Wikipedia:Kurier/Ausgabe 3 2019
Etwas weniger Maskulinität, bitte!
Wikipedia wird von alten Männern dominiert. Der Frauenanteil bei den Mitwirkenden beträgt um die 10%.
Das merkt man an einer Schlagseite bei den Themen: jedem drittklassigen Fußballspieler, jedem Pornosternchen ist ein Artikel gewidmet. Jede Menge hochklassige Bühnenkünstlerinnen, Musikerinnen und Wissenschaftlerinnen fehlen. Wenn wir eine Enzyklopädie sein wollen und kein Herrenmagazin, dann muss diese Schieflage beseitigt werden. Wir brauchen Autorinnen, damit die „weiblichen“ Themen besser zur Geltung kommen. Kluge, gebildete Frauen, die sich die Mühe machen. Gerade von diesen fühlen sich jedoch viele abgestoßen. Stellen wir uns der Wahrheit, Männer (!): Wir genießen draußen nicht den besten Ruf!
Zum einen also die Umgangsformen. Auch in Sankt Gallen war das ein Thema, und Gnom hat dazu geschrieben, wie wichtig es ist, dass wir da am Ball bleiben. Es sind nicht nur die ganz krassen Feindseligkeiten. Auch kurz angebundene Reverts, Insider-Jargon und herablassendes Gehabe stoßen ab.
Ich möchte auf einen weiteren Faktor näher eingehen: das generische Maskulinum. Hierzu gab es jüngst einen bemerkenswerten Streitfall. Er drehte sich um diese Liste. Sie fing sich einen Löschantrag ein, der zurückgezogen wurde. Auf erneuten Löschantrag löschte sie dann ein Admin. In Löschprüfung entschied dann eine Admina, dass die Liste wiederhergestellt wird und bleibt. In der Löschdiskussion ergab sich unter anderem:
- Die Liste sei redundant zu einer übergreifenden Liste von Science-Fiction-Autoren.
- Ein Filtern nach weiblichen oder männlichen Personen sei besser mithilfe einer sortierbaren Liste und einer Spalte Geschlecht zu bewerkstelligen.
- Die Aufnahme einer solchen Spalte in Personenlisten war jedoch früher einmal generell abgelehnt worden.
Neben der sehr ausgiebigen Lösch- und Löschprüfungsdiskussion fand das Ganze auch seinen Widerhall auf Twitter, und da kamen wir ganz schlecht weg. Das war eine prima Anti-Werbung für neue Autorinnen.
Nun gut, der Artikel bleibt. Aber ein Nachhall hat sich ergeben, nämlich ein Meinungsbild zur Nennung des Geschlechts in Personenlisten. Würde mich freuen, wenn Ihr zahlreich für den Antrag stimmt, sobald das Meinungsbild zur Abstimmung kommt.
Persönlich habe ich auch so meine Erfahrungen. Aufgrund meines Interesses für Flamenco schreibe ich des öfteren Biografien über Tänzerinnen. Jedesmal, wenn ich den Text fertig habe, und es ans Veröffentlichen geht, komme ich mir sehr albern und schratig vor. Dann heißt es nämlich, Kategorien zu vergeben: Flamenco-Tänzer, Spanier, und dann – Frau. Holla die Waldfee! Sodann gilt es, die Person in die Liste bedeutender Tänzer einzutragen. Tänzer! Ohne jetzt nachgezählt zu haben, vermute ich stark, dass es sich mehrheitlich um Frauen handelt.
Das Argument, dass es sich um Gattungsbegriffe handelt, und dass Frauen „mit gemeint“ seien, stimmt einfach nicht. Es ist inzwischen gut belegt, dass Menschen bei Bezeichnungen wie Ärzte, Ingenieure oder Tänzer vorwiegend Männer vorstellen. Das grammatische Sein bestimmt das Bewusstsein. Diese Zurücksetzung ist ein Grund, warum sich manche Frau, die Wertvolles beitragen könnte, der Mitarbeit verschließt.
Lasst uns das generische Maskulinum zurückdrängen. Die Liste bedeutender Tänzer lässt sich schadlos nach Liste bedeutender Tänzerinnen und Tänzer verschieben. Dass das Lemma länger wird, ist nicht schlimm. Die Bezeichnung taucht ja nicht ständig in irgendwelchen Fließtexten auf.
Etwas komplizierter wird es bei den Kategorien. Hier ist eine technische Erweiterung nötig. Ich stelle es mir so vor, dass die Kategorien eine weibliche und eine männliche Ausprägung bekommen, etwa so: Kategorie:Tänzerin|Tänzer. Ja nachdem, ob die Person dann zur Kategorie Frau oder Mann gehört, wird die eine oder andere Form gezogen. Ich habe volles Vertrauen in unsere Entwicklerinnen, dass sie das realisieren können.
Ihr Männer und Frauen, was ist das Ziel der Wikipedia, wofür arbeiten wir? Unser Ziel ist, Wissen korrekt, möglichst verständlich und interessant zu vermitteln. Die sprachliche Form ist nur Mittel zu diesem Zweck. Sprache wandelt sich, in zwanzig Jahren werden unsere Kinder und Enkel anders schreiben als wir. Althergebrachte Formen eisern zu verteidigen, kann nicht unser Ziel sein. Stellen wir uns dem Wandel, schaffen wir eine moderne Enzyklopädie, die alle einbezieht!
MB, 27.3.
Fwd: I decided to leave the working group
Wikipedia hat sich verändert, die Community hat sich verändert, die Wikimedia-Organisationen haben sich verändert, und auch der Kurier ist nicht mehr der gleiche wie noch vor wenigen Jahren, als ich auf dieser Seite noch als Autor aktiver war. So begrüßte mich etwa Schlesinger Ende 2011, als wir uns das erste Mal in Köln begegnet sind, ich sei ihm als Journalist erinnerlich – auf Nachfrage: er kenne mich als jemand, der Beiträge für den Kurier schreibe. Aha. Vielleicht wäre es an der Zeit, damit wieder anzufangen, jedenfalls von Zeit zu Zeit, denn zu den Veränderungen, die den Kurier betreffen, gehört auch, dass es schon seit mehreren Jahren gar keine laufende Berichterstattung mehr über die Entwicklung der Trägerorganisationen von Wikipedia gibt. Auch Veränderungen im Board der Trägerstiftung oder bei den Führungspositionen und den Zuständigkeiten der leitenden Angestellten werden fast nicht mehr wahrgenommen. Die Vereine posten hier ihre Wasserstandsmeldungen, sie werden nickend zur Kenntnis genommen, und die Herde zieht weiter. Kann man so machen, klar. Dem entspricht so ziemlich das völlige Verschwinden der Community aus den Wikimedia-Mailinglisten, die sich mittlerweile als reine innerbetriebliche Foren darstellen, in denen fast alle mit einer wikimedia.xy-Adresse posten und in denen alle unter sich und somit so ziemlich einer Meinung sind. Und die Blogs und die Social-Media-Kanäle der Wikimedia-Organisationen werden als Unternehmenskommunikation betrieben, auf denen Spender angesprochen und politische Aktionen propagiert werden.
In diesen alles übergreifenden Konsens hinein erhielten wir heute auf der Mailingliste Wikimedia-l ein Posting des Vorsitzenden von Wikimedia Israel Itzik Edri, der gerade den seit geraumer Zeit schon laufenden „Strategieprozess“ der Wikimedia Foundation verlassen hat, und zwar aus Gründen. Er veröffentlicht dort eine Mail, die er bereits am 13. März 2019 an eine Arbeitsgruppe geschrieben hatte, an der er beteiligt war. Und der er den Rücken gekehrt hat, weil das dort betriebene Geschäft – die Erarbeitung einer neuen „Strategie“ für die Stiftung und die mit ihr verbundenen Organisationen – aus seiner Sicht wohl keine Aussicht auf Erfolg mehr haben dürfte. Zu lange angelegt sei es – über Jahre laufe es schon und soll es noch laufen. Zu viel Geld fließe da hinein – unüberschaubar viel. Zu viele Köche hätten an dem Brei schon mitgekocht – und er wird und wird nicht besser. Zuviele Arbeitsstunden für Angestellte und Freiwillige seien es geworden. Zwischen seinen Zeilen wähnt man das Wort „Verschwendung“, allein es fällt nicht, irgendeine Hemmung hat ihn wohl davon abgehalten, es noch offener zu sagen, obwohl er immer wieder darauf Anlauf nimmt. Mit seinen Gedanken stehe er keinesfalls allein. Er habe Zweifel, ob das Board das alles noch überblicke, worauf man sich hier eingelassen habe. Und man möge sich doch einmal Gedanken darüber machen, ob es nicht besser wäre, das alles abzubrechen, weil nichts dabei herausgekommen sei und wohl auch nichts mehr herauskommen werde. Es liest sich, als wäre es ein einziges großes Arbeitsbeschaffungsprogramm gewesen bisher und vielleicht ein bisschen bitter flicht er ein, nicht Wikidata sei das jüngste Wikimedia-Projekt geworden, sondern eher doch der Strategieprozess.
Itzik Edri veröffentlicht diese zwei Wochen alte Mail zu keinem beliebigen Zeitpunkt, sondern nur zwei Tage vor dem Wikimedia Summit, der vom 29. bis 31. März in Berlin stattfindet, also ab übermorgen, das große weltweite Treffen der Wikimedia-Funktionäre, das größte Zusammenkommen neben der Wikimania und neben ebendieser ein Fixtermin für das Board zu einem seiner vier traditionellen persönlichen Treffen im Jahresablauf. Der Kurier kann letztlich nicht beurteilen, ob die Enttäuschung, die in dieser E-Mail zum Ausdruck kommt, gerechtfertigt ist oder nicht, dazu gibt es viel zu wenige wirklich aussagefähige Stellungnahmen und Anhaltspunkte über die lange, lange Zeit, auf die sich Edri bezieht. Aber die Mail gewährt einen Blick hinter die Kulissen, einen Einblick in den Normalbetrieb hinter den bunten Logos und den meist allzu perfekt getexteten Statements, in eine Welt, die den meisten Wikipedianern bis heute fremd und dunkel geblieben ist und mit der sie sich nicht so recht anfreunden möchten, die aber gleichwohl die Grundlage und die Folie bildet für alles, was sonst noch in Wikipedia geschieht, weshalb hier auch darüber erzählt werden soll. (A, 27.3.)
POTY 2018: keine Tiere in den Top 5
Jedes Jahr wird auf den Wikimedia Commons, dem zentralen Medienspeicher für alle Wikimedia-Projekte, das „Bild des Jahres“ (Picture of the year, POTY) gewählt. Grundlage für die Wahl waren die 963 ausgezeichneten Medien-Dateien des Jahres 2018. In der ersten Runde schickten 2983 Abstimmende die 30 bestplatzierten und von jeder der 25 Kategorien die besten zwei in die zweite Runde. Aus den 57 Finalisten wurden nun durch 3496 Wählerinnen und Wähler die besten Bilder 2018 ermittelt, und der Gewinner mit 439 Stimmen ist JasonWeingart, ein Sturmjäger und Wetter-Nerd, dessen Foto von der Entstehung eines Tornados in Minneola (Kansas) am 24. Mai 2016 eine Fotomontage von acht Folgebildern ist. Das Bild wurde im Rahmen des Fotowettbewerbs der Wissenschaften 2017 hochgeladen und ist bisher der einzige Upload des Vaters und Profifotografen. Platz zwei und drei folgen eng aneinander mit 361 und 356 Stimmen. Die in den Vorjahren so beliebten Tierpaare (der Kurier berichtete) kamen dieses Jahr erst auf Platz sechs zum Zuge mit einer Katze und einer Echse. Auch in diesem Jahr zeigen die Gewinner das ganze Spektrum von Menschen und Tieren, Architektur und Landschaft. Hier das Gewinnerbild und die weiteren fünf Besten:
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„This image is created from eight images shot in two sequences as a tornado formed north of Minneola, Kansas on May 24, 2016. This prolific supercell went on to produce at least 12 tornadoes and at times had two and even three tornadoes on the ground at once“, JasonWeingart, CC BY-SA 4.0
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„EMD GT22CU-3 2403 und 2406 (beides umgebaute GR12) und EMD/Clyde GL26C-2 2008 der FCAB ziehen einen leeren "Kübelzug" (Transport von Erzkonzentrat) von Antofagasta nach Bolivien, aufgenommen zwischen San Pedro und Ascotan, Chile. Im Hintergrund sichtbar ist der Vulkan "San Pedro"“, Kabelleger / David Gubler, CC BY-SA 4.0
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„mit Raureif bedeckte Seifenblase“, Danielarapava, CC BY-SA 4.0
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„suasana Penambangan tradisional belerang di kawah ijen, para penambang bergelut dengan asap beracun untuk mendapatkan belerang“, Candra Firmansyah, CC BY-SA 4.0
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„Washare from the Hamer tribe in Logara, near Turmi, Omo Valley, Ethiopia“, Alfred Weidinger, CC-BY-2.0
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„ Felis silvestris catus (Hauskatze) spielt mit einer Calotes Versicolor (Schönechse), in Laos“, Basile Morin, CC BY-SA 4.0
Danke an alle, die mitgemacht haben! mh, 26.3.
Bekenntnisse eines Dauerdiskutierers
Vor neuneinhalb Jahren habe ich mir notiert: „Die Offenheit der Wikipedia ist eine einnehmende und zugleich tückische Sache. Sie fördert Auseinandersetzung in einem Maß, das nirgendwo sonst zu haben ist …: die Möglichkeit, mit Leuten offen zu streiten, mit denen man sonst nie an einen Tisch käme, ebenso wie die Grenzen.“ „Die Wikipedia bringt in der kooperativen (und konfrontativen) Arbeit Diskussionen zwischen Leuten zustande, die nirgendwo sonst miteinander diskutierten.“ „Die Wikipedia ist eine wahrhaft freie Schule des Ausdrucks, des Recherchierens, des Verstehens, des Präsentierens, des Streitens.“ „Ihre diskursvernetzende Kraft ist beispiellos.“
Der hymnische Ton dieser Notizen ist mir ein bisschen fremd geworden. Und doch komme ich nicht umhin, in der Rückschau auf diese neuneinhalb Jahre festzustellen: Es stimmt noch, immer noch. Trotz aller Verhärtungen und schweren Verluste hat sich die Wikipedia ein Stück Offenheit bewahrt. Noch immer treff ich hier auf Leute, mit denen ich sonst nie an einen Tisch käme. Noch immer lerne ich zu verstehen, was und wie jemand denkt, mit dem ich kaum etwas gemein habe. Noch immer ist die Wikipedia ein Ort, an dem sich Laien Dinge in Kooperation und Streit aneignen, die ihnen früher entzogen waren. Noch immer ist sie, anders als viele soziale Netzwerke, nicht ein Kampfplatz "feindlicher Stämme" geworden, wie es Michael Seemann kürzlich sehr treffend in einem ansonsten recht öden Artikel in der Augsburger Allgemeinen schrieb. Nicht dass es hier keine feindlichen Stämme gäbe, aber sie pflegen immer noch den Kontakt an den Außengrenzen ihrer Territorien, und manchmal können sie sich sogar verständigen.
Aus der Nahperspektive erscheinen mir die Jahre oft wie eine Kette von Niederlagen und Fehlentscheidungen. Im größeren Rückblick sieht das Bild trotzdem gar nicht übel aus. Wie ist es möglich, dass diese Offenheit nicht verschwunden ist, dass sie in diesem komplexen sozialen Gefüge über so lange Zeit erhalten bleiben konnte (freilich mit Blessuren), obwohl sie anderwärts im Netz furchtbar gelitten hat? Das ist doch eine enorme Leistung. Ich denke, ein Grund ist, dass die Konflikte sich auf konkrete Produkte der Zusammenarbeit konzentrieren (müssen), hauptsächlich die Artikel. Dazu kommen die "Grundprinzipien" der Wikipedia, insbesondere Neutralität und Belegpflicht: keines von ihnen logisch und philosophisch haltbar, zum Teil völlig abwegig begründet, aber, pragmatisch gesehen, der notwendige Bezugspunkt für die disparaten Positionen und Ideen der Streitenden und Kooperierenden. Und wohl auch die Zurückhaltung gegenüber dem, was man sonst so schön "Wertentscheidungen" nennt: Auf das Ziel der Wikipedia kann man sich gemeinsam beziehen, auch und gerade wenn und weil man sehr Unterschiedliches darunter versteht.
Es gibt freilich auch einen Punkt, der mich skeptisch stimmt. Sich in der Wikipedia zu bewegen ist sehr viel schwieriger geworden. Das stelle ich an mir selbst fest: Ich muss oft meine ganze Erfahrung aufbieten, um noch ansprechbar zu bleiben und mich nicht von den Erregungsdynamiken der Streitereien verschlucken oder verhärten zu lassen oder mich hoffnungslos im Netz der Loyalitäten zu verheddern. Mit der Nonchalance, mit der ich vor zehn Jahren auftreten konnte, würde das nicht mehr gehen. Das ist eine gefährliche Entwicklung, sie begünstigt nicht gerade eine Erneuerung der Wikipedia, wie sie in jedem Projekt immer mal wieder notwendig wird. Es wäre gut, wenn man alten wie neuen Wikipedianern ein wenig mehr Recht auf Unkenntnis und Irrtum einräumen würde. Das hätte auch schon früher schlimme Verluste vermeiden helfen können.--M., 25.3.
Technische Wünsche: Feedbackrunde zum Arbeitsmodus & Einladung zur Tech on Tour
Der Arbeitsmodus der Technischen Wünsche
Mehr als fünf Jahre ist es her, dass Raymond hier in der deutschsprachigen Wikipedia die Umfrage Technische Wünsche gestartet hat, um zu erfahren, welche Funktionen in den Wikis fehlen oder verbessert werden sollten. Mittlerweile sind die Technischen Wünsche ein erfolgreiches Gemeinschaftsprojekt der deutschsprachigen Community und Wikimedia Deutschland.
Ein Grundprinzip des Projekts ist es, erprobte Methoden weiterzuführen, aber gleichzeitig zu schauen, wie das Projekt gut weiterentwickelt werden kann. Und im Großen und Ganzen funktioniert der Arbeitsmodus, den sich die Community und das Projektteam 2015 gemeinsam vorgenommen haben, schon super. Die Technischen Wünsche sind ein Vorbild für kollaborative Softwareentwicklung geworden und es findet viel Austausch zwischen Projektteam und Community statt, beispielsweise in Feedbackrunden zu Zwischenständen der Entwicklung. Aber es zeichnen sich auch Aspekte ab, die noch verbessert werden können. Zum Beispiel bringen die großen Umfragen viele Wünsche hervor. Das ist einerseits gut, aber führte auf der anderen Seite in der Vergangenheit dazu, dass nur alle zwei Jahre eine Umfrage durchgeführt werden konnte und es kaum Raum für andere Ansätze gab, um Probleme zu identifizieren. Zudem hat die Unterschiedlichkeit der Wünsche auch zur Folge, dass pro Wunsch im Technische-Wünsche-Team viel Expertenwissen aufgebaut wird, das dann häufig für den nächsten Wunsch schon nicht mehr genutzt werden kann – was schade ist. Ein ausführlicherer Blick auf den bisherigen Arbeitsmodus findet sich hier.
Darum lautet der Vorschlag, den Arbeitsmodus der Technischen Wünsche so weiterzuentwickeln, dass all die Stärken des Projekts bewahrt und gleichzeitig die Herausforderungen angegangen werden können:
- Innerhalb der Umfragen soll künftig über Themenschwerpunkte entschieden werden.
- Welche Probleme in diesen Themenschwerpunkten angegangen werden, soll ebenfalls gemeinsam mit den Beitragenden in den Projekten erarbeitet werden. Hierfür sind verschiedene Ansätze denkbar, etwa themenspezifische Umfragen, Workshops oder auch etwas ganz anderes. Wer Ideen hat, ist herzlich eingeladen, sie in der Feedbackrunde zu teilen.
- Das Ziel ist, immer an zwei Themenschwerpunkten parallel zu arbeiten, die jeweils für zwei Jahre im Fokus sind.
Ausführlicher ist der Vorschlag hier beschrieben. Durch die Bearbeitung von Themenschwerpunkten soll es möglich sein, erarbeitetes Wissen noch besser nutzen zu können und Umfragen häufiger als bisher durchzuführen. Und es soll mehr Raum entstehen, neue Ansätze der Zusammenarbeit auszuprobieren, um auch Leute zu erreichen, für die Umfragen nicht gut funktionieren.
Was sich ausdrücklich nicht ändern soll, sind die Grundprinzipien der Zusammenarbeit, etwa dass es um Probleme geht, die von Mitarbeitenden in den deutschsprachigen Projekten benannt werden, der Fokus auf Kommunikation und eine möglichst diverse Teilnehmerschaft.
Einladung zur Feedbackrunde
Vom 25. März bis zum 24. April 2019 findet eine Feedbackrunde zu diesem Vorschlag statt. Alle sind herzlich eingeladen, Fragen zu stellen und Ideen, Gedanken und eigene Erfahrungen mit guten Ansätzen der Zusammenarbeit zu teilen. Die Diskussion findet auf dieser zentralen Feedbackseite statt, um alle Kommentare an einer Stelle zu sammeln.
Einladung zur Tech on Tour
Der Vorschlag zur Weiterentwicklung des Projekts wird auch eines der Themen auf der diesjährigen Tech on Tour sein. Als zweites Thema wird es um den Austausch zu konkreten technischen Herausforderungen gehen. Die Tech on Tour findet parallel zur Feedbackrunde statt. Das Projektteam kommt nach Dresden (am 28. März), Köln (8. April), Stuttgart (12. April), Wien (16. April) und München (17. April). Mehr Infos zur Tech on Tour gibt es hier.
Wir würden uns freuen, viele bei der Tour und/oder der Feedbackrunde zu sehen! -- ray & js (wmde), 25.3.
PS: Wer künftig direkt über Feedbackrunden und Veranstaltungen informiert werden möchte, kann sich hier für den Newsletter eintragen.
Nicht in meinem Namen?
Es ist vorbei. Der Spuk hat ein Ende. Die Wikipedia ist wieder in vollem Umfang erreichbar. Die Medien urteilten gemischt entlang ihrer politischen Meinungsleitplanken. Andere wiederum fanden den Black Out nicht schlecht, empfahlen zur Abwechslung wieder ein gedrucktes, analoges Lexikon, falls vorhanden, zur Hand zu nehmen und über vergangene Zeiten zu sinnieren. Eigentlich könnte alles in bester Ordnung sein, gäbe es nicht Kritik dahingehend zu üben, dass die ganze Geschichte, nun sagen wir es so, recht unprofessionell durchgezogen wurde.
Am Anfang stand ein Meinungsbild, an welchen sich nur wenige Autoren beteiligten und letztendlich für die „Abschaltung“ der Wikipedia stimmten. Die Welt vermeldete in diesem Zusammenhang folgerichtig „Für den ersten Wikipedia-Blackout aller Zeiten stimmten nur 139 Personen“. Richtig! Eine Minderheit der aktiven Autoren bestimmt die Außenwahrnehmung der Wikipedia, nutzt diese für ihre politische Agenda.
Hier ist in Zukunft dahingehend Abhilfe zu leisten, dass Meinungsbilder welche politisch motiviert sind und nicht explizit den internen Bereich der Wikipedia betreffen, mit ausreichendem Vorlauf sowie in geeigneter Weise anzukündigen sind. Ziel muss es sein eine breite Basis bezüglich der allgemeinen Akzeptanz zu schaffen. Ein Artikel hier im Kurier, dienend als Initiation des Meinungsbildes ist informatorisch nicht ausreichend. Gleiches gilt für die Aussage, es sei ja möglich sich unter der Zuhilfenahme diverser „Mittel“ zu informieren. Viele Autoren zeigen wenig Interesse an den internen Abläufen der Wikipedia und nutzen die entsprechenden Angebote zur Informierung nicht, oder nur wenig. Sie verweigern sich der Wikipedianischen Interna, möchten aber gegebenenfalls über externe Belange mitbestimmen dürfen.
Kurzum. Ist die Außendarstellung der Wikipedia betroffen, ist ein Meinungsbild zu initiieren, an dem so viele Autoren wie möglich teilnehmen, nachdem umfassend dieses angekündigt wurde, wobei die einfache Mehrheit hinsichtlich des Abstimmungmodus nicht zulässig sein darf. Eine Zweidrittelmehrheit ist unerlässlich, da nur so nach außen hin verdeutlicht wird, dass eine große Mehrheit der Autorenschaft zu den politischen Aussagen der Wikipedia steht.
Aufgrund oben beschriebener Gründe, sowie der halb garen technischen Umsetzung der Abschaltung erlaube ich mir anzumerken, dass der gesamte gestrige Vorgang nicht in meinem Namen erfolgte und ich daher darum bitte, zukünftig eine angedachte politische, öffentliche Äußerung im Namen der Autorenschaft der Wikipedia, gebührend, dem Anlass entsprechend, intern vorzubereiten und letztendlich mit adäquaten Mitteln umzusetzen. --Nardole (Diskussion) 17:16, 22. Mär. 2019 (CET)
Wasser in den Wein oder Schwarz ist nicht die Farbe der Unschuld
[Kommentar] Eine politische Botschaft und ein Tag lang nur schwarzer Bildschirm statt Wikipedia. Was solls. Oder doch nicht? Wurde diesmal eine Grenze überschritten?
- Wer am 21. März die Wikipediaseiten aufrief, bekam einen Text zu sehen, der keinerlei enzyklopädischem Standard entspricht: einseitige Darstellung, selektive Nennung von Unterstützern, Aufruf zum Handeln. Wie es eben bei einem solchen politischen Statement üblich ist.
- Kucken wir mal in die Wikipedia. Urheberrechtsreform der Europäischen Union, ein umfangreicher Artikel, viele Quellen und Aussagen, keine offensichtliche Tendenz. Aber „die Wikipedia“ ist doch dagegen? Steht da die ganze Wahrheit? Steht sie! Oder?
- Blicken wir tiefer. Das Reizwort der Diskussion lautet Upload-Filter, den interessanterweise nur die deutschsprachige Wikipedia kennt, andere erklären nur den neutraleren Begriff Contentfilter. Nun gut, wirkt trotzdem ganz ordentlich, oder? Es ist subtil, aber trotzdem leicht erkennbar: Uploadfilter „sollen“ erkennen, das Hifsverb steht seit biblischen Zeiten für Fehlbarkeit und Zweifel. Julia Reda findet Uploadfilter unproblematisch … aber ausschließlich bei Kinderpornografie. Reda vertritt prominent die Anti-Artikel-13-Seite, was aber nicht einmal in ihrem eigenen Artikel erkennbar ist.
Sind wir ehrlich: Neutralität ist ein hehres Ziel, das selbst die „Besten“ oft verfehlen. WP-Autoren sind ganz normale Menschen, die zwar ihr „Bestes“ versuchen, aber hinsichtlich Objektivität regelmäßig scheitern. So ist die Wikipedia, so ist die Welt.
Wenn aber im Namen der Wikipedia in einer hochkontroversen Diskussion einseitig Stellung bezogen wird, wie wirkt das dann zurück auf die Inhalte, die wir darstellen? Wenn die WP öffentlich auch nur in einer einzigen Frage keine Meinungspluralität zeigt, sondern nur die Argumente der einen Seite vertritt, kann man dann der Meinungsdarstellung in den Artikeln noch trauen?
Dieser Aktionstag war kein harmloses „Schuleschwänzen“, um für die eigene Zukunft zu demonstrieren. Er war ein ganz gefährliches Spiel mit den eigenen Werten. Das große Medienecho mag in der Sache ein Erfolg sein, es verbreitet aber auch unwiderrufbar die Botschaft: die Wikipedia ist ein politischer Akteur. Und damit stellt sie die eigene politische Unschuld infrage. HvW, 22.03.
„Der Dämon der Revolution ist kein Individuum, keine Partei, sondern eine Rasse unter den Rassen“
„Warum hat dieser egoistische kleine Jude elsässischer Herkunft, der über Macht verfügt, am Vorabend der Proklamation der Diktatur alle französischen Truppen aus Budapest abgezogen?“ (S. 39) „Ist all unser alter Rassenstolz, all unsere glorreiche Geschichte, von Juden so unter den Füßen getreten zu werden? Warum verzögert sich die Entente? Warum gibt es dem Bolschewismus Zeit, eine Armee für seine eigene Unterstützung zu rekrutieren?“ (S. 40) „Unter dem Deckmantel der Philanthropie werden galizische Juden und proletarischer Pöbel unter die verhasste Bourgeoisie gepflanzt. … Zuhause ist nicht mehr Zuhause.“ (S. 44) Ok, vielleicht liegt es an der automatischen Übersetzung? „Red soldiers who brought them behaved quite nicely. They had put altogether three families and a school into the flat; they were Jews and Proletarians but it was all right, no harm had been done, everything had gone smoothly. Only a little furniture and a few pictures were left behind in the flat.“ (S. 49) „Is the national ideal of Hungary more dangerous in the eyes of the Entente than the national ideal of the Jews?“ (S. 52) usw. Diese Fragen und noch viele mehr finden sich in einer Quelle für Wikipedia.
Es ist eine Quelle für mehrere Bilder eines Artikels über einen Journalisten, KP-Funktionär und Opfer stalinistischer Säuberungen Bela Kun. Ein antisemitischer Klassiker in englischer Übersetzung einer drittklassigen ungarischen Autorin (Cécile Tormay). Bilder aus diesem „Werk“ dienen also der ungekennzeichneten Illustration eines Wikipedia-Artikel über eine Person die in der völkischen Propaganda, auch in der NS-Propaganda das Phantasma des jüdischen Bolschewismus nahezu prototypisch verkörpert.
In der durch den optischen Bildbetrachter gut versteckten Bildlegende auf Commons findet sich ein Link auf den Volltext von 1923. In dem man mit einer Suche nach „jews“ schnell (siehe oben) einschlägig antisemitisch fündig wird.
Laut unserer Bildbeschreibung soll das Portrais von Bela Kun aus dem Jahr 1923 stammen. Das ist aber das Erscheinungsjahr der englischen Übersetzung dem das Bild entnommen wurde. Der visuelle Hinweis darauf, dass es sich um ein Scan aus einem Buch handelt, wurde im Laufe der Zeit durch Beschneiden entfernt. Der Bildautor ist mit der Textautorin falsch angegeben, woher die Bilder tatsächlich stammen ist unbekannt.
Doch zurück zum Text: “The demon of the Revolution is not an individual, not a party, but a race among the races. … He penetrates the bodies of the nations. He invisibly organises his own nation among alien peoples. He creates laws beyond the law” (S. 59) Oder automatisch übersetzt: „Der Dämon der Revolution ist kein Individuum, keine Partei, sondern eine Rasse unter den Rassen. … Er dringt in die Körper der Nationen ein. Unsichtbar organisiert er seine eigene Nation unter fremden Völkern.“ Das nahezu identisch mit Antisemitismus aus dem NS. So einem Machwerk wählt seine Bilder nicht danach aus, dass sie die Person neutral oder gar positiv darzustellen, sondern um sie zu denunzieren. Dazu werden die nützlichsten Bilder ausgesucht und diese ggf. noch retuschiert bis die „jüdischen Rassenmerkmale“ besonders hervortreten. Und die Textpassage zeigt, dass auch Tormay Anhängerin eines rassenbiologischen Rassismus war. (Nebenbei scheint mir tatsächlich etwas an dem Bild gepfuscht zu sein, wenn man etwa die Fülle der Haare verschiedener im Internet auffindbarer Kun Bilder vergleicht, auch die Lippen scheinen mir sehr unterschiedlich). Und dieses Bild diente auch als Vorlage des Umschlagbild von „Béla Kun. Eine historische Grimasse.“ (1928) von Géza Herczeg. Ein wenig zu der Dämonisierung von Kun findet sich hier: S. 32f
Nun gibt es zwei Ebenen warum die Verwendung des Bildes oder milder die Verwendung ohne Kontext in Wikipedia nicht stattfinden sollte: Zum ersten die moralischen Gründe: Es handelt es sich um sowas wie geraubte Bilder, der Dargestellte wäre niemals mit der Verwendung seiner Bilder in diesem antisemitischen, heute wohl unter Volksverhetzung fallenden Kontext einverstanden. Der Anstand verbietet also aus moralischen und politischen Gründen solche Nachverwendung. Das zweite ist, dass die wichtigen Formalien nicht eingehalten wurden. Die Herkunft der Bilder ist ungeklärt, nicht nachvollziehbar, die Datierung offensichtlich ebenso wie die Angabe des Bildautoren falsch. Noch dazu fehlen etwa Informationen zum Fotografen und Ort. Und es ist somit auch nicht zu belegen, dass es sich um unverfälschte Bilder handelt. EF 22. Mär. 2019
a bit weird
An verschiedenen Stellen in Wikipedia haben in den letzten 2 Wochen Dutzende Autoren auf schwere Mängel am Bannertext zur Protestaktion zur EU-Urheberrechtsreform aufmerksam gemacht. Einige haben dabei gefragt, wie solche Mängel an WMF kommuniziert werden. Der Initiator des MBs hat zunächst angegeben, dass Änderungswünsche an WMF weitergegeben würden. Ich habe WMF per Mail um mehr Transparenz gebeten; ich habe darum gebeten, dass WMF sich auf der Diskussionsseite des Meinungsbilds oder auf jener des Kuriers dazu äußert, ob bzw gegebenfalls wie WMF den im MB beschlossenen Bannertext tatsächlich ändern wird. Die Antwort, die ich per Mail erhalten habe, war, dass WMF beschlossen habe, nur den Initiator anzuhören, wie der im MB beschlossene Text noch geändert werden könnte. („To open this to a general community discussion again would ssem a bit weird.“) Gleichzeitig behauptet der Initiator des MBs mittlerweile nicht mehr, Änderungsvorschläge an WMF weiterzugeben, sondern meint, WMF würde die Diskussionsseite des MBs verfolgen, und deutet dabei an, dass WMF den Bannertext bereits geändert habe. Gleichzeitig wird jedoch seit 2 Tagen ein Banner geschaltet, wonach die Protestaktion „gemäß Meiningsbild“ durchgeführt wird — also offenbar mit unverändertem Text. Seitens WMF hat es bisher niemand der Mühe wert befunden, öffentlich in der deutschsprachigen Wikipedia dazu Stellung zu nehmen, welcher Text tatsächlich am 21.3. angezeigt wird. Das wiederum finde ich „a bit weird.“ Niki.L 20. Mär. 2019 (CET)
Die „Affäre Bela Kun“ im Jahr 1928 und 2019
Ich hatte im Kurier dieses Jahr schon über den Artikel Franz Dinghofer gemosert. Es folgte eine weitere Kritik in einem Blog.[1] Wem der Herr nichts sagt: Er ist eine von der FPÖ als geistiger Vater verehrte Person. Die FPÖ hat auch ein Parteiinstitut nach diesem nationalistischen Antisemiten benannt. Wikipedia-Autoren aus Österreich und/oder Autoren, die zu Studentenverbindungen schreiben, hatten den Artikel munter nach der Hausgeschichtsschreibung ausgebaut, bis hin zu Formulierungen, die einen Antisemitismus ohne Antisemiten bedeutete.
Am 15. und 16. März wurde der Artikel überarbeitet, die Hausgeschichtsschreibung etwas gemindert, die Fakten mit Belegen versehen. Ein wirklicher Klopper ist noch vorhanden. Und ich denke, es ist notwendig, hier auf diesen hinzuweisen, da er ein strukturelles Problem bei dieser Art Geschichtsschreibung aus der Lokalperspektive, die sich zu ihrem Gegenstand unkritisch verhält. Es geht um ein Fragment des alten Artikels, die „Affäre Bela Kun“. Nun weder in der heutigen Fassung, noch im Artikel über Bela Kun wird deutlich, um was es hier ging. Und das ist ein Versagen.
Bela Kun war die zentrale Führungspersönlichkeit der kurzlebigen ungarischen Räterepublik, die von Truppen unter Miklós Horthy niedergeschlagen wurde, der dann bis 1944 Staatsoberhaupt wurde. Er und weitere Revolutionäre sowie ihre Familien flüchteten nach dem Ende der Räterepublik und baten in Österreich um Asyl. Bela Kun wurde in einer Nervenheilanstalt in Haft genommen, dort gab es einen Mordanschlag auf ihn. Später wurde er des Landes verwiesen und 1928 mit einem Pass auf einen anderen Namen in Wien verhaftet und wegen Geheimbündelei (hier: Arbeit für die Komintern), und heute wäre das wohl illegale Einreise, zu drei Monaten verurteilt. Derweil verlangte Ungarn seine Auslieferung, ihm hätte die Todesstrafe gedroht. Er saß die Haft ab, Österreich ließ ihn nach Deutschland ausreisen und hatte diese Möglichkeit mit der deutschen Regierung abgeklärt. Dinghofer verlor seinen Posten, weil er einer Abschiebung nach Ungarn als Justizminister widersprach. Soweit etwa der faktische Ablauf. Um den Fall gründlich zu verstehen, bedarf es noch ein wenig Hintergrund.
Bela Kun ist eine der Personen, deren Name fällt, wenn Antisemiten von einem jüdischen Bolschewismus fabulieren, zeitgenössisch und bei besser „informierten“ Rechtsextremisten auch heute. Die kurze Episode der ungarischen Räterepublik spielte da nicht nur national durch die Bewegung um Horthy sondern auch international etwa in Österreich und Deutschland für die völkischen Bewegungen und andere Antisemiten eine große Rolle. Und nun muss man noch mal die „Affäre“ genau ansehen.
Zum ersten: Der Auslöser ist ein Artikel der Reichspost, eine Zeitung die gerne antisemitisch austeilte. Die Reichspost beschwerte sich darüber, dass Dinghofer, immerhin Gründer einer antisemitschen Partei, Bela Kun nicht ausliefern wollte. Der schickte aus seiner Kur ein Telegramm, das betonte, dass er mit seinem Chef Ignaz Seipel in diesem Punkt einig sei. Das Telegramm wurde verfälscht weitergegeben; das war sein Ende als Justizminister und auch der Koalition.
Letztlich haben wir es also mit einem Zank unter Antisemiten zu tun, wie mit einer Person, die einem antisemitischen Phantasma zur Illustration dient, umzugehen ist. Horthy und der Antisemitismus wären auch noch auszuleuchten.
Was davon steht nun im Artikel Dinghofer? Das hier: „Infolge der ‚Affäre Béla Kun‘ trat Dinghofer am 4. Juli 1928 als Justizminister ab und zog sich aus der Politik zurück.“ Also nichts. Im Artikel Bela Kun ist auch Fehlanzeige. Ist denn überhaupt der Begriff „Affäre Béla Kun“, der in den Artikel aufgrund eines Schuljahrbuches eingeführt wurde, angemessen? Neutral? In der Geschichtswissenschaft etabliert? Durch die Nachbequellung dieses nun schon 11 Jahre alten Satzes hat Wikipedia immerhin etwas, das wie eine solide Quelle aussieht, auch wenn in ihr Antisemitismus fehlt. Nur die Quelle verwendet mehrere Begriffe, auch Dinghofer-Affäre. Laut Wikipedia bezeichnet eine Affäre einen öffentlichen Skandal, also verwerfliche Machenschaften beziehungsweise Versagen größeren Ausmaßes in Politik, Verwaltung, Wirtschaft oder Medien. Nun hat Kun hier gar keine verwerflichen Machenschaften getrieben, das Gericht kam wegen zweier Kleinigkeiten auf drei Monate Knast. Unter Machenschaften fällt aber wohl die Hetze der Reichspost und in der Partei Dinghofers.
Und nun gucken wir mal in im aktuellen Artikel angegebene Literatur: Zuvor noch mal WP:LIT: „Es werden die wissenschaftlich maßgeblichen Werke sowie seriöse, möglichst aktuelle Einführungen aufgeführt. Eine beliebige oder möglichst lange Auflistung von Büchern ist nicht erwünscht. Die Werke müssen sich mit dem Thema des Lemmas selbst befassen und nicht mit verwandten, allgemeineren oder spezielleren Themen. Die Pflicht, die Relevanz von Literaturhinweisen nachvollziehbar zu begründen, liegt bei dem, der sie im Artikel haben möchte.“
Das Handbuch der deutschen Burschenschaft ist da schon mal ein Witz. „Uta Jungcurt: Alldeutscher Extremismus in der Weimarer Republik: Denken und Handeln einer einflussreichen bürgerlichen Minderheit. De Gruyter, Berlin 2016“ vermutlich ein gutes Buch, um den politischen Hintergrund zu beschreiben, leider wird es im Artikel nicht verwendet. „Fritz Mayrhofer: Franz Dinghofer – Leben und Wirken (1873–1956).“ Ist derzeit Hauptquelle des Artikel, aber wegen seiner biographischen Ausrichtung sicher nicht als alleinige Quelle brauchbar.
Was tun? Der Artikel müsste von politikwissenschaftlicher Literatur aus neu geschrieben werden. Diese Zusammenstellungen aus unkritischer lokalgeschichtlicher Perspektive führt notwendig zu POV auch wenn die FPÖ-Ideologen und Verbindungsleute in WP die Finger vom Artikel lassen. Und um noch mal darauf hinzuweisen, dieser Artikel hat eine erhebliche politische Dimension: Dinghofer als Vorbild der rechtspopulistischen FPÖ, Horthy – dessen antisemitische Wirkung bis in den Holocaust an den ungarischen Juden reicht - als Vorbild für die ungarische Fidesz, die Kampagnen gegen internationale Juden fährt. EF 18. Mär. 2019 (CET)
Kreuzritter-Mythos
Vielfach ist bereits die Namensnennung von Extremtätern bei strittigen Artikeln in der Wikipedia (WP) diskutiert worden, wie beispielsweise 2011 bei den Anschlägen in Norwegen 2011 über den Massenmörder Anders Behring Breivik. Es gab Löschanträge und Löschprüfungen, die auf „Behalten“ entschieden wurden. Meist orientierte man sich am Artikel 8 des Pressekodex des deutschen Presserats, der sich mit Persönlichkeitsrechten befasst. Ein gewichtiges Argument war ebenso, dass ja die allgemeine Presse den jeweiligen Namen des Täters bereits breit veröffentlicht hatte. Was soll also eine „Geheimhaltung“? Die Relevanz ergäbe sich aus der zeitüberdauernden Bedeutung. Der Bildungsauftrag der deutschsprachigen WP umfasst zweifellos auch Informationen über üble Zeitgenossen, wie Osama bin Laden, Franz Fuchs, Timothy McVeigh, Mark David Chapman oder Josef Fritzl.
Aus aktuellem Anlass, nämlich dem Anschlag auf zwei Moscheen in Christchurch vom 15. März 2019 sollte man – neben den Konsequenzen aus dem Persönlichkeitsrecht – differenzieren und bei bestimmten Tätern einen weiteren Aspekt berücksichtigen, den der Politikwissenschaftler Peter Neumann, Professor für Sicherheitsstudien am King’s College in London, in einem Interview in der ZEIT ansprach:
„Breivik hat diese ganze Ideologie der Kreuzritter geschaffen und ihr mit seiner Tat die Strahlkraft verliehen. Der Täter von Christchurch sah sich in der Tradition dieser Idee und war dadurch nicht nur irgendein Loser, sondern Teil einer großen historischen Bewegung. Das ist für Terroristen immer wichtig. Denn niemand will ein einzelner Loser sein. Jeder will etwas sein, das groß ist und bedeutend. Der Kreuzritter-Mythos, den Breivik geschaffen hat, das ist für solche Terroristen wie in Christchurch entscheidend“. … „Er hat alle medialen Mittel genutzt, die ihm zur Verfügung stehen. Er hat das Manifest online gestellt, versucht, die Tat live zu übertragen, einen Mythos um die eigene Person zu schaffen. Und so andere zu ähnlichen Taten anzustiften“.
Breivik (dem man das Mythos bereits geschaffen hat) ist heute immer noch stolz auf seine „Taten“. Soll die WP dieses Kreuzritter-Mythos fördern oder gar indirekt Nachahmer anstiften? Deshalb darf sich die WP in solchen Fällen nicht an der auflagenorientierten Sensationspornografie der allgemeinen Presse orientieren. Über den Fall objektiv berichten – ja, falls er zeitüberdauernde Bedeutung hat, aber die Namen solcher Täter – sowohl aus der rechtsextremen Szene als auch der Dschihadisten – haben in der WP nichts verloren. Presseveröffentlichungen vergehen, aber die WP bleibt. Py, 16.3.
Wichtige Info für Nutzer: Warum Wikipedia bald abgeschaltet wird
Schweißausbrüche bei Schülerinnen und Schülern.
Panikattacken im deutschsprachigen Raum.
Nein. das. ist. kein. schlechter. Witz.
Leserinnen und Leser unseres hauseigenen Pressespiegels wissen schon: Das ist die Überschrift, mit der der Berliner Kurier, die Hamburger Morgenpost und der Kölner Express über das Ergebnis unseres Meinungsbildes Protest gegen EU-Urheberrechtsreform informieren. Dochdoch: obendrüber steht in sehr hellem Grau die Zeile »Wikipedia wird am 21. März für 24 Stunden abgeschaltet«, aber wer liest das schon?
Fakt ist jedenfalls: 67,9 % der Abstimmenden oder 146 der 215 Wikipedianerinnen und Wikipedianer, die abgestimmt haben, sprachen sich für den Protest gegen die EU-Urheberrechtsreform aus. Und 83,2 % (139 Stimmen) votierten für die komplette Abschaltung der Wikipedia. Nachdem die Medien on- und offline unmittelbar danach reagierten – das Zitat von oben ist nur ein Beispiel – zieht nun auch der Kurier nach.
Aber: mehr Details gibt’s noch gar nicht, denn Informationen über die Umsetzung von der Wikimedia Foundation, der Betreiberin der Wikipedia, liegen noch nicht vor.
Bleiben wir dran? Bis zur bitteren Abschaltung? JA! mh, 11.3.
Die Gesellschaft will wissen, wer wir sind
Zumindest ist das Landgericht Hamburg dieser Meinung. Hintergrund ist die Enthüllung der Identität von Benutzer:Feliks durch die Gruppe 42. Feliks hatte dagegen eine einstweilige Verfügung eingereicht, die im ersten Beschluss des Landgerichts auch bestätigt wurde, im Urteil aber widerrufen wurde. Die Verbreitung von Feliks Realnamen und seinem persönlichen Hintergrund hatte, nach seiner Aussage, zu einer Hetzkampagne gegen ihn geführt. Wie Der Standard am 28. Februar berichtete [2], argumentierte die Gruppe 42 vor Gericht „dass das Outing notwendig sei, da Wikipedia als Monopol zu bewerten sei und daher eine Nennung von Autoren, die mit Kontroversen auffallen, im öffentlichen Interesse liege“. Wikimedia war übrigens, laut eigener Aussage, nicht in diesem Fall involviert, weswegen es keine Stellungnahme von Wikimedia Deutschland gibt. Claudia Garád, Sprecherin von WMAT, erklärte der österreichischen Zeitung allerdings, dass bei Feliks „aufgrund seines Verhaltens und seiner Editierungen [es] leicht gewesen [sei], Rückschlüsse auf seine Identität zu ziehen.“
Die Möglichkeit zur Anonymität von Autoren ist ein Grundpfeiler der Wikipedia. Ich selbst verzichte ja darauf, bin aber in der Regel auch nicht so aktiv in den „heißen“ Themen. Feliks selbst hatte mal explizit auf meinen politischen Hintergrund in einem Konflikt verwiesen, was ich aber getrost als ohnehin bekannt abtun konnte. Im Falle von Feliks ist aber der Wunsch nach Geheimhaltung verständlich und aus meiner Sicht zu respektieren. Die Folgen dieses Bruchs der Wikipedia:Anonymität erlebt nicht nur Feliks. Auch andere Autoren können von Bedrohungen berichten (selbst wegen unpolitischer Themen) und man braucht sich nicht auszumalen, was der Verlust der Anonymität für viele Autoren zum Beispiel in der chinesischen oder türkischen Sprachversion bedeuten würde. Wie viele von uns wären in Zukunft bereit, in Artikeln zu Homöopathie, Reichsbürgerbewegung oder Klimawandel zu schreiben?
Das Landgericht hat, man erlaube mir hier die Meinung eines juristischen Laien, auch einige Denkfehler in der Argumentation der Gruppe 42 übersehen. Zum einen ist nicht ein Autor für die Texte in der Wikipedia verantwortlich, sondern eine Vielzahl, gerade bei heiklen Themen. Der Grundton eines Artikels wird von mehreren Händen getragen. Zum anderen, was noch viel wichtiger ist, sind wir Autoren nicht die Erzeuger von Inhalten, sondern geben (gerade in der deWP) referenziert wieder, was andere veröffentlicht haben. Bei uns finden sich, gemäß unserer Regeln, keine selbstgeschaffenen Inhalte, sondern nur eine Wiedergabe des bekannten Wissens.
Für Feliks ist das Kind bereits in den Brunnen gefallen. Trotzdem wäre es wünschenswert, wenn es nicht bei diesem Urteil bleiben würde. Vielleicht könnte WMDE hier unterstützend eingreifen. Denn die größte Gefahr für die freie Rede ist Angst. Und vor dieser Angst müssen die Autoren, die sich in gefährliche Gewässer wagen, geschützt werden. Ich wünsche Feliks auf seinem weiteren Weg viel Kraft und viel Erfolg. A luta continua! JPF 4.3.
Fasching in Augsburg
Zu berichten ist über kulturelle Schmankerl im Vorfeld unseres Faschingstammtischs in Augsburg. Diesmal hatte unser Augsburger WP-Kollege Neitram zwei Kunsthighlights vorbereitet, zuerst die kleine Ausstellung „Ausschneiden aus Passion – Der Kunstverleger und Kupferstecher Martin Engelbrecht (1684–1756)“ und dann einen Besuch im Kunstmuseum Walter im Glaspalast Augsburg.
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Vom Kupferstecher aus Passion …
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… zum Kunstmuseum im Glaspalast
Der Joker macht mobil
Wir Münchner trafen etwas früher ein im Kupferstecher-Kabinett in der Augsburger Maximilianstraße 48. Urplötzlich stand der Joker vor uns, Saluk hatte sich perfekt in Schale geworfen, von Kopf bis Fuß den psychopathischen Batman-Bösewicht imitierend. Das zog gleich ein paar mehr Augsburger Faschingsgeister an, die sich nicht minder historischen Figuren nachempfunden hatten.
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WP-Kollege Saluk alias Joker …
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… auf geht’s zum WP-Stammtisch
Die Mäzenin und ihr Haus
Als erstes widmeten wir uns dem Gebäude, in dem sich die Kupferstecher-Ausstellung befindet, dem Höhmannhaus, in der Maximilianstraße 48 in unmittelbarer Nähe des Schaezlerpalais. In dem Haus hat Ruth Höhmann gelebt, eine Kunstsammlerin, die das denkmalgeschützte Gebäude der Stadt Augsburg vermachte. Ein Blick in die einschlägigen WP-Artikel zeigt, dass es einiges an enzyklopädischem Nachholbedarf gibt. Gute Gelegenheit, Informationen einzuholen und Fotos zu machen. Hier unsere Bildausbeute, hochgeladen in Commons.
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Ein Haus für die Kunst …
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… mit prächtigem Innenhof
Mein lieber Kupferstecher
In der Ausstellung über Martin Engelbrecht begegneten wir einem vielseitigen Künstler, der zugleich Kunstmanager und Verleger war. In seinem Verlag soll er mit seinen Mitarbeitern annähernd 4.500 Kupferstiche produziert und vertrieben haben, großenteils Bilderbögen mit Darstellungen und Beschreibungen des Alltags seiner Zeit, im 17. und 18. Jahrhundert. Vieles davon in durchaus enzyklopädischem Niveau. Besonders faszinierend das Diorama mit sechs kolorierten und ausgeschnittenen Kupferstichen, die in einem kleinen Guckkasten eine 3-D-Perspektive des Augsburger Rathausplatzes mit Augustusbrunnen, Rathaus und Perlachturm präsentieren.
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Kupferstiche zu Alltagsthemen …
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… 3-D-Show im Guckkasten
Kunst in der Textilfabrik
Nach einem halbstündigen gemütlichen Spaziergang dann tat sich uns der Glaspalast auf, ein imposantes Industriedenkmal, das 1910 als Mechanische Baumwollspinnerei und Weberei Augsburg in Betrieb genommen wurde, inzwischen ein Ort geballter Kultur, mit dem Kunstmuseum Walter, dem H2 – Zentrum für Gegenwartskunst und einer Zweigstelle der Staatsgalerie Moderne Kunst. Das Gebäude ist ein früher deutscher Stahlskelettbau, bestehend aus fünf Stockwerken mit einer allseitig durchfensterten Fassade, die das Tageslicht in Raumtiefen von 45 Metern einlässt und der Spinnerei den Namen Glaspalast einbrachte. Ein idealer Ort für die ausgestellten Werke der Moderne und der zeitgenössischen Kunst.
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Zeitgenössische Kunst …
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… gut passend zum Fasching
Freud und Leid
Nach so viel Kunst und Kultur ging’s zu Speis und Trank, die indische Küche war diesmal dran. Zusammen mit Neitramsfrau und Neitramskind waren wir zu zwölft. Wir blickten nach vorne auf unsere bevorstehende Exkursion in die Augsburger Staats- und Stadtbibliothek, wir hießen den Neu-Stammtischler Peerse in unserer Mitte willkommen, und wir freuten uns über den Besuch der Witwe eines verstorbenen Augsburger Wikipedianers, versteht sich, dass es da viel zu erzählen gab. Ja, es stimmt schon, der Augsburger Wikipedia-Stammtisch ist schon ganz was Besonderes. Pi 4.3.
Lesen und lesen lassen
Aus dem Blog des Lokal K:
Köln zur Karnevalszeit – vier Recken und ein Maderl treffen sich in einem schummrigen Lokal für ein ungewöhnliches Stelldichein. Sie wollen lesen, aus altertümlich anmutenden Papieren in Buchform – und sie wollen den jeweils anderen dabei lauschen, die dies tun; und Spaß daran haben. Dabei hat Lesen und lesen lassen bereits eine lange Tradition im Kölner Wikipedialeben. Jährlich zur Vorweihnachtszeit passiert dies seit Anbeginn der Community-Tage zur Huldigung des Raymolaus und gelegentlich fanden sich Einzelne auch schon in Gruppen zusammen, um diesem Treiben nachzugehen – zuerst in einem Körnerstraßen-Atelier und zuletzt im Lokal K.
Im Einzelnen: Der Frühabend begann mit einer Kurzgeschichte des amerikanischen Autors John Cheever aus den frühen 1950er Jahren mit dem Titel Das grauenvolle Radio, in dem der Autor von einem Radiogerät berichtet, mit dem es den Besitzern möglich ist, in das intime Privatleben der Nachbarn vorzudringen und sie zu belauschen. Diesem folgte mit der traurigen Geschichte vom Kind, das mit den Feen ging ein Ausflug in die irische Sagen- und Märchenwelt. Timur Vermes’ Roman Die Hungrigen und die Satten mit dem Porträt der verwöhnten HighSo- und beim Publikum sehr beliebten Moderatorin Nadeche Hackenbusch, die das „Elend“ in Deutschland aufzeigt und anschließend einen Flüchtlingsstrom aus Afrika begleiten soll, war die nächste Station. Gefolgt wurde diese durchaus realistische Vision von einem Ausflug in eine ganz andere Welt, die des Steampunk: Archibald Leach und die Monstrositäten des Marquis de Mortemarte, dorthin entführt von Markus Cremer. Hier steht die Dampfkraft im Zentrum (obwohl die Hauptperson im Roman die „Ätherkraft“ der Geister bevorzugen würde).
Sonette find ich sowas von beschissen tönt das Sonett von Robert Gernhardt dazwischen – gefolgt von einem Auszug aus der Lebensbeschreibung Mary Bauermeisters Ich hänge im Triolengitter: Mein Leben mit Karlheinz Stockhausen. Bauermeister beschreibt eine Reise in die Hippie-Zeit und in die damalige USA, mit Namedropping und sexueller Freizügigkeit, inmitten derer sie mit dem Komponisten Karlheinz Stockhausen ihren Sohn Simon Stockhausen zeugt und in der sie heiraten. Es folgt ein Bruch, Diskussionen über die Freizügigkeit und Spießigkeit – diese Brüche gab es bereits vorher, Gedanken zu den Werken im Austausch von fünf Wikipedianern, die zum Lauschen kamen. Doch weiter im Leseprogramm: Der Pilz, der John F. Kennedy zum Präsidenten machte ist ein Sachbuch von Bernard Dixon über Mikroorganismen und ihre Rolle in der sie umgebenden Welt – wir hören das Kapitel Die Darmflora und lassen uns zu Flatulenzen, Darmwinden und Furzorgien entführen. Zeit für ein Break, etwas Brot und Käse … und danach für Honoré de Balzac und seine Tolldreisten Geschichten aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Ausschweifend schildert der Autor in Die schöne Färberin, wie selbige ihren Gemahl „hahnreiht“ mit dem schmucken Priester, der „außer ihm den Finger in ihr Weihwasserkesselchen tunken durfte“ und so Vater ihrer zwei Kinder wurde. Zudem erfahren wir einiges über die Straße in Tours, in der Balzac geboren wurde – der Königin der Straßen, der nichts fehlt, der wahren Straße. Diese Geschichte und die Gespräche danach bilden den Abschluss eines besonderen Abends – der wiederholt werden soll. Achim Raschka, 2.3.
WikiWedding im Lokal K
Am 6. April findet in Köln-Ehrenfeld ein besonderes Event statt: Vertreter des Berliner WikiWedding besuchen das Lokal K und hinterlassen eine Foto-Ausstellung, die in den Kölner Räumen für die nächsten Wochen zu sehen sein wird. Eröffnet wird die kleine Ausstellung mit einer Vernissage im Lokal K in Köln-Ehrenfeld am Samstag Abend, 6. April, ab etwa 18:00 Uhr von den Berliner Besuchern BotBln und Fridolin freudenfett mit einer kleinen Einführung und etwas Livemusik. Gäste sind sehr willkommen. AR, 31.3.
Earth Hour
Am Samstag, dem 30. März von 20:30 Uhr bis 21:30 Uhr findet die Earth Hour, Stunde der Erde, statt. Ziel ist, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf den Klimaschutz zu lenken. Es wäre ein Zeichen der Solidarität mit unsern streikenden Kindern und Enkeln, zu dieser Zeit das Internet nicht zu benutzen. Klar ist es nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Aber … wenn viele kleine und weniger kleine Menschen viele kleine Schritte tun … bd, 27.3.
WTF is Fræna?
Um die schöne kleine Reihe «WTF is …» von Matthiasb aus aktuellem Anlass zu hijacken: Fræna, eine norwegische Kommune mit knapp zehntausend Einwohnern, interessiert die Nutzenden der deutschsprachigen Wikipedia normalerweise kaum. Tage mit keinem oder nur einem Abruf dieser Seite sind der Normalfall. Die Abrufstatistik zeigt nun einen sprunghaften Anstieg in den letzten Tagen. Interessant ist das, weil sich zeigt, wie ein aktuelles Ereignis auch das weitere Umfeld eines Themas betrifft. Die plötzliche Beliebtheit von Fræna rührt nämlich mit ziemlicher Sicherheit daher, dass vor dieser Kommune der Küstenabschnitt Hustadvika (Abrufstatistik) liegt. Und dort gerieten gerade das Kreuzfahrtschiff Viking Sky (Abrufstatistik) und der Frachter Hagland Captain (Abrufstatistik) medial stark beachtet in Seenot. Auch die Abrufzahlen von Romsdal, Molde oder dem sogar zwei Klicks von der Hustadvika entfernten Møre og Romsdal sind markant gestiegen. – Der Verfasser dieses Kurier-Artikels hat den kleinen Artikel Hustadvika vor Jahren als Übersetzung aus der englischen Wikipedia angelegt und fühlt sich nun darin bestätigt, weiterhin auch solche Artikel zu vielleicht obskur erscheinenden Nischenthemen anzulegen. Eines Tages erhalten diese vielleicht auch ihre 15 minutes of fame und helfen der Öffentlichkeit, sich zum gerade aktuellen Thema zu orientieren – und den Journalisten. Denn dass all die Medien, in denen nun gerade wörtlich von den «zahlreichen kleinen Inseln und Riffen» der Hustadvika zu lesen war, den Wikipedia-Artikel nicht konsultiert haben, scheint wenig wahrscheinlich. ;-) Gestumblindi, 26.3.
Tippspiel Paris–Roubaix
Am Sonntag, den 14. April 2019, findet die 117. Austragung des rustikalen Radrennens Paris–Roubaix statt (das für mich grandioseste aller Rennen - und es endet in und auf einer Radrennbahn ...). Wer Lust hat, kann auf dieser Seite Tippspiel Paris–Roubaix einen Tipp auf den Sieger abgeben, die Startliste ist hier einsehbar. Für die Gewinner des Tippspiels stehen Preise bereit. Über eine rege Beteiligung (und vielleicht auch Diskussion dort) würde ich mich freuen! Ni., 25.3.
Akkreditierungen für die re:publica19
Auch in diesem Jahr gibt es wieder die Möglichkeit für bis zu 5 Aktive aus der Community an der re:publica 2019 teilzunehmen und dafür eine Presseakkreditierung über Wikimedia Deutschland zu erhalten. Die Akkreditierungen werden an Teilnehmende vergeben, die dadurch einen Beitrag zu Wikipedia, Wikimedia Commons oder den Schwesterprojekten leisten. Diese Beiträge sollten für Wikimedia Deutschland und das Presseteam der re:publica im Nachgang nachvollziehbar sein. Dieses Jahr wird Wikimedia Deutschland am 6., 7. und 8. Mai auch mit einem Stand vertreten sein und wir freuen uns immer über Menschen, die auch gern an diesem helfen.
Alle Informationen gibt es auf der Projektseite Wikipedia:Förderung/re:publica2019, Interessierte melden sich bitte bis zum 19. April 2019. sandro (wmde), 25.03.
Wikipedia museal
Auf der letztjährigen WikiCon hatten zwei Mitarbeiterinnen des LWL-Industriemuseum ihre Sicht auf die Zusammenarbeit mit uns, im Rahmen von GLAM-Projekten dargelegt. Sie haben auch die Gelegenheit genutzt einzelne Wikipedianer und Wikipedianerinnen zu ihren Beweggründen an der Mitarbeit an Wikipedia zu befragen und haben diese Interviews auch aufgezeichnet. In der neuesten Sonderausstellung Alles nur geklaut? Die abenteuerlichen Wege des Wissens auf der Zeche Zollern haben sie nun diese Ergebnisse in einen Block dieser Ausstellung integriert.
Im Rahmen dieser Ausstellung findet am 6. April, im Zusammenwirken mit dem Ruhrgebietsstammtisch, eine offene Schreibwerkstatt statt, bei der Wikipedianer einerseits auf die Bibliotheksinhalte des Museums zurückgreifen können, bei der sie aber auch Neulinge und Interessenten in die Wikimediawelt einführen können und erste Hilfestelungen beim Editieren, oder Hochladen von Mediendateien geben werden.
Noch kann man sich anmelden! Glück auf! W 25.03.
Morgen noch nix vor? Dann CEE Spring 2019!
Auch wenn in den letzten Wochen der Frühling scheinbar schon Einzug gehalten, so ist erst morgen tatsächlich Frühlingsbeginn. Und mit dem 21. März startet dann auch wieder bis Ende Mai der Artikelwettbewerb CEE Spring 2019! Wie in den letzten Jahren werden auch heuer wieder neue interessante Artikel zu Zentral- und Osteuropa (auf Englisch "Central and Eastern Europe", kurz CEE) gesammelt. Gemeinsam mit 25 anderen Sprachversionen der Wikipedia kommt so wieder ein vielfältiges Sammelsurium an Artikeln zustande, das letztes Jahr mehr als 8.900 Artikel ausmachte. Ob diese Marke dieses Jahr erreicht werden kann, wird mit Spannung erwartet! B 20. 3.
Die Folgen des Diversithons
Wie die geneigten Lesenden des Kuriers sicher trotz aktuellerer anderer Ereignisse noch erinnern, gab es am Vorabend des 8. März einen Diversithon. Es war eine wie im Vorfeld bereits vermutet sehr gut besuchte Veranstaltung: ca. 60 mehrheitlich neue Autorinnen und vereinzelt auch neue Autoren. Das Ganze sehr gut und straff durchgeführt von den bereits im Ursprungsartikel genannten Organisationen und in dennoch guter Stimmung.
Einige Ergebnisse sind in Form von Neuanlagen oder Überarbeitungen zu erkennen. Ich finde die nicht so ohne weiteres erkennbaren Ergebnisse noch viel beeindruckender: Dabei bleibende Autorinnen und Autoren, die sich auch nach dem 7. März aktiv zeigten. Und die bei der Veranstaltung individuell unterstützenden Personen geben ihnen bei Bedarf weiterhin Unterstützung. Herzlichen Dank allen, die unterstützt haben und die offenbar auch weiterhin unterstützen! Angesichts dieses Erfolgs werden wir das bestimmt bald wiederholen. Iva 19.3.
WTF is Hikikomori?
Der Begriff Hikikomori ist Gegenstand der neuesten Folge dieser losen Reihe von Blicken auf ungewöhnliche Schwankungen bei den Abrufzahlen. Dieses Mal auslösend ist die Folge Der perfekte Mord aus der Reihe Professor T.. Es sei mal dahingestellt, ob der Begriff zu dem bei der Abfassung des Drehbuchs gesetzten Sachverhalt paßt oder ob schlicht unser Artikel schlecht ist. Oder der Berichterstatter keine Ahnung hat. Gegenüber bisherigen Artikeln zeigt dieser allerdings ein interessantes abweichendes Muster bei den Abrufzahlen, nämlich einen zweistufigen Ausschlag. Da ist zunächst der Anstieg von 150–180 Abrufen am Tag auf etwa 2000 ab dem 1. März und dann die Spitze mit 30.515 Abrufen am 8. März.
Zu erklären ist dies damit, daß die Folge, wie alle Folgen der dritten Reihenstaffel, bereits ab dem 1. März in der ZDF-Mediathek abgerufen werden konnte. Am 8. März erfolgte schließlich die Ausstrahlung der Folge zur Prime Time. In der Episode spielt auch eine Kegelschnecke eine Rolle. Die Abrufzahlen dafür haben folglich einen ganz ähnlichen Verlauf, wenn auch die Ausschläge weniger signifikant ausfallen. MaB 17.3.
Ein Rekordedit
Robert Radke löscht in einem Edit über 2 Millionen(!) B. Ausgedruckt entspricht das der dreifachen Fläche des Saarlandes oder einer Ketchuppyramide bis zum Mond. Die gesamte Benutzerdiskussionsmenge hat sich damit gefühlt um die Hälfte verringert. Respekt.sp, 16.3.
Umfrage der DDB für historisches Zeitungsportal
Die Deutsche Digitale Bibliothek arbeitet aktuell an der Erstellung eines historischen Zeitungsportals und hat eine Umfrage veröffentlicht, um den Bedarf der Nutzerinnen und Nutzer abzufragen. Die Teilnahme an der Umfrage dauert etwa acht Minuten. Das Feedback soll direkt in die Konzeption und Umsetzung einfließen und ein gutes digitales Zeitungsarchiv kann für die Arbeit an Wikipedia sicherlich sehr hilfreich sein. Hier geht es zur Umfrage. Nicor, 14.3.
Bild des Jahres 2018 wählen: mit drei Stimmen in die zweite Runde
Am 17. März 2019 endet um 23:59 Uhr (UTC) die Abstimmung im Wettbewerb um das „Bild des Jahres“ (POTY). Bis dahin kann man im Finale die drei besten aus 57 Bildern auswählen. Diese sind Gewinner der ersten Runde, als über die 963 exzellenten Bilder des letzten Jahres abgestimmt wurde (der Kurier berichtete). Die Abstimmung läuft auf den Commons, dem zentralen Medienspeicher, den alle Wikimedia-Projekte nutzen. Teilnehmen kann jede/r, der vor dem 1. Januar 2019 mehr als 75 Bearbeitungen in irgendeinem Wikimedia-Projekt hatte. Die in den Vorjahren beliebten »zwei Tiere in Interaktion«-Motive sind noch im Rennen, aber auch – eher ungewöhnlich – zwei der drei ausgezeichneten Videos. zur Abstimmung geht es hier lang. mh, 4.3.
Zwei zusätzliche Mitglieder ins WMDE-Präsidium berufen
Das Präsidium von Wikimedia Deutschland hat Helene Hahn und Mirjam Stegherr als zusätzliche Mitglieder in das Gremium berufen. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit Mirjam und Helene; eine Vorstellung der beiden ist im Vereinsblog zu finden. Gnom, 4.3.
Schreibwettbewerb
Die Nominierungsphase des 30. Schreibwettbewerbs findet vom 1. bis 31. März 2019 für Artikel in den Sektionen Exakte Wissenschaften, Kultur, Gesellschaftswissenschaften und Geschichte statt. Danach werden die von den Autoren eingereichten Artikel von einer bereits gewählten, achtköpfigen Jury auf eine spielerische Weise gekürt. Der Schreibwettbewerb dient einzig und allein der Befriedigung des Spaßfaktors, der in der Wikipedia leider ab und zu verlorenzugehen scheint. nE, 03.03.
Miniaturenwettbewerb
Vom 1. bis 31. März 2019 können beim Miniaturenwettbewerb neu geschriebene Miniaturen (d.h. kleine Artikel mit max. 15.000 Byte) für den Wettbewerb nominiert werden. Die Artikel werden ab dem 1. April 2019 von den Lesern bewertet. Dabei kann jeder stimmberechtigte Benutzer bis zu fünf Stimmen auf die Miniaturen verteilen, die ihm am besten gefallen. nE, 03.03.
100 Jahre Bauhaus
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WTF is Spokane?
In unregelmäßigen Abständen berichtet die Reihe WTF is…? über ungewöhnliche Schwankungen bei der Abrufzahl von Artikeln. Spokane ist eine Universitätsstadt etwa in der Größenordnung von Magdeburg. Im Gegensatz zu Magdeburg, das täglich im Tagesschnitt etwa 800–1100 mal abgerufen wird, liegt das Interesse für Spokane in der Größenordnung 50–70 Abrufe am Tag. Am 23. Februar schnellte die Abrufzahl hinauf auf 465. Der Grund dafür war wohl die Ausstrahlung des Degeto-Fernsehfilmes Familie Wöhler auf Mallorca – es ist die Stadt, in der der Enkel des Protagonisten lebt und arbeitet. Magdeburg selbst hatte im Februar übrigens auch einen Ausreißer bei den Abrufzahlen, nämlich am 10. Februar. Dieser prozentual deutlich geringere Ausschlag dürfte auf die MDR-Polizeiruf-110-Folge Zehn Rosen zurückzuführen sein. MaB, 2.3.
Wiki-Protest gegen EU-Urheberrechtsreform
Heute hat das Meinungsbild zum Protest gegen die Urheberrechtsreform der Europäischen Union begonnen. Es dauert 7 Tage und wird darüber entscheiden, ob sich die Autoren der Wikipedia den Protesten gegen Upload-Filter und ein EU-weites Leistungsschutzrecht anschließen, entweder in Form einer Komplettabschaltung oder einem Banner. Um rege Beteiligung wird gebeten. EH⁴² 01.03.
Der erfolgreiche Abschluss dieses Meinungsbildes wurde von Heise Online mit einem Screenshot der EU-Urheberrechtsreform-Weiterleitung gewürdigt. IP 11.03.