Die letzten Tage der Menschheit

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Die letzten Tage der Menschheit ist eine „Tragödie in 5 Akten mit Vorspiel und Epilog“ von Karl Kraus. Sie entstand in den Jahren 1915 bis 1922 als Reaktion auf den Ersten Weltkrieg. In 220 Szenen, die vielfach auf authentischen zeitgenössischen Quellen beruhen, wird die Unmenschlichkeit und Absurdität des Krieges dargestellt. Das Stück ist einem „Marstheater“ zugedacht und bisher noch nie komplett aufgeführt worden.

Entstehungsgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs schwieg Karl Kraus zunächst in der Öffentlichkeit, seine Zeitschrift Die Fackel erschien auch nach der üblichen Sommerpause nicht. Erst am 19. November 1914 hielt er in seiner 80. Vorlesung die „Anrede“ In dieser großen Zeit, die auch in der Nr. 404 von Die Fackel am 5. Dezember 1914 erschien. Darin wandte er sich entschieden gegen den Krieg.

Im Juli 1914 formulierte Kraus sein Arbeitsprogramm für »Die Letzten Tage der Menschheit«:

„Vor dem Totenbett der Zeit stehe ich und zu meinen Seiten der Reporter und der Photograf. Ihre letzten Worte weiß jener, und dieser bewahrt ihr letztes Gesicht. Und um ihre letzte Wahrheit weiß der Photograf noch besser als der Reporter. Mein Amt war nur ein Abklatsch eines Abklatsches. Ich habe Geräusche übernommen und sagte sie jenen, die nicht mehr hörten. Ich habe Gesichte empfangen und zeigte sie jenen, die nicht mehr sahen. Mein Amt war, die Zeit in Anführungszeichen zu setzen, in Druck und Klammern sich verzerren zu lassen, wissend, dass ihr Unsäglichstes nur von ihr selbst gesagt werden konnte. Nicht auszusprechen, nachzusprechen, was ist. Nachzumachen, was scheint. Zu zitieren und zu photografieren.“

(Karl Kraus, 1914)

Vielleicht bedingt durch seine Versöhnung mit Sidonie Nádherná von Borutín im Sommer 1915 äußerte sich Kraus’ Kriegsgegnerschaft auch in verstärkter Produktivität. Zwischen dem 5. und 22. Juli stellte er den Band Untergang der Welt durch schwarze Magie aus Artikeln der Fackel zusammen. Ab dem 26. Juli arbeitete er an seinem Weltkriegsdrama, das ab Oktober den Titel Die letzten Tage der Menschheit trug. Einzelne Szenen veröffentlichte er in Nummern der Kriegs-Fackel, viele andere Texte der Fackel sind Vorstufen zu Szenen im Drama, Fackel und Drama sind zu großen Teilen zeitgleich entstanden. Wesentliche Teile entstanden bis Sommer 1917, vor allem während Kraus’ Aufenthalten in der Schweiz.

Über ein Drittel des endgültigen Textes ist aus Zitaten montiert: aus Zeitungen, militärischen Tagesbefehlen, Gerichtsurteilen, eigenen und fremden Briefen, Verordnungen und Erlassen, Verlautbarungen des Kriegspressequartiers, Anordnungen der Zivilbehörden, Kriegspredigten, Ansprachen, Prospekten, aber auch Postkarten, Photos und Plakaten u. a. Kraus schrieb darüber im Vorwort: Die unwahrscheinlichsten Taten, die hier gemeldet werden, sind wirklich geschehen; ich habe gemalt, was sie nur taten. Die unwahrscheinlichsten Gespräche, die hier geführt werden, sind wörtlich gesprochen worden; die grellsten Erfindungen sind Zitate. Die erste Fassung des Dramas ist noch wesentlich geprägt von Kraus’ konservativer Haltung, die er bis in die zweite Hälfte des Weltkriegs beibehielt. Er war ein Verehrer des Thronfolgers Franz Ferdinand gewesen, schätzte die Habsburger und das österreichische Militär hoch. In dieser Phase machte er vor allem die liberale Presse, besonders die Neue Freie Presse, hauptverantwortlich für den Krieg. Erst ab etwa 1917 löste er sich von dieser Sicht und näherte sich der Sozialdemokratie an. Neben der Presse machte er jetzt auch die Habsburger, verantwortungslose Politiker und Militärs für den Krieg verantwortlich. Besonders scharf griff er Wilhelm II. an, dem er – gestützt auf Erinnerungen seiner Zeitgenossen an ihn – Inkompetenz, Größenwahn und Sadismus vorwarf.

Erscheinen konnte das Werk erst nach Aufhebung der Zensur. Noch am 13. Dezember 1918[1] erschien der Epilog als Sonderheft der Fackel, weitere Teile (mit jeweils zwei Akten) folgten im April, August und (wahrscheinlich) September 1919. Diese sogenannte Aktausgabe erreichte mit Nachdrucken eine Auflage von 6.000 Exemplaren.

Bedingt durch seine veränderte Einstellung zu den Habsburgern und dem Militär sowie auch durch erst nach Kriegsende zugängliche Informationen veränderte Kraus in den nächsten Monaten die Letzten Tage wesentlich. Rund 50 Szenen kamen neu hinzu, während nur eine gestrichen wurde. Die Szenenabfolge wurde völlig verändert. Die Dialoge zwischen dem Optimisten und dem Nörgler wurden ausgebaut, ebenso die deutschlandkritischen Bereiche. Die Verehrer der Reichspost wurden eingefügt, um neben der liberalen Neuen Freien Presse nun auch die christlich-soziale Reichspost bloßzustellen.

Die sogenannte Buchausgabe erschien am 26. Mai 1922 in einer Auflage von 5.000 Stück. Die korrigierten Druckfahnen umfassten mehr als 16.000 Seiten, ehe das Werk seine endgültige Fassung bekam. Eine zweite, gleich hohe Auflage folgte im Dezember 1922. Die dritte Auflage 1926 von 7.000 Stück blieb bis zum Tode von Kraus lieferbar. Das Frontispiz der ersten Buchausgabe zeigt das offizielle Foto der Hinrichtung des italienischen Irredentisten und ehemaligen Reichsratsabgeordneten Cesare Battisti durch den Wiener Scharfrichter Josef Lang 1916 in Trient.[2][3]

Das Werk[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Inhalt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Drama hat keine fortlaufende Handlung, sondern besteht aus 220 unterschiedlich langen Szenen, die eine Vielzahl realer und fiktiver Figuren – von den Kaisern Franz Joseph und Wilhelm II. bis zum „einfachen Soldaten, der namenlos ist“ – in verschiedenen Situationen des Kriegsalltags zeigen. Das Werk ist zeitlich geordnet vom Sommer 1914 vor Kriegsausbruch (Vorspiel), durch die viereinhalb Kriegsjahre in fünf Akten, bis zu einem expressionistischen Epilog, der zur Gänze auf den Schlachtfeldern spielt.

Nur wenige Szenen führen den Leser in die Nähe der Kampfhandlungen oder gar direkt an die Front. Die wahren Gräuel des Krieges sieht Kraus im Verhalten jener Menschen, die in ihrer Oberflächlichkeit Ernst und Schrecken des Krieges weder wahrnehmen wollen noch können, sondern sich fernab vom Schauplatz bereichern und den Krieg mit Phrasen beschönigen: Journalisten, Kriegsgewinnler, hohe Militärs, die sich fern vom Schlachtfeld im Ruhm ihres militärischen Ranges suhlen.

„Wir haben den Krieg bislang zu sehr von der Vorderseite aus gesehen. An die Kulisse haben die wenigsten gedacht. Hier wird sie uns in erschreckender Plastik zum erstenmal gezeigt. Was wir bisher von dem Elend gesehen, den Mord und die Vernichtung, ist noch nicht der Krieg in seinem ganzen Umfang gewesen. Die zerfetzten Leiber, die im Drahtverhau zappelnden Verwundeten, die Leiden des Schützengrabens, die brennenden Dörfer und Städte, die geplünderten Heimstätten, die entehrten Frauen, die versklavten Männer sind Erscheinungen der Vorderseite jener angeblich gottgewollten Einrichtung. Kraus wendet unsern Blick erbarmungslos zu den noch größeren Greueln der Rückseite. Er läßt uns einen Einblick tun in jenes Getriebe, aus dem das Gift herausgewachsen ist, und zeigt uns, wie dieses belebend auf die Mikroben der Fäulniserregung einwirkt. Er zeigt uns, wie der aufgewirbelte Schlamm sich an der Sonne lieblich färbt, der Eiter in Gold erglänzt, der Kot sich als Edelstein gibt. Man faßt sich bei der Lektüre dieses Werkes an den Kopf und sagt sich kleinlaut: Wir haben bisher falsch gesehen, unsere Anschauung vom Krieg war Irrtum; Dieser hat erst das Land des Krieges entdeckt, an dessen Küsten wir bislang herumirrten. Dieser lehrt uns sehen. In Karl Kraus’, des Wieners, »Letzte Tage der Menschheit« sehen wir den Krieg zum ersten Mal von allen Seiten.“

Die Technik von Kraus’ Satire besteht großenteils darin, dass er teils wörtlich, teils nur dem Tonfall nach Zitiertes in den Dialogen der Szenen so montiert, dass gedankenlose Rücksichtslosigkeit, Dummheit und Verlogenheit offenbar werden: Zum Beispiel im feinen Ton, den wir selbst gegenüber den Feinden anschlagen, die doch die größte Pakasch sind auf Gottes Erdboden (I, 11). Kraus entlarvt die Phrasen und Worthülsen („Der Krieg sei ausgebrochen“ – scheinbar, wie eine unabwendbare Naturkatastrophe) und weist auf die Profiteure hin. In nuce findet sich Kraus’ darauf bezogene Kritik im Satz des Nörglers, Kraus’ Alter Ego in dem Werk: Jawohl, es handelt sich in diesem Krieg!

Die Dialoge enthalten jüdische, wienerische und berlinerische Wortfetzen, mundartliche Ausdrücke, Redensarten, geflügelte Worte, Phrasen sowie literarische und musikalische Anspielungen und Zitate. Das Stück ist eine strukturierte Großcollage, gesammelt, montiert, einverleibt, verdaut – und als großes Drama wieder ausgespuckt. Über die Hälfte des Textes sind wörtliche Zitate, die auf Dokumenten beruhen, die Kraus über viele Jahre gesammelt hat. Zeitungsartikel, zufällig erlauschte Gespräche und solche, an denen er selbst beteiligt war, Briefe, Verlautbarungen, Gerichtsurteile, Verordnungen und Erlässe, Annoncen, Ansprachen, Tagebücher, Kriegspredigten, Prospekte, aber auch Postkarten, Photos, Plakate.

Das Drama endet in einer apokalyptischen Szene mit der Auslöschung der Menschheit durch den Kosmos. „Ich habe es nicht gewollt“ – der letzte Satz Gottes im Drama – ist auch eine Anspielung auf eine Äußerung Kaiser Wilhelms II.

Schauplätze[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die 220 Szenen finden an insgesamt 137 unterschiedlichen Orten statt, die Schauplätze umfassen das gesamte vom Krieg erfasste Gebiet, von Serbien, Bosnien und Galizien bis nach Frankreich, Italien und Russland. Über die Hälfte aller Szenen spielt in Wien, andere in Berlin, Belgrad, Konstantinopel, Sofia, in den Karpaten, am Semmering und im Vatikan. Trotz ständiger Ortswechsel bleibt der Zuschauer aber zumeist in weiter Entfernung zum tatsächlichen Kampfgeschehen. Nur 33 Szenen spielen direkt an der Front, und davon sind allein 20 Szenen Teil des Epilogs, der zur Gänze auf den Schlachtfeldern angesiedelt ist.

Figuren[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In den 220 Szenen des Stückes treten ständig neue, unterschiedlichste Figuren auf, in hunderten Stimmen und Dutzenden Dialekten, in allen Farben und Schattierungen von Amts-, Fach- und Umgangssprachen, insgesamt sind es 1114 sprechende und stumme Rollen, Stimmen, Gruppen und Chöre. Die monumentale Personenliste reicht vom Wiener Pülcher und der Straßendirne bis zu kaiserlichen Hoheiten, Erzherzögen, einfachen Soldaten und dem Papst, sie nennt Zeitungsausrufer, Zeitungsleser und Zeitungsherausgeber genauso wie kriegsbegeisterte Kinder, opportunistische Schauspielerinnen, fanatisierte Priester, kriegstrunkene Literaten, dekadente Feschaks, Bettler, Blinde, Invalide, Kriegskrüppel, Larven und Lemuren, Hyänen, Verwundete, Sterbende und Tote. Aber sie nennt keinen Helden. Anti-Helden sind nicht einzelne Figuren, sondern die ganze Menschheit, die sich als des Lebens auf der Erde unwürdig erwiesen hat:

„»Ich habe eine Tragödie geschrieben, deren untergehender Held die Menschheit ist. Weil dieses Drama keinen anderen Helden hat als die Menschheit, so hat es auch keinen Hörer. Woran aber geht mein tragischer Held zugrunde? War die Ordnung der Welt stärker als seine Persönlichkeit? Nein, die Ordnung der Natur war stärker als die Ordnung der Welt. Er zerbricht an der Lüge. Er vergeht an einem Zustand, der als Rausch und Zwang zugleich auf ihn gewirkt hat.«“

(Die letzten Tage der Menschheit, Szene 5,54)

Besonders markante Zeitgenossen – etwa Kaiser Wilhelm II. oder den „Herrn der Hyänen“ (Moriz Benedikt) – baute Kraus nahezu originalgetreu in sein Drama ein. Die Kriegsberichterstatterin Alice Schalek wurde von ihm als negativer Typus des sensationsgierigen Kriegsberichterstatters verewigt („Ich möchte nämlich wissen, was haben Sie gefühlt, als Sie den Riesenkoloss mit so viel Menschen im Leib ins nasse, stumme Grab hinabgebohrt haben“, II 31). Weitere historische Figuren im Drama sind u. a. Papst Benedikt XV., Armeeoberkommandant Erzherzog Friedrich, Wilhelm Exner, Hugo Heller, Hugo von Hofmannsthal, Paul von Hindenburg, Feldmarschall Franz Conrad, Kaiser Franz Joseph I., Julius Landesberger von Antburg, Alfred von Montenuovo, Hansi Niese, Prinz Leopold IV. zu Lippe, Rainer Maria Rilke, Rudolf Sieghart, Innenminister Karl Freiherr von Udynski, Franz Werfel, Anton Wildgans.

Die Figuren des Nörglers und des Optimisten treten im Stück immer wieder als satirische Kommentatoren auf und verwenden in der „Tradition des Comicpärchens“ (Hilde Haider-Pregler) Elemente aus der Unterhaltungskultur: Optimist (rundlich, klein), Nörgler (hager, groß).[4] Sie wurden von Peter Lühr/Leonard Steckel, Karl Paryla/Hans Holt, Helmuth Lohner/Peter Weck oder Thomas Maurer/Florian Scheuba gespielt. Noch kabarettistischer begegnen sich im Stück die Figuren von "Abonnent" und "Patriot", fanatischen Zeitungslesern, die in ihren Dialogen dem Sketch und der Doppelconference im Kabarett gleichen.

Realsatire[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ein Grundthema dieser Kraus’schen Satire entsteht aus einem neuartigen Problem des Kommentars. Lässt sich mit der bloßen Dokumentation, dem reinen Zitat das Problem der Realsatire lösen? (Eine Frage, die sich später auch Kurt Tucholsky gestellt hat[5]) Und wie grell-sarkastisch muss dessen Satire dann beschaffen sein, um sich gegenüber der Realsatire Gehör zu verschaffen?[6] Realsatire meint also die Absurdität des tagespolitischen Geschehens; in den realpolitische Gegebenheiten nachbildenden Szenen insbesondere der ersten drei Akte sind diese Indizien des Absurden aufgeführt. Dazu zählen:

  1. der durch ein als „Bagatelle“ charakterisiertes Ereignis ausgelöste Weltkrieg (I.5)[7]
  2. die kriegsfördernde Rolle der Presse im Sinne der „Blutschuld der Phrase“ (II.10; IV.20) bzw. der Propaganda (V.38-41), aber auch im Sinne des Gerüchtes (V.23)
  3. das Bündnis zwischen Österreich-Ungarn und Deutschland, dem es in sprachlicher wie mentalitätspsychologischer Hinsicht an Gemeinsamkeit fehlt (II.1, 2; V.9, 27)[8]
  4. die Deutung des Krieges als eines Ereignisses moralischer Läuterung (I.29)
  5. das deutsche bzw. österreichische Selbstverständnis, „Kulturnation“ zu sein (I.6, 29 ; II.13; III.3-5; IV.29, 37)
  6. die verlogene Ideologie des „Verteidigungskrieges“ (I.5; II.26; III.34)
  7. die Lächerlichkeit führender Monarchen wie Kaiser Franz Joseph I. (IV.31) oder Wilhelm II. (I.23; IV.37) und Politiker wie Paul von Hindenburg (IV.25)
  8. der Weltkrieg insgesamt, da Kraus bzw. der Nörgler diesen als heimlichen Religionskrieg zwischen dem „judaisierten Christentum“ und dem „asiatischen Geist“ begreift (I.29) und gar eine „Ähnlichkeit des neu-deutschen und des alt-hebräischen Eroberungsdranges“ behauptet (III.14)[9]

Diese Ebene der ursprünglichen Farce ergänzt der Kriegsverlauf durch weitere, keinesfalls weniger absurd-lächerliche Fakten:

  1. die Absurdität teils jüdischer (Alexander Roda Roda, II.15), teils weiblicher (Alice Schalek, I.21, 26; II.7, 19, 30, 31; III.2, 33; IV.10; V.16, 48) Kriegsberichterstatter
  2. der Verlust multikultureller Sprachkultur, welcher im Prozess der Eindeutschung ausländischer Begriffe zum Ausdruck kommt (I.8; II.17)
  3. die Kultur der Drückeberger, welche Kraus zu den eigentlichen Kriegsgewinnern zählt (I.11; III.25-26)
  4. die Gleichschaltung verschiedener Bereiche des sozialen Lebens wie etwa Wissenschaft (I.22), Kunst (I.14), Kirche (II.6; III.15-18) und Gesundheitswesen (IV.7-8)
  5. die Fehleinschätzung der Entente-Mächte und deren vermeintlich moralischer Krise durch die Bündnispartner (I.11; IV.26)
  6. die Barbarisierung der Menschen im Zuge fortschreitenden Kriegsgeschehens (I.6);
  7. die Kriegslyrik Felix Dörmanns, Ludwig Ganghofers (I.23), Hans Müllers (II.10; III.9), Alfred Kerrs (III.20), Ottokar Kernstocks (III.32) oder Richard Dehmels (III.35)
  8. die Kriegsbegeisterung der Kinder (III.40; IV.22)
  9. die verlogenen Empfänge der heimkehrenden Kriegsinvaliden (V.51-52)
  10. die Tatsache, dass England und Frankreich mit den von Reichsdeutschen gestellten Waffen kämpfen (II.10)[10]

Aufführungsgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Karl Kraus selbst hat das Stück zunächst für unspielbar erklärt. Im Vorwort zur Buchausgabe schrieb er: Die Aufführung des Dramas, dessen Umfang nach irdischem Zeitmaß etwa zehn Abende umfassen würde, ist einem Marstheater zugedacht. Theatergänger dieser Welt vermöchten ihm nicht standzuhalten. Es gab zunächst einige Aufführungen des Epilogs, die erste, an der Kraus selbst mitwirkte, am 4. Februar 1923 in Wien. Kraus hat 1929/30 auch eine Bühnenfassung erarbeitet, mit etwa einem Drittel der Szenen, ohne Vorspiel und Epilog und ohne die meisten Szenen des Nörglers. Daraus hat er auch in seinen Vorlesungen vorgetragen. Als jedoch bekannte Regisseure wie Max Reinhardt oder Erwin Piscator die Letzten Tage inszenieren wollten, lehnte er ab, wohl aus Angst, sie würden aus dem Stück ein Unterhaltungsspektakel machen. Für aufführbar hielt Karl Kraus seine Tragödie nicht, denn er befürchtete, dass dabei »ein Zurücktreten des geistigen Inhalts vor der stofflichen Sensation wohl unvermeidbar wäre«. Da die Rechteverwalter Kraus’ Diktum von der Unaufführbarkeit wörtlich nahmen, kam es bis 1964 (Wiener Festwochen) zu keiner szenischen Aufführung, die Aufführung des gesamten Dramas steht überhaupt aus.

Szenische Aufführungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Aufführung der Salzburger Festspiele 2014

Lesungen und Hörspiele[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Lesung von Justus Neumann, Wien 2010

Filmadaptionen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Rezeption[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Mit folgenden Worten beschrieb Friedensnobelpreisträger Alfred Fried 1920 das Stück. »Bis zu den »Letzten Tagen der Menschheit« hatte man den Ersten Weltkrieg immer nur von der Vorderseite aus gesehen. Die brennenden Dörfer und Städte, die im Drahtverhau zappelnden Verwundeten, die geplünderten Heimstätten, die Leiden des Schützengrabens, die zerfetzten Leiber, die versklavten Männer, die entehrten Frauen sind aber nur eine Seite der angeblich gottgewollten Einrichtung des großen »Weltenbrandes«. An das Dahinter hatten die wenigsten gedacht. Bei Karl Kraus aber wird der Krieg in erschreckender Plastik zum erstenmal dreidimensional gezeigt. In den »Letzten Tagen der Menschheit« wendet er unseren Blick auf die noch viel größeren Gräuel auf der Rückseite des Krieges. Das Stück lässt erstmals einen Einblick zu in jenes Getriebe, aus dem das Gift herausgewachsen ist, es zeigt, wie es belebend auf die Mikroben der Fäulniserregung einwirkte. Wie der aufgewirbelte Schlamm sich an der Sonne lieblich färbte, der Eiter in Gold erglänzte, der Kot sich als Edelstein ausgab, »in den Tagen, da für Henker und Schieber das goldene Zeitalter anbrach«. Man musste sich eingestehen: Wie falsch habe ich doch den Krieg bisher gesehen, meine bisherige Anschauung war ein Irrtum! Erst jetzt entdecken wir das Land, an dessen Küsten wir bislang nur herumirrten.«
  • Regisseur Berthold Viertel nannte es »das gewollt furchtbarste Buch dieser Zeit« und der Journalist Franz Taucher »den grausigsten Spiegel, der jemals einer gepeinigten Menschheit vor das entstellte Antlitz gehalten wurde«.
  • Kurt Tucholsky meinte: »Was hier gestaltet ist, mag sich oft erst nach der Gestaltung ereignet haben. Und was sich nicht ereignet hat, das hat nur vergessen, sich zu ereignen – so grauenhaft echt ist das alles.«
  • Kiesel hebt dieses Weltkriegsdrama als groß dimensioniert, facettenreich und vielschichtig hervor[17] und erwähnt Edward Timms: Ein „Meisterwerk der Antikriegssatire“ liege vor. Allerdings sei, so zitiert Kiesel den Karl-Kraus-Interpreten Timms weiter, während der seit anno 1915 andauernden jahrelangen Arbeit an dem überdimensionierten Stück eine Wandlung des Autors vom „loyalen Satiriker“ zum „Republikaner mit starken sozialistischen Sympathien“ beobachtbar.[18] Des Weiteren nimmt Kiesel einen Weltbühne-Artikel Tucholskys vom Oktober 1927 als Ausgangspunkt, wenn er den Pazifismus, der dem Text innewohnt, reserviert beleuchtet: Kaum ein Zeitgenosse habe „eine ganze Epoche seines Lebens als sinnlos“ abtun können. Somit finde die zögerliche Aufnahme des Textes eine Erklärung.[19]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ausgaben (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Aktausgabe [1919]: Die letzten Tage der Menschheit. Tragödie in fünf Akten mit Vorspiel und Epilog. In vier Heften der „Fackel“, Wien 1918 (Epilog) und 1919 (Vorspiel und Akte 1–5).
  • Buchausgabe [1922]: Verlag „Die Fackel“, Wien/Leipzig.
  • Buchausgabe [1945]: Pegasus Verlag, Zürich. Mit einem Porträt-Frontispiz und einer Schriftprobe. 24. bis 29. tausend der Gesamtauflage.
  • Bühnenfassung [1930] des Autors. Hrsg. von Eckart Früh. Suhrkamp, Frankfurt 1992.
  • Bühnenfassung [1964] für einen Abend von Heinrich Fischer und Leopold Lindtberg. Gustav Kiepenheuer, Berlin-Dahlem.
  • Die letzten Tage der Menschheit. Hg. und mit einem Nachwort von Franz Schuh. Jung und Jung, Salzburg 2014, ISBN 978-3-99027-006-6
  • Die letzten Tage der Menschheit, gezeichnet von Daniel Jokesch. Holzbaum Verlag.

Sekundärliteratur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anmerkungen zu Ausgaben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der 1945 im Schweizer Pegasus-Verlag erschienenen Ausgabe steht im Nachwort:

„Die Neuausgabe der Tragödie «Die letzten Tage der Menschheit» steht in einer merkwürdigen Parallele zu ihrem ersten Erscheinen. Beide Male erfolgte die Veröffentlichung kurz nach dem Abschluß eines Weltkrieges, welcher die tödliche Gefahr für die gesamte abendländische Kultur schauerlich bewußt machte, heraufbeschworen durch die Geisteshaltung einer Menschheit, die der von sittlichen Normen unbeschwerten Entwicklung der Technik verfallen war und an ihr zu verderben drohte.--In den heute manchen vielleicht fast «klein» erscheinenden Ereignissen des ersten Weltkrieges lag für Karl Kraus schon die zweite, weit schrecklichere Katastrophe beschlossen. -- Der prophetische Geist, der die Tragödie erfüllt, die dramatische Wucht ihrer Szenenfolgen, die dokumentarische Bedeutung ihrer Aussagen und die Sprachgewalt der in der Figur des Nörglers verkörperten Gestalt des Dichters rechtfertigen -- auch unabhängig von seiner erschütternden Aktualität -- die Wiederveröffentlichung des seit langem für viele unerreichbar gewesenen Dramas.“

CD-Aufnahmen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Adaptionen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hochschularbeiten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Karl Kraus „Die letzten Tage der Menschheit“ „Die Fackel“ Satire auf glarean-magazin.ch
  2. Ulrich Weinzierl: Die grausamen Henker des Ersten Weltkriegs. Die Welt, 12. November 2008
  3. Theodor W. Adorno: Dissonanzen: Musik in der verwalteten Welt. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1991, S. 138
  4. Hilde Haider: Theater im 20. Jahrhundert, Theater vom Ende des 1. Weltkriegs bis zum Ende des 2. Weltkriegs. (Memento vom 31. Januar 2012 im Internet Archive) (PDF; 314 kB) Universität Wien (Theaterwissenschaft) Skriptum zur Hauptvorlesung Winter 2001/2002.
  5. Leo A. Lensing: „Photographischer Alpdruck“ oder politische Fotomontage?: Karl Kraus, Kurt Tucholsky und die satirischen Möglichkeiten der Fotografie, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 107 (1988), S. 556–571.
  6. Burkhard Meyer-Sickendiek: Was ist literarischer Sarkasmus? Ein Beitrag zur deutsch-jüdischen Moderne. Fink Verlag, Paderborn/München 2009, S. 321–264.
  7. Ekkehart Krippendorff: Kriegsursachen und Antipolitik: Karl Kraus’ Die letzten Tage der Menschheit, in: Ders.: Politische Interpretationen, Frankfurt am Main 1990, S. 141–177.
  8. Hermann Schlösser: „Ahwoswoswaßiwossöwulln“: Deutsche als komische Figuren bei Kraus und Hofmannsthal, in: Komik in der österreichischen Literatur, hg.v. Wendelin Schmidt-Dengler, Berlin 1996, S. 198–211.
  9. Vgl. dazu: Sigurd Paul Scheichl: Karl Kraus, Die letzten Tage der Menschheit, in: Dramen des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 1996, S. 224–241.
  10. Zur Übersicht vgl.: Burkhard Meyer-Sickendiek: Was ist literarischer Sarkasmus? Ein Beitrag zur deutsch-jüdischen Moderne. Fink Verlag, Paderborn/München 2009, S. 350ff.
  11. KULTUR: Kraus-Verbot. In: Der Spiegel. Nr. 12, 1963 (online20. März 1963).
  12. Teatr Powszechny im. Zygmunta Hübnera – sezon 1996/1997. Abgerufen am 12. Januar 2012.
  13. Theater: "Die letzten Tage der Menschheit" im Bunker. In: Spiegel Online. 22. April 1999, abgerufen am 12. April 2020.
  14. Vom Mars ins Theater geholt. In: Salzburger Nachrichten. 16. Juli 2018, abgerufen am 27. August 2022.
  15. Martina Salomon: So viel Theater in diesem Sommer! In: kurier.at. 28. Juli 2018, abgerufen am 27. August 2022.
  16. Simon Strauss: Vor dem Totenbett der Zeit. In: faz.net. 21. August 2021, abgerufen am 27. August 2022.
  17. Kiesel, S. 948, 12. Zeile von oben
  18. Kiesel, S. 534, 10. Zeile von unten
  19. Kiesel, S. 537
  20. deborah sengl. Archiviert vom Original am 13. Oktober 2017; abgerufen am 23. Januar 2021.
  21. DIE LETZTEN TAGE DER MENSCHHEIT. Abgerufen am 23. Januar 2021 (englisch).