Wahlkampagnen während des Verfassungsreferendums in der Türkei 2017

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Präsident Recep Tayyip Erdoğan bei einer „Ja“-Wahlkampfauftritt in Kahramanmaraş (Türkei) am 17. Februar 2017

Während des Verfassungsreferendums in der Türkei im April 2017 gab es viele Kampagnen sowie Auftritte in der Türkei. Im Ausland wurden nur wenige Kampagnen und Auftritte erlaubt, während viele untersagt wurden.

Wahlkampagnen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Haltung der Parteien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Haltung der Parteien zur Volksabstimmung
Wahl Partei Vorsitz Ausrichtung
Ja AKP Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung Binali Yıldırım islamisch-konservativ, neoosmanisch
MHP (z. T.) Partei der Nationalistischen Bewegung Devlet Bahçeli rechtsextremistisch, nationalistisch
BBP (z. T.) Partei der Großen Einheit Mustafa Destici rechtsextremistisch, islamistisch
HÜDA PAR[1] Partei der Freien Sache Zekeriya Yapıcıoğlu islamistisch, pro-kurdisch
Nein CHP Republikanische Volkspartei Kemal Kılıçdaroğlu kemalistisch, sozialdemokratisch
MHP (z. T.) Partei der Nationalistischen Bewegung Devlet Bahçeli rechtsextremistisch, nationalistisch
HDP Demokratische Partei der Völker Selahattin Demirtaş / Figen Yüksekdağ demokratisch-sozialistisch, pro-kurdisch
SAADET Glückseligkeitspartei Temel Karamollaoğlu islamistisch, konservativ
BBP (z. T.) Partei der Großen Einheit Mustafa Destici rechtsextremistisch, islamistisch
Vatan Vaterlandspartei Doğu Perinçek linksnationalistisch, kemalistisch
HAK-PAR Partei für Recht und Freiheiten Refik Karakoç pro-kurdisch
HKP Volksbefreiungspartei Nurullah Ankut kommunistisch
DP Demokratische Partei Gültekin Uysal konservativ, wirtschaftsliberal
TKP Kommunistische Partei kollektive Führerschaft kommunistisch
DSP Demokratische Linkspartei Önder Aksakal sozialdemokratisch, kemalistisch
LDP Liberaldemokratische Partei Gültekin Tırpancı liberal
Millet Nationspartei Aykut Edibali nationalistisch
Yeşil Sol Grüne Linkspartei Eylem Tuncaelli / Naci Sönmez grün
HEPAR Partei für Recht und Gleichheit Yücel Savaş nationalistisch
ÖDP Partei der Freiheit und Solidarität kollektive Führerschaft sozialistisch
EMEP Partei der Arbeit Selma Gürkan kommunistisch
ANAP Mutterlandspartei İbrahim Çelebi konservativ, wirtschaftsliberal
SEP Sozialistische Arbeiterpartei Güneş Gümüş marxistisch
DBP Demokratische Partei der Regionen Emine Ayna pro-kurdisch
e-Parti Partei der Elektronischen Demokratie Emrehan Halıcı Einzweckpartei, „Direkte Demokratie“
DYP Partei des Rechten Weges Çetin Özaçıkgöz konservativ
Neutral BTP Partei der unabhängigen Türkei Haydar Baş nationalistisch, kemalistisch

„Ja“-Kampagnen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Lindentee für ein „Ja“
Kampagne-Logo und -Slogan „Unsere Entscheidung ist Ja“ von der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) und der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP).

Die regierende Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) trat fast geschlossen für eine Verfassungsänderung auf, jedoch gab es auch hier Stimmen, die sich (leise) gegen Erdoğans Pläne erhoben. Zwei prominente davon waren der vorige Präsident Abdullah Gül und der vorige Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu. Diese beiden engen Parteifreunde von Erdoğan hielten sich im gesamten Wahlkampf zurück, was von Beobachtern als leises „Nein“ zu werten war. Davutoğlu war im Vorfeld (22. Mai 2016/Sonderparteitag) als Parteichef zurückgetreten, was als verlorener Machtkampf gegen Erdoğan und seine Pläne galt.

Die rechtsextreme Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), welche die Abstimmung überhaupt möglich gemacht hatte, war tief zerrissen. Parteichef Bahçeli, der sich zuvor als starke Opposition zu Erdoğan verstand, und sein Anhang warben für ein „Ja“, dies traf jedoch in der Parteibasis mit Dauer des Wahlkampfes auf immer weniger Begeisterung. So wurden auch ranghohe Parteimitglieder im Wahlkampf aus der Partei ausgeschlossen, weil sie sich gegen Bahceli stellten.[2] Die Wähler der MHP waren Umfragen zufolge mit ungefähr 70 Prozent mehrheitlich gegen eine Änderung der Verfassung.[3]

„Nein“-Kampagnen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kampagneslogan und -logo „Nein zum Präsidialsystem“
„Nein“-Kampagnestand in Hannover.

Die beiden Oppositionsparteien, die sich geschlossen gegen Erdoğan und seine Pläne zur türkischen Verfassungsreform stellten, waren die Republikanische Volkspartei (CHP) und die Demokratische Partei der Völker (HDP). Dies betraf sowohl die Politiker, als auch die Wähler. Viele ranghohe Parteimitglieder warben in der gesamten Türkei für ein „Nein“. Jedoch wurde immer wieder von Gegnern auch mit Gewalt versucht, diese Bemühungen zu unterdrücken. Die türkische Polizei war hier zum Teil ebenfalls involviert.[4]

Im April 2017 berichteten Wahlkampfbeobachter der OSZE aus der Türkei, dass das Nein-Lager teilweise medial und politisch eingeschüchtert sowie behindert werde, wodurch ein adäquater Wahlkampf der Nein-Kampagne erschwert worden sei. Zudem waren zahlreiche Oppositionspolitiker und neutrale oder gegen die türkische Regierung argumentierende Journalisten inhaftiert.[5] In den ersten drei Wochen des März gaben 17 Fernsehsender (darunter der staatliche TRT) der AKP und dem Präsidialamt 470 Stunden Sendezeit, der größten Oppositionspartei CHP jedoch nur 45 und der HDP sogar 0 (Statistik durch den obersten Radio- und Rundfunkrat der Türkei). Auch die Daten der Nachrichtensendungen vom 1. bis 10. März zeigen einen großen Unterschied zwischen den Lagern und der Berichterstattung: So wurden den Vertretern des Präsidialamtes und der AKP 136 Stunden, der CHP 17 Stunden und der HDP 33 Minuten Sendezeit zugeteilt.[6] CHP-Chef Kemal Kılıçdaroğlu sprach diese Bedingungen bei einem Interview mit dem staatlichen Sender TRT an und beklagte vor allem die Situation der TRT und deren Nähe zu Erdoğan.[7] Dies fand in der Türkei großen Anklang und hatte zur Folge, dass vier Tage später die HDP (vertreten durch Osman Baydemir) ein neunminütiges Statement zum Referendum im Staatsfernsehen abgeben durfte.[8][9]

Wahlkampfauftritte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Neben den etwa 55 Millionen Stimmberechtigten in der Türkei waren rund 3 Millionen in über 50 Ländern lebende Staatsbürger zur Teilnahme an der Volksabstimmung aufgerufen (vgl. auch Auslandsstimmen bei der Präsidentschaftswahl 2014). Eine Beteiligung mittels Briefwahl war im türkischen Wahlrecht nicht vorgesehen.[10] Die etwa 1,4 Millionen in Deutschland lebenden Türken, die in das Wählerverzeichnis eingetragen waren, konnten (wie am 15. März 2017 von der Bundesregierung offiziell bestätigt wurde) zwischen dem 27. März und dem 9. April 2017 in den 13 konsularischen Vertretungen der Türkei in Deutschland abstimmen.[11]

Für Abstimmungen im Zusammenhang mit Verfassungsreferenden galten die Bestimmungen des Gesetzes Nr. 3376[12] und des allgemeinen Wahlgesetzes (Gesetz Nr. 298)[13]. Art. 50 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 298 untersagt Wahlpropaganda (seçim propagandası) unter anderem auf allgemeinen Straßen sowie in Bethäusern und Dienstgebäuden. Darüber hinaus durfte nach Art. 94/A Abs. 5 des Gesetzes Nr. 298 im Ausland sowie in Auslandsvertretungen und nach Art. 94/E Abs. 6 des Gesetzes Nr. 298 an Grenzübergängen keine Wahlpropaganda betrieben werden.[14] Sowohl Art. 94/A als auch Art. 94/E des Gesetzes Nr. 298 wurden 2008 eingefügt.[15]

Kontroverse Debatten um Wahlkampfauftritte türkischer Politiker gab es in mehreren europäischen Staaten.

Dänemark[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die dänische Regierung sagte am 12. März 2017 ein geplantes Treffen im eigenen Land vorerst ab, das mit dem türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu für den 19. und 20. März 2017 geplant war. Hierbei wären auch türkische Einwohner zugegen gewesen.[16]

Deutschland[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Außenminister Cavusoglu kritisiert die Absagen und Verbote für die Wahlkampfauftritte in Deutschland.

Während der damalige türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan in Köln für die Volksabstimmung von 2010 trotz Kritik in seinem Sinne werben konnte,[17] waren türkische Wahlkampfveranstaltungen 2017 hochumstritten und meist unerwünscht.

In Zusammenhang mit dem abgesagten Auftritt des türkischen Justizministers Bekir Bozdağ ging eine Bombendrohung gegen das Rathaus von Gaggenau ein, nachdem von Vertretern mehrerer Parteien, beispielsweise Julia Klöckner (CDU), Wolfgang Bosbach (CDU), Jürgen Hardt (CDU), Andreas Scheuer (CSU), Bernd Riexinger (Die Linke), Christian Lindner (FDP) und Alexander Gauland (AfD) Forderungen nach einem Verbot durch die Bundesregierung laut geworden waren.[18][19][20][21][22][23]

Am 8. März 2017 wurde in Hamburg der geplante Auftritt des türkischen Außenministers Mevlüt Çavuşoğlu an zwei Standorten aus Sicherheitsgründen abgesagt.[24] Der Außenminister sprach daraufhin vom Balkon des Generalkonsulats in Hamburg-Uhlenhorst zu etwa 350 Besuchern, begleitet von 250 Gegendemonstranten und 850 Einsatzkräften.

Haltung von Bundesregierung und einzelnen Politikern[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Verwaltungen mehrerer Gemeinden untersagten einige geplante Wahlkampfauftritte aufgrund von Sicherheitsbedenken (z. B. nicht gewährleisteter Brandschutz), was von Teilen der Befürworter des Referendums jedoch als Vorwand interpretiert wurde.

Bundeskanzlerin Angela Merkel machte deutlich, dass die Entscheidung bei den zuständigen Kommunen liege und keine Einschränkung der Meinungsfreiheit bedeute. Einige deutsche Kommentatoren interpretierten Merkels Standpunkt als Schwäche.[25][26]

Bundespolitiker der Union, der SPD (darunter Justizminister Heiko Maas und SPD-Fraktionsvorsitzender Thomas Oppermann) und der Grünen (darunter Claudia Roth) sowie u. a. der CDU-Europapolitiker Elmar Brok teilten Merkels Linie; sie sprachen sich gegen eine Verbotspolitik aus und erwähnten das Grundrecht der Meinungsfreiheit. Der CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl forderte ein Redeverbot für türkische Regierungsmitglieder und begründete dieses damit, dass es darum gehe, klarzumachen, „dass wir diesen Weg, den die Türkei jetzt geht, in Deutschland missbilligen und in keinem Fall unterstützen“. Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) betonte Mitte März: „Dass die Bundesregierung bisher nicht ihre völkerrechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, ist keine Freikarte für die Zukunft“, ein Einreiseverbot sei jedoch das letzte Mittel.[27] Am 18. Februar 2017 trat der türkische Ministerpräsidenten Yıldırım in der Arena Oberhausen als Redner auf; Veranstalter war die regierungsnahe Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD).[28][29] Die Gegeninitiative lud türkische Oppositionspolitiker zu ihren Veranstaltungen ein.[30]

Reaktionen von Landespolitikern[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es blieb bei „Phantomverboten“ und Drohungen, die von den Ministerpräsidenten des Saarlandes und Sachsen-Anhalts verlautbart wurden, um öffentliche Auftritte türkischer Wahlkämpfer zu verbieten, obwohl in keinem der beiden Bundesländer Veranstaltungen oder Auftritte türkischer Redner geplant waren. Die sich im Wahlkampf befindende Ministerpräsidentin des Saarlandes, Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), ließ verlauten, sie werde „alle Möglichkeiten ergreifen, solche Auftritte auf saarländischem Boden zu verbieten“.[31] Der sachsen-anhaltische Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) erklärte Präsident Erdoğan zur unerwünschten Person in seinem Bundesland.[32]

Urteil des Bundesverfassungsgerichtes[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Von verschiedenen Seiten wurde die Frage aufgeworfen, ob Angehörigen der aktuellen türkischen Regierung resp. ausländischen Repräsentanten jeglicher Staatsangehörigkeit und jeglichen Ranges nach den rechtlichen Möglichkeiten Wahlkampfauftritte unter Beibehaltung demokratischer Standards in Deutschland verboten werden können. Laut Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 8. März 2017) kann nach einer abgewiesenen Verfassungsbeschwerde ein solches Verbot durch die Bundesregierung erwirkt werden:

„Zwar haben Staatsoberhäupter und Mitglieder ausländischer Regierungen weder vom Grundgesetz noch nach einer allgemeinen Regel des Völkerrechts einen Anspruch auf Einreise in das Bundesgebiet und die Ausübung amtlicher Funktionen in Deutschland. Hierzu bedarf es der Zustimmung der Bundesregierung, in deren Zuständigkeit für auswärtige Angelegenheiten eine solche Entscheidung fällt. Soweit ausländische Staatsoberhäupter oder Mitglieder ausländischer Regierungen in amtlicher Eigenschaft und unter Inanspruchnahme ihrer Amtsautorität in Deutschland auftreten, können sie sich nicht auf Grundrechte berufen. Denn bei einer Versagung der Zustimmung würde es sich nicht um eine Entscheidung eines deutschen Hoheitsträgers gegenüber einem ausländischen Bürger handeln, sondern um eine Entscheidung im Bereich der Außenpolitik, bei der sich die deutsche und die türkische Regierung auf der Grundlage des Prinzips der souveränen Gleichheit der Staaten begegnen.“

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 8. März 2017[33]

Haltung der türkischen Regierung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Gegenzug verbittet sich die Türkische Republik seither ausländische Wahlkampfveranstaltungen auf türkischem Boden jedweder Art. Ein Verbot für ausländische Politiker, in der Türkei aufzutreten, gibt es zwar nicht. Indirekt kam die Regierung der Türkei damit den Worten Cem Özdemirs (Grüne) nach, der „gleiches Recht für alle“ einforderte.[34]

Die türkische Regierungspartei AKP beschloss am 16. April, Wahlkampfveranstaltungen und jedwede Informationsveranstaltung in Deutschland zu unterlassen. Staatspräsident Erdoğan war bei dieser Entscheidung nicht direkt beteiligt; er darf als Staatsoberhaupt kein Mitglied einer politischen Partei sein.[35]

Bozdağ kritisierte die Absage seines Auftritts in Gaggenau Anfang März 2017 scharf: „Das Vorgehen gegen uns ist ein faschistisches Vorgehen und eines, das demokratische Werte verletzt. Es tritt die deutsche Verfassung und die Menschenrechtsverträge, an die Deutschland gebunden ist, mit Füßen.“[36][37] Noch weiter ging Präsident Erdoğan selbst, der in einer in Istanbul gehaltenen Rede vor dem regierungsnahen Frauenverband Kadem von „Nazi-Praktiken“ sprach und an die deutschen Verantwortungsträger gewandt ausrief: „Eure Praktiken machen keinen Unterschied zu den Nazi-Praktiken der Vergangenheit.“ Deutschland habe nichts mit Demokratie zu tun.[38] Dies wurde in der deutschen Öffentlichkeit und Politik als inakzeptabel zurückgewiesen, noch dazu gegenüber einem NATO-Partner.[39] Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen äußerte, man solle „mit kühlem Kopf Redefreiheit nach Recht und Gesetz gewähren“. Dieses Recht könnten aber „einige türkische Politiker“ mit solchen Vergleichen verwirken.[40] Mitte März wiederholte Erdoğan seine Äußerung, diesmal persönlich an die Bundeskanzlerin gewandt. Sie verwies unter anderem auf eine Verbalnote, in der die Bundesregierung unmissverständlich mitgeteilt habe, dass Auftritte türkischer Politiker in Deutschland nur stattfinden könnten, wenn sie auf der Grundlage der Prinzipien des Grundgesetzes erfolgen. Andernfalls behalte sich die Bundesregierung vor, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, einschließlich einer Überprüfung der mit dieser Note erteilten Genehmigung.[41] Die UETD sagte am 21. März 2017 bis zur Volksabstimmung alle Veranstaltungen mit Ministerbeteiligungen in Deutschland ab.[42]

Frankreich[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

„Nein“-Auftrittstour von Deniz Baykal in Frankreich

Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu absolvierte nach der Verweigerung der Landeerlaubnis in den Niederlanden am 11. März 2017 einen Auftritt bei einem Treffen der Union Europäisch-Türkischer Demokraten in Metz, der anders als in den Niederlanden von den zuständigen französischen Behörden genehmigt wurde.[43] Vor 800 Teilnehmern bezeichnete er dort die Niederlande als „Hauptstadt des Faschismus“.

Niederlande[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Proteste von Türken vor dem niederländischen Konsulat in Istanbul

Im März 2017 – im Vorfeld der niederländischen Parlamentswahl am 15. März 2017 – erklärte der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte gegenüber der türkischen Regierung, dass Auftritte zur Volksabstimmung über die Verfassung der Türkei in den Niederlanden unerwünscht seien und dass der öffentliche Raum generell kein Ort für den Wahlkampf anderer Länder sei.[44]

Rotterdamer Auftrittskrise vom 11. März[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Berittene Polizei vor dem türkischen Konsulat in Rotterdam während des Protests

Nach Drohungen wurde dem türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu die Landeerlaubnis in den Niederlanden entzogen.[45] Als am selben Tag die türkische Familienministerin Fatma Betül Sayan Kaya von Düsseldorf nach Rotterdam fuhr, stoppte die Polizei den Dienstwagen und eskortierte ihn bis zur deutsch-niederländischen Grenze, von wo sie als „unerwünschte Ausländerin“ eingereist war. Der Ministerin war der Zugang zum türkischen Konsulat wegen des angekündigten, aber offiziell untersagten Wahlkampfes verwehrt worden.[46]

Das türkische Außenministerium bestellte daraufhin den niederländischen Geschäftsträger in Ankara ein und teilte ihm mit, dass eine Rückkehr des niederländischen Botschafters, der sich zu dieser Zeit nicht in der Türkei aufhielt, unerwünscht sei. Kurz darauf wurden die diplomatischen Vertretungen der Niederlande in der Türkei abgeriegelt.[47]

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan bezeichnete die niederländische Regierung und deren Bevölkerung aufgrund deren Verhaltens als Nationalsozialisten und Faschisten und drohte mit weitreichenden politischen Konsequenzen auf allen Feldern der Beziehungen wie Landeverboten für niederländische Flugzeuge in der Türkei. Sowohl die Beschimpfungen als auch die Drohpolitik wurden von Ministerpräsident Rutte zurückgewiesen. Die Äußerungen Erdoğans seien „unangebracht“ und „verrückt“.[48][49][50]

Österreich[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Österreichs Bundeskanzler Christian Kern sprach sich am 5. März 2017 für ein EU-weites Verbot von Wahlkampfauftritten türkischer Politiker aus. Er erklärte: „Eine gemeinsame Vorgehensweise der EU, um solche Wahlkampfauftritte zu verhindern, wäre sinnvoll. Damit nicht einzelne Länder wie Deutschland, in denen Auftritte untersagt werden, unter Druck der Türkei geraten.“ Kern kritisierte bezüglich der geplanten Verfassungsänderung, dass „die Einführung eines Präsidialsystems den Rechtsstaat in der Türkei noch weiter schwächen, die Gewaltenteilung einschränken und den Werten der Europäischen Union widersprechen würden“.[51] Dagegen argumentierten Repräsentanten der türkischen Regierung und der AKP, wie der AKP-Politiker Mustafa Yeneroğlu.[52]

Schweden[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ein für den 12. März 2017 geplanter Auftritt des AKP-Vizevorsitzenden Mehdi Eker in Stockholm wurde abgesagt. Der Mietvertrag des Konferenzsaals war storniert worden.

Schweiz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ein Hotel in Opfikon sagte den für den 12. März 2017 geplanten Auftritt von Mevlüt Çavuşoğlu wegen Sicherheitsbedenken ab. Der Bund lehnte die Aufforderung der Zürcher Kantonsregierung ab, den Auftritt zu verbieten.[53]

Der AKP-Funktionär Hursit Yildirim plante in Zürich aufzutreten, wo ein Raum für ein angebliches Familienfest angemietet wurde, die städtische Liegenschaftsverwaltung nach Kenntnis des Hintergrunds den Auftritt jedoch verhinderte. Ein daraufhin in Spreitenbach geplanter Auftritt wurde von der Aargauer Polizei untersagt. Danach fand in Opfikon beim türkischen Unternehmerverband MÜSİAD ein nichtöffentlicher Auftritt statt.[54]

Schlagzeile „Stimmt ‚Nein‘ zu Erdoğans Diktatur!“[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am 13. März 2017 titelte die auflagenstärkste Schweizer Tageszeitung Blick mit der Abstimmungsempfehlung „Erdoğan'ın diktatörlüğüne HAYIR oyu kullanın!“ („Stimmt Nein zu Erdoğans Diktatur!“), was in den sozialen Medien der Türkei für Aufregung und Nazi-Vergleiche sorgte.[55]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. HÜDA PAR referandumda 'Evet' diyecek. In: Sabah. Abgerufen am 4. März 2017.
  2. Erdogans Referendum stellt Ultranationalisten vor Zerreißprobe. In: moritz.gottsauner-wolf. Abgerufen am 25. März 2017.
  3. AKAM'ın kapsamlı son referandum anketi. In: ZERnews.com. Archiviert vom Original am 25. März 2017; abgerufen am 25. März 2017.
  4. Polis HDP'nin 'Hayır' otobüsüne el koydu – 20. März 2017 – Siyasi Haber. In: siyasihaber3.org. Abgerufen am 25. März 2017 (türkisch).
  5. OSZE-Kritik: Nein-Lager in der Türkei wird behindert. In: Tagesschau Online, 13. April 2017
  6. Kaum TV-Sendezeit für Opposition vor dem Türkei-Referendum. In: Deutsche Welle. Abgerufen am 13. April 2017.
  7. HDP 'inanamadı': Parti sözcüsü Baydemir bu akşam TRT yayınında – Diken. In: Diken. 11. April 2017, abgerufen am 13. April 2017.
  8. HDP 'inanamadı': Parti sözcüsü Baydemir bu akşam TRT yayınında. In: Diken. 11. April 2017, abgerufen am 13. April 2017.
  9. Güncel Haber: Hdp Osman Baydemir – TRT Konuşması – 11 Nisan 2017. 11. April 2017, abgerufen am 13. April 2017.
  10. Vgl. insbesondere VerfG, Urteil vom 29. Mai 2008, E. 2008/33, K. 2008/113, Amtsblatt Nr. 26927 vom 5. Juli 2008 (online).
  11. Im Schattenreich. Der Spiegel 11/2017, 11. März 2017, S. 12–19, hier S. 18; ARD, Tagesschau vom 15. März 2017. Die Liste der weltweiten ausländischen Abstimmungsorte und -zeiträume siehe unter Anayasa Değişikliği Halkoylamasında Sandık Kurulacak Temsilcilikler, Oy Verme Tarihleri ve Seçim Yapılacak Yerlerin Adresleri. Hoher Wahlausschuss (PDF).
  12. Anayasa Değişikliklerinin Halkoyuna Sunulması Hakkında Kanun (Gesetz über die Unterbreitung zur Volksabstimmung von Verfassungsänderungen); Gesetz Nr. 3376 vom 23. Mai 1987, Amtsblatt Nr. 19473 vom 28. Mai 1987.
  13. Seçimlerin Temel Hükümleri ve Seçmen Kütükleri Hakkında Kanun (Gesetz über die allgemeinen Wahlgrundsätze und Wählerverzeichnisse); Gesetz Nr. 298 vom 26. April 1961, Amtsblatt Nr. 10796 vom 2. Mai 1961.
  14. Siehe dazu ferner Christian Rumpf: Der türkische Außenminister im türkischen Generalkonsulat in Hamburg am 7. März 2017. Eine vorläufige Bewertung aus der Sicht des türkischen Wahlrechts. (PDF; 0,7 MB).
  15. Eingefügt durch Art. 10 des Gesetzes Nr. 5749 vom 13. März 2008, Amtsblatt Nr. 26824/Mükerrer vom 22. März 2008.
  16. Dänemark will Yildirim-Besuch verschieben. In: Welt.de, 12. März 2017.
  17. Recep Tayyip Erdoğan: "Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Erdogan-Rede in Köln im Wortlaut. In: Süddeutsche Zeitung. 17. Mai 2010, abgerufen am 2. April 2017.
  18. Rüdiger Soldt: Der Entscheider. In: faz.net, 3. März 2017
  19. Politiker fordern Verbot von Erdoğan-Auftritt in Deutschland. In: faz.net, 3. März 2017
  20. Türkei bestellt deutschen Botschafter ein. In: zeit.de, 2. März 2017.
  21. Forderung nach Verbot von Erdogan-Auftritt in Deutschland. In: Kölner Stadtanzeiger, 23. Februar 2017
  22. Erdogan spricht von „Nazi-Praktiken“. In: Deutschlandfunk, 5. März 2017
  23. Politiker fordern Verbot von Erdoğan-Auftritt in Deutschland. In: Zeit online, 1. März 2017.
  24. Auftritt des türkischen Außenministers in Hamburg abgesagt. In: Welt.de, 8. März 2017.
  25. Absagen in Gaggenau und Köln – Türkische Minister ausgeladen: Merkel verteidigt Kommunen. In: Münchner Merkur. 3. März 2017, abgerufen am 16. April 2017.
  26. Christian Rothenberg: Streit mit der Türkei: Merkel ist zu diplomatisch. In: n-tv. 7. März 2017, abgerufen am 16. April 2017.
  27. „Letztes Mittel“ Einreiseverbot: Bundesregierung droht türkischen Politikern. In: n-tv, 14. März 2017, abgerufen am gleichen Tag
  28. Bericht: Türkischer Ministerpräsident tritt bei Veranstaltung in Oberhausen auf. (Memento vom 15. März 2017 im Internet Archive) In: Zeit Online, 14. Februar 2017
  29. FAZ.net 18. Februar 2017: Yildirim in Oberhausen: „Werbefeldzug für die Diktatur“.
  30. Thomas Gutschker, Lydia Rosenfelder: Hayir – Nein! In: FAZ.net. 12. März 2017, abgerufen am 17. April 2017.
  31. Saarland verbietet Wahlkampfauftritte ausländischer Politiker. Als erstes Bundesland. FAZ, 14. März 2017, abgerufen am 2. April 2017.
  32. Haseloff: Türkischer Präsident Erdogan kein willkommener Gast. Nach Wahlkampfauftritten. In: Mitteldeutscher Rundfunk. 16. März 2017, archiviert vom Original am 2. April 2017; abgerufen am 2. April 2017.
  33. Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen den Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten in Deutschland; Pressemitteilung Nr. 16/2017 vom 10. März 2017. Bundesverfassungsgericht, abgerufen am 14. März 2017
  34. Wenn ausländische Politiker in der Türkei auftreten wollen. In: Die Welt. 13. März 2017, abgerufen am 2. April 2017.
  35. Erdogans Partei verzichtet auf Wahlkampfauftritte in Deutschland. In: Die Welt. 21. März 2017, abgerufen am 2. April 2017.
  36. Oppermann wirbt für Toleranz. In: Spiegel online, 4. März 2017
  37. Türkischer Minister macht Wahlkampf in Deutschland. In: N-tv, 2. März 2017.
  38. Streit um Erdogans Nazi-Vergleich: „Wenn ich will, komme ich nach Deutschland“. In: Der Tagesspiegel, 5. März 2017.
  39. Reaktion auf Erdogans Nazi-Vergleich: „Unglaublich“ – „ungeheuerlich“. In: Tagesschau, 5. März 2017.
  40. Die Türkei hat es in der Hand. In: Zeit Online. 13. März 2017, abgerufen am 15. März 2017.
  41. Merkel droht Erdogan: Nicht jedes Tabu darf fallen. (Memento vom 21. März 2017 im Internet Archive) In: Zeit online, 20. Mai 2017
  42. Konrad Fischer: „Keine Auftritte türkischer Minister mehr in Deutschland“. In: Wirtschaftswoche, 21. März 2017.
  43. Türkischer Außenminister soll in Frankreich auftreten. In: Stuttgarter Nachrichten, 11. März 2017.
  44. Werbung für Verfassungsreform: Niederlande erklären türkischen Wahlkampf für unerwünscht. In: FAZ.net, 4. März 2017.
  45. Ein nie dagewesener diplomatischer Zwischenfall. In: Welt.de, 11. März 2017.
  46. Niederländische Botschaft in der Türkei geschlossen. In: Welt.de, 11. März 2017.
  47. Polizei stoppt türkische Ministerin in Rotterdam. In: sueddeutsche.de. 12. März 2017, abgerufen am 12. März 2017.
  48. Erdogan beschimpft Niederländer als Nazis und Faschisten. In: Stuttgarter Nachrichten.de, 12. März 2017;
  49. Rutte: „Das geht zu weit“. (Memento vom 12. März 2017 im Internet Archive) In: ZDF Heute, 12. März 2017
  50. Erdogan droht mit Vergeltung. Rutte kontert scharf. In: Welt N24, 11. März 2017.
  51. Christoph B. Schiltz: Österreichs Bundeskanzler: „Die Türkei muss Herrn Yücel umgehend frei lassen“. In: Welt Online, 5. März 2017.
  52. AKP-Politiker nennt Verbotsforderung „völlig befremdlich“. In: Deutschlandfunk, 17. Februar 2017.
  53. Florian Schoop: Bund widerspricht Zürcher Regierung: Ein türkischer Minister spaltet die Schweiz. In: NZZ, 9. März 2017.
  54. Hursit Yildirim in der Schweiz: AKP-Politiker sprach in Opfikon statt in Spreitenbach. In: NZZ, 11. März 2017.
  55. Nazi-Symbole und purer Hass. In: blick.ch, 13. März 2017.