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Verschwörungstheorie

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Als Verschwörungstheorie bezeichnet man den Versuch, Ereignisse, Zustände oder Entwicklungen durch eine geheime Verschwörung zu erklären, also durch das zielgerichtete, konspirative Wirken von zwei oder mehr Personen zu einem verborgenen, illegalen oder illegitimen Zweck. Der Begriff wird meist zur Abwertung von Ansichten benutzt, die als unbegründet, irrational, abseitig oder sogar paranoid gelten und weltanschaulich geschlossen, also festgefügt betrachtet werden. Im Sinne der Ideologiekritik wird der Begriff auch zur Diffamierung kritischer Positionen missbraucht.

Merkmale und Haupttypen

Der Begriff „Verschwörungstheorie“ ist aufgrund seiner beiden Bestandteile problematisch: „Verschwörung“ ist ein negativ besetztes Wort, das sogar strafrechtliche Aspekte umfasst; „Theorie“ bezeichnet eine modellhafte, korrekturfähige Vereinfachung der Wirklichkeit, die von Einzelereignissen abstrahiert, um übergreifende Zusammenhänge zu beschreiben. Genau das leistet eine Verschwörungstheorie aber nicht, da sie zwar eine vereinfachende Erklärung anbietet, aber kein Modell. Verschwörungstheorien leisten keine Abstraktion, sondern nehmen im Gegenteil eine Konkretion vor, die unzulässigerweise verallgemeinert wird. Während die Abstraktion Komplexität erhält und nur die Beobachtungsebene verändert, ist die unzulässige Konkretion verlustbehaftet. Die nachgelagerte Verallgemeinerung basiert also auf einer Vereinfachung. Verschwörungstheorien vermengen bei ihrer Simplifikation zudem die Kategorien Sein und Sollen. Wenn Begriffe unterschiedlicher Kategorien durch Konjunktionen verknüpft werden, spricht man von einem Kategorienfehler. Ein wesentliches Merkmal von Verschwörungstheorien ist also das Vorhandensein eines normativen Maßstabes. Die als „Verschwörung“ bezeichneten Vorgänge werden nicht wertneutral konstatiert, sondern von einem normativen Standpunkt aus kritisiert. Verschwörungstheorien beschränken sich also nicht auf eine Diagnose, sie enthalten immer auch eine mitlaufende, meist weltanschauliche Beurteilung der Ereignisse. Abweichungen werden als intentionale Manipulationen verstanden, die ihrerseits manipulativ verändert werden müssen.

Vertreter von Verschwörungstheorien weigern sich - anders als Wissenschaftler, die Modelle vertreten -, ihre Hypothesen zu explizieren und überprüfbare Bedingungen zu nennen, bei deren Nachweis sie ihre Hypothesen für widerlegt betrachten. Es ist gerade das Charakteristikum von Verschwörungstheorien, dass sie von Gegenständen handeln, die sich tatsächlich oder vermeintlich jeder Nachprüfbarkeit entziehen. In diesem Sinne sind Verschwörungstheorien nicht deskriptiv, sondern präskriptiv, wobei ihnen das Ziel der empirischen Verifizierung fehlt. Das unterscheidet Verschwörungstheorien von wissenschaftlichen Hypothesen. Aufgrund der hochgradig stereotypen und festgefügten Struktur sind Verschwörungstheorien leicht von erklärungsbezogenen Deutungsmustern abgrenzbar. Die Deutungsmuster einer Verschwörungstheorie sind nämlich nicht auf korrekturbasierte Weiterentwicklung hin angelegt.

Grundlage aller Verschwörungstheorien ist ein dezidiertes und vereinfachendes Welt- und Geschichtsbild, das auf der Grundannahme basiert, dass Strukturen der sozialen Wirklichkeit durch Handlungen von Personen direkt steuernd beeinflusst werden können. Vor dem Hintergrund der gegenseitigen strukturellen Abhängigkeiten und hochgradigen Vernetzungen komplexer sozialer Systeme gilt diese Voraussetzung heute jedoch allgemein als unplausibel. Sozialwissenschaftliche Modelle zeigen, dass sich weitreichende Ereignisse in Gesellschaft, Wirtschaft oder Staat nicht allein durch das zielgerichtete Handeln von Personen oder Personengruppen verursachen lassen. Man geht hier vielmehr vom Zusammenwirken vieler verschiedener subjektiver Gründe und objektiver Bedingungen aus, die aus Strukturen, Konjunkturen, Absichten, Gegenabsichten, Irrtümern und schlichten Zufällen bestehen und sich zudem gegenseitig beeinflussen. Die Auffassung, eine relativ kleine Personengruppe könne wichtige gesellschaftliche Ereignisse zentral steuern, gilt daher als unterkomplex.

Für die Anwendung einer solchen Hypothese auf größere Zeiträume und die stereotype Vermutung, hinter verschiedensten Erscheinungen steckten Verschwörungen als Lenkungsursachen, schlug der Historiker Richard Hofstadter in den 1960er Jahren die Bezeichnung „paranoider Stil“ der Welterklärung vor. Der US-amerikanische Journalist Frank P. Mintz prägte dafür den heute im Englischen eingebürgerten Begriff conspiracism, der hier mit „Konspirationismus“ oder „konspirationistisches Weltbild“ übersetzt wird.

Um dem stark wertenden Gebrauch des Wortes „Verschwörungstheorie“ zu begegnen, wird im folgenden zwischen zwei Hauptformen von Verschwörungstheorien unterschieden: der Verschwörungstheorie als Zentralsteuerungshypothese, die ein Phänomen rational mit einer Verschwörung erklärt, und dem irrationalen Konspirationismus.

Zentralsteuerungshypothese

Eine Zentralsteuerungshypothese sieht hinter bestimmten Ereignissen oder Entwicklungen das gezielte, verborgene Wirken von Personen oder Personengruppen, etwa von Geheimbünden oder Geheimdiensten. Dafür kann es gute Gründe geben, da solche Verschwörungen in vielen Bereichen der Wirklichkeit tatsächlich vorkommen. Als Beispiele können mafiose Strukturen, verschiedene Formen der Wirtschaftskriminalität und Lobbyismus angeführt werden. Auch wenn sie das Geschehen in der Regel nur als ein Faktor von vielen beeinflussen, können verborgene Steuerungszusammenhänge für manche Ereignisse von ausschlaggebender Bedeutung sein.

Die breite Erforschung verschiedener Geheimdiensttätigkeiten im Zweiten Weltkrieg kann als Beispiel für wissenschaftliche Zentralsteuerungshypothesen gelten: Die Forschung nimmt in verschiedenen Bereichen verabredete Geheimpläne kleiner Führungsgruppen an, etwa in der psychologischen Kriegführung oder dem Kampf um die Entschlüsselung von Geheimcodes wie der Chiffriermaschine Enigma. Sie unterstellt hier also konspirative und – aus der Sicht des Spionageziels – illegale Tätigkeiten mit weitreichender Wirkung. Sie versucht diese aufzudecken, um sie zur Erklärung wichtiger historischer Ereignisse heranzuziehen.

Auch in der Kontroverse um die Hintergründe des Reichstagsbrands vom 27. Februar 1933 wird eine solche seriöse Verschwörungstheorie diskutiert: Deren Anhänger glauben, die Nazis hätten sich planvoll mit der Brandstiftung einen Vorwand für die am nächsten Tag erfolgte Verordnung zum Schutz von Volk und Staat verschafft. Die Anhänger der Einzeltäterthese nehmen dagegen an, die Nationalsozialisten hätten die günstige Gelegenheit, die Marinus van der Lubbe ihnen bot, in geschickter Improvisation ausgenutzt.

Eine Zentralsteuerungshypothese, die den Anspruch der Wissenschaftlichkeit erhebt, muss in jedem Fall durch empirische Beweise falsifizierbar, also korrekturfähig sein. Sonst wäre sie eben keine Hypothese mehr, sondern bereits eine zum Vorurteil erstarrte pseudowissenschaftliche Glaubensüberzeugung, wie es bei konspirationistischen Verschwörungstheorien der Fall ist.

Verschwörungstheoretisches Geschichtsbild (Konspirationismus)

Während Zentralsteuerungshypothesen in Einzelfällen auf der Realität basieren und zu ihrer Erklärung dienen können, schließen Geschichtswissenschaft, Politologie und Soziologie aus, dass die Weltgeschichte durch Verschwörungen gesteuert wird. Solche Theorien haben demnach von vornherein irrealen Charakter. Sie sind nicht auf befürchtetes, tatsächlich mögliches und empirisch überprüfbares „konspiratives“ Handeln bezogen, sondern auf eine eingebildete, feststehende und empirisch nicht nachweisbare Zentralsteuerung des „großen Ganzen“.

Werden Zentralsteuerungshypothesen auf größere Ereigniszusammenhänge ausgedehnt und verlieren sie ihren hypothetischen, durch neue Fakten revidierbaren Charakter, dann liegt ein geschlossenes konspirationistisches Welt- und Geschichtsbild vor. US-amerikanische Psychologen haben nachgewiesen, dass Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, sehr wahrscheinlich auch für weitere „Erklärungen“ dieser Art aufnahmebereit sind. Sie neigen also charakterlich dazu, dasselbe Erklärungsmodell stereotyp auf mehrere oder sogar alle Phänomene, die ihnen begegnen, anzuwenden. Um die imaginäre Sichtweise im Unterschied zu diskutablen Verschwörungshypothesen hervorzuheben, spricht Geoffrey T. Cubbit von „Verschwörungsmythos“. Der deutsche Extremismusforscher Armin Pfahl-Traughber sieht darin eine durch Fakten nicht korrigierbare, „festgefügte, monokausale und stereotype Einstellung“ oder „Verschwörungsideologie“. Für Slavoj Zizek, einen slowenischen Theoretiker in der Nachfolge Lacans, stehen Verschwörungstheorien sogar paradigmatisch für die Suche nach dem imaginären „großen Anderen“, der im sozialen Leben die Fäden in der Hand hält.

Allgemeines Merkmal solcher Weltbilder ist ein personalisiertes, d.h. an Einzeltätern oder Gruppen orientiertes, monokausales Erklärungsmuster zur Vereinfachung historischer und gesellschaftlicher Komplexität. Die Tätigkeit der Verschwörer wird als die wichtigste oder sogar einzige Ursache des zu erklärenden Phänomens betrachtet; andere Ursachen und Faktoren werden dabei ausgeblendet oder abgewertet. Damit erscheinen die Verschwörer zugleich als extrem mächtig, weshalb sie trotz ihrer geringen Zahl und Verbreitung Ereignisse von welthistorischer Bedeutung inszenieren können. Auch sollen sie über ausgeklügelte Geheimhaltungsmechanismen verfügen, weshalb außer dem geübten Verschwörungstheoretiker niemand ihre verborgenen Pläne und Absichten erkennen könne.

Diese Personalisierung von Geschichtsursachen vollzieht sich häufig in Verbindung mit einer auf der „Idee des Bösen“ beruhenden Zuschreibung. „Das Böse“ wird als überpersonale, weltbeherrschende Macht gedacht, die sich aber in ganz bestimmten Personengruppen manifestiert und dingfest machen lässt. Darin zeigt das konspirationistische Weltbild seine mythischen, insbesondere neuplatonisch-christlichen Wurzeln. Es versucht eine vereinfachende Antwort auf die Frage zu geben, warum „guten“ Menschen „Böses“ zustößt (Theodizee), und dient damit der Selbstvergewisserung in einer unüberschaubar gewordenen Gesellschaft. Das Ausfindigmachen von „Schuldigen“ geht mit der Schwarz-Weiß-Malerei des moralisierenden Dualismus einher und folgt dem Wunsch, die unterstellten Geheimpläne aufzudecken, abzustellen und zu bestrafen, um so das Böse „ein für allemal“ aus der Welt zu schaffen. Daher bezeichnet man diese Verschwörungstheorien als handlungsleitend. Dass sie sich in der Realität rasch als untauglich erweisen, bestätigt dann scheinbar die ungeheure Macht alter oder neuer Sündenböcke, so dass sich das konspirationistische Weltbild stets selbst erneuert.

Ein Beispiel für eine solche monokausale Personalisierung ist die Erklärung der Französischen Revolution aus dem geheimen Zusammenwirken der Freimaurer und Illuminaten. Der bayrische Illuminatenorden wird bis heute dämonisiert, obwohl er zur Zeit der Revolution bereits verboten war und in Frankreich nie mehr als ein Dutzend Mitglieder hatte. Dennoch traute man ihm den 1789 in wenigen Monaten herbeigeführten Sturz einer jahrhundertealten Gesellschaftsordnung zu. Gegenüber dem hochkomplexen Ursachengeflecht, auf das die seriöse Geschichtsforschung die Revolution zurückführt, kann diese Verschwörungstheorie sie scheinbar leichter verständlich machen und zudem konkrete Personen als Schuldige vorweisen.

Auffällig ist, dass die Verschwörer in sehr vielen Verschwörungstheorien angeblich über ein weltweites Beziehungsnetz verfügen: Diese unterstellten internationalen Verbindungen appellieren an die nationalen Gefühle der Rezipienten und lassen die Verschwörer noch bedrohlicher, weil schwerer fassbar, erscheinen. Außerdem sollen die Auslandsverbindungen den Umstand erklären, dass außer den Verschwörungstheoretikern selbst noch niemand dem Treiben der Konspirateure auf die Spur gekommen ist.

Typisch für “conspiracism” ist dabei seine Immunisierung gegen jede Form von Widerspruch. Wer an den angebotenen Erklärungen zweifelt, gilt entweder als getäuscht, erpresst oder gar als Mitwisser der Verschwörung. Die zum Weltbild verdichtete Verschwörungstheorie kann dann nicht mehr widerlegt werden. Gerne wird von Verschwörungstheoretikern gerade das Fehlen von Beweisen als Beweis für eine Verschwörung gewertet, da dies eben die unheimliche Effektivität der Verschwörer zeige. Eine Parodie auf diesen Umstand ist etwa die im Internet zirkulierende „Bielefeldverschwörung“. Da die vermuteten Verschwörungen als strukturell unbeweisbar konstruiert werden, gilt ihnen eine Expertenmeinung nicht als höherwertiger als eine private Spekulation. Auch in der Realität beteiligen sich häufig Privatpersonen und Hobby-Forscher an der vermeintlichen Aufdeckung von Verschwörungen.

Unterscheidung von Zentralsteuerungshypothese und Konspirationismus

In der Theorie lassen sich diskutable Verschwörungstheorien mit realen Anhaltspunkten von einem ideologischen Konspirationismus, der böse Absichten böser Verschwörer hinter nahezu allen Erscheinungen ausmacht, relativ leicht unterscheiden. In der Praxis ist dies hingegen weitaus schwieriger.

Zwar finden Theorien wie etwa David Ickes Behauptung einer Unterwanderung der Menschheit durch reptilartige Außerirdische in der öffentlichen Meinung kaum Rückhalt. Analoge Stoffe sind durch zahlreiche Romane und Drehbücher – bis hin zum Krieg der Welten, einem legendären Hörspiel von Orson Welles – verbreitet; doch das Publikum zieht solche Fiktionen meist nicht zur Wirklichkeitserklärung heran. Häufig sind aber die Grenzen zwischen einer realistischen Befürchtung und einem wahnhaften Verschwörungsmythos fließend. Rationale und ideologische Realitätsdeutung gehen vor allem dort ineinander über, wo eine Zentralsteuerungshypothese sich nicht überprüfen lässt. Denn tatsächliche Verschwörungen sind immer durch strikte Geheimhaltung gekennzeichnet und daher schwerlich nachweisbar. So halten viele Zeitbeobachter z.B. den Verdacht für diskutabel, dass am Attentat auf John F. Kennedy mehr Menschen beteiligt waren als nur Lee Harvey Oswald. Unaufgeklärte Ursachen für einzelne Geschichtsereignisse können also den Glauben an weitere, bisher noch nicht entdeckte Verschwörungen stützen. Dies kann einer Verschwörungsideologie den Schein einer Faktenbasis und legitimen Geschichtsdeutung verleihen, so dass sie in der öffentlichen Wahrnehmung scheinbar eine seriöse Diskussion verdient. Umgekehrt können seriöse Vermutungen aber auch als irrationale Verfolgungshysterie dargestellt und Aufklärungsbemühungen damit abgeblockt werden.

Bei folgenden Beispielen ist fraglich, ob sie einer Zentralsteuerungshypothese oder dem Konspirationismus zuzuordnen sind:

  • Präsident Roosevelt habe Informationen über den bevorstehenden Angriff der Japaner auf Pearl Harbor absichtlich zurückgehalten, um so den Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg in der Öffentlichkeit durchsetzen zu können. Diese Denkfigur entspricht einer „passiven Verschwörungstheorie“.
  • Die Lampenindustrie betreibe die technisch längst mögliche Produktion von Ewigkeitsglühbirnen absichtlich nicht, weil sie an rasch durchbrennenden Glühlampen mehr verdiene.
  • Die Automobilindustrie verzichte auf den Einsatz von rostfreiem Stahl bei Auspuffanlagen nur deshalb, weil das die Umsätze mit deren regelmäßigem Austausch gefährden würde.
  • Die Außenpolitik der USA beruhe ganz überwiegend auf dem - maßgeblich von einigen Ölbaronen gesteuerten - Versuch, Ölreserven in aller Welt in amerikanische Hände zu bringen.

Solche Thesen sind bis auf weiteres nicht beweisbar oder widerlegbar, da die Faktenbasis dafür nicht ausreicht und die Deutung der zugänglichen Fakten Werturteilen unterliegt, die nicht objektiv überprüfbar sind. Zwischen Wahrheit und Täuschung kann hier also nicht absolut entschieden werden. Allenfalls können sich Gruppen von Interessierten durch kommunikatives Handeln auf eine Sichtweise einigen, die aber keine Allgemeingültigkeit beanspruchen kann.

Als Kriterien zur Unterscheidung diskutabler Hypothesen von unseriösen konspirationistischen Weltbildern können zwei Aspekte gelten:

  • der Grad der Abschottung von oder der Offenheit für alternative Erklärungsmodelle,
  • ihre Funktion im politischen Diskurs.

Dient eine Verschwörungstheorie einem offenkundig politischen Zweck und wird aus ihr ein Machtanspruch oder gar die Forderung nach gewaltsamem Handeln abgeleitet, dann liegt der Verdacht nahe, dass es sich um “conspiracism” handelt. Ihre Aufgabe ist dann offenkundig nicht, Transparenz zu schaffen, sondern Mehrheiten zu organisieren oder – mithilfe des Faktors „Angst“ – zu erpressen. Korrekturfähigkeit durch eine rationale Diskussion besteht damit kaum oder gar nicht mehr.

Andererseits kann eine als wahr erwiesene Geschichtsdeutung – wie etwa im Fall der Tatsächlichkeit des Holocaust – kaum darauf verzichten, sich öffentlich gegenüber Deutungsmustern zu behaupten, die diese Tatsächlichkeit bestreiten. Sonst wäre einer verschwörungstheoretischen Holocaustleugnung – unter Umständen mit fatalen politischen Konsequenzen – Tür und Tor geöffnet. Auch im Falle der Terrorismusbedrohung gilt es, das Zusammenspiel politischer Interessen, der Eigenlogik der Medien und konkreter Ereignisse abzuwägen. Damit verweist das Thema Verschwörungstheorie auf das sehr viel umfassendere Problemfeld von Information, Allgemeinbildung und politischem Gestaltungsanspruch.

Geschichte des konspirationistischen Weltbilds

Antike, Mittelalter und frühe Neuzeit

Verschwörungstheorien hat es wahrscheinlich immer gegeben – sie werden in der Wissenschaft daher auch als „anthropologische Konstante“ bezeichnet. Auffällig ist aber, dass sie vor Beginn der Neuzeit nur vereinzelt Massenwirksamkeit erhielten. Aus der Antike sind zwar mehrere große Verschwörungen überliefert (beispielsweise die catilinarische des Jahres 63 v. Chr. oder die pisonische des Jahres 65 n. Chr). Dennoch gibt es nur sehr wenige Beispiele für konspirationistisches Denken, das teilweise in den Christenverfolgungen sichtbar wird.

Andererseits führte man im Mittelalter die Pest auf angebliche Brunnenvergiftungen durch die Juden zurück oder wähnte geheimes und illegales (nämlich den Lehren der Kirche widersprechendes) Glauben und Handeln bei sogenannten Ketzern wie den Katharern, Albigensern, Waldensern oder den Templern. Die Hexenverfolgungen der frühen Neuzeit funktionierten nach demselben Schema: Ein Unglück war geschehen, man identifizierte einen greifbaren Sündenbock, dem man dann den blutigen Prozess machte.

Allgemein aber waren Verschwörungstheorien im Mittelalter eher selten, da die meisten unerfreulichen Ereignisse nicht mit den Machenschaften menschlicher Verschwörer, sondern mit dem unerforschlichen Ratschluss Gottes erklärt wurden.

17. Jahrhundert: Anti-jesuitische Verschwörungstheorien

Das Vollbild einer Verschwörungstheorie als Geschichtsbild lässt sich das erste Mal im England des elisabethanischen Zeitalters nachweisen, als Jesuiten versuchten, auf illegalem Wege nach England zu kommen, um für die Rekatholisierung des Landes zu wirken. Unter der Folter gestanden diese Jesuiten dann ihre Verwicklung in verschiedene Mordanschläge auf die Königin oder den Sprengstoffanschlag auf das Parlament.

Dieses Musterbild der vom Ausland gesteuerten Jesuiten-Verschwörung fand ihren Höhepunkt 1678 in der „Papisten-Verschwörung“, dem sogenannten „popish plot“: Angeblich hätten Katholiken geplant, den König umzubringen, um seinen Bruder, den späteren James II. auf den Thron zu setzen. Diese an den Haaren herbeigezogenen Unterstellungen nahm die Whig-Opposition zum Anlass, gegen Königstreue, Konservative und Katholiken Front zu machen, von denen insgesamt 35 wegen Hochverrat unschuldig hingerichtet wurden.

Nachdem der „popish plot“ als Schwindel aufgedeckt und sich nach der Glorious Revolution von 1688 die Gegner des neuen Königs Wilhelm von Oranien als „die loyale Opposition seiner Majestät“ bezeichnet hatten und damit verschwörerischer Umtriebe nicht mehr verdächtig waren, kam es zu einer Beruhigung der politischen Öffentlichkeit in England. Das Bild vom Jesuiten als konservativ-katholischem Konspirateur, der von Rom aus seine verderblichen Fäden zöge, fand aber Eingang in den Diskurs der französischen Aufklärung, zum Beispiel die Encyclopédie Diderots und d’Alemberts.

Nicht zuletzt als Folge dieser Verschwörungstheorie wurde der Orden 1773 aufgelöst. Im 18. Jahrhundert hatten sich in Zusammenhang mit dem „Jesuiten-Staat von Paraguay“ und dessen Zerschlagung einige Jesuiten nämlich gegen die Herrschaftsansprüche der spanischen und der portugiesischen Krone gewandt und schienen damit die antijesuitische Verschwörungstheorie zu bestätigen.

18. Jahrhundert: Französische Revolution

Einem konspirationistischen Weltbild entsprach in der Französischen Revolution auch die blutige Verfolgung politischer Gegner mit Hilfe der Guillotine. Sie hatte zwar insofern einen realen Kern, als die Feinde der Revolution wie die königliche Familie, der Hochadel und der romtreue Klerus tatsächlich häufig insgeheim mit dem Ausland in Verbindung standen und ausgesprochen katholisch waren. Der paranoide Anteil wird aber zum Beispiel an der sogenannten „Verschwörung des Auslands“ deutlich, als im Herbst 1793 radikale Jakobiner hingerichtet wurden, die sich angeblich vom Ausland hätten dafür bezahlen lassen, durch absichtlich übersteigerte Maßnahmen die Republik zu Grunde zu richten.

19. Jahrhundert: Revolution versus Reaktion

Die massiven antikatholischen Angriffe durch die Aufklärer und die Verfolgungen in der Revolution führten einige konservative Theoretiker dazu, die Verschwörungstheorie einfach umzudrehen. Der ehemalige Jesuit Abbé Augustin Barruel und der schottische Gelehrte John Robison stellten um 1798 die Gegenthese auf, nicht die Jesuiten hätten eine Verschwörung gestartet, sondern ihre Feinde, die aufklärerischen Philosophen, die Freimaurer und vor allem die Illuminaten. Der Illuminatenorden Adam Weishaupts bot sich besonders an, weil er – im Unterschied zur politisch und religiös grundsätzlich toleranten Freimaurerei – tatsächlich die radikaldemokratische Umgestaltung der Gesellschaft mit den Mitteln eines Geheimbunds zum Ziele gehabt hatte. Zwar war er bereits 1785, also vier Jahre vor der Revolution zerschlagen worden (andernfalls hätten Barruel und seine deutschen Quellen auch gar nicht aus seinen geheimen Papieren zitieren können), doch schien manches für seine Weiterexistenz zu sprechen: Zum einen war das ehemalige Mitglied Johann Joachim Christoph Bode, ein sächsisch-weimarischer Geheimrat, ausgerechnet wenige Wochen vor Ausbruch der Revolution nach Paris gereist – eine Koinzidenz, an der kein Verschwörungstheoretiker vorbeigehen kann. Auf der anderen Seite existierte in Frankreich selbst eine freimaurerartige Bruderschaft namens Les Illuminés, die zwar eher konservativ-mystisch ausgerichtet war und mit den bayrischen Illuminaten nur den Namen gemein hatte, doch schien das auszureichen.

Seit dem beginnenden 19. Jahrhundert jedenfalls ist das Bild des politischen Verschwörers von links, der international vernetzt ist, überall Werte wie Vaterland, Glaube und Familie unterminiert und versucht, Revolutionen anzuzetteln, fester Bestandteil des konservativen Diskurses. Dies Bild steht auch deutlich hinter den Karlsbader Beschlüssen von 1819, mit denen der österreichische Kanzler Metternich überall so genannte Demagogen verfolgen, zensieren und einsperren ließ.

20. Jahrhundert: Antisemitismus und die Folgen

Eine Übertragung dieser Verschwörungstheorie auf die Juden lässt sich mit Sicherheit erst für das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts nachweisen, als der französische Rechtskatholik Henri Roger Gougenot des Mousseaux 1869 in dem Werk Le Juif, le judaisme et la judaisation des peuples chrétiennes die Freimaurerei zu einer Deckorganisation der Juden erklärte. Diese kombinierte Verschwörungstheorie wurde 1921 von der britischen Autorin Nesta Webster noch erweitert, die sämtliche nicht- oder nicht orthodox christlichen Strömungen seit der Antike von den Gnostikern, über Assassinen, Illuminaten und Freidenkern bis hin zu Lenin und den russischen Revolutionären zu einer einzigen weltumspannenden Mega-Verschwörung wahlweise unter jüdischem oder unter satanistischem Vorzeichen zusammenstellte. Diese konspirationistische Großkonstruktion wurde in den zwanziger Jahren von Erich Ludendorff, dem ehemaligen Generalquartiermeister des kaiserlichen Heeres, zum Wahnbild einer "jesuitisch-freimauererisch-jüdischen Weltverschwörung" erweitert.

Ihre ganze mörderische Potenz gewannen antisemitische Verschwörungstheorien Anfang des 20. Jahrhunderts, als der russische Geheimdienst unter Verwendung von Schauerliteratur und einer französischen liberalen Polemik gegen Napoleon III., die einfach umgedreht wurde, die Protokolle der Weisen von Zion fabrizierte. Diese Fälschung sollte einer der Schlüsseltexte des Antisemitismus werden. In diese antisemitische Verschwörungstheorie, die im Kern immer noch starke Ähnlichkeit mit ihrem antijesuitischen Urbild hat, wurden nach der Oktoberrevolution noch antibolschewistische Elemente eingefügt.

Das so entstandene Gerücht eines Weltjudentums, das seine Feinde im „Zangenangriff“ durch amerikanischen Finanzkapitalismus einerseits, sowjetischen Kommunismus andererseits halte, bildete den Kern von Hitlers Weltanschauung, der sich in Mein Kampf explizit auf die Protokolle der Weisen von Zion berief. Insofern könnte der Nationalsozialismus als eine große Verschwörungstheorie betrachtet werden. Diese war noch mörderischer als die anderen, weil sie davon ausging, dass die vermeintlichen Verschwörer nicht durch Absprache, sondern durch Abstammung Teil der Verschwörung geworden seien.

Verhängnisvoll aufgeladen war die antisemitische Verschwörungsthese noch durch die Dolchstoßlegende: Bereits kurz nach dem Ersten Weltkrieg hatte die Oberste Heeresleitung verbreitet, Schuld an der deutschen Niederlage wäre nicht etwa die materielle, technische und zahlenmäßige Überlegenheit der Alliierten spätestens seit dem Kriegseintritt der USA gewesen, sondern die Wühltätigkeit der deutschen Sozialdemokratie, die dem angeblich „im Felde unbesiegten“ deutschen Heer mit der Novemberrevolution in den Rücken gefallen sei.

Auch heute noch werden Versatzstücke aus dem Text "Protokolle der Weisen von Zion" zur Untermauerung antisemitischer Verschwörungstheorien verwandt. Sie sind z.B. integraler Bestandteil der Ideologie der Hamas.

Konspirationistische Elemente im Marxismus-Leninismus

Zwischen den Weltkriegen zeitigte das konspirationistische Weltbild auch in der Sowjetunion Stalins verheerende Folgen. Während des „Großen Terrors“ von 1934 bis 1939 „gestanden“ fast alle Altbolschewiken und die übergroße Mehrheit des Offizierkorps der Roten Armee in Schauprozessen, unter der Einwirkung von Folter stehend, sie seien Teil einer antisowjetischen, entweder von Trotzki oder vom kapitalistischen Ausland gesteuerten Verschwörung.

Ob Stalin tatsächlich diesem Wahn anhing, dem mehrere Millionen Menschen zum Opfer fielen, oder ob er seine Verschwörungstheorie in kühlem Kalkül nur deswegen propagieren ließ, um potentielle Rivalen ausschalten zu können, ist ungeklärt. In den 1950er Jahren startete der Diktator dann eine, ebenfalls als konspirationistisch zu bewertende, antisemitische Kampagne gegen sog. „wurzellose Kosmopoliten“.

In jüngerer Zeit wurde vereinzelt versucht, den gesamten Leninismus als eine Verschwörungstheorie zu begreifen. Der amerikanische Politologe Daniel Pipes und der deutsche Historiker Gerd Koenen etwa argumentieren, Lenins Imperialismustheorie enthielte, ebenso wie die verwandte Stamokap-Theorie, in ihrem Kern die Behauptung, Großindustrielle und „Monopolherren“ gewönnen einen zunehmenden Einfluss auf den Staat und seine Entscheidungsstrukturen. Durch geheime Lobby-Arbeit, wechselseitigen Personalaustausch zwischen Wirtschaft und Politik, sowie institutionalisierte Bündnisse („Sozialpartnerschaft“) würden die „Monopolherren“ zunehmend Einfluss auf die Staatsleitung gewinnen, um diese schließlich vollständig ihren dubiosen Zwecken zu unterwerfen. Zu diesen Zwecken gehöre auch, den von Marx vorausgesagten tendenziellen Fall der Profitrate durch ökonomische und territoriale Expansion auszugleichen. Dies führe den so agierenden imperialistischen Staat in Konflikte mit anderen imperialistischen Staaten, was nahezu unausweichlich in kriegerische Auseinandersetzungen, wie den Ersten Weltkrieg münde. In diesen Staaten würden also nicht mehr die Entscheidungen ihrer demokratisch oder dynastisch legitimierten Regierungen durchgesetzt, sondern nur noch die profitmaximierenden Interessen der Großindustrie. Damit unterstellten Lenin und andere Theoretiker, die ihm folgten, dass z.B. der Imperialismus und der durch ihn verursachte Erste Weltkrieg das Ergebnis illegitimer und geheimer Einwirkungen eines vergleichsweise kleinen Personenkreises sei, nämlich der „Agenten des Monopolkapitals“. Dieses Deutungsmuster erfüllt alle Kriterien einer Verschwörungstheorie.

Zwar stießen die Versuche, den gesamten Leninismus als Verschwörungstheorie zu beschreiben, in der Forschung kaum auf positives Echo, einzelne konspirationistische Elemente scheinen aber vor allem im Vulgärmarxismus auf der Hand zu liegen. In den siebziger und achtziger Jahren wurden vielfach so genannte „Kartell- oder Agenturtheorien“ diskutiert, nach denen der bürgerliche Staat und seine Repräsentanten nichts als Weisungsempfänger von personal auftretenden Vertretern industrieller Interessen seien. Diese allzu schlichte und personalisierende Beschreibung des Verhältnisses zwischen Staat und Kapitalinteressen wird heute auch von den meisten Marxisten abgelehnt.

Ein Beispiel für eine solche konspirationistische Beschreibung ist etwa die zeitweise in der DDR-Geschichtswissenschaft vertretene Auffassung, vor allem die Großindustrie habe in der Weimarer Republik die NSDAP finanziert und durch direkte Einwirkung auf Entscheidungsträger (wie zum Beispiel durch die Industrielleneingabe vom November 1932) an die Macht gebracht. Daher, so die Behauptung, sei das personale Handeln der Großindustriellen der wichtigste Faktor, der zu der Übergabe der Macht an die Nationalsozialisten beigetragen hätte. Hier wird im Sinne des konspirationistischen Weltbildes ein zentrales weltgeschichtliches Ereignis auf das zielgerichtete verborgene Wirken einer kleinen Minderheit zurückgeführt. Die Kanzlerschaft Hitlers ist dieser monokausalen Auffassung zufolge alleiniges Ergebnis der Expansionsinteressen verborgen handelnder Kapitalisten. Andere Faktoren wie die nationalsozialistische Massenbewegung, die Weltwirtschaftskrise, die Folgen des als nationale Schmach empfundenen Versailler Vertrags und der Mangel an entschiedenen Verteidigern der Republik werden demgegenüber ausgeblendet. Die historische Forschung nimmt heute dagegen an, dass der Anteil der Großindustrie an der Finanzierung der NSDAP gering war, unbeschadet der Tatsache, dass sie durchaus aktiv an der Zerstörung der Weimarer Republik mitgewirkt hat. Auch wird die Einflussnahme einzelner Großindustrieller nicht geleugnet, aber in ein komplexes multifaktorielles Ursachengeflecht aus institutionellen Rahmenbedingungen, ökonomischer Entwicklung, politischer Kultur, sozialem Gefüge und ideologischen Einflüssen eingeordnet.

Alles in allem scheint aber das allgemeine Problem, in welchem Verhältnis Leninismus und Verschwörungstheorien zueinander stehen, noch lange nicht ausdiskutiert zu sein.

Verschwörungstheorien in den USA seit 1945

Während nach 1945 konspirationistische Erklärungen in Westeuropa bis in die 1990er Jahre kaum Resonanz erhielten, konnten sie in den USA eine breite Anhängerschaft gewinnen. Auslöser war der „Ausschuss für unamerikanische Aktivitäten“ von Senator Joseph McCarthy von 1950 bis 1954, der regelrechte Musterbeispiele für Verschwörungstheorien produzierte.

Auch in der Folge nahm deren Zahl und Verbreitung in den USA nicht ab. Seit 1963 bietet das Attentat auf John F. Kennedy Anlass zu Verschwörungstheorien, die nachzuweisen versuchen, die CIA habe gemeinsam mit der Mafia, Exilkubanern, Vizepräsident Lyndon B. Johnson und Vertretern des militärisch-industriellen Komplexes den Mord an den Präsidenten zu verantworten. Dahinter stecke ein Staatsstreich, der Kennedys Politik zunichte gemacht habe. Manche sehen die Mafia auch als alleinigen Drahtzieher des Attentats, weil die Regierung für die Organisierte Kriminalität eine akute Bedrohung darstellte. Eine weitere Version sieht hinter dem Mord das Castro-Regime, das den ständigen Widersacher Kennedy angeblich „beseitigen“ wollte. Diese Vorstellung wurde auch von Präsident Johnson nahegelegt.

Seit 1969 verstummen auch die Zweifel an der tatsächlichen Mondlandung nicht, siehe „Mondlandungslüge“.

Anfang der 1980er Jahre führte die sog. „October-Surprise“-Verschwörung sogar zu einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss: Danach sollen Persönlichkeiten aus dem Umfeld von Ronald Reagan den iranischen Revolutionsführer Ayatollah Khomeini dazu gebracht haben, die Geiseln in der amerikanischen Botschaft erst nach seiner Wahl zum Präsidenten freizulassen. Obwohl Reagans Vorgänger Jimmy Carter diese These unterstützte, konnte der Untersuchungsausschuss keine stichhaltigen Belege für dieses Komplott finden.

Gegenstand der Verdächtigungen ist also häufig die eigene Regierung, der unter anderem von fundamentalistischen Christen, Rechtsanarchisten und der National Rifle Association (NRA) unterstellt wird, im Bunde mit der UNO, anderen übernationalen Mächten oder sogar Außerirdischen daran zu arbeiten, Freiheit und Moral der Bevölkerung zu unterminieren und eine „neue Weltordnung“ errichten zu wollen. Anlass hierzu bot zuletzt das Massaker von Waco (Texas) 1993.

Diese gegen die eigene Regierung gerichteten Verdächtigungen wurden auch im Zuge der Terroranschläge am 11. September 2001 in den USA fortgesetzt und fanden auch in Europa weite Verbreitung. Demnach sei die Bush-Regierung selbst für die Angriffe auf das World Trade Center und das Pentagon verantwortlich, um ihre Kriegspläne gegen Afghanistan und den Irak umzusetzen und eine unilaterale Dominanz zu etablieren – siehe hierzu Verschwörungstheorien zum 11. September 2001.

Ab dem 18. September 2001, kurz nach dem Anschlag auf das World Trade Center, wurden mit Milzbrand verseuchte Briefe an Regierungsstellen versandt. Fünf Menschen starben. Die Urheber dieser Briefe wurden bis heute nicht gefasst und geben Anlass für Verschwörungstheorien, da diese Briefe eine zusätzliche weltweite Hysterie auslösten, aber sehr schnell aus dem Blickfeld der Medien verschwanden, als bekannt wurde, dass der oder die Attentäter wahrscheinlich US-Bürger waren.

Viele aktuelle Verschwörungstheorien in den USA kreisen um die Tätigkeit der nationalen Geheimdienste. Beispielsweise wird behauptet, dass ein Versuchsprojekt der CIA zur Bewusstseinskontrolle mit dem Codenamen MKULTRA, das von den 1950ern bis in die 1970er Jahre mit Wahrheitsdrogen experimentierte, keineswegs eingestellt worden sei. Auch die NSA mit ihrem mächtigen Abhörapparat Echelon weckt konspirationistische Befürchtungen, wie sie zum Beispiel 1998 der Film Der Staatsfeind Nr. 1 mit Will Smith und Gene Hackman illustrierte. Besonders stark verbreitet sind Verschwörungstheorien unter der afroamerikanischen Bevölkerung der USA: Hinter den Morden an Malcolm X und Martin Luther King werden innerhalb dieser sozialen Gruppe oftmals Geheimdienste oder die Regierung vermutet. Auch die Thesen, dass Schusswaffen, Crack und AIDS - Phänomene, von denen die afroamerikanische Bevölkerung überdurchschnittlich betroffen ist - von interessierter Seite absichtlich in deren Wohngebiete gebracht worden wären, finden hier weite Verbreitung. Genährt wurden diese Verdächtigungen u.a. durch die Tatsache, dass die CIA den Kokain-Schmuggel der Contras in die USA tolerierte.

Verschwörungstheorien in der islamischen Welt heute

Ähnlich wird auch in den konspirationistischen Theorien argumentiert, die gegenwärtig in der islamischen Welt florieren. Hier ist eine Mischung zu beobachten, die sich aus den Verschwörungstheorien zum 11. September, aus teils klassischen, teils antiimperialistisch modernisierten antisemitischen Verschwörungstheorien und aus konspirationistischen Versuchen zusammensetzt, für die geringen Entwicklungserfolge, die die arabische Welt in den letzten hundert Jahren erzielt hat, einen Sündenbock zu finden. Obwohl diese antisemitischen Verschwörungstheorien an einige judenfeindliche Stellen im Koran anknüpfen können (z.B. Sure 4, Vers 155), werden sie von den meisten Islamwissenschaftlern heute nicht als genuine Frucht des Islam, sondern als Import ursprünglich europäischen Gedankenguts interpretiert. Virulent wurden diese Verschwörungstheorien vor allem seit dem Sechs-Tage-Krieg 1967 - spätestens seitdem wird Israel, der „kleine Satan“ als Agent der imperialistischen USA, des „großen Satan“, hingestellt, dessen Ziel es sei, eine Weltherrschaft zu errichten und entweder den Islam oder die Besonderheiten der Völker zu vernichten. Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad zum Beispiel verkündete am 26. Oktober 2005 auf einer Konferenz zum Thema „Die Welt ohne Zionismus“:

„Der Staat Israel wurde von der globalen Arroganz“ (gemeint war der US-Imperialismus) „mit dem Ziel gegründet, einen Brückenkopf in die islamische Welt hinein zu errichten, um sie zu bekämpfen.“

Ein solcher antiamerikanisch-antizionistischer Verschwörungsdiskurs hat sich in den letzten Jahren als teilweise anschlussfähig auch für globalisierungskritische Linksextremisten erwiesen.

Die tiefe Verwurzelung konspiratistischen Denkens in der islamischen Welt zeigt sich übrigens auch daran, dass die Kritiker der islamistischen oder patriarchal-autoritären Regime nicht davon frei sind. Die ägyptische Menschenrechtlerin Nawal al-Saadawi zum Beispiel kann sich die Schwäche der Demokratie im arabischen Raum und die fast unangefochtene Herrschaft der Diktatoren nur personalisierend und monokausal damit erklären, dass diese „immer im Auftrag des amerikanischen und israelischen Kolonialismus“ gestanden hätten.

Erklärungsansätze für konspirationistische Verschwörungstheorien

Konspirationistisches Denken lässt sich für alle Zeiten und alle Kulturen der Menschheit nachweisen. Dennoch unterliegt seine Popularität Schwankungen: In einigen Gesellschaften tritt es über einen gewissen Zeitraum als Massenphänomen auf, in anderen scheint es konstantes Merkmal der politischen Kultur zu sein, während wieder andere nur in geringem Maße davon betroffen sind. Wie der historische Überblick gezeigt hat, waren z.B. die Epoche der französischen Revolution oder Jahre um den Zweiten Weltkrieg herum Zeiten konspirationistischer Hochkonjunktur. Mehrere Erklärungen für diese Phasenwechsel bieten sich an:

  • Der unterschiedliche Bedrohungsgrad einer Gesellschaft
Das konspirationistische Weltbild ist gerade dort vertreten, wo sich mehr oder minder große Teile einer Gesellschaft von außen bedroht fühlen. Das war etwa bei der Pest des Mittelalters genauso der Fall wie im elisabethanischen England, im revolutionären Frankreich oder auch im Deutschland der zwanziger Jahre, als der überraschend verlorene Weltkrieg und der als nationale Schmach empfundene Versailler Vertrag die Suche nach einem Sündenbock motivierten. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, dass das Ergebnis dieser Suche stets irrational ist und in Wirklichkeit mit der Verursachung der als unerfreulich empfundenen Lage oft nur wenig oder – wie im Falle des deutschen Antisemitismus – überhaupt nichts zu tun hat. Gegen die Annahme, dass eine äußere Bedrohung alleine für die Verbreitung des konspirationistischen Weltbilds in einer Gesellschaft ausreicht, spricht die Tatsache, dass nicht jede Gesellschaft in Not mit Verschwörungstheorien auf ihre Bedrohung von außen reagiert: Obwohl Großbritannien während des Zweiten Weltkriegs in der Tat schwer bedroht war, fanden Verschwörungstheorien keinen Massenanhang.
  • Die unterschiedliche Aufgeklärtheit einer Gesellschaft
Verschwörungstheorien im konspirationistischen Sinne reduzieren Komplexität: Sie lösen unübersichtliche und diffuse Situationen dadurch auf, dass sie sie auf einzelne bekannte Phänomene zurückführen und damit bearbeitbar machen. Die Situation mag immer noch bedrohlich sein, unerklärlich ist sie nicht mehr. Der Mythos als Verarbeitungsform von Wirklichkeit besteht nach Hans Blumenberg darin, das Subjekt einer Geschichte zu finden und zu benennen (Arbeit am Mythos, 1979). Dementsprechend müssten Gesellschaften, die über die zahlreichen und sich obendrein wechselseitig bedingenden Kausalverhältnisse in Geschichte, Wirtschaft und Politik besser aufgeklärt sind, weniger anfällig für das konspirationistische Weltbild sein. Tatsächlich aber lässt sich eine Abnahme der Verschwörungstheorien im Lauf der Zeit nicht in allen Gesellschaften finden. Gerade im 18. Jahrhundert, dem Zeitalter der Vernunft, gab es eine deutliche Häufung von Verschwörungstheorien. Ähnliches ist in den USA zu beobachten, einer Gesellschaft mit einem guten, wenn auch inhomogenen Bildungssystem: Hier scheint die Popularität von Verschwörungstheorien seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs konstant zu bleiben, wenn nicht sogar zuzunehmen, weswegen 1965 Richard Hofstadter den „paranoiden Stil“ nachgerade als Merkmal für die politische Kultur seines Landes beschrieb: Einen Rückgang des konspirationistischen Denkens bei vermehrter Bildung scheint es nicht zu geben.
  • „Dialektik der Aufklärung“
Vielleicht muss der Zusammenhang zwischen Konspirationismus und Vernunft auch einfach umgedreht werden. Der Historiker Dieter Groh vermutet hier eine „Dialektik der Aufklärung“ im Sinne Adornos: Verschwörungstheorien sind als „das Andere der Vernunft“ Schattenseite und gleichzeitig Gegenbewegung einer zu schnell sich vollziehenden Rationalisierung aller gesellschaftlichen Beziehungen; denn das Aufkommen des konspirationistischen Weltbilds hängt gerade mit der Aufklärung und Säkularisierung zusammen, die irrationale Welterklärungen durch rationales Wissen ablösen und zurückdrängen will; wenn man nicht mehr alles mit dem Wirken eines allmächtigen Gottes erklären kann, wächst die Neigung, unerfreuliche Phänomene den Machenschaften einer Verschwörergruppe zuzuschreiben, da irgendjemand ja dafür verantwortlich sein muss. Für diesen Zusammenhang von technischem Fortschritt und Rationalität auf der einen Seite sowie mentaler Modernitätsverweigerung und Antirationalismus auf der anderen prägte der Philosoph Ernst Bloch auch den Begriff der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“. Jüngere ethnologische Untersuchungen legen einen ähnlichen Zusammenhang nahe zwischen Konspirationismus und der Bedrohung einer traditionalen Gesellschaft durch Modernisierung. J. Clyde Mitchell hat bei seinen Untersuchungen der Volksgruppe der Yao in Sambia aufgedeckt, dass mit der Unübersichtlichkeit des sozialen Wandels dort die Anklagen wegen witchcraft (allgemeiner magischer Schädlichkeit) zunahmen, wohingegen die angeblichen Fälle von sorcery (konkretem Schadenzauber) abnahmen: Sie dienen offenkundig dazu, soziale oder stammespolitische Konflikte auszutragen.
  • Verschwörungstheorie als politische Religion
Im Anlehnung an Eric Voegelin werden Verschwörungstheorien als Elemente politischer Religion oder als solche selbst beschrieben. Gerade dort, wo die Welt säkularisiert ist, wo also der Gottesbezug die Kontingenz der Welt nicht mehr erklärt, setzt die Verschwörungstheorie zur Welterklärung ein. Nicht mehr widergöttlich Kräfte sind Ursache des Bösen, sondern eine "große Verschwörung" gilt als die treibende Kraft der Geschichte. Norman Cohn vermutet dabei nicht nur phänomenologische Parallelen zu den chiliastischen Bewegungen des Mittelalters, sondern eine "gewisse Kontinuität", wobei die alten religiösen Ausdrucksformen durch weltliche ersetzt worden seien. Einzelne Verschwörungstheorien sind Gegenstand der Religionswissenschaft geworden.
  • Die unterschiedliche Akzeptanz oppositioneller Gruppen
Nach der letzten Hypothese wäre eine notwendige Bedingung für die Beliebtheit des konspirationistischen Weltbilds in einer Gesellschaft die fehlende Akzeptanz einer Opposition. Wenn es erlaubt ist, gegen die Regierung aufzutreten, schwindet die Versuchung, derartige Bestrebungen als Verschwörung zu ächten: Sie sind dann keine Verschwörung mehr, die sich vielleicht schon aus Furcht vor politischer Verfolgung konspirativer Mittel bedienen muss, sondern eine legitime Oppositionspartei. In der Tat fällt auf, dass in den Staaten Europas jeweils mit dem Aufkommen des Parteienwesens das konspirationistische Weltbild zurückgeht. In England ist dieser Moment 1688 mit der Glorious Revolution gekommen, als sich die Gegner des neuen Königs Wilhelm von Oranien als „die loyale Opposition seiner Majestät“ bezeichneten und damit verschwörerischer Umtriebe nicht mehr verdächtig waren – danach hat es keine Verschwörungstheorie in England mehr zu Massenanhang gebracht. Ähnlich in Frankreich nach der Julirevolution 1830 und in Deutschland nach der von 1848: Mit dem Pluralismus und der damit einhergehenden Institutionalisierung von Parteien verbreitet sich eine moderne Vorstellung von Politik, die der traditionalen oder charismatischen Herrschaft eine rationale Form der Konsensbildung durch öffentliche Diskussion gegenüberstellt. Mit zunehmender Transparenz und Verfahrenslegitimation, wie sie die dritte Form in Max Webers Typologie kennzeichnen, nämlich die rationale Herrschaft, verlieren konspirationistische Vorstellungen somit ihre Glaubwürdigkeit. In diesem Sinne könnte dann die breite Annahme der antisemitischen Verschwörungstheorien des Nationalsozialismus als besonders schwerer Rückfall in das eigentlich bereits überwundene konspirationistische Weltbild verstanden werden.
Warum aber blieb der “conspiracism” in den Vereinigten Staaten so auffällig konstant, obwohl diese doch eine stabile Demokratie mit eingespieltem Wechsel von Regierungs- und Oppositionspartei besitzen? Die Antwort mag in den Traditionen der politischen Kultur zu suchen sein, die sich von denen des alten Kontinents unterscheiden. Die USA stehen noch heute in der Tradition der Pilgerväter und ihres Puritanismus, der durch teilweise Säkularisierung nichts von seinem moralischen Rigorismus verloren hat: Seit dem Unabhängigkeitskrieg ist in den USA die Perspektive populär, in politischen Auseinandersetzungen einen Kampf von Gut gegen Böse zu erkennen. Die „Bösen“ sind dabei die anderen, ob das nun kolonialistische Briten, sklavenhalterische Südstaatler, militaristische oder gar faschistische Deutsche, kommunistische Sowjets, oder islamistische Afghanen und Araber sind. Daher besteht die Neigung, eine Systemopposition nicht, wie in Europa üblich, politisch zu verstehen, sondern moralisch, und das heißt: als böse. In diesem Sinne könnte der in USA verbreitete “conspiracism” als Indiz einer unreifen politischen Kultur verstanden werden, die ihren Gegnern die Existenzberechtigung abspricht und sie folgerichtig als Verschwörer herabsetzt.

Konspirationismus und Gewalt

Der historische Überblick über die Konjunkturen des konspiratistischen Weltbilds zeigt die immense Gewaltbereitschaft, die mit diesem Denken einhergeht: Vom mittelalterlichen Inquisitionsterror gegen Andersgläubige über die englischen Verfolgungen von Kryptokatholiken und Jesuiten zur «grande terreur» der Französischen Revolution, dann vom Schrecken des stalinistischen Gulag bis schließlich zum Grauen in den Vernichtungslagern der Nazis: Stets folgte aus der „Entlarvung“ vermeintlicher Verschwörer und Volksfeinde deren blutige Eliminierung. Und noch in der jüngsten Vergangenheit zeigt der Bombenanschlag von Oklahoma City von 1995 die mörderische Potenz des Konspirationismus.

Der Zusammenhang ist notwendiger Bestandteil der scheinrationalen Logik des konspirationistischen Weltbilds: Wenn die Bedrohung durch die als übermächtig vorgestellten Verschwörer so groß ist und wenn es auf Grund der ideologischen Selbstabdichtung keinerlei Mittel gibt, diese Phantasievorstellung zu widerlegen, muss buchstäblich jedes Mittel recht sein, sich ihrer zu erwehren.

Insofern ist zu vermuten, dass die vergleichende Genozidforschung künftig auf noch mehr Beispiele konspirationistischen Denkens stößt, wie es jüngst erst bei der Erforschung des Völkermords an den Armeniern geschah: Auf Grund der Erfahrungen des griechischen Unabhängigkeitskrieges (1821 – 1829), als eine christliche Minderheit sich gewaltsam mit Hilfe einer europäischen Großmacht aus dem Osmanischen Reich gelöst hatte, fürchtete die jungtürkische Regierung im Jahre 1915 Ähnliches: Sie vermutete, die christlichen Armenier würden insgeheim im Bunde stehen mit Russland, das schon lange Interesse an der Kontrolle der Meerengen besaß. Daher schalteten sie mit den Todesmärschen in die mesopotamische Wüste diese vermeintliche „fünfte Kolonne“ des Kriegsgegners aus.

Doch Gewalt ist nicht nur die Folge staatlicher Verschwörungstheorien „von oben“: In den beiden großen Freiheitskämpfen des 18. Jahrhunderts spielen Verschwörungstheorien „von unten“ für die Motivation der Revolutionäre eine nicht zu unterschätzende Rolle. Von George Washington etwa ist bekannt, dass er hinter dem konfliktträchtigen Handeln der britischen Regierung, das zum amerikanischen Unabhängigkeitskrieg führte, eine Verschwörung witterte: Die Besteuerung der Kolonisten ohne ihre Repräsentation im Parlament erschien ihm nicht als rationale Verfolgung britischer Interessen, die nur eben den seinen widersprachen und die politisch, das heißt durch Verhandlung und Kompromiss, zu regeln wäre, sondern als absichtliche und vor den Amerikanern lange geheim gehaltene Böswilligkeit, die es zu bekämpfen gelte – eine Interpretation, die den Kämpfern für die Unabhängigkeit gewiss mehr Anhänger zuführte, als wenn er sie rein rational dargestellt hätte.

Noch deutlicher wird der Zusammenhang von revolutionärer Gewalt und Verschwörungstheorie im vorrevolutionären Frankreich, wo unter der Landbevölkerung immer wieder Gerüchte von Hungerverschwörungen aufflackerten. Die berühmteste und wohl auch folgenreichste war das im Frühjahr 1789 massenhaft kolportierte Gerücht, Adel und König würden absichtlich die Getreideversorgung verknappen, um in der folgenden Hungerkrise den beim Volk beliebten Finanzminister Jacques Necker entlassen und die von ihm empfohlene Einberufung der Generalstände aussetzen zu können. Diese Verschwörungstheorie trug nicht unwesentlich zur Delegitimierung des Ancien Régime und zur Bereitschaft der von einer Hungersnot bedrohten Massen bei, auch Gewalt einzusetzen.

Die Gerüchte um Hungerverschwörungen ließen in der Folgezeit aber nicht nach. Tatsächlich waren ähnliche Sorgen der Pariser Sansculotten im Zusammenhang mit der durch Inflation bedrohten Revolutionswährung, den Assignaten, einer der Auslöser für den massenhaften Terror des Wohlfahrtsausschusses. Die Verschwörungstheorie, die revolutionäre Gewalt „von unten“ motiviert hatte, war zur Rechtfertigung staatlichen Terrors „von oben“ geworden.

Verschwörungstheorien in der Literatur

Verschwörungstheorien, ihre intrigante Lancierung oder Aufdeckung sind seit je Stoff zahlreicher Bühnenstücke und Prosawerke.

Seit einiger Zeit werden Verschwörungstheorien vor allem in der amerikanischen Literatur thematisiert. Hier lassen sich drei Aspekte ausmachen, die sie für Autor und Leserschaft interessant machen: Spannung, Satire und Postmoderne; bei vielen Büchern kommen mehrere dieser Aspekte zum Tragen:

  • (Welt-) Verschwörungstheorien eignen sich hervorragend dazu, Spannung zu erzeugen: Der Held dringt mit dem Leser immer tiefer in die Geheimnisse einer ungeheuerlichen Konspiration ein, gerät eben dadurch mehrfach in größte Gefahr und entkommt den finsteren Geheimbündlern nur knapp, wenn überhaupt. Dieser Dramaturgie gehorchen z. B. die Romane von Dan Brown, aber auch Umberto Ecos Das Foucaultsche Pendel.
  • Satirisch werden Verschwörungstheorien zum Beispiel in William S. Burroughs berühmter Kurzgeschichte „23 Skiddoo“ behandelt, die in schnoddrigem Insider-Jargon schildert, wie einem obskuren Geheimdienst seine telepathisch kontrollierten Mörder aus dem Ruder laufen. Auch die Illuminatus-Trilogie von Robert Anton Wilson und Robert Shea benutzt vielfach satirische Momente, etwa wenn gleich zu Beginn des ersten Bandes der Konspirationismus als Ideologie entlarvt wird mit dem das Kommunistische Manifest parodierenden Motto: „Die Geschichte der Welt ist die Geschichte der Kriege zwischen Geheimbünden“.
  • In der postmodernen Literatur tritt das Motiv der Verschwörungstheorie besonders häufig auf. Hier dient es dazu zu belegen, dass alles, was gemeinhin für Wirklichkeit gehalten wird, letztlich eine Konstruktion und bloße Vereinbarung ist: So offenkundig konstruiert wie eine Verschwörungstheorie ist demnach überhaupt jede Vorstellung der Realität. Dies wird in der Illuminatus-Trilogie mit dem von Timothy Leary entlehnten Begriff des „Realitätstunnels“ sogar explizit erklärt: Aus der gegen unendlich laufenden Zahl der möglichen Interpretationen der Welt einigt sich eine Gesellschaft auf eine, die dann als verbindlich indoktriniert wird. Erleuchtung erfahren die Protagonisten der Romantrilogie durch einen sogenannten Mindfuck, der ihren Realitätstunnel zerstört und sie so in Stand setzt, einen eigenen zu konstruieren. Wesentlich schwieriger zu deuten sind die frühen Romane von Thomas Pynchon wie V. oder The Crying of Lot 49, in denen Verschwörungstheorien zugleich ironisiert und als Chiffre für die untergründigen Zusammenhänge der Welt gesetzt werden. Pynchon nimmt hier jedoch - weit vom postmodernen Pop-Eklektizismus Wilsons entfernt - die Tradition der literarischen Moderne auf; die Unverständlichkeit der Bedrohung in The Crying of Lot 49 erinnert an Kafkas Albtraumwelten und auch die "mythologische Ordnungsmethode" aus Joyces Ulysses wird reflektiert, bei der die Mythologie zu einer zweiten, die bunte Oberfläche gliedernden Wirklichkeitsebene wird. In The Crying of Lot 49 stößt die Protagonistin Oedipa Maas auf immer mehr Indizien für die Existenz einer geheimnisvollen Post-Verschwörung, bis sie schließlich vor der Alternative steht, sich entweder außerhalb dessen zu stellen, was die anderen Menschen für Realität halten, oder innerhalb des gesellschaftlichen Konsenses zu bleiben, was aber bedeutet, dass sie ihrer eigenen Wahrnehmung nicht mehr trauen kann – sie müsste sich dann selbst für verrückt erklären. Eine positivere Darstellung erfahren die Verschwörungstheorien in Pynchons Roman Die Enden der Parabel: Hier dienen sie, ähnlich wie bei Wilson, als selbstkonstruierte Fluchtmöglichkeiten, als Wege aus dem gigantischen Todes-, Indoktrinations- und Verwertungszusammenhang der geschilderten Welt. Negativ werden Verschwörungstheorien dagegen im Werk Don DeLillos gesehen: In dem Roman Sieben Sekunden, in dessen Mittelpunkt der Kennedy-Attentäter Lee Harvey Oswald steht, wird geschildert, wie er von CIA-Agenten dahin manipuliert wird, sich selbst für einen Mord verantwortlich zu zeigen, den er nicht begangen hat: Verschwörungstheorie wird hier zur Metapher der Fremdbestimmung und Manipulation des Menschen. Zugleich knüpft DeLillos Version der Ereignisse selbst an eine bekannte Verschwörungstheorie an.

Einzelbeispiele

  1. 666
  2. Achse des Bösen
  3. AIDS
  4. Area 51
  5. Attentat auf John F. Kennedy
  6. Attentat auf Robert F. Kennedy
  7. Bielefeldverschwörung (Parodie)
  8. Brunnenvergiftung
  9. Chemtrail
  10. John Dillinger
  11. Dolchstoßlegende
  12. Erfundenes Mittelalter
  13. Flugzeugabsturz von Ustica
  14. Freie Energie
  15. Freimaurerei
  16. HAARP
  17. Heiliger Gral
    1. Prieuré de Sion
  18. Hermetik
  19. Hostienfrevel
  20. Illuminatenorden
    1. 23
    2. Adam Weishaupt
    3. Siegel der USA
  21. Jakob Segal
  22. Johannes Paul I.
  23. Ludwig II.
    1. Guglmänner
  24. Jörg Lanz von Liebenfels
  25. Mondlandungslüge
  26. Der Tod von Marilyn Monroe
  27. Montauk-Projekt
  28. Opus Dei
  29. Paul is dead
  30. Philadelphia-Experiment
  31. Pearl-Harbor-Komplott
  32. Protokolle der Weisen von Zion
  33. Einstellung der Raketenversuche von Cuxhaven
  34. Ritualmord
  35. Pat Robertson
  36. Rothschilds
  37. Satanssynagoge
  38. Skull & Bones
  39. Sonnentempler
  40. Teufelsanbetung
  41. Nikola Tesla
  42. Thule-Gesellschaft
    1. Thule-Orden
    2. Vril-Gesellschaft
      1. Reichsflugscheibe
  43. UFO-Absturz von Roswell
  44. Verschwörungstheorien zum 11. September 2001
  45. Zionist Occupied Government

Siehe auch

Literatur

  • Mathias Bröckers: Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11.9. Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2002. ISBN 3-861-50456-1
  • Ute Caumanns, Mathias Niendorf (Hrsg.): Verschwörungstheorien. Anthropologische Konstanten - historische Varianten. fibre, Osnabrück 2001. ISBN 3929759470
  • Norman Cohen: Warrant for Genocide. London 1967.
  • E. Gugenberger, F. Petri, R. Schweidlenka: Weltverschwörungstheorien. Die neue Gefahr von rechts. Deuticke, Wien-München 1998. ISBN 3216303780
  • Bernd Harder: X-Akten gelöst - Die Enträtselung der `unheimlichen´ Fälle. Alibri, Aschaffenburg 1999. ISBN 3932710177
  • Tobias Jaecker: Antisemitische Verschwörungstheorien nach dem 11. September. Neue Varianten eines alten Deutungsmusters. LIT, Münster 2004. ISBN 3825879178
  • Karl Markus Michel, Tilman Spengler (Hrsg.): Verschwörungstheorien. Kursbuch 124. Rowohlt, Berlin 1996. ISBN 3-87134-124-X
  • Mark Fenster: Conspiracy Theories. Secrecy and Power in American Culture. Minneapolis 1999. ISBN 0-8166-3242-1
  • Carl F. Graumann, Serge Moscovici (Hrsg.): Changing Conceptions of Conspiracy. New York u.a. 1987 (Springer Series in Social Psychology). ISBN 0-387-96223-9
  • Richard Hofstadter: The Paranoid Style in American Politics and Other Essays. London 1966. (Nachdr. Chicago 1990) ISBN 0226348172
  • Gerd Koenen: Marxismus-Leninismus als universelle Verschwörungstheorie, in: Die neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte,H. 2 (1999), S. 127-132
  • Marc Lutter: Sie kontrollieren alles! – Verschwörungstheorien als Phänomen der Postmoderne und ihre Verbreitung über das Internet. CD-Edition, München 2001 (Moderne-Postmoderne. Bd. 2). ISBN 3-935147-09-0
  • Stefan Maiwald: Ungelöst. Unglaubliche Verschwörungstheorien von A wie Anastasia bis Z wie Zeppelin Hindenburg. Knauer Verlag. München 1999. ISBN 3-426-77404-6
  • Wolfram Meyer zu Uptrup: Kampf gegen die "jüdische Weltverschwörung". Propaganda und Antisemitismus der Nationalsozialisten 1919 bis 1945. Metropol Verlag, Berlin 2003, ISBN 3-932482-83-2
  • Frank P. Mintz: The Liberty Lobby and the American Right. Race, conspiracy and culture. Greenwood Press Westport, Connecticut 1985. ISBN 0-313-24393-X
  • Jane Parish, Martin Parker (Hrsg.): The Age of Anxiety. Conspiracy Theory and the Human Sciences. Oxford-Malden 2001. ISBN 0-631-23168-4
  • Daniel Pipes: Verschwörung. Faszination und Macht des Geheimen. Gerling, München 1998. ISBN 3932425081
  • Helmut Reinalter (Hrsg.): Verschwörungstheorien. Theorie - Geschichte - Wirkung. Studienverlag, Innsbruck 2002, ISBN 3706515105
  • J.M. Roberts: The Mythology of the Secret Societies. Secker and Warburg, London-New York 1972. ISBN 0-684-12904-3
  • Johannes Rogalla von Bieberstein: Die These von der Verschwörung 1776 - 1945. Philosophen, Freimaurer, Juden, Liberale und Sozialisten als Verschwörer gegen die soziale Ordnung. Bern 1976, Flensburg 1992. ISBN 3-926841-36-2
  • Schauprozesse unter Stalin 1932 – 1952. Zustandekommen, Hintergründe, Opfer. Vorwort von Horst Schützler. Dietz, Berlin 1990. ISBN 3-320-01600-8
  • Robert A. Wilson, Miriam J. Hill: Das Lexikon der Verschwörungstheorien. Piper, München 2004. ISBN 3492240240
  • Bassam Tibi: Die Verschwörung - Mu'amarah. Das Trauma arabischer Politik. Hoffmann und Campe, Hamburg 1993. ISBN 3-455-08477-X
  • Slavoj Zizek: Liebe deinen Nächsten? Nein danke! Die Sackgasse des Sozialen in der Postmoderne. Volk und Welt, Berlin 1999. ISBN 3353011560
Wiktionary: Verschwörungstheorie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

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