den Unglauben

Die Ostertexte betonen die Identität des nun Auferstandenen mit dem zuvor Gekreuzigten. Sie erinnern Jesu Jünger damit an ihr Versagen angesichts seines Todes: Sie hatten ihn verraten, verlassen und verleugnet. Nur er selbst konnte also ihren Unglauben überwinden. Er tat dies, indem er sich mit ihnen versöhnte. Erst das öffnete ihre Augen. Das gemeinsame Essen gab ihnen erneut – und diesmal unwiderruflich – Anteil am Heil. Diesen Aspekt betonen besonders die Evangelien: Das ist der Sinn der Mahlmotive in ihren Erscheinungstexten. Darum feierte die Urgemeinde in jedem Gottesdienst das Abendmahl.

  • Der gekreuzigte Jude aus Galiläa ist der zu Gott erhöhte Sohn Gottes

Mit der Versöhnung zugleich schuf der Auferstandene die Erkenntnis, wer er in Wahrheit ist: der von Gott gesandte und zu Gott erhöhte Christus. Dieser Mensch ist also der endgültige Offenbarer dieses Gottes und sein einzigartiges Ebenbild. Als solchen haben ihn die Urchristen dann verkündet, während sie vor seinem Tod noch, wie er, das Reich Gottes verkündeten (Mt 10,7 EU). Der Titel des Gottessohnes beinhaltete dabei auch schon die Aspekte der ewigen Erwählung (Präexistenz Christi), Präsenz, Weltherrschaft und Wiederkunft.

  • Der Sohn Gottes ist der kommende Weltrichter

Alle Urchristen deuteten Jesu Erscheinen als „Auferweckung“. Das war von ihren jüdischen Glaubensvoraussetzungen her undenkbar: „Auferweckt“ werden sollten die Toten gemeinsam, und zwar erst am Ende der Welt, wenn Gott zum Gericht erscheint. Ein nach jüdischem Recht Verurteilter, der gekreuzigt wurde, galt als von Gott verflucht. Er wäre im jüdischen Glauben nicht auferweckt oder im Endgericht verworfen worden.

Die Texte zeigen nach der verzweifelten Jüngerflucht unübersehbar ihre Freude über die überraschende Wende. Jesu Erscheinen war für sie völlig unerwartet und rief zuerst Furcht hervor: Denn damit kam der Richter, um sein Endgericht vorwegzunehmen und in Kraft zu setzen. Besonders Paulus, der Verfolger der Urgemeinde, erfuhr das: Ihm gegenüber zeigte sich der inthronisierte Menschensohn im Lichtglanz der Herrlichkeit Gottes (Apg 9,3 EU; 2 Kor 3,18 EU). Darauf konnte nur Verstummen, Erblinden und Kniefall folgen. In seiner Berufungsvision fehlen daher das Mahlmotiv, das Sendungsmotiv und der Schriftbeweis: Diesen führte Stephanus bereits, von dessen Missionspredigt (ApgEU) Paulus wohl gehört hatte. Erst nach seiner Taufe empfing er laut Apg 22,16ff EU den Auftrag zur Völkermission.

  • Das Kommen des Richters wird die Welt vollkommen verwandeln

Jesu Auferweckung bekräftigte für die Urchristen die Zukunftserwartung der jüdischen Prophetie (Jes 25,8 EU; 35,10 EU; Hes 37,12–14 EU) und Apokalyptik (Dan 7,2–14 EU) von einer endzeitlichen Verwandlung der Schöpfung und Überwindung des Todes (1 Kor 15 EU; Offb 21,3–5 EU). Darum verkündeten sie ihn als „Ersten der Entschlafenen“ (1 Kor 15,20 EU), sahen mit seiner Auferstehung also die Zukunft aller Toten und den Vorschein der neuen Schöpfung voraus und erwarteten sein Wiederkommen noch zu ihren Lebzeiten (1 Kor 15,51 EU; Mk 13,30 EU).

Daher spielte das leere Grab in der urchristlichen Verkündigung keine primäre Rolle. Es war nur eine sekundäre Bestätigung für die eigentliche Osterbotschaft. Es betonte die Realität des neuen Lebens Jesu und wies die Angeredeten vom Vergangenen weg zur Zukunft: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“ (Lk 24,5 EU)

  • Die Geistesgegenwart des Auferstandenen sendet die, die an ihn glauben, zur Völkermission

Die Gabe des Heiligen Geistes im Pfingstereignis bekräftigte für die Urchristen die Überwindung des Fluchs der Sprachverwirrung (Gen 11 EU), gab ihnen also Hoffnung auf Völkerverständigung und Frieden (Apg 2,1–11 EU). Schon die ersten Petruspredigten verkündeten Jesu Auferweckung daher als Hinzurufen der Völker und Erfüllung des Völkersegens Abrahams (Apg 2,14ff EU; 3,12ff EU; 4,8ff EU). Diese Erfüllung begann wie zu Lebzeiten Jesu mit dem Heilen der geschädigten Kreatur (Apg 5,12ff EU).

Diese Aspekte oder Dimensionen der Auferstehung Jesu sind im NT untrennbar, treten aber nicht überall zugleich auf. Die weitere Christologie und Soteriologie entfaltete sie dann je nach Situation der angeredeten Gemeinden.

Leiden und Kreuzestod

Hauptartikel: Jesus von Nazareth: Ereignisse am Lebensende, Passion

Der Tod Jesu Christi war für die Urchristen ebenso zentrales Glaubensthema wie seine Auferweckung. Frühe Credoformeln nennen beide Daten immer miteinander. Sie deuten den Tod sprachlich variabel, aber inhaltlich übereinstimmend als Hingabe Jesu bzw. Gottes für seine Anhänger, sein Volk und alle Menschen. Schlüssel dazu waren die Abendmahlsworte (Mk 14,22-25 EU, 1 Kor 11,23-26 EU).

Bald wurden diese Bekenntnissätze erzählend entfaltet. Die Passionsberichte der Evangelien werden auf eine gemeinsame Grundform aus der Jerusalemer Urgemeinde zurückgeführt. Sie beantworten je auf ihre Weise die Frage der Jünger nach dem Sinn des Leidens und Sterbens Jesu mit Hilfe der Schrift (Lk 24,14–17 EU). Spätere Gemeindebriefe haben Jesu Tod theologisch verschieden ausgedeutet.

Der Passionsbericht bei Markus

Das Markusevangelium ist als „Passionserzählung mit ausführlicher Einleitung“ (Martin Kähler) komponiert. Markus verknüpft Jesu Wirken in Galiläa mit Hilfe der Leidensankündigungen (Mk 8,31 EU; 9,31 EU; 10,33 EU) eng mit seinem Ende in Jerusalem und stellt es als Vorwegnahme der in der biblischen Apokalyptik verheißenen Endzeit dar. Mit Hilfe des Konzepts vom Messiasgeheimnis erklärt er, dass Jesus seine Identität zuerst geheim hielt, um sich erst in seinem Sterben als Messias und Menschensohn zu offenbaren.[13]

Der Bericht beginnt mit Jesu Ankunft in Jerusalem, gefolgt vom letzten Mahl im Rahmen eines Pessach, Festnahme, Prozess, Übergabe, Kreuztragung, Kreuzigung und Grablegung. Der Kern dieses festgefügten Ablaufs kann durch das Urcredo (1 Kor 15,3-5 EU) veranlasst worden sein. Jesus sagt hier am Vorabend seines Todes zu dem versammelten Zwölferkreis, der für ganz Israel stand und Judas Iskariot einschloss (Mk 14,24 EU): „Das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird.“ Der Ausdruck „für die Vielen“ bedeutet auf Aramäisch eine inklusive Vielzahl, also „für alle“, und zitiert aus Jes 52,13 –53,12 EU: Dort wird der stellvertretend für das ganze Volk und seine Führer leidende „Knecht Gottes“ verheißen. Manche sehen hier im Anschluss an Joachim Jeremias eine historische Erinnerung an Jesu eigene Deutung in Mk 10,45 EU.[14]

Die Kreuzigung Jesu nimmt das Endgericht über die ganze Erde vorweg: Darauf verweisen die Finsternis bei der Kreuzigung Jesu und das Stundenschema (Mk 15,33 EU), die Gerichtsansagen in Israels Prophetie symbolisch erfüllen (u. a. Am 5,18 EU; Joel 2,2 EU) und aussagen: Hier vollzieht Gott seinen vorherbestimmten Plan. Hier läuft die Frist ab, die aller Gewaltherrschaft gesetzt ist (Dan 7,12 EU). Der Text verkündet also: Das Endgericht über Israel und die Völkerwelt fand schon statt. Gott selbst habe seinen Sohn hingegeben, um Israel und alle Menschen aus diesem Gericht zu erretten.

Jesus betet am Kreuz für seine jüdischen Ankläger und römischen Henker mit Worten des 22. Psalms (Mk 15,34 EU): „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Dieser Psalm wurde seit dem Exil auf das ungerechte Leiden ganz Israels bezogen. Zu Unrecht zum Tod verurteilte Juden beteten so in Babylonien, Rom, Auschwitz, Bergen-Belsen und anderswo. Jesu Gottverlassenheit hat eine exklusive und eine inklusive Seite. Als der für die Menschheit Gerichtete erleidet er das Gericht stellvertretend für die Menschheit: Nur er kann das, nur er tut das. Niemand anderes kann und soll das noch tun. Als der mit und für alle ungerecht Leidenden schreit er nach Gottes Gerechtigkeit.

Beide Seiten sind nicht von der Geschichte des jüdischen Volkes zu trennen. Denn der Beter von Psalm 22 appelliert an den Gott des Exodus und stellt sein Leiden in Israels Gesamtgeschichte hinein. Er betet und leidet mit seinem und für sein Volk (Claus Westermann).

Markus überliefert einen Abschiedsschwur Jesu beim Passahmahl (Mk 14,25 EU): „Ich werde nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken bis zu dem Tag, an dem ich von neuem davon trinke im Reich Gottes.“ Demgemäß lehnt er am Kreuz den Betäubungstrank seiner Henker ab (Mk 15,23 EU), nimmt aber nach seiner Gerichtsklage (Mk 15,34 EU) den Weinessig aus der Hand von Juden an, die hofften, der Prophet Elija werde ihn retten.

Das Gericht Gottes ist also für Markus nicht vom Eingehen (Kenosis) Jesu in die Leidens- und Hoffnungsgeschichte Israels zu trennen. Gerade im Sterben Jesu liege Hoffnung. Gott selbst sei darin präsent, leide und sterbe mit seinem Sohn. Gottes Reich werde kommen und alle Gewaltherrschaft überwinden. Jesus selber habe diese Zusage Gottes für alle hoffnungslos Versklavten und Gefolterten ultimativ bekräftigt, indem er sein Leben am Fest der Befreiung Israels für alle Völker hingab. So begründet die älteste narrative Deutung des Kreuzestodes Jesu eine unkündbare Solidarität von Christen mit Juden und allen zu Unrecht Verfolgten.

Deutungsmotive im NT

Die Urchristen deuteten Jesu Leiden und Tod großenteils mit biblischen Kategorien und Motiven:[15]

Motiv Vorkommen
Bindung Mk, Paulus, Hebr
Dahingabe Mt, Mk, Lk, Paulus, Eph, Kol, 1Petr
für die Vielen (Jes 53 EU) Mt, Mk, Lk, Paulus, Hebr, 1Petr
für die Menschheit/die Freunde Joh
Fluch Gal
Kontrastschema:
gestorben (durch Menschen)
auferweckt (durch Gott)
Apg
Leiden für Mt, Mk, Lk, Paulus, Hebr, 1Petr
Leiden des Gerechten 1 Joh
Loskauf
Lösegeld
Erlösung
Mt, Mk, Paulus, Eph, Kol, Pastoralbriefe, 1Petr, Offb
Löschung der Schuldurkunde Eph, Kol
Erfüllung der Schrift („muss“) Mt, Mk, Lk, Joh
Pascha(lamm) Mt, Mk, Lk, Joh, Paulus, Offb
Prophetenverfolgung Mt, Mk, Lk, 1Thess
Sühne Mt, Mk, 1Joh, Paulus, Eph, Kol, Hebr, 1Petr, Offb
Versöhnung Paulus, Eph, Kol

Urchristliche Titel

Der Tanach war für die Jünger Jesu und das Urchristentum der Schlüssel, Jesu Tod und seine Auferweckung als vorherbestimmten Willen Gottes zu verstehen. Daraus erklären sich viele Jesu zugedachten Titel wie „Sohn Davids“, „zweiter Adam“ sowie Analogiebildung wie „Adonai“, „Kyrios“, „Maschiach“, „Christos“ usw. Viele historisch-kritische Neutestamentler halten es für wahrscheinlich, dass Jesus sich selber mit keinem von der jüdischen Tradition vorgegebenen Hoheitstitel bezeichnete oder identifizierte.[16]

Sohn Davids

Auf einen „Sohn Davids“, einen Nachfahren von König David, der Großisrael gründete, seine Feinde besiegte und den Tempelbau einleitete, richtete sich die eschatologische Erwartung in der Spätzeit des AT.[17] David erhielt die Zusage ewiger Thronfolge (2 Sam 7,13f EU), nachdem er die Bundeslade des alten 12-Stämmebundes nach Jerusalem überführt hatte. Daran knüpfte die Exilsprophetie nach dem Untergang des Königtums an: Der Messias wurde als später „Spross“ der Davidsippe erhofft (Jes 11,1 EU).

In der Qumrangemeinde wird dieses Messiasbild mit der vom Volk erhofften gerechten Rechtsprechung für die Armen und Heilung der Kranken verbunden.[17] Wo Jesus im NT Sohn Davids genannt wird, stehen derartige Erwartungen im Vordergrund. Dem hat Jesus nicht widersprochen (Mk 10,46–52 EU).

Aber der neue David sollte Israel auch gewaltsam aus der Hand seiner Feinde befreien: Dem hat Jesus zeichenhaft widersprochen und stattdessen an den machtlosen Messias Sacharjas erinnert (Mk 11,1–10 EU). Er soll auch betont haben, dass der Messias kein Nachfahre, sondern Vorfahre Davids und diesem übergeordnet sei (Mk 12,35f EU): Das spielte offenbar auf den präexistenten „Menschensohn“ an, der aus Gottes Bereich stamme (Dan 7,13f EU).

Christus

Christos übersetzt das hebräische Maschiach („der Gesalbte“) ins Griechische. Die Salbung des Hauptes mit kostbarem Öl durch einen Propheten zeigte in Israel die göttliche Berufung eines neuen Königs an (1 Sam 10 EU). Der Hoheitstitel bezeichnete also Thronanwärter, die so zu Schutz und Hilfe für das Volk beauftragt und verpflichtet wurden. Nach dem Untergang des Königtums (586 v. Chr.) wurde der Titel auf den Hohenpriester übertragen. Erst in nachbiblischen Texten wie den Qumran-Schriftrollen bezeichnete er manchmal auch den seit Jesaja für die Endzeit erwarteten Heilsmittler.

Die Evangelien verwenden den Titel für Jesus im letzten Sinn, jedoch nur selten und nie in Eigenaussagen Jesu. Die Messiaserwartung wurde demnach von außen an Jesus herangetragen. Dabei betonen die Texte, dass er sich von falschen Erwartungen seiner Zeitgenossen abgegrenzt habe. So folgt dem Messiasbekenntnis des Petrus Jesu Hinweis auf sein notwendiges Erlösungsleiden (die erste Leidensankündigung im Markusevangelium).

Da die biblische Tradition Könige, Priester und einen Propheten Israels als von Gott Gesalbte bezeichnet,[5] besagt der Christustitel im NT, dass Jesus alle drei Funktionen für sein Volk und die Völker ausübte und übernahm. Im Erzählzusammenhang wird die Messiaswürde Jesu durch sein Lehren und Entscheiden (Bergpredigt), Heilen und Retten (Wunder Jesu), vor allem aber durch seine stellvertretende Schuldübernahme veranschaulicht. Diese Rolle war im Tanach nicht vom Messias, aber vom Gottesknecht (Jes 53) angekündigt worden.

Sohn Gottes

In der hebräischen Bibel bezeichnet „Sohn Gottes“ zum einen jeden gottesfürchtigen Israeliten, zum anderen das ganze Volk (Hos 11,1 EU), meist aber den König Israels (2 Sam 7,14 EU; Ps 2,7 EU; 89,27f EU u.ö.). Texte aus Qumran verwendeten den Titel einmal auch für den Heilsbringer. Im NT wird er in dieser Form von Kajaphas an Jesus herangetragen (Mk 14,61 EU) und dann im hellenistisch beeinflussten Urchristentum verwendet.

Die Paulusbriefe (z. B. Röm 1,3 EU) und das Markusevangelium (z. B. Mk 15,39 EU) verwenden vorzugsweise den Sohn-Gottes-Titel, um die Besonderheit dieses Messias gegenüber dem Judentum hervorzuheben. Die Adoptionsaussage Gottes im Zusammenhang der Taufe Jesu „Du bist mein geliebter Sohn“ (Mk 1,11 EU par.) zitiert indirekt PsEU („Mein Sohn bist du“), der auf ein Krönungsritual für israelitische Könige bezogen wird.[18]

Das Johannesevangelium (Joh 5,19ff EU; 8,35f EU) lässt Jesus von sich oft als „dem Sohn“ oder auch direkt als dem „Sohn Gottes“ reden (Joh 5,25 EU; 9,35-37 EU; 10,36 EU).

Gott

Jesus selbst nannte sich nie „Gott“, aber Thomas sprach ihn mit „Mein Herr und mein Gott!“ an (Joh 20,28 EU). Auch in mehreren Briefen wird Jesus ausdrücklich als Gott bezeichnet: „… in seinem Sohn Jesus Christus. Er ist der wahre Gott und das ewige Leben“ (1 Joh 5,20 EU); „das Erscheinen der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Retters Christus Jesus“ (Tit 2,13 EU). Weitere in diese Richtung zielende Aussagen finden sich in Joh 1,1 EU; Röm 9,5 EU; Kol 2,2 EU; Hebr 1,8-10 EU; 2 Petr 1,1 EU. Daraus wird gefolgert, dass das NT Jesus als Gott bezeichne.[19]

Eine Gleichsetzung von Jesus mit Gott wird mehrmals auch indirekt ausgedrückt, indem Aussagen wie „Ich bin das Alpha und das Omega“ sowohl im Mund Gottes als auch im Mund Jesu erscheinen (Offb 1,8 EU; Offb 22,13 EU).[20] Siehe auch: Trinität.

Hoherpriester

Gemäß dem Hebräerbrief ab Kapitel 2 EU läuft das levitische Priestertum im Neuen Bund aus (Heb 7,18-22 EU) und Jesus gilt unter Bezugnahme auf Psalm 110,4 (Ps 110,4 EU) als neuer „Apostel und Hohepriester“ (Heb 3,1 EU) „nach der Ordnung Melchisedeks“ (Heb 5,6 EU).

Menschensohn

Der Titel Menschensohn bezieht sich im Buch Daniel auf einen Heilsmittler der Endzeit. In der Vision vom Endgericht erscheint er nicht mehr als Nachkomme Davids und irdischer König, sondern als Himmelswesen. Er werde Gottes Reich verkörpern und durchsetzen, nachdem Gott selbst das Endgericht über alle irdische Gewaltherrschaft vollzogen habe. Daraufhin würden alle Menschen ihm dienen, und sein Reich werde ewig sein (Dan 7,2–14 EU).

Damit hielt die jüdische Apokalyptik in einer Situation der äußersten Existenzbedrohung des Judentums die früheren prophetischen Verheißungen fest, die vom Messias den Völkerfrieden erwartet hatten. Dieser wurde nun nicht mehr als innergeschichtliche Entwicklung, sondern erst vom Kommen Gottes zum Endgericht, also zugleich mit dem Ende der Weltgeschichte, erhofft.

Der Menschensohntitel taucht im NT bis auf eine Ausnahme (Apg 7,56 EU) nur in wörtlicher Rede Jesu auf. In Texten, die der hypothetischen Logienquelle zugeordnet werden, redet er stets in der dritten Person vom kommenden Menschensohn. Die Frage, ob er sich oder einen anderen meinte, gehört zu den wichtigsten Streitthemen der NT-Forschung.

Bei Markus nimmt Jesus schon in Galiläa die Vollmacht des Menschensohns in Anspruch, um Sünden zu vergeben (Mk 2,10 EU) und am Sabbat zu heilen (Mk 2,28 EU). Später kündigt er die Auslieferung des Menschensohns an seine Feinde an (Mk 8,31 EU). Nach Mk 10,35–45 EU sei der Menschensohn zum Dienen, nicht zum Herrschen, und zur Hingabe seines Lebens „für viele“ gekommen: Dieser Ausdruck spielt auf Jes 53 EU an, verbindet also die Menschensohnerwartung mit der Verheißung des leidenden Gottesknechts.

Das Sterben des Menschensohns war in Daniels Vision nicht vorgesehen, weil er dort erst erscheint, nachdem Gott Israels Feinde besiegt hat. Die apokalyptische Umkehr der Machtverhältnisse nach dem Endgericht wird im NT also vom vorherigen stellvertretenden Leiden des Stellvertreters Gottes für Israel abhängig gemacht. Darum konnten die Urchristen Jesu Sterben später als der Menschheit dienenden Machtverzicht des Sohnes Gottes (Phil 2,7 EU) und stellvertretende Übernahme des Endgerichts (Mk 15,34 EU) deuten.

In den Reden über das Endgericht (Mk 13 EU, Mt 25 EU, Lk 21 EU, JohEU Joh 5,19–30 EU) erscheint der Menschensohn als Weltrichter. Er vertritt also Gott selbst in dieser Funktion.

Nach Ostern ersetzte die Jerusalemer Urgemeinde den Menschensohntitel durch den Kyrios-Titel, um Jesu Erhöhung an Gottes Seite auszudrücken. Nur Stephanus bekannte sich zum erhöhten Menschensohn (Apg 7,56 EU) und wurde dafür vom Sanhedrin zu Tode gesteinigt.

Kyrios

Kyrios (griechisch für „Herr“) übersetzt das hebräische Adonai („meine Herren“) ins Griechische. Diese Anrede ersetzte den Gottesnamen JHWH im nachexilischen Judentum; demgemäß verwendete die Septuaginta durchgängig „Kyrios“ an dessen Stelle.[21] Die Urchristen übertrugen diesen Titel auf Jesus: Er kommt für ihn in fast allen NT-Schriften außer den Johannesbriefen und dem Titusbrief vor und ist somit der zweithäufigste Titel Jesu im NT.[22]

Der Titel spielt bei Markus und Matthäus eine eher untergeordnete Rolle, wird aber von Lukas häufig verwandt (Lk 1,43 EU, Lk 2,11 EU, Lk 24,34 EU, Lk 1,76 EU).[23]

Wilhelm Bousset sah den Titelgebrauch bei hellenistischen Urchristen von griechischen Mysterienkulten her beeinflusst, deren Anhänger ihre Kultgötter als „Kyrios“ anriefen. Die Jerusalemer Urgemeinde habe ihn nicht verwendet.[24] Oscar Cullmann dagegen verwies auf den religiösen Gebrauch des Titels auch im Judentum: Die Urgemeinde habe ihn daher ebenfalls verwendet.[25]

Das hebräische Adonai und aramäische Mar wurden im weltlichen und geistlichen Kontext verwendet. So werden im Genesis-Apokryphon aus Qumran Menschen und Gott ohne sprachlichen Unterschied als „Mar“ angesprochen. Die Formel Maranatha („Unser Herr, komm!“, z. B. in 1 Kor 16,22 EU) gilt als einer der frühesten Glaubenssätze aus der Urgemeinde neben Phil 2,11 EU („Jesus Christus ist der Herr!“).

Im NT bezieht sich der Kyrios-Titel auf die Heiligkeit, Machtfülle und Weltherrschaft Jesu Christi. Besonders Ps 110,1 EU wurde zur Übertragung des Titels von Gott auf Jesus herangezogen (vgl. Mt 22,44 EU):[26]

„So spricht der Herr zu meinem Herrn: Setze dich mir zur Rechten und ich lege dir deine Feinde als Schemel unter die Füße.“

Der Messias ist in der jüdischen Tradition ein von Gott erwählter, aber sterblicher Mensch. Dass Juden, die an Jesus als Messias glaubten (siehe Messianische Juden), ihn wie Gott als Kyrios anriefen, gilt auch als Indiz dafür, dass der historische Jesus den Titel des kommenden Menschensohns von DanielEU verwendete. Weil man respektierte, dass Jesus sich vor Ostern so nannte und nun zu Gott erhöht worden war, habe der Kyriostitel den Menschensohntitel nach Ostern ersetzt.[27]

Lamm Gottes

Frühe Mosaikdarstellung des Lamm Gottes in der Basilika Santa Prassede

Die Anrufung Lamm Gottes (Joh 1,29 EU) (lat. Agnus Dei) steht nach verbreiteter Ansicht für die Sühnopferdeutung des Todes Jesu im Rahmen eines Passahfestes, die an die Weissagung vom „Gottesknecht“ Jes 53,7 EU anknüpft.[28] Martin Hastischka bezweifelt jedoch einen auf das Passahlamm, die Opferung Isaaks oder das Lamm der jüdischen Apokalyptik zurückgehenden Bezug und hält den Titel für ein allgemein verbreitetes Symbol der Macht- und Wehrlosigkeit.[29]

Christus als das geschlachtete Passahlamm hat im Johannesevangelium auch in der Passion eine wesentliche Bedeutung, wo der Tod Jesu mit dem Zeitpunkt des Schlachtens der Pessachlämmer im Tempel synchronisiert wird (Joh 19,14.31–36 EU). Daneben verwenden 1 Kor 5,7 EU, 1 Petr 5,7 EU und die Offenbarung (Offb 5,6 EU) das Bild vom geopferten Lamm.

Logos

Der Titel Logos λόγος kennzeichnet im NT den Johannesprolog (Joh 1,1.14 EU). Der Autor – wahrscheinlich der Evangelist – übersetzte hier zum einen das hebräische dabar für Gottes unmittelbar wirkende Rede im Tanach mit einem Zentralbegriff der griechischen Philosophie, zum anderen – und das ist einzigartig – identifizierte er ihn mit der Person des Heilsmittlers und bezog ihn auf dessen Präexistenz vor der Schöpfung.

Diese Gleichsetzung unterscheidet den Begriff nach Hans Conzelmann auch von den Begriffen Ebenbild oder Bild Gottes εἰκών (2 Kor 4,4 EU) und Weisheit (1 Kor 1,30 EU) für Jesus bei Paulus.[30]

Zweiter oder letzter Adam

Paulus nennt Jesus den „zweiten“ oder „letzten Adam“ und bezieht ihn damit auf den ersten Menschen in der biblischen Schöpfungsgeschichte. Er beschreibt ihn nicht als seinen Nachkommen, sondern als heilenden Gegensatz: Gegenüber dem aus Erde geschaffenen, durch seine Sünde den Tod für die Menschen auslösenden Adam (Röm 5,12 EU) komme Jesus „vom Himmel“ (1 Kor 15,47 EU) und habe den Tod für die Menschen überwunden (Röm 5,17f EU). Im Gegensatz zur irdischen (1 Kor 15,45 EU) verkörpere Jesus die pneumatische Existenzform, die er selbst wirkend erschaffe (1 Kor 15,47 EU). Wie Adam zum Stammvater der sündigen Menschheit geworden sei, so gehe aus Jesus die himmlische Gemeinde als Leib Christi hervor (1 Kor 15,48 EU; vgl. Kol 1,18 EU).

Weitere Titel und Attribute

Pfarrkirche Zum Guten Hirten (Wien): Christus als Guter Hirte des slowakischen Bildhauers Otto Čičatka (1914–1994)

Zudem finden sich im NT weitere Titel und Attribute für Jesus Christus:

Siehe auch

Literatur

Einzelnachweise

  1. Bernhard Lang: Die Bibel, Ferdinand Schöningh, Paderborn 1992, S. 87.
  2. Bernhard Lang: Die Bibel. S. 86f.
  3. Reinhard Nordsieck: Das Thomasevangelium. Neukirchener Verlag, 2. Auflage. 2004, Einleitung (Forschungsgeschichte) S. 7–23.
  4. Duden: Jesus Christus, der: Lateinisch dekliniert lauten der Genitiv: Jesu Christi, Dativ und Ablativ: Jesu Christo, Akkusativ: Jesum Christum. Im Deutschen ist heute nur noch der lateinische Genitiv gebräuchlich, in der Liturgie auch der Vokativ (Anruf) Jesu Christe („O Jesus Christus!“).
  5. a b Marinus De Jonge: Christ. In: David Noel Freedman (Hrsg.): The Anchor Bible Dictionary. Band 1. Doubleday, New York, N.Y. etc. 1992, ISBN 0-385-19351-3, S. 914 f. (englisch).
  6. Ben F. Meyer: Jesus Christ. In: David Noel Freedman (Hrsg.): The Anchor Bible Dictionary. Band 3. Doubleday, New York, N.Y. etc. 1992, ISBN 0-385-19361-0, S. 773 (englisch).
  7. Fritz Rienecker: Sprachlicher Schlüssel zum Griechischen Neuen Testament. Brunnen, 17. Auflage, Gießen/Basel 1984, S. 42.
  8. Martin Noth: Die israelitischen Personennamen im Rahmen der gemeinsemitischen Namengebung. 1928, S. 154.
  9. Karl Heinrich Rengstorf: Artikel Jesus Christus. In: Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament, Brockhaus, 9. Auflage, 1993, S. 757.
  10. Martin Karrer: Jesus Christus im Neuen Testament. S. 47 und Fn. 76
  11. Adelheid Ruck-Schröder: Der Name Gottes und der Name Jesu: eine neutestamentliche Studie. Neukirchener Verlag, 1999, ISBN 3-7887-1706-8.
  12. Detlef Häuser: Glaubensbekenntnis und Jesusüberlieferung bei Johannes. S. 114–117.
  13. Walter Schmithals: Einleitung in die ersten drei Evangelien. Walter de Gruyter, Berlin 1985, ISBN 3-11-010263-3, S. 419. und S. 425.
  14. Joachim Jeremias: Das Lösegeld für Viele. In: Judaica 3 (1947), S. 249–264; rezipiert bei Eckhard Schnabel, Heinz-Werner Neudorfer: Das Studium des NT. R. Brockhaus, 2011, ISBN 978-3-417-29430-9, S. 139.
  15. Martin Karrer: Jesus Christus im Neuen Testament. S. 173.
  16. Matthias Kreplin: Das Selbstverständnis Jesu. Zürich, 2001, S. 83 ff.
  17. a b Bernhard Lang, Dieter Zeller: Messias/Christus. In: Manfred Görg, Bernhard Lang (Hrsg.): Neues Bibel-Lexikon. Band 2. Benziger, Zürich 1995, ISBN 3-545-23075-9, S. 782–785.
  18. Hyam Maccoby: Jesus und der jüdische Freiheitskampf, Ahriman-Verlag, 1996, S. 87.
  19. Horst Georg Pöhlmann: Abriß der Dogmatik. Ein Kompendium.41973, S. 236.
  20. Dass hier Jesus spricht, ergibt sich aus Offb 22,12+20 EU. Weitere Gleichsetzungen besprochen bei Franz Graf-Stuhlhofer: Jesus Christus – Gottes Sohn. Leun 32012, S. 24–31; zu den direkten Aussagen S. 39–41.
  21. P. Maiberger, Artikel „Herr“ (AT), NBL Bd. 2, Spalte 127
  22. Martin Karrer: Jesus Christus im Neuen Testament. Göttingen 1998, S. 340.
  23. Petr Pokorny: Theologie der lukanischen Schriften, Vandenhoeck und Ruprecht, 1999, S. 116.
  24. Wilhelm Bousset: Kyrios Christos – Geschichte des Christusglaubens von den Anfängen des Christentums bis Irenäus. Vandenhoeck & Ruprecht, 5. Auflage. 1965, S. 75–84.
  25. Oscar Cullmann: Die Christologie des Neuen Testaments. Mohr Siebeck, 5. Auflage. Tübingen 1975, S. 200ff; so auch Werner Georg Kümmel: Die Theologie des Neuen Testaments nach seinen Hauptzeugen Jesus, Paulus, Johannes, Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1969, S. 99–103.
  26. K. Woschitz: Art. „Herr“ (NT), NBL, Bd. 2, Spalte 129
  27. Bertold Klappert: Die Auferweckung des Gekreuzigten: Der Ansatz der Christologie Karl Barths im Zusammenhang der Christologie der Gegenwart. Neukirchener Verlag, 3. Auflage. 1981, ISBN 3-7887-0429-2, S. 141, Anmerkung 11
  28. Rainer Metzner: Das Verständnis der Sünde im Johannesevangelium. Humboldt Universität Berlin, 1998, S. 143–155.
  29. Martin Hasitschka: Befreiung von Sünde nach dem Johannesevangelium. Tyrolia-Verlag, 1989, S. 112ff und 233ff
  30. Hans Conzelmann: Grundriss der Theologie des Neuen Testaments. Christian Kaiser Verlag, München 1967, S. 363–367.
  31. Darf ein Muslim das? Rezension von Daniel Haufler in Frankfurter Rundschau am 2. August 2013
  32. Katharina Granzin: Der Exorzist und seine Interpreten, taz, 1. März 2014, S. 27.

Weblinks

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